lernservice-engineering - eine ökonomische perspektive auf technologiegestütztes lernen
DESCRIPTION
Kapitel des L3T Lehrbuch (http://l3t.eu)TRANSCRIPT
2 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
1. Hintergrund eines betriebswirtscha3lichen Service-‐verständnisses von technologiegestütztem Lernen
Das Bildungswesen ist seit einigen Jahren massivenVeränderungen ausgesetzt. Dazu gehören im Hoch-schulkontext unter anderem die Umstellung der uni-versitären Abschlüsse im Rahmen des Bologna-Pro-zesses, die Entwicklungen hin zu einem Konzept des„lebenslangen Lernens“ sowie der zunehmende Ein-fluss technologischer Impulse (zum Beispiel techno-logiegestütztes Lernen, Campus-Management-Systeme, Online-Erhebungen und -Tests; Gabriel etal., 2007).
Diese Veränderungen haben nicht nur didaktischeund hochschulpolitische Konsequenzen, sondernauch ökonomische Relevanz, was sich im Hochschul-bereich vor allem durch sich ändernde Wertschöp-fungs- und Wettbewerbsstrukturen zeigt. Die bisherdominierende Interpretation von Bildung als kultur-hoheitlichem Gut musste beziehungsweise durfte sichnicht konsequent an ökonomischen Maßstäbenmessen und hat auf der Basis einer gesicherten öf-fentlichen Finanzierung über Jahre das vorherr-schende Selbstverständnis der Akteurinnen und Ak-teure geprägt. Immer stärker müssen nun aber imHinblick auf eine nachhaltige, qualitative, zukunfts-orientierte und zugleich wettbewerbsfähige Hoch-schulbildung auch ökonomische Rahmenbedin-gungen berücksichtigt und durch die Hochschulenselbst mitgestaltet werden. In der Konsequenz er-fahren die Hochschulen, wie auch die hochschulin-ternen Akteure als Leistungserbringer, immer deut-licher die Bedeutung sowie die Herausforderungeneiner konsequenten Marktorientierung mit der Not-wendigkeit zur Erschließung individueller Effizienz-und Effektivitätspotenziale als Basis nachhaltigerWettbewerbsvorteile. In diesem Zusammenhangkann technologiegestütztes Lernen den Hochschulene i n e n Wettbewerbsvorteil verschaffen, da neueTechnologien erhebliche neue Gestaltungsspielräumebieten.
Nach Engelhardt (1966) können bei allen Leis-tungen drei Leistungsdimensionen unterschiedenwerden: ▸ die Bereitstellungsleistung, ▸ der Leistungserstellungsprozess und ▸ das Leistungsergebnis.
Technologiegestütztes Lernen hat dabei den entschei-denden Vorteil, dass in Bezug auf das AbsatzobjektBildung ein verbessertes Leistungsergebnis (höhereLernzufriedenheit und höherer Lernerfolg) beigleichzeitig auch unter Kostengesichtspunkten ver-
besserten Leistungserstellungs- und Bereitstellungs-prozessen ermöglicht werden kann (Gabriel et al.,2007). Beim Leistungserstellungs- und Bereitstel-lungsprozess können sich Vorteile durch einegrößere Orts- und Zeitunabhängigkeit der Lehresowie die mögliche Wiederverwendbarkeit von tech-niologiegestützten Lerninhalten zeigen (Gabriel et al.,2008; Hofhues & Dürnberger, im Druck). Hin-sichtlich der Leistungserstellungsprozesse und -ergeb-nisse bietet technologiegestütztes Lernen zudem be-sonderes Potenzial im Hinblick auf innovative, bei-spielsweise virtuelle kollaborative Lernformen, beidenen größerer Raum für Interaktionen zwischenund mit den Lernenden geschaffen wird, um dieHandlungskompetenz der Lernenden nachhaltig zufördern (Brauchle, 2007, 2). Gleichzeitig stellen tech-nologiegestützte Ansätze des Lehrens und Lernensdie Akteurinnen und Akteure aber auch vor enormeHerausforderungen. Auf Seiten der Anbieter sindoftmals erhebliche Investitionen erforderlich, unteranderem für den Aufbau des erforderlichen interdis-ziplinären Know-How und die erforderliche Infra-struktur. Etablierte Abläufe müssen oft angepasstund neu abgestimmt werden (zum Beispiel Aner-kennung von Lehrdeputaten) und die Lehr- undLernmaterialien bedürfen der kontinuierlichen Pflegeund Wartung.
