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Mensch – ist alles wieder gut ? Anmerkungen zur gegenwärtigen Wirtschaftsdynamik

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Mensch – ist alles wieder gut ?

Anmerkungen zur gegenwärtigen Wirtschaftsdynamik

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Mensch – ist alles wieder gut?Anmerkungen zur gegenwärtigen Wirtschaftsdynamik

Herausgeber: Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers Verantwortlich: Michael Klatt, Arbeit, Wirtschaft und Soziales (V.i.S.d.P.)Texte: Rolf Adler, Peter Greulich, Michael Klatt, Carsten KrabbesFotos: Eric Adrian GreulichHausanschrift: Archivstraße 3, 30169 HannoverPostanschrift: Postfach 2 65, 30002 HannoverFon: 0511 1241-456 Fax: 0511 1241-900 E-Mail: [email protected]: www.kirche-arbeitswelt.deSatz und Layout: Christiane RettigDruck: Haus kirchlicher Dienste, gedruckt auf Recyclingpapier aus 100% AltpapierAuflage: 500 Ausgabe: Advent 2010Artikelnummer: 565510

Die Fotos in dieser Publikation geben Einblicke in die Straße „Guter Ort”im Hamelner Industriegebiet.

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Vorwort

Als vor zwei Jahren die Finanzmarktkrise global einschlug, wurde das System unseres Wirtschaftens in seinen Grundpfeilern er-schüttert. Nur mit einer konzertierten Kraft-anstrengung und Staatsverschuldungen in vorher nie vorstellbarem Umfang konnte das Schlimmste verhindert werden. Inzwischen ist Vieles geleistet worden, und aktuelle Zahlen und Statistiken weisen auf einen nicht erwarteten Konjunkturaufschwung hin. Die sinkenden Arbeitslosenzahlen und steigenden Beschäftigungszahlen sind Grund für Zuversicht und Freude. Doch einen Anlass zur Euphorie gibt es nicht. Ernstzunehmende warnende Stimmen fra-gen: Auf welch tönernen Füßen wird jetzt (weiter) gebaut? Kommt die nächste Krise nicht zwangsläufig? Ist diese dann noch ein-mal zu bewältigen – und vor allem: Welche Erblasten bürden wir den nächsten Gene-rationen auf, ganz zu schweigen von den Verlierern der Krise, die schon jetzt weltweit oft übersehen werden?Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) hat sich in den letzten beiden Jahren intensiv mit den (Hinter-)Gründen und Auswirkungen der Krise befasst und diese inner- wie außer-kirchlich diskutiert. Vieles ist dabei in den Blick gekommen wie z. B. der verantwortliche Umgang mit Geld und Kapital oder auch die Suche nach einem alternativen Wirtschaf-ten, das die doch eigentlich grundlegend soziale(!) Prägung unserer Marktwirtschaft wieder stärkt und sie um die ökologische Verantwortung erweitert. Aber auch Fragen der Umverteilung, von mehr (Steuer)Gerech-tigkeit, um das Auseinanderklaffen zwischen Arm und Reich wieder mehr zu schließen, sowie einer höheren Befähigung und Bildung benachteiligter Menschen standen und ste-hen auf der Tagesordnung.Die vorliegende Publikation hat es sich zum Ziel gesetzt, in den ökonomischen und poli-tischen Diskurs eine elementare und zugleich spezifisch christliche Sichtweise einzubringen – und zwar den Blick auf den Menschen. In allen unternehmerischen Bezügen ist, auch unabhängig von Krisenzeiten, der Mensch Dreh- und Angelpunkt. Nicht anonyme Mächte, sondern Menschen sind Auslöser der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise gewesen. Menschen sind es daher auch, die über die Zukunft der Finanzmärkte und der (realen) Wirtschaft entscheiden.

