konsummuster und entwicklungen bei alkohol, münchen · 3 cannabis schmerzmittel beruhigungsmittel...

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Institut für Therapieforschung München Konsummuster und Entwicklungen bei Alkohol, Tabak und Cannabis Ludwig Kraus 1)2) 1 IFT Institut für Therapieforschung, München 2 Centre for Social Research on Alcohol and Drugs, SoRAD, Stockholm University, Stockholm, Schweden Polizei & Sozialarbeit XXI, Jugend SUCHT Rausch, Hofgeismar, 13.06. bis 15.06.2016

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Institut für

Therapieforschung

München

Konsummuster und

Entwicklungen bei Alkohol,

Tabak und Cannabis

Ludwig Kraus1)2)

1 IFT Institut für Therapieforschung, München

2 Centre for Social Research on Alcohol and Drugs, SoRAD,

Stockholm University, Stockholm, Schweden

Polizei & Sozialarbeit XXI, Jugend – SUCHT – Rausch, Hofgeismar,

13.06. bis 15.06.2016

2

Epidemiologie des Substanzkonsums

3

Cannabis

Schmerzmittel

Beruhigungsmittel

Schlafmittel Alkohol

Amphetamine

Kokain

Tabak

12-Monats-Prävalenz des Konsums

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

4

12-Monats-Prävalenz des Konsums

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

5

Substanzbezogene Störungen (DSM-IV)

Anzahl Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

6

30-Tage-Prävalenz

Rauchen – Erwachsene (18-64 Jahre)

0

10

20

30

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1980 1986 1990 1995 1997 2000 2003 2006 2009 2012

Pro

zen

t

18-24 25-39 40-59 60-64

1980 1986 1990 1995 1997 2000 2003 2006 2009 2012

18-24 25-39 40-59 60-64

Männer Frauen

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

7

Gegenwärtige Raucher und Nieraucher

Rauchen – Jugendliche (12-17 Jahre)

Drogenaffinitätsstudie 2015

8

Auswirkungen der Tabakkontrolle

Deutsches Krebsforschungszentrum 2014

9

Durchschnittskonsum (Konsumenten der letzten 30 Tage)

Alkohol – Erwachsene (18-64 Jahre)

0

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15

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35

1995 1997 2000 2003 2006 2009 2012

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1995 1997 2000 2003 2006 2009 2012

18-24 25-39 40-59 60-64

Männer Frauen

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

10

Rauschtrinken (Konsumenten der letzten 30 Tage)

Alkohol – Erwachsene (18-64 Jahre)

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1995 1997 2000 2003 2006 2009 2012

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Männer Frauen

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

11

Regelmäßiger Konsum

Alkohol – Jugendliche (12-25 Jahre)

Drogenaffinitätsstudie 2015

12 nach Müller et al., 2010

*** ***

Auswirkungen der Alkopopsteuer

Durchschnittskonsum bei Jugendlichen

13

Cannabis – Erwachsene (18-64 Jahre)

12-Monats-Prävalenz

0

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18-24 25-39 40-59 60-64

Männer Frauen

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

14

Cannabis – Jugendliche (12-25 Jahre)

Lebenszeitprävalenz

Drogenaffinitätsstudie 2015

15

Schmerzmittel – Erwachsene (18-64 J.)

Wöchentliche Einnahme

0

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1995 1997 2000 2003 2006 2009 2012

18-24 25-39 40-59 60-64

Männer Frauen

Epidemiologischer Suchtsurvey 2012

16

Schmerzmittel – Erwachsene (18-64 J.)

Kraus et al., in press

12-Monats-Prävalenz des Schmerzmittelgebrauchs

17

Volkswirtschaftliche Kosten

18

Kosten des Substanzkonsums

19

Todesfälle durch Alkoholkonsum

Pro Jahr ca. 49,000 Todesfälle

(5.5% aller Todesfälle)

Konnopka & König, 2007

20

Todesfälle durch Tabakkonsum

Pro Jahr ca. 115,000 Todesfälle

(13.4% aller Todesfälle)

Neubauer et al., 2006

21

Kosten des Substanzkonsums

Alkohol

Gesamtkosten: 24,4 Mrd. Euro Tabak

Gesamtkosten: 21,0 Mrd. Euro

Konnopka & König, 2007; Neubauer et al., 2006

22

Direkte Kosten

Gesamt:

7,5 Mrd. Euro

Gesamt:

8,4 Mrd. Euro

Konnopka & König, 2007; Neubauer et al., 2006

23

Indirekte Kosten

Gesamt:

13,5 Mrd. Euro

Gesamt:

