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Nationalsozialistisc he Diktatur Universität Leipzig, Historisches Seminar Wintersemester 2013/14 Dozent: Dr. Udo Grashoff

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Nationalsozialistische D iktatur. Universität Leipzig, Historisches Seminar Wintersemester 2013/14 Dozent: Dr. Udo Grashoff. Nationalsozialistische Diktatur. 6 . Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat Literatur: - PowerPoint PPT Presentation

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Nationalsozialistische Diktatur

Universität Leipzig, Historisches SeminarWintersemester 2013/14Dozent: Dr. Udo Grashoff

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Nationalsozialistische Diktatur

6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Literatur:

Sven Reichardt/Wolfgang Seibel (Hg.): Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2011.

Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Wiesbaden 1989.

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Nationalsozialistische Diktatur

6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

1933 keine systematische Herrschaftsneuordnung, sondern Überlagerung von neuen und weiterbestehenden Strukturen

eng gesteckter Zeithorizont für weit reichende Ziele

hohes Tempo des Regierens, Notwendigkeit schneller und flexibler Reaktionen

neue Institutionen oft spontan und situativ geschaffen

unsystematische Zuordnung von Kompetenzen

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

bayrischer Innenminister Adolf Wagner an Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 26.6.1934:

„Nach der heutigen Rechtslage unterstehen Ihnen als dem Reichsminister die Reichsstatthalter. Adolf Hitler ist Reichsstatthalter in Preußen. Er hat seine Rechte an den preußischen Ministerpräsidenten delegiert. Sie selbst sind aber auch preußischer Innenminister. Als Reichsminister unterstehen Ihnen also rechtlich Adolf Hitler und der preußische Ministerpräsident. Da Sie personengleich mit dem preußischen Innenminister sind, unterstehen Sie wiederum dem preußischen Ministerpräsidenten und sich selbst als Reichsinnenminister.“

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Nationalsozialistische Diktatur

6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

unsystematische Zuordnung von Kompetenzen

Konkurrenzkämpfe

Zerfall staatlicher Verwaltungsstrukturen

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Bsp.: Reichsinnenministerium unter Minister Wilhelm Frick

Frick: Vertreter des traditionellen hierarchisch-autoritären Zentralismus der Ministerialbürokratie

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Bsp.: Reichsinnenministerium unter Minister Wilhelm Frick

a) zunächst rapider Machtzuwachs:

- politische Aufwertung während der Machtergreifung: entscheidende Behörde für Gesetzgebung (z.B. „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ plus zahlreiche Verfahrensvorschriften)

- allerdings gelingt es Frick nicht durchzusetzen, dass sein Ministerium generell bei Gesetzen im Vorfeld beteiligt wird

- 1934 übernimmt Reichsinnenministerium exekutive Verwaltungsaufgaben (vorher Ländersache)

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Bsp.: Reichsinnenministerium unter Minister Wilhelm Frick

b) heterogene Struktur: 7 Fachabteilungen, davon 2 Sonderbehörden (RAD, Sport und Leibesübungen)

c) fortschreitende Aushöhlung und Aufsplitterung des Ministeriums

Polizei nur aus haushaltrechtlichen Gründen eingegliedert

1936 verliert Frick jegliche Weisungskompetenz gegenüber der Polizei

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Bsp.: Reichsinnenministerium unter Minister Wilhelm Frick

Verlust weiterer Kompetenzen:

- 1933 Überwachung der Presse, der Kunst etc. an Propagandaministerium

- 1934 bildungspolitische Aufgaben an neu gebildetes Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung

- 1935 Naturschutz an den Reichsforstmeister

- 1939 organisatorische Verselbständigung des Gesundheitswesens in der Hand von Reichsgesundheitsführer Dr. Leonardo Conti

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Bsp.: Reichsinnenministerium unter Minister Wilhelm Frick

- zentrales Projekt große Reichsreform = Aufbau eines idealtypischen NS-Einheitsreiches mit starker Zentralgewalt

scheitert 1937

- Hitler hält an der verworrenen Territorialstruktur fest

- Tendenz zu regionalen „Gaufürsten“

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

1938/39 Reichsgaue als teilautonome Herrschaftsbezirke

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Bsp.: Reichsinnenministerium unter Minister Wilhelm Frick

- zweiter Anlauf zu Reichsreform scheitert 1940/41

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

„Gaupartikularismus“ ?

