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Marie Conrad Diana ngiyaw eBooks n

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Marie ConradDiana

ngiyaw eBooksn

Als Vor lage diente:

Marie Conrad-RamloDiana

aus: Marie Conrad, HelldunkelE. Pierson Verlag, Dresden und Leipzig, 1892

Illustration: Lê Huy Hòa - The Lady and the Tiger - Hovathn

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Marie ConradDiana

1. Es war ein schönes, trauliches Künstlerheim, das der berühmte Maler Oskar Zobel den Sei-nen hinterließ, als er von dieser Welt scheiden mußte. Draußen in Charlottenburg stand das reizende Haus, innen und außen von raffinier-tem und doch einfach scheinendem Ge-schmack. Nur ein wirklicher Künstler konnte so ein Haus schaffen, so vornehm, so von ei-genartigem Zauber erfüllt. Und wie war dieses Heim von den Seinen geliebt und geehrt, wie waren sie alle stolz auf den Ruf, die zaube-rischsten und stilvollsten Räume von ganz Ber-lin ihr eigen zu nennen!

Einen wirklichen Altar, heilig seiner Erinne-rung geweiht, hatte dem Dahingegangenen, trotz aller Liebe und Sorgfalt für die Seinen,

nur seine ältere Tochter Diana in ihrem Her-zen errichtet. Er war im Leben der einzige Freund, der einzige Vertraute des stolzen Mädchens gewesen. Die leidenschaftliche Lie-be, die sie für einander hatten, der tiefe Ernst in Dianas Charakter ermöglichten es beiden, sich zu verstehen in allen Lagen des Lebens, trotz der Verschiedenheit ihres Alters.

Diana kannte die Trostlosigkeit seines eheli-chen Lebens. Sie wußte, daß ihre Mutter, die Oskar Zobel in seiner Jugend aus Italien mitge-bracht, ihrem teuren Vater nur ein Weib war, welches einst seine Sinne gefangen nahm, da sie schön gewesen wie eine Huri, aber daß sie ihm nie eine Lebensgefährtin sein konnte, so edel, stolz, so von selbstloser Liebe erfüllt, wie dieser sich einst sein Weib geträumt und wie er es verdient hätte.

Wie bemühte sich Diana, alles, was sie an holdweiblichem besaß, ihrem Vater zu weihen, der es in seiner Ehe so schmerzlich vermißte. Dort oben im Atelier arbeiteten sie mitsam-men, dort war ihre gemeinsame Welt, ihr ge-meinsames Glück. Hinunter in die Wohnung kamen sie nur zur Tisch- und Schlafenszeit.

Rosina Zobel, die Frau des Hauses, saß ge-wöhnlich phlegmatisch und faul im Lehnstuhl, naschte Bonbons oder kandierte Früchte, las manchmal ein wenig, natürlich höchst ober-flächliche Lektüre, Liebesgeschichten mit er-freulichem Schluß oder Modeberichte oder »Lokales.«

Manchmal ließ sie sich von ihrer jüngeren Tochter Fanny ihr üppiges dunkles Haar frisie-ren, jetzt noch das einzige reizvolle ihrer gan-zen Erscheinung, denn alles übrige hatte sich im Laufe einiger Jahre recht zum Nachteil ver-ändert. Die Perlenzähne waren schlecht ge-worden, der Körper dick und schwammig, die Augen, früher naiv weit geöffnet, nun ein we-nig einfältig glotzend, das Ganze ein Bild na-menloser Gleichgültigkeit, Genußsucht und Faulheit.

Obwohl Italienerin von Geburt, sprach sie das Deutsche mit etwas Berliner Dialekt recht geläufig. Ihr Stolz war die Berühmtheit ihres Mannes und die Schönheit ihrer Töchter.

Ihre ältere Tochter Diana liebte sie zwar nicht sehr; »sie ist so kalt, so herzlos und hochmütig, sie denkt nur an sich,« so sagte

Frau Zobel, »aber sie ist schön, beinahe so schön wie ich in meiner Jugend war.«

Für die kleine süße Fanny jedoch fühlte sie so viel Mutterliebe, als man überhaupt in schläfrigem, gedankenlosem Dahindämmern fühlen kann. Ach, und Fanny konnte so gut fri-sieren! Das süße Krabbeln ihrer kleinen Finger auf dem Kopfe, das den ganzen Körper er-schauern machte, war nebst dem Naschen Frau Rosinas größte Wonne. Die kleine Schmeichel-katze Fanny wußte das recht gut. Manchmal wenn sie gerade einen sehr dringenden Wunsch hatte, setzte sie die Manipulation auf dem Kopfe ihrer Mutter lange, lange fort, im-mer plaudernd, bittend, scherzend, und nach einiger Zeit hatte sie die Zusage der Mutter, denn in diesem Zustande konnte diese ihrer »Bellilla carissima« keinen Wunsch versagen.

Überhaupt »Fanny Zobel«, welch eine Fülle von Unwiderstehlichkeit verband sich mit die-sem Namen! Wie wurde das kleine Ding von allen, die sie kannten, verhätschelt und um-schwärmt! Was durfte sie sich alles allen ge-genüber erlauben! Selbst kleine Unarten wur-den reizend gefunden. Und wie beglückten ih-re Schmeicheleien, deren sie eine große Menge

für jedermann bereit hatte, wenn sie es auch mit der Aufrichtigkeit nicht sehr genau nahm, wie ergötzten ihre Neckereien, die oft gar nicht einmal sehr taktvoll waren. Allein das reizende Geschöpf war »in der Mode« sozusa-gen, man nahm alles hin, wie von einem Göt-terkind.

