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Die Essenz des tiefgründigen Pfades Eine tägliche Praxis über den Buddha des Großen Mitgehls (Mahākaruṇa) in der Erscheinungsform des Herrn der Welt (Lokeśvara) nach der Überlieferung aus den Reinen Visionen des Fünſten Dalai Lama Verfasst von [Dzongsar] Khyentse Wangpo 1 Übersetzt aus dem Tibetischen von Christof Spitz anlässlich der Initiaton durch S.H. Dalai Lama in Hamburg 2014 1 [rDzong gsar] mKhyen brtse’i dbang po (1820-1892): Thugs rje chen po ’jig rten dbang phyug gi rgyun khyer Zab lam snying po. In: gSung ’bum mkhyen brtse’i dbang po. TBRC W2180⒎13: 197-20⒈ Gangtok: Gonpo Tseten, 1977-1980.

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Page 1: Meditationstext zu Mahakaruna Lokeshvara · 7Dies ist das Einhundert-Silben-Mantra von Vajrasattva. Entnommen aus Ges-he Thubten Ngawang: „Die Reinigungspraxis von Vajrasattva.“

Die Essenz des tiefgründigen Pfades

Eine tägliche Praxis überden Buddha des Großen Mitgefühls (Mahākaruṇa)

in der Erscheinungsform des Herrn der Welt (Lokeśvara)

nach der Überlieferung aus den Reinen Visionendes Fünften Dalai Lama

Verfasst von [Dzongsar] Khyentse Wangpo1

Übersetzt aus dem Tibetischen von Christof Spitzanlässlich der Initiaton durch S.H. Dalai Lama in Hamburg 2014

1[rDzong gsar] mKhyen brtse’i dbang po (1820-1892): Thugs rje chen po ’jig rten dbangphyug gi rgyun khyer Zab lam snying po. In: gSung ’bum mkhyen brtse’i dbang po. TBRCW2180⒎13: 197-20⒈ Gangtok: Gonpo Tseten, 1977-1980.

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Mahākaruṇa Lokeśvara

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Meditation von Mahākaruṇa Lokeśvara 1

Die Essenz des tiefgründigen PfadesEine tägliche Praxis des Großen Mit ühlendenHerrn der Welt (Mahākaruṇa Lokeśvara)

Namo Guru Lokeśvarāya – Verehrung dem Guru Lokeśvara!2

Die regelmäßig zu übende, zusammengefasste essenzielle Yoga-Praxis desMahākaruṇa-Lokeśvara, die aus den Versiegelten Reinen Visionen3 überliefert ist, besteht aus dreiTeilen:

⒈ Vorbereitungen,⒉ Hauptteil,⒊ Abschluss.

1. Die Vorbereitungen

1.1. Zufluchtnahme

Von heute an bis zum Erwachen nehmen ich und allen anderen Lebe-wesen Zuflucht zum Lama [und] den Drei Wurzeln [Buddha, Dharmaund Saṅgha]. Um die vollendete Buddhaschaft zumWohle der anderenzu erlangen, erzeuge ich die Geisteshaltung, die danach strebt, Lokeśva-ra zu verwirklichen. (3x)

2Die kleingedruckten Einfügungen sind Anmerkungen des Autors. Nur die nor-malgroß gedruckten Textpassagen werden reziert. Zur Aussprache der Sanskrit-Buchstaben siehe Anhang.

3Die Überlieferung einer Reihe von tantrischen Meditationen des „Großen Fünften“Dalai Lama Ngawang Lobsang Gyatso, 1617-168⒉

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2 Praxistext

1.2. Vertreibung von Hindernissen und Visualisationdes Schutzkreises

Hrīḥ – Ich werde zu Hayagrīva, mit einer Knochenkeule [in der rech-ten Hand] und [die linke Hand in] der Bedrohungsgeste. Ein Meervon zornvollen Flammen strömt aus meinem Herzen; es verbannt allehindernden, bösen Geister, störenden Kräfte und Dämonen und ver-wandelt sich in ein Schutzzelt aus Vajras.oṃ vajra krodha hayagrīva hulu hulu hūṃ phaṭ ‒ Die schädlichen Dämo-nen [verschwinden]!ucattāya phaṭ – oṃ vajra cakra jvala raṃ hūṃ bhrūṃ hūṃ

