karacho das jubiläums magazin des veloblitz 2009
DESCRIPTION
Der Veloblitz Kurierdienst schrieb als Pionier seiner Branche Zürcher Geschichte.Pünktlich zum 20. Jahrestag der Gründung des ersten Zürcher Velokurierbetriebes erschien im Herbst 2009 das KARACHO Magazin. Der Veloblitz als Herausgeber nutzt die Gelegenheit sich und der Zürcher Bevölkerung ein Geschenk zu machen.TRANSCRIPT
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Jubiläumsausgabe | 20 Jahre VELOBLITZ | 2009 | CHF 12.-
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Die Alternative Bank ABS gratuliert der Genossenschaft Veloblitz herzlich zum 20-Jahr-Jubiläum.
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Liebe Leserinnen, liebe Leser
Als Sämi Iseli 1989 in der Küche seiner WG den Veloblitz gründete, hätte
niemand von uns geglaubt, dass daraus das grösste Velokurierunterneh-
men der Schweiz wird. Inzwischen gibt es den Veloblitz seit 20 Jahren.
Dieses runde Jubiläum möchten wir zum Anlass nehmen, um Ihnen unse-
ren Betrieb etwas näher zu bringen.
Der Veloblitz ist eine genossenschaftlich organisierte Firma. Alle Mitar-
beiter können Teilhaber werden und sind dadurch für den Betrieb mit-
verantwortlich. Der Veloblitz wird daher von allen mitgeprägt, die in der
Genossenschaft aktiv sind. Durch Selbstverwaltung und Mitspracherecht
ist die Genossenschaft in den letzten 20 Jahren für viele praktisch zur
Familie geworden. Dass alle die Leidenschaft für das Velo teilen, ist klar,
doch das ist nur der kleinste gemeinsame Nenner.
In unserem Magazin Karacho erhalten Sie einen Einblick in die Welt des
Veloblitz. Entdecken Sie ganz neue Seiten von uns und unseren Fahrern.
Tauchen Sie mit uns in den Grossstadtdschungel ein. Lassen Sie sich von
uns in die kasachische Steppe entführen. Stehen Sie mit uns in der Lily’s
Homedelivery-Küche.
Aktive und ehemalige Veloblitzer sowie viele Freunde haben für dieses
Magazin Artikel, Bilder, Essays, Interviews, Glossen, Fotoreportagen und
sogar eine Fotoromanze beigesteuert. Lassen Sie sich überraschen.
Viel Vergnügen beim Lesen!
Tina Schulze
Geschäftsführerin
Genossenschaft Veloblitz
EDITORIAL
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INHALTSVERZEICHNIS
6 LUST UND LAST DER SELBSTVER-WALTUNGArmin Köhli
12 AM ANFANG WAR SÄMIArmin Köhli
14 DER KLEINE UNTERSCHIEDArmin Köhli
16 WO IST DER VELOBLITZ?
Frank Blaser
24 DREI JOBS UND 15 HOBBYS – GESPRÄCH MIT HANNES WÜRGLERMahmud Tschannen
28 LOVEBLITZ -
MIT VOLLGAS INS GLÜCKChris Kerkhof und Frank Blaser
34 MEHR LEISTUNGKarsten Kulik und Lorenz Götte
38 EIN WIRKLICHES ERLEBNIS
Franz Hohler
40 „KURIERNOVELLE ODER DER
HEIMLICH NOCH ZU ÜBERBRINGENDE SCHLÜSSELBUND DER ANTONIA SETTEMBRINI“Urs Mannhart
42 VOM KURIER ZUM TOUR DE FRANCE-
SIEGERSimon Joller
44 HERMES – GÖTTERBOTE,
STEH UNS BEI MIT RAD UND TAT!
Peter Zangerl
46 DIE ERFAHRUNG DER WEITE
Res Blum
60 VELO-CHINARoland Fischer
66 ZÜRICH IST GEBAUTRoland Munz
70 ZÜRICH BY BIKE
Anette Michel
74 GUTZI GEBENMahmud Tschannen
76 OHNE SCHWEISS KEIN PREISRoland Munz
80 TATORTAlois Jauch
90 DIE VIERTAUSEN-DER PARADE –
ZWEI BIKE-TAGE IM VAL
D‘ANNIVIERS Simon Joller
92 AUS SCHROTT WIRD SEIT 15 JAHREN KUNST
Leto alias Markus Meyle
96 MIT KARACHO IN DIE ZUKUNFT
Boris Wagner
98 AM DONNERSTAG IM KEBAB
Talaya
100 SWISSCONNECT - DER KURIER, DER MIT DEM ZUG GEHT – SCHNELL UND ÖKOLOGISCH QUER DURCH DIE SCHWEIZwww.textpistols.ch
102 DER „MESSENGER“ VON VELOBLITZ
BEWEGT NICHT NUR KURIERERolf Burkhardt
104 LILY‘SRolf Burkhardt
108 VELOBLITZ JUBILÄUMS
KOLLEKTION
113 MITARBEITER, FREUNDE &
GÖNNER
114 IMPRESSUM
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LUST UND LAST DER SELBSTVERWALTUNGWer’s in den Beinen hat, braucht auch den Kopf
„Ein Kurierbetrieb ist ein Geschäft wie jedes andere und darum eher lang-
weilig: Umsatzzahlen, Sitzungen, Kundenwünsche, schwierige Mitarbeiter und
so weiter.“ Das schreibt Marcel über den Veloblitz. M, wie ihn alle nennen,
muss es wissen: Er arbeitet seit 1993 beim Veloblitz, und er hat in diesem
Betrieb schon beinahe alles gemacht. Als Kurier gefahren, disponiert, als
Kurier gefahren, Aufträge entgegengenommen, als Kurier gefahren. M war
Personalchef und Geschäftsführer, jetzt sitzt er im Verwaltungsrat. M müss-
te es also besser wissen. Dieser Kurierbetrieb ist kein Geschäft wie jedes
andere - nicht der Veloblitz! Und langweilig? Der Veloblitz? Sicher nicht für
die einzelne Fahrerin, den einzelnen Fahrer, die ständig auf dem Quivive sein
müssen. Überhaupt: Kann es in einem selbstverwalteten Betrieb je langweilig
werden? Und ausserdem kann selbst so trockener Stoff wie Umsatzzahlen für
Dramatik sorgen.
So wie vor sieben Jahren. Der Einbruch musste kommen, das war klar. Die
neunziger Jahre hatten zwar stetes Wachstum gebracht, und vife Kuriere
konnten gutes Geld verdienen. Doch die Konkurrenz durch virtuelle Über-
mittlung von Dokumenten wuchs noch viel schneller: Innert kürzester Zeit
stand in jedem Büro ein Fax, dann folgte E-Mail. Und was gefaxt oder
gemailt werden kann, muss nicht mehr per Kurier geschickt werden. Doch
Vorkehrungen waren kaum getroffen worden, und plötzlich war die Krise da.
M vergleicht den damaligen Veloblitz mit einem Wasserkessel mit hundert
Löchern. Man füllt ständig Wasser nach, doch er wird immer leerer. Im März
2002 war der Veloblitz praktisch zahlungsunfähig.
Text: Armin Köhli, Illustration: Hofgrafen
*Auszüge aus Sitzungsprotokollen
„Der Veloblitz steht kurz vor dem Konkurs. Drastische Massnahmen sind nötig, um den Absturz noch verhindern zu können.“ (2002)*
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Drastische Massnahmen wurden in der Krise
tatsächlich ergriffen. Der Veloblitz kürzte die
Löhne, und reduzierte bei den Telefonisten sogar
Arbeitsstunden. Auch kleine Einsparungen gab
es allenthalben. Den Angestellten wurde „Kaf-
feegeld“ abgezogen, die Geschäfsleitung um eine
Person verkleinert, und um Gebühren zu sparen
waren statt 29 nur noch 25 Funkgeräte in Be-
trieb. Der Veloblitz suchte und fand in der Krise
aber auch neue Geschäfte: Seither liefern Veloku-
riere die Menüs des Restaurant Lily‘s frei Haus,
sie erledigen die interne Post grosser Firmen,
sie streuen Werbepostkarten in der ganzen Stadt.
Schon 2004 geht es dem Veloblitz finanziell wie-
der bestens.
Die Krise bringt den entscheidenden Schritt in
Richtung dessen, was Professionalität genannt
wird: Zuverlässigkeit, Kundenfreundlichkeit, ef-
fiziente Strukturen. Ab 2002 wird der Betrieb
reorganisiert – mit den gleichen Leuten, aber
mit verändertem Bewusstsein.
Heute ist die Genossenschaft Veloblitz hierar-
chisch strukturiert, mit einer Geschäftsleitung
mit weitgehenden Kompetenzen. Sie ist aber
weiterhin auch ein eigentlicher Lehrbetrieb.
Denn spezifisch ausgebildete Leute sind ange-
sichts der bescheidenen Löhne nur selten zu
finden. So beginnt man in der Regel als Kurier,
wechselt irgendwann ins Büro, steigt in die Ge-
schäftsleitung auf, und lernt dort, was es heisst,
einen mittleren Betrieb zu führen. Das schafft
für die Einzelnen ausgezeichnete Möglichkeiten,
sich zu qualifizieren, motiviert sie auch, län-
gerfristig im Betrieb zu bleiben - führt aber
auch zu Leerläufen und der Tendenz, Fehler zu
wiederholen. Was wiederum Ressentiments und
Frustrationen zur Folge hat. Leiser Groll, wenn
das Geschäft läuft, ausdrückliche Klagen in Zei-
ten der Umstrukturierung. „Naiver Führungsstil“
ist dann ein noch milder Vorwurf.
Die formelle Selbstverwaltung beschränkt sich
erstaunlicherweise auf die jährliche Generalver-
sammlung. Dort haben alle Genossenschafter und
Genossenschafterinnen – also auch alle Kuriere
– Stimm- und Wahlrecht. Ansonsten gibt es ge-
legentlich Belegschaftssitzungen, die aber reine
Informationsveranstaltungen sind und vorab der
Geschäftsleitung helfen, Entscheidungen vorzube-
reiten. In dieser selbstverwalteten Genossen-
schaft wird auch eine institutionelle Personal-
vertretung nicht für nötig befunden.
Von aussen gesehen ist ein Velokurier ein unqualifizierter Handlanger. Er muss damit
umgehen können, dass ihm das manchmal zu spüren gegeben
wird. (2009) *
Ein weiteres Novum in der Geschichte des Veloblitz:
Mit Tina wird zum allerersten Mal eine Frau als Geschäftsführerin gewählt.
(2006)
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Somit gibt es für Beschwerden, Anregungen und Forderungen nur informelle
Gespräche - und das feierabendliche Gespräch und Geschwätz, oft unterlegt
mit Bier und anderen Stimulanzien. Das Informelle ist der Selbstverwaltung
kaum förderlich – jedoch den quasi rituellen gegenseitigen Beschimpfungen:
„Wir haben nichts zu sagen, die machen was sie wollen“ (die Fahrer) versus
„Die motzen ständig. Aber selber Verantwortung übernehmen will keiner“
(Büro, Geschäftsleitung, Verwaltungsrat).
Das tut der Stimmung zwar nicht gut, ist aber nicht weiter schlimm. Denn
gilt es einmal ernst, wird sachlich und recht pragmatisch diskutiert. Bei-
spielsweise ist die Frage, ob die Geschäftsleitung vier oder fünf Mitglieder
haben soll, nicht primär eine Frage der Konzentration von Macht, sondern
auch des Engagements und der Qualifi kation. Und nicht zuletzt der auszube-
zahlenden oder eingesparten Sitzungsgelder. Der Veloblitz hat übrigens ein
probates Mittel gefunden, um die Generalversammlung effi zient und kurz
zu halten: Rauchen, Alkohol und Drogenkonsum sind während der Sitzung
verboten. Dafür gibt es danach Freibier, Weisswürste und Kartoffelsalat.
Das strittigste Thema anderer selbstverwalteter Betriebe – wer hat die
Macht, jemanden zu entlassen? – ist beim Veloblitz gar keines. Die Regelung
ist simpel, und sie besteht auch nicht nur auf dem Papier: Bei Verstoss
gegen das Arbeitsreglement verwarnt der Personalchef zuerst mündlich,
dann verweist er schriftlich, und schliesslich entlässt er. Der Verwaltungsrat
amtet als Rekursstelle.
„Folgendes habe ich nicht festgehalten: Dreinreden, Überschreien, unsachliches persönlich werden.“ (2003)
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Durchaus typisch für Alternativbetriebe, die sich
im realexistierenden Kapitalismus behaupten
müssen, und dennoch recht kurios, ist hingegen
der Veloblitz-eigene Slang: Einzelne Begriffe von
Business-Englisch tauchen da mehr oder weniger
passend auf, sprachliche Formeln setzen sich in
Köpfen und Papieren fest. So hat die Geschäfts-
führung bei fl acher Hierarchie neuerdings einen
Code of Conduct, gespiegelt wird das in einem
Funktionendiagramm.
Velokuriere verdienen wenig. Der Lohn reicht
kaum zum Leben, entsprechend selten sind Profi -
kuriere beim Veloblitz geworden. Es gibt aber
Schichtkombinationen, die genügend Einkommen
garantieren. Nachmittags als Kurier unterwegs,
abends Lily‘s, und dazu auch noch fi xe Touren,
das würde reichen. Nur Lily‘s, aber auch am Wo-
chenende, das würde ebenfalls reichen. Manche
Kuriere leben mit minimalem Lohn, andere haben
einen zusätzlichen Job. Doch der Lohn ist selten
entscheidend, denn Veloblitz ist Leidenschaft: Ei-
nige Veloblitzler fahren weiterhin einen Tag pro
Woche, obwohl sie längst eine andere, gut be-
zahlte Arbeit haben.
Ja, um beim Veloblitz arbeiten zu können, muss
man sogar erst einmal Geld ausgeben. Man
braucht ein gutes Velo, muss es ständig warten,
Verschleissteile ersetzen. Man fährt in eigenen
Kleidern. Sportklamotten sind teuer, dazu kom-
men Schuhe, manchmal ein Helm, und Winter-
sachen. Immerhin gibt es das Veloblitz-Trikot
gratis. Das Arbeitsreglement schreibt vor, dass
Fahrer und Fahrerinnen auf der Strasse und
bei Kunden deutlich als Veloblitz-Mitarbeiter
erkennbar sein müssen. Obligatorisch ist ein
Veloblitz-Trikot, die übrige Kleidung muss gelb
oder schwarz sein. „Uniformzwang“ wird diese
Kleidervorschrift im Reglement genannt, und
schon sie – liegt es an der Wortwahl? – führt zu
Diskussionen. Manche empfi nden diese Vorschrift
als Einschränkung ihrer Individualität. Die Dis-
kussionskultur war sehr schlecht, das Protokoll
dementsprechend schwierig.
Die Veloblitzler entscheiden dank Selbstverwal-
tung letztlich selber, welchen „Zwängen“ sie sich
aussetzen. Und weil das jeden und jede direkt
betrifft, ist die Beteiligung gross, wenn eine ent-
sprechende Abstimmung ansteht. So sorgte ein
solches Traktandum an der Generalversammlung
2009 für aussergewöhnlich viele Teilnehmer:
Helmpfl icht im Veloblitz? Die Meinungen waren
längst gemacht, die kurzen Plädoyers deshalb
emotionslos und sachlich. Das Resultat fi el so
vorhersehbar wie klar aus: 19 Ja, 2 Enthaltun-
gen, 40 Nein.
Alle, die beim Veloblitz arbeiten, sind Veloku-
riere. Das tönt banal, ist es aber nicht. Denn ob
Geschäftsleitung, Dispo, oder Buchhalter: Seit je
Erstmals in der Geschichte des Veloblitzes können die
Löhne regelmässig ausbezahlt und die AHV-Beiträge
monatlich beglichen werden. Unser Postcheckkonto ist ge-
sund. (1995)
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fahren alle auch Schichten als Kuriere. Das ist heute zwar etwas weniger
strikt als früher; es gibt einzelne, vorab Telefonisten, die praktisch zu
hundert Prozent im Büro arbeiten. Aber gerade für die Disponenten ist
es unerlässlich, die Stadt nicht nur auf dem Stadtplan zu kennen, son-
dern aus eigener Erfahrung und ständig aktuell über Verkehrsfl uss und
Baustellen, über verschlossene Türen und umgezogene Empfangsschalter
Bescheid zu wissen.
Rund neunzig Männer und dreissig Frauen arbeiten heute beim Veloblitz.
Ihnen gehört der Betrieb, sie bestimmen über die grossen Linien der Ge-
schäftspolitik und die kleinen Sorgen, wie den Velohelm. Die einen mehr,
die anderen weniger. Aber sie alle prägen den Veloblitz und sorgen dafür,
dass es kein „Geschäft wie jedes andere“ ist. Aber M hat damit sowieso
nur tiefgestapelt.
Etwas ernsthafter nach dramatischen Entwicklungen gefragt, nennt M zwei
Tendenzen, mit denen sich der Veloblitz auseinandersetzen muss:
- Die spontanen Aufträge für Velokuriere werden immer weniger – aber im-
mer dringender. Deshalb müssen permanent genug Fahrerinnen und Fahrer
eingeteilt sein, um diese dringenden Aufträge sofort ausführen zu können.
Fast gleichviele Kuriere, aber weniger Aufträge: Die Kuriere verdienen also
immer weniger pro Schicht.
- Der Veloblitz muss immer häufi ger mit einem Autokurier zusammenar-
beiten. Die bestehende beinahe symbiotische Zusammenarbeit mit einem
„Nachdem wir die Fahrerwerkstatt drei Mal neu mit Werkzeug ausgestat-tet haben und dieses wieder verschwun-den ist, überlassen wir diesen Bastel-platz nun seinem Schicksal.“ (2007)
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kleinen Autokurier bewährt sich dabei sehr. Zu-
mal dieser mit seinen umweltfreundlichen Erd-
gasautos auf der ökologischen Linie des Veloblitz
fährt. Dadurch, sagt M, kann der Veloblitz alle
Aufträge annehmen, muss aber nicht selber ins
Autogeschäft einsteigen. Grössere Transporte per
Velo sind aber durchaus ein Thema: Der Veloblitz
hat kürzlich zwei Lastenvelos angeschafft. Eines
davon wird mit einem Elektromotor ausgerüstet.
Wie sich der Veloblitz als Betrieb selbst defi niert,
steht in einem neuen Leitbild, das auf www.ve-
loblitz.ch veröffentlicht ist. Diese Leitbild wurde
an der Generalversammlung 2009 diskutiert. Das
Traktandum war eigentlich längst abgeschlossen
und das Leitbild verabschiedet, als eine Kurierin,
die zu spät gekommen ist – ihre Schicht dauerte
bis in den Abend – noch eine Frage dazu stellt.
Eine entscheidende Frage. „Da steht, Kundenzu-
friedenheit sei das wichtigste Ziel des Veloblitz“,
sagt sie. „Doch ist Kundenzufriedenheit nicht eher
Mittel zum Zweck?“ Sind zufriedene Kunden also
nicht ein hehres Unternehmensziel, sondern ganz
prosaisch die Voraussetzung für zufriedene und
anständig bezahlte Velokuriere? Und dann gibt
sie sich die Antwort gleich selbst, ganz Veloblitz:
„Vielleicht ist das ja gar nicht so wichtig.“
Generell ist eine Unzufrieden-heit bei den Fahrern zu spüren,
es sollte das Ziel sein, die Zufriedenheit der Fahrer wieder herzustellen, denn mit Zufrie-denheit wird alles generell
besser. (2003)
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1989 ist Sämi Iseli 22-jährig. Kurz vorher hat er die Matur gemacht, an
der Zürcher Kanti Enge, aber eigentlich ist er ein Richterswiler. Jetzt kennt
er sich langsam aus in der Stadt Zürich. Er verkehrt in der Szene der Par-
ties und illegalen Bars, wohnt in einer WG im Kreis 5. Schon in Richterswil
hat er sich politisch engagiert – vor allem velopolitisch. Das Velo ist auch
in Zürich sein zentrales Anliegen: Was tun, um das Velo zu fördern, zum
Verkehrsmittel Nummer 1 in der Stadt zu machen? Was tun ausser Veran-
staltungen, die nur jene erreichen, die eh schon bekehrt sind?
Im Veloblättchen „Katzenauge“ liest Sämi über einen geplanten Transport-
dienst per Velo, er geht zum ersten Treffen, doch das Projekt versandet. Er
verbringt eine Zeit in Hamburg, wohnt bei einem Zürcher Freund, der dort
als Velokurier arbeitet. Der sagt ihm: Mach das in Zürich auch! Und Sämi
macht. Er will es zumindest probieren. Er stellt ein paar Tarifberechnungen
an, besucht auch den Velokurier Luzern, der eben erst gegründet worden
ist. Als er bei der Zürcher Kantonalbank nach einem Kredit für die Firmen-
gründung fragt, lacht ihn der Banker aus. Sein Vater hilft ihm mit einem
Darlehen von 5000 Franken.
Ausgerechnet im November soll es losgehen mit dem Veloblitz. Das No-
vemberwetter spielt keine Rolle. Sämi hat einfach seine Sommerferien
schon verplant gehabt. Das Wintersemester an der Uni will er ausfallen
lassen. Andere Leute, die das Risiko eines solchen Betriebes eingehen
wollen, hat er nicht gefunden. Mindestens zu dritt müssen sie aber sein:
Zwei, die fahren, und einer im Büro, um die Aufträge entgegenzunehmen
und zu verteilen. Das klappt schliesslich auch. Am 6. November 1989
beginnt der Veloblitz mit Sämi Iseli und zwei Freundinnen, die ihm die
ersten paar Tage helfen wollen. Susanne und Christina fahren die ersten
Veloblitz-Aufträge mit ihren Dreigängern durch die Stadt.
Wirkung zeigt ein Presseversand. Das „Tagblatt“ bringt am 4. Dezember
einen Artikel samt Bild von Sämi. Schon tags darauf erhält der Veloblitz
dadurch drei Aufträge. Mehr noch als interessierte Kunden rufen aber Leu-
te an, die beim Veloblitz arbeiten wollen. Susanne und Christina sind also
befreit, und die ersten angestellten Veloblitze unterwegs: Basil und Tomi.
Das Büro befi ndet sich in Sämis WG-Zimmer; er hat von der damaligen PTT
eine zweite Telefonleitung installieren lassen. Wenn er verschläft, weckt
ihn der Anruf des ersten Kunden. Die WG-Küche dient den Kurieren als
Aufenthaltsraum. Kommuniziert wird mit den Vorläufern der Mobiltelefonie.
Der Disponent piepst die Kuriere per Pager an, und diese, ausgerüstet mit
einer Taxcard, rufen von der nächsten Telefonkabine aus zurück.
Zwei Jahre lang wird so gearbeitet, doch das System ist teuer. Jeder
Anruf von einer Kabine kostet vierzig Rappen. Eine eigene Funklizenz ist
schliesslich effi zienter und günstiger. Das fünftonige Erkennungszeichen
des Veloblitz-Funkes heisst bis heute „Saemi“. Das entsprang aber nicht
Sämi Iselis Eitelkeit, sondern wurde vom Bundesamt für Kommunikation
mit Feingefühl so zugeteilt. Verrechnet werden die Fahrten pro Kilometer;
gemessen werden die Distanzen mit dem Massstab auf dem Stadtplan.
Finanziell bleibt es in den Anfangsjahren eng, doch grosse Schulden häu-
fen sich nie an, und Aufwand, Ertrag und Löhne wachsen gleichmässig.
Text: Armin Köhli, Bild: Tagblatt der Stadt Zürich
Den Veloblitz zu gründen habe nichts Geniales gehabt, sagt Sämi Iseli. Er sei einfach mutig
und unbefangen gewesen.
Ein Velo-Freak hatte den Geistesblitz
AM ANFANG WAR SÄMI
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Nach zwei Jahren ist klar: Es funktioniert! Sämi,
der nicht sein Leben lang Velokurier bleiben
will, wandelt seine Einzelfi rma in eine Genos-
senschaft um. Dadurch sollen auch andere Ver-
antwortung übernehmen, und das passt auch
ins politische Umfeld der damals boomenden
Selbstverwaltung. Genossenschafter werden alle
etwa zwanzig Kuriere.
Nach sieben Jahren zieht sich Sämi ganz aus
dem Veloblitz zurück. Er bleibt bis heute Ve-
loblitz-Genossenschafter. Genossenschaft und
Selbstverwaltung seien auch im Rückblick die
beste Lösung gewesen, sagt Sämi Iseli heu-
te. Attraktiv, und dazu noch gut fürs Image. Er
meint aber auch: „Daran kaut der Veloblitz im-
mer noch – es gibt einfach keinen ‚Patron‘. Das
führt zu Reibereien und Friktionen.“
Den Veloblitz zu gründen habe nichts Geniales
gehabt, sagt Sämi Iseli. Er sei einfach mutig
und unbefangen gewesen – und relativ leicht-
sinnig. „Der Veloblitz hat komplett in mein
Weltbild gepasst. Ich wollte etwas Gutes tun.