16,0 Mrd. Euro

Konnopka & König, 2007; Neubauer et al., 2006

24

Öffentliche Ausgaben illegale Drogen

Ausgaben der Länder

- Polizei, Gerichte,

Suchthilfe -

3,6 – 4,5 Mrd. Euro

Ausgaben der

Rentenversicherung

- Reha, Renten -

171,7 Mio. Euro

Ausgaben der GKV

- Stationäre Versorgung,

Medikation -

1,4 Mrd. Euro

Ausgaben des Bundes

- Zollfahndung,

Forschung -

48,1 Mio. Euro

Mostardt et al., 2010

25

Zusammenfassung

26

Zusammenfassung

Zahlenmäßig größte Belastung geht von legalen

Substanzen aus

Konsum von Tabak und Alkohol ist insgesamt rückläufig

- aber: Frauen zeigen kaum Änderungen im Alkoholkonsum

- aber: vor allem Männer und junge Erwachsene neigen zu

episodischem Konsum großer Alkoholmengen

- aber: bei älteren Personen ändert sich der Raucheranteil nicht

27

Zusammenfassung

Cannabis ist die dominierende illegale Substanz

- In jüngerer Vergangenheit wenig bedeutsame Änderungen im

Konsum

Hohe Verbreitung des Gebrauchs von Schmerzmitteln

- Zunehmend häufigere Verwendung vor allem bei Frauen und in

mittleren Altersgruppen

Volkswirtschaftliche Kosten belaufen sich auf mind. 50

Mrd. Euro jährlich

- Großteil der Belastung sind indirekte Kosten

28

Neue psychoaktive Substanzen (NPS)

29

Neue psychoaktive Substanzen

Epidemiologisches Lesen im Kaffeesatz:

Was wissen wir über die Verbreitung

von NPS?

30

NPS: Begriffsbestimmung

Neue Substanzen mit psychotropen Effekten, die nicht

reguliert sind (UN Konvention)

- 1961 Convention on Narcotic Drugs

- 1971 Convention on Psychotropic Substances

„Legal Highs“, „Neue Psychoaktive Substanzen“ (NPS)

Umgehung von nationalen und internationalen Gesetzen zur

Drogenkontrolle: Vermeidung von Strafverfolgung/Bestrafung

Alternative: Bewusstsein/Psyche verändern/manipulieren

Resultat neuer Wege und Entdeckungen von Forschung und

chemischer Industrie

- Synthese: Stoffe, die die Wirkung einer bestimmten Drogen

simulieren; z.B. synthetische Cannabinoide

31

NPS: Beschlagnahmungen

EMCDDA Report (2015). New psychoactive substances in Europe

32

NPS: Beschlagnahmungen

EMCDDA Report (2015). New psychoactive substances in Europe

33

NPS: EU Warning System

EMCDDA Report (2015) New psychoactive substances in Europe

34

NPS: Handel

European Monitoring Centre for Drug and Drug Addiction (EMCDDA):

Early Warning System

Zunahme angezeigter Substanzen von weniger als 20 in 2008 auf 101

in 2015

- 31 Cathinone, 30 Cannabinoide, 9 Phenethylamine, 5 Opioide, 5

Tryptamine, 4 Benzodiazepine, 4 Arylalkylamine und 13 andere

Substanzen

Handel ist im rechtlichen Graubereich

- Substanzen zur Anwendung am Menschen regelt

- das Arzneimittelgesetz (AMG) und

- das Betäubungsmittelgesetz (BtMG)

Zur Umgehung des Gesetzes Deklarierung als

- „Badesalze“, „Räuchermischung“ oder „Forschungschemikalien“, die „nicht

zum menschlichen Verzehr geeignet“ sind

B

NPS: Handel

35

Bath salts

Kräutermischungen

Badesalze

NPS: Handel

Das Internet – ein wachsender Markt

Für den Vertrieb “neuer” als

auch “alter” Drogen

651 Websites unter

Beobachtung, die “legal

highs” an Europäer

verkaufen

Zunahme anonymisierender

Netzwerke, ‘darknets’

Transnational — erschwert

die Kontrolle

36

NPS Handel:

hochpotente Produkte

Neue synthetische Opioide und Halluzinogene Winzige Mengen als Grundlage vieler Konsumeinheiten (KE)

