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Jugend, Werte, Jugendkulturen
Bernhard Heinzlmaier
Institut für Jugendkulturforschung, Alserbachstraße 18/7. OG, 1090 Wien
Die Jugend:Versuch einer sozio-kulturellen Definition
• Es gibt einen TV-Kanal
• Sendebeginn unter der Woche:
19 Uhr 30; Sendeschluss: 22 Uhr
• Hauptabendprogramm ist ein
„deutsches Fernsehspiel“
• Fernsehspiel = Hörspiel im Form
eines Theaters, das für die
Wiedergabe im TV bestimmt ist.
• Das Paradies von Pont L´Eveque
(Johannes Hendrich)
• "Zugluft pfeift durch jede Ritze
diesen hier reisst es vom Sitze.
Jener aber macht ihm klar,
dass das gar nicht nötig war.
TESA-Moll ins Fenster kleben
und behaglich weiterleben."
(Kurzfilmmosaik)
Medialer Wandel: Fernsehprogramm 10. April 1962
"Das Individuum wird zentraler
Bezugspunkt für sich selbst und
die Gesellschaft.“
•Das Individuum im Spannungsfeld zwischen
Individuation und Sozialisation
• Individualität als Pflicht: Erfinde dich täglich
ohne Vorlage oder Vorbild
•Das Individuum steht im Mittelpunkt, nicht
traditionelle Gruppen oder Kollektive
•Posttraditonelle Gemeinschaften entstehen
(Szenen, informelle Gruppen)
•Lebensstile und Moden gewinnen an Bedeutung
Individualisierung
Ulrich Beck (* 15. Mai 1944) in Stolp in Hinterpommern ist ein deutscher Soziologe
Werte: attraktiv-motivierend; Sollens-
Erwartungen an
Gemeinschaftsmitglieder; abstrakte,
weitgefasste Ideen.
Normen: restriktiv-obligatorisch; Recht
= Kodifizierte Sitten; höchste
Verbindlichkeit. Abgeleitet aus Werten.
Soziologische, ethische, ökonomische
Werte. Pluralität der Wertesphären
Gibt es die Umwertung aller Werte?
Hans Joas (* 27. November 1948 in München) ist ein deutscher Soziologe und Sozialphilosoph.
„There ist no such thing as
society. (…) People must look
to themselves first. It´s our
duty to look after ourselves
and then, also look after our
neighbours.“
Negativer versus positiver
Individualismus – Freiheit von
oder Freiheit zu etwas.
Negation der Gesellschaft
„Wer Werte setzt, hat sich damit gegen
Unwerte abgesetzt. Die grenzenlose
Toleranz und Neutralität der beliebigen
auswechselbaren Standpunkte und
Gesichtspunkte schlägt sofort in das
Gegenteil, in Feindschaft um, sobald es
mit der Durchsetzung und
Geltendmachung konkret wird. Der
Geltungsdrang des Wertes ist
unwiderstehlich und der Streit der Werter,
Abwerter, Aufwerter und Verwerter
unvermeidlich. (Karl Schmitt: Die Tyrannei
der Werte)
Werte als Herrschaftsmittel
Carl Schmitt (* 11. Juli 1888 in Plettenberg; † 7. April 1985 ebenda) war ein deutscher Staatsrechtler, der auch als politischer Philosoph rezipiert wird. Er ist einer der bekanntesten, wenn auch umstrittensten deutschen Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts. Als „Kronjurist des Dritten Reiches“ (Waldemar Gurian) galt Schmitt nach 1945 als kompromittiert.
Wir reden heute darüber, dass das Lebensziel
darin besteht, Glück zu finden. In Wirklichkeit geht
es aber darum, den Sinn des Lebens zu finden.
(Frei nach Slavoj Zizek)
Moral kann nicht aus dem Wirtschaftssystem
kommen. Es ist nicht in der Lage Bindungen und
Gemeinschaft (Sinn!!!) herzustellen. Denn mehr als
es die Menschen zusammenführt, treibt es sie
durch Konkurrenz auseinander.
Das Gewinn- und Verlustprinzip braucht keinen
Sinn, der über diesen spannungsreichen
Gegensatz hinaus geht.
Sinnquellen: Kultur, Kunst, Musik, Literatur, Musik,
Jugendkulturen, Szenen, Events, Soziale
Netzwerke
Sinnfragen in Zeiten des Fundamentalökonomismus
André Comte-Sponville (* 12. März 1952 in Paris) ist ein französischer Philosoph. Er war bis 1998 Professor an der Sorbonne und arbeitet heute als freier Schriftsteller.
Atomistische Sozialontologie der Gegenwart; dem „ungebundenen Selbst“ fehlt der Sinn gegenseitiger Verpflichtung.
