jelinek

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Das Land braucht oben viel Platz, damit seine seligen Geister über den Wassern ordentlich schweben können. An manchen Stellen gehts über dreitausend Meter weit hinauf. Soviel Natur ist auf dieses Land verwendet worden, daß es seinerseits, vielleicht um seine Schuld an die Natur zurückzuzahlen, mit seinen Menschen immer recht freigiebig umgegangen ist und sie, kaum angebissen, auch schon wieder weggeworfen hat.” (Die Kinder der Toten, 1995) – 50 Jahre nach Kriegsende erzählt Jelinek in ihrem Anti-Heimatroman von der verdrängten Nazi-Vergangenheit und wie die neue Republik auf dem unsicheren Fundament von Millionen verleugneter Ermordeter errichtet worden ist. Gräßlicher sei Österreich (so die Literaturkritikerin Sigrid Löffler) als Toten- und Töterreich nie dargestellt worden. (Dagmar von Hoff) Leider ist die ästhetische Kraft ihres Werkes oft unterschätzt und die Autorin pathologisiert worden, wofür Jelineks Interview- Strategie, nämlich dem Fragenden seinen Horizont zurückzuspiegeln, selbst sorgt. (Dagmar von Hoff) Ich will Frau Jelinek nicht hindern, eine gewisse Zeit in sich zu gehen. Wenn sie wieder rauskommt, gefällt’s ihr bestimmt überall besser. (Thomas Gottschalk, zitiert nach Emma, Sept./Okt 1997, S. 55) Ihre Literatur sei Lesefolter, sei Pornographie, findet die Kritik, und ihr Leserpublikum neigt dazu, von der Bösartigkeit des Geschriebenen auf die Bösartigkeit der Schreiberin kurzzuschließen: Man verfällt oft dem Irrtum, die Autorin für unmenschlich, lieblos und zynisch zu halten, weil sie die Unmenschlichkeit und Lieblosigkeit so zynisch beschreiben kann. (Sigrid Löffler in Emma 10/1985) Das Besondere an Jelineks Werk ist die politische Brisanz ihrer Themen und die ästhetische Sprengkraft ihrer Texte. … Als eine der bekanntesten und umstrittensten Autorinnen im deutschsprachigen Raum schreibt sie Prosa und Dramen, die keine zentrale Interpretation, die das Herz ihrer Texte träfe, zulassen. Vielmehr entwickelt sie eine Struktur, die dezentriert. Für diese Struktur weidet sie verschiedene Textkörper aus, zerlegt sie und fusioniert Partikel neu. Die Worte der anderen,

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Page 1: Jelinek

Das Land braucht oben viel Platz, damit seine seligen Geister über den Wassern ordentlich schweben können. An manchen Stellen gehts über dreitausend Meter weit hinauf. Soviel Natur ist auf dieses Land verwendet worden, daß es seinerseits, vielleicht um seine Schuld an die Natur zurückzuzahlen, mit seinen Menschen immer recht freigiebig umgegangen ist und sie, kaum angebissen, auch schon wieder weggeworfen hat.” (Die Kinder der Toten, 1995) – 50 Jahre nach Kriegsende erzählt Jelinek in ihrem Anti-Heimatroman von der verdrängten Nazi-Vergangenheit und wie die neue Republik auf dem unsicheren Fundament von Millionen verleugneter Ermordeter errichtet worden ist. Gräßlicher sei Österreich (so die Literaturkritikerin Sigrid Löffler) als Toten- und Töterreich nie dargestellt worden. (Dagmar von Hoff)

Leider ist die ästhetische Kraft ihres Werkes oft unterschätzt und die Autorin pathologisiert worden, wofür Jelineks Interview-Strategie, nämlich dem Fragenden seinen Horizont zurückzuspiegeln, selbst sorgt. (Dagmar von Hoff)

Ich will Frau Jelinek nicht hindern, eine gewisse Zeit in sich zu gehen. Wenn sie wieder rauskommt, gefällt’s ihr bestimmt überall besser. (Thomas Gottschalk, zitiert nach Emma, Sept./Okt 1997, S. 55)

Ihre Literatur sei Lesefolter, sei Pornographie, findet die Kritik, und ihr Leserpublikum neigt dazu, von der Bösartigkeit des Geschriebenen auf die Bösartigkeit der Schreiberin kurzzuschließen: Man verfällt oft dem Irrtum, die Autorin für unmenschlich, lieblos und zynisch zu halten, weil sie die Unmenschlichkeit und Lieblosigkeit so zynisch beschreiben kann. (Sigrid Löffler in Emma 10/1985)

Das Besondere an Jelineks Werk ist die politische Brisanz ihrer Themen und die ästhetische Sprengkraft ihrer Texte. … Als eine der bekanntesten und umstrittensten Autorinnen im deutschsprachigen Raum schreibt sie Prosa und Dramen, die keine zentrale Interpretation, die das Herz ihrer Texte träfe, zulassen. Vielmehr entwickelt sie eine Struktur, die dezentriert. Für diese Struktur weidet sie verschiedene Textkörper aus, zerlegt sie und fusioniert Partikel neu. Die Worte der anderen, Trivialpartikel, Literatur und Theoriediskurse, zerlegt sie und montiert sie zu einem Textgewebe, das zersetzt, aber auch konstruiert. (D. von Hoff)

Zitate von Jelinek

Elfriede Jelinek im Gespräch mit Marlene Streeruwitz, aufgezeichnet in der Emma, Sept./Okt 1997:

Ich war bei den Männern nie so beliebt wie die Bachmann.

Natürlich ist es auch so, daß ich mit meiner Art, mich zu schminken und zu kleiden, versuche auszugleichen, daß ich die Frauenrolle nicht rechtzeitig und nicht wirklich gut gelernt habe.

Nachdem man die Frau jahrhundertelang auf ihre biologische Funktion festgelegt hat, kann man sie jetzt ganz abschaffen.

Wir finden Worte für das, was los ist, aber es bleibt folgenlos.

Page 2: Jelinek

Man gesteht uns nicht zu, Ich zu sagen. Und im Grunde können wir es auch nicht. … Deswegen schreibe ich so exemplarisch, ich beschreibe keine Einzelschicksale. Ich beschreibe ein weibliches Es und habe tatsächlich das Gefühl, daß ich für alle Frauen mitschreibe.

Als Frau machst du dann auch noch die Erfahrung, daß Intellekt den erotischen Wert einer Frau schmälert. Das schmerzt.

Es ist ausschließlich die Frauenforschung, die sich mit meiner Arbeit beschäftigt. … Die einzigen, die mich und meine Arbeit ernstnehmen, sind weibliche Dissertanten.

Ständig wird gesagt, der Feminismus sei überflüssig, weil die Frauen ja schon alles erreicht hätten, dabei braucht man sich nur anzuschauen, wieviel Prozent des Vermögens der Welt in weiblicher Hand ist. Nämlich genau 1 Prozent. Das ist ein Witz. Und dann muß man sich auch noch dafür rechtfertigen daß man eine Emanze ist. Als ob man überhaupt etwas anderes sein könnte!