Die Adventszeit ist traditionell eine Zeit der Einkehr, der Umkehr und der Buße zur Vorbereitung auf Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. „Mach’s wie Gott, werde Mensch“ – mit dieser kürzesten Weihnachtspredigt aller Zeiten, mittlerweile geradezu zum Slogan ge-worden, brachte es der ehemalige Limburger Bischof Kamphaus auf den Punkt, worum es auch in Wirtschafts- und Arbeitszusammen-hängen geht: Auch wenn wir bereits Mensch sind, müssen wir zugleich immer erst noch werden, was wir in den Augen Gottes sein sollen: Menschen, die nicht nur das eigene Wohl im Blick haben, sondern auch das Wohlergehen und die Gesundheit aller, ja: der ganzen Kreatur. Dienst am Nächsten, so hat Martin Luther das Ziel allen Wirtschaftens genannt. „Mach’s wie Gott, werde Mensch“, das bedeutet für unsere eigene Menschwer-dung: nicht auf Gedeih und Verderb auf das hohe Ross hinauf, sondern vom hohen Ross herunter, wie Gott: vom hohen Himmelsthron herunter in die Krippe des Stalls von Bethle-hem. Seit Weihnachten sind wir alle darum vor Gott wie Jesus: ein von ihm geliebtes Menschenkind. Wenn das stimmt, dann muss ich nicht fertig und perfekt sein, sondern darf „werden“ – in einem immerwährenden Prozess. Als Kind Gottes bin ich ohne jede Bedingung ganz und gar anerkannt, und ich brauche keine Angst davor zu haben, Schwäche zu zeigen oder auch mal zu scheitern. Meine Geborgenheit in Gott wurzelt tiefer als alles, was mich be-lasten kann. So werden Neuanfänge möglich, und aus Krisen entsteht eine Zukunft, die im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig ist.Der Beginn des neuen Kirchenjahres erin-nert an den Neuanfang, den Gott mit uns Menschen gemacht hat. Er wurde Mensch. Machen wir’s also wie er. Und erleben wir, wie schön und heilsam es für uns selbst und für alle Menschen weltweit ist, Mensch zu sein und – mit Gott – immer mehr Mensch zu werden.

Ich danke allen, die durch ihre mündlichen wie schriftlichen Beiträge und durch ihr hohes Engagement zum Gelingen dieser Handreichung beigetragen haben.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich viel Gewinn beim Lesen.

Hannover, im Advent 2010Michael Klatt, Landessozialpfarrer

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„Wieder hat eine neue Zeitrechnung begon-nen. Wir sprechen von der Zeit nach der Krise – wie vor zwanzig Jahren von Deutschland nach der Wende“ (EKD-Text 100 „Wie ein Riss in einer hohen Mauer, Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise“, S. 5).Kann man trotz aktueller positiver Wirt-schaftsdaten von einer Zeit „nach der Krise“ sprechen? Stecken wir nicht noch mitten drin, z. B. im Blick auf die Staatsverschuldung oder die Stabilität der Finanzmärkte, aber auch et-licher Unternehmensbilanzen? Worin besteht die Krise eigentlich? Sind es nicht im Grunde mehrere Krisen gleichzeitig? Wann kann man sagen: Jetzt ist alles überwunden? Zur Bewältigung der Krisen ist es hilfreich, sich auf Einsichten evangelischer Sozialethik zu besinnen.Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist in ihrem Kern keine monetäre Krise. Sie ist eine Werte-krise. Darum wäre es zu kurz gedacht, wenn jene Bemühungen politisch und ökonomisch Verantwortlicher von Erfolg gekrönt wären, deren einziges Ziel die Wiederherstellung des Zustandes vor der Krise ist. Tiefer liegende Ursachen würden nicht angegangen, allen-falls Symptome „justiert“. Vielmehr bedarf es einer neuen Werte- und Verantwortungs-ethik für das Wirtschaften. Ein politisch und juristisch belastbares internationales Regel-werk und eine kluge Steuerpolitik müssen gewährleisten dass Erträge und Gewinne in der Realwirtschaft verbleiben. Dadurch werden Arbeitsverhältnisse gestützt, und der Sozialstaat wird gestärkt. Zur Bewältigung der Klima- und Ressour-cenkrise sind Energieeinsparungen, Ressour-ceneffizienz und Förderung regenerativer Energien unabdingbar. Hier sind Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft, die Kirchen und jede/r Einzelne als Konsument/in gefordert.Die globale Gerechtigkeitskrise erfordert Maßnahmen, die dazu beitragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinander geht. Allen Menschen muss der Zugang zu Wasser und anderen Nahrungs-mitteln, zu Bildung und Arbeit ermöglicht werden. Der Schlüssel für ein nachhaltiges und sozial gestaltetes Wirtschaften und Leben sind nach protestantisch-ethischer Überzeugung sowohl die in Freiheit gelebte Verantwortung