Technologisch unterstützte Ansätze des Lernensund Lehrens werden daher im Folgenden in An-lehnung an Gabriel et al. (2008) als Lernservices –und damit aus einem ökonomischen Blickwinkel –thematisiert. Sie stellen große Potenziale in Aussicht,müssen aber hinsichtlich Ihrer systematischen Er-stellung und Verwendung ökonomischen An-sprüchen genügen, um diese Potenziale nutzbar zumachen. Durch den Zusatz „Services“ (Englisch für„Dienstleistungen“) wird diese unmittelbare Be-deutung ökonomischer Konzepte hervorgehoben.Dies meint jedoch nicht, dass Lernservices ein aus-schließlich ökonomisch geprägter Betrachtungsge-genstand sind. Sie unterliegen stets auch mindestenstechnischen, didaktischen sowie organisatorischenRahmenbedingungen. Durch die Nähe des BegriffsLernservices zu dem der elektronischen Services sollschließlich auch die Relevanz der technischen Unter-stützung von Lehr- und Lernprozessen herausgestelltwerden. Der Begriff „Lernservices“ bezieht sichdamit unmittelbar auf Konzepte des technologiege-stützten Lernens und stellt deren interdisziplinärenCharakter heraus.
Lernservice-‐Engineering. Eine ökonomische PerspekBve auf technologiegestütztes Lernen — 3
2. Typen technologiegestützter Lerninhalte Bevor näher auf die Gestaltung von Lernserviceseingegangen wird, werden im Folgenden ver-schiedene Formen von technologiegestützten Lernin-halten definiert. Die dargestellte Klassifizierung unddie darin enthaltenen Typen von Lerninhalten stellendamit das inhaltliche Rüstzeug für die Erstellung vonLernservices vor, bieten aber gleichzeitig auch eineEinschätzung über den mit den einzelnen Ausprä-gungen von Lernmaterialien verbundenen Erstel-lungsaufwand.
Es werden dabei die drei Formen von technolo-giegestützten Lernmaterialien, nämlich webba-sierte Selbstlerneinheiten, rasch erstellte Lernmate-rialien („Rapid E-Learning-Content“) sowie von Ler-nenden erstellte Inhalte („Lernergenerierte Inhalte“)unterschieden. Die Begriffe werden im Folgenden er-läutert.
Webbasierte Selbstlerneinheiten oder Lern-module sind Lernprogramme, die auf Internet-Tech-nologien basieren und werden auch als Web-BasedTrainings bezeichnet (Mair, 2005). Sie zeichnen sichdurch eine multimediale Darstellung der Lerninhalteaus. So können neben Texten auch Grafiken, Ta-bellen, Videos, Ton und (interaktive) Animationen fürdie Darstellung der Informationen verwendetwerden.
Technologiegestützte Lernmaterialien mit einembeschleunigten Erstellungsprozess werden auchals „Rapid E-Learning-Content“, also einer Wortzu-sammensetzung aus Rapid Prototyping und E-Learning, bezeichnet. Dazu gehören digital aufbe-reitete Vorträge, oft als E-Lectures bezeichnet, dieaus einer Kombination von Audio- bzw. Videoele-menten mit synchronisierten Text- und Bildele-menten bestehen (Gersch et al., 2010; Reinmann &Mandl, 2009). Auf diesem Wege wird eine zeit- undkostengünstigere Erstellung von technologiege-stützten Lerninhalten möglich, die zudem wenigertechnische Kompetenz auf Seiten der Erstellendenvoraussetzt.