(Wenn man tatsächliche Opfergaben aufgestellt hat, segnet man diese:)

raṃ yaṃ khaṃ ‒ Die Silben raṃ yaṃ khaṃ, die aus meinen Herzenströmen, reinigen die äußeren, inneren und geheimen Opfergaben vonallen Unreinheiten, Fehlern und Mängeln. Dadurch werden sie zu ei-nem Schatz so unerschöpflich wie der Raum. – oṃ āḥ hūṃ

2. Der Hauptteil

2.1. Hervorbringung der vorgestellten Gottheit

Oṃ ‒ Die Selbsterkenntnis der Unteilbarkeit von Leerheit und Mitge-fühl [erscheint als die Silbe] hrīḥ. Aus ihr strömen Strahlen und Trop-fen von Licht. [Daraus entsteht], auf den fünf Elementen,4 aus der Sil-be bhrūṃ ein himmlischer Palast spontaner Glückseligkeit. Er ist qua-dratisch, hat vier Portale und vier Torbögen, mit fünffachen Mauern,

4Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum.

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Meditation von Mahākaruṇa Lokeśvara 3

aus Ziegeln, die mit endlosen Knoten verziert sind. Diese Mauern sindgeschmückt mit halbmondförmig herabhängend Perlenketten, Simsen,Balustraden und einem Dachgewölbe. Das Vajra-Schutzzelt strahlt vondem Feuerlicht der ursprünglichen Weisheit. [Dieser Palast] ist umge-ben von den acht Leichenstätten.In seiner Mitte, auf der Blütenkrone und den Blättern einer vierblätt-rigen Lotosblüte, auf jeweils einer vollen Mondscheibe, erscheint meineigener Geist in der Gestalt der weißen [Silbe] hūṃ, der blauen bhrūṃ,der gelben oṃ, der roten jriṃ und der grünen khaṃ, [und dazu in Ge-stalt der Silben] jaḥ, hūṃ, baṃ und hoḥ an den vier Toren in derenjeweiliger Farbe.Sie verwandeln sich und so werde ich selbst im Blütenzentrum der Lo-tosblume zu Akṣobhya-Lokeśvara, der strahlend weiß ist und liebevolllächelnd mit beiden Augen auf die Lebewesen schaut. Mein Haar ist zueinem Knoten gebunden; das übrige Haar hängt herab. Mit der rechtenmeiner beiden Hände zeige ich die Geste des höchsten Gebens, währenddie linke auf der Hüfte abgestützt ist. Ich bin mit Juwelen geschmücktund in Seide gekleidet. Mit den beiden Beinen und aneinandergelegtenFüßen stehe ich aufrecht.Im Osten befindet sich der blaue Vairocana-Lokeśvara; im Süden derder gelbe Ratnasambhava-Lokeśvara; im Westen der rote Amitābha-Lokeśvara; im Norden der grüne Amoghasiddhi-Lokeśvara. Alle glei-chen der Hauptgottheit in Bezug auf Schmuck, Kleidung und Hand-gesten.An den vier Portalen befinden sich auf Mondkissen die vier Göttin-nen; ihre Körper sind weiß, gelb, rot und grün. Ihr Haar ist zu einemKnoten gebunden. Sie sind mit Juwelen geschmückt und tragen seide-ne Kleidung. In ihren [rechten] Händen halten sie einen Eisenhaken,

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4 Praxistext

ein Fangseil, eine Eisenkette und eine Glocke. Ihre linken Hände for-men die Bedrohungsgeste. Ihre beiden Beine sind in der Haltung derBereitschaft zu gehen.[Alle Gottheiten] sind gekennzeichnet mit den drei Vajra-Silben [oṃāḥ hūṃ]. Aus diesen strömen Lichtstrahlen, um die Weisheitsweseneinzuladen.