Die Gesellschaft des „ungebundenen Selbst“ ist „eine Ansammlung von Individuen“, die durch ihr „gemeinsames Handeln“ Vorteile erhalten wollen, „die sie nicht individuell sichern konnten. Das Handeln ist kollektiv, doch sein Sinn bleibt individuell. Das gemeinsame Gut wird ausschließlich durch individuelle Güter gebildet.“
Udo Tietz: Die Grenzen des Wir. Eine Theorie der Gemeinschaft. Frankfurt 2002Michael J. Sandel (* 5. März 1953 in Minneapolis ) ist ein US-amerikanischer Philosoph. Bekannt
wurde er vor allem als Mitbegründer der kommunitaristischen Strömung
Das „ungebundene Selbst“ und seine Folgen
„Woran es liegt,
dass der Einzelne
sich nicht wohl fühlt,
obwohl es uns allen
so gut geht.“
Der ganz normale Wahnsinn
Der ganz normale Wahnsinn ist eine aus 12 Folgen bestehende deutsche Fernsehserie, die erstmals zwischen 1979 und 1980 gesendet wurde. Regisseur und Drehbuchautor der meisten Folgen war Helmut Dietl.
„Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller Einschließungsmilieus.“ (Gilles Deleuze)
• Foucault ordnet die Disziplinargesellschaft dem 18. und 19. Jahrhundert zu. Einschließungsmilieus: Integration des Individuums in Familie, Schule, Kaserne, Fabrik, Klinik, Gefängnis – konzentrieren, im Raum verteilen, in der Zeit anordnen
• Kontrollgesellschaft: Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen. (Unternehmen statt Fabrik, Tagesklinik statt Krankenhaus). Das Unternehmen ist kein Körper, sondern eine Seele, ein Gas.
• Aktivierung von Selbststeuerungspotentialen statt Überwachen und Strafen – neoliberale Bildungsinstitutionen – Herrschaft durch Motivation
Manipulation statt Disziplinierung
Gilles Deleuze (* 18. Januar 1925 in Paris; † 4. November 1995 ebenda) war ein französischer Philosoph. Deleuze
verfasste zahlreiche Schriften über Philosophie, Literatur, Film und Kunst.
Panoptische Kontrolle: Gefängnisbau nach einem Modell von Jeremy Bentham; die totale Institution; Herrschaft durch Fremdzwänge, Überwachen und Strafen
Disziplinargesellschaft: Herrschaft durch Fremdzwang
Jeremy Bentham (* 15. Februar 1748 in Spitalfields, London; † 6. Juni 1832 in London) war ein englischer
Jurist, Philosoph und Sozialreformer. Bentham gilt als Begründer des klassischen Utilitarismus.
Aktivierung von Selbststeuerungspotentialen; Individuum sein wird zur Pflicht; Therapeuten, Coaches; Selbstmonitoring; Selbstmodelierung, Selbsterfindung.
Kontrollgesellschaft: Selbststeuerung durch „Vernunft“
Jeremy Bentham (* 15. Februar 1748 in Spitalfields, London; † 6. Juni 1832 in London) war ein englischer
Jurist, Philosoph und Sozialreformer. Bentham gilt als Begründer des klassischen Utilitarismus.
• Die Menschen stehen unter permanentem
Druck, aus eigener Verantwortung heraus
selbst Initiativen setzen und gestalten zu
müssen.
• „Die Depression zeigt uns die aktuelle
Erfahrung der Person, denn sie ist die
Krankheit einer Gesellschaft, deren
Verhaltensnormen nicht mehr auf Schuld
und Disziplin gründet, sondern auf
Verantwortung und Initiative. Gestern
verlangten die sozialen Regeln Konformismus
im Denken, wenn nicht Automatismus im
Verhalten; heute fordern sie Initiative und
mentale Fähigkeiten.“ (Alain Ehrenberg, Das
erschöpfte Selbst)
Der Zwang zur Selbstverwirklichung
Alain Ehrenberg, born in Paris in 1950, is a French sociologist.
Lebensstil der Angestellten in den 1920er Jahren
„Ein eleganter Herr, zweifellos ein
höherer Konfektionär, betritt abends in
Begleitung seiner Freundin den Vorraum
eines weltstädtischen
Vergnügungsetablissements. Der
Freundin ist auf den ersten Blick
anzusehen, dass sie im Nebenberuf acht
Stunden hinter dem Ladentisch steht.
Die Garderobenfrau wendet sich an die
Freundin: „Wollen gnädige Frau nicht
den Mantel ablegen?“
Siegfried Kracauer (* 8. Februar 1889 in Frankfurt am Main; † 26. November 1966 in New York) war ein deutscher Journalist, Soziologe, Filmtheoretiker und Geschichtsphilosoph . Kracauer ist Autor der ersten empirisch-soziologischen Studiein Deutschland (Die Angestellten).
• Verwandlung moderner Sozialordnungen in Marktgesellschaften
• Kommerzialisierung der Jugendkultur (Kleidung, Accessoires, Events etc.)