Ähnliches gilt auch für von Lernenden erstellteLerninhalte. Das sind technologiegestützte Lernin-halte, die im Rahmen von Lernarrangements durchdie Lernenden selbst entwickelt und umgesetztwerden. Hierzu eignet sich insbesondere der Einsatzvon Anwendungen wie Wikis oder Blogs, die es denLernenden ermöglichen, Inhalte kollaborativ mit denMitlernenden zu entwickeln und somit eine sehr vielintensivere Auseinandersetzung mit den Lerninhaltenfördern. Die so erstellten Inhalte können zudem als
Material für künftige Lernarrangements eingesetztwerden (Wheeler et al., 2008; Franklin & Van Har-melen, 2007).
Um durch den Einsatz von technologiegestütztemLerninhalt den gewünschten Rahmen für die Leh-renden zu schaffen, muss die Wahl zwischen diesendrei Inhaltsformen auch unter Effizienzgesichts-punkten erfolgen. Ziel ist dabei ein möglichst posi-tives Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Erstellungund Nutzung, um die knappen Ressourcen der Leh-renden und der Hochschule optimal einsetzen zukönnen. Eine geeignete Grundlage hierfür bietet dieSystematisierung der verschiedenen technologiege-stützten Inhaltsformen hinsichtlich ihrer Erstellungs-und Nutzungsprozesse. Aus dieser können konkreteHandlungsempfehlungen für die Wahl bzw. Kombi-nation und den Einsatz der verschiedenen Inhalts-arten in konkreten Lernarrangements abgeleitetwerden.
Dazu lassen sich die Inhaltsarten anhand zweierDimensionen systematisieren: ▸ Zum einen nach den Leistungserstellern: Erstellen
die Lehrenden oder die Lernenden selbst die In-halte?
▸ Zum anderen nach dem im Leistungserstellungs-prozess benötigten Ressourceneinsatz und derQualität der so erstellen Leistungsangebote:Werden aufwendig hochwertige Inhalte erstelltoder eher kurzfristig tendenziell einfachere?
Der erste Punkt entspricht der Unterscheidung vonanbieter- und nachfragergenerierten Inhalten.Web-Based Trainings und E-Lectures sind dabei an-bietergenerierten Inhalten zuzuordnen, währendLearner-Generated-Content nutzergeneriert ist. Diezweite Dimension unterscheidet zwischen Fast- undSlow-Content. Dieser Begriff wird analog zur Ein-teilung in Fast-Food und Slow-Food verwendet.Ebenso wie Fast-Food zeichnet sich Fast-Content(Rapid-E-Learning-Inhalte) durch schnelle Umsetz-barkeit aus, mit der jedoch Abstriche in der Qualitäteinhergehen – ganz im Gegensatz zu Slow-Food bzw.-Content, dessen längerfristig umgesetzter aber auchressourcenintensiverer Erstellungsprozess einehöhere Qualität der Inhalte in Aussicht stellt (Gabrielet al., 2009; Gersch et al., 2010).
Mit Hilfe der fünf Merkmale Qualität, Kollabo-rativität, Produktionsaufwand, Flexibilität und Glaub-würdigkeit können die Felder der so entstehendenMatrix detailliert beschrieben und differenziertwerden, um so Handlungsempfehlungen für einen ef-fizienten Einsatz der unterschiedlichen Typen tech-nologiegestützter Lerninhalte zu erhalten.