für die Welt und füreinander als auch und vor allem die Würde und das Wohlergehen des Menschen. Die folgenden Ausführungen wollen den Fokus auf diesen Schlüssel richten und dabei reflektieren, wie sich die gegenwärtige Wirt-schaftsdynamik auf den Menschen in seinen Arbeitsbezügen auswirkt. Wenn es in Zukunft nicht besser gelingt, vorhandene Konzepte von Arbeit kritisch zu reflektieren und neu zu bestimmen, werden Arbeitsverhältnisse mit krankmachenden Folgen zunehmen. Schon jetzt ist erkennbar, wie Menschen beispiels-weise unter zunehmendem Anpassungsdruck leiden. Aber der Mensch ist nicht nur als leidender (passiver), sondern auch als aktiver und ge-staltender Mensch von zentraler Bedeutung, Der Mensch entscheidet, er besitzt schon auch Widerstandskräfte und die Fähigkeit umzukehren, umzusteuern. Die Frage lau-tet daher: Was können und müssen wir - in verantworteter Freiheit - tun, damit unsere Arbeitsverhältnisse - und wir mit ihnen - gesunden und wir auf nationaler wie auf globaler Ebene gestärkt aus der Krisenzeit hervorgehen?

1. Krisen – und (k)ein Ende?

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Menschliche Würde ist schöpfungstheolo-gisch und heilsgeschichtlich begründet. Men-schen bleiben Gottes Ebenbilder. Christinnen und Christen sind stets angenommen in, mit und durch Jesus Christus. Doch Christsein in Vollkommenheit und in Perfektion gibt es nicht. Kein Glaube ohne Zweifel, kein Tun ohne Fehler! Kein Leben ohne Krisen! Das gilt auch für alles ökonomische Handeln. Krisen sind unausweichlich und gehören zu all unserem Tun.

Die Konsequenz daraus lautet aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen oder den Kopf in den Sand stecken sollen. Im Gegenteil: Uns ist neben den Geschenken der Würde und der Gnade auch ein großes Maß aktiver Verantwortung mit in die Wie-ge gelegt. Die biblischen Stichworte lauten: „bebauen“ und „bewahren“ (1. Moses 2,15). Und Jesus Christus mahnt: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ (Mt. 7,20).Das überfordert uns nicht, wenn wir uns im Falle des – bisweilen unabwendbaren – Scheiterns von Gottes Gnade getragen wissen. Ebenso wenig, wie wir uns unser Heil verdienen können, geht es uns durch Fehler und Verfehlungen verloren. Wir sind und bleiben Sünderinnen und Sünder. Als solche sind wir aber von Gott gerechtfertigt, also geliebt und anerkannt. Unsere angemessene Haltung dieser Grunderkenntnis lutherischen Glaubens gegenüber drückt sich in einer be-kannten Bitte aus: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Aus unserem Glauben kann ein Handeln erwachsen, das im Geiste Gottes gewagt werden kann. Nichtstun widerspräche im Übrigen vollkommen unserer menschlichen und christlichen Natur. Eine grundsätzliche Klärung dessen, was „Arbeit“ im Lichte der Verheißungen Gottes bedeutet, ist heute ebenso wichtig wie die Entwicklung einer neuen Kultur des Geldes, wenn wir aus der jüngsten Finanz- und Wirt-schaftskrise wirklich etwas lernen wollen. Arbeit ist mehr als bloßes Mittel zum Zweck. Arbeit stiftet Sinn und vermittelt Selbstwert(-gefühl). Sie gliedert den Tag, ist ein Grundda-tum des menschlichen Lebensrhythmus’. Sie kann und sollte erfüllen. Arbeit ist sowohl Ausdruck unserer Freiheit wie auch unserer Verantwortung. Schon im Paradies wurde gearbeitet, nicht erst danach.