37

38

NPS: Umgang

Austausch in Internetforen über

- Dosierung und (Neben-)Wirkungen

- Online Bestellung und Lieferung per Post

Optisch ansprechende Verpackung

- Suggeriert Legalität

- Falsches Sicherheitsgefühl bezüglich Risiken

39

NPS: Regulierung

Meldung und Charakterisierung ist zeitintensiv

Neue Substanzen oft nicht im BtMG aufgenommen

- Chemische Struktur unbekannt

- Einzelsubstanzen werden namentlich im BtMG aufgenommen

- Keine Substanzgruppen

- Unterstellung nur durch Änderung des Gesetzes möglich

Nach erfolgtem Verbot werden neue Derivate angeboten

- „Badesalze“, „Räuchermischung“ oder „Forschungschemikalien“,

die „nicht zum menschlichen Verzehr geeignet“ sind

40

NPS: BtMG Unterstellung

Hohmann, Mikus & Czock, 2014

41

NPS: Nachweis

Nachweis über spezifische Methoden der

Gas-Chromatographie-Massenspekrometrie (GC-MS)

Flüssigchromatographie-Tandemmassenspekrometrie (LC-

MS/MS)

- Gezielte Analytik durch toxikologische Labors und

rechtsmedizinische Institute

- Wissen dennoch lückenhaft

- Untersuchungen methodisch limitiert

- Klinische Studien schwer umsetzbar

- Datenlage begründet auf retrospektiven und prospektiven

Intoxikationsfällen und Interviews

- Bei Mischeinnahme Systemzuordnung schwierig

Größte Gruppe –

Synthetische Cannabinoide

30 ‘andere’ Substanzen

Insgesamt werden >350

Substanzen beobachtet

NPS: Monitoring

42

43

Erste Nennungen: 2005 (Spice)

Aufklärung des Wirkprinzips durch Auwärter (2009)

- Rein pflanzliche Bestandteile sollten die psychotrope Wirkung

auslösen

- Entdeckung synthetischer Cannabinoidrezeptor-Agonisten

(mimikrieren die Effekte des Endocannabinoidsystems)

Verkauf als „Kräutermischung“, die geraucht wird

- „Aufsprühen“ auf pflanzliches Material

- Packungsangaben über Inhaltsstoff unvollständig oder falsch

- Hohe Variabilität der Wirkstoffs

Substanzen:

Synthetische Cannabinoide

44

Psychotrope Wirkung von Spice wird von Konsumenten als

THC ähnlich aber stärker als Marihuana berichtet

Klassische erwünschte Wirkungen

- Stimmungsänderungen

- Änderung der Wahrnehmung, Schlaf-und Wachfunktion,

Körpertemperatur, kardiovaskuläre Funktionen

Unerwünschte Wirkungen und Intoxikationssymptome

- Tachykardie (Herzrhythmusstörung), arterielle Hypertonie,

Hyperglykämie (Blutzuckerspiegel), Halluzinationen und Agitation

Nur wenige Todesfälle

Substanzen:

Synthetische Cannabinoide

45

Cathinon kommt in der Khat-Pflanze vor (Jemen, Äthiopien):

leichte Rauschwirkung (vergleichbar mit Coffein)

Derivate: Amphetamine, Methamphetamine (Chrytalmeth,

Pervitin)

- 1930er Jahre in der Sowjetunion: Antidepressivum

- Zweiter Weltkrieg: Pervetin gegen Müdigkeit

- 1970er Jahre in Frankreich und USA: Pyrovaleron bei chronisch

müden Patienten; ZNS-stimulierende Effekte

Synthetische Cathinone, insbesondere Mephedron

- als „Badesalz“ fehldeklariert

- in UK weit verbreitet

- seit 2011 EU weit verboten

Substanzen: Synthetische Cathinone

46

Weiße, beige oder braune Kristalle

Synthese und Abfüllung für den Europäischen Markte vor allem

in China und Indien

Rasche Resorbtion, Wirkung nach 1 ½ Stunden bei oraler

Einnahme, hält je nach Substanz 2-8h an

Drei Gruppen

- Kokain-MDMA-mixed Typ (Mephedron, Methylon,…)

- Methamhetamin-ähnlichter Typ (Cathinon, Flephedron,…)

- Pyrovaleron-Typ (Pyrovaleron, MDPV)

Einnahme: oral, intranasal, rektal, i.v.

Substanzen: Synthetische Cathinone

47

Substanzen: Synthetische Cathinone

Hohmann et al., 2014

48

Erwünschte Wirkungen

- Euphorie, Antriebssteigerung, Redseligkeit, Bewegungs- und

Handlungsdrang, Stimmungsaufhellung

- Löst starken Drang nach weiteren Dosen aus, Einnahme von mehr

Dosen als ursprünglich geplant

Unerwünschte Wirkungen und Intoxikationssymptome

- Tachykardie (Herzrythmusstörung), arterielle Hypertonie

(Blutzuckerspiegel), Halluzinationen und Agitation

- Unangenehmer Körpergeruch

- Verfolgungswahn mit akustischen und visuellen Halluzinationen

- Aggression und psychotische Symptome

In UK zwischen 9/2009 und 10/2011 128 Todesfälle im

Zusammenhang mit Mephedron

Substanzen: Synthetische Cathinone

49

Piperazinderivate

- strukturell verwand mit anderen Arzneimittelgruppen u.a.

