notfallseelsorge

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Handbuch Notfallseelsorge THEMENSCHWERPUNKT Joachim Müller-Lange (Hrsg.) 2., überarbeitete Auflage

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Joachim Müller-Lange (Hrsg.) T H E M E N S C H W E R P U N K T 2., überarbeitete Auflage Handbuch Notfallseelsorge Handbuch Notfallseelsorge Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2006 Herausgeber Joachim Müller-Lange

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C M Y CM MY CY CMY K

Joachim Müller-Lange (Hrsg.)

HandbuchNotfallseelsorge

ISBN-10 3-938179-16-3

T H E M E N S C H W E R P U N K T

lichen Auseinandersetzungmit dem Thema der Notfall-seelsorge.

Seit dem Erscheinen der ers-ten Auflage hat sich die Not-fallseelsorge rasant weiter-entwickelt. Die 2. Auflage desHandbuchs Notfallseelsorgenimmt diese Entwicklungnun auf. Neu überdacht undbeschrieben werden z.B. dieAufgaben der PsychosozialenUnterstützung in der Akut-phase einer Katastrophe unddie Frage der Schnittstelle zurmittel- und langfristigenNachsorge, die innerhalb derNotfallseelsorge intensivdiskutiert wird. Ein weiteres,

besonderes Augenmerk liegtauf der seelsorglichen Beglei-tung von Kindern und Gehör-losen in Notfällen sowie denBetroffenen des verheerendenTsunami in Südostasien.

Das Handbuch Notfallseel-sorge wendet sich sowohl anNotfallseelsorger, die sich aufihre Aufgaben in der Seelsorgevorbereiten, als auch an die-jenigen, die ehrenamtlich ineiner Notfallnachsorgegruppeoder in einem Kriseninter-ventionsteam mitarbeiten.

Das erste Handbuch dieser Artin Deutschland – jetzt in der2. Auflage.

Notfallseelsorge ist Seelsorgein extremen Situationen. Da-bei müssen sich Notfallseel-sorger auf Menschen inaußergewöhnlichen Gefühls-lagen ebenso einstellen wieauf grausame Bilder. Siebegegnen Menschen, derenBiographie sich urplötzlichgravierend verändert – etwadurch einen Unfall oder eineNaturkatastrophe.

Als Vorbereitung auf solcheSituationen ist dieses Hand-buch geschrieben. Auf derBasis von Fallbeispielen, Merk-sätzen und eines umfassendenRegelwerks ermutigt das Buchzu einer geistigen und geist-

HandbuchNotfallseelsorge

T H E M E N S C H W E R P U N K T

Joachim Müller-Lange (Hrsg.)

2., überarbeitete Auflage

www.skverlag.de

ISBN-13 978-3-938179-16-1

J. Müller-Lange

TH

andbuch Notfallseelsorge

(Hrsg.)

Handbuch Notfallseelsorge

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Handbuch Notfallseelsorge

Herausgeber Joachim Müller-Lange

Unter Mitarbeit von Frank Blankenstein Michael Clauss Johannes Duven † Michaela Frenz Claudia Geese Joachim Häcker Wolfgang Heinemann Dr. disc. pol. Jutta Helmerichs Hartmut Krabs-Höhler Dr. phil. Harald Karutz Claudia Kiehn Bernd Krause Ludwig Kroner Klaus Kuhn Dr. Uwe Rieske Silvia Rollmann Prof. Dr. med. Klaus-Steffen Saternus Olaf Schaper Christine Scholl Dipl. Psych. Jürgen Schramm Dipl. Psych. Heiner Seidlitz Dr. phil. Tobias Trappe Jutta Unruh Kristiane Voll Frank Waterstraat Hanjo von Wietersheim Dr. theol. Thomas Zippert

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2006

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nati-onalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf und Kossendey mbH, Edewecht, 2006Satz: Weiß & Partner, OldenburgUmschlagfoto: Claudia Geese, Mülheim a.d. RuhrDruck: Koninklijke Wöhrmann, Zutphen, Niederlande

ISBN-10 3-938179-16-3ISBN-13 978-3-938179-16-1

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˘ Inhalt

InhaltAbkürzungen .............................................................................................................................................. 11

Vorwort zur 2. Auflage ............................................................................................................................ 13

Vorwort zur 1. Auflage ............................................................................................................................ 15

1 Einführung in die Notfallseelsorge............................................................................ 17

J. Müller-Lange

2 Zur Theologie der Notfallseelsorge .......................................................................... 25

T. Zippert

2.1 Notfallseelsorge als kirchliche Aufgabe ................................................................................... 26

2.1.1 Zur Vorgeschichte der Notfallseelsorge ............................................................................ 26

2.1.2 Gegenwärtige Bedingungen der Notfallseelsorge ........................................................ 28

2.2 Möglichkeiten des theologischen Umgangs – Meditation des Vaterunsers .............. 33

2.2.1 Die Anrede: »Vater unser im Himmel« oder: Wer oder was ist Gott? ....................... 34

2.2.2 Die erste Bitte: »Geheiligt werde dein Name« oder: Was bewegt mich wirklich? ......................................................................................... 35

2.2.3 Die zweite Bitte: »Dein Reich komme« oder: Von der Kraft der Vorläufigkeit ....... 37

2.2.4 Die dritte Bitte: »Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden« oder: Vom Willensstreit in Gott und in mir ...................................................................... 38

2.2.5 Die vierte Bitte: »Unser tägliches Brot gib uns heute« oder: Von der Kraft des Beistehens....................................................................................... 40

2.2.6 Die fünfte Bitte: »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern« oder: Von der Lust an der Schuldverleugnung ..................... 42

2.2.7 Die sechste Bitte: »Führe uns nicht in Versuchung« oder: Von den besonderen Versuchungen der Notfallseelsorge ............................... 45

2.2.8 Die siebte Bitte: »Sondern erlöse uns von dem Bösen«oder: Von der Schwierigkeit zu trösten ............................................................................... 46

2.2.9 Der Schluss: »Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.« Oder: Von der Kraft der guten Bilder ................... 52

2.3 Zur Pastoraltheologie der Notfallseelsorge ........................................................................... 53

2.3.1 Prinzip der Kooperation ........................................................................................................... 53

2.3.2 Prinzipien der Kollegialität und Regionalität zur Sicherstellung zuverlässiger Erreichbarkeit ...................................................................... 54

2.3.3 Prinzipien der Gemeindebezogenheit und Ökumenizität ........................................... 54

2.3.4 Prinzip der Freiwilligkeit ......................................................................................................... 54

2.3.5 Prinzip der Professionalität der Notfallseelsorge ........................................................... 55

3 Verhalten von Menschen in Extremsituationen ................................................... 57

J. Müller-Lange

3.1 Trauer ................................................................................................................................................... 58

3.1.1 Trauerphasen ............................................................................................................................... 59

3.1.2 Traueraufgaben .......................................................................................................................... 61

3.1.3 Notfallseelsorge und Trauer ................................................................................................... 63

3.1.4 Trauerschockreaktionen .......................................................................................................... 64

3.1.5 Trauerschock und Trauer im Volksmund ........................................................................... 66

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˘ Inhalt

3.2 Akute Belastungsreaktionen / posttraumatische Belastungsstörungen .................... 67

3.2.1 Geschichte der Psychotraumatologie ................................................................................. 68

3.2.2 Psychotraumatologie heute ................................................................................................... 70

3.3 Folgerungen für die Notfallseelsorge ....................................................................................... 79

4 Seelsorge in Extremsituationen ................................................................................. 83

J. Müller-Lange

4.1 Die individuellen Katastrophen / Häufige Indikationen .................................................... 85

4.1.1 Erfolglose Reanimation ............................................................................................................ 85

F. Waterstraat4.1.2 Glücklose Schwangerschaft ................................................................................................... 94

W. Heinemann4.1.3 Plötzlicher Säuglingstod: Empfehlungen zum Umgang mit

betroffenen Eltern und Geschwistern in der Akutsituation ......................................104

J. Helmerichs, S. Rollmann, K.-S. Saternus4.1.4 Person droht zu springen ... Talk-down .............................................................................116

J. Schramm4.1.5 Verkehrsunfall ...........................................................................................................................123

J. Müller-Lange4.1.6 Schwerer Verkehrsunfall / Massenkarambolage ..........................................................127

K. Kuhn4.1.7 Unfälle mit Schienenfahrzeugen ........................................................................................133

M. Clauss4.1.8 Überbringen von Todesnachrichten ..................................................................................138

C. Kiehn, T. Trappe4.1.9 Evakuierung infolge einer Gasexplosion: Großalarm in Düsseldorf .......................149

O. Schaper4.1.10 Evakuierungsmaßnahmen – »Das bange Warten nahm kein Ende« .....................156

M. Frenz4.1.11 Gewaltopfer ...............................................................................................................................169

L. Kroner4.1.12 Notfallseelsorge und gehörlose Menschen ....................................................................178

M. Clauss

4.2 Notfallseelsorge in der Betreuung von Kindern ..................................................................183

4.2.1 Betreuung von Kindern in Notfallsituationen ...............................................................183

H. Karutz4.2.2 Vermisste Person – Eine Orientierungshilfe für

Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger ..............................................................201

J. Unruh

4.3 Unklare Todesursache und die Folgen ....................................................................................219