- z.B. setzt sich badischer Gauleiter Robert Wagner aus regionalem Interesse gegen Eingriffe der Kriegskommandowirtschaft (Betriebsverlagerungen, „Auskämmaktionen“ etc.) zur Wehr

- allerdings nur Ausnutzung gewährter Spielräume (Wagner z.B. ist Reichsverteidigungskommissar), keine direkte Einmischung in Reichspolitik geduldet

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

„SS-Staat“ ?

- ab August 1943 führt Himmler Reichsinnenministerium

Konkurrenz:

- Chef der Parteikanzlei Martin Bormann

- Goebbels ab Juli 1944 Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Erstes Fazit:

Idealtypus monokratischer Herrschaft für Nationalsozialismus nicht anwendbar

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

6.1. zwei Metaphern: Behemoth und Leviathan

6.2. Verhältnis Partei-Staat

6.3. Eigeninitiativen der Bürokratie

6.4. Kumulative Durchherrschung

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

6.1. Leviathan oder Behemoth?

- zwei Ungeheuer der jüdischen Mythologie

- Metaphern für politische Ordnung

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Leviathan: Reptilien-ähnliches Seeungeheuer

Ausschnitte aus dem Titelbild von Thomas Hobbes „Leviathan“ (1651)

Metapher für den Staat als politisches Zwangssystem

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Behemoth: Flusspferd-ähnliches Ungeheuer, dumm und gefräßig

Ausschnitt aus dem Gemälde „Behemoth und Leviathan“ von William Blake

Augustinus setzte Behemoth mit dem Teufel gleich

Metapher für Herrschaft der Gesetzlosigkeit und Anarchie

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat (1940/41, dt. 1977)

- Nebeneinander von zwei Herrschaftsmethoden im Staat (zu dem sowohl Bürokratie wie NSDAP gerechnet werden)

- Fortbestehen des rational-bürokratischen Rechts im „Normenstaat“

- hinzu tritt willkürlicher, pragmatischer „Maßnahmenstaat“

- nur Friedenszeit bis 1939 betrachtet

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Franz Neumann: Behemoth (1942/1944, dt. 1977)

- Auseinandersetzung von „Leviathan“ (totalitärer Staat) und „Behemoth“ (totalitäre Bewegung)

Propaganda und Gewalt

Beherrschung der Bevölkerung durch vier souveräne, konkurrierende Machtzentren:

Partei, Bürokratie, Wehrmacht, Industrie

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Franz Neumann: Behemoth (1942/1944, dt. 1977)

- Aushandlung politischer Entscheidungen unmittelbar zwischen den Machtgruppen

- staatliche Regelungsinstanzen (wie Ministerrat) funktionieren nicht

- Herrschaft der Gesetzlosigkeit, Recht ist auf Niveau technischer Regeln herabgesunken

NS-Staat als „Unstaat“

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

bundesdeutsche Nachkriegshistoriografie:

- „totalitäre Polykratie“ (Gerhard Schulz, 1961)

- „organisatorischer Dschungel“ (Martin Broszat, 1969)

- „institutionelle Anarchie“ (Hans Mommsen, 1971)

- „organisiertes Chaos“ (Dieter Rebentisch, 1989)

Rebentisch kein Herrschaftssystem, sondern Herrschaftsgefüge oder Machtgebilde

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

6.2. spannungsgeladenes Verhältnis Partei-Staat

Hitler auf Reichsparteitag Nürnberg im September 1935:

„Der Staat wird in jeder Form immer etwas Starres an sich haben, dagegen muss die Partei immer und zu allen Zeiten beweglich und lebendig bleiben.“

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

6.2. spannungsgeladenes Verhältnis Partei-Staat

Hitler auf Reichsparteitag Nürnberg im September 1935:

„Dort, wo sich die formale Bürokratie des Staates als ungeeignet erweisen sollte, ein Problem zu lösen, wird die deutsche Nation ihre lebendigere Organisation ansetzen, um ihren Lebensnotwendigkeiten zum Durchbruch zu verhelfen [...] Was staatlich gelöst werden kann, wird staatlich gelöst. Was der Staat seinem ganzen Wesen nach eben nicht zu lösen in der Lage ist, wird durch die Bewegung gelöst.“

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

a) Zubilligung größtmöglicher Handlungsfreiheit für regionale Parteiführer

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Hitler in einem Monolog am 2.11.1941:

er brauche die „brutalen Naturen“, die bedingungslos kämpfen und „über eine gesunde, natürliche Anlage nach der primitiven Seite der Brutalität, der Willenskraft“ verfügen