Das Velo fördern, und beweisen, dass das Velo
auch kommerziell nutzbar ist. Und spannend
war es auch.“
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Text: Armin Köhli, Illustration: Hofgrafen
Die Frage nach dem „gerechten“ Lohn stellt sich im Veloblitz nicht. Dafür
sind die Löhne schlicht zu tief. Was sich aber drängend stellt, ist die Frage
nach der gerechten Verteilung dessen, was zu verteilen ist. Der Veloblitz
kennt drei Arten von Löhnen: Umsatzbeteiligung, Stundenlohn, Fixlohn. Die
eigentlichen Velokuriere erhalten in der Regel 41 Prozent ihres Umsatzes.
Damit verdienen die meisten knapp 20 Franken pro Stunde. Wer im Büro
arbeitet oder das Büro putzt, erhält je nach Arbeit einen Stundenlohn von
25 oder 27 Franken. Wer fi xe Fahraufträge ausführt, etwa den Hauslie-
ferdienst des Lily‘s, erhält ebenfalls einen Stundenlohn von 23 bis 26.50
Franken. Wer feste, immer gleich bleibende Touren fährt, erhält einen fi xen
Betrag pro Tour, egal wie schnell oder langsam er die Tour ausführt.
Benachteiligt fühlen sich die meisten. Und alle haben ihre Argumente. So
vergleichen die Leute in der Administration ihre Löhne mit den Kaderlöh-
nen in anderen Betrieben. Oder erfahrene und gut ausgebildete Vierzig-
jährige beklagen sich, dass zwanzigjährigen Studenten den gleichen Lohn
erhalten. Andererseits fi nden viele Kuriere: Wir machen den Knochenjob
auf der Strasse, wir sind der eigentliche Veloblitz, aber die im Büro verdie-
nen mehr als wir. Wo doch der Anteil der administrativen Kosten sowieso
ständig zunimmt.
Die Löhne sind über all die Jahre permanent Thema. Das Lohnsystem wird
dauernd angepasst. Früher etwa erhielten Frauen einen höheren Anteil
am Umsatz als Männer – wohl in der irrigen Annahme, dass Frauen nicht
gleich schnell Velo fahren können. Dabei gehören und gehörten Frauen
schon immer zu den Meistverdienenden, denn Kurieraufträge schnellst-
möglich zu erledigen, ist gewiss nicht nur eine Frage der Muskelkraft.
Im Zuge von Sparmassnahmen wurde diese positive Lohndiskriminierung
schliesslich elegant abgeschafft. Andere Lohnmodelle haben sich auf lan-
ge Sicht auch nicht bewährt. So gibt es einen Bonus für Vielfahrer – doch
es hat sich gezeigt, dass jene, die viel fahren, nicht automatisch bessere
Kuriere sind. Dieser Bonus soll nun abgeschafft und dafür der Umsatz-
anteil für alle erhöht werden. Sicher ist: Auch dieses System wird wieder
geändert werden.
Auch die Kuriere untereinander sind sich nicht einig. Periodisch fordern
viele Kuriere einen fi xen Stundenlohn - wogegen sich andere wehren, die
einen hohen Umsatz erzielen und mit dem jetzigen System relativ viel
verdienen. Gegen einen Stundenlohn für Kuriere sind meistens auch die
Disponenten: Aus ihrer Sicht führt ein fi xer Lohn zwingend zu langsameren
Velokurieren.
Doch in einem sind sich alle einig: Das gemeinsame Ziel heisst Lohner-
höhung.
Welcher Lohn für welche Arbeit?
DER KLEINE UNTERSCHIED
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„Benachteiligt fühlen sich die meisten. So vergleichen die Leute in der Administration ihre Löhne mit den Kader-löhnen in anderen Betrieben. Oder erfahrene Vierzigjährige beklagen sich, dass zwanzig-jährige Studenten den gleichen Lohn erhalten.“
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Zum Stadtbild von Zürich gehören auch die Kuriere des Veloblitz. Auf den folgenden Bildern muss man allerdings genau hinsehen, um sie zu entdecken. Machen Sie sich auf die Suche! Aufl ösung auf Seite 112.
Fotos: Frank Blaser, Illustration: Hofgrafen
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Eine Form, in der Stadt
zu direkten Erlebnis-
sen zu kommen, ist für
mich das Radfahren.
Ich wohne in Oerlikon,
und wenn ich Abma-
chungen in der Stadt
habe, zu denen ich
nicht gerade das Cello
mitnehmen muss, setz
ich mich gewöhnlich
aufs Velo, und wenn
ich auf meinem Ein-
undzwanz i ggänge r
beim Milchbuck vor
den Ampeln zwischen
zwei Lastwagen ste-
he, von denen einer
geradeaus weiter will
und der andere rechts
in den Tunnel, wenn
ich da stehe auf ei-
nem dieser rührend
hingepünktelten gel-
ben Radstreifchen,
die manchmal ganz
überraschend am Bo-
den auftauchen, einen
ein paar Meter weit
begleiten und dann
wie eine Fata Morga-
na sofort wieder ver-
schwinden, wenn man
sie wirklich brauchen
könnte, zum Beispiel
nach dieser Kreuzung,
wo man sich dann
hinter eine Art Pfahl-
provisorium schwin-
delt, das nun schon
so lange dasteht, dass
man den Verdacht
nicht los wird, es sei
zu unserm Schutz er-
richtet worden, müsste
man nicht eine halbe
Minute später wieder
raus und sich kühn
über zwei Spuren nach
links hinüberschlän-
geln, zwischen Lie-
ferwagen, Motorrädern
und Hochzeitsbussen,
weil man in den gros-
sen Velokanal einbie-
gen will, der einen
von Zürich Nord zur
Uni bringt - wenn
man sich dem anver-
traut, wird man nur
gerade zweimal über
eine grosse Strasse
getrieben, auf welcher
der Autoverkehr wie
ein Wildbach daher-
rauscht, allerdings ein
Wildbach, der hinunter
und hinauf gleichzeitig
rauscht, das ist eben
die städtische Varian-
te, und wenn ich dann
aus der Sonneggstras-
se in die Winterthurer
Strasse einbiege und
wieder so ein Stück-
lein Gelb am Boden
sehe, das aber merk-
würdig nahe beim
Universitätsspital wie-
der verschwindet, und
dann die Rämistrasse
hinabsteche und mir
überlege, ob ich die
Autokolonne rechts
oder links überholen
soll und dann links
über die Tramschie-
ne balanciere mit
ruckartigem Anheben
des Vorderrads wie
ein Radballprofi , und
kurz vor der Kreuzung
wieder zwischen zwei
stockenden oder krie-
chenden Stosstangen
rechts hineinschlüpfe,
wenn ich dann beim
Pfauen vom Sattel
steige, auf die Uhr
schaue und sehe, dass
ich mit dem Tram zehn
Minuten länger gefah-
ren wäre, vom Auto
gar nicht zu sprechen,
dann habe ich den
Eindruck, ich hätte
wirklich etwas erlebt,
und ich fühle mich
vielleicht etwa so wie
ein Senn, der mitten
in einem Gewitter eine
verirrte Kuh zurückge-
holt hat - der Unter-
schied wäre einfach
der, dass das Ver-
kehrsgewitter in der
Stadt kein Naturereig-
nis ist, sondern etwas,
das wir beeinfl ussen
könnten - wenn wir
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Typische Velokuriere gibt es eigentlich nicht. Vollzeitfahrradkuriere sind eher selten. Die allermeisten haben mehrere berufl iche Schwerpunkte – und einige eine Familie dazu: Hannes Würgler erzählt im Gespräch mit Karacho, wie er seine drei Jobs als Velokurier, Musiker und Hausmann unter einen Hut bringt. Als langjähriger Veloblitzler wirft er auch einen humorvol-len Blick auf die frühen Jahre des Betriebs zurück.
Text: Mahmud Tschannen, Foto: Marcel Bircher
DREI JOBS UND 15 HOBBYS – GESPRACH MIT HANNES WÜRGLER
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Warum hast du vor 15 Jahren ausgerechnet beim Veloblitz angefangen
zu arbeiten?
Ich habe eine Teilzeitarbeit gesucht, bei der ich fl exibel bin. Dann habe ich
per Zufall jemanden getroffen, den ich kannte und der beim Veloblitz ge-
arbeitet hat. Ich habe ihn beim Milchbuck herumkurven gesehen und mich
gefragt, was er da macht. Als ich ihn später nochmals getroffen habe,
habe ich mit ihm darüber gesprochen. Er fand, ich soll mal vorbeikommen,
der Job sei cool. Er selbst war ein Quereinsteiger, der vorher nicht gross
Velo gefahren ist. Nur für den Normalgebrauch, so wie ich auch.
Was hast du vor dem Veloblitz gemacht?
Vor dem Veloblitz habe ich Teilzeit in einem Musikgeschäft gearbeitet. Dort
hat man leider feste Arbeitszeiten, auch samstags und abends. Das ist
meiner Tätigkeit als Musiker von den Zeiten her in die Quere gekommen.
Das wurde mir zu mühsam. Es war eigentlich der Grund, weshalb ich
etwas anderes gesucht habe. Das es aber ausgerechnet der Veloblitz war,
war ein Zufall.
Musik war also schon damals ein wichtiger Teil deines Lebens?
Ich habe eigentlich immer in verschiedenen Bands gespielt. Das mache ich
jetzt noch. Und zwar querbeet. Vor dem Veloblitz war ich zwei Jahre beim
Cats-Musical in Oerlikon Schlagzeuger. Nach diesem Engagement bin ich
zuerst in den Musikladen und danach zum Veloblitz arbeiten gegangen.
Hast du nie daran gedacht zu unterrichten?
In der Schweiz geben 90 Prozent der Musiker Stunden. Dort hat es bei mir
immer geharzt. Ich habe es ein paar Mal probiert, musste aber irgendwann
einsehen, dass das nicht mein Ding ist. Tja, und dort verdienen die meisten
Musiker halt ihr Geld. Schüler zu unterrichten, die sonst noch ins Karate,
Kung Fu oder im Fussballclub sind und keine halbe Stunde in der Woche
Zeit haben, um zu üben, das hat mich ziemlich frustriert als Lehrer. Ich
fahre lieber Velo. So wurde der Veloblitz halt mein Nebenerwerb. Das deckt
meine Fixkosten. Im Gegensatz dazu ist das Musikersein einfach zu wech-
selhaft. Manchmal läuft es gut und im nächsten Monat kann es sehr wenig
zu tun geben. Da schaut man halt in die Röhre. Und um das abzufedern
ist der Kurierjob ideal.
Du hast gesagt, dass du querbeet in verschiedenen Bands warst. Wie muss
man sich das vorstellen?
Ja, das war schon immer so. Einerseits spiele ich fest in verschiedenen
Bands und anderseits gibt es immer wieder Bands bei denen ich aushelfe,
wenn ihr Schlagzeuger ausfällt. Ich lerne ihre Stücke ziemlich schnell,
mache ein, zwei Auftritte mit ihnen. Das ist aber auch schon alles. Dann
haben sie wieder ihre eigenen Leute. Als Abwechslung ist das auch sehr
spannend. Das lief eigentlich auch immer gut. Ansonsten spiele ich in
Rock-, Pop-, Jazz-, Country- oder Cover-Bands. Bis vor kurzem war ich
wieder Schlagzeuger bei einem Musical in Bülach, das hiess „Storm“. Die
sind leider Konkurs gegangen. Vier Wochen haben wir gespielt. Es hätten
zwei Monate werden sollen. – Das erzähle ich nur, um zu zeigen, wie un-
berechenbar die ganze Musikszene ist. Ich bin froh, dass ich ein Standbein
habe, wie den Veloblitz. Wo ich weiss, dass Geld regelmässig reinkommt.
Hast du zurzeit eine eigene Band? Eine in der du fi x drin bist?
Da gibt es ein paar. Zum Beispiel die Band meiner Frau, die unter ihrem
Namen läuft: Sabine Fiegl. Es sind Singer-Songwriter-Sachen. Wir haben
schon drei CDs in New York aufgenommen. Mit dieser Band haben wir ein
paar Auftritte im Jahr. Das genügt natürlich nicht, um davon zu leben.
Dann gibt es noch die Shaking Piranhas, eine Ska-Party-Band.
Ausserdem bin ich Teil eines Trios, das unter dem Namen Kurt Acker-
mann läuft. Wir spielen vor allem Pop-Rock-Covers. An Privatfesten und
in einem kleinen Klub an der Limmatstrasse, im Westside. Dort haben wir
seit Januar 2008 schon 56 Mal gespielt, jeden Donnerstag. Wir sind quasi
Hausband. Und da hat es noch eine lustige Band, bei der ich manch-
mal aushelfe, die heisst „Led Airbus“, das ist eine Led-Zeppelin-Tribute-
Band. Die brauchen nämlich grundsätzlich zwei Schlagzeuger. Einer alleine
schafft das nicht. Nach einem Konzert braucht man eine Auszeit. Das ist
schwere körperliche Arbeit. Fix bin ich noch bei Doris Ackermann, das ist
eine Country-Folk-Pop-Band.
Die Liste lässt sich noch beliebig erweitern, ist aber schlussendlich nicht
so spannend. Doch: Blues Pack gibt es noch. Wir spielen modernen Blues,
der mit Funk angereichert ist. Das sind Winterthurer. Aber auch das sind
höchstens fünf bis sechs Konzerte im Jahr. Also nicht der Wahnsinn. Aber
da bin ich auch dabei.
Dein Engagement in der Musik hört sich recht gross an. Wie machst du das
neben dem Vatersein und dem Kurierjob?
Die Auftritte sind meistens am Wochenende, ausser dem fi xen Donner-
tagsgig. Das ist halt immer Abendarbeit. Darum geht es eben sehr gut am
anderen vorbei. Moritz ist jetzt neun, geht in die dritte Klasse, Leo ist sechs
und im zweiten Kindergarten. Wir haben es bis jetzt eigentlich immer ohne
Krippe geschafft. Meine Frau und ich können uns wie bei einem Puzzlespiel
gegenseitig ergänzen. Sabine ist Gesangslehrerin an zwei Musikschulen
und arbeitet an drei Tagen jeweils vom Nachmittag an in den Abend hinein.
Ich arbeite montags und dienstags am Morgen. Sie geht, sobald ich nach
Hause komme. Wir machen an diesen zwei Tagen sozusagen einen fl iegen-
den Wechsel. Mittwochs bin ich ganztags Hausmann. Und Sabine ist den
ganzen Tag in Winterthur am Konservatorium. Donnerstag ist dann ihr Tag
und ich bin den ganzen Tag im Veloblitz. Freitag ist auch gemischt. Sie ist
in der Regel am Abend zuständig, weil ich irgendwo spiele.
Diese Aufteilung hat sich mit den Kindern einfach so ergeben. Bei einer
Krippe hätten wir zwar beide gleichzeitig arbeiten können, einer von uns
hätte aber schlussendlich nur gearbeitet, um die Krippe zu bezahlen. Und
wenn mal jemand krank ist, springen meine Eltern oder meine Schwieger-
mutter ein. Wir haben ein funktionierendes Netzwerk.
Beim Veloblitz arbeite ich 20,5 Stunden, das sind ungefähr 50 Prozent. Hausmann bin ich an zwei Tagen in der Woche, also zu 40 Prozent. Musik mache ich an zwei bis drei Abenden pro Woche.
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Wohnen die Grosseltern alle in Zürich?
Nein, im Zürcher Oberland. Mein Vater hat aber ein Büro in Zürich. Alle Gros-
seltern sind schon pensioniert. Und sonst haben wir Babysitter. Bisher hat es
immer gut geklappt. Und jetzt sind die Kinder grösser und können auch Mal
kurz alleine zu Hause sein. Ein wichtiger Punkt ist sicher auch, dass wir das
Glück hatten, dass wir unseren älteren Sohn an einer Tagesschule unterbrin-
gen konnten. Es gibt leider nicht so viele in der Stadt. Wir dachten nicht, dass
er rein kommt. Wir mussten ihn anmelden und es hiess, dass am Schluss das
Los entscheidet. Am Info-Abend waren 300 Eltern und wir glaubten nicht,
dass wir wirklich eine Chance haben. Aber er wurde aufgenommen. Das Gute
ist, dass der Kleine jetzt auch automatisch in die Tagesschule kann. Ge-
schwisternachzug heisst das. Für uns ist das eine ziemliche Erleichterung.
Jetzt auf den ganzen Monat geschätzt, wie teilen sich deine drei Jobs pro-
zentual ungefähr auf?
Beim Veloblitz arbeite ich 20,5 Stunden, das sind ungefähr 50 Prozent.
Hausmann bin ich an zwei Tagen in der Woche, also zu 40 Prozent. Musik
mache ich an zwei bis drei Abenden pro Woche. Das sind jeweils sechs bis
sieben Stunden pro Job. Es kommt darauf an, wo das Konzert ist.
Hast du daneben noch Zeit für etwas anderes?
Ja, ja sehr viel. Ich habe noch etwa 15 Hobbys. – Nein, im Ernst, die Woche
ist recht voll. Ab und zu habe ich auch noch Proben, die ich zum Glück auf
einem Minimum halten kann. Aber nächste Woche beispielsweise probe ich
einen ganzen Tag mit einem Gospelchor. Da muss ich ein ganzes Programm
einstudieren. Das kommt aber höchstens zwei, drei Mal im Jahr vor.
Aber sonst liegt nicht wirklich viel drin. Ein Hobby, das ich noch habe,
ist Bergsteigen. Seit ich Kinder habe, ist das sehr schwierig. Einfach zwei
Tage in die Berge gehen zu können, kommt sehr selten vor. An den Wo-
chenenden geht es mir oft nicht und sonst ist das Wetter schlecht, wenn
man gerade abgemacht hat. Das klappt schlussendlich ein, zwei Mal im
Jahr. Aber, wenn die Kinder einmal grösser sind und ich dann noch mag,
dann... Sonst gehen wir halt wandern und geniessen das Essen. Aber, wie
gesagt, grundsätzlich ist die Woche voll. Es gibt zu Hause immer etwas zu
tun. Wäsche, die herumliegt usw.
Gibt es trotz der guten Organisation nie Stress?
Nein. Es geht erstaunlich gut. Ausser etwas Unvorhergesehen passiert. Wie
letzte Woche. Da hiess es im Kindergarten hätten sie Standortbestimmung
der Schule und die Kinder hätten den ganzen Donnerstag frei. Das ist aus-
gerechnet der Tag an dem wir beide arbeiten. Da rotiert man halt herum,
um jemanden für die Kinder zu fi nden. Manchmal sieht man es früher auf
den Zetteln, die die Kinder mitbringen, manchmal halt später.
Jetzt noch ein Blick zurück: Du bist seit 15 Jahren Velokurier. Wie war der
Veloblitz früher?
(Lacht) Zum Beispiel wurde Lohn selten ausbezahlt, da sich alle den
ganzen Lohn schon im Voraus auszahlen liessen. Als ich mich das ers-
te Mal nach meinem Lohn erkundigt habe, waren die Verantwortlichen
erstaunt, dass ich noch nichts vorbezogen hatte. Aber das ist eher eine
lustige Anekdote.
Über die letzten 15 Jahre ist der Veloblitz viel grösser geworden. Es hat
viel mehr Leute. Am Anfang ist man auf den Sofas gesessen und es waren
immer die gleichen 18 Nasen, die das Ding geschaukelt haben. Es gab
ein paar Vielfahrer und ein paar, die man etwas seltener sah. Heute ist es
viel schwieriger, die Übersicht zu behalten. Viele Leute sind schon wieder
weg, bevor du ihren Namen kennst. Handkehrum ist vieles professioneller
geworden: Abrechnungen, Versicherungssachen, Vorsorge. Früher war das
ziemlich hanebüchen. Da hat sich schon einiges geändert. Aber grund-
sätzlich hat sich die Ertragslage insgesamt ziemlich verschlechtert. Ich
durfte noch die goldenen Jahre des Velokuriergeschäfts miterleben. Die
fetten. Das war 1996-99. Da wurde ein Kurier bestellt, weil irgendwo im
Gebäude ein Brief lag. Egal ob er dringend war. Oder Fotos. Wenn irgendein
wichtiger Anlass bevorstand, haben wir von den Agenturen die Dias geholt
und den Medien gebracht und wieder zurücktransportiert. 1999 fi ng das
mit den digitalen Daten an. Dann ging es rapide abwärts. Früher war die
Konkurrenz auch viel kleiner.
Aber der Job an und für sich ist der gleiche geblieben: Du holst etwas und
bringst es vorbei. In wievielen Versionen kann man das durchspielen? Der
Job ist einfach und eignet sich auch für andere Leute, die Teilzeit arbeiten
wollen, etwa Studis. Er ist fl exibel und man kann mehr arbeiten, wenn man
Zeit hat. Wo kann man das sonst? Ein paar Monate vier Mal pro Woche und
dann wieder nur ein Mal? Vielleicht im Gastgewerbe.
Und Gore-Tex. Die ersten Veloblitz-Nylonjacken waren legendär. Im Regen
waren die in drei Sekunden nass und hingen an einem wie ein Sack. Zum
Glück war das bald vorbei. Ich kann mich an den ersten Winter erinnern.
Da hatte man lange Unterhosen an und Zeitungen unter die Kleidung ge-
stopft. Wenn man von Witikon runterfuhr, hatte man das Gefühl, es bläst
direkt rein. Bei minus 10 Grad. Bei den Klamotten hat es wirklich einen
Quantensprung gegeben.
Hannes, danke für das Gespräch.
Zum Beispiel wurde Lohn selten ausbezahlt, da sich alle den ganzen Lohn schon
im Voraus auszahlen liessen.
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Fotos: Chris Kerkhof und Frank Blaser, Text und Installation: Hofgrafen
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MEHR MEHR LEISTUNGLEISTUNGVelokuriere als dankbare Versuchskaninchen
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Viele Velokuriere in Zürich gehen ausser ihrem Kurierjob auch einem Studium
nach. Zwei ehemalige Veloblitzler, Karsten Kulik und Lorenz Götte konnten
beide Tätigkeiten für ihre Diplom-, bzw. ihre Doktorarbeit verknüpfen, indem
sie ihre Arbeitskollegen zu Studienobjekten machten. Über den Veloblitz und
seine Kuriere entstanden so zwei interessante Forschungsarbeiten, deren
Resultate teilweise internationale Aufmerksamkeit erhielten.
Mehr Leistung dank gezieltem Training der AtmungsmuskulaturDer Biologe Karsten Kulik untersuchte die Auswirkungen eines vierwöchigen
Ausdauertrainings der Atmungsmuskulatur. Seine Studie mit Velokurieren
als Probanden entstand in Zusammenarbeit mit Michael McMahon vom
Sportphysiologischen Institut der ETH / Uni Zürich und wurde in den Jahren
1997 und 1998 durchgeführt.
Um die Wirkung des Trainings nachzuweisen, absolvierten alle Kuriere in
einer ersten Phase eine Reihe von physiologischen Tests. Dadurch wurde
eine Vergleichsbasis geschaffen. Diese Tests massen Lungenvolumen, Lun-
gen-Vitalkapazität, Atmungsausdauer, Fahrradkraftausdauer, das maximale
Sauerstoffaufnahmevermögen, Laktatwerte und weitere atmungsphysiologi-
sche Werte.
Text: Karsten Kulik und Lorenz Götte, Illustration: Hofgrafen
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In der zweiten Phase wurde die Atmungsmuskulatur vier Wochen lang mit
einem kleinen Apparat täglich 30 Minuten lang trainiert. Der Apparat er-
möglichte es, hohe Volumen pro Minute zu atmen. Durch diese Hyperventi-
lation wurde die Atmungsmuskulatur ermüdet, respektive trainiert. Schwin-
delgefühle durch das Hyperventilieren wurden dadurch verhindert, dass die
Trainingsapparatur Kohlendioxid in der Atemluft anreicherte und so dessen
Konzentration im Blut konstant hielt.
Nach dieser vierwöchigen Trainingsperiode wurden in einem letzten Schritt
die gleichen physiologischen Tests durchgeführt wie in Phase eins. Die Re-
sultate waren eindeutig: Die Probanden wiesen eine verbesserte Atmungs-
ausdauer auf. Interessanterweise fand sich keine Änderung der übrigen
Parameter. Die Annahme, dass es durch eine verbesserte Atmungsausdauer
auch zu einer Verbesserung der Fahrradkraftausdauer und zu einem erhöh-
ten Laktatmetabolismus kommen könnte, bestätigte sich nicht.
Obwohl die Untersuchung der Kurierpopulation wie zu erwarten zeigte, dass
Velokuriere äusserst geeignete Versuchobjekte für eine solche Untersuchung
darstellen, waren ein paar Ausreisser bemerkenswert. So gab es beispiels-
weise einen Kurier, der 92 Milliliter Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht
pro Minute aufnehmen konnte und somit einen sehr hohen maximalen ae-
roben Wert aufwies. Die maximale Sauerstoffaufnahmekapazität dient als
Indikator für das Ausdauerpotenzial eines Menschen. Dieser Proband wies
mit diesen 92ml mehr Potenzial auf als Lance Armstrong (85ml) oder Jan
Ullrich (89ml).
Neben diesem Kurier mit Spitzenwerten bezüglich Sauerstoffaufnahme zeig-
ten einige seiner Kollegen ebenfalls aussergewöhnliche Messwerte an bei-
den Enden der Skala. Die Werte reichten vom olympischen Athleten bis zum
Kurier, dem man über die Strasse helfen möchte.
Mehr Leistung dank fi nanziellem AnreizVelokuriere zeigten auch interessante Resultate in einer Studie zur Ver-
haltensökonomie. Lorenz Götte, inzwischen Professor für Ökonomie an der
Universität Genf, führte seine Studie im Jahr 2000 als Assistent am Institut
für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich durch. Mit dem
Velokurier als Studienobjekt konnte er sogar eine wichtige Wissenslücke in
der Arbeitsmarktökonomik schliessen.
Aus Sicht der Arbeitsmarktökonomik war die Ausgangslage klar: Wenn mehr
Lohn bezahlt wird, arbeiten Menschen mehr. Doch trotz aller Klarheit der
Aussage, ist es erstaunlich schwierig sie empirisch zu belegen. Die typi-
schen Datenquellen sind voller Messfehler bezüglich Löhne und Arbeitsstun-
den. In vielen Berufen ist es gar nicht möglich, mehr zu arbeiten, wenn die
Löhne steigen, obwohl man das vielleicht möchte. Kurz: Empirische Studien
mit konventionellen Datenquellen stossen schnell an ihre Grenzen.
Wie sich zeigte, sind ökonomische Daten von Velokurieren hingegen hervor-
ragend geeignet, um den Zusammenhang von Lohn und Leistung zu untersu-
chen. Kurierfi rmen führen genau Buch über die Arbeitsschichten. Zusätzlich
stehen weitere, interessante Werte wie die Produktivität von Kurieren (Um-
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MEHRLEISTUNGMEHRLEISTUNGMEHR
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satz pro Schicht) zur Verfügung. Aus diesem Grund machte Lorenz Götte, in
Absprache mit seinem Professor, dem Veloblitz folgendes Angebot: Während
8 Wochen sollten im Veloblitz den Fahrern die Löhne erhöht werden. In den
ersten vier Wochen erhielten alle Fahrer mit ungerader Fahrernummer 10
Prozentpunkte mehr Umsatzprovision, in den nächsten vier Wochen alle
Fahrer mit gerader Fahrernummer. Lorenz Götte bekam im Gegenzug alle
Daten (Umsatzzahlen usw.) über diesen Zeitraum für seine Studie. Nach
anfänglicher Skepsis unter der Fahrerschaft zeichnete sich dann doch eine
breite Zustimmung ab. Eine Erhöhung der Provision von rund 40 Prozent auf
50 Prozent hatte halt ihren Reiz.
Die Ergebnisse aus dem Experiment sprechen für sich: Die Abbildung zeigt
die Umsätze der Fahrer während der Untersuchung. Die Kurve zeigt, dass
beide Gruppen zu Beginn einen ähnlichen Einsatz brachten. Als der Lohn
einer Gruppe erhöht wurde, waren plötzlich grosse Unterschiede zu beo-
bachten. Fahrer, die in den ersten 4 Wochen eine höhere Provision beka-
men, erarbeiteten ca. 1000 Franken mehr Umsatz. Gleiches passierte in der
zweiten Periode. Die Unterschiede sind statistisch hochsignifi kant. Auch die
quantitative Seite ist erstaunlich: Bei einem durchschnittlichen Monats-
umsatz von 3500 Franken entsprach dies einer Erhöhung des Umsatzes
von knapp 30 Prozent und dies bei einer Lohnerhöhung von 25 Prozent.
Die Stärke der Reaktion, die dank der Kooperation mit Veloblitz gemessen
werden konnte, ist bis heute ein Weltrekord unter vergleichbaren wissen-
schaftlichen Untersuchungen.
Einmal Velokurier, immer Velokurier? Eine Anekdote von Lorenz GötteWährend meiner Tätigkeit als Senior Economist an der Federal Reserve Bank
of Boston hatte die mit der Sicherheit des Gebäudes betraute Polizei grosse
Mühe, mich als Angestellten der Bank zu erkennen. Der Grund: Obwohl sich
alle, die das Gebäude betraten, einer Kontrolle beim Eingang unterziehen
mussten, wurden Fahrradkuriere besonders gründlich untersucht. Sie wur-
den genauestens registriert und mit einem leuchtenden Kleber versehen, auf
dem gross „VISITOR“ stand.
Mir ging es sehr oft wie den Kurieren. Das hatte weniger mit meiner Klei-
dung als vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass ich mit dem Velo zur Arbeit
fuhr. Dafür wurde ich nicht nur von den Polizisten ungläubig angestarrt. Vor
dem 32-stöckigen Hochhaus der Federal Reserve Bank gab es dementspre-
chend auch nur einen einzigen Veloständer für fünf Velos – und Platz hatte
eigentlich immer.
Mit dem Velokurier als Studienobjekt konnte sogar eine wichtige Wissenslücke in der
Arbeitsmarktökonomik geschlossen werden.
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EIN WIRKLICHES ERLEBNIS
Eine Form, in der Stadt zu direkten Erlebnissen zu kommen, ist
für mich das Radfahren. Ich wohne in Oerlikon, und wenn ich
Abmachungen in der Stadt habe, zu denen ich nicht gerade das
Cello mitnehmen muss, setz ich mich gewöhnlich aufs Velo, und
wenn ich auf meinem Einundzwanziggänger beim Milchbuck vor
den Ampeln zwischen zwei Lastwagen stehe, von denen einer
geradeaus weiter will und der andere rechts in den Tunnel, wenn
ich da stehe auf einem dieser rührend hingepünktelten gel-
ben Radstreifchen, die manchmal ganz überraschend am Boden
auftauchen, einen ein paar Meter weit begleiten und dann wie
eine Fata Morgana sofort wieder verschwinden, wenn man sie
wirklich brauchen könnte, zum Beispiel nach dieser Kreuzung,
wo man sich dann hinter eine Art Pfahlprovisorium schwindelt,
das nun schon so lange dasteht, dass man den Verdacht nicht
los wird, es sei zu unserm Schutz errichtet worden, müsste
man nicht eine halbe Minute später wieder raus und sich kühn
über zwei Spuren nach links hinüberschlängeln, zwischen Lie-
ferwagen, Motorrädern und Hochzeitsbussen, weil man in den
grossen Velokanal einbiegen will, der einen von Zürich Nord
zur Uni bringt - wenn man sich dem anvertraut, wird man nur
gerade zweimal über eine grosse Strasse getrieben, auf welcher
der Autoverkehr wie ein Wildbach daherrauscht, allerdings ein
Wildbach, der hinunter und hinauf gleichzeitig rauscht, das ist
eben die städtische Variante, und wenn ich dann aus der Sonn-
eggstrasse in die Winterthurer Strasse einbiege und wieder so
ein Stücklein Gelb am Boden sehe, das aber merkwürdig nahe
beim Universitätsspital wieder verschwindet, und dann die Rä-
Eigentlich glaube ich, dass wir in unserem wohlorganisierten Alltag alle zu wenig er-leben. Auf irgendeine seltsame und softe Art manövrieren wir uns an den wirklichen Erlebnissen vorbei, wenigstens wir in Zürich oder in Männedorf oder Thalwil, oder warum wären wir sonst so begeistert, wenn wir auf einer Mittelmeerinsel mit dem Fischer im Boot hinausfahren dürfen oder wenn wir in unsern drei Ferienwöchlein in den Bergen dem Bauern die Kühe in den Stall zurücktreiben helfen.
Text: Franz Hohler, Illustration: Res Zinniker
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mistrasse hinabsteche und mir überlege, ob ich die Autokolonne rechts
oder links überholen soll und dann links über die Tramschiene balan-
ciere mit ruckartigem Anheben des Vorderrads wie ein Radballprofi , und
kurz vor der Kreuzung wieder zwischen zwei stockenden oder kriechen-
den Stosstangen rechts hineinschlüpfe, wenn ich dann beim Pfauen vom
Sattel steige, auf die Uhr schaue und sehe, dass ich mit dem Tram zehn
Minuten länger gefahren wäre, vom Auto gar nicht zu sprechen, dann
habe ich den Eindruck, ich hätte wirklich etwas erlebt, und ich fühle mich
vielleicht etwa so wie ein Senn, der mitten in einem Gewitter eine verirrte
Kuh zurückgeholt hat - der Unterschied wäre einfach der, dass das Ver-
kehrsgewitter in der Stadt kein Naturereignis ist, sondern etwas, das wir
beeinfl ussen könnten - wenn wir wollten.
„Eine Form, in der Stadt zu direkten Erlebnissen zu kommen, ist für mich das Radfahren.“
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Mit einer unrühmlichen Szene fängt es an, kurz nach einer Ampel, an der
ich von einem dienstbefl issenen Lohnbezüger des Polizeidepartementes
aufgehalten werde, oder nein, ich muss noch weiter ausholen: Auf dem
Weg in die Zentrale gelingt es mir, obwohl ich um diese Tageszeit für
gewöhnlich kaum schnelle Refl exe zeige, sämtlichen Scherben rechtzeitig
auszuweichen. Es gelingt mir auch, vor dem Befahren des Gitterrosts, der
direkt vor der Zentrale, offenbar als Teststreifen fahrerischen Könnens, in
den Boden eingelassen ist, mein Vorderrad kurz leicht quer zu stellen, so
dass ich nicht steckenbleibe und also nicht gleich am allerersten Morgen
mit dem Gesicht auf dem Steinboden zur Tür hereinkomme.
Da ich als einer der Ersten in der Zentrale aufkreuze, überlässt es der
Disponent mir, das Funkgerät auszuwählen. Ich nehme die Nummer sieben,
meine Lieblingszahl. Nervös bin ich, unsicher in meinen Bewegungen, und
ich lasse mich, der ich mich in diesem Trikot wie verkleidet fühle, irritie-
ren von den Sprüchen, die die anderen machen, oder genauer: Ich denke,
die machen Sprüche, ahne aber schon, dass die immer so sprechen. Ich
stelle mich gerade etwas umständlich an mit dem Brustgurt, in dem das
Funkgerät getragen wird, als mir einer sagt, ich müsse, damit ich den Dis-
ponenten über Funk möglichst gut verstehe, mein Ohr an den Wind legen
wie einen Löffel an den nächsten. Ich nicke, als hätte mir jemand einen
kulturgeschichtlichen Gemeinplatz vermittelt. Trotz aller Sorgfalt fahre ich
beinahe ohne Helm los, und nach den ersten paar Metern, als ich am Kairo
vorbeiziehe, muss ich zugeben, wie mich etwas in dieses Lokal hineinzieht,
zugeben, dass ich jetzt, statt im Nieselregen, statt in der relativen Kälte,
gerne drinnen auf dem alten Polster und in einer nie gehörten Musik her-
umsitzen würde, sei es auch bloß, um den Stadtplan zu studieren, den ich
mir extra gekauft habe, um ihn im Duft eines Kaffees auf die volle Größe
aufzufalten und in aller Ruhe zu einem auch den Disponenten überzeu-
genden Entscheid zu gelangen, welche Straßen mich am besten dorthin
führen, wo jene Haustür liegt, hinter der mein erster Auftrag beginnt. Ja,
Stadtkenntnis, haben sie gesagt. Stadtkenntnisse, und ob ich über solche
Text: Urs Mannhart
„KURIERNOVEL-LE ODER DER HEIMLICH NOCH ZU ÜBERBRIN-GENDE SCHLÜS-SELBUND DER ANTONIA SETTEMBRINI“Berner Velokurierbuch - ein Auszug
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verfüge. Na ja, ein bissche lügen muss doch erlaubt sein. Ich weiß, wo die
Aare durchfl ießt und wo nicht, und dass einer, der neu anfängt, nicht jeden
Schleichweg kennt, davon ist doch auszugehen. Leider sehen alle andern
so aus, als lebten sie von Kindsbeinen an in dieser Genossenschaft, als
wären sie bei der Gründung 1988 dabei gewesen und als könnten sie sich
gar nicht vorstellen, dass es auch Menschen gibt wie mich, die zuvor in
einem gut klimatisierten Büro gearbeitet haben.
Die meisten Kuriere haben übrigens ungewöhnlich lange Nasen. Mag mit
dem Wind zu tun haben, der ihnen in jahrelanger Fahrt die Gesichtshälf-
ten geschmälert hat, ich weiß es nicht; mit einem Arbeitsleben, das sich
stets nach vorne orientiert, mit einer Vorwärtsfantasie. Die hartgesottenen
Genossenschaftler fahren auch bei diesen widrigen, nasskalten Bedingun-
gen in kurzen Hosen. Wahrscheinlich besitzen sie gar keine langen. Oder
sie wollen nicht, dass das Fischgerippe, das ihre Wadenmuskulatur ziert,
überdeckt wird. Einige haben sich ihre Nummer in aufwändiger Handarbeit
aufs Trikot gestickt, andere tragen Fußballsocken am Unterarm, einige
polieren den Stahl ihres makellos glänzenden Rads, mit dem sie gleich in
den Regen ziehen werden, andere rauchen noch rasch zwei Filterlose, ehe
die Schicht beginnt.
Pünktlich um acht Uhr stehe ich ein erstes Mal in der Kette, wie die Ku-
riere sagen, stehe in der Kette des alten Pinarello und sehe zu, dass ich
in den richtigen Gang, auf das richtige Tempo gelange, damit ich mich in
den Verkehr einfügen kann. Ich müsse mich, hat einer gesagt, durch den
motorisierten Verkehr bewegen wie heißes Wasser durch einen vereisten
Bergbach. Ich glaube, diese Kuriere haben alle irgendwo einen Flick weg
– noch ist unklar, ob ich mich hier jemals heimisch fühlen werde. Ich
selbst trage lange, nicht sonderlich elegante Trainingshosen aus schwar-
zer Baumwolle, etwas Tauglicheres habe ich nicht auftreiben können. Aber
auf meinen Waden gibt es ohnehin nichts zu sehen, ein paar Haare viel-
leicht über der Ahnung eines Muskels. Ich werde schon froh sein müssen,
wenn ich nicht vom Rad falle, denn es ist das erste Mal überhaupt, dass
ich mit diesen Pedalen fahre und mit diesen Schuhen, die darin einrasten
wie ein Skischuh in seine Bindung.
Diesen Stress, so denke ich, hätte ich mir besser erspart: Fortwährende,
direkt neben und hinter mir fahrende Angst, nicht aus dieser Verankerung
zu kommen, bei einem Rotlicht stehend oder vor der Tür eines Kunden in
einer kaum für möglich gehaltenen Langsamkeit umzufallen, bloß weil ich
den Schuh nicht rechtzeitig vom Pedal reißen kann. Kurzfristig hatte ich
mich zu diesem Kauf entschieden, ich fürchtete, mich dem Spott preiszu-
geben, wenn ich meine erste Schicht mit diesen antiken Pedalen fahren
würde, bei denen nichts als ein Körbchen den Schuh fi xiert; Pedale, die
danach aussehen, als fahre ein alter Mann gemächlich durch die Dämme-
rung auf seinen Bauernhof zu. Noch kann ich nicht nachvollziehen, worin
der Vorteil der neuen Pedale genau liegt. Geübte Fahrer, so der Verkäufer,
könnten damit nicht nur den runden Tritt perfektionieren, sondern auch
problemlos jene kleinen Sprünge vollführen, die hin und wieder nötig
seien, um von der Straße auf den Gehsteig zu wechseln. Darüber, dass
man mit diesen Schuhen kaum gehen kann, ohne wegen der Metallplatte,
die aus der Sohle ragt, ständig auszurutschen, darüber hat der Verkäufer
kein Wort verloren.
„Velokurierbuch“, ISBN: 978-3-909990-21-4, Edition EigenArt. Hardcover, Prägung, 192 Seiten.
CHF 30.- exkl. Porto und Versand. Respektive CHF 100.-- für die signierte Spezialausgabe mit
integriertem Veloschlauch.
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42 / REPORTAGE /
Mit 30 Kilo auf dem Buckel täglich auf den Pfannenstiel pedalen - für 50 Franken im Monat: So war Ferdy Kübler vor 75 Jahren Velokurier. Ums Geld ging es ihm nicht, Kübler wollte Rennfahrer werden, Kurierfahren war sein Training. Auch ich habe das versucht. Die Tour de France konnte ich nie gewinnen, aber immerhin war ich Radprofi .
VOM KURIER ZUM TOUR DE FRANCE-SIEGER
Text: Simon Joller, Illustration: Hofgrafen
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Geld verdienen mit dem Radfahren, das war einer meiner Bubenträume.
Ja, die Tour de France gewinnen, ein abgebrühter Patron sein wie Bernard
Hinault, ein Asket wie Urs Zimmermann, ein cooler Hund wie Laurent
Fignon, ein Materialfreak wie Greg Lemond, ein Nationalheld wie Ferdy
Kübler. Ich hatte viele Vorbilder. Die verrückten Messenger gehörten
nicht dazu. Und doch landete ich beim „Blitz“. So konnte ich schliesslich
bezahlt trainieren.
Aus dem Sieg an der Tour de France wurde natürlich nichts. Doch immer-
hin habe ich einmal in meinem Leben Geld verdient mit dem Radfahren.
Und ich konnte damals sagen: „Ich bin Radprofi .“ Ich war stolz darauf,
dachte: „Darauf ist wohl noch kaum einer gekommen, sich das Training
von einem Kurierunternehmen bezahlen zu lassen.“ Bis ich mich in die
Literatur über Ferdy Kübler vertieft habe. Und da erst habe ich erfahren,
dass der das schon 65 Jahre vor mir so gemacht hatte. Nur viel erfolg-
reicher. Und konsequenter. Und verrückter. Nie habe ich 30 Kilogramm im
Rucksack getragen. Ferdy machte das regelmässig. 30 Kilogramm Brot in
der „Chräze“, und dann nicht etwa vom Limmatquai zur Bahnhofstrasse,
sondern hinauf auf den Pfannenstiel, zum „Türli“, dem letzten Restaurant
auf dem Berg, mit einem bleischweren Militärrad. Was der junge Ferdy
damals machte, hiess einfach noch „Ausläufer“ und nicht Velokurier. Ferdy
fuhr zuerst für den Bäckermeister Schneebeli aus Männedorf, dann für
den Uhrenladen Barth an der Bahnhofstrasse und den Parfum-Verkäufer
Uhlman-Eyraud. 15 Jahre später hat Ferdy National die Tour de France
und ein Jahr später, 1951, die Weltmeisterschaft gewonnen.
Ferdy ist zum Schweizer Sportler des Jahrhunderts gewählt worden. Seine
Geschichte bewegt bis heute. Ferdy hat gerade seinen 90. Geburtstag ge-
feiert. Ich durfte ihn besuchen zu Hause in Birmensdorf. Und er erzählte,
als sei er erst gestern noch Ausläufer gewesen: „Als ich da auf den Pfan-
nenstiel gefahren bin, da ist dann öfters Mal was kaputt gegangen. Mal ein
Pedal, dann wieder eine Kette, dann ein Rad. Der Velo Hefti sagte immer:
Der Kübler ist mein bester Kunde, der kommt jede Woche.“ Das Militär-
rad gehörte dem Beck Schneebeli, und der hat ihm die Reparaturkosten
jeweils vom Lohn abgezogen. „Aber Frau Schneebeli, sie war eine liebe
Frau, sie hat mir das Geld wieder gegeben und gesagt: Du musst einfach
nichts sagen, Ferdy.“ Auch ich hatte ein geliehenes Velo. Von einem Freund,
der den Kurierjob kurz zuvor an den Nagel gehängt hatte. Zum Glück war
das etwas stabiler als Ferdys Militärrad. Als ich es zurückgegeben habe,
hat die Revision aber doch auch mehr als meinen letzten Monatslohn als
Kurier verschlungen – obwohl ich alles selber repariert habe.
Ferdy Kübler nannten sie in Männedorf den „Bäckerschreck“. Weil er mit
seiner Hutte am Rücken wie ein Verrückter über die Strassen raste. Stras-
sen, die meist noch nicht asphaltiert waren. Besonders auf der Abfahrt
vom Pfannenstiel jagte er den Fussgängern oft einen gehörigen Schreck
ein – und landete dabei öfters auch im Strassengraben. Oder Ferdys Ge-
schichte mit der Zwetschgenwähe: Er balancierte sie nonchalant auf der
Hand, doch kurz bevor er bei der Villa ankam, wo er sie abliefern sollte,
fl og er in hohem Bogen in ein Blumenbeet. Die Wähe klatschte auf das
Vorderrad. Ferdy, ass, was noch zu essen war, kehrte zum Bäcker zurück
und sagte ihm: „Herr Schneebeli, die Kunden hatten solche Freude an der
prächtigen Wähe, sie möchten gleich noch eine Zweite.“ Schneebeli durch-
schaute Ferdy, versetzte ihm eine Ohrfeige und meinte nur: „Lügicheib!“
So richtig hingelegt hat es mich nie beim Kurierfahren. Aber Abends, im
Büro, da wurden jeweils die unglaublichsten Geschichten geboten. Bis zum
Sturz unter dem Lastwagenanhänger hindurch. Doch erst wenn wieder mal
ein Kollege ein paar Monate nicht zur Arbeit erschien, wussten wir: Da war
was dran, an der über ihn erzählten Geschichte.
Manchmal hat meine rasante Fahrweise einen Autofahrer einen Rück-
spiegel gekostet, manchmal gab es lange Diskussionen. Gut, ich musste
jeweils erklären, warum ich und nicht er recht hatte. Natürlich. Und so-
wieso hatte und hat es zu viele Autos auf der Strasse. Nicht so wie vor
75 Jahren. Ferdy erzählt: „Mit den Autos war es nicht böse, es gab ja
keine. Manchmal kam eines alle halbe Stunde, heute kommen sie alle 10
Sekunden.“ Und so beendete auch ein Auto Ferdys Zeit als Velofahrer. Er
war 70 Jahre alt, als ihn am Türlersee ein Mercedes über das Strassen-
bord katapultierte. „Da habe ich Angst gekriegt und bin nie mehr auf ein
Velo gestiegen.“
Für Ferdy war das Kurierfahren die einzige Möglichkeit, das Velofahren be-
gründen zu können: „Damals hatte man nicht viel gegeben ums Velofahren.
Heute fährt ja jeder Generaldirektor. Doch damals galten Velofahrer als
Tagediebe. Wir durften nicht im Renndress trainieren, zogen Shorts an über
die Rennhosen.“ Als Ausläufer hatte er wenigstens einen Job, bei dem er
trainieren konnte. Doch dieses Training reichte ihm noch nicht: „Ich ging
manchmal morgens um vier trainieren, um acht arbeiten, danach wieder
trainieren bis abends um zehn Uhr.“ Und da begann ich zu verstehen,
warum ich es trotz bezahltem Training eben doch nicht zur Tour de France
geschafft habe.
Was der junge Ferdy damals machte, hiess ein-fach noch „Ausläufer“ und nicht Velokurier.
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44 | Jubiläumsausgabe
HERMES – GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI MIT RAD UND TAT! (Übers. einer Inschrift auf dem Belag der alten Rennbahn im antiken Olympia, ca. 500 v.Chr.)
HERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMESHERMES – – – GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESGÖTTERBOTE, HERMESHERMESHERMESGÖTTERBOTE, HERMES – GÖTTERBOTE,
– – – GÖTTERBOTE,
– GÖTTERBOTE,
– GÖTTERBOTE,
– – – GÖTTERBOTE,
–
STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, GÖTTERBOTE, STEH UNS BEI GÖTTERBOTE,
MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND MIT RAD UND TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! TAT! Text: Peter Zangerl, Illustration: Hofgrafen
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Am Anfang war ein EselZeus, man kann es nicht verhehlen, war noch ein echter Kerl. Er hat selten
lange gefackelt, wenn ihm eine holde Göttin, Titanin oder ein Menschen-
töchterlein vor die Lenden geriet. Um die Aufzucht der Brut hat er sich nie
gekümmert. Im Fall von Hermes*, dem Spross aus dem Beischlaf mit der
Atlastochter Maia, war das auch gut so. Der stets jähzornig aufbrausende
Donnerer hätte den Jungen doch nur verdorben. So war und blieb Hermes
ein kluges Kerlchen: Neueste Übersetzungen alter Quellentexte haben uns
die folgende Sage zugänglich gemacht, in der sich Hermes in seiner gan-
zen Durchtriebenheit zeigt.