4 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
Anbietergenerierte Inhalte Nachfragergenerierte Inhalte
SlowContent
Merkmal Webbasierte Selbstlerneinheiten Wikibasierte Lerninhalte
Qualität DidakBsch: hoch (beispielsweise individuelleLernpfade)MulBmedial: hoch (vielfälBge mulBmedialeDarstellungsformen) Inhaltlich: hoch
DidakBsch: im Erstellungsprozess sehr hoch(ProdukBonsprozess ist Bestandteil des Lernpro-‐zesses; akBve Auseinandersetzung mit den In-‐halten); bei der erneuten Anwendung stark vari-‐ierend zwischen den verschiedenen Wikis. MulBmedial: miPel bis hoch (vielfälBge mulB-‐mediale Darstellungsformen) Inhaltlich: abhängig von den Lernenden
Kollabora-‐Lvität
Auf Seiten der Lehrenden: zur Erstellung hoheKollaboraBvität erforderlich Auf Seiten der Lernenden: je nach didakB-‐schem Design, tendenziell gering
Auf Seiten der Lehrenden: Grad der Unterstüt-‐zung der Lernenden je nach LernarrangementAuf Seiten der Lernenden: sehr hoch (entschei-‐dend für die Erstellung der Ergebnisse)
ProdukL-‐onsauf-‐wand
Technisch: hohe Anforderungen an Hard-‐ undSoXware Personell: hoch (besondere Anforderungen antechnische und didakBsche Kompetenz) Zeitlich: hoch Kosten: entsprechend hoch
Technisch: miPel (abhängig von der gewünsch-‐ten MulBmedialität) Personell: auf Seiten der Lehrenden sehr gering;auf Seiten der Lernenden eher hoch Zeitlich: individuell eher gering; lange Wachs-‐tumsphase des Inhalts Kosten: eher gering (Freeware)
Flexibiltät Auf Seiten der Lehrenden: vielfälBge Gestal-‐tungsopBonen; aber eingeschränkte Aktualisie-‐rungs-‐ und Anpassungsmöglichkeit Auf Seiten der Lernenden: vielfälBge Nutzungs-‐opBonen
Auf Seiten der Lehrenden: vielfälBge Nutzungs-‐opBonen (Wiederverwendbarkeit) Auf Seiten der Lernenden: vielfälBge Gestal-‐tungs-‐ und NutzungsopBonen
Glaubwür-‐digkeit
Grundsätzlich relaBv hoch (kann durch gezielteMaßnahmen zusätzlich gefördert werden; z.B.Nutzung von Personenmarken)
Eher geringer (Notwendigkeit eines Qualitäts-‐managements von Seiten der Lehrenden); zusteigern durch Nutzerbewertungen und Quali-‐tätssiegel
FastContent
Merkmal Rapid-‐E-‐Learning-‐Inhalte (E-‐Lectures) Blogbasierte Lerninhalte
Qualität DidakBsch: geringer (vorgegebener Lernpfad)MulBmedial: miPel (auf eine Darstellungsformbeschränkt) Inhaltlich: hoch, aber beschränkt auf be-‐sBmmte Themenaspekte sowie abhängig vomReferenten
DidakBsch: sehr hoch (ProdukBonsprozess istBestandteil des Lernprozesses; akBve Auseinan-‐dersetzung mit den Inhalten) MulBmedial: hoch (vielfälBge mulBmediale Dar-‐stellungsformen) Inhaltlich: abhängig von den Lernenden
Kollabora-‐Lvität
Auf Seiten der Lehrenden: gering Auf Seiten der Lernenden: gering
Auf Seiten der Lehrenden: Grad der Unterstüt-‐zung der Lernenden je nach LernarrangementAuf Seiten der Lernenden: hoch (entscheidendfür die Bewertung/ KommenBerung der Ergeb-‐nisse)
ProdukL-‐onsauf-‐wand
Technisch: eher geringe Anforderungen anHard-‐ und SoXware Personell: gering Zeitlich: gering Kosten: entsprechend gering
Technisch: eher gering (abhängig von der ge-‐wünschten MulBmedialität) Personell: auf Seiten der Lehrenden sehr gering;auf Seiten der Lernenden eher hoch Zeitlich: eher gering Kosten: eher gering (Freeware)
Flexibiltät Auf Seiten der Lehrenden: vorgegebene Gestal-‐tungsopBonen Auf Seiten der Lernenden: vorgegebene Nut-‐zungsopBonen
Auf Seiten der Lehrenden: eher gering Auf Seiten der Lernenden: vielfälBge Gestal-‐tungsopBonen, aber geringe ModifikaBonsmög-‐lichkeiten
Glaubwür-‐digkeit
Grundsätzlich hoch, allerdings stark abhängigvom Referenten
Geringer (Notwendigkeit eines Qualitätsmana-‐gements von Seiten der Lehrenden)
Tabelle: Systematisierungsansatz von technologiegestützten Lerninhaltsarten (Gersch et al., 2010)
Lernservice-‐Engineering. Eine ökonomische PerspekBve auf technologiegestütztes Lernen — 5
3. Lernservice-‐Engineering: Ansätze zur Unterstützungeiner systemaLschen Entwicklung von Lernservices
Vor dem Hintergrund der dargestellten Verände-rungen, Herausforderungen und Lernservicecharak-teristika (insbesondere auch dem Leistungsbündel-charakter) wurde „Lernservice-Engineering“ als in-terdisziplinärer Erstellungsansatz für die Entwicklungvon Lernservices erarbeitet.