L. Kroner

4.4 Vom Umgang mit dem toten Menschen ...............................................................................223

J. Müller-Lange, T. Zippert

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˘ Inhalt

4.5 Nach dem Einsatz – Möglichkeiten der Zusammen arbeit mit einer nachfolgenden Trauerbegleitung .................................................................................233

K. Voll

4.6 Vom Umgang mit eigenen Belastungen ...............................................................................241

J. Müller-Lange

5 Seelsorge unter den Bedingungen einer Katastrophe / eines Großschadenereignisses .................................................................................. 245

J. Müller-Lange

5.1 Zum Ablauf einer Katastrophe ..................................................................................................248

J. Müller-Lange

5.2 Die psychosoziale Bewältigung einer Katastrophe ............................................................255

J. Müller-Lange

5.3 Katastrophen und Großschadenereignisse im Rahmen der zivilen Gefahrenabwehr .......................................................................................................264

J. Häcker5.3.1 Definition der Begriffe Katastrophe und Großschadenereignis ..................................266

5.3.2 Führung und Leitung bei Großschadenereignissen und Katastrophen ................268

5.3.3 Schadengebiet und Einsatzstelle .......................................................................................281

5.4 Notfallseelsorge als Element der Psychosozialen Unterstützung im Großschadenfall – Funktionen und Einsatzabschnitte ..............................................294

J. Müller-Lange, J. Duven †, J. Häcker, J. Unruh5.4.1 Die Funktionen in der Psychosozialen Notfallversorgung .........................................296

5.4.2 Aufgaben des Stabes für das Arbeitsgebiet Psychosoziale Unterstützung .........299

5.4.3 Funktionen unter dem Dach der PSNV im Rahmen der zivilen Gefahrenabwehr ........................................................................................................304

5.5 Katastrophennachsorge: Mittel- und langfristige Nachsorge für Opfer und Angehörige nach einer Katastrophe ..................................................................311

J. Müller-Lange5.5.1 Das Projekt »hoffen bis zuletzt« .........................................................................................312

J. Müller-Lange, J. Unruh, U. Rieske, H. Krabs-Höhler, C. Scholl5.5.2 Folgerungen für die mittel- und langfristige Nachsorge für

Opfer und Angehörige nach einer Katastrophe ............................................................326

6 Einsatznachsorge ........................................................................................................... 329

J. Müller-Lange

6.1 Critical Incident Stress Management .....................................................................................332

6.2 Debriefing – ein zweifelhaftes Verfahren? ............................................................................346

6.3 Folgerungen für die Notfallseelsorge .....................................................................................348

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˘ Inhalt

7 Fortbildung in der Notfallseelsorge ........................................................................ 349

H. v. Wietersheim

7.1 Empfehlung zur Aus-, Fort- und Weiterbildung für Mitarbeitende in der Notfallseelsorge (NFS) und der Seelsorge für Einsatzkräfte in der EKD ......................351

7.1.1 Aufgabenfeld .............................................................................................................................352

7.1.2 Voraussetzungen für den Dienst in der Notfallseelsorge ..........................................353

7.1.3 Ausbildung .................................................................................................................................353

7.2 Sonderlehrgang – Seminar Fachberater Seelsorge in der Feuerwehr (bayerisches Modell) .....................................................................................................................360

7.3 Fortbildungsthemen für örtliche Fortbildungen ................................................................362

8 Qualitätssicherung ........................................................................................................ 367

B. Krause

8.1 Selbstverständnis ...........................................................................................................................368

8.2 Hilfsangebote ..................................................................................................................................369

8.3 Organisationsstruktur ..................................................................................................................370

8.4 Fortbildung ......................................................................................................................................371

8.5 Finanzielle Ausstattung, räumliche Ausstattung und Arbeitsmittel ...........................372

8.6 Kooperation und Vernetzung.....................................................................................................374

8.7 Ethik ....................................................................................................................................................375

8.8 Evaluation und Weiterentwicklung .........................................................................................376

9 Praxisvorlagen und Materialien ............................................................................... 379

9.1 Kriterien für den Dienst hauptamtlicher / teilhauptamtlicher Pfarrer / Pfarrerinnen in der Notfallseelsorge .....................................................................380

J. Müller-Lange9.1.1 Erwartungen an den Amtsinhaber ....................................................................................380

9.1.2 Anstellungsträger ....................................................................................................................380

9.1.3 Erwartungen an Träger von Feuerwehr und Rettungsdienst ...................................380

9.2 Entwurf einer Dienstanweisung für einen Pfarrer / eine Pfarrerin in der Notfallseelsorge .................................................................................................................381

J. Müller-Lange9.2.1 Das Amt .......................................................................................................................................381

9.2.2 Die Aufgaben .............................................................................................................................381

9.3 Ordnung für den Beirat für die Evangelische Notfall- und Polizeiseelsorge in Wuppertal ...................................................................................................382

M. Clauss

9.4 Statut der Notfallseelsorge ........................................................................................................383

B. Krause

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˘ Inhalt

9.5 Liturgische Vorlagen .....................................................................................................................394

C. Geese, F. Blankenstein9.5.1 Anregungen für ein Verabschiedungsritual im Rahmen der Notfallseelsorge ...394

9.5.2 Psalmen .......................................................................................................................................400

9.5.3 Psalmparaphrasen ...................................................................................................................401

9.5.4 Gebete..........................................................................................................................................406

9.5.5 Texte .............................................................................................................................................409

9.6 Ökumenischer Gedenkgottesdienst für die Opfer der Brühler Zugkatastrophe – Sonntag, 13. Februar 2000 .......................................................412

J. Müller-Lange9.6.1 Ansprache des Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland,

Nikolaus Schneider ..................................................................................................................412

9.6.2 Ansprache des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner .............................414

9.7 Ökumenischer Gedenkgottesdienst für die Opfer des Tsunami vom 26.12.2004 im Hohen Dom zu Köln – Samstag, 15. Januar 2005 ..........................................................415

9.7.1 Ansprache des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner .............................415

9.7.2 Ansprache des Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider ..................................................................................................................417

9.8 Informationen und Empfehlungen für Betroffene ............................................................420

J. Müller-Lange

9.9 Stiftung Notfallseelsorge ............................................................................................................422

J. Müller-Lange

9.10 Adressenverzeichnis......................................................................................................................424

Anhang ...................................................................................................................................... 431

Anmerkungen .........................................................................................................................................432

Literatur ....................................................................................................................................................446

Abbildungsnachweis .............................................................................................................................460

Herausgeber und Autoren ...................................................................................................................461

Index ...........................................................................................................................................................465

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˘ Vorwort

Vorwort zur 2. Auflage

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Handbuches hat die Notfallseelsorge ihre rasante Entwicklung nicht nur fortgesetzt, sondern sogar beschleunigt. Waren es anfangs die Pioniere, die diesem neuen Arbeitsfeld der gesellschaftlichen Diakonie ihren Stempel aufgedrückt haben, so wird man heute sagen müssen: Die Pionierzeit ist vorbei. Die Not-fallseelsorge ist ein selbstverständliches, wenn auch nicht ganz normales Arbeitsfeld der gesellschaftlichen Diakonie geworden.

Es sind die vielen neu entstandenen Gruppen, die das Imposante des Arbeitsfeldes nun ausmachen. Immerhin gibt es mittlerweile in über 250 Kreisen und kreisfreien Städten das Angebot der »Ersten Hilfe für die Seele« für Menschen, die in einen Notfall geraten sind oder eine Gewalttat erleiden mussten. Damit ist die Notfallseelsorge zwar noch nicht vollkommen flächendeckend vertreten, doch gibt es keine großen weißen Flecken mehr auf der Landkarte.

Nach mittlerweile fünfzehn Jahren setzt auch eine gewisse Fluktuation der Mitarbei-tenden ein. So bleibt die Aus- und Fortbildung für die Tätigkeit in der Notfallseelsorge ei-ne stetige Herausforderung. Das Handbuch Notfallseelsorge – von Anfang an auf die Aus- und Fortbildung ausgerichtet – bleibt damit notwendige Grundlage für die Zurüstung der Mitarbeitenden. Viele der Themen haben sich kaum verändert. Allerdings: Ein besonderes Augenmerk wurde auf die seelsorgliche Begleitung von Kindern gelegt. Auch die Seelsor-ge an Gehörlosen wurde neu thematisiert.

Die größten Umbrüche gibt es im Bereich der Großschadenlagen. Hat die erste Auf-lage versucht, mit der Beschreibung des Leitenden Notfallseelsorgers die Arbeit in die Strukturen des Katastrophenschutzes zu gießen, so trägt die 2. Auflage der Entwicklung der letzten Jahre Rechnung, dass die Notfallseelsorge dauerhaft ein Anbieter unter meh-reren werden wird. Das Bewusstsein um die Bedeutung von psychosozialer Notfallversor-gung ist bei den staatlichen Verantwortungsträgern gewachsen und die Einbindung der so genannten Psychosozialen Unterstützung in die Richtlinien des Katastrophenschutzes nimmt – sehr unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern – zu.

Unzweifelhaft ist die Notfallseelsorge inzwischen anerkannter Bestandteil des psycho-sozialen Netzwerkes in der Akutphase einer Großschadenlage. So müssen die Tätigkeiten in der Katastrophe neu bedacht und neu beschrieben werden.

