kein fall für den psychiater

1
Zunehmende Wesensveränderung gibt Rätsel auf Kein Fall für den Psychiater Wegen einer Wesensveränderung wird bei einem 50-jährigen Patienten zunächst eine Psychose vermutet. Noch bevor der Patient jedoch einem Psychiater vorgestellt werden kann, führt ein Krampfanfall notfallmäßig zur stationären Aufnahme. Mittels CT wird die Ursache des „psychiatrischen“ Krankheitsbildes in der Klinik schnell gefunden. - Eine zunehmende Persönlichkeits- veränderung mit Apathie, Antriebslo- sigkeit und psychomotorischer Ver- langsamung hatte den bisher vollstän- dig gesunden Patienten zu seinem Hausarzt geführt. Die klinische Unter- suchung ergab keinen auffälligen Be- fund, auch die orientierende neurologi- sche Untersuchung fiel unauffällig aus. Deshalb wurde der Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung bzw. eine beginnende Demenz geäußert und eine Vorstellung bei einem Psychiater ver- einbart. Plötzlich ein generalisierter Krampfanfall Einige Tage später kam es jedoch zu ei- nem generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfall, der eine notfallmäßige sta- tionäre Aufnahme nötig machte. Bei der Aufnahme war der Patient somnolent, weder örtlich noch zeitlich noch zur Per- son orientiert. Ansonsten zeigten sich je- doch keine neurologischen Ausfallser- scheinungen. In der kranialen Computertomogra- fie ergab sich ein unerwarteter Befund (Abb. 1 und 2): ein ausgedehnter tumo- röser Prozess, der unregelmäßig geformt war und randständig eine starke Kon- trastmittelaufnahme zeigte. Die Diagnose lautete: Glioblastom im Frontalhirn. Wegen des perifokalen Ödems wurde sofort eine erapie mit Dexamethason eingeleitet, bevor der Patient in eine neu- rochirurgische Abteilung verlegt wurde. Dort wurde eine Operation zur Verklei- nerung der Tumormasse durchgeführt. Der Patient verstarb dennoch nach we- nigen Wochen. Rasch wachsender Tumor Das Glioblastom ist der häufigste hirn- eigene bösartige Tumor bei Erwachse- nen, wobei meist ältere Menschen (im Alter über 60 Jahren) betroffen sind. Die häufigste Lokalisation ist die Großhirn- rinde, wobei Frontal- und Temporallap- pen bevorzugt befallen sind. Oſt wach- Fabula docet Bei einem erstmals aufgetretenen Krampfanfall, aber auch bei anhalten- den Kopfschmerzen und einer plötz- lich einsetzenden Persönlichkeitsver- änderung sollte auch immer an einen Hirntumor gedacht und deshalb eine bildgebende Diagnostik veranlasst werden. sen die Tumoren infiltrierend über den Balken hinaus in die andere Hirnhälſte, sodass sie schmetterlingsähnlich impo- nieren. Wegen des raschen Wachstums ent- wickeln sich die Symptome meist rasch innerhalb weniger Wochen. Erste klini- sche Symptome können Kopfschmerzen, epileptische Anfälle oder fokale neuro- logische Ausfälle wie Lähmungen, Aphasien oder Sehstörungen sein. Nicht selten stehen – wie bei diesem Patienten – primär Persönlichkeitsveränderungen, eine Apathie oder eine psychomotori- sche Verlangsamung im Vordergrund. Spätsymptome sind Erbrechen, Somno- lenz oder Koma als Folge des erhöhten Hirndrucks. Schlechte Prognose Die Prognose des Glioblastoms ist sehr schlecht. Die mittlere Überlebenszeit liegt in der Größenordnung von Mona- ten. Mit einer neurochirurgischen Tu- morverkleinerung kann das Fortschrei- ten der Erkrankung verlangsamt werden, eine kurative Resektion ist allerdings nicht möglich. Die Operation mit nach- folgender Bestrahlung und Chemothe- rapie kann die Überlebenszeit um einige Monate verlängern und die Symptome lindern, aber eine endgültige Heilung ist mit diesen Maßnahmen bislang nicht zu erreichen. Dr. med. Peter Stiefelhagen Abb. 1 CT Schädel: ausgedehnter Tumor im Frontalhirn. © Sti © Sti Abb. 2 CT nach Kontrastmittelgabe. AKTUELLE MEDIZIN _ DER BESONDERE FALL MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (2) 31

Upload: dr-med-peter-stiefelhagen

Post on 16-Mar-2017

213 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Kein Fall für den Psychiater

Zunehmende Wesensveränderung gibt Rätsel auf

Kein Fall für den Psychiater

Wegen einer Wesensveränderung wird bei einem 50-jährigen Patienten zunächst eine Psychose vermutet. Noch bevor der Patient jedoch einem Psychiater vorgestellt werden kann, führt ein Krampfanfall notfallmäßig zur stationären Aufnahme. Mittels CT wird die Ursache des „psychiatrischen“ Krankheitsbildes in der Klinik schnell gefunden.