Wenn die Arbeit, die als eine wesentliche Lebensäußerung und Antwort auf Gottes schöpferisches, mahnendes und barmher-ziges Wirken ist, in den wirtschaftlichen Kontexten verloren zu gehen droht, wirkt sich das auf das gesamte Lebensgefüge aus. Oft als zehrende und nagende Sorge um die eigene Existenz und die der Familie. Manchmal auch – und dies zunehmend - mit psychischen und/oder psychosomatischen Folgen. Die Fragen lauten dann: Wie kann ich ohne Erwerbstätigkeit überhaupt leben? Und: Wer oder was bin ich eigentlich ohne die Möglichkeit zu arbeiten, ohne Arbeit und Beschäftigung? Menschen werden schon krank, wenn sie den Verlust ihrer Arbeit fürchten müssen. Das Gespenst der Krise geht um und macht immer noch Angst, auch wenn nicht gleich massiv Arbeitsplätze vernichtet wurden und werden. Noch schlimmer wird es freilich, wenn Arbeit tatsächlich verloren geht und all das eintritt, wovor wir uns fürchten. Manche Entwicklung im so genannten prote-stantischen Berufsethos – bzw. durch dieses bedingt – ist allerdings schon vor jedweder Krise problematisch; die Gefahr einer neuen Form von Werkgerechtigkeit ist schon immer latent oder offen vorhanden. Demgegen-über ist festzuhalten: Die Woche impliziert von jeher nicht nur Werk-, sondern auch Ruhetage – eine wiederum bereits schöp-fungstheologische Gegebenheit, die uns als Christinnen und Christen unter anderem zum vehementen Einsatz für den Sonntagsschutz animiert. Falsch ist, wenn bisweilen – auch von uns – dem permanenten Erwerb einer schier grenzenlosen Leistungsbereitschaft das Wort geredet wird. Vorsicht vor dem Fetisch Fleiß! Von Wert ist doch auch oder gerade(?) das, was ganz und gar nicht nach Plackerei schmeckt. Wer jemals verliebt war, wird das wissen. Und wir Evangelischen sollten das tief verinnerlicht haben.

2. Biblisch-theologische Orientierung

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„Vielmehr geht es um das gute Leben, und zwar eines, das sein Profil durch die Muße des Hörens auf Gott gewinnt. Die solcher Muße entsprechende Tätigkeit dient weder der rastlosen Selbstbeschäftigung noch allein dem Erwerb, sondern sie zielt auf den Näch-sten. Dieser ist niemand anderes als der oder die andere, wie Gott sie mir zeigt: Als Mit-geschöpf, als Adressatin der Versöhnung, als Ermöglichung meiner Freiheit oder Vorschein der Erlösung. Die Motivation dieses Dienstes stammt aus den Einsichten des Glaubens, der Wirkung der Liebe und dem Geschenk der Hoffnung. (…) In diesem tätigen Leben, das gleichwohl durch die Ruhe Gottes konstitu-iert und begrenzt wird, streben Protestanten nicht nach sozial distanzierendem Reichtum oder Prestige. Sie geben sich aber auch nicht mit Wohlstand oder mit bloßem Genuss zu-frieden, sondern sie hoffen auf die Erfüllung, die Gott verheißen hat.“ (Torsten Meireis: Tätigkeit und Erfüllung. Protestantische Ethik im Umbruch der Ar-beitsgesellschaft, Tübingen 2008, S. 437f)

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Die Finanz- und Kapitalmarktkrise hat an-onymes und virtuelles Kapital angegriffen. Direkt betroffen sind aber auch Menschen, die darauf angewiesen sind, das eigene Le-ben und das Leben ihrer Familien durch ihre Arbeit zu sichern und zu gestalten – frei-heitlich, in Würde und Verantwortung. Weit mehr als 3 Millionen Menschen befinden sich in unserem Land in einem bedrohlichen Sog, weil der Platz ihrer Arbeit gefährdet ist oder womöglich gar verloren geht.Dass der Arbeitsplatz mehr ist als die kurz-fristige und marktkonforme Übernahme eines Jobs, ist von den Kirchen auch in sozialethischer Perspektive immer wieder thematisiert worden. Arbeit und Auskom-men als gewollte Teilhabe gehören zu den Grundbedingungen gesellschaftlichen Wohl-ergehens. Wenn Menschen das Gefühl haben müssen, dass ihre Arbeit zur unsicheren Verfügungsmasse wird, über die allein vom Kostengesichtspunkt her entschieden wird, ohne dass die sozialen und politischen Folgen ausreichend bedacht werden, dann leiden die Betroffenen, und das gesellschaftliche Gefüge gerät in Unordnung. Es missachtet die Würde des und der Einzelnen und auch das Sozialwesen als Ganzes, Arbeit allein unter Kostengesichtspunkten zu betrachten. Die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen muss für die Politik höchste Priorität haben. Menschliche Arbeit ist nicht nur eine be-triebliche Dienstleistung, die für und von Unternehmen erbracht wird. Menschliches Tun entspringt vielmehr immer auch einem Grundbedürfnis nach Anerkennung und so-zialer Integration. Dies wird sowohl von der evangelischen Sozialethik als auch von der katholischen Soziallehre mit Recht betont, wenn sie ihre Stimmen dagegen erheben, menschliche Arbeit allein der ökonomischen Rationalität zu überlassen. Unter Berufung auf die dem