In diesem Kapitel steht dabei die ökonomische Seitedes Lernservice-Engineering im Vordergrund. Ziel istdie Umsetzung einer sogenannten Mass-Customi-zation-Strategie in Bezug auf das technologiege-stützte Lernen. Im Kern geht es dabei um eine zielge-richtete Standardisierung von Teilleistungen und Teil-prozessen im Rahmen einer Modularisierungsstra-tegie, die zu individualisierten oder zielgruppenspezi-fischen Leistungsbündeln in Form von hybriden Ler-narrangements kombiniert werden können (Da Sil-veira et al., 2001).
Nach Kundinnen und Kunden (zum Beispiel Ler-nenden) differenzierte Leistungsangebote sollendurch Mass-Customization-Ansätze zu einem derMassenproduktion vergleichbarem Kostenniveau rea-lisiert und angeboten werden können (Piller, 2006).Diesbezüglich zeigen Erfahrungen aus anderen Ser-viceindustrien, dass Standardisierung und Differen-zierung/Individualisierung keineswegs unvereinbareGegensätze darstellen, sondern dass Standardisierungregelmäßig sogar mit einer, auch durch den Nach-frager empfundenen, Qualitätssteigerung des diffe-renzierten/individualisierten Leistungsangebotes ein-hergehen kann.
Es lassen sich im Kontext von technologiege-stütztem Lernen verschiedene Ansatzpunkte für eineUmsetzung erkennen, wie zum Beispiel eine Modula-risierung von Leistungskomponenten (siehe die vor-gestellten Typen von Lerninhalten), die im Idealfallimmer wieder zu differenzierten Leistungsbündeln(re-) kombiniert werden können (zu weiteren alterna-tiven Umsetzungsmöglichkeiten einer Mass Customi-zation siehe Büttgen, 2002).
Im Folgenden steht die Umsetzung mit Hilfe sog.Serviceplattformen im Vordergrund, die sich nichtnur zur wettbewerbsstrategischen Ausrichtung,sondern insbesondere auch zur Förderung der Ver-breitung und des Einsatzes innovativer Lehr- undLernkonzepte an Institutionen mit dezentralen Struk-turen und unterschiedlichen Kenntnisständen inBezug auf deren Gestaltung und Einsatz – wie zumBeispiel den Hochschulen – eignen.
Im Kontext des Lernservice-Engineering stellenServiceplattformen Veranstaltungsgrundtypen dar,die als Grundlage für verschiedene Bildungsangebotedienen. Sie setzen sich aus idealtypischen Veranstal-tungsphasen, Leistungspotenzialen (wie Web-BasedTrainings, Fallstudien, E-Lectures), Betreuern, Pro-zessen und Schnittstellen zusammen, die gemeinsamdie Grundlage zur Entwicklung und Realisierungimmer wieder differenzierter Leistungsangebote dar-stellen. Im Prozess des didaktischen Designs, welcherdie Konkretisierung der abstrakten Serviceplatt-
Das aus den Begriffen Mass ProducBon und Customi-‐zaBon zusammengesetzte Oxymoron „Mass Customi-‐zaBon“ bezeichnet also ein zumeist technologisch ge-‐stütztes Konzept zur Auflösung der vermeintlichen Ge-‐gensätzlichkeit von Differenzierung und Kostenorien-‐Berung (Porter, 1995; Piller, 2006). Damit ist der Ge-‐gensatz zwischen individuellen und daher häufig kos-‐tenintensiven Leistungsangeboten (Differenzierung)und möglichst standardisierten und deswegen kosten-‐günsBg realisierbaren Leistungsangeboten (Kostenori-‐enBerung) gemeint.