Antidepressiva, Neuroleptika, Antihistaminika

- Zusätzlich: Angst, Erbrechen, Insomnie, Migräne

Aminoindane

- wegen entaktogener Wirkung (Intensive Wahrnehmung der eigenen

Emotionen) eine „legale“ Alternative zu MDMA

- Verzerrung der Raum- und Zeitwahrnehmung; intensive

Farbwahrnehmung, Gefühl besseren Einfühlungsvermögens

„Bromo Dragonfly“

- Substituiertes Phenylethylamin

- Auditive Halluzinationen, Gefühl von Wohlbefinden und

Verbundenheit

- Krampfanfälle, Lungenödem

Substanzen: Research Chemicals

Monitoringsystem Drogentrends (MoSyD), Frankfurt am

Main (Werse & Morgenstern, 2015)

Online Befragung über Soziale Netzwerke (Facebook, Twitter,

Internetforen); n = 860/771 Personen mit NPS Konsumerfahrung

Abnahme des aktuellen Konsums von NPS innerhalb von 2 ½ Jahren

(2011-2013/14).

Konsum nach wie vor von einer Minderheit

NPS Konsumenten sind drogenaffin

Verlagerung hin zum Konsum von synthetischen Cannabinoiden

(„Kiffer 2.0“)

ES wir vermutet, dass durch das seit 2011 bestehende

Verkaufsverbot in „offline“-Shops gemäß AMG diese Substanzen

weniger als legal wahrgenommen werden

Hat das NPS-Phänomen bereits seinen Höhepunkt überschritten ?

Epidemiologie

Jugendlich: Erste Trendergebnisse

50

Geschlecht Altersgruppen

Lebenszeitprävalenz Gesamt Männer Frauen 18-20 21-24 25-29 30-39 40-49 50-59 60-64

Irgendeine ill. Droge 1) 23,9 28,3 19,3 23,6 31,3 41,3 36,1 20,4 15,0 8,4

NPS 2) 0,6 0,9 0,3 1,3 1,4 2,5 0,3 0,2 0,1 0,2

12-Monats-Prävalenz

Irgendeine ill. Droge 1) 4,9 6,4 3,3 16,8 13,9 10,2 6,5 2,0 1,2 0,4

NPS2) 0,2 0,3 0,0 0,7 0,1 0,7 0,1 0,1 0,0 0,0

30-Tage-Prävalenz

Irgendeine ill. Droge 1) 2,6 3,7 1,5 7,6 6,6 5,2 3,8 1,4 0,8 0,2

NPS 2) 0,1 0,1 0,0 0,3 0,0 0,3 0,0 0,1 0,0 0,0

1) Cannabis, Amphetamine, Ecstasy, LSD, Opiate, Kokain, Crack oder Pilze. 2) Im Rahmen der Datenerhebung zum ESA wurde nach „Spice, Smoke, Space, Badesalzen, Cathinonen o.a.“ gefragt.

Epidemiologie

Erwachsene: Was wissen wir ?

Epidemiologischer Suchtsurvey (ESA) (Kraus et al., 2013)

51

30-Tagesprävalenz (Piontek et al., 2014)

50.1%

31.0%

29.6%

14.0%

12.1%

10.4%

6.8%

6.2%

5.0%

4.4%

4.0%

4.0%

2.8%

2.6%

2.1%

1.0%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%

Cannabis

Ecstasy

Speed

Kokain

LSD

Pilze

Ketamin

Research Chemicals

Kräutermischungen

GHB/GBL

Crystal Meth

Medikamente

Badesalze

Andere

Naturdrogen

Heroin

Epidemiologie

Zugang Partyprojekte

52

Epidemiologie

Eurobarometer Juni 2014

Telefonbefragung (incl. Mobile Geräte), 3.-23. Juni 2014

Repräsentative Stichprobe der Bevölkerung zwischen 15 und

24 Jahren in allen 28 EU Mitgliedsstaaten

N= 13.128 (n=500 pro Land, außer CY, LUX und MT)

Durchgeführt für DG JUST

53

Epidemiologie

Eurobarometer Juni 2014

NPS Prävalenz 15-25 Jahre; (DG-SANCO)

54

Basis: 12-Monatsprävalenz (15-25 Jahre; 4%) (DG-

SANCO)

Epidemiologie

Eurobarometer Juni 2014

55

Epidemiologie

Eurobarometer Juni 2014

Basis: 12-Monatsprävalenz (15-25 Jahre ; 4%) (DG-

SANCO)

56

Epidemiologie:

Wie erfahren wir mehr?