Weiterhin nicht klar definiert ist die Schnittstelle zwischen der psychosozialen Akut-versorgung in einer Katastrophe und der mittel- und langfristigen Nachsorge für Men-schen, die von einer Katastrophe betroffen sind. Sie wird gegenwärtig intensiv diskutiert. So gibt es unterschiedliche Modelle dieser Nachsorge, die in Kooperation mit der Notfall-seelsorge entstanden sind. Aber es gibt auch Positionen, die die Notfallseelsorge vor der Übernahme zusätzlicher Funktionen schützen wollen und daher mittel- und langfristige Nachsorge im engeren Rahmen der Notfallseelsorge ablehnen.

Die größte Katastrophe der jüngsten Zeit mit über 220.000 Toten und Vermissten war das Seebeben vom 26.12.2004 in Südost-Asien. Auch 537 Deutsche kamen ums Leben. Die Zahl der verletzten und traumatisierten Überlebenden wird wohl niemals feststehen.

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˘ Vorwort

Der Landesverband Nordrhein des Deutschen Roten Kreuzes und die Notfallseelsor-ge der Evangelischen Kirche im Rheinland haben in der Folge des Seebebens das Projekt »Hoffen bis zuletzt« für Opfer und Angehörige dieser Katastrophe initiiert. Eine Reihe von Landesverbänden und Landeskirchen haben mit ihrer Mitwirkung diesem Projekt einen bundesweiten Charakter gegeben. Nach dem ersten Jahrestag konnte mit einem ersten Rückblick dieses Projekt als ein Beispiel für kontinuierliche Begleitung von Menschen in und nach einer Katastrophe im Handbuch dokumentiert werden. Auch wenn ich dem Dis-kurs über Umfang und Bedeutung der Katastrophennachsorge nicht vorgreifen möchte, dürfen doch die Erkenntnisse aus dieser Arbeit als wegweisend betrachtet werden.

Die Notfallseelsorge – ein junges Arbeitsgebiet mit rasanter Entwicklung. Ein Beispiel hierfür ist, dass die Kasseler Thesen der Konferenz Evangelischer Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger in der Evangelischen Kirche in Deutschland schon als überholungs-bedürftig bezeichnet worden sind. Zu wünschen bleibt, dass es bald eine gemeinsame Be-schreibung der Notfallseelsorge aus evangelischer und katholischer Sicht geben mag, die dem ökumenischen Charakter dieses Arbeitsfeldes noch stärker Rechnung tragen kann.

Niederkassel, im Frühjahr 2006

Joachim Müller-Lange

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1 ˘ Einführung in die Notfallseelsorge

1 Einführung in die Notfallseelsorge

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1 ˘ Einführung in die Notfallseelsorge

J. Müller-LangeUnbestritten gehört es seit Beginn der Christenheit zu dem grundlegenden seelsorglichen Handeln der Gemeinden, Menschen in ihrer Not und an der Schwelle des Todes zu beglei-ten und Verstorbene menschenwürdig zu bestatten. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war es selbstverständlich, dass die Pfarrer zu den Sterbenden gerufen wurden, die trau-ernde Familie seelsorglich begleiteten, den Verstorbenen aussegneten und auf dem Kirch-hof bestatteten. Schon Tertullian bezeugt für das zweite Jahrhundert, dass in der Gemein-de die Kollekte auch für das Begräbnis von Armen gesammelt wurde.1

Kaiser Julian, der den Christen nicht gerade besonders gewogen war, bescheinigte der Kirche eine große Sorgfalt bei der Bestattung ihrer Verstorbenen. Anders als bei der nicht-christlichen Umwelt der Antike, wurden die Toten nicht außerhalb der Städte beigesetzt, sondern zunehmend in den Kirchenräumen oder um sie herum.2

Im Unterschied zu heidnischen Bestattungsbräuchen setzte die Sterbe- und Bestat-tungsliturgie schon lange vor dem Augenblick des Todes ein und schloss mit der Salbung des Leichnams mit Öl. Sterben und Tod werden so angemessen begleitet. Auch die in der römisch-katholischen Sterbeliturgie vorgesehene Krankensalbung, im Volksmund häufig auch Letzte Ölung genannt, geschieht vor dem Tod und ist ihrem Wesen nach sowohl seel-sorglicher Dienst an den Angehörigen wie »Versorgung« des Sterbenden.

Im letzten Jahrhundert wurde mit der Einrichtung von Krankenwagen und einem sich professionell entwickelnden Rettungsdienst ein von einem Unfall oder Notfall betroffener Patient schnellstmöglich ins Krankenhaus befördert, wo mit intensiv medizinischen Mit-teln viele Menschen vor dem sonst sicheren Tod bewahrt werden konnten. Die kirchliche Antwort auf die schnelle Erreichbarkeit medizinischer Hilfe vor Ort und im Krankenhaus war der flächendeckende Aufbau der Seelsorge im Krankenhaus nach dem Zweiten Welt-krieg. Die Krankenseelsorge wurde zur Krankenhausseelsorge und erfuhr mit der aus den USA kommenden Seelsorgebewegung einen erheblichen Aufschwung und eine weitrei-chende Professionalisierung.3

Die seelsorgliche Begleitung von Angehörigen von Notfallpatienten, die in der Woh-nung verblieben waren, fiel aber immer mehr weg, da sich Angehörige aufgrund ihrer Schocksituation meist nicht meldeten. Ortsgeistliche erhielten die Nachricht häufig erst dann, wenn der Patient nach kürzerem oder längerem Aufenthalt in der Klinik verstorben war und die Beerdigung anstand. Für eine intensive Begleitung von Angehörigen vor dem Tod des Patienten war es dann zu spät.

Die hochschnellenden Zahlen von Verkehrstoten und Verletzten durch Verkehrsunfälle ließ in den siebziger Jahren, ausgehend von dem damaligen Polizeiseelsorger der württ-embergischen Landeskirche, Kirchenrat Wolfgang Kilger, so genannte Unfallfolgedienste entstehen entlang der Hauptunfallstrecken auf einzelnen Autobahnen. Hier bahnten sich auch erste intensivere Kontakte der Kirchen zu Feuerwehren und Hilfsorganisationen an. Bewährt haben sich diese Projekte allerdings nicht, da die einzige Indikation für das Tä-tigwerden von Seelsorgern der Verkehrsunfall war. So sind diese Dienste nach kurzer Zeit wieder von der kirchlichen Bildfläche verschwunden.

Die Hamburger Flut von 1962, der Bruch des Elbdeiches bei Assel 1976, das Zug unglück von Holzkirchen 1975, der Hochhausbrand in São Paulo 1974, eine Reihe von Flugzeugab-

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1 ˘ Einführung in die Notfallseelsorge

stürzen sowie das Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Olym pischen Spielen in München 1972 ließen in den siebziger Jahren die Frage aufkommen, welche Rolle die Kir-che angesichts solcher Unglücksfälle und Katastrophen auszufüllen hat.

Eine Handreichung für kirchliche Mitarbeiter sollte hier Klarheit schaffen.4 Am An- fang standen allerdings mehr Fragen als Antworten. Die unterschiedlichen kommunalen und kreiskirchlichen Grenzen sorgten nicht gerade für eindeutige Zu ständig keiten. Es war nicht geregelt, wer kirchlicher Ansprechpartner für den Hauptverwaltungsbeamten in der Katastrophenschutzleitung sein sollte. Es wurden landeskirchliche Katastrophenschutz-beauftragte gefordert, diese Beauftragungen aber entweder nicht ausgesprochen, oder es gab keine Trainings- oder andere Fortbildungsmöglichkeiten. Immerhin sollten sie aber für Helfer des Katastrophenschutzes Kurse über »Religiöse Betreuung« halten.

Die Tätigkeit im Katastrophenfall war von den Grundfunktionen der Gemeinde aus ge-dacht: So sollten martyria/Zeugnis und diakonia/Dienst, leiturgia/Anbetung und koino-nia/Gemeinschaft auch im Einsatz gleichrangig nebeneinander stehen.

Als beispielhafte Aktivitäten für Verkündigung und Seelsorge waren vorgesehen:˘ über die Lage informieren˘ Seelsorge an Betroffenen und Helfern üben˘ zwischen Ordnungskräften und Demonstranten vermitteln˘ Hausbesuche bei den Betroffenen machen˘ besondere (Fürbitt-)Gottesdienste halten.

Diakonische Schwerpunkte sollten sein:˘ Quartiere in kirchlichen Gebäuden und Grundstücken (Zelte) bereitstellen˘ Hilfe bei Evakuierungen leisten˘ Verpflegung, Hilfsmaterial, Gelder bereitstellen˘ Hilfsdienste organisieren, Fahrbereitschaften, Verteilung von Hilfsgütern, Briefe

schreiben˘ Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen geben (Sozialanwaltschaft).

Als theologische Themen, auf die sich Seelsorger vorbereiten sollten, wurden benannt:˘ Leben, Schöpfung˘ Gerechtigkeit Gottes ( Theodizee, Sinndeutung)˘ Versöhnung (zwischen kämpfenden Gruppen)˘ Gericht und Umkehr˘ Versuchung (Macht- und Kompetenzfrage)˘ barmherziges Handeln (»zweite Meile«)˘ Opfer (auch: Opfertod)˘ Hoffnung ( Auferstehung, neues Leben).