Auch ihr Vater liebte sie zärtlich, obwohl sie zu nichts ernsthaftem zu gebrauchen war; er liebte sie, wie man eben ein unmündiges Kind liebt, das einen nicht versteht. Es mischte sich in seine Liebe ein Gefühl von Mitleid.

»Ach, man verwöhnt sie,« klagte er oft Dia-nen gegenüber. »Dies Schmeicheln, dies Ver-göttern, dies Ansäuseln schadet dem Mädchen. Sie lernt keine Selbstschätzung, denn sie lernt sich überschätzen, es ist eine holde Lerchen-seele, für den Ernst des Lebens nicht gemacht; wie soll sie einst, wenn es irgend einen Kampf gilt, ihn siegreich bestehen?

Und mit Kummer im Angesicht faßte er ein-mal Dianas Hand.

»Diana, mein liebes Kind, sie nennen Dich kalt, weil Du zurückhältst mit Deinen Empfin-dungen den gleichgültigen Fremden gegen-über, sie nennen Dich hochmütig, weil Du stolz

bist, sie sagen Du hättest kein Herz, weil Du mehr nach innen lebst, als nach außen. Ich weiß, welch’ übervolles Herz Du hast. Ich ken-ne Dich. Verlaß Deine Schwester nicht, wenn ich einst tot bin. Arm und haltlos wäre ihr Le-ben fortan, wenn sie Deiner Liebe, Deines Schutzes entbehrte! Du weißt, die Mutter mit ihrer krankhaften Apathie —«

»Krankhaft« nannte er die Gleichgültigkeit, die grenzenlose Faulheit ihrer Mutter, wie um sie den Töchtern gegenüber zu entschuldigen.

Da versprach Diana mit tiefem Ernst, für das Kind zu sorgen wie eine Mutter, und wie sie immer für sie gesorgt. Hatte sie nicht schon die Kindheit der um fünf Jahre jüngeren Schwester leise und unbemerkt geleitet? Erst in der letzten Zeit wurde der leichtlebigen, lu-stigen Fanny die Gesellschaft Dianas langweilig und sie ging nun so ziemlich emanzipiert ihren eigenen Weg. Diana jedoch bewahrte dem hol-den Kinde eine unbegrenzte, wenn auch un-ausgesprochene Zärtlichkeit: denn Diana hatte nicht die Gabe, welche Fanny so reichlich be-saß, ihre Empfindungen mit Gepränge zur Schau zu stellen. Es schien, als ob sie gerade

für tiefe Empfindungen am wenigsten Worte hätte.

»Thaten beweisen, nicht Worte!« lächelte oft Diana, wenn Fanny sich so überschwänglich gab.

Als der Vater starb, ganz erschreckend plötzlich, obwohl lange vorher von Ahnungen feines nahen Endes gequält, stand Diana bleich, thränenlos an der Bahre. Man ließ sie mit ihm allein. Lange, lange starrte sie in sein Gesicht, als wollte sie seine Züge in ihr Ge-dächtnis graben für immer. Dann flüsterte sie: »Vater!« Sie schwieg beklommen, als warte sie auf Antwort. Nach einer Weile begann sie wie-der: »Vater! ich möchte Dir gerne folgen, ich möchte dahin gehen, wo Du bist, denn Dein Wesen war mein Glück, Deine atmende Künst-lerseele mein Leben. Alles ist nun aus. Mein Leben ist abgeschlossen mit dem Deinen. Alles, was sonst für die Menschen Leben heißt, ist für mich nicht vorhanden, denn ich bin ein ver-stümmeltes Menschenkind.« Sie schwieg eine Zeitlang, in Betrachten versunken. »Vater, ich bleibe hier zurück, weil Du es willst, nur des-halb; weil ich Dir gelobt, Fannys Mutter zu sein, für sie zu sorgen und sie zu beschützen!«

2. Das Trauerjahr mit seinem nervösen Schmerz, seinen Thränen, die anfangs unversiegbar schienen, war vorüber.

Frau Rosina Zobel, die während der letzten Zeit ihre verschiedenen Lehn- und Schaukel-stühle nicht mehr so behaglich gefunden, so-gar manchmal statt in einem Journal, im Ge-betbuch geblättert hatte, gewann nun allmäh-lich ihre vorige Seelenruhe wieder.

Gesellschaften, wenn auch nur kleine, wur-den veranstaltet, Besuch geladen, denn es wä-re doch sonst gar zu langweilig gewesen.

Fanny mußte natürlich auch wieder tanzen, und dann konnte man sich überhaupt nicht von aller Welt abschließen, schon der Mäd-chen wegen, die nach und nach ans heiraten denken mußten, namentlich Diana, die ihr zweiundzwanzigstes Jahr vollendet hatte.

»Einen Künstler! Nur einen Künstler! Keinen anderen Menschen sollen sie mit meinem Wil-len heiraten,« sagte die Italienerin. »Um kei-nen Preis einen anderen!« Frau Rosina Zobel

würde sich zum erstenmale seit langer Zeit zu energischem Widerstand gezwungen fühlen, wenn es anders käme. Wie der Vater ein »Pit-tore« gewesen, so sollte es auch ihr einstiger Schwiegersohn sein. Maler waren nun einmal ihre Passion. Berühmte und reiche, natürlich, oder die es bestimmt zu werden versprachen.