Repräsentative Befragungen der Allgemeinbevölkerung sind

bei „seltenen Ereignissen“ nur eingeschränkt nutzbar

Aber: Identifikation von „Risikogruppen“ (auch andere

Quellen)

Gezielte Informations-/Datenerhebung in spezifischen

Gruppen

Besseres Verständnis von Mustern, Szenen

Mehr Wissen über Risiken (Public Health?)

Andere Quellen der Epidemiologie:

Abwasseranalysen (Ort et al., 2014; Amundsen et al., 2014)

57

Maßnahmen

WHO: Implementing the UNGASS 2016. Outcome

Document: NPS as a collective responsibility

58

Maßnahmen

Neue psychoaktive Substanzen, die in den Anlagen zum

Betäubungsmittelgesetz (BtMG) enthalten sind, sind nach dem BtMG

strafbar

Problem: Stoffe, die keine dem BtMG unterstellten Zusätze enthalten!!!

Arzneimittelgesetz (EuGH Urteil): Neue psychoaktive Substanzen, die

nur zu Rauschzwecken eingenommen werden, fallen mangels

therapeutischer Wirkung nicht unter das Arzneimittelgesetz

(20.8.2014: http://www.jurablogs.com/author/joern-patzak)

BGH legt erstmals die nicht geringe Menge von verschiedenen

synthetischen Cannabinoiden fest (Januar 2015: http://www.jurablogs.com/author/joern-patzak)

Verbraucherschutz: Verbot von Handel /Internethandel;

Strafverfolgung im Fall nicht korrekter Kennzeichnung; Lizenz Vergabe

59

Maßnahmen

Neuseeland – New Psychoactive Substances

2013 (Rap Policy Paper; http://www.parliament.nz/en-

nz/pb/legislation/bills/00DBHOH_BILL12021_1/psychoactive-

substances-bill)

- geringes Risiko: falls in klinischen und vorklinischen Studien

am Menschen ein geringes Risiko ermittelt wird:

Verkaufslizenz; jedoch generelles Verbot <18 Jahre

- Mittleres Risiko: Maßnahmen zum Verbraucherschutz

- Hohes Risiko: Vollständiges Verbot

60

Maßnahmen

Vorschläge der Europäische Kommission

(14 http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-837_en;

http://www.emcdda.europa.eu/topics/pods/controlling-new-

psychoactive-substances)

- Schnellere Reaktion auf NPS: Marktreaktion nach

Risikoeinschätzung von bis zu 2 Jahren; Verbot vor

Risikoanalyse

- Abgestuftes System nach dem Vorbild von NZ: geringes,

mittleres und hohes Risiko

61

62

Maßnahmen

The EU EWS collects information on the appearance of NPS (EMCDDA

Report (2015) New psychoactive substances in Europe)

Zusammenfassung und Diskussion

„Neue Drogen“ sind gar nicht immer neu

Klassische „Märkte“ verschwimmen

Es handelt sich um ein ernst zu nehmendes Phänomen

Es gibt keine (technischen) Antworten

Strafverfolgungsansätze und -techniken müssen sich ändern

Maßnahmen zur „Regulierung“ sind dringend erforderlich

Drogen Analysen („drug-checking“) wie in Österreich oder der

Schweiz ?

Verhinderung von „Hypes“ (vgl. „Ace Age“ Debatte in Australien

(Lancaster et al., 2014), oder die „Crack Hysteria“ in den USA (Hart

et al., 2014)

63

64

Cannabis Politik:

Renaissance oder Reform?

65

66

67

Cannabis Prävalenz: International

30-Tage Prävalenz des Cannabiskonsums 15- bis 16-Jähriger in Europa (European

School Project on Alcohol and Other Drugs 2011; Hibell et al., 2012)

ESPAD:

Jungen 8%

Mädchen5%

SE:

Jungen 4%

Mädchen1%

DE

Jungen: 10%

Mädchen 4%

68

Trends der Cannabis Lebenszeitprävalenz: European School Project on Alcohol

and Other Drugs 1995-2011: 15 und 16 Jahre (EMCDDA, 2012)

Cannabis Prävalenz: International

69

Effekte der Cannabis Politik

Zusammenhang zwischen Sanktionspolitik und Konsum (EMCDDA, 2011)

Hypothese: Gesetzesänderung sollte zu Änderung der Prävalenz führen:

Zunahme der Sanktionierung → Abnahme der Prävalenz und vice versa

70

Negative gesundheitliche Effekte?