• Performative Ökonomie• Gesellschaftliche Statusmerkmale
verschieben sich von der Leistungserbringung zum Leistungsverkauf (Leistung – Sachverwirklichung; Erfolg –soziale Durchsetzung, Zuschreibungskategorie)
• Prämiert wird der performative Markterfolg, nicht die arbeitsbezogene Leistung
Sighard Neckel (* 25. Oktober 1956 in Gifhorn) ist deutscher Soziologe und war bis 2011
Universitätsprofessor für Soziologie an der Universität Wien
Performative Ökonomie der Jugendkultur
Diskursive Symbolik bezieht sich
auf die Logik sprachlich vermittelter
Denkprozesse
Präsentative Symbolik – Ausdruck
durch mimisch-körperliche Gesten
und Bilder; sprachlose Zeichen
z.B. Präsentative Symbolik der
Musik: sie wirkt sinnlich unmittelbar
und intuitiv verstanden (vgl. Dieter
Baacke 1997)
In der Jugendkommunikation
drängen präsentative Symboliken in
den Vordergrund
Von der diskursiven zur präsentativen Symbolik?
Susanne K. Langer (* 20. Dezember 1895 in New York; † 17. Juli 1985 in Old Lyme) war eine amerikanische Philosophin.
Romantik Style: Korsett, Reifrock, historische Moden (Mittelalter, Barock, RokokoIndustrial Style: Gasmasken, Schweißerbrillen, Mundschutz, Schutz- und TarnanzügeCyber-Gothic-Stil: Glitter, Glamour, Neonfarben, Kunstpelze, Federboas, FuturismusSM-Stil: Latex, Leder, Körper, Erotik, Ketten, Halsbänder, HandschellenGothic-Lolia-Stil: Visual Kei-Stil, Kindchenschema, Petticoats, Tüll, Spitze, Ballerinas, Kellnerinnen, Schuluniformen, Dirndl
Ronald Hitzler, Thomas Bucher, Arne Niederbacher: Leben in Szenen. Formen jugendlicher
Vergemeinschaftung heute. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2010. 3., aktualisierte Auflage.
Mikrokosmos Gothic-Kultur
Ronald Hitzler, Thomas Bucher, Arne Niederbacher: Leben in Szenen. Formen jugendlicher
Vergemeinschaftung heute. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2010. 3., aktualisierte Auflage.
Ästhetisierung der Jugendkultur
• Teenager versuchen sich von den Echtzeitanforderungen
des Telefons abzuwenden. Nein zur Informationspflicht
gegenüber der sozialen Umwelt(Reizüberflutung)
• Teenager fordern ihre Eltern auf, beim Mittagessen ihre
Handys wegzulegen. Es ist schwer für die Kinder, die
Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu bekommen.
• Wir können das Alleinsein nicht ertragen, aber ohne
Alleinsein kein Denken und keine Reflexion.
• Multitasking lässt die Leistung sinken. Studenten, die mit
offenen Laptops in der Vorlesung sitzen, erbringen
schlechtere Leistungen.
• Forderung: Digitale Diät, heilige Zeiten und heilige Orte, in
und an denen das Digitale Tabu ist.
Verloren unter 100 Freunden
Sherry Turkle (* 18. Juni 1948 in New York ) ist eine US-amerikanische Soziologin und Professorin für Science, Technology and Society am Massachusetts Institute of Technology .
„Die große Gefahr der Welt von heute ist eine
individualistische Traurigkeit, die aus dem
bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht.“
(Papst Franziskus: Evangelii Gaudium)
„Viele der Schüler im Teenageralter, mit denen ich zu
tun hatte, befanden sich in einem Zustand, den ich als
„depressive Hedonie“ beschreiben würde. Eine
Depression zeichnet sich normaler Weise durch
Anhedonie (…) aus. Aber der von mir beschriebene
Zustand ist weniger durch eine Genussunfähigkeit
gekennzeichnet als durch die Unfähigkeit, irgend etwas
anderes außer dem eigenen Genießen zu verfolgen.“
(Mark Fischer: Kapitalistischer Realismus ohne
Alternative?)
Lebensgefühl: Depressive Hedonie
Mark Fisher ist Dozent für Musikkultur, Medien und Kommunikation an der University of East London.
Jugendliche leben häufig in einem Sinnvakuum. Sinn
entsteht aus Gemeinschaftsaktivitäten, aus dem
Aufgehobensein in einer Gruppe, Szene, Gemeinschaft
mit gleichgerichteten Zielen und Idealen („Sinn des
Lebens – einfach weiterleben“)
Quelle des Glücks: Befriedigung von subjektiven
Wünschen und Bedürfnissen; Glück wird im Augenblick
empfunden; Sinn entsteht durch die Verbindung von
Vergangenheit und Zukunft, durch die Erfahrung von
Kontinuität und Identität
Sinn finden wir häufig in der Aufgabe anderen zu helfen,
wogegen Glücksempfindungen eher davon abhängen,
was andere für uns tun.
Vielleicht geht es darum, verstärkt Insel jenseits des
Konsums, des Kommerziellen, des Marktes zu schaffen.
Fehlender Lebenssinn und multiple Glücksgefühle
Kurzes Glück, langfristiger Sinn: Psychologie Heute Februar 2014.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit