mehr als fellinis tonspur: nino rota zum 100. geburtstag

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11 musik Mehr als Fellinis Tonspur: Nino Rota zum 100. Geburtstag Das «Liebesthema» aus Francis Ford Coppolas Mafia-Epos «Der Pate» ist sein Jahrhundert-Hit geworden, ein sentimentaler Schlager, der ihm mit schlafwandlerischer Sicherheit fast nebenbei eingefallen ist. Diese Melodie hat einen guten Film unsterblich gemacht und darüber hinaus Mafia-Welt und Familienglück ein für alle Mal auf einen musikalischen Nenner gebracht. Vor allem aber ist Nino Rota mit den Filmen Fellinis verbunden, der sich an ihrer erste Begegnung er- innerte: «Vor den Studios Cinecittás bemerkte ich einen kleinen lustigen Mann, der an der falschen Strassenecke auf die Tram wartete. Er wirkte ein wenig zerstreut. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, mich um ihn zu kümmern und sagte, wir müssen uns beeilen, wenn wir die Bahn noch erwischen wollen. Er war sich aber absolut sicher, dass wir genau an der richtigen Stelle warten würden. Zu meiner Verwunderung hielt die Bahn eben genau da, wo wir standen.» Liebe auf den ersten Blick? Offenbar war Federico Fellini fasziniert von dem kleinen lustigen Mann, der seit 1933 Musik für die italienische Filmindus- trie komponierte. Aus der flüchtigen Begegnung wurde eine Freundschaft auf Lebenszeit, die 1952 mit dem Film «Lo sceicco bianco» ihren Anfang nahm und mit dem Tod Nino Rotas 1979 endete. Das Bild vom verträumten, in seine Musik versun- kenen Komponisten ist recht treffend, denn Rota bewegte sich fast wie ein Schlafwandler durch die märchenhaften Filmwelten Federico Fellinis. Sei- ne berührenden, fast naiv klingenden Melodien wie in «La Strada», aber auch die hemdsärmelige Zirkusmusik in «8 ½» trafen immer den Nerv von Fellinis Theaterwelt, in der quirlige Oberfläche und philosophische Reflexion dicht nebeneinander lie- gen und sich oft sogar bedingen. Nino Rota und Federico Fellini haben Filmge- schichte geschrieben mit Meisterwerken wie eben «La Strada», «La dolce vita» oder «8½». Alles Filme, die das moderne Italien nach 1945 in satirischer Weise nachzeichnen und ein melan- cholisches Zeitgefühl auf die Spitze treiben. Über die Machart der Filmmusik waren sich die beiden immer einig wie kaum ein zweites «Film- paar». Es musste nicht viel diskutiert werden: «Nino schert sich nicht so sehr um die genauen Szenen des Filmes, er hat einfach die S e e l e des Filmes erfasst, die er mit seiner Musik, seinen Melodien zum Ausdruck bringt», erinnerte sich Fellini. Kraftstrotzend und burlesk poltern Rotas Märsche los und führen das Kinopublikum in die Welt der Artisten, Gaukler, Schönen und Reichen, die wie Gefangene wirken, inmitten clownesken Geläch- ters, das ja immer auch Traurigkeit verbreitet. Ro- tas Musik bezirzt den Zuhörer durch ihre subtile Doppelbödigkeit, die Klamauk und Tragödie mit- einander verzahnt. In «La Strada» etwa kann der Gegensatz kaum grösser sein zwischen der krachigen Zirkuswelt – als wärs ein Stück von Julius – und der pa- thetischen, schmerzvollen Prozessionsmusik der Gelsomina. Am Grabe seiner Frau Guilietta Masina liess Fellini Musik von Nino Rota spie- len, so sehr war ihm der Rota‘sche Klang zur Familienangelegenheit geworden: «Am wert- vollsten, und das sage ich ohne zu zögern, war die Zusammenarbeit mit Nino Rota. Zwischen uns herrschte absolute Harmonie. Wenn ich um Melodien für bestimmte Filmszenen fragte, merkte ich, dass er sich überhaupt nicht mit Bil- dern oder Dialogen