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25 Fitness & Gesundheit 1-2014 Ist eine Kalorie immer eine Kalorie? Fitness & Ernährung N ach dem Artikel „Ener- giebilanz als Schlüssel zur Gewichtsreduktion“ in der F&G 6/2013 erreichten uns zahlreiche Hinweise, dass in vielen Online-Ratgebern Aussagen auftauchten, dass u. U. eine Kalorie in Lebensmitteln nicht immer exakt eine Kalorie sei. Daher sei auch die Berechnung der Ener- giebilanz aus „Input“ (Berechnung der aufgenommenen Kalorien in der Nahrung) und „Output“ (Berech- nung des Energieumsatzes, i. W. Probleme der Berechnung der Energiebilanz auf Kalorienbasis – Teil 1 „Abnehmen“ ist wahrscheinlich das am häufigsten genannte Trainingsziel von Fitness-Kunden und der Schlüssel zur Gewichtskontrolle ist nach wie vor die Energiebilanz. Aber: Wie genau lässt sich die Energiebilanz bestimmen? Welcher Anteil der Nährstoffe wird tatsächlich verwertet? Was bleibt als Empfehlung für die Beratung im Fitness-Studio? Prof. Dr. Theo Stemper untersucht für F&G in einem zweiteiligen Artikel den Stand der Wissenschaft. Grundumsatz plus körperliche Akti- vität) zum Teil fehlerbehaftet und so auch kaum möglich. Was ist davon zu halten? Ist eine Kalorie tatsächlich nicht immer eine Kalorie? Gilt dann auch nicht, was wir üblicherweise in Kalorientabellen finden, wie etwa: 100 Gramm Voll- kornbrot haben 205 Kalorien (kcal), 100 Gramm gegrilltes Rindersteak bringen es auf 170 Kalorien, ein Big Mac hat angeblich schon 495 Kalo- rien. Die Antwort darauf ist durchaus möglich, wenn neuere Erkenntnisse zu Energiebilanz bzw. Kalorienbi- lanz differenziert beachtet werden. „Input“ – Energiegehalt von Nahrungsmitteln Richtig und unumstritten ist zunächst, dass grundsätzlich alle Energie für unsere Körperfunktio- nen aus den Nahrungsmitteln stammt, und zwar aus den darin enthaltenen, energieliefernden Nährstoffen Fett, Eiweiß, Kohlenhy- © Artem Furman - Fotolia.com © forkART Photography - Fotolia.com

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Page 1: Ist eine Kalorie immer eine Kalorie? · ach dem Artikel „Ener-giebilanz als Schlüssel zur Gewichtsreduktion“ in der F&G 6/2013 erreichten uns zahlreiche Hinweise, dass in vielen

25 Fitness & Gesundheit 1-2014

Ist eineKalorie immereine Kalorie?

Fitness & Ernährung

Nach dem Artikel „Ener-giebilanz als Schlüsselzur Gewichtsreduktion“in der F&G 6/2013

erreichten uns zahlreiche Hinweise,dass in vielen Online-RatgebernAussagen auftauchten, dass u. U.eine Kalorie in Lebensmitteln nichtimmer exakt eine Kalorie sei. Dahersei auch die Berechnung der Ener-giebilanz aus „Input“ (Berechnungder aufgenommenen Kalorien in derNahrung) und „Output“ (Berech-nung des Energieumsatzes, i. W.

Probleme der Berechnungder Energiebilanz aufKalorienbasis – Teil 1

„Abnehmen“ ist wahrscheinlich das am häufigstengenannte Trainingsziel von Fitness-Kunden und derSchlüssel zur Gewichtskontrolle ist nach wie vor dieEnergiebilanz. Aber: Wie genau lässt sich dieEnergiebilanz bestimmen? Welcher Anteil derNährstoffe wird tatsächlich verwertet? Was bleibt alsEmpfehlung für die Beratung im Fitness-Studio? Prof. Dr. Theo Stemper untersucht für F&G in einemzweiteiligen Artikel den Stand der Wissenschaft.

Grundumsatz plus körperliche Akti-vität) zum Teil fehlerbehaftet und soauch kaum möglich.

Was ist davon zu halten? Ist eineKalorie tatsächlich nicht immer eineKalorie?