»Ich habe eine Ahnung, Diana ist so boshaft und verliebt sich in einen anderen. Die thut ihrer armen Mutter zu Liebe überhaupt nichts! Ich würde mich aber widersetzen bis aufs letz-te, ja das würde ich,« redete sie sich in den Zorn hinein, »ich würde sie verstoßen!«

Diana lebte still dem Andenken des teuren Vaters und der Sorge um Fanny.

Diese flatterte wieder lustig umher, schmei-chelte, koste, lachte, sang. Da, auf einmal wur-de das Lerchen-Seelchen ruhig, ernst, bleich, dann nervös, es wußte sich nicht mehr zu hel-fen. Verliebt!

Zur Mutter gehen? Nein, diesmal, das wußte sie, würde sie auf Widerstand stoßen. Fanny konnte sich nicht recht vorstellen, wie die Mutter sich etwas ernsthaftem gegenüber ge-bahren würde. Zu Diana gehen? Ihr alles ver-trauen? Nein, die ist zu kalt, die würde sie erst

recht nicht verstehen, sie am Ende verspotten. Verzweifeln! Ja, das ist das einzige, das mußte sie thun! Es blieb nichts anderes übrig? — — Schrecklich! Diana saß im Atelier, in ihrem »Heiligtum.«

und malte. Der trauliche Raum war ausgestat-tet mit reichen Luxusschätzen aus vielen, vie-len Ländern. Da lagen Felle von seltenen, exo-tischen Tieren. Teppiche, Vorhänge, die sich Oskar Zobel selbst aus Persien oder Indien mitgebracht, reiche Gefäße, die er in Grie-chenland, Rom oder Paris gekauft, ebenso Waf-fen, Geräte, Instrumente. »Stimmungshelfer« nannte er’s.

All’ dieser Schmuck half ihm bei der Arbeit; nichts war des bloßen Zierrats halber da. Die Malereitelkeit, ein prunkvolles Atelier als Schaustück fürs Publikum und als Reklame zu besitzen, belächelte er. Hier hatte alles seinen idealen Zweck.

Als der Vater gestorben war, hütete Diana jede Kleinigkeit wie ein kostbares Juwel, un-verrückt stand alles da, wie er es verlassen; hier, vor seiner Staffelei, an der Stelle, wo er plötzlich von einem Herzschlag hingerafft worden war, stand noch sein Stuhl; hier auf

dem kleinen Tischchen neben der Staffelei lag die Palette, wie er sie hingelegt, mit denselben Farben bestrichen.

Sein letztes Werk, das Bild auf der Staffelei, beinahe vollendet, war seine Tochter Diana selbst, sie als Göttin Diana vorstellend. Es war immer eine Lieblingsidee von ihm, sie einmal so zu malen, in voller Schönheit. Denn stolz und keusch an Körper wie an Seele, wie man sich diese Tochter des Zeus und Zwillings-schwester Apollos vorstellt, ist auch sie.

Da stand sie im geschürzten griechischen Jagdkleid, den Köcher am Rücken, den schlan-ken, edlen, etwas langgestreckten Leib an ei-nen Baumstamm gelehnt, das durchgeistigte Profil etwas erhoben, wie lauschend . . .

Ihr Vater hätte sie gerne en face gemalt, des ausdrucksvollen Mundes wegen, aber sie woll-te die Augen nie erheben, sie hielt sie meist gesenkt. Auch schien es manchmal, als ob sie auffallend starr blicke; manche Bekannte be-haupteten, sie schiele ein wenig. Wieder ande-re fanden die Art ihres Sehens pikant, gerade kein Schielen, und doch etwas eigentümliches, schwerzubezeichnendes, unregelmäßiges.

Diana wurde nervös, wenn man von ihren Augen sprach. Sie entfernte sich, wenn es ir-gend möglich war, mit halbgeschlossenen Li-dern.

Als sie eben eine kleine Skizze aus dem Nachlaß ihres Vaters vorgenommen hatte, um darnach ein Bild zu vollenden, kam Fanny über die Treppe herauf ins Atelier. Sie wollte es dennoch versuchen, mit Schwester Diana zu sprechen, bevor sie sich ganz der Verzweiflung überließ . . .

Beinahe schüchtern betrat sie den ihr unge-wohnten und unbehaglichen Raum und wußte nicht recht, wie sie beginnen sollte. Doch Dia-na kam ihr liebreich zuvor. Erfreut über ihren Besuch, ging sie ihr entgegen, streckte ihr bei-de Hände hin, zog sie zu sich auf die Ottomane und sprach ihr wie eine Mutter zu.

Schon seit einiger Zeit war ihr das blasse Aussehen der Kleinen aufgefallen; sie vermute-te einen Herzensschmerz, aber daß er so tief, so ernst wäre, das hätte sie der lustigen Fanny gar nicht zugetraut.

Was für leidenschaftliche Töne kamen da aus dem sonst immer lachenden Mund! Ja, das war ein echtes, wahres Gefühl, das nun von dem

kindischen Herzen Besitz ergriffen. Diana empfand das instinktiv, obwohl sie selbst noch nie die Seligkeit und die Qual der Liebe zu ei-nem Manne empfunden hatte.