Insgesamt drückt diese Handreichung als einziges einigermaßen weit verbreitetes The-menheft eher die Hilflosigkeit aus, dass die Kirche auf die Herausforderung einer Katastro-phe nicht eingerichtet ist. Insofern ist sie ein ehrliches Dokument, das aber für eine Reihe von Einzelfragen hilfreiche Anregungen zu geben vermag.5

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4 ˘ Seelsorge in Extremsituationen

Fahrzeuge ineinander. Auf der Gegenfahrbahn prallten unmittelbar danach im gleichen Streckenabschnitt noch einmal ca. 50 Fahrzeuge aufeinander. Bei diesen Unfällen kam zwei Menschen ums Leben. Ins gesamt wurden 115 Personen verletzt. Etwa 250 weitere Per-sonen waren an diesem Unfall beteiligt.56

Die Erstalarmierung der Notfallseelsorge des Landkreises Bad Kissingen erfolgte eine Stunde nach dem Unfall durch die Einsatzzentrale der Feuerwehr Bad Kissingen. Die Mel-dung lautete: »Massenkarambolage auf der BAB 7 mit ca. 150 Verletzten.«

Um diesen Massenanfall von Verletzten bewältigen zu können, habe ich te lefonisch den Beauftragten für Notfallseelsorge in der Evangelisch-Luthe ri schen Landeskirche in Bayern, Pfarrer Hanjo von Wietersheim (Wiesenbronn) verständigt und ihn gebeten, Notfallseel sorger aus den Landkreisen Schwein furt, Hassberge, Kitzingen und Würz burg alarmieren zu lassen. Die Alarmierung erfolgte durch die Nachalarmierungszentrale der Notfallseelsorge in Bayern mit Sitz in Selbitz. Sie verständigte die alarmauslösenden Stel-len in den einzelnen Landkreisen, die ihrerseits die Notfallseelsorger alarmierten.

Die Anfahrt erfolgte mit Privat-Pkw beziehungsweise mit Einsatzfahrzeugen von Feu-erwehr/Rettungsdienst unter Einsatz von Blaulicht und Martinshorn. Bereits zu diesem Zeitpunkt leitete die Polizei den Verkehr großräumig von der Autobahn ab, was zu langen Staus im Landkreis führte.

An der Einsatzstelle arbeitete ich zunächst in der Einsatzleitung mit, indem ich die An-fahrt und den Einsatz der anfahrenden Notfallseelsorger koordinierte. Sie wurden zu-nächst zur Autobahnmeisterei Oberthulba als Sammelpunkt gelenkt. Von dort fuhren sie nach Bad Brückenau, wohin alle Leicht- und Unverletzten zur Betreuung gebracht worden waren. Ein Fahrzeug mit einem Notfallseelsorger und Fahrer blieb für alle Fälle bei der Au-tobahnmeisterei zurück.

Abb. 2 ˘ Die Einsatzstelle bei Oberthulba (Quelle: Autobahnpolizei Oberthulba)

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Als der Einsatz der Notfallseelsorger koordiniert war, betreute ich die Unverletzten, die noch bei ihren Fahrzeugen geblieben waren beziehungsweise vorerst bleiben mussten. Eine Schnell-Einsatz-Gruppe des BRK hatte inzwischen ein Zelt aufgestellt und versorgte Betroffene und Einsatzkräfte mit warmen Getränken.

Ich segnete die beiden Toten aus, die bei diesem Unfall ums Leben gekommen waren (vgl. Kap. 9.5.1).

In Zusammenarbeit mit dem BRK, der Polizei und freiwilligen Helfern organisierte währenddessen die örtliche Notfallseelsorgerin die Versorgung der Betroffenen in einer Turnhalle, die jedoch die rund 250 Geschädigten nicht alle aufnehmen konnte. Daher wur-de im Rot-Kreuz-Haus eine zweite Sammelstelle eingerichtet. Drei Notfallseelsorger wur-den daraufhin dorthin zur Betreuung entsandt. Nach einer kurzen Einweisung begannen die Notfallseelsorger in Zusammenarbeit mit dem BRK, einer Verhandlungsgruppe der Po-lizei und freiwilligen Helfern mit der Betreuung von ca. 250 Un- und Leichtverletzten. Ein Moderator der Polizei gab Informationen und machte Durchsagen (z.B. über Mitfahrgele-genheiten, Leihwagen, Übernachtungen, Bustransfer zur Unfallstelle). Im örtlichen Kran-kenhaus wurde ebenfalls ein Notfallseelsorger sta tioniert.

Am Abend brachte ein Bus die Fahrer der beschädigten Autos zur Raststätte Rhön, wo-hin die Fahrzeuge abgeschleppt worden waren. Zwei Notfallseelsorger begleiteten den Bus und betreuten vor allem ältere Personen, »denen die Knie beim Anblick ihres total zertrümmerten Autos zitterten«. Ein Notfallseelsorger kam dabei ins Gespräch mit einem Mann, der den Tod einer Frau als Augenzeuge miterlebt hatte, und betreute ihn.

Manche Geschädigte realisierten erst jetzt das gesamte Ausmaß des Unfalls. Ver einzelt mussten Betroffene in ärztliche Behandlung vermittelt und ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ab 21.00 Uhr wurden die Betroffenen, die an diesem Tag nicht mehr weiterreisen

Tab. 1 ˘ Übersicht über die eingesetzten NotfallseelsorgerAutobahn/Einsatzleitung 1 Notfallseelsorger (zwei zusätzliche Notfallseelsorger für die

Betreuung der an der Unfallstelle zurückgebliebenen Geschä-digten und der Einsatzkräfte wären gut gewesen)

TV-Turnhalle 9 Notfallseelsorger

BRK-Heim 3 Notfallseelsorger

Krankenhaus 1 Notfallseelsorger

Tab. 2 ˘ AufgabenteilungBRK (und freiwillige Helfer) Sanitätsbetreuung

Versorgung mit Essen und Getränken

Polizei Registrierung

Zusammenführung von Familien

Unterbringung

Leihfahrzeuge

Notfallseelsorge Seelische Betreuung

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konnten oder wollten, in Quartiere vermittelt. Die Notfallseelsorger beendeten ihren Ein-satz.

Noch am selben Abend wurde vereinbart, dass die Notfallseelsorge eine Einsatznach-besprechung für die auf der Autobahn eingesetzten Kräfte organisieren und dazu einla-den würde.57

˘ Seelische Situation und Bedürfnisse der OpferSowohl an der Unfallstelle als auch in beiden Sammelstellen hatten wir mit Betroffenen zu tun, die Symptome einer akuten Belastungsreaktion aufwiesen.58

˘ Sie zeigten kaum/wenig Gefühle; manche waren nicht fähig, »vernünftig« zu handeln (vgl. emotionale Taubheit, Kap. 3.2.2).

˘ Äußerungen waren zu hören wie: »Das ist alles wie ein böser Traum«. Andere re-alisierten erst am Abend, was geschehen war, was zu teilweise heftigen Reakti-onen und Emotionen (bis hin zum Schock) führte (vgl. Derealisation, Kap. 3.2.2).

˘ Andere Betroffene waren sehr zurückgezogen, wieder andere fast schon eupho-risch, weil sie so schnell Hilfe und Zuwendung erhalten hatten. Als Gesprächsöff-ner bewährten sich dabei Kuscheltiere (für Kinder), Kaugummis und Gummibär-chen, die aus den Beständen der Notfallseelsorge reichlich vor handen waren.

˘ Manche waren dankbar, weil sie »mit heiler Haut« davongekommen waren. Sie deuteten den Unfall als »Wunder« und »Bewahrung Gottes«.

Auffällig war die Altersstruktur der zu Betreuenden: Auf der Autobahn waren viele Fami-lien mit Kindern/Jugendlichen zum Ski fahren in Richtung Süden unterwegs, das heißt die meisten Geschädigten waren nicht allein, sondern hatten Bezugspersonen um sich. Die vorher schon vorhandenen »sozialen Netze« bewährten sich. Dies bedeutete für Gespräche, dass Notfallseelsorger nur in geringem Umfang Einzelgespräche führten. Die meisten Ge-spräche fanden in Kleingruppen statt, in denen sich die Gesprächspartner kannten.

Anfangs drehten sich die Gespräche hauptsächlich um den Unfall und die momentane Situation. Die Geschädigten hatten das Bedürfnis, über das zu reden, was sie erlebt hatten:

˘ Diejenigen, deren Familienangehörige/Freunde verletzt und ins Krankenhaus gebracht worden waren, machten sich Sorgen: Wo sind sie jetzt? Wie geht es ihnen? Wann und wie kann ich zu ihnen? Gibt es ein Telefon, von dem aus ich meine Angehörigen verständigen kann?

˘ Verständnislosigkeit und Wut über die den Witterungsverhältnissen nicht an-gepasste Geschwindigkeit herrschte bei denjenigen vor, die vorsichtig ge fahren waren und noch rechtzeitig hatten bremsen können. Wer aufgefahren war, äu-ßerte sich dagegen nicht dazu.

˘ Viele Geschädigte hatten anfangs keine geographische Orientierung: »Wo sind wir denn hier?«, war die meist gestellte Frage.

Etwa drei bis vier Stunden nach dem Unfall begannen viele, aktiv die Situation zu bewälti-gen. Das Bedürfnis nach Information wurde immer stärker:

˘ Wie kommen wir von hier wieder weg?