2.2. Einladung der Weisheitswesen, Bitte um Verweilen,Verehrung, Dabringung von Opfergaben undLobpreisung

Hṛīḥ – Aus dem natürlich reinen göttlichen Bereich, o Lokeśvara, Gott-heit des Mitgefühls, komme hierher und verweile als eins [mit mir]!Dich ehre ich mich mit Körper, Rede und Geist; die äußeren, innerenund geheimen Gaben bringe ich dir dar; ich bitte dich, verleihe mir diehöchsten und die gewöhnlichen Verwirklichungen!oṃ lokeśvara samaya ja jaḥ – oṃ vajra samaya tiṣṭhantu – namo pu-ruṣāyahoḥ – oṃ āḥ hūṃ vajra puṣpe dhūpe āloke gandhe naividyā śabdapūjaḥ hoḥ – sarva paṇca amṛta rakta balinta khā hihrīḥ – Nachdem du zuerst die Geisteshaltung erzeugt hast, die nach demvollkommenem Erwachen strebt, bewirkst du durch die Kraft deinerWunschgebete das Wohl der Lebewesen. Dich zu sehen, zu hören oderim Geist zu vergegenwärtigen befreit von allen Leiden. Vor dir, edlerAvalokiteśvara, verneige ich mich!

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Meditation von Mahākaruṇa Lokeśvara 5

2.3. Rezitation des Mantra

Hrīḥ – In diesem reinen, selbst-entstandenen göttlichen Palast [bin ich]die Gottheit des großen Mitgefühls. Als Körper des Vollkommenen Ge-nusses (sambhoga-kāya) erscheine ich in vielfältigen Gestalten und Aus-drucksformen. Von mir als Gottheit erklingen die Laute [des Mantrasaus dem Zentrum] der Lebenskraft in ihrem Herzen, und von ihremunerschütterlichen Herzen strahlt Licht aus. Indem es hinausgeht, be-wirkt es das Heil der Lebewesen; indem es zurückkommt, bringt es denEssenzgehalt der Verwirklichungen zu mir zurück. Solange ich nicht dieAnzeichen [der spirituellen Erfahrung] erlebe, will ich nicht aufhören[so zu meditieren und das Mantra zu rezitieren].(Betrachte diese Visualisation als lebendige Essenz der überlieferten Praxis und wie-derhole mit einsgerichteter Konzentration das sechssilbige Mantra:)

oṃ maṇi padme hūṃ(Wenn man möchte, kann man das jeweilige Mantra [der übrigen Gottheiten] nachder Art und Weise rezitieren, wie es im Ritualtext angegeben ist.)

3. Abschluss

3.1. Bereinigung von Fehlern(Bevor man sich aus der Meditationssitzung erhebt, rezitiert man die Vokale und Kon-sonanten [des Sanskrit-Alphabets] sowie das Mantra des Abhängigen Entstehens,um dadurch Auslassungen oder Hinzufügungen bei der Mantra-Rezitation auszuglei-chen:)5

5Der in eckigen Klammern gesetzte Text in diesem Abschnitt ist im Text nicht explizitaufgeführt. Er wurde teilweise aus anderen Ritualtexten eingefügt.

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6 Praxistext

[ (Vokale:) oṃ a ā i ī u ū ṛ ṝ ḷ ḹ e ai o au aṃ aḥ svāhā(Konsonanten:) oṃ ka kha ga gha ṅa | ca cha ja jha ña | ṭa ṭha ḍa ḍha ṇa |ta tha da dha na | pa pha ba bha ma | ya ra la va | śa ṣa sa ha kṣa svāhā(Mantra der Essenz des Abhängigen Entstehens:) oṃ ye dharmā hetuprabha-vā | hetuṃ teṣāṃ tathāgato hyavadat | teṣāṃ ca yo nirodha | evaṃ vādīmahāśramaṇaḥ svāhā(Bedeutung: „Alle Erscheinungen entstehen aus Ursachen. Ihre Ursache hat der Voll-endete gelehrt, und ebenso, wie sie zu Ende gehen. Ein solcher Verkünder war derGroße Bettelmönch.“)](Dann bringt man mit dem gleichen Mantra wie zuvor6 Opfergaben und Lobpreisungdar:)

[ namo puruṣāya hoḥ – oṃ āḥ hūṃ vajra puṣpe dhūpe āloke gandhe naividyāśabda pūjaḥ hoḥ ]

(Dann bereinigt man die Fehler [bei der Rezitation] mit dem Einhundert-Silben-Mantra:)

[ oṃ vajrasattva-samayam | anupālaya vajrasattva-tveno-patiṣṭha dṛḍhome bhava | sutoṣyo me bhava | supoṣyo me bhava | anurakto me bhava |sarva-siddhiṃ me prayaccha | sarva-karma suca me | cittaṃ śreyaḥ kuruhūṃ | ha ha ha ha hoḥ bhagavan | sarva-tathāgata | vajra mā me muñca |vajrī bhava mahā-samaya-sattva | āḥ hūṃ phaṭ ]7