Stephan Eichen, der Architekt! »Das wird für die Mutter sehr schwer sein,

einen Architekten an ihr schwiegermütterli-ches Herz zu drücken, aber ich helfe Dir, mein Kind, Du darfst nicht unglücklich werden, ich habe es ja dem Vater versprochen. Komm mit.«

Sie nahm die Malschürze ab und begab sich sogleich zur Mutter. Diese saß wie gewöhnlich kauend im Lehnstuhl und wendete kaum den Kopf, als Diana eintrat.

»Mutter,« begann das Mädchen ernst, »ich möchte mit Dir über Fannys Zukunft spre-chen.«

»Du?« sagte Frau Zobel lakonisch. »Ja, was?« »Fanny liebt einen jungen Mann und möchte

ihn heiraten.« »Einen Maler?« »Nein.« »Ah! Dann einen Bildhauer wenigstens?« »Nein, es ist Stephan Eichen. Du kennst ihn

ja.«

Da geschah etwas Unglaubliches. Frau Rosina Zobel schnellte in die Höhe. Kreischend schrie sie: »Der Baumeister?« Entschiedenen Tones erwiderte Diana: »Mut-

ter, was er ist, ist Nebensache, Fanny liebt ihn und wird unglücklich, wenn Du Dich weigerst, sie mit ihm zu verheiraten. Willst Du, daß sie unglücklich wird? Willst Du das?«

Frau Rosina hörte nicht, sie watschelte er-regt auf und ab. »Ein Bauer, ein Bauernsohn! Nein, ich bin dagegen, ich will nicht, ich will nicht!«

Sie sprach in abgerissenen Sätzchen, denn sie mußte häufig Atem holen. Endlich kam sie ins Keuchen hinein.

»Einen Künstler muß sie heiraten, einen Ma-ler — wenigstens einen Bildhauer, Santa Ma-donna!«

»Aber Mutter, Stephan Eichen ist Künstler in seinem Fach, so hörte ich wenigstens.«

»Haha, einer der Häuser baut, Stallungen, dummes Zeug, ein Künstler! Geh, mir. Dein Va-ter war ein Künstler! Nur ein Künstler mit sei-ner großen Phantasie kann eine Frau be-glücken, weiß eine Frau zu behandeln, läßt ei-

ne Frau leben und glücklich sein nach ihrem originellen Geschmack, per Dio!«

Diana mußte an ihren Vater denken, mit sei-ner vornehmen Natur, und eine Thräne lief über ihr Gesicht. Ja, der ließ diese Frau wohl leben und glücklich sein nach ihrem originel-len Geschmack, und war selbst so unglücklich dabei . . .

Frau Rosina warf sich mit den Worten: »Es kommt mir kein anderer Schwiegersohn ins Haus, als ein Künstler,« in den krachenden Lehnstuhl.

»Ich bin eine Künstlernatur. Franzeska glücklich mit einem Baumeister! Diese Toll-heit! — Wenn das der Vater erlebt hätte —«

»Oh Mutter,« sagte Diana schmerzlich, »der Vater — ach der Vater wollte nur unser Glück, nichts weiter; er hätte seinem Kinde den Mann gegeben, den es liebt und von dem es geliebt wird! Oh Mutter, was der Vater gethan hätte, das ist alles gut und groß und unvergleich-lich.«

»Diana, Du bist affektiert; Santa Madonna!« »Bitte, Mutter, sprechen wir von Fanny und

nicht von mir; sie muß glücklich werden! Du, Mutter, gerade Du hattest für ihre läppischen

Wünsche immer ein offenes Ohr, und den Ernst in dem Herzen Deines Kindes würdigst Du nicht oder willst ihn nicht einmal verste-hen. Mutter, sag, Deine bellilla carissima soll doch nicht unglücklich werden?«

»Franzeska ist zu dumm, um zu wissen, was sie glücklich macht, und Du hetzest sie zum Ungehorsam auf. Du achtest Deine Mutter nicht. Laß mich in Ruhe, ich will nichts hö-ren —«

Diana war empört, ihre Stimme zitterte, als sie nahe zu ihrer Mutter hintrat, sich zu ihr herabbeugte und mit tiefem Ernst zu ihr sprach: »Mutter, ich bin ausgeschlossen für mein Leben lang von allen süßen Freuden des Weibes, die Dir in so reichem Maße beschieden waren . . . Ich bin als zartes Kind verunglückt, durch Deine Schuld, Mutter, durch Deine — Gleichgültigkeit, und doch habe ich Dir die Achtung und Liebe nie versagt, die ich Dir schuldig war. Sieh meine Augen an, Mutter, rufe Dir die unglückseligen Tage von Florenz zurück, wo das geschehen ist — und thue, was in Deinen Kräften steht, für Deines zweiten Kindes Glück, für Deine geliebte Fanny.«

Und da Frau Rosina trotzig bei Seite sah, wiederholte Diana dringend, ihr Gesicht nahe zu dem ihrer Mutter neigend: »Mutter, sieh meine Augen an!«

Endlich wendete Frau Zobel den Kopf, sah Diana etwas blöde an und sagte in schmollen-dem Ton:

»Nun, Deine Augen — ich sehe keinen Unter-schied, eins ist so schön wie das andere. Daran wird sich kein Mann stoßen. Es weiß es auch niemand außer uns. Das ist kein Unglück!«

»Kein Unglück!« Bebend packte Diana die Arme ihrer Mutter, umkrampfte sie fest, wie wahnsinnig, dann ließ sie sie erbleichend los. Es war ja ihre Mutter, es war ja das Weib, das ihr angebeteter Vater einst geliebt!