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˘ Gibt es Bus- oder Bahnverbindungen?˘ Wo ist die nächste Autovermietung/das nächste Taxiunternehmen?

In dieser Phase bestand die Aufgabe der Notfallseelsorger vor allem darin, Fragen zu be-antworten, Informationen weiterzugeben oder aber – falls das nicht möglich war – den Geschädigten einen für ihr Anliegen kompetenten Gesprächspartner zu vermitteln.

Die Notfallseelsorger verteilten zu diesem Zeitpunkt »Informationen und Ratschläge für Betroffene zum Umgang mit körperlich-seelischen Reaktionen nach einem Notfall oder Unglück«, die gerne entgegengenommen und interessiert gelesen wurden (vgl. Kap. 9.8).

Wichtig war auch die Rolle des »Moderators«, in diesem Fall ein psychologisch geschul-ter Polizeibeamter, der von der Bühne aus Informationen und Angebote (Miet wagen, Über-nachtungsquartiere, Transport zur Autobahn) weitergab.

Durch die schnelle Hilfe und viele Helfer vor Ort standen für alle Betroffenen Ge-sprächspartner in ausreichender Zahl zur Verfügung. Dies trug dazu bei, dass keine ag-gressive Stimmung in der Halle aufkam.

Die abgeschlossenen Räume entsprachen dem Bedürfnis der Geschädigten nach Ruhe und Geborgenheit. Nur wenige verließen die Turnhalle oder das BRK-Heim. Medienvertre-ter drängten teilweise massiv in die Halle, wurden aber von der Polizei daran gehindert. Dennoch gelangen ihnen vereinzelt Film- und Fotoaufnahmen, was manche Geschädigte als Verletzung ihres Schutzraumes beklagten.

˘ Grundregeln / Folgerungen für Seelsorger/-innenFür die EinsatztaktikEine zeitnahe Alarmierung von Notfallseelsorgern ist wichtig. Gerade wenn – wie in die-sem Fall – Notfallseelsorger aus einem Umkreis von 70 Kilometern zusammengezogen werden, ist eine längere Zeit für die Alarmierung und Anfahrt mit einzukalkulieren. Da sich bereits kurze Zeit nach einem Unfall Staus bilden und nicht alle Notfallseelsorger die Möglichkeit haben, Sonderrechte zu nutzen, kann sich bei einer späten Alarmierung zu-sätzlich eine zeitliche Verzögerung bis zum Beginn der Betreuung ergeben.

Hilfreich ist ein Treffpunkt für alle Notfallseelsorger in der Nähe der Einsatzstelle. Zum einen klärt sich zwischen der Alarmierung und der Anfahrt vieles, was für die Be treuung wichtig ist (z.B. Aufteilung der Notfallseelsorger auf verschiedene Orte), zum anderen kön-nen ortsfremde Notfallseelsorger durch ein Lotsenfahrzeug zu ihren jeweiligen Einsatzorten gebracht werden. Auch können dort wichtige Erstinformationen weitergegeben werden.

Auch für die Arbeit der Notfallseelsorge ist es hilfreich, Einsatzabschnitte zu bilden:˘ Ein Leitender Notfallseelsorger (LNFS/Ltd. NFS) ist in der Einsatzleitung und ko-

ordiniert den Einsatz der Notfallseelsorger, hält Kontakt zum Einsatzleiter Poli-zei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Dadurch können Notfallseelsorger flexibel eingesetzt werden und auf sich verändernde Situationen schnell reagieren. Er ist auch Ansprechpartner für die Medien.

˘ In jedem Abschnitt koordiniert wiederum ein Abschnittsführer den Einsatz vor Ort: Er weist die Seelsorger ein, dokumentiert den Einsatz, spricht sich mit den Verantwortlichen der anderen Organisationen ab.59

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Wichtig ist auch die Kommunikation der Notfallseelsorger untereinander: Der Leitende Notfallseelsorger hält Kontakt zu den Abschnittsführern (und umgekehrt) – je nach Mög-lichkeiten – durch Handy, BOS-Funk (4-m-Band, 2-m-Band), Betriebsfunk (70-cm-Band) oder durch Melder.

Für die BetreuungSinnvoll und hilfreich ist die Einführung eines »Moderators«, der ruhig und sachlich allge-meine Informationen gibt (z.B. wer ist wofür zuständig, wo finde ich wen/was). Er achtet auf einfache, kurze und klare Sätze. Wiederholungen sind für die Zuhörenden hilfreich: die Akustik ist schlecht, der Geräuschpegel hoch, die (Fähigkeit zur) Aufmerksamkeit gering. Durch Wiederholungen jedoch gewinnen die Zuhörenden Sicherheit und haben das Ge-fühl, gut und ausreichend informiert zu sein.

Abb. 3 ˘ Übersicht über die Raumaufteilung der Turnhalle

AbschnittsführerNotfallseelsorge

Erste-Hilfe-Bereich(durch Stellwände abgetrennt)

Bühne(Moderator)

Registrierung(Polizei)

Essen und Trinken(BRK, freiwillige Helfer)

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Eingang zur Halle

Übersicht über die Raumaufteilung in der Turnhalle

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Um Informationen wie Telefonnummern oder feste Zeiten (z.B. Bustransfer zur Rastan-lage) zu visualisieren, ist das Aufstellen einer Tafel oder Pinnwand sinnvoll. Im BRK-Heim wurde eine Tafel verwendet, sodass die akustischen Informationen zu sätzlich optisch ver-stärkt wurden.

Auch Notfallseelsorger sind informiert bzw. informieren sich. Nur dann können sie auch Informationen kompetent weitergeben. Wichtig ist es zu wissen: Wer arbeitet noch (mit mir) hier? Wer ist wofür zuständig/kompetent? Die einheitliche Einsatzkleidung der Not-fallseelsorger (gelbe Jacken) bzw. die Clip-Ausweise ermöglichten im vorliegenden Fall ei-ne problemlose Zuordnung. Bei Fragen, die man nicht beantworten kann, wendet man sich an den Zuständigen. Oder man vermittelt einen kompetenten Gesprächspartner.60 Denn zum Abbau einer akuten Belastungsreaktion sind Informationen eine wichtige Hilfe.

Auch im persönlichen Gespräch sind Wiederholungen hilfreich, ebenso die Geduld, sich Erlebtes mehrfach erzählen zu lassen. Denn durch das (Immer-wieder-)Erzählen beginnen Geschädigte, dem Erlebten selbst einen Sinn (Kohärenz) zu geben. So war z.B. bei vielen Geschädigten, die den Unfall unverletzt überstanden hatten, das Gefühl der Dankbarkeit – verbunden mit den religiösen Deutungsmustern Wunder und Bewahrung Gottes – sehr ausgeprägt. Dies gegenüber Vertretern der Kirche/Religion laut auszusprechen, hat vielen Geschädigten gut getan.

Wenn Familien oder Cliquen durch den Unfall getrennt worden sind, treten die Fragen »Wo sind sie? Wie geht es ihnen?« vehement in den Vordergrund. Genaue Informationen bzw. »Familienzusammenführungen« wirken enorm entlastend. Notfallseelsorger kön-nen an dieser Stelle Anwalt der Geschädigten sein (z.B. gegenüber der Polizei). Auch Kom-munikation mit Verwandten oder Freunden zu ermöglichen, wirkt entlastend.61

Kuscheltiere haben sich bei der Betreuung von Kindern bewährt. Kinder können sich an ihnen »festhalten« und mit ihnen kuscheln. So werden sie in schweren Zeiten zu Beglei-tern, denen man alles sagen kann. Auch Kaugummis und Gummibärchen kön nen zum Stressabbau bei Geschädigten eingesetzt werden.

Wichtig ist es auch, eine stabile Beziehung aufzubauen. Dadurch wächst Vertrauen zwi-schen den Geschädigten und dem Notfallseelsorger. Außerdem kann der Seelsorger (ge-sundheitliche oder psychische) Veränderungen bei den Geschädigten eher bemerken und darauf reagieren. Es ist daher sinnvoll, nur eine bestimmte Anzahl Geschädigter zu betreu-en, diese dann aber über einen längeren Zeitraum hinweg. Zu bedenken ist, dass Geschädig-te z.T. erst Stunden nach dem Unfall das gesamte Ausmaß realisieren und darauf reagieren.

Nach sechs bis acht Stunden sollten Notfallseelsorger abgelöst werden. Es ist daher schon frühzeitig daran zu denken, weitere Notfallseelsorger rechtzeitig zu verständigen.

4.1.7 Unfälle mit Schienenfahrzeugen

M. Clauss

˘ EreignisseAm Montagmorgen, den 12. April 1999, verließ in Wuppertal um kurz nach halb sechs der erste Schwebebahnzug nach einer dreitägigen Unterbrechung für Erneuerungsarbeiten

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am Schwebebahngerüst den Bahnhof Voh-winkel in Richtung Osten. Gegen 5.45 Uhr stieß das vordere Fahrgestell dieses Zuges gegen eine Montagekralle, die für die Dau-er der Arbeiten an dieser Stelle mit sechs Bolzen an der Schiene befestigt worden war.