!
Der Begriff des Lernservice-‐Engineering nimmt dabeiBezug auf das im Dienstleistungsmanagement eta-‐blierte „Service Engineering“ sowie das in der (Wirt-‐schaXs-‐) InformaBk etablierte „SoXware Engineering“.Es beschreibt die interdisziplinäre Bereitstellung undsystemaBsche Verwendung von Prinzipien, Methodenund Werkzeugen für die zielorienBerte (arbeitsteilige,ingenieursgleiche) Gestaltung und Entwicklung vonLehr-‐Lern-‐Leistungsangeboten.
!
Serviceplaoormen sind konzepBonelle Sets von op-‐Bonalen Teilelementen/-‐systemen und SchniPstellen,die eine mehrfach verwendbare Struktur bilden aufderen Grundlage immer wieder differenzierte Leis-‐tungsangebote effizient und effekBv entwickelt undrealisiert werden können (Stauss, 2006). Nicht zu ver-‐wechseln sind Serviceplaoormen mit LernplaP-‐formen (Learning Management Systeme, LMS; sieheKapitel #infosysteme, #systeme)
!
Können Sie erklären, warum Differenzierung und Kos-‐tenorienBerung sehr häufig als Gegensatz betrachtetwird?
?
In welcher Weise sind Microblogging-‐AkBvitäten vonLernenden im Seminar sowie Podcasts einer Bildungs-‐einrichtung mit Interviews von ExperBnnen und Ex-‐perten in dem vorgestellten System (siehe Tabelle aufder vorherigen Seite) zur Bewertung von Lerninhalteneinzuordnen und zu beschreiben?
?
6 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
formen zu konkreten Lernservices bezeichnet, istdafür Sorge zu tragen, dass das zu konzipierendeLeistungsangebot nicht nur effizient erstellt wird,sondern dass es auch den (Qualitäts-) Ansprüchender jeweiligen Leistungsempfänger/innen entsprichtund somit möglichst Effizienz- und Effektivitätsvor-teile für den Leistungsanbieter zusammenbringt.Dem Konzept liegt auf dieser Ebene somit eine Un-terscheidung von abstrakten Veranstaltungsgrund-typen (Lernszenarien bzw. Serviceplattformen) undLernarrangements als konkreten Lernservices zu-grunde. Abbildung 1 verdeutlicht den Zusam-menhang und differenziert für die Betrachtung vonLernservices zudem zwischen einer Makro-, Meso-und Mikroebene.
Auch innerhalb der Lernszenarien als Veranstal-tungsgrundtypen lässt sich das Konzept der MassCustomization mit Hilfe von Serviceplattformenfortsetzen. So können Lernszenarien auf (teil-)stan-dardisierten Veranstaltungsphasen aufbauen, die je-weils spezifischen Lernzielen verpflichtet sind. DieStandardisierung auf Ebene der Veranstaltungs-phasen bezieht sich dabei auf eine idealtypische Vor-kombination von Leistungskomponenten, die alsTeilarrangements bestimmte Zielsetzungen und Ab-läufe repräsentieren, so dass im Ergebnis eine zwei-stufige Serviceplattformstrategie resultiert. Ab-bildung 2 verdeutlicht das Zusammenspiel von Leis-tungskomponenten, Veranstaltungsphasen undLernszenarien und ihre Konkretisierung zu Lernar-
Abbildung 1: Hierarchisches Begriffsverständnis (Weber, 2008, S. 29).