»Mutter,« flüsterte sie, wie in Gedanken mit sich selbst sprechend, »Du hast kein Herz!«

Aber die apathische Frau hörte das leise ge-flüsterte Wort — und es fiel in ihre Seele. Nein, das sollte doch niemand von ihr denken, daß sie kein Herz hätte. Sie war auch in der That nur beschränkt, ungebildet, taktlos und manchmal eigensinnig, aber eigentlich nicht bösartig.

Äußersten Falles will sie ihren Künstlerstolz opfern und in Gottes Namen einen Architekten als Schwiegersohn aufnehmen, dann mußte aber Diana wirklich Respekt vor ihr haben!

Jetzt war das Lerchenseelchen glücklich! Ohne Gleichen! Wie die Seligen im Himmel! Oder wie eine Lerche im Himmelsraum, so si-cher, so unbeirrt schwirrte sie in ihrem Glücksgefühl! Es giebt kein Leid in der Welt, da es die Liebe giebt! so meinte sie. Oder giebt es ein solches? Sie merkte nichts davon. Es schien ihr alles rosig, goldig, herrlich! Oder wollte sie es nicht sehen — Dianas Gesicht! Ja. das störte sie.

»Unglücklich ist sie wohl nicht. Warum auch? Aber sie ist auch nicht glücklich.« Das mußte sich die kleine Fanny sagen trotz allem.

Warum ist sie aber nicht glücklich? Fanny war fast zornig darüber. Sie hat eine Marotte! Sie ist eigensinnig! Sie

denkt immer und immer an den seligen Vater! Na, es ist ja schön von ihr, aber sie soll auch ans Leben denken, an die Liebe.

Fanny war jetzt überzeugt, nur in der Liebe, durch die Liebe kann man glücklich sein.

Aber Diana hat eben Marotten.

»Wie oft hätte sie sich schon verheiraten können. Die schönsten, die besten Männer. Aber sie will nicht. Ach, ich weiß ja warum!«

Eines Tages stürmte Fanny hinauf zu Diana. Sie wußte etwas, das wollte sie ihr erzählen. Sie hatte Diana lieb, ja wohl, und war ihr auch dankbar. Ihr verdankte sie ja gewissermaßen ihren geliebten Stephan. Denn das hatte sie ohne Dianas Energie bei der Mutter am Ende doch nicht durchgesetzt, trotzdem sie der Mutter Liebling war. Wenn Diana doch auch glücklich wäre, das wäre viel netter, dann wäre alles vollkommen!

»Diana, ich muß Dir eine Neuigkeit erzäh-len,« sagte Fanny atemlos, »denke Dir, Peter Ulfeld, unser Nachbar, wird heiraten.«

»So, wen?« fragte Diana ruhig. »Freut Dich das nicht? Nein, ich wollte sa-

gen, überrascht Dich das nicht?« fuhr Fanny etwas kleinlaut fort.

»Ich kenne ihn ja kaum,« war die lakonische Antwort.

»Na, Du weißt doch, daß er nur einen Arm hat.«

»Ach so.«

Diana sah sie an, sie hatte verstanden. Derar-tige Gespräche waren ihr nichts neues, sie kannte sie schon vom Vater her. Ihr Mund lä-chelte beinahe ironisch, doch ihre Augen blie-ben ernst.

Fanny plauderte eifrig fort. »Und was für ei-ne Braut er hat! Vielleicht erinnerst Du Dich an Ada von Lilienkron? Die ist es. Schön, reich, geistvoll, überhaupt ein beneidenswertes, be-vorzugtes Wesen. Und die nimmt diesen Mann, der nur einen Arm hat! Und sie soll ihn wahn-sinnig lieben.«

»Wo hat er den andern Arm verloren?« frag-te Diana ruhig.

»Im Krieg, soviel ich weiß.« Diana schwieg einen Augenblick. »Ja, ja,« dachte sich Fanny, »jetzt wird sie

wieder allerlei Deutungen und Ausflüchte fin-den. Darin ist sie groß.«

»Nun, liebe kleine Fanny, süßes Plauder-mäulchen, hast Du noch nie gehört, daß die Glorie des Heldentums verschönt, verklärt? Über so was denkst Du wohl gar nicht nach? Vielleicht fände Ada von Lilienkron diesen Mann gar nicht so interessant, so begehrens-wert, wenn er den Beweis seines Heldentums

nicht mit dem Verlust seines Armes erkauft hätte! Und, was meinst Du wohl, wie Ada von Lilienkrons Gefühle für Peter Ulfeld wären, wenn er zum Beispiel das Malheur gehabt hät-te, beim Kegelspielen oder Schlittschuhlaufen den Arm zu verlieren, oder wenn er gar einar-mig zur Welt gekommen wäre?«

Fanny hatte wirklich die Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet. Sie machte nun ein nicht sehr geistreiches Gesicht.

