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Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie Tibia- und Unterschenkelschaftfraktur im Kindesalter Definition und Basisinformation Die Inzidenz der Unterschenkel-/Tibiafrakturen beträgt 71 auf 100.000 Kinder und Jugendliche pro Jahr [15]. Von diesen sind ca. 40% rein diaphysäre Frakturen [23]. Dies entspricht 3% aller Frakturen im Kindesalter [30] bzw. ca. 5-10% aller Frakturen der langen Röhrenknochen im Wachstumsalter [17;18]. Frakturtypen: Bis zu 70 % sind isolierte Tibiaschaftfrakturen und nur 30 % Frakturen von Tibia- und Fibulaschaft und somit Unterschenkelschaftfrakturen. Isolierte Fibulaschaftfrakturen sind sehr selten [30]. Alters- und Geschlechterverteilung: Das Durchschnittsalter bei Fraktur beträgt ca. 9 Jahre [23;28]. Insgesamt treten 50-70% aller Frakturen bei Jungen und 30-50% bei Mädchen auf [15;28;30]. Ätiologie und Pathogenese: Eine indirekte Gewalteinwirkung durch Körperdrehung bei fixiertem Fuß führt zur Spiral- oder Schrägfraktur meist im distalen Drittel der Tibia, die Fibula bleibt meistens intakt. Dieser Frakturtyp tritt eher bei jungen Kindern auf. Eine direkte Gewalteinwirkung im Rahmen von Sport- und Verkehrsunfällen hat oft eine Querfraktur der Tibia bei intakter Fibula zur Folge, ebenso kann natürlich auch eine Unterschenkelschaftfraktur auftreten. Dieser Unfallmechanismus betrifft eher ältere Kinder und Jugendliche. Eine direkte Gewalteinwirkungen von lateral führt zur sehr seltenen isolierten Fibulafraktur. Bei Frakturen am Unterschenkelschaft ist auch bei Kindern an das sonst sehr seltene Kompartmentsyndrom zu denken [7;9]. Insbesondere die Tibialis anterior-Loge ist betroffen [16], wobei das Kompartmentsyndrom sowohl durch eine Weichteilschwellung als direkte Folge des Traumas als auch indirekt nach einer intramedullären Osteosynthese als Komplikation der Operation auftreten kann [26]. In jedem Alter können Unterschenkelschaftfrakturen auch als pathologische Fraktur auftreten (z.B. bei Osteogenesis imperfecta, neuromuskulären Erkrankungen, Knochenzysten, benignen oder malignen Tumoren). In diesen Fällen muss die Behandlung der Grunderkrankung angepasst werden [2;29]. Misshandlung: Bei Kindern unter einem Jahr liegt bei einer Tibia- und / oder Fibulaschaftfraktur in bis zur Hälfte aller Fälle eine nicht-akzidentelle Ursache der Fraktur vor, bei Kindern unter drei Jahren in ca. 5-15% [21;22].

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Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie ��������������� �������������������������� ���������

Tibia- und Unterschenkelschaftfraktur im Kindesalter

Definition und Basisinformation

• Die Inzidenz der Unterschenkel-/Tibiafrakturen beträgt 71 auf 100.000 Kinder und

Jugendliche pro Jahr [15]. Von diesen sind ca. 40% rein diaphysäre Frakturen [23]. Dies entspricht 3% aller Frakturen im Kindesalter [30] bzw. ca. 5-10% aller Frakturen der langen Röhrenknochen im Wachstumsalter [17;18].

• Frakturtypen: Bis zu 70 % sind isolierte Tibiaschaftfrakturen und nur 30 % Frakturen

von Tibia- und Fibulaschaft und somit Unterschenkelschaftfrakturen. Isolierte Fibulaschaftfrakturen sind sehr selten [30].

• Alters- und Geschlechterverteilung: Das Durchschnittsalter bei Fraktur beträgt ca. 9

Jahre [23;28]. Insgesamt treten 50-70% aller Frakturen bei Jungen und 30-50% bei Mädchen auf [15;28;30].

• Ätiologie und Pathogenese: Eine indirekte Gewalteinwirkung durch Körperdrehung

bei fixiertem Fuß führt zur Spiral- oder Schrägfraktur meist im distalen Drittel der Tibia, die Fibula bleibt meistens intakt. Dieser Frakturtyp tritt eher bei jungen Kindern auf. Eine direkte Gewalteinwirkung im Rahmen von Sport- und Verkehrsunfällen hat oft eine Querfraktur der Tibia bei intakter Fibula zur Folge, ebenso kann natürlich auch eine Unterschenkelschaftfraktur auftreten. Dieser Unfallmechanismus betrifft eher ältere Kinder und Jugendliche. Eine direkte Gewalteinwirkungen von lateral führt zur sehr seltenen isolierten Fibulafraktur.