Es lebte zuzeiten ein bescheidener Mann in Lakedaimon namens Tram-
polos, der hatte eine wunderschöne Tochter, die hiess Brittneia. Zeus,
der Betörer, hatte bei ihr leichtes Spiel, als er sie in Gestalt des lokalen
Eselzureiters Hossas entjungferte. Die schwangere Brittneia wurde folg-
lich dem Hossas anvertraut, und bald kam sie nieder mit einem blonden
Knäblein. Weil dieses schon als Säugling strampelte, wie wild, gab man
ihm den Namen Pedilatos.
Als der Zeusspross herangewachsen war, hatte er nicht nur stramme
Waden und ein Hinterteil wie Leder, sondern auch ein loses Mundwerk. Er
ehrte seine Eltern nicht, nein, er verspottete sie tagein, tagaus. Statt den
Göttern zu opfern spuckte der Halbstarke (Anm. des Übers.: altgr. demigur-
kos) in die heilige Flamme. Das erzürnte im speziellen Hestia, die Amme
(Anm. des Übers.: altgr. hypernanneia) unter den Göttlichen: „Zeus, sieh,
dein Sohn Pedilatos spottet unser und ehrt auch nicht Vater und Mutter.
Er soll für seine Freveleien büssen!“ Da sprach der Aegisschleuderer:
„Wohlan, ich lasse dir freie Hand, ich bin etwas in Eile. Bin schon spät
dran für mein Stelldichein mit Paris, der nymphenhaften, der beglückenden
Wirtstochter.“ Und verschwand.
Hestia zögerte keinen Augenblick und trug Hermes auf, dass er zu Pedila-
tos niederschweben solle, um diesen an die Kandare zu nehmen. Von nun
an bis in alle Ewigkeit müsse der missratene Zeussohn ohne Ross und
Wagen, ohne Hilfe von Menschen oder Göttern in der ganzen Welt zuwege
sein und Reisende, die nach dem Weg fragen, in die Irre leiten.
Der Götterbote wollte sich dem Willen seiner Oheimin nicht widersetzen,
aber er erbarmte sich seines Halbbruders und erschuf – in Andenken an
dessen Ziehvater Hossas – Bicyclos, den ehernen Esel, damit Pedilatos
nicht zum ewigen Wanderer werde, sondern seinem Naturell entsprechend
zum ewigen Trampel! Zudem empfahl ihm der listenreiche Maiasohn, sich
beim Fahren immer tief über den Lenker zu beugen und das Gesicht wie
unter Schmerzen zu verziehen: So würden ihn auch die skythischen Fell-
händler und einfältigen Schlachtenbummler um Rat fragen – auf dass er
diese unerwünschte Brut ins Land schicke, wo das Pfeffer wächst!
Hier bricht die Erzählung ab.
Es wird gemunkelt, dass Pedilatos seinem Schicksal bis heute nicht
entronnen ist. In unserem Zeitalter, wo es asphaltierte Strassen gibt, he-
phaistisch anmutende Karbonräder und göttlichen Nektar wie Cera, Tes-
tosteronpfl aster und Coca Cola, scheint er sogar in seinem Element. Zu-
sammen mit seinem schelmischen Gönner Hermes, der sich jeweils in die
Gestalt seines Freundes Pedilatos verwandelt, um an seiner Stelle in die
Probenbecher zu urinieren. So führt er seit bald zehn Jahren die Radsport-
gemeinde hinters Licht. – Leider dürfen wir an dieser Stelle keine Namen
nennen, denn wir wollen weder den Zorn der irdischen Richter noch den
der Götter auf uns ziehen!
*Hermes ist in der griechischen Mythologie der Schutzgott des Verkehrs,
der Reisenden, der Kaufl eute und der Hirten, andererseits auch der Gott
der Diebe, der Kunsthändler, der Redekunst, der Gymnastik und somit auch
der Palästra und der Magie. Als Götterbote verkündet er die Beschlüsse
des Zeus und führt die Seelen der Verstorbenen in den Hades. Er gehört zu
den zwölf großen Olympischen Göttern.
Als der Zeusspross herangewachsen war, hatte er nicht nur stramme Waden und ein Hinterteil wie Leder, sondern auch ein loses Mundwerk.
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DIE ERFAHRUNG DER WEITEMit dem Fahrrad durch Kasachstan. „Hier beginnt nun also der wilde Osten“, geht es mir durch den Kopf, als ich von meinem Fahrradsattel aus den Blick über die karge kasachische Steppe schweifen lasse. Ich stehe neben dem letzten Zollposten und bin froh, soeben die mühsame Grenzprozedur nach dem Verlassen Russlands hinter mir zu haben.
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Fotos und Text: Res Blum
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/ REPORTAGE / 47
DIE ERFAHRUNG DER WEITE
Aralstrasse in Kasachstan
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Unbekanntes KasachstanKopfschüttelnd schaut der Kasache mich und
mein Drahteselchen an: „Weisst du eigentlich,
wie schlecht die Strassen in Kasachstan sind?“
Nein, weiss ich nicht. Wenn ich die trostlose
Gegend und das lottrige Häuschen neben mir
sehe, so habe ich aber meine Befürchtungen. Ich
schaue mir den Mann an, wohl ebenso neugierig,
wie er mich bestaunt, und wundere mich, wie
asiatisch seine Gesichtszüge sind. Erst später
werde ich begreifen, wie multikulturell Kasach-
stan ist, dass hier fast ein Drittel Russen, viele
Ukrainer und sogar Deutsche beheimatet sind. In
der Steppe, die ich vor mir habe, leben jedoch
fast ausschliesslich die eigentlichen Kasachen,
ein Turkvolk, dem etwas mehr als die Hälfte der
in Kasachstan lebenden Menschen angehören.
Am Morgen bin ich im von Russen dominierten,
oasenhaften Astrachan an der Wolga gestartet.
Vor mir erstreckt sich nun die schier unendliche
Weite der zentralasiatischen Steppe. Irgendwo
unweit von hier im Süden erahne ich das Kaspi-
sche Meer. Ich werde es nie sehen. Der Grenzver-
kehr zwischen Russland und Kasachstan scheint
überraschend klein zu sein, kaum ein Auto lässt
sich blicken. Im Magen verspüre ich ein leicht
mulmiges Gefühl, wie jedes Mal wenn ich auf
meiner Reise ein neues, mir noch unbekanntes
Land unter die Räder genommen habe. Doch
diesmal ist es mulmiger da unten. Ich habe auch
einigen Grund dazu: Auf mich warten 2500 km
Niemandsland, wie ich glaube: endlose Steppe
und Halbwüste bis zu den Bergen des Tian Shan.
Bei der Planung meiner Reise war es dasjenige
Teilstück meiner Route, vor dem ich etwas ratlos
dagestanden bin. Eine riesige, öde Lücke auf der
Karte, die mit dem Velo nicht einfach rasch über-
sprungen werden kann. Kasachstan, wer kennt
schon Kasachstan. Obschon das neuntgrösste
Land auf der Erde, sechsundsechzig Mal grösser
als die Schweiz, weiss in Europa fast niemand
etwas über diesen zentralasiatischen Staat, der
nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 neu ent-
standen ist.
Mir kommen die Räubergeschichten in den Sinn,
von denen ich gelesen habe, etwa von den Last-
wagenfahrern, denen bis auf die Unterhosen
alles abgenommen wurde. Auch weiss ich von
den Atomtestprogrammen, die die Sowjetunion
seit Ende der 40er Jahren, im scheinbar unbe-
wohnten Nichts im kasachischen Osten bei Se-
mipalatinsk durchgeführt hat – zum Glück weitab
meiner geplanten Route. Und eine Menge Öl soll
es geben. Schon merkwürdig, dass bei uns über
dieses Land eigentlich vor allem Negatives be-
kannt ist – aber das war ja bereits in der Ukraine
und Russland so und da haben mich Land und
Leute sehr angesprochen.
Und ich denke daran, dass ich nun alleine unter-
wegs sein werde. Wie sich Dani wohl fühlt? Mit
ihm bin ich vor 80 Tagen in der Schweiz gestar-
tet, am 30. Juni, voller Hoffnung und Tatendrang.
Gemeinsam haben wir die österreichischen Al-
pen erkundet, die ungarische Puszta durchfahren,
die Karpaten in Rumänien überquert, uns durch
die weite Hügellandschaft und die steile Küsten-
Irgendwo unweit im Süden ahne ich das Kaspische Meer.
Ich werde es nie sehen.
Die kasachische Steppe im Sonnenuntergang
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strassen auf der Krimhalbinsel in der Ukraine
gearbeitet, um schliesslich in Russland bei As-
trachan das phantastische, in voller Lotusblüte
stehende Wolgadelta zu bestaunen. Und dann
wollte Danis linkes Knie nicht mehr. Nichts zu
machen. Obschon das Knie geschont wurde, ver-
schlimmerten sich die Schmerzen von Tag zu Tag.
Schlussendlich musste ich mich entscheiden:
Entweder will ich mit Dani im Zug oder aber
alleine weiterfahren. Ich habe mich für letzteres
entschieden. Eine schwere Entscheidung. Hatte
es zu Beginn ein paar Mal leichte Spannungen
zwischen uns gegeben, so haben wir uns recht
rasch aneinander gewöhnt und sind Freunde
geworden. Wir hatten uns via Internet mit dem
gleichen Ziel vor Augen zusammengefunden: uns
so weit wie möglich mit dem Fahrrad nach Osten
in Richtung Tibet durchzuschlagen. Nicht nur weil
es uns sicherer erschienen ist, sondern weil es
einfach schöner ist, Freud und Leid zu teilen.
Aber was soll’s. Es ist der 20. August. Mit der
Abmachung, uns am 15. September in Bishkek
in Kirgistan wieder zu treffen, haben wir uns am
Morgen verabschiedet. Dani hofft, in Kirgistan
wieder mit von der Partie zu sein, wenn sich das
Knie erholt hat. Via Internet wollen wir in der
Zwischenzeit in Kontakt bleiben. Das sollte nicht
so einfach sein.
Ich trete in die Pedale und muss alsbald fest-
stellen, dass die Frau, die mir auf dem Grenz-
fl uss angeboten hat, Geld zu wechseln, die ein-
zige Möglichkeit gewesen ist, meine Rubel in
Tenge, die kasachische Währung, umzuwechseln.
Ich hatte keine Ahnung vom Wechselkurs und
nur für den Notfall umgerechnet zehn Franken
gewechselt. Nun muss dies für gut zwei Tage bis
ins 250 km entfernte Atyrau reichen. Aber das
Essen ist ja billig: Für umgerechnet zwei Franken
bekomme ich eine Mahlzeit, das Wasser dazu
ist gratis. So sollte ich durchkommen. Die erste
Nacht schlafe ich unter freiem Himmel etwas
abseits der Strasse in einer sandigen Nische. Das
Zelt wage ich nicht aufzustellen, zu gut könnte
es von der höhergestellten Strasse aus gese-
hen werden. Ist das übervorsichtig? Ich weiss es
nicht. Die Nacht bricht herein und ich betrachte
die Sternenpracht über mir. In der trockenen Luft
fernab störender Lichteinfl üsse erscheint mir
der Kosmos ungewohnt nah. Wie klein doch der
Mensch ist.
Am nächsten Morgen zuerst einmal „Veloputzete“,
etwas, das mich nun praktisch jeden Tag be-
schäftigt – ja, zu einem Ritual wird. Der Sand
setzt sich überall fest und fungiert vor allem
an Kette und Kränzen als bestes, unerwünschtes
Schleifmittel. Die Strasse ist noch immer relativ
gut beisammen, noch kann ich den Schlaglö-
chern recht gut ausweichen. Ich habe leichten
Rückenwind und komme rasch voran. Am Abend
treffe ich auf eine grössere Siedlung, Aquystau
steht auf meiner Karte. Einfache Häuschen reihen
sich entlang der staubigen Strassen. Ich werde
von einem alten Mann angesprochen, der mich
in sein einfaches Zuhause führt, wo ich bewir-
tet und anschliessend im Dorf rumgeführt werde.
Leider gestaltet sich die Konversation äusserst
schwierig, da viele hier noch schlechter russisch
Obschon das Knie geschont wurde, verschlimmerten sich die Schmerzen von Tag zu Tag.
Alter Mann auf der Strecke nach Atyrau
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Butterherstellung nach alter Art auf der Strecke nach Aral
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Oben: eingeladen zum Beshbarmak, unten: Usbeken-Familie bei Turkestan
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sprechen als ich, will heissen, nur ein paar Wor-
te kennen. Als ich mich neben dem Enkel zur
Ruhe legen kann, bin ich hundemüde. Zwei Mal
werde ich in der Nacht geweckt, zuerst vom an-
getrunkenen Vater, später vom Grossvater selber,
spät nach Mitternacht. Offenbar wollen sie mich
von meiner Absicht, durch Kasachstan zu fah-
ren, abhalten: viel zu gefährlich, wie sie meinen.
Vielen Dank für die „Beruhigung“. Ihre Fürsorge
rührt mich jedoch. Die Aufregung scheint fast die
gesamte Nacht zu dauern, und als ich mich am
Morgen auf den Weg machen will, da bringe ich
es nicht einmal mehr zustande, sie zu wecken.
Offensichtlich zuviel der Aufregung und des Wod-
kas. Ich muss mich schlussendlich ohne Verab-
schiedung aus dem Staub machen.
Erdölfelder unter der SteppeIn Atyrau fallen sogleich die grossen, modernen
Bürogebäude auf, die in dieser gesichtslosen Stadt
einen seltsamen Kontrast zur Umgebung bilden.
Als Kasachstan unabhängig wurde, brauchte
das Land dringend Geld. Nichts lag näher, als
die immensen Erdöllagerstätten im Bereich des
Kaspischen Meeres anzuzapfen, die zur Zeit der
Sowjetunion kaum ausgebeutet worden waren.
Da das Know-how fehlte, um das Öl zu Fördern,
wurden vorwiegend amerikanische Ölfi rmen ins
Land geholt. Chevron oder Exxon sind hier heute
allgegenwärtig. Nur gut 100 km südlich von Aty-
rau liegt das erst im Jahre 2000 entdeckte Ölfeld
Kashagan, das als weltweit grösster Erdölfund
seit 30 Jahren gilt, und im Osten davon fi ndet sich
mit dem Tengiz-Ölfeld das zweitgrösste Erdölfeld
Kasachstans. Berücksichtigt man die Tatsache (es
ist eine, auch wenn es viele noch nicht wahrha-
ben wollen), dass das schwarze Gold schon bald
immer knapper und teurer werden wird, so kann
man nur erahnen, welche Bedeutung dieser Re-
gion auf der internationalen politischen Bühne in
den nächsten Jahrzehnten zukommen wird.
Solche Überlegungen sind für mich fürs Erste je-
doch unwichtig und ich habe in Atyrau nur ein
Ziel: möglichst rasch mein Visum registrieren zu
lassen, um dann herauszukommen aus dieser
Stadt. Es gefällt mir hier nicht. Der Verkehr ist
halsbrecherisch, ich fi nde trotz aller Mühe kein
funktionierendes Internet oder ein Telefon, mit
dem ich mich zu Hause melden könnte und die
Hotels sind allesamt enorm überteuert. Auf dem
Registrationsamt werde ich auf den nächsten Tag
vertröstet, und als man mir dann endlich Ein-
lass gewährt, muss ich stundenlang warten. Dank
einer zufällig anwesenden Dolmetscherin gelingt
es mir die Formalitäten abzuschliessen, und ich
kann mich wieder hinaus in die weite Steppe be-
geben. Ich bin wieder frei. Mit dem Überqueren
des Uralfl usses befi nde ich mich nun offi ziell in
Asien. Ein gutes Gefühl, aber der grosse Wechsel
hat bereits nach dem russischen Astrachan statt-
gefunden, oder sogar zuvor in Elista, wo einen die
asiatischen Gesichtszüge der Kalmücken bereits
in Asien wähnen liessen.
Nach Atyrau führt die zunächst noch gute Strasse
durch eine sanft hügelige Steppe in der immer
wieder vereinzelt Salzseen auftauchen. Siedlun-
gen hat es hier keine. Bei Dossor fi nde ich in ei-
ner Tschaikhana, so heissen hier die Raststätten,
eine gute Übernachtungsmöglichkeit. Im Kreise
kasachischer Lastwagenfahrern esse ich mein
Nachtessen. Ich kann mich für einen Abend einer
kleinen Gemeinschaft anschliessen, in der alle
weit weg sind von Hause. Das tut gut. Das Essen
wird mir samt Übernachtung und Frühstück am
nächsten Morgen spendiert. Nette Leute. Der Be-
sitzer der Tschaikhana zieht mit meinem Draht-
eseli noch voll Freude ein paar Runden um sein
Haus, bevor ich mich verabschiede.
War die Strasse bis hierhin noch ansprechend
gut, sollte sich dies nun alsbald ändern. Nach
Maquat scheint sie sich fast vollständig aufzu-
lösen. Zahlreiche Fahrspuren suchen sich ihren
Weg durch die Steppe. Bin ich überhaupt noch
auf der eigentlichen Strasse? Zum Glück scheinen
all die Wege wieder zusammenzuführen, und bald
schon weiss ich, dass ich richtig liege. Rund um
mich herum nichts als trockenes Grasland. In der
Ferne sehe ich Tornados an mir vorbeiziehen und
vor mir bauen sich wiederholt Gewittertürme auf,
aber glücklicherweise bleibe ich von alldem ver-
schont. Die Natur droht mir zwar, meint es aber
doch gut mit mir.
In Mygur, einem einsamen Dorf in der Nähe ei-
nes Erdölfeldes, werde ich bei einer Grossfami-
lie zum Übernachten eingeladen. Der Vater ist
eben dabei gewesen, seine Schafe einzutreiben,
als ich im letzten Tageslicht vorbeiradelte. Es
wird „Beschbarmak“, das traditionelle Gericht
der Kasachen und Kirgisen, aufgetragen. „Besch“
heisst Daumen, „Barmak“ Finger, wie man mir
zu verstehen gibt. Entsprechend isst man die-
ses Gericht, das aus Teigwarenblättern, Zwiebeln
und Fleischstückchen besteht, auch: nämlich von
Hand und zwar alle aus dem gleichen grossen
Teller, aufgestellt in der Mitte des Tisches. Mir
werden die besten Stücke hingereicht und es
schmeckt vorzüglich! Ich hoffe nur, dass alle
die Hände gut gewaschen haben. Spät am Abend
kann ich mich endlich in ein mir im Wohnzimmer
zurechtgemachtes Bett legen und erschöpft ein-
schlafen. So schön und spannend diese Begeg-
nungen auch sind, sie sind nach einem langen
Radeltag sehr anstrengend. Morgen werde ich
wieder ein einsames Plätzchen irgendwo in der
Steppe suchen. Ein solches zu fi nden wird mir ja
nicht schwer fallen.
Schöne Begegnungen – meistensIn den folgenden Tagen schwanke ich andauernd
zwischen Hoffen und Bangen, dass die Strasse
endlich wieder besser, resp. nicht noch schlech-
ter wird. Kurze gute Abschnitte, wechseln ab mit
katastrophalen Schlaglochkaskaden. Dasselbe
gilt für den Wind. Andauernd scheint er sich für
eine neue Richtung zu entscheiden, wehen tut
er immer, zum Glück mehrheitlich von hinten.
Die Landschaft ist durch weitläufi ge Hügelzüge
geprägt, ab und zu überquere ich eine grössere
Geländekante. Das Auge verliert sich am Hori-
zont. Stundenlang fahre ich tiefer hinein in diese
endlose Weite. Von Zeit zu Zeit sehe ich in der
Ferne die Eisenbahn, die sich langsam durch das
Grasland schleppt. Die meisten Güter für die an
der Bahnlinie liegenden Dörfer, werden wohl auf
den Schienen transportiert. Auf der Strasse hat
es nur sehr spärlich Verkehr.
In Qandyaghash erreiche ich den nördlichsten
Punkt meiner Reise, nahe dem 50° Breitengrad.
Ich unternehme einen weiteren Versuch, ein funk-
tionierendes Internet zu fi nden – vergeblich. Von
Qandyaghash führt ein Strasse direkt nach Aral
im Südosten. Eine Abkürzung, aber auch ein Ab-
In den folgenden Tagen schwan-ke ich andauernd zwischen Hoffen und Bangen, dass die Strasse wieder besser wird.
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Obstverkäuferin in Kasachstan
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Oben: zwei Höcker haben Vortritt, unten: Schlafen in der unendlichen Weite von Kasachstan
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stieg in der Strassenkategorie auf meiner Karte.
Mir schwant Übles und vor meinem geistigen
Auge tauchen bereits metertiefe Löcher im Belag
auf. So schlimm sollte es zum Glück nicht wer-
den und ein anderes Problem macht mir alsbald
mehr Sorgen. Die Strasse ist sehr einsam und
das dies nicht eben mehr Sicherheit bedeutet,
das muss ich bald erfahren. Ich bin mir bereits
gewohnt, dass Autofahrer anhalten, um mir die
Hand zu schütteln, um mich zu fotografi eren, oder
um mir etwas Essen zu geben – und um mich zu
Fragen was ich denn hier verloren hätte. Die, die
ungefähr 60 km nach Qandyaghash anhalten, die
wollen aber mehr: 500 Dollar, um genau zu sein.
Es sind acht junge Burschen, so gegen 20 Jahre
alt. Ich versuche, ihnen klarzumachen, dass ich
nicht so viel Geld besitze. Sie drohen mir. Wir
diskutieren gegen zwei Stunden, ehe sie sich mit
15 Dollar zufrieden geben. Zwar froh, dass ich
und vor allem mein Gefährt ungeschoren davon-
gekommen sind (es ist ja so ein tapferes, klagt
nie, wiedersteht allen Strassen und ist doch so
verletzlich), verspüre ich eine aufkommende Wut
in mir auf diese Typen, die mir am Ende noch
erklärten, Allah werde mir ewig dafür dankbar
sein, ja, ja. Zum Glück habe ich mich beherrscht,
alles ist gut.
Ich überquere eine grössere Hügelkette, einen
der Ausläufer des Urals aus dem Norden. Es
wird langsam heisser. Ich trinke acht Liter pro
Tag, und meine grösste Sorge ist, immer genug
Wasser zu haben. Das man so viel trinken kann
und doch immer Durst hat! Einmal muss ich in
der der Not in einem Dorf abseits der Strasse
nach Wasser fragen. Ich werde sogleich vom
halben Dorf umringt. Die Leute sind mir die-
ses Mal zu zudringlich, und obschon es kurz
vor Sonnenuntergang ist, fl iehe ich fl uchtartig
wieder hinaus in die Steppe. Ein sympathischer
junger Kasache kann mich ausserhalb des Dor-
fes aber überzeugen umzukehren, um bei ihm
und seiner Familie zu übernachten. Ein schöner
Abend, an dem mir die Englischlehrerin des
Dorfes (die gibt es hier tatsächlich!) aufzeigt,
wie arm die Leute sind. Meist leben sie nur
von ein paar Schafen oder einem Kamel. Wenn
man bedenkt, dass es hier im Untergrund rie-
sige Erdöllagerstätten hat und Präsident Nas-
arbayev einer der reichsten Männer der Welt
sein soll! Ich erfahre auch, dass ich der erste
Ausländer sei, der hier je Halt gemacht hat. Ich
fühle mich geehrt.
Nach Kair, so hiess das Dorf, erreiche in Shal-
qar, die Bezirkshauptstadt der Region – ein
nächster Wendpunkt, ein nicht vorgesehener.
Man erklärt mir wiederholt, dass die direkte
Strasse nach Aral in einem so schlechten Zu-
stand sei, dass ich einen Umweg fahren müsse,
über das sogenannte Aral-Trassee im Osten.
Das sind zusätzliche 180 Kilometer! Aber eine
noch schlechtere Strasse? Nein danke, lieber
bin ich ein, zwei Tage länger im Sattel. So fahre
ich wiederum nach Osten durch eine schöne,
tafelbergartige Hügellandschaft auf meist gu-
tem Asphalt. Weit und breit kein Haus zu sehen.
Ewige Steppe. Als ich das Aral-Trassee errei-
che, immerhin die grosse Nord-Süd-Verbindung
im Osten des Landes, muss ich jedoch bestürzt
feststellen, dass sich auch diese Strasse im
Stadium der Aufl ösung befi ndet. Motocrossfah-
rer würden wohl ihre Freude haben, nicht so
ich. Entweder geht’s über während Regenpha-
sen aufgetürmte, nun erstarrte Schlammberge,
oder ich sinke mit meinen Rädern im weichen
Sand ein. Übernachten und verpfl egen kann ich
mich in den Tschaikhanas, die sich hier meist
in regelmässigen Abständen von rund 30 km,
Rettungsinseln gleich, an der Strasse befi nden.