beschäftigte. Er hatte seine eigene, innere Welt, die ohne die äussere Wirk- lichkeit auskam.» Zwischen allen Stühlen Neben seinen gut 150 Filmkompositionen war Nino Rota ein ebenso produktiver Komponist für das Konzertleben. Aus dem Wunderkind, das mit zwölf Jahren das Oratorium «Die Kindheit Johan- nes des Täufers» zu Papier brachte, entwickelte sich in den 1930er-Jahren eine eigenwillige Mu- sikerpersönlichkeit. Rota war ein Komponist, der zwischen allen Stühlen sass. Zum einen begann er für das Medium Film zu schreiben, zum ande- ren war er ein Komponist, der den ästhetischen Traditionen des 19. Jahrhunderts folgte und der musikalischen Moderne gegenüber skeptisch ein- gestellt war. Auf Empfehlung von Arturo Toscanini bekam der hoch begabte Nino ein Stipendium und studierte am renommierten Curtis Institute in Philadelphia. 1932 kehrt er nach Italien zurück, vertiefte sein Wissen bei Alfredo Casella und Ildebrando Piz- zetti, beides die tonangebenden Komponisten die- ser Zeit in Italien. Er narrte seine Lehrer, erinnerte sich seine Mutter später: «Bei Pizzetti klang seine Musik wie die von Alfredo Casella, als er dann bei Casella Unterricht nahm, komponierte er im Stil von Gian Franceso Malipiero, dem Widersacher von Casella.» Der junge Rota ging nach Apulien, an das Liceo Musicale in Bari. Dort blieb er bis zu einem Lebensende. Rotas Musik ist einfach und klar verständlich, komplexe Harmonien sind ihm nicht fremd, aber selten bei ihm zu hören; ihm waren die neoklas- sizistischen Form- und Genre-Spiele eines Igor Strawinsky näher als die Zwölftonmusik Arnold Schönbergs. Seine Klaviermusik, allen voran die beiden Klavierkonzerte und die drei Symphonien bilanzieren Rotas aus heutiger Sicht eigensinni- ges, aber konsequentes Festhalten am Primat des Melodischen. 1962 kommt sein mächtiges Orato- rium «Mysterium» zur Uraufführung, ein Werk voll karger Schönheit und sicher seine avancierteste Komposition. Nostalgie, Optimismus, Humor: Nino Rotas musikalisches Vermächtnis. Konzert: Das 21st Century Symphony Orchestra spielt exakt zum 100. Todestag von Nino Rota am 3. Dezember 2011 zweimal Aus- schnitte aus seinen berühmtesten Film- musiken. Neben Auszügen aus seinen Filmmusiken zu «The Glass Mountain», «La Strada», «Amarcord», «Il Gattopardo» und natürlich «The Godfather» steht Musik seines italienischen Arbeitskollegen Ennio Morricone (u.a. «Once Upon a Time in the West», «The Good, The Bad and The Ugly»), sowie von Epigonen der italienischen Film- musik-Tradition, Nicola Piovani («La vita è bella»), Marco Beltrami («3:10 to Yuma») und Dario Marianelli («Atonement»). Ge- leitet werden das 21st Century Symphony Orchestra und der gleichnamige Chor von Ludwig Wicki. Luzern, Konzertsaal KKL, 3. Dezember 2011, 19.30 Uhr, und 4. Dezember 2011, 11.00 Uhr. Vorverkauf: 041 226 77 77 www.artproductions.ch CD-Empfehlungen: • The Film Music of Nino Rota Massimo Palumbo, Klavier. Chandos 9771 • Nino Rota: Two Piano Concertos. Massimo Palumbo, Klavier. I Virtuosi Italiani, Marco Boni. Chandos 9681 • Nino Rota Symphonie Nr 3. Filarmonica ´900 Del Teatro Regio Torino, Gianandrea Noseda. Chandos 10669 Sein künstlerisches Credo, unabhängig für wel- ches Medium er auch komponierte, blieb sein Leben lang denkbar einfach. «Also, wenn man mir sagt, dass mir in meinen Werke nur an ein biss- chen Nostalgie, viel Humor und Optimismus liegt, dann ist da mein Wunsch, dass man sich genau so an mich erinnert: mit ein bisschen Nostalgie, viel Optimismus und Humor.» Sven Ahnert