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

a) Zubilligung größtmöglicher Handlungsfreiheit für regionale Parteiführer

b) Verhinderung der Verschmelzung von Partei und Staat

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

1933: Reichsstatthaltergesetz: Gauleiter dürfen nicht in Länderregierungen mitwirken

1937: Verbot des Wirkens von NSDAP-Kreisleitern als Landräte oder Bürgermeister

( setzt den Bemühungen des Leiters der staatsrechtlichen Abteilung des Stellvertreters des Führers, Walther Sommer, um die Fusion von Partei- und Staatsämtern ein Ende)

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

aber: keine absolute Trennung Partei-Staat, sondern Hybridformen

- 1936 Fusion von Polizei (Staat) mit Sicherheitsdienst (SD) der Partei

- HJ (= NSDAP-Gliederung) und staatliches Erziehungssystem

- Hitlerstellvertreter Heß überwacht die gesamte Regierungsgesetzgebung

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

6.3. Eigeninitiativen der Bürokratie

- Hitler: kein Interesse an detaillierter und dauerhafter Überwachung und Lenkung von ministerieller Rechtsetzung und Verwaltungsmaßnahmen

- dadurch Verlagerung Sachdiskussionen in die Ressorts

- unterhalb der Führergewalt konfliktreiches Gegen- und Nebeneinander: Ressortpartikularismus

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

ABSICHT oder ZUFALL?

- Hitler als intentional handelnder Monokrat?

- Brauchte der schwache Diktator Hitler das institutionelle Chaos, um herrschen zu können?

- Divide-et-impera?

„wohl in erster Linie eine Folge des wild wuchernden Eroberungsrechts im Führer-Staat“ (Reinhard Bollmus, 1970)

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Denkschrift aus dem Umfeld der Parteikanzlei 1942:

„Das Prinzip des Wachsenlassens bis der Stärkste sich durchgesetzt hat, ist sicherlich das Geheimnis der geradezu verblüffenden Entwicklung und Leistung der Bewegung.“

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Vermerk Unterstaatssekretär Woermann über Göring-Rede am 18.11.1938:

„Die Worte Federführung oder Zuständigkeit kenne er, der Generalfeldmarschall, nicht und wolle sie nicht mehr hören. Es werde in jedem Falle die Stelle mit den Arbeiten beauftragt werden, die dafür die geeignetste sei.“

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WIRKUNG

Ältere Forschung: Reibungsverluste

Martin Broszat, Hans Mommsen, Dieter Rebentisch:

- irrationale Organisationsformen, fehlende Koordination Kräfteverschleiß, Systemverfall, Desorganisation

„Kompetenzenwirrwarr“

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Bsp. für Reibungsverluste: Mai 1942

a) Zuständigkeit für Fremdarbeitereinsatz an DAF

b) Zuständigkeit für Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen an SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA)

c) Arbeitsministerium besteht trotzdem weiter (Leerlauf)

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5. Adolf Hitler – schwacher Diktator?

WIRKUNG: Instabilität?

- Lag in der NS-Herrschaftsform schon der Keim des Untergangs? (Konstruktionsfehler)

- Führte Kompetenzchaos dazu, dass man sich stets auf den kleinsten, radikalsten Nenner einigte?

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

WIRKUNG

Neuere Forschung: Effizienz

Michael Ruck (2011):

- dynamisch-prekäres Machtgefüge scheiterte nicht an strukturellen Ungereimtheiten

- polykratische Konkurrenz mobilisierte erst die Ressourcen, die es dem Regime erlaubten, seinen äußeren und inneren Zusammenbruch bis ins Frühjahr 1945 hinauszuzögern

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

konkurrierende Erfüllungen des angenommenen Führerwillens:

„Sehr oft und an vielen Stellen ist es so gewesen, dass [...] Einzelne immer nur auf Befehle und Anordnungen gewartet haben. Leider wird das in Zukunft wohl auch so sein; dem gegenüber ist es die Pflicht eines jeden, zu versuchen, im Sinne des Führers ihm entgegen zu arbeiten. Wer dabei Fehler macht, wird es schon früh genug zu spüren bekommen.“

Werner Willikens, Staatssekretär im preußischen Landwirtschaftsministerium, im Jahr 1934 (Hervorhebung von mir; UG.)