−Eine zunehmende Persönlichkeits-veränderung mit Apathie, Antriebslo-sigkeit und psychomotorischer Ver-langsamung hatte den bisher vollstän-dig gesunden Patienten zu seinem Hausarzt geführt. Die klinische Unter-suchung ergab keinen au�älligen Be-fund, auch die orientierende neurologi-

sche Untersuchung �el unau�ällig aus. Deshalb wurde der Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung bzw. eine beginnende Demenz geäußert und eine Vorstellung bei einem Psychiater ver-einbart.

Plötzlich ein generalisierter KrampfanfallEinige Tage später kam es jedoch zu ei-nem generalisierten tonisch-klonischen Krampf anfall, der eine notfallmäßige sta-tionäre Aufnahme nötig machte. Bei der Aufnahme war der Patient somnolent, weder örtlich noch zeitlich noch zur Per-son orientiert. Ansonsten zeigten sich je-doch keine neurologischen Ausfallser-scheinungen.

In der kranialen Computertomogra-�e ergab sich ein unerwarteter Befund (Abb. 1 und 2): ein ausgedehnter tumo-röser Prozess, der unregelmäßig geformt war und randständig eine starke Kon-trastmittelaufnahme zeigte.

Die Diagnose lautete: Glioblastom im Frontalhirn.

Wegen des perifokalen Ödems wurde sofort eine �erapie mit Dexamethason eingeleitet, bevor der Patient in eine neu-rochirurgische Abteilung verlegt wurde. Dort wurde eine Operation zur Verklei-nerung der Tumormasse durchgeführt. Der Patient verstarb dennoch nach we-nigen Wochen.

Rasch wachsender TumorDas Glioblastom ist der häu�gste hirn-eigene bösartige Tumor bei Erwachse-nen, wobei meist ältere Menschen (im Alter über 60 Jahren) betro�en sind. Die häu�gste Lokalisation ist die Großhirn-rinde, wobei Frontal- und Temporallap-pen bevorzugt befallen sind. O� wach-

Fabula docet

Bei einem erstmals aufgetretenen Krampfanfall, aber auch bei anhalten-den Kopfschmerzen und einer plötz-lich einsetzenden Persönlichkeitsver-änderung sollte auch immer an einen Hirntumor gedacht und deshalb eine bildgebende Diagnostik veranlasst werden.

sen die Tumoren in�ltrierend über den Balken hinaus in die andere Hirnhäl�e, sodass sie schmetterlingsähnlich impo-nieren.

Wegen des raschen Wachstums ent-wickeln sich die Symptome meist rasch innerhalb weniger Wochen. Erste klini-sche Symp tome können Kopfschmerzen, epileptische Anfälle oder fokale neuro-logische Ausfälle wie Lähmungen, Aphasien oder Sehstörungen sein. Nicht selten stehen – wie bei diesem Patienten

– primär Persönlichkeitsveränderungen, eine Apathie oder eine psychomotori-sche Verlangsamung im Vordergrund. Spätsymptome sind Erbrechen, Somno-lenz oder Koma als Folge des erhöhten Hirndrucks.

Schlechte PrognoseDie Prognose des Glioblastoms ist sehr schlecht. Die mittlere Überlebenszeit liegt in der Größenordnung von Mona-ten. Mit einer neurochirurgischen Tu-morverkleinerung kann das Fortschrei-ten der Erkrankung verlangsamt werden, eine kurative Resektion ist allerdings nicht möglich. Die Operation mit nach-folgender Bestrahlung und Chemothe-rapie kann die Überlebenszeit um einige Monate verlängern und die Symptome lindern, aber eine endgültige Heilung ist mit diesen Maßnahmen bislang nicht zu erreichen.

Dr. med. Peter Stiefelhagen ■

Abb. 1 CT Schädel: ausgedehnter Tumor im Frontalhirn.

©

Sti

©

Sti

Abb. 2 CT nach Kontrastmittel gabe.

AKTUELLE MEDIZIN_DER BESONDERE FALL

MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (2) 31