• Bei Frakturen am Unterschenkelschaft ist auch bei Kindern an das sonst sehr seltene Kompartmentsyndrom zu denken [7;9]. Insbesondere die Tibialis anterior-Loge ist betroffen [16], wobei das Kompartmentsyndrom sowohl durch eine Weichteilschwellung als direkte Folge des Traumas als auch indirekt nach einer intramedullären Osteosynthese als Komplikation der Operation auftreten kann [26].

• In jedem Alter können Unterschenkelschaftfrakturen auch als pathologische Fraktur

auftreten (z.B. bei Osteogenesis imperfecta, neuromuskulären Erkrankungen, Knochenzysten, benignen oder malignen Tumoren). In diesen Fällen muss die Behandlung der Grunderkrankung angepasst werden [2;29].

• Misshandlung: Bei Kindern unter einem Jahr liegt bei einer Tibia- und / oder

Fibulaschaftfraktur in bis zur Hälfte aller Fälle eine nicht-akzidentelle Ursache der Fraktur vor, bei Kindern unter drei Jahren in ca. 5-15% [21;22].

Ulrike
Textfeld
AWMF-Register-Nr. 006/131

Leitsymptome

• Schwellung, Hämatom, Deformierung, Schmerzhaftigkeit des betroffenen

Unterschenkels und Unfähigkeit, das Bein zu belasten • Im Kleinkindesalter zeigt sich vereinzelt nur Hinken oder eine Schonhaltung des

betroffenen Beines mit Verweigerung des Auftretens.

Diagnostik und Einteilung (Klassifikation)

Diagnostik

• Dokumentation des Unfallhergangs (v.a. direkte Einwirkungen, schwere Gegenstände) und klinische Untersuchung (v.a. DMS prüfen und dokumentieren!)

o Das Ausmaß der Gewalteinwirkung und die vorliegende Weichteilschwellung bzw. -schädigung bieten wichtige Hinweise auf ein sich möglicherweise entwickelndes Kompartmentsyndrom.

• Röntgen in 2 Ebenen mit Knie- und Sprunggelenk unter individuell angepasster

Analgesie. Bei eindeutiger Operationsindikation kann die 2. Ebene intraoperativ nachgeholt werden.

• Toddler-Fraktur: Diese Frakturform tritt bei Kleinkindern auf, wobei nicht immer ein

sicheres Trauma beobachtet wird. Die Toddler-Fraktur kann sich radiologisch als Fissur (häufig im distalen Schaftdrittel) zeigen; bei initial unauffälligem Röntgenbild und eindeutigem klinischen Befund wie Belastungsverweigerung kann eine zweite Röntgenaufnahme nach frühestens 10-14 Tagen die periostale Reaktion als indirektes Frakturzeichen nachweisen.

Klassifikation der Unterschenkelschaftfraktur bei Kindern- und Jugendlichen

• Klassifikation nach AO- PCCF (Pediatric comprehensive classification of long bone fractures) [34]

42 - D = Fraktur der Unterschenkeldiaphyse: 42 – D/2 Grünholzfraktur der Unterschenkeldiaphyse 42 - D/4.1 Querfraktur (<30°), einfach 42 - D/4.2 Querfraktur (<30°), komplex (Mehrfragmentfraktur) 42 - D/5.1 Schräg-/ Spiralfraktur (>30°), einfach 42 - D/5.2 Schräg-/ Spiralmehrfragmentfraktur (>30°), komplex (mit Biegungskeil)

Hinweis zur AO-PCCF:

�� Bei einer Unterschenkelschaftfraktur bezieht sich die Codierung des

kinderspezifischen Codes und des Schweregrades (2 oder 4.1; 4.2; 5.1; 5.2) stets auf den schwerer verletzten Schaft von Tibia oder Fibula (i.d.R. auf die Tibia).

�� Liegt eine isolierte Tibia- oder Fibulaschaftfraktur vor, wird nach der 2. Stelle ein „t“ (Tibia) oder „f“ (Fibula) eingefügt (42t - D oder 42f - D).

• LiLa- Klassifikation (Klassifikation für Frakturen der langen Röhrenknochen im Wachstumsalter) [31]

4.2.s. = Fraktur des Unterschenkel-/ Tibiaschaftes 4.2.s.2.0-2. Grünholzfrakturen (0 = nicht disloziert, 1 = tolerabel disloziert, 2 = disloziert) 4.2.s.3.0-2. Komplette Quer-, Schräg- oder Torsionsfrakturen (0 = nicht disloziert, 1 = tolerabel disloziert, 2 = disloziert) 4.2.s.4.0-2. Mehrfragmentfrakturen (0 = nicht disloziert, 1 = tolerabel disloziert, 2 = disloziert) Hinweis zur LiLa- Klassifikation:

�� Bei Unterschenkelschaftfrakturen bezieht sich die Codierung immer auf den

Tibiaschaft. �� Liegt eine isolierte Fibulafraktur vor, wird an der 6. Stelle des Codes ein „F“

(F = Fibula) angehangen. �� Benötigen bei einer Unterschenkelschaftfraktur die Tibia- und Fibulafraktur

unterschiedliche Codierungen, werden beide Frakturen getrennt klassifiziert (4.2.s.2-4.0-2 und 4.2.s.2-4.0-2.F.).

Therapie (Ziel und Behandlungsmethoden)

Behandlungsziel: � Achsengerechte Ausheilung mit voller Beweglichkeit im Knie- und Sprunggelenk ohne

Beinlängendifferenz � Hinweis:

o Gefahr der Varusdeviation bei isolierten Tibiaschrägfrakturen und Frakturen mit medialem Biegungskeil aufgrund der Sperre durch die intakte Fibula

o Gefahr der Valgusdeviation bei Frakturen von Tibia- und Fibulaschaft o Begrenzte Remodellierung am Unterschenkelschaft bei Rekurvation und

Rotation

Korrekturgrenzen (Remodellierung) am Unterschenkelschaft [5]

< 5 Jahre > 5 Jahre

Valgus 10° 5° Varus 10° 5°

Antekurvation 10° 5° Rekurvation 5° 0°

Verkürzung 10 mm 5 mm

Rotation 0° 0°

Konservative Behandlung:

Frakturen innerhalb der tolerablen Korrekturgrenzen:

• Gespaltener Oberschenkelgips/-cast mit radiologischer Achskontrolle nach Anlage Procedere / Mobilisation

• Schmerzadaptierte Mobilisierung an Unterarmgehstützen und Zirkulieren des Gipses/Casts nach einer Woche mit erneuter radiologischer Achskontrolle

• Bei Querfrakturen ist eine Teilbelastung nach einer Woche möglich, ansonsten sollte

eine Entlastung über mindestens zwei bis vier Wochen eingehalten werden. • Die Belastungsfreigabe richtet sich klinisch nach der Schmerzfreiheit des Kindes, nicht

nach der Konsolidierung im Röntgenbild. Dislozierte Frakturen:

• Reposition in Narkose und Retention im gespaltenen Oberschenkelgips/-cast. > Mit den Eltern und dem Patienten/in ist vorher zu besprechen, dass bei ungenügender Retention eine operative Versorgung durchzuführen ist.

• Zirkulieren des Gipses/Casts nach einer Woche mit erneuter radiologischer Achskontrolle > Bei sekundärer Achsfehlstellung über das tolerable Ausmaß der Remodellierung hinaus erfolgt die Gipskeilung [12] oder eine Versorgung mit der elastisch stabilen intramedullären Nagelung.

Procedere / Mobilisation

• Bei Kleinkindern ist eine Belastung im Gips/Cast nach 2 Wochen möglich und die Konsolidierung oft nach 4-5 Wochen abgeschlossen. Nach Gipsabnahme besteht oft ein vorübergehendes Humpeln in Außenrotation. Darauf sind die Eltern hinzuweisen.

• Bei älteren Kindern und Adoleszenten kann nach radiologischer Kontrolle nach 4 Wochen der Oberschenkelgips/-cast abgenommen und ggf. durch einen Unterschenkel-Sarmiento-Gips oder eine Laufschuhorthese ersetzt werden. Ebenso ist eine zunehmende Gewichtsbelastung möglich. Eine vollständige Konsolidierung ist nach weiteren 3-4 Wochen zu erwarten, die Belastungsfreigabe oder Gips-/Castabnahme richtet sich klinisch nach der Schmerzfreiheit des Kindes, nicht nur nach der Konsolidierung (Kallusbildung) im Röntgenbild [38].

• Die Sportfreigabe wird nach Erreichen der vollen Belastung gestattet. Bei größeren Kindern kann zum raschen Erreichen eines normalen Gangbildes eine krankengymnastische Mobilisation sinnvoll sein.