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Mehr als Fell inis Tonspur: Nino Rota zum 100. GeburtstagDas «Liebesthema» aus Francis Ford Coppolas Mafia-Epos «Der Pate» ist sein Jahrhundert-Hit geworden, ein sentimentaler Schlager, der ihm mit schlafwandlerischer Sicherheit fast nebenbei eingefallen ist. Diese Melodie hat einen guten Film unsterblich gemacht und darüber hinaus Mafia-Welt und Familienglück ein für alle Mal auf einen musikalischen Nenner gebracht. Vor allem aber ist Nino Rota mit den Filmen Fellinis verbunden, der sich an ihrer erste Begegnung er-innerte: «Vor den Studios Cinecittás bemerkte ich einen kleinen lustigen Mann, der an der falschen Strassenecke auf die Tram wartete. Er wirkte ein wenig zerstreut. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, mich um ihn zu kümmern und sagte, wir müssen uns beeilen, wenn wir die Bahn noch erwischen wollen. Er war sich aber absolut sicher, dass wir genau an der richtigen Stelle warten würden. Zu meiner Verwunderung hielt die Bahn eben genau da, wo wir standen.»Liebe auf den ersten Blick? Offenbar war Federico Fellini fasziniert von dem kleinen lustigen Mann, der seit 1933 Musik für die italienische Filmindus-trie komponierte. Aus der flüchtigen Begegnung wurde eine Freundschaft auf Lebenszeit, die 1952 mit dem Film «Lo sceicco bianco» ihren Anfang nahm und mit dem Tod Nino Rotas 1979 endete. Das Bild vom verträumten, in seine Musik versun-kenen Komponisten ist recht treffend, denn Rota bewegte sich fast wie ein Schlafwandler durch die märchenhaften Filmwelten Federico Fellinis. Sei-ne berührenden, fast naiv klingenden Melodien wie in «La Strada», aber auch die hemdsärmelige Zirkusmusik in «8 ½» trafen immer den Nerv von Fellinis Theaterwelt, in der quirlige Oberfläche und philosophische Reflexion dicht nebeneinander lie-gen und sich oft sogar bedingen. Nino Rota und Federico Fellini haben Filmge-schichte geschrieben mit Meisterwerken wie eben «La Strada», «La dolce vita» oder «8½». Alles Filme, die das moderne Italien nach 1945 in satirischer Weise nachzeichnen und ein melan-cholisches Zeitgefühl auf die Spitze treiben.Über die Machart der Filmmusik waren sich die beiden immer einig wie kaum ein zweites «Film-paar». Es musste nicht viel diskutiert werden: «Nino schert sich nicht so sehr um die genauen Szenen des Filmes, er hat einfach die S e e l e des Filmes erfasst, die er mit seiner Musik, seinen Melodien zum Ausdruck bringt», erinnerte sich Fellini. Kraftstrotzend und burlesk poltern Rotas Märsche los und führen das Kinopublikum in die Welt der Artisten, Gaukler, Schönen und Reichen, die wie Gefangene wirken, inmitten clownesken Geläch-ters, das ja immer auch Traurigkeit verbreitet. Ro-tas Musik bezirzt den Zuhörer durch ihre subtile Doppelbödigkeit, die Klamauk und Tragödie mit-einander verzahnt.

In «La Strada» etwa kann der Gegensatz kaum grösser sein zwischen der krachigen Zirkuswelt – als wärs ein Stück von Julius – und der pa-thetischen, schmerzvollen Prozessionsmusik der Gelsomina. Am Grabe seiner Frau Guilietta Masina liess Fellini Musik von Nino Rota spie-len, so sehr war ihm der Rota‘sche Klang zur Familienangelegenheit geworden: «Am wert-vollsten, und das sage ich ohne zu zögern, war die Zusammenarbeit mit Nino Rota. Zwischen uns herrschte absolute Harmonie. Wenn ich um Melodien für bestimmte Filmszenen fragte, merkte ich, dass er sich überhaupt nicht mit Bil-dern oder Dialogen beschäftigte. Er hatte seine eigene, innere Welt, die ohne die äussere Wirk-lichkeit auskam.»