Gilt dann auch nicht, was wirüblicherweise in Kalorientabellenfinden, wie etwa: 100 Gramm Voll-kornbrot haben 205 Kalorien (kcal),100 Gramm gegrilltes Rindersteakbringen es auf 170 Kalorien, ein BigMac hat angeblich schon 495 Kalo-rien.

Die Antwort darauf ist durchausmöglich, wenn neuere Erkenntnissezu Energiebilanz bzw. Kalorienbi-lanz differenziert beachtet werden.

„Input“ – Energiegehaltvon Nahrungsmitteln

Richtig und unumstritten istzunächst, dass grundsätzlich alleEnergie für unsere Körperfunktio-nen aus den Nahrungsmittelnstammt, und zwar aus den darinenthaltenen, energielieferndenNährstoffen Fett, Eiweiß, Kohlenhy-

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drate (auch in Kombination mit sog.Ballaststoffen) und zum Teil auchAlkohol.

Der Energiegehalt der Nährstoffe,der für die Körperzellen nutzbar ist,wird in der Regel folgendermaßenangegeben: Fett 9 Kcal/Gramm,Kohlenhydrate 4 Kcal/Gramm,Eiweiß (Protein) 4 Kcal/Gramm,Alkohol 7 Kcal/Gramm, Ballast-stoffe i.d.R. 2 kcal/Gramm. DieseAngaben sind im Wesentlichenauch zutreffend – allerdings mitEinschränkung dahingehend, dassdie angegebene Energie des jeweili-gen Nährstoffs sich zunächst nurauf das Lebensmittel selbst bezieht,nicht aber darauf, dass diese voll-ständig auch im Körper genutztbzw. „verbrannt“ wird. Denn das istim lebenden Organismus nichtimmer gegeben.

Wie schon in F&G 6/2013 er -wähnt, gilt hier: „Bei der Kalorien-berechnung aus Nahrungsmitteln istam Rande mit zu bedenken, dass z.B. aufgrund des Ballaststoffgehaltsoder der Zubereitung nicht immeralle Nährstoffe daraus vollständigerschlossen werden können.“ DurchVerdauungsprozesse können daheru. U. mehrere Prozent der im Nah-rungsmittel enthaltenen Nährstoffenicht vollständig verdaut und somitauch nicht sämtliche der darineigentlich vorhandenen Kalorienaufgenommen werden.

Wenn dem so ist – sind dann dieKalorienangaben auf den Lebens-mittelverpackungen oder in denunzählig verfügbaren Kalorienta-bellen überhaupt korrekt? Stimmenderen Angaben mit der tatsächlichvom Körper verwertbaren Energie-menge (Kalorienmenge) überein?

„Input“ – Kalorien -berechnung nach Atwater

Unsere Kenntnisse über den obengenannten Kaloriengehalt von Nah-rungsmitteln bzw. den darin enthal-tenen Nährstoffen sind nicht neu.

Im Gegenteil: Bereits vor über100 Jahren begründete der Ameri-kaner Wilbur Olin Atwater in sei-nem Labor der USDA Agricultural

Experiment Station in Storrs, Con-necticut, das entsprechende Berech-nungsverfahren.

Atwater ermittelte seine Ergeb-nisse, indem er einzelne Nährstoffeaus Lebensmitteln in einem soge-nannten „Bombenkalorimeter“, ei -nem von Wasser eingeschlossenenBehälter, verfeuerte bzw. vollständigverbrannte. Je nachdem, wie starksich das umliegende Wasser er -wärmte, leitete er daraus ab, wie vielEnergie ein Lebensmittel enthält –und damit auch, welche Kalorien-menge es damit dem Körper zurVerfügung stellen sollte, angegebenin Kilokalorien oder Kilojoule.

Was ist eine Kalorie?Eine Kilokalorie ist die Menge an

Energie, die aufgewendet werdenmuss, um einen Liter Wasser um einGrad Celsius zu erwärmen – undzwar laut einer bekannten, wissen-schaftlich jedoch umstrittenen Defi-nition von exakt 14,5 auf 15,5Grad. Häufig werden die BegriffeKalorie (auch Grammkalorie bzw.cal) und Kilokalorie (kcal) synonymverwendet, gemeint und wissen-schaftlich korrekt ist aber i.d.R.Kilokalorie.