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

6.4. Rüdiger Hachtmann (2011): „kumulative Durchherrschung“

- Gegensatz: zentralistische Durchherrschung (Sowjetunion, DDR) = systematischer Versuch der totalen Beeinflussung der Gesellschaft

- Nationalsozialismus: polykratisch-unabgesprochenes Zusammenwirken heterogener Organisationen

- mehrere „Netze“ der Erziehung, Repression und Selektion sind effektiver als nur ein zentrales Netz

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Modell des „charismatischen Verwaltungsstabes“ (Hachtmann 2011)

- Sich-Hinwegsetzen über formale Rechtsordnungen, eingespielte bürokratische Abläufe und Rangordnungen

- Zugehörigkeit zum Führungspersonal durch persönliche Hingabe, nicht durch fachliche Qualifikation personalisierter Herrschaftsverband

- Unberechenbarkeit, Instabilität

- Konsequenz keineswegs Zerfall, sondern Flexibilität, Mobilisierung

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

- zwar untereinander Streit und Rivalität

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

- zwar untereinander Streit und Rivalität

- aber loyal zu charismatischem Führer

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

- zwar untereinander Streit und Rivalität

- aber loyal zu charismatischem Führer

- charimatische Jünger übernehmen die Praxis des Führers

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Hochkomplexe Kooperation?

- Sven Reichardt, Wolfgang Seibel: „chaotische Improvisation“ durch ältere Forschung überbetont

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Hochkomplexe Kooperation?

- Sven Reichardt, Wolfgang Seibel: „chaotische Improvisation“ durch ältere Forschung überbetont

- „nahezu postmodern“: personengebundenes Networking, Informalisierung von Entscheidungsverfahren, „outsourcing“, parainstitutionelle Kommunikations- und Koordinationsforen etc.

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Hochkomplexe Kooperation?

- Effizienz durch Zusammenwirken der über weite Strecken noch intakten konventionellen Bürokratie mit nichtstaatlichen Mechanismen

- zudem bisher übersehen: Koordinierungsinstanzen

- Hachtmann: „Schmiermittel für die NS-Herrschaftsmaschinerie“

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Koordinierungsinstanzen:

- nicht nur Charisma Hitlers

- Sonderbeauftragte als „Schnittstellenmanager“ (Reichardt/Seibel)

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Sonderkommissare

- bereits im absolutistisch regierten Preußen für Aufgaben eingesetzt, die durch normale Beamte nicht zu bewältigen sind

- auch in Weimarer Republik, aber präzise Aufgabenbeschränkung und zeitlich begrenzter Einsatz

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Sonderkommissare

- punktuelle, gezielte Eingriffe möglich, ohne das Staats- und Verwaltungsgefüge komplett zu ändern

- kommen zumeist aus NS-Führung

- Koordinatoren für Sachfragen, die auf mehrere Instanzen aufgeteilt sind (z.B. Fritz Todt: Straßenwesen)

- Vereinfachung von Informationsflüssen und Entscheidungsfindung

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Sonderbeauftragte und Kommissariate in direktem „Führerauftrag“

- nahezu inflationäre Entwicklung im Zweiten Weltkrieg

- zahlreiche kriegswichtige Aufgaben aus Ministerien ausgelagert

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

Sonderkommissariate

Hermann Göring: Beauftragter für den Vierjahresplan

Heinrich Himmler: Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums

Karl Brandt: Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen

Joseph Goebbels: Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz

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tw. Gauleiter als Sonderkommissare

Fritz Sauckel (Thüringen): Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz

Josef Wagner (Westfalen-Süd, Schlesien): Reichskommissar für die Preisbildung

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6. Nationalsozialismus als heterogenes Machtkonglomerat

lange durch Forschung übersehen: Formen kollektiver Entscheidungsfindung

- Tagungen der Reichs- und Gauleiter der NSDAP

- Arbeitsgemeinschaften der Rüstungswirtschaft

- Deutscher Gemeindetag

wichtig auch informelle Klubs:

- Deutscher [Herren-]Klub, Club von Berlin, Aeroklub von Deutschland

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FAZIT

Das formale Ämterchaos der nationalsozialistischen Herrschaft machte diese keineswegs handlungsunfähig oder ineffizient.

Rivalität und Informalisierung führten zu beschleunigten Handlungsabläufen.

Stetigkeit und Effizienz konventioneller Bürokratie und partielle Willkür ermöglichten die Entfaltung des ungeheuren Gewaltpotenzials der NS-Herrschaft.