Komplikationen und Outcome der konservativen Behandlung

Relevante Achsabweichungen und Beinlängendifferenzen sind bei korrekt durchgeführter und kontrollierter konservativer Therapie nicht zu erwarten [5;32;38].

Bei Unter-/Oberschenkelgips-/cast soll eine Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen, leitlinienkonform ab Pubertätsbeginn, für den Zeitraum der Entlastung erfolgen [3].

Operative Therapie: Indikationen für die operative Behandlung:

• Achsfehlstellungen jenseits des altersbezogenen Potentials der Remodellierung [5] • Instabile Frakturen wie Mehrfragmentfrakturen oder lange Schrägfrakturen [11;28] • Kompartmentsyndrom [9] • Offene Frakturen [11;27] • Polytrauma [37] • Floating knee [kombinierte ipsilaterale Femur- und Tibiafraktur] [20;39] • Begleitende neurovaskuläre Verletzungen

Wunddebridement:

Bei allen offenen Frakturen und Frakturen mit großen Weichteilschäden sind unabhängig vom Osteosyntheseverfahren ein sorgfältiges Wunddebridement, eine rasche Deckung eines Weichteildefektes und eine intravenöse antibiotische Therapie erforderlich. Das Periost sollte hierbei geschont werden; größere, nicht verschmutzte Knochenfragmente können belassen werden. Allerdings ist mit einer verlängerten/verzögerten Frakturheilung im Vergleich zu geschlossenen Frakturen zu rechnen [27].

Die elastisch-stabile intramedulläre Nagelung (ESIN-Osteosynthese):

Indikationen

• Instabile Frakturen, die nicht zu reponieren und / oder zu retinieren sind [37] sowie

ausgeprägte primäre oder sekundäre Achsdeviationen als Alternative zur Gipskeilung. • Bei Instabilität der Fraktur (Spiral-/Schräg- oder Mehrfragmentfraktur) trotz einer 2-

ESIN-Osteosynthese können Verriegelungsschraubkappen aufgebracht [25;33] oder ein dritter Nagel eingebracht werden [28]. Beide Modifikationen sind nur klinisch evaluiert. Im klinischen Alltag (noch) häufiger ist die Kombination der ESIN-Osteosynthese mit einem (temporären) Fixateur externe, um bei instabilen Frakturen die Tragedauer des Fixateur externe zu reduzieren und der verzögerten Frakturheilung vorzubeugen [8].

• Mit der ESIN-Osteosynthese können auch erst- und zweitgradig offene Frakturen und Frakturen mit Kompartmentsyndrom des Unterschenkels behandelt werden [11]. Eine drittgradig offene Unterschenkelschaft- oder Trümmerfraktur ist keine Indikation für dieses operative Verfahren.

Procedere / Mobilisation

• Die Osteosynthese ist übungs- und bewegungsstabil und erfordert keine zusätzliche

Ruhigstellung [13;28]. • Bei Querfrakturen ist sofort eine schmerzadaptierte Belastung an Unterarmgehstützen

möglich, bei Schrägfrakturen empfiehlt sich zunächst ein Sohlenkontakt mit Belastungssteigerung nach 3 bis 4 Wochen.

• Die Belastungsfreigabe richtet sich klinisch nach der Schmerzfreiheit des Kindes und nicht nur nach der Konsolidierung im Röntgenbild.

• Insgesamt sollte intraoperativ oder direkt postoperativ eine radiologische Stellungskontrolle erfolgen sowie nach 4 Wochen und vor der Metallentfernung nach ca. 6 Monaten.

Komplikationen und Prognose

• Risikofaktoren für das Auftreten von Komplikationen:

o Fehlende 3-Punkt-Aufspannung der Nägel führt zu Achsabweichungen. o Asymmetrische Aufspannung der Nägel führt zu Achsabweichungen. o Unterschiedliche Nägelstärken und Höhe der Eintrittsstellen führen zur

Achsabweichungen. o Bei Schräg-, Spiral- oder Mehrfragmentfakturen kann es durch fehlende Stabilität

und Fraktursinterung zu einem Herausrutschen der Nägel kommen (Hautirritation bis hin zur Perforation).

• Insgesamt bietet die ESIN-Osteosynthese jedoch eine geringere Wundinfektions- und

Refrakturrate sowie kosmetisch ansprechendere Narben als der Fixateur externe [13;19] • Obwohl die rasche Belastbarkeit das Ziel der Osteosynthese ist, beträgt studienabhängig

die durchschnittliche Zeit bis zur vollständigen Konsolidierung 7 bis max. 20 Wochen [19;35].