Die Leute sind extrem freundlich! Und dann
ein schöner Moment: Ein Auto hält und zwei
Schweden steigen aus. Marcus und Theres sind
den ganzen Weg von ihrer Heimat bis hierhin
mit ihrem alten Mercedes gefahren. Schön sich
wieder einmal mit jemandem richtig unterhal-
ten zu können. Wie ich, sind sie auf dem Weg
nach Kirgistan. Sie sollten dort etwas schneller
ankommen. Aber so richtig wunderbar war es
hier aus einem anderen Grund, genauer: dem
Untergrund. Auf einmal hatte ich wunderbaren,
herrlichen Asphalt unter den Rädern! Er sollte
mich nun bis Kirgistan nicht mehr verlassen.
Oh, du herrliche schwarze Fläche. Leider soll-
te sich auch etwas anderes ändern: der Wind.
Hatte ich bis hierhin mehrheitlich Rückenwind,
so gab’s nun starken seitlichen Gegenwind aus
Ostnordost, konstant und von Tag zu Tag stärker
und heisser werdend.
Vom Aralsee bis ans Endeder kasachischen SteppeMüde und ausgelaugt erreiche ich Aral (oder
Aralsk). Heiss und staubig ist es. Dort, wo vor
50 Jahren noch der dazumal viertgrösste See
der Welt ein kühles Bad ermöglich hat, sind jetzt
Salzseen. Oh, wie schön wäre jetzt ein Bad. Da-
raus wird leider nichts. Heute ist das Ufer über
100 km vom einstigen Fischerdorf entfernt. Ich
komme bei Sergeij Sokulov unter, einem Hydro-
logen, bei dem sich eben eine Aralsee-Expedition
aufhält. Ich erfahre einiges über den Aralsee:
Der See hat seit 1960 88 Prozent seiner Masse
und 70 Prozent seiner Fläche verloren und sich
inzwischen in zwei Seen aufgeteilt. Der grosse
Aralsee im Süden ist nicht mehr zu retten. Bald
wird von ihm fast nur noch eine riesige, giftige
Salzlache übrig bleiben. Das Wasser des einzigen
Zufl usses, des Amudaria, dem grossen Fluss von
Usbekistan, wird zu einem grossen Teil für die
Baumwollproduktion abgezweigt. Der Seespiegel
des kleinen Aralsees ist dagegen gegenüber sei-
nem Tiefpunkt bereits wieder um 3 m angestie-
gen. Der Grund: Heute verhindert ein 13 km lan-
ger und 16 m hoher Damm, dass das Wasser des
Syrdarya-Flusses weiter in den grossen Aralsee
abfl iessen kann.
Einen Tag lang erhole ich mich bei Sergeij, be-
vor ich mich wieder in den Sattel schwinge, um
mich den Bergen des Tian Shan weiter zu nähern.
Zunächst fahre ich durch eine öde Halbwüste.
Bald jedoch wechselt der Landschaftscharakter.
Ich fahre mehr und mehr in meterhohen Schilf-
schluchten. Das Wasser des Syrdarya haucht der
Steppe hier Leben ein. Oft gibt es Melonen am
Strassenrand zu kaufen und die Siedlungen wer-
den zahlreicher. Ich passiere Baikonur, das Zen-
trum der russischen Weltraumfahrt, und komme
langsam den Bergen des Tian Shan näher. Ich
passe meinen Tagesrhythmus dem Klima an: Bei
Sonnenaufgang wird losgefahren, wenn die Tem-
peraturen und der nach wie vor wehende Wind
noch erträglich sind. Am Nachmittag, wenn die
Temperaturen gegen 40 Grad ansteigen und der
starke, staubige Wind mit voller Wucht von Ost-
nordost beginnt, unerträglich ins Gesicht zu bla-
Ich erfahre auch, dass ich der erste Ausländer bin, der hier
je Halt gemacht hat.
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Oben: Ebene am Fuss des Pamirgebirges in Kirgistan, unten: Landwirtschaft im Ferganatal
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Kirgisische Reiter
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sen, muss ich mir jeweils ein Plätzchen irgend-
wo im Schatten suchen. Am wiederum kühleren
Abend kann dann ein Schlussspurt vor die un-
tergehende Sonne gesetzt werden. Vor Turkestan,
in der Ferne, ist bereits ein fl acher Gebirgsaus-
läufer des Tian Shan zu sehen, dann die Wende:
Nordwind! Ich fl iege nur so über den Asphalt,
welch ein Genuss, endlich.
Turkestan ist eine vor allem von Usbeken be-
wohnte Stadt mit einer wunderschönen blauen
Moschee, dem Akhmed Yassawi Mausoleum.
Weniger schön ist deren Umgebung, die an eine
Baustelle erinnert. Ich übernachte am Ausgang
der Stadt bei einer Usbeken-Familie, eingela-
den von den beiden Familienoberhäuptern, zwei
Polizisten. Sie freuen sich so sehr über meinen
Besuch bei ihnen, dass sie mich am nächsten
Tag zu einer Moschee mitschleppen, Widerstand
zwecklos. Ich werde kurz interviewt, es werden
Bilder geschossen und viele Hände geschüttelt,
ehe ich mich endlich weiter auf die Räder ma-
chen kann. Die Berge locken. Leider ist es duns-
tig, als ich in Schimkent am Fusse des Tian Shan
eintreffe. Aber bald nach dar Stadt tauchen sie
auf, majestätisch und nach der ewigen Steppe
eine unglaubliche Wohltat für mein Auge. Und
wunderbar grün ist es hier! Berge heisst hier
Leben. Das Wasser der zahlreichen Gebirgsbäche
kommt mir, so jungfräulich den Bergen entsprun-
gen, ungewohnt frisch und unverbraucht vor, als
ich mich darin wasche.
Es geht wieder nach Osten, entlang der Ber-
ge die hier der Ebene einen südlichen Riegel
schieben. In Tarar Rüskulov komme ich bei ei-
ner russisch-deutschen Familie unter. Es ist fast
wie ein Heimkommen. Sie kümmern sich rührend
um mich. Aber ich spüre bei ihnen eine gewis-
se Bedrücktheit. Der wirtschaftliche Niedergang
nach dem Zerfall der Sowjetunion hat hier viele
arbeitslos gemacht, und so hat auch Alexander,
der russisch-stämmige Mann, seine Arbeit als
Elektriker verloren. Wie man ihnen wohl helfen
könnte? Der Abschied fällt mir schwer, aber ich
muss weiter, muss ich doch in ein paar Tagen in
Bishkek sein, wo ich Dani treffen soll. Die Fahrt
über einen ersten Pass ist traumhaft. Ich fühle
mich wie im Frühling, auch wenn es der Herbst
ist, der hier nun Einzug hält. Nach Taraz ist es
nur noch gerade 8 Grad warm, und der Schnee
an den nahen Bergen scheint zum Greifen nahe.
In der letzten Nacht dann zum ersten Mal Regen.
Ich fl üchte mich in eine verlassene Bushalte-
stelle, werde jedoch um 3 Uhr von einer Gruppe
Kasachen geweckt, die mit mir ein paar Flaschen
Wodka leeren und mich in ihr Dorf mitnehmen
wollen. Um den Wodka komme ich einmal mehr
nicht herum, aber wenigsten gelingt es mir, sie
zu überzeugen, dass ich meinen Schlaf dringend
brauche. Am nächsten Tag stehe ich endlich an
der Grenze zu Kirgistan. Ein wunderbares Gefühl.
Ein Traumland ist erreicht, eine lange Fahrt durch
Kasachstan mit unerwartet vielen Eindrücken,
zahlreichen netten, unglaublich gastfreundlichen
Menschen (mit ein paar wenigen Ausnahmen)
und einer doch noch endend wollenden Steppe
liegt hinter mir. Ihr Staub wird noch lange an
mir haften bleiben. Nicht an den Kleidern. Nein,
sondern tief in mir.
Kasachische Jungs
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Tian Shan vor dem Aufstieg ins Gebirge
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Halbe Milliarde Fahrräder„That‘s a fact“ singt Katie weiter („it‘s a thing we can‘t deny, like the fact
that I will love you till I die“). Nun, Liebe ist bekanntermassen vergäng-
lich. Und Verkehrsmittel sind es auch. Fakten also, harte chinesische
Velofakten: In Peking gibt es, kein Zweifel, Unmengen von Velos – wievie-
le genau, weiss allerdings kein Mensch. Eine kleine Presseschau liefert
allerlei Siebenstelliges: 4 Millionen, mehr als 10 Millionen, 7,5 Millionen.
Simon Babes, der als Verkehrsexperte in einem Planungsbüro in Shang-
hai arbeitet, wagt auch keine exakte Schätzung: „Es ist auf jeden Fall
eine riesige Zahl.“ Und: „In Shanghai sind es womöglich noch mehr, die
Stadt ist kompakter und fl acher, das heisst velofreundlicher als Peking.
Allerdings, und das gilt für beide Metropolen: Ein grosser Teil davon wird
nie benutzt.
In ganz China dürfte es ungefähr eine halbe Milliarde Velos geben, rund
1,4 Exemplare pro Haushalt. Zum Vergleich: In der Schweiz ist die Zahl
mit 1,2 Velos pro Haushalt tatsächlich ein wenig kleiner. China ist der
mit Abstand grösste Veloproduzent der Welt. Gut 80 Millionen Velos
werden jedes Jahr hergestellt, was einem globalen Marktanteil von fast
60 Prozent entspricht. Etwas mehr als ein Viertel der Produktion wird
auf dem Heimmarkt verkauft, der Rest geht zumeist als Billigware in
den Westen.
Soweit die Velo-Zahlen. Nun zum kleinen grossen Bruder: 1978 gab es
in ganz China noch nicht mal halb so viele Autos wie in der Schweiz.
Inzwischen hat sich die Zahl gut verzwanzigfacht. Es dürften inzwischen
bereits über 50 Millionen Autos auf Chinas Strassen unterwegs sein, die
meisten in den grossen Städten. Die Zahl wächst um 15 Prozent jedes
Jahr, was bedeutet, dass es in zehn Jahren bereits 150 Millionen Autos
sein werden. Und China hat nicht nur in Sachen CO2-Ausstoss zu Ame-
rika aufgeschlossen, auch in der Verkaufsstatistik hat China die USA als
grössten Automarkt der Welt abgelöst.
Vom Velo zum AutoEs gibt in Sachen Veloverkehr eine kritische Schwelle. Es gibt, anders
gesagt, so etwas wie Velo-Resonanz: Wenn genug Leute mit dem Velo
unterwegs sind, werden es wie von selbst noch viele mehr. Oder anders
herum: Wenn nicht mehr genug Leute mit dem Velo unterwegs sind, bricht
der Veloverkehr mit einem Mal ein. Bis vor etwa zehn Jahren war China
klar über der Velo-Schwelle: In den grossen Städten waren die Velo-
fahrer immer in ganzen Schwärmen unterwegs, und was Zugvögel vor
Angreifern schützt, das macht auch Velofahren wesentlich sicherer. Die
Strassen gehörten den Velofahrern. Die spärlichen Autos mussten sich
den Zweiradströmen fügen und sorgten kaum für Gefahr. Zudem gab es so
etwas wie einen velomobilen Gruppendruck: Es war nicht nur praktisch
Text: Roland Fischer, Illustration: Hofgrafen
„There are nine million bicycles in Beijing“ – so sang sich Katie Melua vor ein paar Jahren in die Hitparaden. Peking als Velostadt, China als Veloland: So stellt man sich das im Westen gern vor. Aber China ist unaufhaltsam auf dem Weg Richtung Moder-ne und da stören die Drahtesel, sowohl im Stadt- wie im Selbstbild. Velos stehen für das alte China, das neue will Autos.
VELO-CHINA
China ist der mit Abstand grösste Veloproduzent der Welt.
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und billig, mit dem Velo unterwegs zu sein, es war für so gut wie alle
Gesellschaftsschichten schlicht üblich – es gehörte sich so.
Doch allmählich kippt es: In den grossen Städten machen sich Auto- und
Velofahrer längst den spärlichen Platz auf den Strassen streitig. Velo-
streifen in China sind oft so grosszügig bemessen, dass sie auch von den
Motorradfahrern und Autos gern als zusätzliche Fahrspur benutzt werden.
Es wird gefährlich für Velofahrer auf Chinas Strassen, und deshalb lassen
mehr und mehr Chinesen ihr Velo zuhause stehen. Und je kleiner die Ve-
loschwärme werden, desto gefährlicher wird es für den einzelnen Fahrer.
Zudem: Wo Velofahren mal eine gewissermassen politische Angelegenheit,
ein fügsames Sich-Einordnen und Parteiwillen-Befolgen war, so ist es nun,
aus diesem autoritären Rahmen herausgelöst, bloss noch eine ökonomi-
sche Notwendigkeit. Die Armen fahren weiter Velo, doch wer sich ein Auto
leisten kann, der wird sich ohne Zögern eins besorgen. Nicht weil er es
unbedingt bräuchte, nicht weil die Wege zu weit sind, sondern weil es das
Prestige verlangt. Der Druck wird nicht mehr von der Masse, sondern von
der neuen Oberschicht diktiert. Und die orientiert sich ungeniert am Westen,
genauer: am westlichen Lebensstil, und der beinhaltet nun mal ein Auto.
Von der Kuriosität zum ParteiprogrammEin Blick zurück: Als chinesische Diplomaten die ersten Berichte von selt-
samen fussbetriebenen Zweirädern aus Europa mitbrachten, betrachtete
man die Geräte mit Faszination, befand diese Fortbewegung aus eigener
Kraft aber als unziemlich für einen chinesischen Edelmann. Ein gewisser
Binchun schilderte das Schauspiel 1866 in einem Brief: „Auf den [euro-
päischen] Strassen fahren Leute auf einem Gefährt mit nur zwei Rädern,
die von einem Rohr zusammengehalten werden. Sie sitzen auf diesem
Rohr und stossen es durch Treten mit ihren Füssen voran und halten das
Gefährt auf diese Weise in Gang. Es gibt aber auch noch eine andere Kon-
struktion, die durch Fusspedale angetrieben wird. Die Menschen schiessen
wie galoppierende Pferde vorwärts.“ Tatsächlich war es damals für die
dünne Schicht der reichen Chinesen (also die einzigen, die sich die teure
Extravaganz hätten leisten können) undenkbar, sich per Velo fortzubewe-
gen. Die Oberschicht vermied es nach Möglichkeit sogar, in der Öffentlich-
keit zu Fuss zu gehen. Man liess sich in einer Sänfte tragen, oder, wollte
man sich ein wenig moderner geben, in einer Rikscha ziehen.
Nichtsdestotrotz war China interessiert an Neuerungen aus dem Westen,
aber das Interesse war vor allem ein ökonomisches und militärisches.
Das Velo war unter den Wundern der Industrialisierung bloss eine Rand-
bemerkung. Generell wurden die Industriegüter nicht einfach mit offenen
Armen empfangen. Bahnbrechende ausländische Produkte zu benützen,
hiess einerseits an seiner eigenen Kultur zu zweifeln und bedeutete dazu
nicht selten, fundamentale soziokulturelle Vorgaben zu ignorieren. Die
Der Druck wird nicht mehr von der Masse, sondern von der neuen Oberschicht diktiert.
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Orientierung gen Westen war immer mit Skepsis unterlegt – und ein Chi-
nese auf dem Velo bestens eine Witzfigur.
Die ersten Velos in China wurden in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts
deshalb von den Ausländern in den sogenannten Vertragshäfen, Schanghai
und Tianjin (wo der Handel mit dem Westen abgewickelt wurde) oder in
der Hauptstadt Peking gefahren. Die Velofahrer in Shanghai wurden gar
als Touristenattraktion gehandelt und in Reiseführern speziell erwähnt.
Man zollte diesen ausdauernden „Sportsleuten“ Respekt, mokierte sich
aber auch genüsslich über Stürze und andere Missgeschicke mit dem
prekären Gerät. Allmählich wagten sich aber auch Chinesen, zunächst aus
Übersee heimkehrende Studenten und Geschäftsleute sowie Prostituierte in
den Häfen (die keinerlei gesellschaftlichen Zwängen unterlagen) auf das
Velo. Es kündete sich ein Umbruch an: Neben den alten Eliten, die nichts
mit dem Velo am Hut hatten, gab es nun plötzlich andere, der Moderne
gegenüber sehr aufgeschlossene Schichten, die das Velo gewissermassen
gesellschaftstauglich machten. 1897 tauchten Velos das erste Mal in den
Importstatistiken auf – mehr als 800 Exemplare fanden jedoch noch nicht
den Weg nach China. Aber immerhin, Velos waren nun offiziell mehr als
einfach nur eine Kuriosität.
Im Hinterland dagegen sollte es noch lange gehen, ehe das Velo von den
Chinesen akzeptiert wurde. In Chengdu, mit 1,5 Millionen Einwohnern das
wirtschaftliche Zentrum Westchinas, gab es 1904 gerade mal sieben Fahr-
räder, drei davon gehörten Fremden, drei verschiedenen staatlichen Insti-
tutionen, und nur eines gehörte einem chinesischen Privatmann. In vielen
chinesischen Städten blieb dieses Bild bis in die 40er Jahre die Regel.
Nur in den Hafenstädten wuchs die Zahl der Velofahrer anfangs des 20.
Jahrhunderts allmählich. In Schanghai, das damals zwei Millionen Ein-
wohner hatte, zählte man im Jahr 1925 noch 9800 Velos, bis 1930 hatte
sich diese Zahl auf circa 20‘000 verdoppelt. Heute dürfte es in Schanghai,
wie gesagt, mehr Velos als in Peking geben. Aber auch hier ist eine exakte
Schätzung ein Ding der Unmöglichkeit.
Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es zwar schon chinesische Fabriken, die
Velos in Massenproduktion herstellten, sodass sich mehr und mehr Men-
schen ein Velo leisten konnten. In Schanghai gab es um 1940 schon über
200‘000 Velos. Doch so richtig ging die chinesische Velo-Saga erst mit der
Gründung der Volksrepublik China 1949 los. Die kommunistische Führung
machte das Velo zu einem Teil des politischen Programms. Die Industrie
wurde stark gefördert und der Absatz der Velos subventioniert. Das Velo
war nun nicht mehr Statussymbol für eine vermögende Oberschicht, es
war das Volksverkehrsmittel schlechthin. Schon bald wurde die magische
Grenze einer Million Velos durchbrochen. Man begann, separate Velospuren
in die urbane Strassenplanung einzubeziehen und Pendler bekamen beim
Kauf eines Velos grosszügige Zuschüsse. Das Velo wurde zum „Must“. Bis
Von einem Auto wagte der gemeine Chinese vor fünfzig Jahren nicht einmal zu träumen.
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zur wirtschaftlichen Öffnung Chinas und der Verbreitung eines bescheide-
nen Wohlstands galt für alle Chinesen derselbe sehnsüchtige Dreiklang:
Armbanduhr, Nähmaschine, Velo. Heute nennt man sie nostalgisch die
„drei alten Sachen“.
Das Auto verdrängt das FahrradVon einem Auto indessen wagte der gemeine Chinese vor fünfzig Jahren
nicht einmal zu träumen. Niemand konnte sich ein Auto leisten, denn
eine inländische Produktion gab es nicht, und Importwagen wurden saftig
besteuert. Ein paar Funktionäre kamen in den Genuss eines Wagens (in-
klusive Chauffeur, versteht sich), und zu Beginn der wirtschaftlichen Öff-
nung auch einige besonders reiche Privatleute, die sich mit Vorliebe fast
unbezahlbare Nobelkarossen zulegten. Doch seit es in China wirtschaftlich
aufwärts geht, ist das Auto zum neuen Musterknaben geworden, und das
Velo steht im politischen Abseits. Erst seit gut 25 Jahren gibt es in China
eine eigentliche Autoindustrie, doch diesen Januar gaben die chinesischen
Behörden bekannt, dass man das Undenkbare geschafft hat: Mit 735’500
verkauften Autos pro Jahr hat China die USA als grössten Automarkt der
Welt abgelöst. Und nach oben ist noch viel Luft: Auf tausend Einwohner
kommen in China gerade mal 24 Autos, in der EU sind es 300 und in den
USA gar 750. Die Autoindustrie gilt der chinesischen Führung als Wachs-
tumsmarkt schlechthin. Deshalb wird (mit tatkräftiger Unterstützung der
Weltbank) auch ordentlich in neue Strassen investiert: Das chinesische
Autobahnnetz hatte im Jahr 1989 eine Länge von 271 km, 1995 waren es
1300 km, Anfang 2007 schon 43’000 km; geplant bis 2011: 85’000 km.
Allerdings: So verlockend die Perspektiven in ökonomischer Hinsicht sind,
eine starke Verkehrszunahme können vor allem die grossen Städte gar
nicht mehr verkraften. Die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit der sich der
motorisierte Verkehr beispielsweise durch Peking wälzt, liegt bei kaum
mehr als 10 Stundenkilometern und damit nicht höher als diejenige ei-
ner gemütlichen Velofahrt. Staus sind allgegenwärtig, was natürlich auch
den öffentlichen Verkehr, der in China nach wie vor aus meist veralteten
Bussen besteht, bremst. Dazu kommt noch die schlechte Luftqualität, und
so wächst mancherorts tatsächlich wieder so etwas wie ein neues Velo-
Bewusstsein. Ein fragiles Pflänzchen allerdings.
Mobilitätskonzepte setzen auf motorisierten VerkehrEnde September 2009 beteiligten sich zum Beispiel über hundert chinesi-
sche Städte am global ausgerufenen „Autofreien Tag“, in dessen Rahmen
Teile der Stadt für den motorisierten Verkehr gesperrt werden. Und es
kommt vor, dass auch im Land des politisch verordneten Konsenses Ver-
kehrsexperten die Städteplanung in immer deutlicheren Worten kritisieren.
Umweltaktivistin Amanda Cui sagt geradeheraus: „Der Regierung sind Velos
egal. Es gibt kein Programm, um das Velofahren zu fördern, im Gegenteil.
Die Regierung setzt auf Privatautos und öffentlichen Verkehr.“ Tatsächlich
tauchen Velos kaum je in chinesischen Mobilitätskonzepten auf.
Grosse Städte wie Schanghai setzen auch auf westliche Expertise bei der
Bewältigung des Verkehrschaos. Colin Buchanan, die Beratungsfirma, die
ihren Hauptsitz in London hat, ist seit 2006 Jahren mit einem eigenen
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Büro in Schanghai präsent und hat auch schon einen Masterplan für
die Stadt erarbeitet. In diesen sind Vorschläge eingeflossen, wie man
das Velofahren wieder populärer machen könnte, doch erhört wurden sie
kaum. „Bis vor zwei Jahren gab es definitiv eine Anti-Velo-Politik“, sagt
auch Simon Babes, der bei der Shanghai-Velostudie mitgearbeitet hat. In
letzter Zeit habe er aber ein langsames Umdenken festgestellt. Er sieht
Anzeichen, dass man das Velofahren zumindest in Shanghai wieder at-
traktiver machen will. Die Zahlen sind tatsächlich deutlich: Vor 10 Jahren
kam in Schanghai und Peking für den Arbeitsweg noch zu 60 Prozent das
Velo zum Einsatz, heute sind es noch gut 20 Prozent. Viel mehr Leute als
früher nähmen heute den Bus, sagt Babes, obwohl dieser meist langsam
und chronisch überfüllt sei. Das Velo sei für viele bloss noch ein Notna-
gel. „Wenn ich eine halbe Stunde mit dem Bürgermeister hätte, ich würde
mit ihm nicht über Velos, sondern über Busse reden“, sagt Babes. Hier
sieht er grosses Potenzial – dem Velo werde wohl nie mehr eine ähnlich
bedeutende Rolle zukommen.
Wachstum kommt vor UmweltDie Zeichen im heutigen China sind widersprüchlich. Einige Städte be-
ginnen das zu erkennen, doch von oberster politischer Warte aus deutet
nichts auf eine chinesische Velorenaissance hin. Die Autoindustrie wird
nach wie vor stark gefördert. Zudem ist der Benzinpreis gemäss Babes
„lächerlich niedrig“. Wird das Mobilitätsproblem tatsächlich einmal aus
ökologischer Sicht betrachtet, dann setzt man lieber auf neue als auf alte
Lösungen. Der letzte Schrei auf Chinas Strassen sind Elektrovelos – bei
uns noch eher selten, sind die Strassen in Schanghai schon voll davon.
Die Geschichte des Velos in China erzählt letztlich vom gesellschaftlichen
wie politischen Umgang mit Technik – nicht nur in China. Die Moderne-
Müdigkeit des Westens verhilft einem simplen, im Grunde genommen
anachronistischen Verkehrsmittel wie dem Velo zu neuen Höhenflügen.
Jede westeuropäische Stadt hängt sich gern das Etikett „Velostadt“ um,
während selbiges in China eher als Makel gesehen wird. Das Velo ist
eben mehr als nur ein Vehikel zur Fortbewegung, es transportiert nicht
nur Menschen, sondern auch eine Attitüde. Für die kommunistische Füh-
rung versinnbildlichte das Velo die ebenso praktische wie unprätentiöse
Fortbewegung für den kleinen Mann. Für das China von heute bedeutet
es technische Rückständigkeit. Bleibt zu hoffen, dass die Chinesen nicht
dieselben ökologischen und stadtplanerischen Fehler begehen wie der
Westen in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Sondern dass sie das Velo
möglichst rasch als Verkehrsmittel der Zukunft wiederentdecken. Aber
der Ruf der Moderne ist laut. Mahnungen werden da leicht überhört, vor
allem, wenn sie von westlichen Experten beziehungsweise Besserwissern
kommen. Umwelt- und Klimaschutz klingt gut, für die Chinesen klingt
Wohlstand und Wachstum derzeit besser.