Diana küßte sie sanft auf die Stirne und sagte mit bittendem Tone: »Sprich nicht mehr da-von. Erzähle mir keine solchen Geschichten. Es ist verlorene Mühe. — Du meinst es gut, aber Du weißt nicht, wie klar ich alles durchschaue. Sieh’ Fanny, das Gefühlswesen des Weibes ist eben ein ganz anderes als das des Mannes. Was meinst Du wohl, wenn die Kriege von Frauen geführt würden, wenn Frauen da verwundet würden, wenn sie mit Verlust eines Armes, ei-nes Auges oder mit entstellenden Narben dar-aus hervorgingen! Und selbst, wenn sie Hel-dinnen gewesen wären, würden sie dadurch auch begehrenswertere Frauen in den Augen der Männer geworden sein? Ist der Mann nicht ein größerer Ästhetiker als die Frau? Ich glau-

be ja! Vor allem will er schön und reizend fin-den, was er liebt. Die Frau hingegen liebt, und was sie liebt, findet sie unvergleichlich, weil sie es liebt. Sie ist weniger aus Ästhetik an-spruchsvoll, als der Mann. Den Ausspruch, daß vom Manne in erster Linie nicht Schönheit verlangt wird, findet man oft albern, — jedoch mit Unrecht.«

»Aber,« sagte Fanny etwas gelangweilt, »es kommt doch vor, daß sehr häßliche Frauen recht geliebt werden!«

»Ja, ausnahmsweise — ich rede nicht von Ausnahmen. Ich will Dir noch etwas sagen, Du kleine Unmündige.« Dianas Stimme klang so mild und ernst. »Es kommt auch vor, daß Männer das Idealbild des Weibes außer dem eigenen Hause suchen. — Es giebt Frauen, die das ertragen, ich ertrüge es eben nicht, ich würde lieber sterben. Und nun versprich mir, nie wieder ein derartiges Gespräch anzufan-gen. Es thut mir weh.«

»Nein, ganz gewiß, nie mehr,« murmelte Fanny, die Treppe hinunterhüpfend. »Diana ist doch gar zu ungemütlich! Die Mutter hat recht.«

3.

Die Verlobung wurde gefeiert.

Diana sah bei dieser Gelegenheit Fannys Bräutigam erst zum zweiten oder dritten Male. Früher hatte sie ihn nie beachtet, wie sie über-haupt für kein männliches Wesen ein besonde-res Interesse hatte und auch nie einen Mann auf irgend eine Art auszeichnete oder bevor-zugte. Sie wollte auch keines Mannes Interesse erregen, um in der Folge nicht gezwungen zu sein, ihn wieder wie eine Kokette zurückzu-stoßen. »Und das müßte ich thun, ehe er das unheimliche entdeckte — da mich mein Schicksal verbannt aus den Reihen der glückli-chen Evastöchter. Denn liebte ich einst einen Mann, belüge ich ihn vorerst, da ich nicht Überwindung genug besäße, ihm das zu ent-decken, und entdeckte er es eines Tages« — mit Grauen stellte sie sich den Augenblick vor — »nein, nein, lieber allein durchs Leben ge-hen!«

Und ihre Mutter nannte dies kein Unglück? Bis jetzt war es zu ertragen, weil ihr Herz noch nie in sehnender Liebe zu einem Manne ent-

brannt war; und sonst wußte kein Mensch da-von, mit ängstlicher Scheu wurde das Schicksal Dianas, der Zustand ihrer Augen, geheim ge-halten wie ein Verbrechen.

Dianas leidenschaftlicher Wunsch war es, wenigstens äußerlich »zu den anderen« zu ge-hören, wenn sie sich auch innerlich mit krankhafter Übertreibung nicht zu den »ande-ren« rechnete. Sie wollte nicht bemitleidet, nicht fixiert werden ihres Fehlers wegen Ihre übergroße und vielleicht gerade durch ihren Fehler unnatürlich gesteigerte Empfindlichkeit und Feinfühligkeit ließ sie die Wirkung dieses Fehlers auf ihre Mitmenschen größer, bedeu-tender erscheinen als sie es in der That war. Sie sah die Welt, die Menschen, deren Thun und Treiben durch ein zehn Mal verschärftes Glas. So klug, so überlegen sie in vielen Fällen urteilte, in diesem ihrem »Fatum« war sie exaltiert und geradezu eigensinnig. Aller Zu-spruch ihres Vaters, die Sache natürlich, nüch-tern, praktisch aufzufassen, war vergeblich gewesen.

»Nichts wirkt so erkältend, so liebevernich-tend als ein Ekel, ein Schauder, den man ein-mal vor einer noch so geliebten Person emp-

fand. Man meint zwar, es ginge vorüber, man könnte ihn vergessen lernen, aber ich glaube, man täuscht sich: Immer und immer wieder wird dieser Augenblick vor einem auftauchen und glutvernichtender wirken, als körperliche Häßlichkeit. Mitleid bliebe zurück, auch Freundschaft vielleicht, aber was wäre das für ihr liebeheischendes, übervolles Herz! Nein, lieber Entsagung für immer, wenn auch noch so schmerzliche Entsagung. Den Augenblick des Entsetzens, den ein anderer vor ihr emp-fände, könnte sie selbst nicht ertragen. Einen solchen Augenblick möchte sie nicht erleben, um keinen Preis der Welt.«

So grübelte das junge Mädchen. Obwohl sie noch wenig erlebt in der Welt,

war ihr doch keine Nuance des Liebelebens fremd, instinktiv hatte sie Empfindung, tiefes Verständnis für alles.

»So denke ich mir’s, so ich stelle mir’s vor, ich habe keinen anderen Maßstab, darnach muß ich leben, handeln! Ja, lernt’ ich einst ei-nen Mann kennen, der mich eines anderen be-lehrte, überzeugte . . .«

An Fannys Verlobungstag, da sie mit Ste-phan Eichen, dem Bräutigam, sprach, durch-

zuckte sie es eigentümlich, so oft dieser nach längerer Pause wieder zu reden begann.