Gesundheitliche Risiken im Vergleich zu anderen

Substanzen?

Folgen der Kriminalisierung ?

Was Wissen Wir?

71

Assoziiert mit geringeren Leistungen

- Ausbildung (Lynskey & Hall, 2000)

- Arbeitsplatz (Lehman & Simpson, 1992)

- Straßenverkehr (National Highway Traffic Safety Administration, 2001)

- Physische Gesundheit (Polen et al., 1993)

Kognitive Leistungen und psychische Gesundheit

- IQ (Meier et al., 2012)

- Lebensqualität (Lev-Ran et al., 2012)

- Psychosen (Hall & Solewij, 1998; Leweke et al., 2004)

- Depression (Cheung et al., 2010; Crippa et al., 2009)

- Neuropsychologische Leistungen wie Gedächtnis,

Aufmerksamkeitsfokussierung, Lernen und Filtern wichtiger

Informationen (Gonzales et al., 2002; Grant et al., 2002)

Soziale Folgen: höheres Risiko für Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe (Danielsson et al., 2015)

Negative Folgen regelmäß. Konsums

72

Negative gesundh. und soziale Folgen

(Hall, 2014; Addiction)

73

Nutt, King & Phillips, 2010

Vergleichende Risiko Schätzung

74

1988 UN Drogenkonvention, Artikel 3(2)

- Zwingt Unterzeichnerstaaten, Handel etc von illeg. Drogen sowie

den Besitz zum Zweck des Handels strafrechtlich zu verbieten

- Unterschiedliche Implementierung in EU: Strafrechtliche oder nicht-

strafrechtliche Bewertung von Cannabis vs andere illegaler Drogen

Änderung des Rechtsstatus häufigste Form in der EU in den letzten 20

Jahre (EMCDDA, 2011)

- Portugal: Dekriminalisierung des Besitzes aller illegaler Drogen zum

persönlichen Gebrauch im Jahr 2001

- UK: Cannabis reklassifiziert von Klasse B auf C (2004), Reduktion

der Maxmalstrafe von 5 auf 2 Jahre, wurde 2009 rückgängig

gemacht (von C auf B)

- Sanktionen wurden nach einer Reduzierung in der ersten Hälfte der

Nuller Jahre in der 2. Hälfte wieder intensiviert

EU (2013): 1 Mio. drogenbezogenen Straftaten; 78% Cannabis,

Einstellung durch Polizei oder Staatsanwaltschaft (Simon & Hughes, 2015)

Kriminalisierung

75

EMCDDA, 2011

Kriminalisierung

76

Die Reform Debatte

Ausgangspunkt

- Cannabis wird als weniger schädliche Droge eingeschätzt (Nutt et

al., 2010)

- Keine Frage, dass Cannabis in bestimmen Fällen und für

bestimmte Personen schädlich sein kann (Hall, 2015)

- Daraus lässt sich nicht herleiten, dass Staaten den Umgang mit

Cannabis als Rechtsfrage behandeln

- Prohibition ist unter Public Health Gesichtspunkten nicht sinnvoll

- “In modern societies, a finding of adverse effects does not settle

the issue of the legal status of a commodity; if it did, alcohol,

automobiles, and stairways, for instance, would all be prohibited,

since use of each of these results in substantial casualties.” (Room

et al., 2010)

77

Die Reform Debatte

Fragen

- Lassen sich negative soziale und gesundheitliche Folgen des

Cannabiskonsums besser durch regulative als durch die

bestehenden Maßnahmen verhindern? (ALICE RAP Policy Paper

Series, Policy Brief 5, 2014)

- Welche gesetzlichen und regulativen Maßnahmen sind am besten

zur Reduzierung der Risiken für soziale und gesundheitliche

Folgen des Cannabiskonsums geeignet? (Fischer et al., 2014)

Warum ist Regulierung notwendig?