Menschen zugesagte Möglichkeit, sich in freiheitlicher Verantwortung zu entfalten, in verlässlichen Beziehungen zu leben und werktätig zu sein, schrieben sie der mensch-lichen Arbeit unlängst eine entscheidende Bedeutung für das individuelle und gesell-schaftliche Lebensgefüge zu.Für das gute Funktionieren eines Gemeinwe-sens ist es geradezu essentiell, dass die Gesell-schaft neben den ökonomischen Deutungen und Systematisierungen von Arbeitsleistung immer auch ethische Leitvorstellungen ent-wickelt und zur Geltung bringt, die den Rah-men allen Wirtschaftens mal begrenzen und mal sprengen. Demokratie, verantwortliches Staatsbürgertum und gesellschaftliche Ver-antwortungsübernahme setzen voraus, dass Menschen in Verhältnissen leben, die ihnen auch die Übernahme überindividueller Per-spektiven erlauben. Arbeitsbedingungen, die Auskommen sichern und langfristige Lebens-entwürfe (Familie, Übernahme gesellschaft-licher Ehrenämter etc.) erlauben, gehören somit zum soziokulturellen Grundbestand einer Gesellschaft, die auf Mitbürgerlichkeit und Engagement setzt. Darum darf der Arbeitsmarkt, auf dem Ar-beitskraft gegen Entgelt getauscht wird, nicht zu einem „Markt der Unmöglichkeiten“ verkommen. Der Stellenwert und die Bedeutung mensch-licher Arbeit sollte so diskutiert werden, dass unser Wirtschaften Raum lässt für all jene menschlichen Bedürfnisse, die sich nicht ko-sten- und leistungsmäßig verrechnen lassen. Nochmals: Arbeit darf nicht zu einem Faktor verkommen, der sich ausschließlich volks- oder betriebswirtschaftlich bestimmen und fassen lässt. Arbeit ist vielmehr ein anthro-pologischer Basiswert, der unser Miteinander strukturiert und trägt. Dies gilt im Übrigen auch für jede Art nichterwerblichen, ehren-amtlichen, freiwilligen Engagements.

3. Mensch – Arbeit – Gesellschaft

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Unternehmen können einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschätzung der Arbeit leisten, wenn sie in ihren Entschei-dungsstrukturen und Strategien ein Bewusst-sein um den ethischen Grundwert der Arbeit entwickeln und wach halten. Dann kann und darf von den Verantwortungsträgern erwar-tet werden, dass Investitionsentscheidungen nicht ausschließlich unter der Perspektive größtmöglicher Kapitalrendite getroffen werden, die nur kurzfristig über neutrale Erträge und entsprechende betriebsfremde Investments erreicht werden. Arbeit zu schaffen, von der Menschen leben können, muss ethischen Vorrang haben – auch unter Inkaufnahme von (Mehr)Kosten, wenigstens kurzfristig und freilich stets in einem vertretbaren Maß.Wünschenswert wäre die Entwicklung von Unternehmens- und Führungskulturen, in denen die genannte Wertschätzung der erbrachten menschlichen Arbeitsleistung zum alltäglichen Führungshandeln gehört. Mitarbeitende, die sich in ihren Unterneh-men wertgeschätzt wissen, entwickeln eine besondere Bereitschaft, das Unternehmen – selbst durch Krisen – mit zu tragen. Mit-tel- und langfristig ist dies nicht nur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch für das Unternehmen selbst von Nutzen und verschafft ihm ggf. sogar einen Wettbe-werbsvorteil. Wo Unternehmen dies in ihre strategischen Überlegungen mit einbeziehen und entsprechend umsetzen, stehen sie im