»Diese Stimme! Es ist ein wunderbares Na-turspiel, daß sie mich an den liebsten Men-schen erinnert, den ich je auf der Welt kannte: an meinen Vater! Nur ist sie jugendlicher, aber auch so traumhaft gedeckt, so warm, so —« Sie hörte diese Stimme oft, wenn Stephan auch nicht sprach, wenn sie allein war, oben im Ate-lier. Dann schreckte sie manchmal auf, sah be-bend um sich und — es war niemand da.

In einem Jahre sollte die Hochzeit sein. Der Vormund Fannys bestand darauf, daß sie erst achtzehn Jahre alt sein müsse. Sie war ja auch als Braut so unbeschreiblich glücklich. Stephan kam jeden Abend in die Familie, hie und da gab es kleine Gesellschaften, sehr oft waren sie ganz unter sich.

Diana zog sich immer mehr und mehr zu-rück. Manchmal erschien sie gar nicht zum Abendtisch, schützte irgend etwas vor, körper-liches Unwohlsein oder schlechte Laune, die es ihr unmöglich machte, mit anderen Menschen zu verkehren, und blieb oben im Atelier.

»Überhaupt,« klagte sie, »kann ich das un-ruhige Licht in den Wohnungen, das sich so

rücksichtslos von allen Seiten an einen heran-drängt, nicht ertragen; es thut mir weh, seit ich mich an das gleichmäßige stille Oberlicht des Ateliers gewöhnt habe. Ich kann es in Eu-ren Zimmern nicht mehr aushalten.«

»Ja, ja,« bemerkte dann Frau Rosina Zobel, das hat sie von ihrem Vater, der war auch so ein Ateliermensch, und die sind unausstehlich in ihren Einbildungen.«

Einmal stellte Diana an Stephan die offene, ehrliche Frage, aus welchem Grunde er eigent-lich ihre Schwester heiraten wolle. Und er ge-stand ebenso offen, daß es in erster Linie ihre tadellose Schönheit gewesen sei, die ihn fessel-te. Er hätte noch nie ein Wesen gesehen, das man so in die vollste Sonnenhelle stellen kann, und das in solcher Beleuchtung eher noch ge-winnt als verliert. Dann ihre Lieblichkeit, ihre Naivität, ihre strahlende Heiterkeit! Er dachte sich, ein solches Wesen in die Mitte seines ei-genen Hauses gestellt, wäre eitel Glück und Freude, da er selbst leider ein wenig zur Schwermut neige . . . Auch brauche Fanny eine feste leitende und zugleich liebkosende Hand, die sie vor Charakterlosigkeit bewahre. Ja, er hätte sie recht lieb, seine Augenweide, die so

gar kein Fleckchen an sich habe, das abstoßen könnte, worüber die Augen des Beschauers rasch hinweggehen müßten, wie dies bei den meisten Sterblichen der Fall wäre. Sie sei wirk-lich ein vollkommenes Meisterstück der Schöpfung.

Diana nickte ernsthaft, und als sie dann die Treppe zum Atelier hinaufstieg, war ihr Ge-sicht wie in tiefem Schmerz verzogen.

4. Einmal geschah das seltsame, daß Diana zu be-obachten glaubte, wie Stephan sie mit seinen magnetischen Blicken übergoß. Fanny war auch dabei, bemerkte es aber nicht, ebenso wenig die Mutter. Diana stand verwirrt auf und entfernte sich, die stumme Bitte nicht achtend, die in Stephans Augen lag.

Oben im Atelier angekommen, warf sie sich vor ihres Vaters Arbeitsstuhl auf den Boden, vergrub ihr Gesicht in die Hände und flüsterte bange heiß: »Vater, hilf mir!«

Nun gab es einen stolzen, verzweiflungsvol-len Kampf. Es kam ihr etwas gespenstisches

entgegen innerlich, sie sah es nicht, aber sie fühlte es . . .

Es war Wahnsinn, es war Verbrechen, aber wie entrinnen? Sie wollte sich, von Grauen er-faßt, rückwärts wenden, aber siehe, mit jedem Schritte näherte sie sich ihm. Ihre Seele dräng-te sich zur seinen . . . wie von etwas Über-menschlichem getrieben.

Diana und Stephan entsetzten sich über das, was nun kommen mußte. Es war kein Jubel der Liebe, es war tödlich süßer Schauer, namenlo-se Furcht — und doch mußten sie zu einander hin. Aber sie sprachen kein Wort. Eines erriet, wußte und begriff alles, was in dem anderen vorging.

Eines Tages kam es zu einem kurzen, unbe-lauschten Zusammentreffen, welches der Zu-fall fügte.

Es war im Gartenhaus, wo Stephan Frau Ro-sina Zobel vermutete und — Diana fand. Sie stand da, hoch aufgerichtet, als er eintrat, ein bleiches Gesicht suchte das andere mit einem Blick voll Todesangst und doch voll glühenden, heißen Lebensdranges. Kein Wort kam über beider Lippen. Er stürzte vor ihr nieder, sein

Gesicht auf ihre herabhängenden Hände pres-send, lange, lange.

Es war ihr, als ob sie in diesen Minuten zu-sammengedrängte Ewigkeiten von Wonne und Jammer durchlebte.