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Text: Roland Munz
Zürich weder für die Industrie noch als Wohnort attraktivDie Menschen zogen aufs Land und pendelten mit dem Auto in die Stadt
zur Arbeit. Öffentliche Verkehrsmittel wären eigentlich nötig gewesen, doch
gab es sie 1989 gut ausgebaut nur in der Innenstadt. Vom heute selbst-
verständlichen S-Bahnnetz sah man erst die Baugruben. Immerhin war die
Goldküste mit einer Bahnlinie erschlossen, welche ab dem Hauptbahnhof
via Bahnhof Letten zum Seeufer führte. Aussenquartiere wie Schwamendin-
gen aber waren einzig mit Bussen leidlich erschlossen. Die Strassen waren
verstopft, laut und abgasgeschwängert.
Dazu kam eine eigentliche De-Industrialisierung: Industriebetriebe zog
es haufenweise aus Zürich weg. Innerhalb weniger Jahre brach die Zahl
der Industriearbeitsplätze in Zürich auf einen Viertel ein. Steinfels ver-
liess Zürich 1986. Sulzer Escher Wyss stellte den Giessereibetrieb 1987
ein. Löwenbräu wurde von Hürlimann übernommen und 1987 stillgelegt.
Schoeller schloss die Tore 1988 – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
So sah sich Zürich 1989 mit riesigen Industriebrachen konfrontiert und
hatte für eine grosse Zahl stellenloser Industriearbeiterinnen und Indus-
triearbeiter Sozialkosten zu bewältigen, just in einer Zeit, als auch die
übrige Wirtschaft darbte. Krisenstimmung machte sich breit in Zürich.
Gleichzeitig trat ein noch nie dagewesenes, neues Phänomen auf: Im
Platzspitzpark installierte sich die weltweit grösste offene Drogenszene.
Ziemlich hilf- und ratlos sah sich die Stadtregierung diesem Elend ge-
genüber. Schliesslich begann sie gegen den Widerstand von Kanton und
Bund, den drogenkranken Menschen saubere Spritzen abzugeben. Bis zu
15‘000 Stück pro Tag. Morde im Drogenmilieu, Beschaffungskriminalität,
Lärm und Gestank beeinträchtigten das Leben vor allem im Kreis 5 zwi-
schen Platzspitz und den grossen Industriebrachen in Zürich-West. Für
Investoren nicht gerade attraktiv.
Vermutlich nicht schlecht gemeint – ganz sicher aber wenig durchdacht
– handelte 1990 der Kanton, als er die Polizei anwies, den Platzspitz zu
räumen. Seit Eröffnung der S-Bahn im selben Jahr verloren der Bahnhof
Letten und die dort vorbeiführende Bahngeleise ihren Zweck, worauf sich
die aus dem Platzspitz vertriebene Drogenszene dorthin verlagerte. Es
brauchte Jahre um eine nachhaltige Lösung der gewaltigen Drogenproble-
me aufzugleisen, an denen unsere Stadt damals krankte.
Mit dem Gestaltungsplan der Bodenspekulation entgegenwirkenAls die SP nach Jahren in der Opposition mit Ursula Koch wieder in
den Stadtrat einzog, wurde der nicht vom Baufach kommenden Koch das
Hochbauamt zugeschoben. Viele dachten, die neue Hoffnungsträgerin der
Linken damit demontieren zu können. Vom Bauen wusste sie anfänglich
tatsächlich wenig. Aber sie wusste sehr genau, was sie nicht wollte: den
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gab es städtischen Raum in Hülle und Fülle. Wer bauen wollte, bekam die nötigen Bewilligungen fast immer. Sogar in Fällen, wo geltendes Recht sehr weit ausgelegt werden musste, um einem Gesuch zu entsprechen. Die Stadtregierung lag fest in bürgerlicher Hand. Im Einklang mit der nicht wirklich oppositionellen Linken nickte sie private Investitionen fast unbesehen durch. Ende der 1980er Jahre sah sich Zürich aber plötzlich bislang unbekannten Herausforderungen gegenübergestellt.
ZÜRICH IST GEBAUT STADTENTWICKLUNG 1989 BIS 2009
Die Strassen waren verstopft, laut und Abgasgeschwängert.
Es brauchte Jahre um eine nachhaltige Lösung der gewaltigen
Drogenprobleme aufzugleisen, an denen unsere Stadt damals krankte.
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Schiffbau
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Zerfall der Industriebrachen und nur auf Gewinn maximierte Neubauten.
Noch nicht lange im Amt, sorgte sie mit der Aussage „Zürich ist gebaut“
für Aufruhr. Zürich soll gebaut sein, wo es an allen Ecken und Enden zer-
fällt? Wo freies Land in der Allmend Brunau, am Zürichberg, der Platzspitz
und andere ungenutzte Freifl ächen zum Bauen einladen?
Die Zeit war reif für eine Neubesinnung. Die düstere Gegenwart 1989
musste zu denken geben. Ist wohl das Eine oder Andere an den öffentli-
chen Interessen vorbei gebaut worden? Koch lieferte die Antwort gleich
selber nach, indem sie das Instrument des Gestaltungsplanes entdeckte,
um mit Investitionswilligen zu verhandeln. Zugeständnisse der Stadt an
private Bauleute mussten sich diese neuerdings ihrerseits mit Zugeständ-
nissen erwerben. Dass Investoren überhaupt bereit waren, in solche Ver-
handlungen zu treten, ist der Tatsache zu verdanken, dass nicht überall
alles gebaut werden darf. Was wo zulässig ist, legen Zonenpläne fest: In
der Industriezone können Industriebauten, in der Wohnzone Wohnungen
errichtet werden usw.
1989 lagen einige dutzend Quadratkilometer Industriezone in der Stadt
brach. Die Auswirkung des Gestaltungsplans zeigt ein Rechenbeispiel: Ein
Grundstück von 100 mal 100 Metern Industrieland gehört der Firma ABC.
Industrieland hat beispielsweise einen Wert von 500 Franken pro Quad-
ratmeter. Dürfte man nach einer Umzonung darauf Dienstleistungsgebäude
bauen, wäre der Boden plötzlich 5000 Franken pro Quadratmeter wert. Die
neue Hochbauchefi n verlangt jetzt aber, es müsse für die ganzen 100 mal
100 Meter ein Gestaltungsplan gemacht werden, der auf einem Teil der
Überbauung Wohnungen und einen kleinen Park mit Spielplatz beinhaltet.
Mit diesen Aufl agen sinkt der durchschnittliche Bodenpreis innerhalb des
Grundstückes der Firma ABC auf „nur“ noch 3000 Franken, was immer
noch sehr viel mehr ist, als die 500 Franken pro Quadratmeter Industrie-
land. Was sich hingegen nicht unmittelbar in Zahlen erfassen lässt, ist der
Mehrwert für die Bevölkerung und die Stadt als Ganzes, der durch diese
gemischte Nutzung auf längere Sicht entsteht.
Neue Quartiere für ZürichDer Gestaltungsplan für das Steinfels-Areal machte den Anfang. In Oer-
likon entstand nach dem Wegzug der ABB-Industrieproduktion ein gan-
zes neues Stadtquartier. Das Escher-Wyss-Areal stellte die weitläufi gste
Stadtentwicklungszone dar. Zahlreiche Gebäude wurden dort seit 1990
errichtet wie etwa der Technopark (1993), die Hotels Novotel, Ibis und
Etap, Büro-, Gewerbe- und Wohnüberbauungen, Westpark und Puls5. Einige
Industriegebäude fanden neue Nutzungen, etwa die ursprüngliche Schiffs-
bauhalle und spätere Kesselschmiede, in der heute das Schauspielhaus
eine Filiale betreibt oder die in die Überbauung Puls 5 integrierte Giesse-
reihalle und schliesslich das Verwaltungshochhaus, umgebaut 2001 zum
„Bluewin-Tower“. Der Turbinenplatz im Herzen des ehemaligen Industrie-
areals wurde zum grössten Platz der Stadt. Zürich war 1988 tatsächlich
gebaut. Aber Zürich war nicht den neuen Anforderungen entsprechend ge-
baut. Über die seither mittels Gestaltungsplänen und ab den 90er Jahren
in sogenannten „kooperativen Planungen“, das heisst in Verfahren wo Bau-
herrschaft, Bewohnerinnen, Bewohner und städtische Stellen zusammen
Anforderungsprofi le für Überbauungen aufstellen, verwirklichten Projekte
kann man geteilter Meinung sein. Manche empfi nden sie als zu steril. Für
viele sind die neu angelegten Plätze zu wenig belebt. Zu beklagen ist der
Abriss alter Bauten wo nach dem Auszug der Industrie zwischenzeitlich
freischaffende Berufsleute aus Kunst, Architektur, Gastwirtschaft, Fotogra-
fi e usw. günstige Arbeits- und Lebensräume schufen. Nicht zuletzt wegen
dieser Kulturräume ist in den 90er Jahren das Partyverbot an kirchlichen
Feiertagen gefallen. Nicht zuletzt wegen der dynamischen freischaffenden
Szene ist Zürich 2009 zum wiederholten Male zur Stadt mit dem weltweit
attraktivsten Umfeld gewählt worden.
Aufgerüttelt vom Positionsbezug „Zürich ist gebaut“ begann sich Anfang
der 90er Jahre auch die Bevölkerung wieder mit stadtplanerischen Fragen
auseinanderzusetzen. Plötzlich wurde man gefragt! Man meldete Bedürf-
nisse an bei Gestaltungsplänen, brachte sich ein in kooperative Planungs-
verfahren. Und wie sich vor fast hundert Jahren im damals auf das Gebiet
des Stadtkreises 1 beschränkten Städtchens – das gänzlich zugebaut war
– Widerstand regte, als historische Häuser zwischen Limmat und Lindenhof
einer Hochhausüberbauung weichen sollten, so weiss sich die Bevölkerung
auch heute zu wehren, wenn ihr ein Projekt nicht passt. Jüngstes Beispiel
ist das in einer Volksabstimmung abgelehnte neue Kongresshaus.
Dass die neuen Gebiete in Zürich-West und in Neu-Oerlikon vielleicht
nochmals 20 Jahre brauchen, bis sich dort ein eigenständiges Quartier-
leben etabliert, mag heute stören. Dank den Gestaltungsplänen ist aber
überhaupt erst eine Grundlage geschaffen worden, die für die wachsende
Bevölkerung Zürichs neuen Lebens- und Wohnraum schafft. Dass diese
Gebiete der ungezügelten Spekulation entrissen und durchmischte Bau-
nutzungen entstehen konnten, ist daher bleibendes Resultat und Verdienst
von „Zürich ist gebaut“. Hätte die Stadtverwaltung auch noch den Mut,
sich gegen den aktuellen Trend der Zentralisierung zu stellen, indem sie
öffentliche Einrichtungen mehr als bisher auch in den neuen Stadtteilen
ansiedelt, wäre das sicher ein weiterer Schritt, der diesen neuen Quartie-
ren mehr Leben einhaucht.
Zürich war 1988 tatsächlich gebaut. Aber Zürich war nicht den
neuen Anforderungen entsprechend gebaut.
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Bahnhof Stadelhofen
Puls 5
Schiffbau
Maagareal Limmatquai
LimmatquaiSchiffbau
Maagareal
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Text: Mahmud Tschannen, Fotos: José Mendez, aga
Neben den offi ziellen Kurierrennen auf abgesperrtem Gelände gibt es aber
eine Reihe inoffi zieller Rennen, die quer durch eine Stadt führen. Diese
Rennen, Alleycats genannt, gibt es in unzähligen Varianten. Einige der
spannendsten Alleycats, die inzwischen auch weltweit ausgetragen wer-
den, haben Veloblitzler ausgeheckt.
Global gleichzeitigDas beste Beispiel eines Alleycats, das in Zürich entstanden ist, nennt sich
Global Gutz, ein Rennen, das zeitgleich in verschiedenen Städten rund um
den Globus stattfi ndet: Auf einer 21 km langen, möglichst fl achen Strecke
müssen Teilnehmerinnen und Teilnehmer fünf Checkpoints auf dem kürzes-
ten Weg anfahren. Die Checkpoints sind vorher nicht bekannt. Am Anfang
des Rennens wird der erste mitgeteilt und am ersten dann der zweite und
so weiter. Neben den Gewinnerinnen und Gewinnern der lokalen Rennen
werden diejenigen mit der weltweit schnellsten Zeit zu den eigentlichen
Gewinnern des Global Gutz ernannt. Dieses Jahr gewannen ein Velokurier
aus Warschau und eine Velokurierin aus Zürich die internationale Klassie-
rung. Dass die Zeiten nicht direkt miteinander vergleichbar sind, ist klar.
In einer Stadt regnet es, in der anderen sind die Checkpoints einfacher zu
fi nden oder etwas anderes stimmt nicht überein und bevorteilt eine Stadt
gegenüber der anderen. Beim Global Gutz geht es aber genau nicht um die
Unterschiede, sondern um das Verbindende. Der Reiz am Rennen ist das
Wissen, dass in Mailand und New York im genau gleichen Moment Leute
auf dem Rad durch ihre Stadt rasen. Schlussendlich liegen die Zeiten der
Schnellsten weltweit recht nah beieinander.
Dieses Jahr fand das Global Gutz in Adelaide, Basel, Berlin, Bremen, Bris-
bane, Dublin, Essen, Fukuoka, Graz, Halifax, Hamburg, Kassel, Köln, Ko-
penhagen, Krakau, London, Madrid, Mailand, Montreal, Nagoya, New York,
Paris, Perth, San Diego, San Francisco, Santiago de Chile, Seattle, Sydney,
Washington, Warschau, Wien, Yokohama und Zürich statt. Der Preis für die
schnellste Frau und den schnellsten Mann weltweit war ein Ticket an die
Velokurierweltmeisterschaften in Tokyo. Die Siegerin in Zürich, Anette Mi-
chel, ist nicht nur die schnellste Frau weltweit, in Zürich ist sie schneller
als alle Männer. Ein denkwürdiges Ereignis und für einige Jungs vermut-
lich etwas peinlich.
Schneller nicht immer geschwinderDas Global Gutz in Zürich führt vom Wipkingerplatz über die Ecke Bänd-
listrasse/Bändliweg in Altstetten an die Zeughausstrasse. Bis hier ist eine
Spitzengruppe aus sieben Fahrern noch zusammen. Der nächste Checkpoint
ist and der Ecke Zeughausstrasse/Kasernenstrasse im Kreis 4. Hier wäh-
len die Teilnehmer unterschiedliche Routen. Einige traversieren über die
Hardbrücke in Richtung Kreis 4. Die schnelleren wählen den Weg über den
Kreis 5 und die Langstrasse, der von weniger Baustellen behindert wird.
Von dort geht es an die Landiwiese, beziehungsweise zu den Tennisplätzen
Wer mehrmals in der Woche fünf bis acht Stunden auf dem Fahrrad unterwegs ist, hat unweigerlich eine gute Kondition. Das hat in der Velokurierszene dazu geführt, dass Kuriere vor ungefähr 20 Jahren nach getaner Arbeit anfi ngen, sich miteinan-der zu messen. Daraus sind unter anderem Welt-, Europa- und Schweizermeister-schaften der Fahrradkuriere entstanden, bei denen Velokuriere aus der ganzen Welt gegeneinander Rennen fahren, die ihrem Arbeitsalltag nachempfunden sind.
GUTZI GEBEN
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gegenüber. Inzwischen haben sich an der Spitze zwei Zweierteams gebil-
det. Stefan und Martin können sich absetzen und führen kurzzeitig. Cris-
toph und Anette schliessen jedoch die Lücke, die sich aufgerissen hat, bis
zu diesem Posten wieder. Dann rast die Vierergruppe in Richtung Seefeld
an die Ecke Bellerive/Fröhlichstrasse. Nach der Quaibrücke fi nden Stefan
und Martin eine Lücke im Verkehr und schiessen am Bellevue davon.
Christoph, der sieht, dass Anette wegen des Verkehrs und Fussgängern
den Anschluss verliert – sie muss anhalten – wartet auf sie. Gemeinsam
machen sie sich auf die Jagd nach dem Führungsduo, die sie inzwischen
aus den Augen verloren haben.
Dann geschieht das, was das Rennen entscheidet: Der führende amtie-
rende Europameister der Velokuriere, Stefan Fröhlich, zu dessen Ehren es
zwei Checkpoints an der Fröhlichstrasse gibt, verfährt sich ausgerechnet
an „seiner“ Strasse: Er rast am Checkpoint Ecke Bellerive/Fröhlichstrasse
vorbei und verliert mit seinem Partner die Spitzenposition an die rasch
nachfolgenden Anette und Christoph, die direkt von dort zum letzten Pos-
ten an der Ecke Fröhlichstrasse/Seefeldstrasse fahren und von hier aus
souverän zurück ans Ziel an den Wipkingerplatz „fl iegen“: über das Lim-
matquai, durch die Bahnhofsunterführung, an einer Demo vorbei und über
das Sihlquai an den Wipkingerplatz und zum Sieg!
Siegerinnenzeit: 35 Minuten, 38 Sekunden.
Durchschnittsgeschwindigkeit: 35.765 km/h.
Preis für die globale Siegerin: 1 Flugticket Tokyo retour.
Konichiwa Japan!
PS: Knapp nach Anette gewinnt Christoph mit der offi ziell gleichen Zeit das
Rennen der Männer und sein erstes Alleycat überhaupt. Die Siegerin in Zürich, Anette Michel, ist nicht nur die schnellste Frau weltweit, in Zürich ist
sie schneller als alle Männer.
Unten links: Start in Warschau, alle anderen: Santiago de Chile
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Text: Roland Munz
Wenig später trifft sich unsere Gruppe fast wie verabredet auf Deck. Den
im Hafen von Sollér zurück gebliebenen prosten wir vom ablegenden
Schiff aus freudig zu. Wie lange die Überfahrt nach Sa Calobra heute wohl
dauern wird? 40 Minuten? 50? Oder gar 60?
Petrus meint es gut mit uns Seit dem Start heute Morgen an der Platja de Muro begleitet uns perfektes
Frühsommerwetter. Im Anstieg von Bunyola auf den Sollér-Pass kamen
wir ein erstes Mal richtig ins Schwitzen. Wie froh sind wir, dass es diese
Woche nicht mehr gar so heiss ist wie in der vorigen. Damals, am letzten
Donnerstag, bei fast vierzig Grad, auf den Puig Major mit seiner Passhöhe
von gegen 900 Metern, erreichte manch einer die Grenzen persönlicher
Leistungs- und Leidensfähigkeiten. Alle paar Meter sah man jemanden am
Strassenrand sitzen, die Getränkefl aschen förmlich ausquetschend. Etliche
mussten dort ihre Ambitionen zurückstecken und ein Taxi für die Retour-
fahrt nehmen. Unvergesslich auch jener Hobby-Lance-Armstrong, der zu-
oberst auf dem Pass samt seinem superleichten Carbonrenner einem Taxi
entstieg, um stolz für ein Erinnerungsfoto zu posieren.
Etwas stolz war ich meinerseits auf die mir anvertraute Gruppe, wo alle
die Tour aus eigener Kraft beenden konnten. Abends meldete der lokale
Fernsehsender, es wäre ein neuer Temperaturrekord für Anfang Mai er-
reicht worden. Aha, alles klar. Für heute sind wiederum über 30 Grad
angekündigt. Im Moment allerdings kümmert uns das wenig. Es ist kurz
nach 13 Uhr und wir geniessen die angenehme Meeresbrise. Wer mag da
schon an den bevorstehenden Anstieg denken?
OHNE SCHWEISS KEIN PREISBitte die Schuhe auf dem Boot ausziehen! Unsicher ob des Gehörten, schaut mich mein Vor-dermann an. Ich nicke. So stellen wir unsere Rennräder im Passagierraum der Personen-fähre ab, parkieren Helme und Schuhe dazu und entern barfuss die Bar. Kaum erhalten, verschwindet eine halbe Flasche kühlen Mineralwassers in meine Kehle. Aaah, tut das gut.
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Wir, das sind 12 Trainierende, welche sich in der von mir geleiteten
Gruppe der Leistungskategorie „Hobby Lang“ beim Radsport-Reiseveran-
stalter Hürzeler Holidays eingetragen haben. Als der ehemalige Radprofi
Max Hürzeler vor über 20 Jahren für eine Hand voll Freunde das erste
Mal Radsportferien organisierte, ahnte wohl niemand, dass 2009 mehr
als 25‘000 Gäste alleine über diesen Veranstalter ihren Aktivurlaub
auf Mallorca buchen würden. In dieser Zeit haben sich nicht nur die
Strassen und das seit einigen Jahren zunehmend gute Radwegnetz stark
verändert. Auch das Angebot der Organisation wird stets neuen Anfor-
derungen angepasst.
So sind längst nicht mehr nur für ambitionierte Sportsleute Touren im
Angebot. Selbst wer nie zuvor auf einem Fahrrad gesessen ist, kann in
der Einsteiger-Gruppe die Freude am Radfahren entdecken. Nach wie vor
aber kommen zu Beginn der Saison im Februar ganze Profi -Rennteams
zum Training. Diese Woche beispielsweise das Alpin-Kader der Schweizer
Skinationalmannschaft, das sich zum ersten Sommertraining bei uns ver-
sammelt. Mit dabei auch der im vorigen Winter schwer verunfallte Daniel
Albrecht, der hier erstmals wieder mit dem Team zusammen trainiert.
Manchmal tut mir da unser Grupenleiter schon etwas leid, der die Ski-
rennfahrer in ihren Radtrainings über die Insel führen darf: Hier ist er es,
der regelmässig seine Leistungsgrenzen entdeckt.
Da habe ich es während meines zehnwöchigen Einsatzes als Tourguide
der Kategorie „Hobby Lang“ gut. Dies ist die tiefste Kategorie jener, die
primär aus Trainingsgründen hier sind und auf konkrete sportliche Zie-
le hinarbeiten. Uns stehen alle Berge offen für Ausfahrten zwischen 90
und 140 Kilometern bei zügigem Tempo. Wer sich zur Teilnahme in einer
Gruppe eingetragen hat, kann natürlich bei Unter- oder Überforderung
jederzeit die Kategorie wechseln – vorausgesetzt, es fi ndet sich ein freier
Platz in einer passenden Gruppe. Jetzt im Mai ist dies auch kaum mehr
ein Problem. Unsere Hochsaison war im April, bevor in Europa die ersten
Radrennen starteten. Dennoch ist es nie ratsam, sich in einer offensicht-
lich zu starken Gruppe einzutragen, wenn die eigentlich passende Leis-
tungsstärke ausgebucht ist. Und unbedingt ist auf pünktliches Erscheinen
am Startplatz zu achten!
Das heisst, dass auch viel zu früh zu sein unerwünschte Wirkungen haben
kann: Zum Leiter der stärksten Leistungsgruppe sprintete kürzlich ein Gast
nach vorne. Hochrot der Kopf, schwer der Atem. Keuchend fragte er bei
Kilometer 30, kurz nach der Einrollphase, ob denn der Gruppenleiter noch
zu retten sei. Schliesslich fahre man nunmehr seit einer Stunde mit einem
Schnitt von 32 Km/h statt der ausgeschriebenen 23. Selbstverständlich
gehe es so weiter, entgegnete der Leiter. Und im Übrigen wäre dieses
Tempo angekündigt worden für die Ausfahrt über 184 Kilometer. Schnell
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Vor über 20 Jahren ahnte wohl niemand, dass 2009 mehr als 25‘000 Gäste alleine über diesen Veranstalter ihren Aktivurlaub auf
Mallorca buchen würden.
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stellte sich heraus, dass sich der Keucher eine halbe Stunde zu früh – als
die Speed-Gruppe ihre Besammlungszeit hatte – am Startplatz eingefun-
den hatte. So fügte er sich in sein Schicksal, kniff die Backen zusammen
und versuchte im Windschatten der Gruppe zu folgen. Bei Kilometer 78
schliesslich gab er entkräftet auf, schleppte sich zurück ins Hotel, legte
drei Ruhetage ein und schloss sich schliesslich erfolgreicher der anvisier-
ten Gruppe „Hobby Kurz“ an.
Nicht nur die Startplätze und Zeiten der Gruppen sind hier klar geregelt.
Beim Einchecken im Hotel bekommen unsere Gäste ihr persönliches, num-
meriertes Schloss für das Radzelt. Dort wird das eigene oder das gemie-
tete Fahrrad verstaut. Am Lenkervorbau wird vorher eine Radsportvignette
angebracht, welche in der Hürzeler-Boutique des Hotels bezogen wird.