Zwischen allen StühlenNeben seinen gut 150 Filmkompositionen war Nino Rota ein ebenso produktiver Komponist für das Konzertleben. Aus dem Wunderkind, das mit zwölf Jahren das Oratorium «Die Kindheit Johan-nes des Täufers» zu Papier brachte, entwickelte sich in den 1930er-Jahren eine eigenwillige Mu-sikerpersönlichkeit. Rota war ein Komponist, der zwischen allen Stühlen sass. Zum einen begann er für das Medium Film zu schreiben, zum ande-ren war er ein Komponist, der den ästhetischen Traditionen des 19. Jahrhunderts folgte und der musikalischen Moderne gegenüber skeptisch ein-gestellt war. Auf Empfehlung von Arturo Toscanini bekam der hoch begabte Nino ein Stipendium und studierte am renommierten Curtis Institute in Philadelphia. 1932 kehrt er nach Italien zurück, vertiefte sein Wissen bei Alfredo Casella und Ildebrando Piz-zetti, beides die tonangebenden Komponisten die-ser Zeit in Italien. Er narrte seine Lehrer, erinnerte sich seine Mutter später: «Bei Pizzetti klang seine Musik wie die von Alfredo Casella, als er dann bei Casella Unterricht nahm, komponierte er im Stil von Gian Franceso Malipiero, dem Widersacher von Casella.» Der junge Rota ging nach Apulien, an das Liceo Musicale in Bari. Dort blieb er bis zu einem Lebensende. Rotas Musik ist einfach und klar verständlich, komplexe Harmonien sind ihm nicht fremd, aber selten bei ihm zu hören; ihm waren die neoklas-sizistischen Form- und Genre-Spiele eines Igor Strawinsky näher als die Zwölftonmusik Arnold Schönbergs. Seine Klaviermusik, allen voran die beiden Klavierkonzerte und die drei Symphonien bilanzieren Rotas aus heutiger Sicht eigensinni-ges, aber konsequentes Festhalten am Primat des Melodischen. 1962 kommt sein mächtiges Orato-rium «Mysterium» zur Uraufführung, ein Werk voll karger Schönheit und sicher seine avancierteste Komposition.

Nostalgie, Optimismus, Humor: Nino Rotas musikalisches Vermächtnis.

Konzert:Das 21st Century Symphony Orchestra spielt exakt zum 100. Todestag von Nino Rota am 3. Dezember 2011 zweimal Aus-schnitte aus seinen berühmtesten Film-musiken. Neben Auszügen aus seinen Filmmusiken zu «The Glass Mountain», «La Strada», «Amarcord», «Il Gattopardo» und natürlich «The Godfather» steht Musik seines italienischen Arbeitskollegen Ennio Morricone (u.a. «Once Upon a Time in the West», «The Good, The Bad and The Ugly»), sowie von Epigonen der italienischen Film-musik-Tradition, Nicola Piovani («La vita è bella»), Marco Beltrami («3:10 to Yuma») und Dario Marianelli («Atonement»). Ge-leitet werden das 21st Century Symphony Orchestra und der gleichnamige Chor von Ludwig Wicki.

Luzern, Konzertsaal KKL, 3. Dezember 2011, 19.30 Uhr, und 4. Dezember 2011, 11.00 Uhr. Vorverkauf: 041 226 77 77 www.artproductions.ch

CD-Empfehlungen:• The Film Music of Nino Rota Massimo

Palumbo, Klavier. Chandos 9771• Nino Rota: Two Piano Concertos. Massimo Palumbo, Klavier. I Virtuosi

Italiani, Marco Boni. Chandos 9681• Nino Rota Symphonie Nr 3. Filarmonica

´900 Del Teatro Regio Torino, Gianandrea Noseda. Chandos 10669

Sein künstlerisches Credo, unabhängig für wel-ches Medium er auch komponierte, blieb sein Leben lang denkbar einfach. «Also, wenn man mir sagt, dass mir in meinen Werke nur an ein biss-chen Nostalgie, viel Humor und Optimismus liegt, dann ist da mein Wunsch, dass man sich genau so an mich erinnert: mit ein bisschen Nostalgie, viel Optimismus und Humor.»

Sven Ahnert