6Abschnitt ⒉27Dies ist das Einhundert-Silben-Mantra von Vajrasattva. Entnommen aus Ges-he Thubten Ngawang: „Die Reinigungspraxis von Vajrasattva.“ (Übers. ausdem Tibetischen von Christof Spitz). In: Tibet und Buddhismus Heft 58, 200⒈[http://www.tibet.de/fileadmin/pdf/tibu/2001/tibu058-2001-08-tn-reinigung.pdf ]In dem Artikel findet sich im Rahmen einer Meditationsanleitung zu Vajrasattvaauch eine Wort-für-Wort-Erklärung des Mantras.

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Meditation von Mahākaruṇa Lokeśvara 7

3.2. Auflösung der Visualisation

hrīḥ – Das gesamte Universum mit allen Bewohnern löst sich auf inden göttlichen Palast. Dieser löst sich auf in die begleitenden Gotthei-ten, und diese verschmelzen mit der Hauptgottheit. Die Hauptgottheitlöst sich auf in die objektlose Leerheit. Daraus entstehe ich erneut soleuchtend und transparent wie ein Regenbogen.

3.3. Widmungsgebet

Mögen durch dieses Heilsame alle Lebewesen, deren Welten so weitreichen wie der Raum, von den beiden Hindernissen [für die Befreiungund für die Allwissenheit] mit allen ihren Wirkungen sämtlich gerei-nigt werden. Mögen sie dadurch die Ebene des Großen Mitfühlenden[Mahākaruṇa] verwirklichen und so das eigene Heil und das der ande-ren in jeder Weise bewirken.

3.4. Glückverheißende Gebete

Großer Mitfühlender, du bist untrennbar eins mit [den Drei Buddha-Körpern]: als Dharmakāya bist du Amitābha, als Sambhogakāya Lo-keśvara, als Höchster Nirmāṇakāya [König] Songtsen Gampo.8 Mögensich dein Glück und dein Segen in alle Richtungen und Zeiten ver-breiten!

8Songtsen Gampo (Srong-btsan sGam-po) war in der ersten Hälfte des ⒎ Jahrhundertsder erste von drei „Dharma-Königen“. Unter seiner Herrschaft wurde Tibet zu einerGroßmacht in Zentralasien, er führte die tibetische Schrift ein und leitete in Tibet dieerste Verbreitung des Buddhismus aus Indien und allgemein eine kulturelle Blütezeitein. In Tibet gilt er als eine Inkarnation von Avalokiteśvara / Mahākaruṇa.

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8 Praxistext

(Nach dieser Rezitation übt man die [übliche] Praxis für die Zeit zwischen den Me-ditationssitzungen.)Kolophon: Dieser [Meditationstext] wurde verfasst, um eine angenehme Praxis zuermöglichen, in Ergänzung zur Vajrarede [des Großen Fünften Dalai Lama], vonKhyentse Wangpo, dem hingebungsvollen Diener zur Freude des lotosgeborenen Gu-ru. Möge alles gut und heilsam sein.⒞ 2014 Deutsche Übersetzung aus dem Tibetischen von Christof Spitz anlässlichder Initiation in die Gottheit Lokeśvara aus der Überliefung des Fünften Dalai Lamadurch S.H. den⒕Dalai Lama in Livorno im Juni 2014 und in Hamburg im August20⒕Der deutsche Übersetzer dankt dem englischen Übersetzer Tenzin Tsepag dafür,dass er seine Übersetzung zur Verfügung gestellt hat.

Anhang

Das Nehmen des Bodhisattva-GelübdesIm folgenden findet sich ein kurzes Ritual, um nach Wunsch selbst das Bodhisattva-Gelübde zu nehmen, wenn man es einmal vor einem Lehrer abgelegt hat. Nachdemman den Raum gesäubert und die Opfergaben auf dem Altar dargebracht hat, machtman drei Verbeugungen und rezitiert in der Demutshaltung (in der Hocke) die Sie-benteilige Verehrung und spricht dann man mit gefalteten Händen das Nehmen desBodhisattva-Gelübdes. Abschließend folgen wieder drei Verbeugungen, und dannsetzt man sich in Meditationshaltung und beginnt mit seiner täglichen Praxis.