Sie blickte auf ihn nieder. Jede Faser ihres Wesens, jeder Blutstropfen

ihres Körpers gehörte dem Manne zu ihren Füßen — und doch blieb sie regungslos und stumm.

Langsam erhob er sich, ließ ihre Hand los und verschwand.

Es vergingen bange Tage, bange Wochen. Diana wußte nicht, was unten in der Woh-

nung der Familie geschah, denn sie hatte sich schon seit langem das kleine Zimmer neben dem Atelier als Schlafgemach eingerichtet und verließ nun diese beiden Räume fast nicht mehr. Außer dem Stubenmädchen sah sie nie-manden von den unteren Stockwerken.

Da kam in einer Dämmerstunde Fanny zu ihr hinauf, verstört, die Augen mit dem Ausdruck tiefster Hilflosigkeit bittend auf die Schwester gerichtet.

Diana wußte, was die Ärmste nun sagen würde, es war ihr, als ob sie Wort für Wort schon gehört hätte:

»Stephan hat sich von mir abgewendet, er liebt mich nicht mehr, er liebt eine andere!«

Fanny brach in lautes Wehklagen aus, heiße Thränen überströmten ihr rührendes Kinder-gesicht.

»Du Glückliche,« fuhr sie dann etwas ruhiger zu Diana fort, »Du kennst keinen Liebes-schmerz, Du weißt nicht, was das ist: Geliebt-werden oder sterben! Es giebt keine andere Wahl!«

»Hat er Dir etwas gesagt?« »Kein Wort. Meine Ahnungen —« Diana ließ sie nicht vollenden, strich dem

verzweifelnden Mädchen leise das Haar aus dem Gesicht, und sinnend vor sich hinsehend, flüsterte sie: »Ich will Dir helfen, wenn ich kann, baue auf mich!»

Als Abends Frau Rosina Zobel, Fanny und Stephan im traulichen Salon saßen, Fanny ängstlich in den Zügen ihres finsteren Bräuti-gams forschte, öffnete sich die Thüre und Dia-na trat herein.

Langsamen Schrittes ging sie auf die am Ti-sche sitzende Gruppe zu, die blutlosen Lippen waren fest, wie in unsäglichem Schmerz zu-sammengepreßt; quer über das fahle Gesicht, das linke Auge verdeckend, trug sie eine schmale schwarze Binde. Die hob sich grell von der marmornen Blässe ihrer Züge ab.

Alle drei sahen überrascht und erstaunt auf sie.

»Aber Diana,« platzte Frau Rosina heraus, »was fällt Dir ein?«

Stephan starrte sie an, erst sprachlos, dann mit der angstvoll herausgestoßenen Frage: »Diana, warum tragen Sie diese unheimliche Binde?«

Es benahm ihr den Atem und ihr Herz klopf-te, als sollte sie nun eine Ungeheuerlichkeit aussprechen.

Nur mit Anstrengung aller Kräfte brachte sie die Worte heraus, und doch klang es ruhig, als sie sagte: »Unheimlich? Die Binde ist’s nicht, aber das, was ich damit verberge!«

»Was Sie damit verbergen?« fragte er, den Atem anhaltend.

»Andere Menschen haben zwei Augen, ich besitze nur eines. Wollen Sie sehen?«

Und sie erhob die Arme, um die Binde zu entfernen.

Stephan aber winkte mit der Hand entsetzt ab. »Nein, nein, um Gottes willen nicht,« und sie glaubte zu sehen, daß verhaltener Schauder wie leises Beben über seinen Körper lief. Un-willkürlich streckte er den Arm aus, seine Hand zitterte, seine Braut zu befühlen, die in ihrer ganzen strahlenden, tadellosen Schön-heit neben ihm saß . . .

Diana ging langsam, unhörbar wieder die teppichbelegte Treppe hinauf nach ihrem Heim, von schimmerndem Mondenlicht weich durchflutet.

Ein heller Schein fiel auf den Lieblingsplatz ihres Vaters.

Dorthin wandte sie ihre Schritte — sie blieb mit gefalteten Händen stehen und redete mit dem Geiste des Vaters. —

Nicht ihr Mund sprach, nur ihre Seele: »Va-ter, habe ich nun gethan, was Recht und Pflicht ist? Habe ich gehandelt, wie Du an mei-ner Stelle gehandelt hättest? — Nun könnte ich freiwillig des Lebens furchtbare Bürde von mir werfen und zu Dir kommen, aber es ist noch nicht Zeit. Noch muß ich viel beweinen auf

dieser Welt . . . Zwei Tote! Dich und meine un-glückselige Liebe! Noch möchte ich eine Weile von den Küssen träumen, die ich nicht gefühlt, von den Liebesworten, die ich nicht gehört, — aber ich bin ruhig, ich trage diese Last weiter! Die Entsagung erhebt mich, — bis zu Dir hinauf und senkt Frieden in meine Seele. Ein reuevol-les Glück hatte mich erniedrigt, und ich bin Dein Kind! Verlaß mich nicht! Umschwebe mich!«

Sie kniete nieder und ließ den Kopf tief her-absinken. Dann glitt ihr Leib langsam auf den Boden . . .

Still war’s wie an einem heiligen Ort. Das einfältige Geplauder ihrer Mutter, das

Lachen Fannys drang nicht herauf, auch keins der freundlichen kosenden Worte Stephans . . .