Abbildung 2: Lernservice-‐Engineering (Gersch & Weber 2007, S. 23).
Lernservice-‐Engineering. Eine ökonomische PerspekBve auf technologiegestütztes Lernen — 7
rangements. So verstandene Plattformen erlauben die systema-
tische Entwicklung von neuen Lernservices auf derBasis dokumentierter technischer, didaktischer undökonomischer Erfahrungen und Erkenntnisse zu denverfügbaren Komponenten und deren Kombination.So können etwa positive Erfahrungen in Bezug aufeine bestimmte Verknüpfung von Inhaltstypen, Ver-anstaltungsphasen, oder auch erfolgreiche Vorge-hensweisen im Rahmen eines Lernszenarios bei derNeuentwicklung eines technologiegestützten Lernan-gebotes zugrunde gelegt werden. Die systematischeWiederverwendung von Komponenten, Veranstal-tungsphasen und Lernszenarien bietet dabei erheb-liches ökonomisches Potenzial.
4. Fazit
Die gegenwärtigen Veränderungen im Bildungswesenbegründen insbesondere aufgrund der Wettbewerb-sintensivierung und der veränderten Rahmenbedin-gungen die Notwendigkeit einer sowohl ökonomischals auch didaktisch tragfähigen Leistungserstellungs-strategie von Hochschulen und anderen Bildungsein-richtungen. Großes Potenzial in diesem Zusam-menhang birgt die Übertragung erprobter und eta-blierter Konzepte aus anderen Dienstleistungs- undServicebranchen, was eine Interpretation von Bil-dungsangeboten als bestimmte Dienstleistungen (Ser-vices) impliziert. Unter Vernachlässigung ideologi-scher Streitigkeiten um den Charakter von Bildungeröffnet das vorgeschlagene Serviceverständnis einTor zu einer Bandbreite solcher Konzepte und An-sätze. Übertragen auf den Leistungsgegenstand derLernservices bietet beispielsweise der skizzierte Sys-tematisierungsansatz von technologiegestütztenLerninhalten eine Grundlage für ein effizientes undan die Erfordernisse des jeweiligen Lernarrangementsanpassbares Produktions- und Einsatzkonzept derbenötigten Lerninhalte. Dabei liegt der Fokus indiesem Kapitel auf den Kostenaspekten des Ein-satzes von technologiegestützten Lerninhalten. Da-neben müssen in die Analyse auch Nutzenaspekteeinbezogen werden (Gust, & Weiß, 2005).
Auch der dargestellte serviceplattformbasierteMass-Customization-Ansatz bietet Bildungseinrich-tungen Potenziale für eine standardisierungsbasierteKostenorientierung und enthält gleichzeitig Möglich-keiten für eine auf Differenzierung ausgerichtete In-
dividualisierung der Leistungsangebote. Zudemfördert der Ansatz über Serviceplattformen die Dif-fusion der Kenntnisse im Bezug auf die Realisierunginnovativer Lehr- und Lernkonzepte. Im Vorder-grund des Lern-Service-Engineering steht daher all-gemein die effiziente Übertragung, Adaption und In-tegration von konkreten Unterstützungsmöglich-keiten für die Leistungserstellung im Bildungswesen.
Literatur
▸ Brauchle, B. (2007). Der Rolle beraubt: Lehrende als Vermittlervon Selbstlernkompetenz. Berufs- und Wirtschaftspädagogik.URL: http://www.bwpat.de/ausgabe13/brauchle_bwpat13.pdf[24-09-2009].
▸ Büttgen, M. (2002). Mass Customization im Dienstleistungsbe-reich. In: Mühlbacher, H. & Thelen, E. (Hrsg.), Neue Entwick-lungen im Dienstleistungsmarketing, Wiesbaden: Gabler, 257-285.
▸ Da Silveira, G.; Borenstein, D. & Fogliatto, F. S. (2001). Masscustomization: Literature review and research directions. Inter-national Journal of Production Economics, 72(1), 1-13.