Diese Vignette berechtigt zur Nutzung des bewachten Radzeltes, zum Be-
zug eines Picknickes für die Ausfahrt, und um kostenlos Kleinreparaturen
in den eigenen Werkstätten ausführen zu lassen.
Meine Aufgabe als Gruppenleiter ist es, an fünf Tagen pro Woche Aus-
fahrten zu planen. Jeden Morgen vor dem Start hänge ich die Tour des
nächsten Tages aus, mit Angaben zu vorgesehener Durchschnittsgeschwin-
digkeit und Distanz. Für Mensch und Maschine führen wir „Guides“ Flick-
zeug mit uns, um bei Stürzen Erste Hilfe leisten, Plattfüsse oder andere
kleine Defekte beheben zu können. Während der Mittagspausen erzähle
ich ganz gerne Episoden aus der Geschichte Mallorcas und der besuch-
ten Ortschaften. Fast schon ein Muss sind für mich Besuche in Petra auf
dem historischen Marktplatz im Schatten der ehemaligen Franziskaner-
Klosterkirche. Von da aus machte sich einst der Mönch Junípero Serra auf,
an der Westküste Amerikas 21 Missionsstationen zu gründen. Städte wie
San Francisco – eine meiner Lieblingsstädte – und San Diego gehen direkt
auf diese Stationen zurück.
Morgen Freitag allerdings werden wir eine kürzere Fahrt nach Sinéu un-
ternehmen. Alle zwei Wochen setze ich auf der dortigen, nicht besonders
steilen und darum öffentlich zugänglichen, Radrennbahn einen Preis aus:
Der Sieger und die Siegerin im Sprintwettbewerb über eine Runde gewinnt
ein Stück der fast schon legendären Erdbeertorte, die wir zum Wochenab-
schluss an der Strandpromenade von Can Picafort geniessen werden.
Die See ist ruhig heute So erreicht unser Fährboot schon nach 45 Minuten sein Ziel in Sa Calobra.
Schuhe anziehen, Helm aufsetzen und Räder fassen. Dem Einen oder der
Anderen wird es etwas mulmig zumute beim Blick bergwärts. „Die Schlan-
ge“ wartet auf uns! Bissige 730 Höhenmeter, gefühlte 100 Serpentinen-
Kurven und zuoberst der „Krawattenknoten“ – eine in Europa einzigartige
270-Grad-Kurve, die über sich selbst hinüber führt – stehen uns bevor.
Nach dem ersten Kilometer, wir lassen eben die letzten Schatten spen-
denden Bäume der malerischen Bucht hinter uns, gebe ich freie Fahrt.
Jetzt müssen alle ihren eigenen Rhythmus fi nden für die nächsten neun
Kilometer mit Steigungen von bis zu zwölf Prozent. Nein, fl ach wird es
erst auf der Passhöhe wieder. Spektakulär schlängelt sich die Strasse die
Felswand hinauf. Fast senkrecht über uns sieht man die nur aus Steinen
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erbauten Mauern der Haarnadelkurven. Und immer wieder raubt einem
auch der Blick talwärts über die türkisfarbene Bucht fast den Atem.
Plötzlich ist es dunkel. Zwei sich über mir kreuzende Felsnadeln bilden
einen kurzen Tunnel an dessen Ende mich eine kleine Aussichtsplatt-
form zum Anhalten und Fotografi eren einlädt, oder fast schon zwingt.
Mir kommen Erinnerungen an die erste Gruppe wieder hoch, mit der ich
diese Passstrasse hochgefahren bin. Anfangs April blieb hier eine Radlerin
stehen, leise weinend. Wie stets am Berg fuhr ich am Schluss der Gruppe,
hielt bei ihr an, schloss sie in meine Arme. Nein, sie sei nicht erschöpft,
nicht körperlich. Aber sie möchte einen Augenblick innehalten, trauern. Sie
wäre nicht zuletzt auf diese Tour mitgekommen, um zu verarbeiten. Zwei
Jahre zuvor, genau in dieser Kurve, in der Abfahrt, sei ihr Mann, als er
alleine unterwegs war, tödlich verunfallt. Schauer lief nun auch mir den
Rücken hinunter. Wir setzten uns auf die Mauer, während sie leise sprach
und sich an mir festhielt. Noch einige Male haben wir in den folgenden
Tagen zusammengesessen. Nicht nur ihr wird jene Tour wohl auf ewig in
Erinnerung bleiben. Als Gruppenleiter ist man nicht bloss Streckenplaner,
Notfallmechaniker, Samariter und Pausenunterhalter. Immer wieder stellen
sich uns auch psychologische Herausforderungen. Auch darum mag ich
diese vielfältige Arbeit sehr!
Endlich folgt die wohlverdiente AbfahrtBloss keine Ziege auf der Strasse. Wenn nur nicht Sand oder Steine in der
Kurve liegen. Ja nicht zu viel denken. Aber auch nicht zu wenig, immer
etwas vorausschauend. Wie hat schon der Fahrer des Team Telecom im
Film „Höllentour“ gesagt: „Ist es wirklich schlau, auf ein Zoll breiten Rei-
fen, mit einer klassischen Seilzugbremse ausgerüstet, bei vollem Tempo
eine Passstrasse hinunterzurasen? Nicht wirklich!“ Diese Worte im Kopf,
gebe ich ein Tempo vor, bei dem sich alle sicher fühlen können. Niemand
meiner Gruppe soll sich gedrängt fühlen, über die eigenen Verhältnisse zu
fahren. Sicherheit geht vor.
Stürze gibt es zum Glück selten. Und wenn, dann gehen sie in der Regel
glimpfl ich aus. Nicht aber für den Vogel, der mir unlängst ins Hinterrad
fl og: Das Rad blockierte. Die mir nachfolgende Radlerin fuhr auf mich auf
und stürzte. Ihre Schürfwunde konnte ich ohne Probleme verarzten. Viel
schwieriger war es, den zuckenden und schreienden schwarzen Vogel von
seinem Leiden zu erlösen. War es eine Amsel?
Aber heute läuft alles wie geschmiert. Schon erreichen wir Pollenca. Hier
biegen wir auf eine kleine aber gut unterhaltene Nebenstrasse ein. Links
und rechts zieren Gärten den Weg. Die letzten Kilometer führen uns an
Pferdestallungen vorbei, einen Bach entlang zurück an die Platja de Muro.
Die Sonne steht noch hoch am Himmel. Wieder ist eine Ausfahrt ohne Zwi-
schenfälle verlaufen. Bei der Abschlussbesprechung der heutigen Ausfahrt
blicke ich rundum in zufriedene Gesichter und werde von meinem Team
mit Applaus belohnt. Weil das Meer mittlerweile auch schon einladend
warm ist, stürzen wir uns zusammen in voller Radmontour in die Wellen.
Nein, doch nicht ganz: Die Schuhe ziehen wir noch aus.
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Impressionen einer Velotour entlang der Strada statale 106 in Kalabrien.Fotos: Alois Jauch, Illustration: Hofgrafen
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Von den Aprikosen-Hainen an den Fuss der Viertausender und zurück. Eine Zweitages-Tour für angefressene Biker, durch das Walliser Seitental Val d‘Anniviers.
DIE VIER-TAUSEDER PARADE – ZWEI BIKE-TAGE IM VAL TAGE IM VAL D‘ANNIVIERSText: Simon Joller, Illustration: Hofgrafen
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Vor 150 Jahren fuhren vornehmlich Englän-
der von Sierre durch das Val d‘Anniviers in
das Bergdorf Zinal. Die Angelsachsen waren
fasziniert von der majestätischen Präsenz der
ewig eisbedeckten Bergriesen am Ende des Ta-
les, hinter Zinal. Mit dem Weisshorn, dem Zi-
nal Rothorn, dem Ober Gabelhorn und der Dent
Blanche schliessen gerade mal vier über 4000
Meter hohe Bergsteiger-Traumziele den südli-
chen Seitenarm des Rhonetales ab.
Weder mit Maultier noch Benzin-Kutsche wol-
len wir diese Reise antreten, sondern mit Bikes.
In zwei Tagen das Tal hinauf und hinunter. Das
ist keine gemütliche Rundfahrt. Fahrkönnen und
Kondition werden vorausgesetzt. Doch die Ge-
birgskulisse, einsame Alpwege und Traumab-
fahrten belohnen die Anstrengung. Wer weniger
auf Abenteuer denn auf Genuss-Suche ist, fi n-
det im Val d‘Anniviers gegen hundert markierte
Bike-Kilometer mit demselben hochalpinen Pan-
orama, für jedermann fahrbar. Vorerst stehen wir
noch in Sierre, wo die Atmosphäre keineswegs
alpin ist. Die trockene Walliser Wärme, Apriko-
sen-Plantagen und Weinberge erinnern eher an
südfranzösische Regionen. Den herben Walliser
Rotwein sparen wir Biker uns allerdings für die
Rückkehr auf. Denn die ersten Kilometer hinauf
auf die Terrasse von Vercorin und weiter Rich-
tung Grimentz hilft uns weniger der Weingeist
denn ein paar Kohlenhydrate aus dem Rucksack.
Teils sind die Wege derart steil, dass wir abstei-
gen und schieben müssen.
Schultern und schieben muss man das Bike auf
dieser Tour verschiedentlich. Vor allem, wenn
man wie wir von der Gipfel-Krankheit befallen
ist. Natürlich könnten wir am Ende des Tales
bei Grimentz – Zielort des legendären Bikemara-
thons Grand Raid Cristalp – das Tal queren und
mehr oder weniger gemütlich nach Zinal gelan-
gen. Schon diese Variante würde uns ab Sierre
über 1500 Höhenmeter abfordern. Doch wir set-
zen gleich noch 1000 Meter Höhengewinn drauf.
Der Verlockung der Corne de Sorebois auf 2896
Metern über Meer können wir nicht widerstehen.
Wie ein Keil spaltet sie das Val d‘Anniviers in
das Val de Zinal und das Val de Moiry auf. Wir
stehen zuvorderst auf der Keilspitze, noch etwas
benommen vom (endlos scheinenden) Aufstieg
mit der halbstündigen Trage-Passage, aber be-
tört vom grandiosen Ausblick in die Ferne. Unter
uns liegen 40 Kilometer Aufstieg, der kalt-blaue
Moiry-Stausee, in der Ferne die Berner Alpen
und vor uns die Walliser Viertausender.
Nur eine Erkenntnis kann uns aus unserem Ta-
traum reissen: die Aussicht auf einen nächsten
Tagtraum… Die unglaublich schnelle Abfahrt
über planierte Skipisten – immer dem Weg ent-
lang – hinab nach Zinal, über einen Kilometer
tiefer unten gelegen. In Downhill-Trance fahren
wir in Zinal ein, der einstigen Zwischenstation
für Talbewohner und Vieh, bevor sie auf die Alp-
sitze zogen. Wir wissen die Spaghetti à discréti-
on zu schätzen und übernachten in der Auberge
Les Liddes für ganze 25 Franken! Am nächs-
ten Morgen, noch bevor die Sonne sich über
die Bergriesen schieben mag, sind wir bereits
wieder unterwegs. Zum Aufwachen eine kurze
Trage-Passage hinauf auf den Höhenweg. Und
dann, nach der Bergfahrt an der Westfl anke am
Vortag, die Talfahrt über die Ostfl anke des Val
d‘Anniviers. Der grandiose Pfad, über den stre-
ckenweise der bekannte Berglauf Sierre-Zinal
führt, ist technisch einigermassen schwierig. Die
Wanderer staunen, und wir geben lachend zu,
dass wir zwischendurch, wie sie, zu Fuss unter-
wegs sind. Die Krönung kommt zum Schluss, als
wär‘s ein köstliches Dessert: Eine schier end-
lose Abfahrt über weichen Waldboden hinunter
nach Sierre. Und nach dem blendenden Weiss
des ewigen Schnees können wir uns in der Stadt
Sierre endlich der zweiten Farbe im Walliser
Kantonswappen widmen: dem klaren Rot des
geistreichen Traubensaftes…
Tour de Val d‘Anniviers Im Westen bergan, im
Osten talwärts. Eine gran-diose Zweitagestour für Bike-Abenteurer im Wallis.
Wann vom Sommeranfang bis zum ersten Schnee Wie weit 45 Kilometer hinauf und 45 Kilometer hinunter Wie hoch 1500 Höhenmeter (ohne Abste-
cher Corne de Sorebois) Wie lange 5 bis 8 Stunden Steigung, 4 bis 6
Stunden Abfahrt Was mitnehmen LK der Schweiz, 1:25‘000, Blätter
1287 Sierre, 1307 Vissoie, 1327 Evolène, warme Bekleidung, gute Schuhe (Schiebe-Strecken)
Wie hinauf Sierre – Vercorin auf der Stras-se, über Simboué Pt 1731 – Tra-cui– Les Tsougdires – Le Chêquet nach Grimentz, Pt 1599 – Mayens de Tsirouc – Le Biolec – über die Weide nach Grand Plan schieben – Sorebois – Singline, hinunter nach Zinal
Variante für Unersättliche: Le Chêquet – Hauptstrasse Richtung
Lac de Moiry – steil auf die Corne de Sorebois – Sorebois – Zinal
Wie hinunter Zinal – Arolec – Lirec – Barneuza – Montagne de Nava-Hotel Weiss-
horn – Tignousa – Pt 2091 – Al-page de Chandolin – Pramarin –
Ponchet – Le Couquelle – Niouc – Sierre
Was sehen Vier Viertausender, das Rhonetal von oben, Murmeltiere, Ziegen und Kampfkühe, Grimentz‘ alter Dorf-kern
Wo essen Bendolla ob Grimentz, im histori-schen Hotel Weisshorn, Rucksack
Wo übernachten Grimentz, Zinal, Petit-Mountet-Hütte ob Zinal, Hotel Weisshorn
Die trockene Walliser Wär-me, Aprikosen-Plantagen und Weinberge erinnern eher an südfranzösische Regionen.
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Alte Motorhauben, Drähte und Plastikfolien - kein Material ist vor Leto
alias Markus Meyle sicher. Der Plastiker verarbeitet Schrott zu Kunst.
Aufgewachsen bin ich so quasi in einer Galerie. Mein Vater leitete die
Villa am Aabach in Uster. Wir wohnten oben in dieser Villa, so dass ich
mir unweigerlich jeden Tag die Sachen, die an den Wänden hingen, an-
schauen musste.
Später brachte mir meine Berufsausbildung als Spengler den Vorteil, den
Umgang mit Metall kennenzulernen. Schrott und Motorhauben waren und
sind ein wichtiger Werkstoff in meinen Arbeiten. Bis vor einigen Jahren
habe ich vor allem mit Altmetall gearbeitet. Bis ich eher per Zufall an
einem Holzbildhauer-Symposium teilgenommen habe. Seit dem arbeite ich
regelmässig mit der Motorsäge. Mit der Motorsäge zu arbeiten ist eine
lustige Sache, mit viel Lärm arbeite ich mich quer durch den Baum dabei
entstehen Figuren, Reliefe und Holzschnitte.
Zudem habe ich in Uster den Kunstabenteuerspielplatz Serafi ns Garten
aufgebaut, wo ich die Feinheiten des Spiels und der Spielgeräte erfor-
schen konnte.
Das Spiel mit dem Feuer ist auch so eine Sache. Das geht von Skulpturen
ent- und verbrennen über Feuerwerke bis hin zum Schmieden oder Gies-
sen. Dabei steht vor allem das Experimentieren und Tüfteln im Mittelpunkt.
Wobei ich unterdessen einige Erfahrungen gesammelt habe, so dass das
Inszenieren von Feuer im Mittelpunkt steht.
Mein Stil kommt wohl von meiner vorliebe für Comics. Ich mag einfache
und klare Formen. Meine Figuren sind für mich Kumpels, die aus einer
verspielt anderen Welt stammen. In meinen Arbeiten geht es mir immer
um Dynamik und Präsenz. Stets suche ich nach Themen und Motiven die
frech und radikal sind. Mich beschäftigten vor allem das Zusammen-
spiel von Menschen und die gesellschaftlichen Mechanismen. Die ich in
Beispielen analysiere. Interaktive Figuren lassen einem die thematisierte
Situation direkt miterleben. Im Zentrum dieser Arbeiten steht oft eine
interaktive Rauminstallation, um welche herum ich dann, die kleineren
Figuren inszeniere.
„Als führender Druckdienstleister im Grossraum Zürich wissen wir um die Kraft kreativer Ideen - sie befl ügeln, inspirieren und ebenen oftmals den Weg für neue Betrachtungsweisen oder Lösungsansätze. Druck und Kunst profi tieren von einer gegenseitigen Wechselwirkung. So verwundert es kaum, dass die FO-Fotorotar einen bekannten Künstler aus der Region sponsert, der mit seinen Arbeiten ebenso klare Zeichen setzt wie das seit 75 Jahren etablierte Unternehmen innerhalb der grafi schen Branche.“
AUS SCHROTT WIRD SEIT 15 JAHREN KUNST
Meine Figuren sind für mich Kumpels, die aus einer verspielt anderen Welt stammen.
Kultursponsoring von
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AUS SCHROTT WIRD SEIT 15 JAHREN KUNST
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Text: Boris Wagner
Wer, wie die Zürcher Velokuriere, Botschaften von A nach B übermittelt,
kennt die wachsenden Anforderungen und Bedürfnisse unserer schnellle-
bigen Gesellschaft. Vertrauen, Qualität und Flexibilität sind nur einige Be-
griffe, die das tägliche Geschäft mit dem Transport wichtiger Informationen
oder Waren bestimmen. Gepaart mit erstklassigem Service, Ausdauer und
Schnelligkeit, beschreiben diese Attribute ein Unternehmen, das zudem seit
20 Jahren konsequent ökologische Pionierarbeit leistet. Dieser Vorreiterrolle
gilt unser ganzer Respekt, denn innovative Ideen und nachhaltiges Wirken
stellen auch für uns als Mediendienstleister die treibende Kraft für erfolg-
reiches Schaffen dar.
Fest im SattelDie FO Print & Media AG zählt mit ihren sechs eigenständigen Geschäfts-
bereichen zu einer festen Grösse innerhalb der grafi schen Branche. Mit
weit über hundert qualifi zierten Fachkräften kann das Unternehmen auf
einen langjährigen Erfahrungsschatz zurückgreifen, der bis in das Jahr
1930 datiert. Das damit verbundene Know-how und Potenzial wird von
unseren zahlreichen Auftraggebern aus Wirtschaft, Industrie, Werbung,
Bund und Kantonen sehr geschätzt. Technische Entwicklungen, Trends und
Marktgeschehnisse im Print- sowie Onlinebusiness werden von uns stets
aufmerksam beobachtet. Dies prägt unsere tägliche Arbeit und ermöglicht
uns, jeweils individuelle, kundenspezifi sche Lösungen zu kreieren – das
interdisziplinäre Zusammenspiel der unterschiedlichen Kompetenzpartner
gewährleistet uns, selbst komplexe Projekte aus einer Hand anzubieten.
Professionell und vielseitigAls Kommunikationspartner verarbeiten wir Informationen für nahezu alle
Kanäle – das Medium Print zählt dabei nach wie vor zum Kerngeschäft. In
unserem topmodernen Maschinenpark werden Drucksachen mit optimaler
Effi zienz und unter Einhaltung höchster Qualitäts- und Sicherheitskriterien
realisiert. Ob klimaneutral, FSC-zertifi ziert oder mit fälschungssicheren
Merkmalen versehen produziert – das Unternehmen offeriert zahlreiche
Dienstleistungen, die weit über das reine Druckhandwerk hinausgehen.
Kreative Text- und Bildprofi s, sprachgewandte Korrektoren, versierte Com-
puter-to-Plate-Operatoren, eine speditive Ausrüsterei und die sowohl auf
Internet, Personalisierungen als auch Web-to-Print-Lösungen spezialisier-
ten Geschäftsbereiche FO-Cyberfactory und FO-Smartprint stehen den Kun-
den mit allen erdenklichen Produktionsvarianten zu Diensten.
Auf ÜberholspurIm Spannungsfeld sich ständig ändernder Medientechnologien gehören
die kompetente Beratung sowie fachgerechte Auf- und Weiterverarbei-
tung wichtiger Informationen in die Hände versierter Profi s. Sie sind es,
die Ihre Botschaften effi zient, zielgerichtet und crossmedial vernetzt am
Markt positionieren, die Synergien erfassen, genau zu nutzen und bei
Bedarf entsprechend ökologisch vertretbar zu produzieren wissen. Als
Ihr Kommunikationspartner kennen wir die vielschichtigen Möglichkeiten,
das Potenzial des Machbaren und wissen dieses gewinnbringend für Ihr
Unternehmen umzusetzen. Nicht zuletzt stellen wir mit Publishing 3.0 di-
verse richtungweisende Softwaretools zur Verfügung, die unseren Kunden
ein Höchstmass an Flexibilität und Kosteneffi zienz gewährleisten. Damit
lässt unsere Dienstleistungspalette kaum mehr einen Wunsch offen –
ein kundenorientiertes Handeln ist unser Kredo. Daher freuen wir uns,
zielstrebig in die Pedale zu treten und gemeinsam mit Ihnen spannende
Konzepte zu verwirklichen.
Um Informationen fachgerecht für alle Kanäle aufzubereiten, bedarf es
eines Spezialisten mit versiertem Blick für das Ganze.
Informationen und Daten werden heute crossmedial verarbeitet und über
diverse Kanäle vernetzt – dabei gilt das Medium Print nach wie vor als
Motor für erfolgreiche Werbeauftritte.
Erfolg basiert auf Begeisterung, auf ambitionierten Menschen, deren vielfältige Persönlich-keiten, Charaktere und Erfahrungen sich optimal ergänzen und selbst Unerwartetes hervor-bringen. Gemeinsam treten diese Menschen für andere zielstrebig in die Pedale – nicht nur beim Veloblitz.
MIT KARACHO IN DIE ZUKUNFT
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Wissenswertes auf einem Blick
Zertifi zierungen: ISO 14001, FSC, Klimaneutrales Drucken,
PSO/ISO 12647-2, ISO 9001, OHSAS 18001
Publishing 3.0: Seien es Print-on-demand-Produkte (Fotobücher, Karten,
text- oder bildpersonalisierte Kalender), Bestellungen von Geschäfts-
drucksachen via CyberPrint oder umfangreiche Redaktionssysteme –
intelligente Internetanwendungen sowie Dialogmarketing weisen den Weg
in die Zukunft und ermöglichen ein kosteneffi zientes, fl exibles Agieren.
Datenhandling: Der vertrauensvolle Umgang mit heiklen Daten und In-
formationen gilt als selbstverständlich. Ob Datenbanken für Bildarchive,
Sicherheitskopien oder Ähnliches – was immer Sie für künftige Projekte
wiederverwenden möchten, Ihre Daten sind bei uns mehrfach gespeichert
und bestens aufgehoben.
Druck: Im Schichtbetrieb laufen 28 Druckwerke – von der neusten Anico-
lor-Maschine bis zum 13 Meter langen High-Tech-Apparat mit zehn Farb-
werken sowie zwei Xerox-iGen3-Digitaldruckmaschinen. Für jedes Bedürf-
nis steht die passende Maschine zur Verfügung – so auch für besonders
ausgefallene, umweltbewusste oder sicherheitsrelevante Produktionen.
Ausrüstung: Schneiden, Falzen, Heften, Perforieren, Nummerieren, Lei-
men, Bandieren sind tägliche Arbeiten. Ausgeklügelte, computergesteu-
erte Präzisionsgeräte ermöglichen zudem vielfältige Veredelungsarten im
Sieb- oder Folienprägedruck. Sie steigern den Wert Ihrer Drucksachen
und sorgen für Aufmerksamkeit.
Spedition: Wo immer auf der Welt Ihre Kunden sind – wir erledigen alle
notwendigen Formalitäten, liefern prompt und überwachen den Trans-
port.
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Die Internetspezialisten vereinen technische und grafi sche Kompetenz. Das Resultat: einmalig integrierte, individuelle Kommunikationsprodukte für alle Medienkanäle. www.fo-cyberfactory.ch
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Alle Geschäftsbereiche sind Teil der FO Print & Media AG.
FO Print & Media AGGewerbestrasse 18, CH-8132 EggTel. +41 44 986 35 10, Fax +41 44 986 35 [email protected], www.fo-print-media.ch
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bild
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98 |
Hofgrafen GmbH Identität und Kommunikation Zentralstrasse 74a, 8003 Zürich, Telefon 044 201 93 76, [email protected], www.hofgrafen.ch
Wir gratulieren!