Siebenteilige Verehrung„Alle Güter, die materiellen und vom Geist geschaffenen, opfere ich. Al-le unheilsamen Handlungen und Übertretungen, die ich seit anfangslo-sen Zeiten begangen habe, bereue ich. An den Tugenden der höherenund gewöhnlichen Wesen erfreue ich mich. [Ihr Buddhas], bitte drehtdas Rad des Dharma zum Wohle der Lebewesen, indem ihr bis ans En-de des Daseinskreislaufs wohl verweilt. Meine Verdienste und die deranderen widme ich dem vollendeten Erwachen.“

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Meditation von Mahākaruṇa Lokeśvara 9

Das Annehmen des Bodhisattva-Gelübdes„Oh Gurus, Buddhas und Bodhisattvas, bitte schenkt mir eure Aufmerk-samkeit! So wie die früheren Sugatas das Streben nach dem Erwachenentwickelt haben und der Reihe nach in den Schulungen der Bodhi-sattvas verweilten, so will auch ich, um den Nutzen der Lebewesen zubewirken, das Streben nach dem Erwachen entwickeln und die Schu-lungen der Bodhisattvas der Reihe nach üben.“ (3x)

Abschließende Freude und Vorsatz der Achtsamkeit„Nun hat mein Leben Frucht getragen: Ich habe das menschliche Da-sein wohl erlangt; ich bin heute in der Familie der Buddhas geborenund zu einem Kind der Buddhas geworden. Von nun an will ich in allemim Einklang mit dieser Familie handeln und mich so verhalten, dass ichdiese edle, makellose Familie nicht beschmutze.“

Aussprache der Sanskrit-Silben

Die Sanskrit-Mantras werden in tibetischen Texten im Original und inder Regel ohne Übersetzung übernommen (aber mit tibetischen Buch-staben transliteriert). Im deutschen Text werden sie in der internationalüblichen Schreibweise transliteriert. Für die Aussprache gelten folgen-de vereinfachte Regeln:Die Vokale a, i, u werden wie im Deutschen gesprochen. Es gibt je-doch eine Unterscheidung zwischen langen und kurzen Vokalen; einDehnungsstrich über dem Vokal zeigt dessen Längung an: kurzes awie in Wache, aber langes ā wie in Wagen; kurzes i wie in Tipp, aberlanges ī wie in Sieb; kurzes u wie in Wurm, aber langes ū wie in Wut.

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10 Praxistext

Die Vokale e und o werden stets gedehnt gesprochen (wie in Leben, Ro-se). Zusätzlich gibt es die Vokale ṛ und ḷ, die mit der Zunge unter demGaumen gebildet werden, auch sie können gedehnt werden: ṝ (selten)und ḹ (kommt praktisch nicht vor).Die Konsonanten werden wie geschrieben gesprochen; Besonderheitensind: ṅ wird nasaliert und ähnlich wie in ng etwa wie in Zange gespro-chen, c immer wie tsch (niemals wie k!), j wie dsch, ñ wie nj (wie inDonja), y wie deutsches j, ś (palatal) und ṣ (retroflex) wie sch, s ist einstimmloses (scharfes) s, v wie w, also: Vajrasattva wie Wadschrasattva,Lokeśvara wie Lokeschwara. Im Sanskrit wird bei konsonantischen Lau-ten zwischen palatalen Lauten (Zunge liegt flach unter dem Gaumen)und retroflexen Lauten (Zunge wird unter dem Gaumen nach hinteneingerollt) unterschieden. Die retroflexen Konsonanten werden mit ei-nem Punkt unter dem Buchstaben transliteriert (ṭ, ṭh, ḍ, ḍh, ṇ und ṣ).Außerdem wird bei einigen Konsonanten zwischen unaspirierten (un-gehauchten) und aspirierten (gehauchten) Varianten unterschieden. Indiesen Fällen wird der Unterschied in der Transliteration durch einfehlendes bzw. zusätzlich vorhandenes h wiedergegeben (ka und kha, gaund gha, ca und cha, ja und jha, pa und pha, ba und bha). ṃ ist einZeichen für einen nasalierten Laut ähnlich wie ng, ḥ steht für einendeutlichen Hauch im Auslaut eines Wortes bzw. einer Silbe.