Nach Abschluss der Arbeiten war ver-gessen worden, diese Kralle zu entfernen. Die vor der Freigabe des Fahrbetriebes vorgeschriebene Endabnahme durch drei unab hän gige Instanzen hatte die 100 kg schwere Kralle übersehen. Durch den Aufprall wurde das vordere Fahrgestell abgerissen, der vordere Teil des Zuges knickte ab, der gesamte Zug entgleiste und stürzte 12 Meter tief auf eine über die Wupper geführte Fernwärmeleitung. Das zunächst hängen gebliebene, rund 4 Tonnen schwere vordere Fahrgestell fiel dann in den auf der Seite liegenden Schwe-bebahnzug (Abb. 4).

Kurz nach dem Unglück gingen bei den Leitstellen der Wuppertaler Polizei und Berufs-feuerwehr zahlreiche Notrufe ein. Alle Anrufer teilten übereinstim mend mit, dass die Schwebebahn abge stürzt sei. Diese Information war derart unvorstellbar, dass die Anrufe zwar ernst genommen wurden, die meisten Mitarbeiter aber zunächst der Auffassung waren, dass höchstens ein einzelner Mensch aus der Schwebebahn gefallen sein könnte.

Die Polizeibeamten eines Streifenwagens, der sich in unmittelbarer Nähe der Ab-sturzstelle befand, erkannten in der Dunkelheit der Morgendämmerung, dass tat sächlich ein kompletter Schwebebahnzug in der zu dieser Zeit acht Grad kalten Wup per lag. Die Polizeibeamten begannen umgehend mit der Rettung verletzter Personen. Innerhalb kür-zester Zeit trafen alle verfügbaren Rettungskräfte der Be rufsfeuerwehr und der Freiwilli-gen Feuerwehren Wuppertals sowie Rettungswagen der Feuerwehren der umliegenden Städte und drei zusätzliche Notärzte mit Rettungshubschraubern an der Unfallstelle ein. Die Anzahl der beteiligten Rettungskräfte macht die Dimension dieses Einsatzes deutlich:

˘ 167 Rettungsassistenten/Rettungsassistentinnen/Rettungssanitäter,˘ 13 Notärztinnen und Notärzte, ˘ 4 Einsatzleiter der Feuerwehr, ˘ 4 Einsatzleiter der Polizei, ˘ 14 Techniker Rettungsdienst, ˘ 134 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aus dem laufenden Dienst und der

Hundertschaft der Bereitschaftspolizei Wuppertal und ˘ 5 Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger.

Gegen sechs Uhr wurde die diensthabende Pfarrerin der Notfallseelsorge von der Leitstelle der Polizei über den Absturz des Schwebebahnzuges informiert. Sie benach richtigte um-gehend den Koordinator der Notfallseelsorge ihres Kirchenkreises und bat ihn, sich auch zum Unfallort zu begeben.

Abb. 4 ˘ Der in die Wupper gestürzte Schwebebahnzug (Quelle: M. Dietrich)

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4 ˘ Seelsorge in Extremsituationen

Die evangelische Polizeiseelsorgerin wurde von der Polizei um 6.25 Uhr angefordert und sofort zur Unfallstelle gefahren. Zeitgleich trafen dort eine Gemeindepfarrerin und ihr Kollege, in deren Gemeindebezirk sich die Absturzstelle befindet, ein. Alle drei sind ebenfalls in der Notfallseelsorge tätig.

Vor Ort fanden die fünf Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger folgende Situati-on vor (Abb. 5):

Die Feuerwehr hatte schnell zwei Patientensammelstellen eingerichtet. Dort hin wur-den zunächst alle Verletzten gebracht, um von den Notärzten und Rettungsassistenten versorgt zu werden. Von dort brachten Rettungswagen sie in die umliegenden Kranken-häuser. Um 6.40 Uhr waren alle Verletzten aus der Schwe bebahn gerettet und zwei Tote geborgen. Zu diesem Zeitpunkt konnten noch keine exakten Angaben über die Ge samtzahl der Betroffenen gemacht werden.

Die fünf Notfallseelsorger vereinbarten in einer kurzen Koordinierungsabsprache fol-gendes Vorgehen:

Eine Pfarrerin und ein Pfarrer kümmerten sich zunächst um die Verletzten in den bei-den Behandlungsplätzen, eine weitere Pfarrerin und ein Pfarrer sprachen mit den Men-schen, die durch die Medien vom Unglück erfahren hatten und in großer Zahl am von der Feuerwehr eingerichteten Notfallseelsorgezelt eintrafen. Sie wollten in großer Sorge um ihre Angehörigen und Bekannten, die sie in der verunglückten Schwebebahn vermuteten, schnellstmöglich konkrete Auskünfte bekommen. Dies stellte sich als schwierig heraus, da

zunächst die Geretteten versorgt werden mussten und erst dann eine Registrierung vorgenommen werden konnte.

Die Registrierung konnte zu einem großen Teil nur phonetisch vorgenommen werden, dadurch lagen teilweise Namen vor, die erst später zugeordnet werden konnten; in einigen Fällen waren die Vor- und Nachnamen vertauscht worden. Auch stellte sich später heraus, dass bereits vor dem Eintreffen der Leitenden Notärztin (LNA) sieben Patienten ohne Registrie-

rung umgehend in ein Aufnahmekrankenhaus gebracht worden waren und deshalb keine Angaben über sie vorlagen. Zudem waren sehr viel mehr besorgte Angehörige zur Unfall-stelle gekommen, als letztendlich betroffen waren: Viele Men schen warteten zur Zeit des einsetzenden Berufsverkehrs unversehrt auf den Schwebebahnhöfen oder waren auf die eingesetzten Busse umgestiegen und deshalb nicht erreichbar. So gab es zeitweise erheb-lichen Andrang besorgter und ungeduldiger Familienangehöriger in und vor dem Notfall-seelsorgezelt. Dass diese Menschen trotz der beschriebenen Verhältnisse dennoch relativ schnelle Auskunft über den Verbleib ihrer Familienangehörigen erhielten, war nur des-halb möglich, weil Feuerwehr, Polizei und Notfallseelsorge flexibel und vertrauensvoll zu-sammengearbeitet haben.

Abb. 5 ˘ Lageskizze (Quelle: M. Dietrich)

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4 ˘ Seelsorge in Extremsituationen

In dieser Situation konnten die Notfallseelsorger die für die Angehörigen quälenden Wartezeiten zu überbrücken helfen. Diese wertvolle Begleitung geschah sowohl in Ge-sprächen oder durch das gemeinsame schweigende »Aushalten« der Situation, als auch durch das Ermöglichen von Telefongesprächen oder durch das Anbieten von warmen Ge-tränken, die von der Polizei bereitgestellt waren.

Die Polizeiseelsorgerin und der NFS-Koordinator standen während des gesamten Ein-satzes wegen des großen Bedarfs ebenfalls für Gespräche mit besorgten und trauernden Angehörigen zur Verfügung. Die Polizeiseelsorgerin hielt darüber hinaus den engen Kon-takt zur Polizei.

Insbesondere erkundigte sie sich auf der zuständigen Polizeiwache nach den inzwischen dorthin zurückgekehrten Po-lizeibeamten, die die ersten Ret tungsmaß-nahmen und Reanimationen durchge-führt hatten. Der NFS-Koor dinator hielt zusätzlich die Verbindung zu den Mitar-beitern der Feuerwehr und der Rettungs-dienste.

Bis 8.20 Uhr waren alle Patienten auf elf umliegende Krankenhäuser verteilt. Nach und nach wurden die Informationen

und Angaben zu den verunglückten Personen konkret – etwa vier Stunden nach dem Un-fall wurde eine weitere Tote flussabwärts gefunden.

Die Notfallseelsorger begleiteten betroffene Angehörige in Polizeifahrzeugen zu ih-ren verletzten Angehörigen in die Krankenhäuser. Einfühlsam wurden die Todesnachrich-ten überbracht und Familienangehörige beim Abschiednehmen und bei der Identifizie-rung ihrer Angehörigen begleitet. In den Krankenhäusern warteten bereits vorinformierte Krankenhausseelsorger, die sich um die eingelieferten Verletzten und deren Angehörige kümmerten.

Der NFS-Koordinator verbrachte einen großen Teil des restlichen Tages auf den beiden Wachen der Wuppertaler Berufsfeuerwehr, wo er mit den vom Einsatz zurückgekehrten Rettern über den Einsatz sprach. Die Polizeiseelsorgerin führte auf der zuständigen Polizei-wache und bei der Hundertschaft Gespräche mit den Beamtinnen und Beamten.

Die fünf Notfallseelsorger nutzten direkt am Nachmittag des Unglücks ihre turnus-mäßige Supervision, um das Erlebte im Austausch zu reflektieren und zu verarbeiten.

In den folgenden Tagen führten insgesamt zwölf Notfallseelsorgerinnen und Notfall-seelsorger zahlreiche Gespräche mit den Einsatzkräften, die am Morgen des Unfalls an der Unglücksstelle »wie ein Uhrwerk« ihre Arbeit wirklich optimal ver richtet hatten, obwohl eine solche bis zu diesem 12. April 1999 einfach unvorstellbare Lage noch nicht geübt wor-den war.

Es gab bei vielen großen Bedarf, über das Erlebte zu sprechen, um zu verarbeiten, um Antworten auf offene Fragen zu bekommen oder um Hilfestellung dabei zu erhalten, Fra-gen überhaupt formulieren zu können. Auch bzw. gerade die Kräfte, die nicht direkt betei-

Abb. 6 ˘ Notfallseelsorgezelt (Quelle: M. Dietrich)

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4 ˘ Seelsorge in Extremsituationen

ligt waren, weil sie für den »nor malen« Dienst in Bereitschaft bleiben mussten, beschrie-ben ihr großes Ohnmachtsgefühl, ihre Kollegen vor Ort nicht unterstützen zu können. Diese Gespräche mit der Feuer wehr, der Polizei und den Rettungsdiensten fanden einzeln und in kleinen Gruppen mit bis zu fünf Personen statt.