Einklang mit den genannten sozialethischen Einsichten.In Unternehmen schlagen sich Krisen in Ver-dichtung und Entgrenzung von Arbeit glei-chermaßen nieder. Märkte werden schwerer kalkulierbar, Karrieren weniger berechenbar, Gratifikationen mitunter entzogen. Für die Beschäftigten – von der Leitungs- und Ange-stellten- bis zur Arbeiterebene - führt dies vielfach zu krankmachendem Dauerstress. Inzwischen ist jeder dritte Fall von Berufs-unfähigkeit auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Ausgerechnet erfolgreiche, Karrierebewusste und engagierte Menschen geraten infolge zunehmender und komple-xer werdender Aufgaben in die Stressspirale, wenn Perfektionismus und hohe Erwar-tungen anderer ebenso wie Ansprüche an sich selbst an ihre Grenzen geraten. Noch zu wenige Führungskräfte, auch in der Kirche, haben es gelernt, Signale psychischer Erkran-kungen bei Mitarbeitenden zu erkennen und ggf. professionelle Unterstützung einzuschal-ten. Zu selten nehmen sie Hilfe in Anspruch, wenn sie selbst betroffen sind.Ständig neue Projekte, wechselnde Vorga-ben, sich rasch ändernde Märkte, Zwang zur Mobilität, technischer Fortschritt und gesteigerter Kosten- und Konkurrenzdruck. Krisen zwingen zu Flexibilität und Wand-lungsfähigkeit, und wer in der Lage ist, sich auf stets neue Anforderungen einzustellen, profitiert am Ende davon.

4. Der unternehmerische Beitrag

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Die Wirkungen von wirtschaftlichen Dyna-miken auf die Belegschaft in Unternehmen werden im Wesentlichen von der Führungs-kultur bestimmt. Sie kann dazu beitragen, dass psychische Eskalationen und soziale Polarisierungen vermieden werden. Neben effektiven Arbeitsmarktinstrumenten wie z. B. die Kurzarbeit ist vor allem ein wertschät-zender Umgang gerade auch in Krisenzeiten möglich und gefordert. Mitarbeitende brau-chen das Gefühl, im Unternehmen wichtig zu sein. Sie haben ein Recht auf wahrhaftige Beschreibungen der Unternehmenssituation und der aktuellen Strategien. So entstehen verantwortliche Teilhabe und positive Bin-dung. Teilhabe und Bindung sind wesentliche Ziele einer nachhaltigen Unternehmens-

5. Im Blick: Der Mensch

führung und erlauben den Mitarbeitenden jenes Maß an Partizipation, das ihnen als Menschen auch in Unternehmenskontexten zukommt.“

Beispiele zeigen darüber hinaus, dass es sich für ein Unternehmen positiv auswirkt, wenn dem psychischen Wohlergehen und der Gesundheit der in ihm arbeitenden Menschen genügend Beachtung geschenkt wird. Ergebnisse sind dann u. a. eine höhere Arbeitszufriedenheit, ein geringerer Kran-kenstand, eine geringere Fluktuation, eine bessere Einbindung der vorhandenen Quali-fikationen und Kompetenzen und insgesamt ein verbessertes Arbeitsergebnis sowie eine nachhaltige Entwicklung.

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Krisen machen vor den Toren der Kirchen nicht Halt. Auch unsere hannoversche Lan-deskirche mit ihren vielen Mitarbeitenden und zahlreichen diakonischen Einrichtungen und Unternehmen bleibt wirtschaftlich nicht unberührt von den Auswirkungen der Finanz-markt- und Wirtschaftskrise. Seit Längerem befindet sie sich darüber hinaus in einem kontinuierlichen Umstrukturierungs- und Anpassungsprozess, der für alle Beteiligten eine große Herausforderung darstellt. Die in dieser Publikation dargestellten ethischen Gesichtspunkte zum Erhalt und zur Förderung des Wohlergehens und der Gesundheit aller in einem Unternehmen Arbeitenden gelten in gleicher Weise für die Organisation Kirche als Unternehmen. Auch hier wird der Grundsatz „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ zu einem positiven und nachhaltigen Ergebnis führen.

6. Zu guter Letzt: In eigener Sache

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