- Der bestehende prohibitionistische Ansatz schreckt weder

Konsumenten ab noch schränkt er die Verfügbarkeit ein

- Hohe Verfolgungskosten

- Vielzahl negativer gesundheitlicher, sozialer und ökonomischer

Folgen (BMA, 2013)

78

Die Reform Debatte

Gegenargumente

Gesetzliche Lockerungen

- Heben bestehende Verfügbarkeitsbarrieren auf

- Führen zu einer Zunahme von Verfügbarkeit, Konsum und

Problemen

- Senden eine „falsche Botschaft“

79

Die Reform Debatte

Positive und negative Effekte abhängig von der Art und Weise der Regulierung

und Implementierung (Caulkins et al, 2012)

Konzeptionelles Modell (ALICE RAP Policy Paper Series, Policy Brief 5, 2014)

80

Die Reform Debatte

Die Prinzipien eines regulierten Marktes

- Einschränkung des Konsums durch Kontrollmaßnahmen

- Einschränkung / Verbot von Werbung

- Limitierung von Verkaufsstellen und Öffnungszeiten

- Hohe Preise

- Einschränkung privater Interessen am „Wachstum“ des Marktes;

z.B. staatliche Verkaufsstellen (vgl. Alkohol) oder Konzessionen

(Unternehmen mit eine privilegierte Marktposition)

- Evaluation auf der Grundlage der Prinzipien, die für Alkohol und

Tabak entwickelt wurden (Room et al., 2013)

81

Vorreiter, Reformer und Bewegungen

Uruguay (Dezember 2013)

Colorado (Januar 2014)

Washington (Juli 2014)

Kalifornien (2003)

Niederlande (seit den späten 1970ern)

Portugal (2001)

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Vorreiter, Reformer und Bewegungen

Zuname des Interesses an der Medizinischen Nutzung von

Cannabis

- Medical marijuana – exploring the concept in relation to small scale

cannabis growers in Denmark (Dahl & Asmussen, 2011)

- The growth of medical marijuana (Dyer, 2013)

- Cannabis as medicine in Europe in the 19th century (Fankhauser, 2008)

- Who are medical marijuana patients? Population characteristics from

nine California assessment clinics (Reinarman et al, 2011)

- The medical use of cannabis in the UK: Results of a nationwide survey (Ware et al, 2005)

- Cannabis for therapeutic purposes: Patient characteristics, access, and

reasons for use (Walsh et al, 2013)

- The medicalization of revolt: A sociological analysis of medical cannabis

users (Pedersen & Sandberg, 2013)

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Vorreiter, Reformer und Bewegungen

Motive und Charakteristiken von Kleinanbauern zum Eigennutz

- Global patterns of domestic cannabis cultivation: Sample characteristics

and patterns of growing across eleven countries (Potter et al, 2014)

- World wide weed. Global trends in cannabis cultivation and its control (Decorte et al, 2011)

- Small-scale domestic cannabis cultivation: anonymous websurvey

among 659 cultivators in Belgium (Decorte et al, 2010)

- Small-scale cannabis growing in Denmark and Finland (Hakkarainen,

2011)

- A growing market: The domestic cultivation of cannabis (Hough et al,

2003)

- Weed, need and greed: A study of domestic cannabis cultivation (Potter,

2010)

- The globalization of cannabis cultivation (Potter et al, 2011)

- Controlling cannabis cultivation in the Netherland (Wouters, 2008)

84

Regulierung eines Marktes für

Genussmittel ?

Die Public Health Agenda

Verlieren wir die Public Health Perspektive aus den Augen? (Room,

2014, Fischer et al., 2014)

De-facto Legalisierung in Kalifornien; keine klare Regulierung und

keine Kontrollmaßnahmen

The Colorado und Washington

Cannabis Kontrollsysteme in diesen Staaten ähnlich den viel

laxeren Alkoholkontrollsystemen von heute, die weit mehr dem

privaten Interesse dienen als dem Public Health Gedanken

Keine Kontrolle der Anzahl von Verkaufsstellen

Werbung nur geringfügig eingeschränkt

US Philosophie bei problematischen Konsumgütern: entweder

„Prohibition” oder „freier Markt”

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Entkriminalisierung

Positive Effekte

Keine Evidenz, dass Entkriminalisierung den Konsum erhöht (Room et al, 2010)

Entgegen den Erwartungen führte die Entkriminalisierung in

Portugal zu keiner wesentlichen Erhöhung des Drogenkonsums

Hinweise auf Abnahm des problematischen Konsums,

drogenbezogener Schäden und Kriminalität (Hughes & Stevens, 2010)

„A half Measure ?“ Entkriminalisierung kann die Schäden im

Zusammenhang mit Prohibition nicht verhindern (Fischer et al., 2014)

Cannabismark bleibt unreguliert: Qualität und Potenz

Prohibition verhindert Prävention, Risikomanagement und

Behandlung

„Net-widening“: mehr Personen landen im Netz der

Strafverfolgung, selbst wenn sie unter weniger negativen Folgen

leiden (Room, 2013)