Ein Team der Berufsfeuerwehr Wuppertal organisierte drei Tage später eine Nachberei-tung, an der 80 Retter (Feuerwehr, Polizei, Notärzte) in vier Gruppen unter der Leitung von 16 speziell für die Nachsorge ausgebildeten Feuerwehrleuten und Seelsorgern teilnahmen. Die Resonanz auf diese Nachbereitung war außerordentlich positiv.

Am Samstag nach dem Unglück fand eine »weltliche« Trauerfeier in der Friedhofs-kirche in Wuppertal-Elberfeld statt. Betroffene, soweit sie schon die Krankenhäuser ver-lassen hatten, trauernde Angehörige der inzwischen vier Verstorbenen, Mitarbeiter von Polizei und Rettungsdiensten, Vertreter der Lokal- und Landespolitik, Vertreter der Evan-gelischen und Katholischen Kirche, Wuppertaler Bürger sowie die Notfallseelsorger nah-men daran teil.

Diese Trauerfeier gehörte nach dem Verständnis der Notfallseelsorger unmittelbar zu ihrer Arbeit. In den bewusst liturgisch gehaltenen Rahmen war ein Fürbittengebet einge-bettet, das von einer am Einsatz beteiligten Notfallseelsorgerin formuliert war und von den eingesetzten Notfallseelsorgern gesprochen wurde.

Diese nicht konfessionsgebundene Feier war ein Angebot der Evangelischen und Ka-tholischen Kirche für alle in irgendeiner Art am Unglück Beteiligten, eine Zäsur zu setzen unter das Schreckliche und für alle Unfassbare, was sie erlebt hatten und das für alle un-vergessen bleiben wird.

Nicht nur die Trauerfeier stieß auf großes Medieninteresse, indem sie vom Westdeut-schen Rundfunk live übertragen und von vielen Fernsehstationen in den Nachrichten aus-schnittweise gesendet wurde. Auch die Arbeit der Notfallseelsorger wurde in zahlreichen Interviews von den Printmedien, Fernsehen und Rundfunk interessiert begleitet. Diese große Chance, die Notfallseelsorge bekannt zu machen und damit für diese bedürfnisori-entierte Arbeit der Kirchen zu werben, wurde trotz des damit verbundenen zusätzlichen erheblichen Zeitaufwandes sinnvoll und erfolgreich genutzt.

˘ Folgerungen für die NotfallseelsorgeIn den folgenden Wochen wurde von Seiten der Notfallseelsorge der Verlauf des Einsatzes kritisch beleuchtet und ausgewertet.

1. Um in Zukunft besser vorbereitet zu sein, arbeitet die Wuppertaler Notfallseel-sorge unter fachlicher Beratung der Leitenden Notärztin und Fachleuten der Feu erwehr und Polizei an dem Konzept eines ständigen »Hintergrunddienstes« und an einem Einsatzplan für Großschadenlagen, der u.a. eine organisierte au-tomatische Nachalarmierung vorsieht.

Die Leitstellen von Feuerwehr und Polizei sollen in Großschadenlagen durch die Notfallseelsorge nicht zusätzlich beansprucht werden. Darum wird ein Ein-satzplan erarbeitet, der dem diensttuenden Notfallseelsorger zu seiner eigenen Entlastung ein genaues Schema für die organisierte Nachalarmierung und ei-ne klar gegliederte Strukturierung für den Einsatz mehrerer Seelsorger bei einer

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9 ˘ Praxisvorlagen und Materialien

Evaluation der Gegebenheiten und Arbeitsbedingungen in der NFSDiese Diskussion wird geführt˘ im Kuratorium und im Beirat der NFS˘ anlässlich der regelmäßigen Treffen des NFS-Teams˘ im Rahmen von Klausurtagungen.

WeiterentwicklungDie Weiterentwicklung der NFS kann nicht ohne Kenntnisnahme der bisher erreichten Er-gebnisse erfolgen. Evaluation zielt auf Weiterentwicklung.

Mit einer Struktur aus Kuratorium, Beirat, Team und Geschäftsführung gibt es in der NFS geeignete Strukturen zur regelmäßigen und gezielten Diskussion von Fragen der Wei-terentwicklung.

Mit dem hier vorgelegten Konzept ist eine Voraussetzung geschaffen, von der aus-gehend zu einzelnen Bereichen Perspektiven entsprechend aktueller Erfordernisse entwi-ckelt werden können.

Durch die Einbettung der NFS in örtliche (z.B. PSAG) und überregionale Strukturen (Treffen auf Bistumsebene, Treffen auf landeskirchlicher Ebene etc.) wird die or ga nisierte Weiterentwicklung supervidiert.

Dynamisches SelbstverständnisDurch die Notfallseelsorge begleiten die Kirchen die Menschen unter den Bedingungen ei-ner sich wandelnden Welt. Die Notfallseelsorge trägt diesen Wandlungen durch ihr dyna-misches Selbstverständnis Rechnung.

9.5 Liturgische VorlagenC. Geese, F. Blankenstein

9.5.1 Anregungen für ein Verabschiedungsritual im Rahmen der Notfallseelsorge

˘Erläuterungen zur Entstehung und Hinweise zum GebrauchDie vorliegenden Anregungen für eine Verabschiedung von Verstorbenen mit Gebet und Segen sind als eine Arbeitshilfe gedacht: Jede Seelsorgerin/jeder Seelsorger kann sich ei-ne Form für ein Abschiedsritual zusammenstellen, das der eigenen Person und Theologie entspricht.

Die verschiedenen Bausteine von Gebet, Bibelwort und Segen versuchen die unter-schiedlichen Gefühle und Reaktionen der Hinterbliebenen aufzunehmen und behutsam anzusprechen. Da jede Trauersituation jedoch anders ist, sind sie bewusst sehr offen ge-halten, sodass sie individuell ausgestaltet werden können.

Als Problem erschien uns vor allem eine adäquate Gebetssprache: ˘ Das generalisierende »Wir« z.B. (»Wir hoffen, dass Gott ...« oder »Wir können

nicht begreifen«), das die Seelsorgerin/den Seelsorger mit einschließt, kann von

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9 ˘ Praxisvorlagen und Materialien

den Hinterbliebenen als eine Vereinnahmung oder Übergriff in ihre Welt emp-funden werden.

˘ Eine persönliche Glaubensaussage der Seelsorgerin/des Seelsorgers dagegen (»Ich vertraue darauf, dass...«) kann die Situation der Hinterbliebenen weniger mit einbeziehen.

˘ Eine rein unpersönliche Aussage wiederum (»Es ist nicht zu begreifen ...«) schafft unter Umständen eine zu große Distanz.

Diese Problematik ist für die eigene Gebetspraxis wahrzunehmen und kritisch zu über-prüfen.

Möglicher Ablauf eines Verabschiedungsrituals

˘ Vorbereitung (Raum herrichten; Einladung an die Hinterbliebenen und Erläuterung des Ablaufs)

˘ einleitende Worte˘ Anrufung und Votum˘ Psalmlesung oder Gebetstext, besonders bei »natürlicher« Todesursache, wenn genü-

gend Zeit für den Abschied bleibt (Psalmen und Texte s.u.)˘ freies Gebet˘ Vaterunser˘ Segen für die/den Verstorbene/n˘ Segen für die Angehörigen˘ Ermutigung an die Angehörigen zum persönlichen Abschied.

˘ Abschied und Segen bei unerwartetem, plötzlichem TodBesonderheiten bei »ungeklärter« Todesursache. Wenn der Notarzt die Todesursache nicht genau bestimmen kann, ruft er aufgrund dieser »ungeklärten Todesursache« die Polizei hinzu. Der »Leichensachbearbeiter« versucht noch vor Ort die Todesursache zu ermitteln (genaue Untersuchung der/des Verstorbenen und der häuslichen Um stände) und »be-schlagnahmt« schließlich nach den ersten Untersuchungen die/den Verstorbene/n (d.h. Abtransport zum Friedhof; der Staatsanwalt entscheidet, ob eine Obduktion veranlasst wird; erst danach kann eine »Freigabe« der/des Verstorbenen erfolgen). Für einen visuel-len Abschied von der/dem Verstorbene/n gemeinsam mit den Angehörigen bedeutet dies, dass dafür nur der kurze Zeitraum zwischen Abschluss der Untersuchungen des Leichen-sachbearbeiters und Eintreffen des Vertragsbestatters der Polizei zum Abtransport bleibt.

Wichtig ist, die Polizeibeamten rechtzeitig über den Wunsch eines Abschiedsrituals zu in-formieren und Zeitpunkt und Zeitraum (maximal 10 Minuten) mit den Beamten abzuspre-chen.

Besonderheiten bei dem plötzlichen Tod eines Kindes (immer in Rücksprache mit dem/der Leichensachbearbeiter/in!).