▸ Engelhardt, W. H. (1966). Grundprobleme der Leistungslehre,dargestellt am Beispiel der Warenhandelsbetriebe. Zeitschriftfür betriebswirtschaftliche Forschung, 18, 158-178.
▸ Franklin, T. & Van Harmelen, M. (2007). Web 2.0 for contentfor Learning and Teaching in Higher Education. JISC. URL:http://www.jisc.ac.uk/media/documents/programmes/digital-repositories/Web 2.0-content-learning-and-teaching.pdf[17.09.2010].
▸ Gabriel, R.; Gersch, M. & Weber, P. (2007). Mass Costumi-zation und Serviceplattformstrategien im Blended LearningEngineering. Wirtschaftinformatik Proceedings 2007, Paper 57,URL: http://aisel.aisnet.org/wi2007/57 [15-11-2010].
▸ Gabriel, R.; Gersch, M. & Weber, P. (2008). Möglichkeiten undGrenzen von Lern Services. WiSt, 2008(10), 563-565.
▸ Gabriel, R.; Gersch, M.; Weber, P. & Le, S. (2009). Das Endeder WBTs? Kernaussagenansatz, Personenmarken und Barter-modelle als konzeptionelle Antworten auf zentrale Herausfor-derungen. In: A. Schwill & N. Apostolopoulos (Hrsg.), Lernenim digitalen Zeitalter. 7. e-Learning Fachtagung Informatik derGesellschaft für Informatik e.V. (DeLFI 2009).
▸ Gersch, M.; Lehr, C.;& Fink, C. (2010). Formen, Einsatz- undKombinationsmöglichkeiten von E-Learning-Content - EinSystematisierungsansatz am Beispiel kooperativer Lernarrange-ments. In: Tagungsband GML 2010. Münster: Waxmann.
▸ Gersch, M. & Weber, P. (2007). E-Learning Geschäftsmodelle.Zeitschrift für e-Learning, 2(3), 19-28.
▸ Gust, M. & Weiß, R. (2005). Praxishandbuch Bildungscon-trolling für exzellente Personalarbeit. Wien: USP Publishing.
▸ Hofhues, S. & Dürnberger, H. (im Druck). Anforderungen anE-Learning in pflegerischen und therapeutischen Studien-gängen: Ergebnisse eines Workshops. Vortrag auf Hochschul-
Nennen Sie Vorteile des Lern-‐Service-‐Engineering undvon Mass-‐CustomizaBon aus Sicht von Anbietern wieLernenden!
?
8 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
didaktik in pflegerischen und therapeutischen Studiengängen.Bielefeld.
▸ Mair, D. (2005). E-Learning - das Drehbuch. Handbuch fürMedienautoren und Projektleiter. Berlin/Heidelberg: Springer.
▸ Piller, F.T. (2006). Mass Customization - Ein wettbewerbsstra-tegisches Konzept im Informationszeitalter. Wiesbaden, DUVGabler Edition Wissenschaft.
▸ Porter, M. E.(1995). Wettbewerbsstrategie. Frankfurt amMain/New York: Campus.
▸ Reinmann, G. & Mandl, H. (2009). Wissensmanagement undWeiterbildung. In: R. Tippelt & A. Hippel (Hrsg.), HandbuchErwachsenenbildung/Weiterbildung, Wiesbaden: VS, Verlagfür Sozialwissenschaften, 1049-1066.
▸ Stauss, B.(2006). Plattformstrategien im Service Engineering.In: H.-J. Bullinger; A.W. Scheer (Hrsg.), Service Engineering,Berlin/Heidelberg, Springer, 321-340.
▸ Weber, P. (2008). Analyse von Lern-Service-Geschäftsmodellenvor dem Hintergrund eines sich transformierenden Bildungs-wesens. Frankfurt am Main: Peter Lang.
▸ Wheeler, S.; Yeomans, P. & Wheeler, D. (2008). The good, thebad and the wiki: Evaluating student-generated content for col-laborative learning. British Journal of Educational Technology,39(6), 987-995.