86

Internationale Konventionen

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen zu Suchtstoffen von

1961 zielt auf die Verhinderung der illegalen Produktion und des

Konsums von Drogen und wurde später auf viele pharmazeutisch

genutzte Substanzen erweitert (1971)

Das Komitee (ND) wurde kritisiert:

Die Verträge haben weder die globale Produktion von Drogen,

noch den nicht-medizinischen Gebrauch verhindert

Drogen wurden nicht für den medizinischen Gebrauch freigegeben

Die international Konvention hat verspätet Maßnahmen zur

Schadensminimierung des i.v. Konsums von Opiaten akzeptiert

Nationale Maßnahmen zur Handels- und Konsumbeschränkung

haben oft die Anzahl von Konsumenten im Strafverfolgungssystem

erhöht

Die Verträge haben nationale drogenpolitische Experimente

verhindert (Room, 2013; Room & Reuter, 2012)

87

Internationale Konventionen

Umgang mit den Verträge?

Kündigung der Verträge und erneuter Eintritt mit Vorbehalten

beispielsweise gegenüber Cannabis (im Fall Bolivien: Coca)

Einführung von Cannabis in seiner schwächeren Form als “Blätter”

(geringer THC Gehalt: “bhang” in Indien)

Andernfalls, Revision der Verträge: Beibehaltung von den Teilen, die

für einen Public Health Perspektive von Bedeutung sind

International Handelskontrollen

Gewährleistung der Verfügbarkeit von Opiaten zur Schmerzbehandlung

Einführung einer internationale Kontrollbehörde

Änderungen sollten Alkohol beinhalten

Unter formalen Kriterien würde Alkohol unter die Konvention fallen (Room, 2013; Room & Reuter, 2012)

FCTC als Beispiele Nationale regulative Handhabung von Tabak

Regulierte Märkte mit einer internationalen Public Health Struktur

88

Öffentliche Meinung

Uruguay: 2/3 lehnte die Gesetzesänderung ab (Room, 2013)

Schweden: Internet Foren: Ruf nach Änderungen nicht nur von der neo-liberalen

Seite (Månsson, 2014)

Niederlande: 65 % stimmen für eine Regulierung (Blickman & Jelsma, 2013)

Deutschland: 65 % Ablehnung

USA: Meinungsumschwung (Gallop, 2013)

89

Renaissance oder Reform?

Die Diskussion um Cannabis Legalisierung / Regulierung

verläuft wellenförmig

• Der Fall Schweiz

Regierungsvorschlag zur Cannabisregulierung im Jahr 2001;

2003 vom Nationalrat abgelehnt

Volksabstimmung im Jahr 2008: die Mehrheit stimmte

gegen ein Regulierung

• Deutschland “Cannabis in Apotheken”: Vorschlag im Jahr 1997

• Ein dritter Weg: Cannabis Social Clubs in Spanien;

Entscheidung ausgesetzt

• Coffeeshops in den Niederlanden: Initiative „Joint Regulation“

wird über 50 Bürgermeistern befürworten

90

Renaissance oder Reform?

Aktuelle Entwicklungen in verschiedenen Teilen der Welt

• Südamerika, USA (mehrere Staaten kündigten an, dem

Beispiel von Colorado zu folgen)

• Canada: Cannabis Maßnahmen Katalog von 2014 schlägt

Cannabisregulierung vor

• Die aktuelle Debatte in Deutschland

Änderung der Cannabisgesetzgebung (Die Grünen, 2015)

Unterstützung durch die Jungsozialisten

Resolution von 121 Strafrechtsprofessoren; Schildower Kreis

(unintendierte Nebeneffekte der Kriminalisierung)

Kommunale Initiativen (Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln) zur

kontrollierten Abgabe

91

Renaissance oder Reform?

Viele offene Fragen

Effekte eines regulativen Cannabispolitik auf den Markt und den

Konsum insbesondere von Jugendlichen ? (Reuter, 2011)

Marktregulierung

Viele Möglichkeiten, unklare Entwicklungen ?

Pharmaindustrie ?

Konsum und negative Folgen

Zunahme?

Jugendliche

Altersgrenzen ?

Effektivität von Zugangsbeschränkungen ? (Beispiel Skandinavien)

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Renaissance oder Reform?

Was kann Forschung beitragen ?

Risikobewertung für verschiedene Outcomes

Politische Diskussion über Risiken und welche akzeptabel sind;

Konsens unter allen Beteiligten erforderlich:

Public Health Perspektive !

Minimierung der Schäden für Konsumenten und Dritten !

93

Renaissance oder Reform?

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Renaissance oder Reform?

Institut für

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München

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