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9 ˘ Praxisvorlagen und Materialien

˘ Ankleiden des Kindes, möglichst durch die Eltern selbst˘ einen geeigneten Platz suchen, an dem das Kind während der Verabschiedung

liegt (im Kinderbett, auf einer Decke, im Arm eines Elternteils)˘ viel Zeit für den persönlichen Abschied lassen.

˘ Anregungen für ein mögliches AbschiedsritualVorbereitung durch die Notfallseelsorge:

den Raum herrichten (z.B. die Utensilien vom Rettungsdienst entfernen oder Möbel wieder zurechtrücken), vielleicht eine Kerze anzünden (Kerzenständer und Kerzen finden sich im Notfallseelsorge-Koffer)den/die Verstorbene/n (falls entkleidet) zudecken, eventuell das Kinn hoch-bindenden Angehörigen den Ablauf des Abschiedsrituals kurz schildern und gemein-sam mit den Angehörigen den Raum betretensich für das Abschiedsritual einen geeigneten Platz in der Nähe der/des Ver stor-benen suchen, und zwar so, dass auch ein Blickkontakt mit den Angehörigen möglich ist.

Einleitende Worte (im Blickkontakt mit den Angehörigen)»Alles in Ihnen sagt: ‚Es kann und darf nicht wahr sein‘;es ist, als wäre Ihnen der Boden plötzlich unter den Füßen weggezogen.Nur langsam werden Sie begreifen: _________________ ist tot. Sie müssen sie/ihn loslassen und sich trennen.

Ich möchte jetzt mit Ihnen Abschied nehmen von Ihrer/Ihrem _________________, mit Ihnen zu Gott sprechen, möchte Ihrer/Ihrem _________________ Gottes Segen zusprechen.«

Anrufung◊ Gott, wir wenden uns an dich, obwohl wir dich gerade jetzt nicht verstehen, du uns verborgen und fremd bist. Weil uns eigene Worte fehlen, sprechen wir nach, was andere vor uns gebetet haben:

◊ Gott, wir sind stumm vor Entsetzen über den Tod von _________________.Weil uns eigene Worte fehlen, sprechen wir nach,was andere vor uns gebetet haben:

◊ Gott, wir möchten unser Entsetzen über den Tod von _________________ herausschreien, aber wir finden keine Worte.

So rufen wir zu dir mit Worten aus der Bibel:

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9 ˘ Praxisvorlagen und Materialien

Votum◊ Gott, höre mein Gebet! Mein Schreien dringt zu dir. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir! Wenn ich in Not bin, wende dein Ohr zu mir! Wenn ich dich anrufe, erhöre mich bald! (Ps 102, 2, 3)

◊ Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir: Herr, höre meine Stimme! Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen! (Ps 130, 1 – 2)

◊ »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Sei nicht ferne von mir, denn mir ist angst! Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, mein Herz ist wie zerschmolzenes Wachs. Sei nicht ferne von mir, Gott, eile, mir zu helfen!« (Ps 22, 2, 12, 15, 20)

◊ Denn von dir ist gesagt: »Nichts kann uns scheiden von deiner Liebe, Gott, weder Tod noch Leben, weder das heutige Unheil noch die Gefahren von

morgen. Nichts kann uns trennen von deiner Liebe, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.« (Röm 8, 38 f)

◊ (Wenn eine lange Krankheits- oder Leidenszeit vorausgegangen ist) Wir erinnern uns, was du gesagt hast: »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Na-

men gerufen; du bist mein!« (Jesaja 43,1)

Freies Gebet˘ Situation aufgreifen˘ Schmerz, Traurigkeit und Zorn benennen ˘ Angst vor dem, was jetzt kommt˘ persönliche Vertrauensaussage des Notfallseelsorgers/der -seelsorgerin

entweder als Ich- oder Wir- Aussage »Ich vertraue darauf, dass du, Gott, _________________ schützend in deiner Hand hältst«»Wir wissen, dass _________________ bei dir, Gott, geborgen ist«

˘ Bitte des Notfallseelsorgers/der -seelsorgerin für die Angehörigen: »Ich bitte für Frau/ Herrn/Familie _________________ – um Erfahrungen von Trost und Hilfe ... – um Menschen, die da sind und da bleiben ...«

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Mögliches Gebet bei einem plötzlichen TodesfallGott, wir begreifen das nicht: _________________ lebt nicht mehr.Alles ist so plötzlich abgebrochen – (hier z.B. persönliche Dinge benennen)all die Jahre, die gemeinsamen Erlebnisse,die Gespräche noch gestern, die Pläne für die Zukunft ...Warum, Gott?Wir verstehen es nicht, verstehen auch dich nicht, Gott.Was uns bleibt, ist dein Versprechen,dass du niemanden allein lässt,im Leben nicht und auch nicht im Sterben. So bitten wir dich: Halte _________________ schützend in deinen Händen.Lass ihn/sie Frieden finden bei dir. Und sei auch uns nah, Gott, in den Stunden und Tagen, die jetzt kommen. Amen.

Mögliches Gebet beim plötzlichen Tod eines KindesUnser Gott ...Warum?Warum ist das geschehen?Warum darf _________________ nicht mehr bei uns sein –mit uns lachen, weinen, mit uns leben?In diesen Stunden/Minuten können wir nur klagen ...(evtl. persönliche Worte über das Kind)Die Welt ist über uns zusammengebrochen.(evtl. Stille als Raum für persönliche Gedanken oder Klagen)

Unser Gott,in dieser Stunde des Todes von _________________ bleibt uns allein deine Zusage,dass du niemanden (von uns) allein lässt,im Leben nicht und auch nicht im Sterben.Wir bitten dich:Beschütze _________________, wie wir es getan haben.In deine Hände geben wir ...Amen.

Hinführung zum Vaterunser»Alles, was wir jetzt empfinden, unseren Schmerz, unseren Zorn, unsere Angst und unseren Dank, bringen wir jetzt zu dir, Gott, und beten gemeinsam:«

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9 ˘ Praxisvorlagen und Materialien

Vater unser im Himmel,Geheiligt werde dein Name.Dein Reich komme.Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.Unser tägliches Brot gib uns heute.Und vergib uns unsere Schuld,wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.Und führe uns nicht in Versuchung,sondern erlöse uns vor dem Bösen.Denn dein ist das Reich und die Kraftund die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen für die/den Verstorbene/n(mit Handauflegung und abschließendem Kreuzzeichen)

◊ Gott segnet dich und behütet dich. Gott behütet deine Seele. Gott behütet deinen Ausgang und deinen Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

◊ Gott segnet dich und behütet dich. Gott lässt sein Angesicht leuchten über dir und ist dir gnädig. Gott erhebt sein Angesicht auf dich und schenkt dir seinen Frieden. Amen.

◊ Es segne dich Gott, er nehme dich in seine bergenden Arme, er schenke dir ein neues Zuhause. Amen.

◊ Gott sei bei dir, dich zu beschützen. Er gehe vor dir her, dich sicher zu geleiten. Er stehe hinter dir, dich zu schirmen. Er schaue dich gnädig an, bewahre und segne dich. Amen.

Segen für die Angehörigen

◊ »Gott segne und behüte auch Sie jetzt und in den Tagen, die kommen.«

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Joachim Müller-Lange (Hrsg.)

HandbuchNotfallseelsorge

ISBN-10 3-938179-16-3

T H E M E N S C H W E R P U N K T

lichen Auseinandersetzungmit dem Thema der Notfall-seelsorge.

Seit dem Erscheinen der ers-ten Auflage hat sich die Not-fallseelsorge rasant weiter-entwickelt. Die 2. Auflage desHandbuchs Notfallseelsorgenimmt diese Entwicklungnun auf. Neu überdacht undbeschrieben werden z.B. dieAufgaben der PsychosozialenUnterstützung in der Akut-phase einer Katastrophe unddie Frage der Schnittstelle zurmittel- und langfristigenNachsorge, die innerhalb derNotfallseelsorge intensivdiskutiert wird. Ein weiteres,

besonderes Augenmerk liegtauf der seelsorglichen Beglei-tung von Kindern und Gehör-losen in Notfällen sowie denBetroffenen des verheerendenTsunami in Südostasien.

Das Handbuch Notfallseel-sorge wendet sich sowohl anNotfallseelsorger, die sich aufihre Aufgaben in der Seelsorgevorbereiten, als auch an die-jenigen, die ehrenamtlich ineiner Notfallnachsorgegruppeoder in einem Kriseninter-ventionsteam mitarbeiten.

Das erste Handbuch dieser Artin Deutschland – jetzt in der2. Auflage.

Notfallseelsorge ist Seelsorgein extremen Situationen. Da-bei müssen sich Notfallseel-sorger auf Menschen inaußergewöhnlichen Gefühls-lagen ebenso einstellen wieauf grausame Bilder. Siebegegnen Menschen, derenBiographie sich urplötzlichgravierend verändert – etwadurch einen Unfall oder eineNaturkatastrophe.

Als Vorbereitung auf solcheSituationen ist dieses Hand-buch geschrieben. Auf derBasis von Fallbeispielen, Merk-sätzen und eines umfassendenRegelwerks ermutigt das Buchzu einer geistigen und geist-

HandbuchNotfallseelsorge

T H E M E N S C H W E R P U N K T

Joachim Müller-Lange (Hrsg.)

2., überarbeitete Auflage

www.skverlag.de

ISBN-13 978-3-938179-16-1

J. Müller-Lange

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Handbuch N

otfallseelsorge(H

rsg.)