• Achsenabweichungen > 5° können insbesondere bei älteren Kindern/Jugendlichen auftreten, wenn intraoperativ mit der ESIN-Osteosynthese keine ausreichende Stabilität gegeben ist [4;28].

• Behandlungsbedürftige Beinlängendifferenzen (>1cm) sind nicht zu erwarten [13;28;36]. Der Fixateur externe:

Monolateraler Fixateur oder Ringfixateur [z.B. Ringfixateur nach Ilizarov oder Taylor spatial frame [6;10]] Indikationen

• III° offene Frakturen • Frakturen mit großem Weichteilschaden, Schrägfrakturen oder mit Biegungskeil. • Trümmer- oder Mehrfragmentfrakturen • Polytrauma

Procedere / Mobilisation

• Der Fixateur externe bietet eine primäre Belastungsstabilität, somit ist keine zusätzliche

Ruhigstellung im Gips oder Cast erforderlich. • Mobilisation an Unterarmgehstützen nach Maßgabe des Patienten; meist ist eine

Belastung ab der 2. bis 3. postoperativen Woche mit rascher Steigerung zur Vollbelastung möglich.

• Allerdings ist eine ausreichende Compliance der Familie zur Pinpflege unabdingbar. • Insgesamt sollte direkt postoperativ eine radiologische Stellungskontrolle erfolgen,

dann nach 4 Wochen und vor der Metallentfernung nach klinischer und radiologischer Konsolidierung.

Komplikationen und Prognose

• Mögliche Komplikationen:

o Pin-Track-Infektion durch zu kleine Hautinzisionen oder fehlerhafte Pinpflege [24] o Verzögerte Knochenheilung durch fehlende Mobilisation oder Dynamisierung [19].

Die Dynamisierung sollte je nach Frakturform nach der 3. Woche begonnen werden, allerdings liegen hierzu keine randomisierten Studien vor.

o Wachstumsstimulation, meist unter 5 mm Beinlängendifferenz o Achsabweichungen >5° trotz Osteosynthese [24] o Pseudarthrose (selten) o Der fehlenden Akzeptanz dieser Methode durch Kinder und Eltern mit geringer

Patientenzufriedenheit kann nur durch eine gute vorherige Aufklärung entgegengewirkt werden [19].

• Die durchschnittliche Zeit bis zur Konsolidierung beträgt 7,5-15 Wochen, abhängig von

dem Weichteilschaden und der Frakturform [19]. Indikation und bevorzugtes operatives Behandlungsverfahren:

Indikation ESIN-Osteosynthese Fixateur externe

Überschreiten des Potential der Remodellierung X Instabile Fraktur X (X) II° oder III° offene Fraktur (X) X II° oder III° Weichteilschaden X X Polytrauma X X Floating knee X

Legende: X Präferenz in der Behandlungsmethode, (X) alternative Behandlungsmethode

Ergänzung:

� Bei Jugendlichen mit (fast) geschlossener proximaler Tibiafuge kann auch ein Tibiamarknagel (z.B.: der Expert Tibia Nail®) eingesetzt werden [14]. Studien an Kindern mit offenen Wachstumsfugen fehlen, wobei jedoch bereits Jugendliche ab 14 Jahre in Anwendungsbeobachtungsstudien eingeschlossen wurden [1]. Aussagen über spezifische Komplikationen und Risikofaktoren in dieser Altersgruppe können somit noch nicht getroffen werden.

Nachuntersuchung Die regelmäßige Nachuntersuchung ist zum Erkennen von Wachstumsstörungen erforderlich. Diese sollte in halbjährlichen Abständen bis 2 Jahre nach der Metallentfernung erfolgen. Bei im Verlauf aufgetretener Beinlängendifferenz sollten die Nachuntersuchungen jährlich bis zum Wachstumsabschluss durchgeführt werden.

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Verfahren zur Konsensfindung Erstellung im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie. Ziel war die Abstimmung der Leitlinie zum Management dieser häufigen Schaftfraktur im Kindesalter mittels Delphi-Konferenzen. Die Mitglieder der Lenkungsgruppe Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie fungierten als Expertengruppe. Autoren: Strack A (Kassel), Rapp M (Kassel), Illing P (Kassel) �

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Ulrike
Textfeld
12.12.2018: Gültigkeit der Leitlinie nach inhaltlicher Überprüfung durch das Leitliniensekretariat verlängert bis 31.12.2019
Ulrike
Textfeld
26.9.2019: Gültigkeit der Leitlinie nach inhaltlicher Überprüfung durch das Leitliniensekretariat verlängert bis 27.2.2020