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Ende der 80er Jahre wurden die ersten Velokurierbetriebe gegründet. Zu-
erst in Luzern, dann in Bern, Basel und Zürich. Die Gründer waren Idealis-
ten, die sich von den Ideen aus verkehrsgeplagten Städten in Nordamerika
inspirieren liessen. Doch die Zeiten sind längst vorbei, als die Kuriere die
bunten Vögel im Strassenbild waren. Inzwischen gibt es schweizweit über
20 Velokuriere, die nicht nur mit sportlichem Ehrgeiz durch die Städte
fahren, sondern vor allem auf professionelle und sichere Kurierdienst-
leistungen setzen. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren sind Schnelligkeit, Um-
weltbewusstsein und die vertrauliche, persönliche Lieferung. Das hat auch
Christoph Masoner, der Mitbegründer des Velokuriers Luzern und heutige
Geschäftsführer von swissconnect, vor 10 Jahren erkannt: „Ich wollte die
regionalen Velokuriere in der Schweiz zusammenspannen und gemeinsam
mit den SBB einen nationalen Verbund schaffen, mit dem Kurierdienste
nicht nur auf die einzelnen Städte begrenzt bleiben, sondern auch zwi-
schen den Orten möglich werden.“
Ökologisch und effi zient„In sieben von zehn Fällen ist das Velo in der Stadt schneller als das
Auto“, sagt Masoner. Daher sind die Velokuriere in den Städten immer noch
das Herzstück des Schweizer Kurierdienstes. Für grössere Distanzen setzt
swissconnect auf das dichte Netz der SBB, auf Privatbahnen wie z. B. die
Rhätischen Bahnen, Mobility- oder Erdgas-Autos sowie Taxiunternehmen.
Das schweizweite Netzwerk besteht heute aus rund 50 Partnern, die Briefe,
Dokumente, Waren und Pakete bis 30 kg nahezu in alle Orte und Regio-
nen der Schweiz, ins europäische Ausland und in die ganze Welt liefern.
Das können Dokumente wie Pässe sein, Blutproben, heikle Messgeräte,
Werkzeuge und so weiter. Dass die Lieferungen pünktlich ankommen ist
dem reibungslosen Zusammenspiel aller beteiligten Partner zu verdanken.
Thomas Bussmann vom Luzerner Orthodontie-Labor Bussmann ist Kunde
der ersten Stunde und erinnert sich: „Damals hielt ich es für einen sehr
ambitiösen, wenn nicht gar unwahrscheinlichen Plan, ein fl ächendecken-
des Netzwerk aus kleinen Kurieren zu schaffen. Schliesslich muss jeder
einzelne ein extremes Dienstleistungsverständnis mitbringen und die Qua-
lität garantieren, die es für ein perfektes gemeinsames Angebot braucht.“
Logistische MeisterleistungDer Plan ist aufgegangen. Heute betreut swissconnect im Schnitt 110
Sendungen täglich, Tendenz steigend. Das logistische Nervenzentrum ist in
Luzern, wo vier Personen sämtliche Aufträge und Partner koordinieren. Sie
überwachen die einzelnen Sendungen dank einer eigens entwickelten Soft-
ware zeitgenau und sind immer auf dem Laufenden, wo welche Lieferung
steckt. Meistens läuft alles glatt, hin und wieder müssen Probleme gelöst
werden, wenn zum Beispiel ein Zug ausfällt oder verspätet ist. Im Extrem-
fall kommt eine Sendung erst gegen Mitternacht am Zielort an und wird
vom lokalen Kurier auch dann noch ausgeliefert. Besonders Medizinlabors
und Spitäler, aber auch Industrieunternehmen, Anwälte, Notare, Banken,
Text: www.textpistols.ch, Foto: Alois Jauch
Ein Paket in Zug abholen, nach Lausanne spedieren und persönlich ausliefern. Das alles in knapp drei Stunden. Der clevere Verbund aus Bahnen, Velo-, Auto- und Taxi-kurieren machts möglich. Dabei setzt der Schweizer Kurierdienst swissconnect nicht nur auf das jeweils schnellste, sondern auch ökologisch sinnvollste Transportmittel. Und das bereits seit 10 Jahren mit stetig wachsendem Erfolg.
SWISSCONNECT - DER KURIER, DER MIT DEM ZUG GEHT – SCHNELL UND ÖKOLOGISCH QUER DURCH DIE SCHWEIZ
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Botschaften und Reisebüros zählen zur Hauptkundschaft von swisscon-
nect – allesamt Kunden, die auf eine schnelle Lieferung angewiesen sind
und den Service auch mal Samstags, Sonntags oder abends nutzen. „Eben
diese Flexibilität und den Rund-um-Service schätzen unsere Kunden“, sagt
Christoph Masoner. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum der Kurier-
dienst von der Wirtschaftskrise nichts spürt. swissconnect strebt noch
dieses Jahr die ISO-Zertifi zierung an und expandiert weiter. „Je mehr sich
die Post als Marktführer im Gleichtagsgeschäft zurückzieht, desto mehr
werden wir uns weitere Gebiete erschliessen“, so Masoner. „Wir sind nur
wenig teurer als die Post, dafür aber unschlagbar schnell.“
Mit einem Paket auf ReisenEine Reise mit swissconnect sieht in der Praxis so aus: Ein Kunde in Lau-
sanne informiert seinen lokalen Kurier über ein im Zuger Industriegebiet
bereitliegendes Ersatzteil. Der Lausanner Velokurier gibt den Auftrag in
den Computer ein. Sobald dieser auf dem Bildschirm des Zuger Velo-
kuriers auftaucht, wird das Paket abgeholt. Der Kurier eilt zum Bahnhof
und deponiert die Sendung sicher im abschliessbaren Zugführerabteil des
Intercity-Zuges. In Zürich ist der dortige Velokurier bereits im Bild und
schickt rechtzeitig einen Fahrer an den Hauptbahnhof, der das Paket in
den IC Richtung Genf umlädt. Pünktlich ist der Kurier in Lausanne zur
Stelle, um das Paket auszuladen. Er fährt direkt zum Auftraggeber nach
Ouchy und gibt die Sendung persönlich ab. Dieser staunt nicht schlecht,
seit dessen Anruf sind kaum drei Stunden vergangen! Ähnliches geht von
Zürich nach Bern, von Basel nach Luzern oder Lausanne nach Genf sogar
in 90 Minuten.
Das swissconnect-Netzwerk umspannt die ganze Schweiz. In Gegenden, wo
es keine Velokuriere gibt, übernehmen Autokuriere oder Taxis den Trans-
port vom Bahnhof zum Bestimmungsort. Neben solchen Einzelaufträgen
bietet swissconnect auch regelmässige Abholungen (Daueraufträge) und
ausgefeilte Sammel- und Verteilkonzepte. Christoph Masoner lacht: „Bei
uns ist fast alles möglich. Wir transportieren fast alles fast überall hin.“
Weitere Informationen erhalten Sie bei:
swissconnect AG
Christoph Masoner
Tel. 041 227 2000
www.swissconnect.ch
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Text: Rolf Burkhardt, Foto: Peter Zangerl
Der „Messenger“, ein hochwertiges Strassenrad
aus Alu und Carbon, wird nach gut drei Jahren
Entwicklungsarbeit bereits in einer zweiten Ge-
neration lanciert. Als die Veloblitz-Geschäftslei-
tung vorbrachte, eine Velowerkstatt zu eröffnen,
ging es vorwiegend darum, eine weitere Einnah-
mequelle für den damals leicht strauchelnden
Kurierdienst zu fi nden. Bei der Entwicklung einer
eigenen Fahrradmarke hingegen, eine Marktlü-
cke zu schliessen. Obschon dutzende renom-
mierter Velomarken damit werben, die Perfektion
des Zweirads gefunden zu haben, war vor dem
Bau des „Messengers“ kein Fahrrad auf dem
Markt zu fi nden, das vollumfänglich den hohen
Ansprüchen eines Kuriers entspricht.
Ein Kuriervelo muss viel aushalten und soll den-
noch wendig und leicht sein. Es soll mit Kompo-
nenten ausgerüstet sein, die in Preis und Leis-
tung ausgewogen sind. Auf geraden Strecken,
wie auch am Züriberg, soll es die eingesetzte
Muskelkraft optimal in eine Fahrtbewegung um-
setzen, und: Es soll gut aussehen.
Wer über mehrere Jahre hinweg tausende von
Kilometern auf einem Fahrrad zurücklegt, spürt
und bemerkt Konstruktionsfehler oder die fal-
sche Materialwahl quasi am eigenen Leib. Luzian
Relly und Lukas Bertschi, die beiden Väter des
„Messengers“, sind Testperson und Entwickler in
einem, wovon ihre begeisterte Kundschaft profi -
tiert. Und die stammt längst nicht mehr nur aus
dem engen Kreis kritischer Kuriere. Um zu reali-
sieren, dass es den meisten City Bikes, die in den
Neunzigern das für städtische Bedürfnisse viel
zu schwere Mountainbike ablösten, an Stabilität
fehlt, braucht man kein Profi zu sein.
Auch muss man kein Radrennfahrer sein um zu
bemerken, dass die gebückte Haltung, die dem
Rennvelo zur optimalen Nutzung der Tretkraft ver-
hilft, im Zürcher Stadtverkehr gefährlich werden
kann. Der lebensrettende Blick über die Schulter,
wird durch den tiefgesetzten Lenker geradezu
verunmöglicht. Mit dem „Messenger“ wurde we-
sentlich mehr, als ein gelungener Kompromiss
dessen, was man bei den genannten Modellen für
unbefriedigend empfi ndet, gefunden. Nicht unbe-
scheiden ist vom idealen Fahrrad, abgestimmt
auf Zürichs Topographie die Rede.
Der „Messenger“ wiegt je nach Rahmengrös-
se zwischen 9 und 10kg und ist dennoch von
Seit wenigen Monaten befi ndet sich im Containerdorf in der Binz in Zürich die neue Velowerk-statt von Veloblitz. Eigentlich nichts Aussergewöhnliches - ausser dass in dieser Werkstatt am Fusse des Üetlibergs nicht nur repariert, sondern auch ein ausgeklügeltes Fahrrad gebaut wird.
DER „MESSENGER“ VONVELOBLITZ BEWEGT NICHT NUR KURIERE
Wir sind überzeugt: unser „Messenger“ wird auch Sie
ganz schön bewegen.
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höchster Stabilität. Das Gefühl, wie auf Schienen durch die Strassen zu
gleiten, mit griffi gen Bremsen und einer sanft klickenden Schaltung un-
terwegs zu sein macht nicht nur Spass, sondern erhöht in erheblichem
Masse die Sicherheit. Um ein optimales Fahrgefühl zu erreichen, wird jeder
von Hand und mit Herz zusammengestellte „Messenger“ den Bedürfnissen
seines künftigen Besitzers oder seiner Besitzerin angepasst. Und die dürfen
äusserst individuell sein.
Der „Messenger“ ist in der Grundausstattung in fünf Grössen in schwarz
erhältlich. Gegen einen Aufpreis von CHF 200.- entscheiden Sie selbst, wel-
che der 266 verschiedenen Farben am besten zu Ihrem „Messenger“passt.
Messenger Standard, Alu-Rahmen mit Carbon-Gabel, Kettenwechsel, Schal-
tung, Bremsen und Naben von „XT“, „105er“ und „Ultegra“
CHF 2190.-
Messenger Nabenschaltung, technische Details wie oben; anstelle von „XT“,
Schimano Alfi ne 8-Gang Nabenschaltung
CHF 2500.-
Ein Fahrrad macht nur dann richtig Freude, wenn man damit fährt. Darum
empfehlen wir Ihnen einen Besuch an der Räffelstrasse 28, um ein paar
Runden mit einem der besten Fahrräder der Gegenwart zu drehen.
So fi nden Sie uns:
Öffnungszeiten Veloblitz Werkstatt:
Mo- Fr 12.00 - 18.00 Uhr
Sa 11.00 - 17.00 Uhr
Alle Modelle und sämtliche technischen Details unter
www.veloblitzbikes.ch
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104 |
Für einen Veloblitz-Kurier gehört dieses Eintauchen in die Geschmackswelt
von Lily‘s frisch zubereiteten asiatischen Köstlichkeiten zu einem willkom-
menen, berufsbedingten Begleiter.
Liebhaber von Lily‘s Kochkunst, denen dieser von Düften umwobene Logen-
platz verwehrt bleibt, bestellen sich die Palette farbig riechender Köstlich-
keiten ganz einfach dorthin, wo man sich bei kleinem oder grossem Hunger
eben gerade befi ndet. Ein Blick auf die übersichtliche Website oder in die
Speisekarte genügt, um telefonisch oder per Knopfdruck sein Lieblings-
gericht, gespickt mit ein paar Spezialwünschen, bequem an den Tisch zu
holen. Dass diese für tausende von Zürcherinnen und Zürchern heutzutage
selbstverständliche Regung eine ganze Maschinerie in Bewegung setzt, ein
perfekt eingespieltes Team von Telefonisten, asiatischen Köchen, Disponen-
ten und Veloblitz-Kurieren, sind sich die Wenigsten bewusst.
Genau sieben Jahre sind es her, dass die Macher von Lily’s Restaurant ihre
Vision umzusetzen begannen, panasiatische Kochkünste nicht nur im Res-
taurant an der Langstrasse, sondern auch am Ess- oder Bürotisch von Herr
und Frau Zürcher zu servieren. Eigentlich ist ja Home Delivery nichts Neues.
Doch ist es die Auswahl, die es ausmacht. Der deutliche Unterschied im
Angebot, der perfektionierte Kundenservice, die Liebe zu frisch zubereitetem
Essen und die nur durch Muskelkraft erbrachte Leistung, das Bestellte zu
liefern, galt es neu zu erfi nden. Es begann damit, dass Cello Rohr nach
einer seiner zahlreichen Asienreisen mit einem Souvenir im Handgepäck in
Zürich ankam. Sein Mitbringsel: ein doppelstöckiges Chromstahlgefäss, mit
dem mehrere Millionen Asiaten tagtäglich ihr frisch zubereitetes Essen von
der Strassenküche nach Hause transportieren, um es dort fern ab städ-
tischer Hektik zu geniessen. Zusätzlich zur festen Überzeugung, mit dem
Pinto, so heisst dieses Wundertöpfchen, die Stadt Zürich um ein nützliches
Etwas zu bereichern, war auch Euphorie mit von der Partie. – Diese Eupho-
rie, im Normalfall ein fl üchtig Ding, musste mehrere Jahre anhalten, bis
das erfolgsversprechende Geschäftsmodell rund um diesen gut transpor-
tierbaren Wärmebehälter zu einer rentablen Wirklichkeit werden konnte.
Eigentlich unterscheidet sich Lily‘s Küche in fast gar nichts zu einer nor-
malen Restaurantküche. Nur handelt es sich hierbei um eine, die auf die
Zubereitungsarten asiatischer Gerichte in grossen Mengen spezialisiert ist.
Vor mir auf der Theke stehen drei riesige Reiskocher - gegen 25kg Reis
fasst so ein Gerät. Meiner zu Hause wirkt dagegen läppisch. Der Stössel,
mit dem beispielsweise Papayastreifen, Gewürze, Kräuter oder getrocknete
Garnelen zu einer Paste zerstampft werden, ist dermassen schwer, dass
Text: Rolf Burkhardt, Fotos: Lars Brauchli
Liegt es in der Macht der menschlichen Nase dem geistigen Auge verbindlich Farben zu vermitteln? Wenn ich in der Küche von Lily’s Home Delivery sitze, bilde ich mir manchmal ein, Grün zu riechen. Rot und Honiggelb ziehen dann an meinem inneren Auge vorbei. Ein sanftes Hellgrün um ein struppiges Lila gelegt bleibt auf der geistigen Leinwand hängen, bevor es von einem cremigen Schokoton abgelöst wird.
LILY‘S
Es begann damit, dass Cello Rohr nach einer seiner zahlreichen Asienreisen mit einem
Souvenir im Handgepäck in Zürich ankam.
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er mit beiden Händen und grosser Wucht auf den Boden des übergrossen
Mörsers gestossen werden muss. Automation hat auch in heutiger Zeit
noch nicht überall Einzug gehalten. Wokpfannen über züngelnden Gasfl am-
men, sich in tropischer Hitze gegenseitig abwechselnde Duftnoten sowie
ein ständiges Klappern von Kochgeschirr regieren diesen Ort, von dem aus
die Stadt Zürich seit etlichen Jahren bekocht und bewirtet wird.
Waren, der Küchenchef, strahlt eine Ruhe aus, die sich auf sein vier-
bis fünfköpfi ges Team geradezu hypnotisch überträgt. Manchmal glaube
ich, er bewege sich in Zeitlupe. Und dennoch schafft er‘s immer, den
Ansturm von Bestellungen zu bewältigen. Der Drucker rattert, eine Be-
stellung kommt rein, Waren und sein Team legen los. Heute sind es vier
Köche, die mit verinnerlichten Bewegungsabläufen die Speisekarte hoch
und runter kochen. Routinierte Handbewegungen, die das Team vermutlich
im Schlaf beherrscht - nur wäre es unfair, diese Übertreibung, wenn auch
bewundernd gemeint, so stehen zu lassen. Die offensichtliche Ermüdung
der Gesichtszüge am Ende einer Schicht lassen einen erahnen, dass die
über Stunden anhaltende Leichtigkeit unter höchster Anstrengung zustan-
dekommen muss.
Heute ist Patrick der diensthabende Disponent, auch er ein offensichtlich
von Natur aus freundlicher, entspannt wirkender Mensch. Und dies, obschon
es kein Leichtes ist, Schnittstelle zwischen Kurierdienst und Küche zu sein.
Er stellt die Routen zusammen, kennt alle Abkürzungen und Einbahnstras-
sen, weiss von Staus und Baustellen, die dem Fahrer zum Hindernis oder
zum Trumpf werden können. Scharnier zwischen dampfenden Menüs und
ungeduldigen Kurieren zu sein, zwei unterschiedlich angelegte Rhythmen
zu einem harmonisierenden Ganzen zu vereinen, setzen Entscheidungs-
freude und wohldosiertes Durchsetzungsvermögen voraus. Sowieso vereint
sich in dieser Küche eine ganze Palette ausgeprägter Fähigkeiten. Und dies
alles wegen eines Chromstahltöpfchens, das es so in unseren Breiten noch
nicht gegeben hat. Im Gegensatz zum Kartoffelschäler oder dem multi-
funktionalen Sackmesser wurde der Pinto in seiner vollendeten Form nicht
von einem Schweizer erfunden. Man war es sich in Zürich nicht gewohnt,
gegen ein Depot von CHF 10.-, diesen Wärmebehälter zu sich nach Hause
zu bestellen. Und dies, obschon alle, die ihn bei sich zu Hause hatten, von
der Stabilität und den beiden Schnallen beeindruckt, welche Menü- und
Reisgefäss dicht zusammenhalten, sogleich begeistert sind.
Wäre der Inhalt, ein grünes oder rotes Curry, ein Tamil Chicken oder ein
Panji Renga, dessen Zusammensetzung mir noch heute ein Rätsel ist, nicht
dermassen lecker, hätte sich der Pinto, praktisch und ökologisch zugleich,
kaum durchgesetzt.
Mund-zu-Mund-Propaganda, eine schlichte, witzig überzeugende Kampagne
auf der Rückseite einer jeden Speisekarte, die gut sichtbaren mit „Lily‘s“
beschrifteten Rucksäcke der Kuriere, aber vor allem der hohe Nutzen, ge-
paart mit einem ökologisch sinnvollen Ansatz, brachten schliesslich den
längst verdienten Erfolg.
Sonntag ist der Tag der Tage: Man möchte glauben, dass sich Zürcherin-
nen und Zürcher sonntags ausschliesslich von Currys oder Papayasalaten
ernähren, ihr Wochenende mit Springrolls und Samosas ausklingen lassen.
Aber eben: das war nicht immer so. Als Lily‘s Home Delivery nach über
zwei Jahren noch immer mit zu hohem Aufwand und dürftigem Ertrag zu
kämpfen hatte, musste Einiges unternommen werden, um den Glauben an
den Pinto und sein Drumherum nicht zu verlieren.
Haben sich die Macher in ihrer Euphorie, der Stadt den perfekten Home
Delivery Service zu bieten, etwas übernommen? Sie haben. Das Sortiment
wurde massiv gestrafft, die Disposition reorganisiert, Kalkulationen nach
aktuellen Erkenntnissen aufgerollt. Routen wurden abermals ausgelotet,
das Kochteam mit neuen Köpfen besetzt. Es war keine einfache Zeit bis
Lily‘s Home Delivery dort war, wo es heute ist. Vor allem deshalb nicht,
weil man sich einig war, trotz innerbetrieblicher Einschränkungen dem
Grundsatz, seiner Kundschaft den besten Service zu bieten, immer treu zu
bleiben - und es bis heute geblieben ist.
Heute ist Lily‘s dank einem hochmotivierten Team, engagierten Profi köchen
und einem guten Dutzend durchtrainierter Radlerbeine in Bestform. Durch-
halten hat sich gelohnt. Zum Glück für uns alle. Verlangen Sie von mir
jetzt nicht Ihnen das eingehend schmackhaft gemachte „struppige Lila“ zu
erklären. Diese Farbe ist ja auch keine Farbe sondern ein Duft, weshalb es
unsinnig wäre, Ihnen die Farbe eines Duftes zu erklären, den Sie noch gar
nie gerochen haben. Und von diesen „unerrochenen“ Düften gibt es in der
Küche von Lily’s Home Delivery hunderte. Holen Sie sich den einen oder
andern einfach zu sich an den Tisch!
Er stellt die Routen zusammen, kennt alle Ab-kürzungen und Einbahnstrassen, weiss von
Staus und Baustellen, die dem Fahrer zum Hin-dernis oder zum Trumpf werden können.
Heute ist Lily‘s dank einem hochmotivierten Team, engagierten Profi köchen und einem guten Dutzend durchtrainierter Radlerbeine in Best-
form. Durchhalten hat sich gelohnt.
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Mitarbeiter & FreundeAlois Jauch (Jg. 1962) beim Veloblitz von 1998 bis 2006, Fotograf
Anette Michel (Jg. 1978) beim Veloblitz seit 2004,
Umweltwissenschaftlerin
Armin Köhli (Jg. 1965) WoZ-Journalist und Mitarbeiter der
Schweizerischen Stiftung für Minenräumung
(FSD) www.fsd.ch
Chris Kerkhof (Jg. 1974) beim Veloblitz seit 2002
Christian Cajöri (Jg. 1975) beim Veloblitz von 2001 bis 2008, Student
Claudia Hoffmann (Jg. 1977) beim Veloblitz von 2003 bis 2006, Pfarrerin
Frank Blaser (Jg. 1970) beim Veloblitz von 1996 bis 2006, Fotograf,
www.frankblaser.ch
Franz Hohler (Jg. 1943) Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher,
Veloblitzgenossenschafter der
ersten Stunde, www.franzhohler.ch
German Villotti (Jg. 1963) Grafiker, Veloblitzkunde seit 1991,
www.hofgrafen.ch
Johana Drabek (Jg. 1975) beim Veloblitz seit 2004, Studentin
Karsten Kulik (Jg. 1972) beim Veloblitz von 1996 bis 2001, Biologe
Lars Brauchli (Jg. 1971) beim Veloblitz seit 1992, Fotograf
Lorenz Goette (Jg. 1973) beim Veloblitz von 2005 bis 2008, Ökonom
Mahmud Tschannen (1967) beim Veloblitz von 1997 bis 2008, Redaktor
Marcel Bircher (Jg. 1966) beim Veloblitz seit 1993, Mitarbeiter von
swissconnect
Markus Meyle (Jg. 1972) beim Veloblitz von 1993 bis 1994, Künstler
Peter Zangerl (Jg. 1964) beim Veloblitz seit 2003, Buchhändler
Res Blum (Jg. 1976) beim Veloblitz von 2005 bis 2006, Geologe,
www.raize.ch
Res Zinniker (Jg. 1971) beim Veloblitz von 1999 bis 2001, Grafiker
und Illustrator, www.illustres.ch
Roland Fischer (Jg. 1974) beim Veloblitz von 1998 bis 2007,
Wissenschaftsjournalist
Roland Munz (Jg. 1972) beim Veloblitz seit 1995,
Kommunikationsgestalter, Kantonsrat
www.rolandmunz.ch
Rolf Burkhardt (Jg. 1971) Texter, schreibt für den Veloblitz seit
Anfang 2009
Simon Joller (Jg. 1969) beim Veloblitz von 1995 bis 1996,
Journalist BR
Talaya Schmid (Jg. 1983) beim Veloblitz seit 2003, Studentin
Speziellen Dank auch an: Andi Kucera, André Rüegg, Bendicht Luginbühl (www.repaper.ch), Hannes
Würgler, Johanna Cajöri, Linda Herzog, Malick Guéye, Marco Gloor,
Michèle Passauer, Nora Hunkeler, Raffi Bolli, Sämi Iseli (www.vertec.ch),
Steve Fröhlich, Tagblatt der Stadt Zürich, Thomi Seitz
Gönner
MITARBEITER, FREUNDE & GÖNNER
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IMPRESSUM
HerausgeberGenossenschaft Veloblitz, Hardstrasse 81, 8026 Zürich
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RedaktionMarcel Bircher
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