Bereits seit 1948 sollte eigentlichals Maß für Energie bzw. Wärme-menge der Begriff Kilojoule stattKilokalorie benutzt werden, dochbis in die heutige Zeit hat sich derBegriff Kilokalorie gehalten, was imÜbrigen nunmehr auch seit 2010 ineuropäischen Lebensmittelnormendauerhaft toleriert wird.

Auch mehr als 100 Jahre danachwerden die sog. „Atwater-Faktoren“noch immer allgemein akzeptiertund benutzt, zumeist mit leichtenModifikationen, z.B. aufgrund neuer

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Erkenntnisse zur etwas unterschied-lichen Gestalt einzelner Protein -typen oder bzgl. ballaststoffreicherKohlenhydrate. Unter Berücksichti-gung dieser Modifikationen sindnach wie vor auch die Angaben zuden Brennwerten (Kalorien) in denLebensmitteln selbst im Grundekorrekt. Nur dass diese Angabenleider mit einem für das ThemaEnergiebilanz nicht unerheblichenManko behaftet sind.

„Kalorienverlust“ durchVerdauung

Was seit der Pionierarbeit vonAtwater und seiner Kollegen nichtoder nur sehr spärlich untersuchtwurde, ist die Frage, welcher Ener-giegehalt eines Nährstoffs in einemNahrungsmittel im Verlauf der Ver-dauung durch das menschliche Ver-dauungssystem tatsächlich genutztwerden kann. Das Atwater-System(und alle seine Modifikationen)weist hier vor allem zwei großeSchwächen auf (vgl. u. a. Triverdi,in New Scientist 2009) auf: 1. Zum einen wird die für die Ver-dauung notwendige und bei deneinzelnen Nährstoffen auch unter-schiedliche Energie nicht genügendberücksichtigt.2. Zum anderen wird vernachläs-sigt, dass der verdaute bzw. nichtverdaute Anteil der Nahrung starkabhängig ist von der Art undZusammensetzung der Mahlzeit.

1. Energiegewinnungverbraucht Energie

Zu 1.: Verdauung ist ein aktiverVorgang und nicht lediglich dieVerbrennung von Nährstoffen imKalorimeter. Für diesen komplexenAblauf wird Energie benötigt unddamit ‚verbraucht’, wobei der Ver-brauch stark abhängig ist von derArt der Nahrung.

So „kostet“ die Verdauung vonProtein mehr Energie, als die vonKohlenhydraten. Die wenigste Ener-gie erfordert der Fettabbau. Jehöher beispielsweise der Anteil anProteinen in einer Nahrung ist,desto größer scheint damit auch der Energieaufwand während der

Verdauung zu sein. Entsprechendden heutigen wissenschaftlichenErkenntnissen sind dichte, festeKost, große Nahrungsteile, einegroße Mahlzeit und kaltes Essenenergieverbrauchender als weicheNahrung, kleine Nahrungsstück-chen, mehrere kleine Mahlzeitenund warmes Essen.

Die Energie-„Kosten“ für die Ver-dauung sind aber nirgends auf denLebensmittel-Etiketten aufgeführt.Auf 5 bis 25 % beziffert zum Bei-spiel das Forscherteam um GeoffreyLivesey den Unterschied, der sichzwischen Kalorienmenge undeffektiver Kaloriennutzung nachder Verdauung ergeben kann (vgl.Trivedi, New Scientist, 2009).

Beispiel Ballaststoffe: Nach Live-seys Berechnungen liefert 1 GrammBallaststoff dem Körper nicht 2Kilokalorien, wie normalerweise an -gegeben, sondern lediglich 1,5 Kilo-kalorien, weil die Darmmikrobeneinen Teil der Fasern benötigen,bevor der Rest frei wird.

Ähnlich bei den Eiweißen: Von 4auf 3,2 kcal, also um 20 Prozent,sollte laut Livesey ihr Energiegehaltreduziert (!) werden, denn dieserAnteil geht verloren, wenn die Ei -weiße in Aminosäuren aufgespaltetwerden (Livesey, 2001).

Fazit 1: Die Kalorienangaben aufden Lebensmitteln und in den Kalo-rientabellen beruhen i.d.R. auf altenMessungen und sind allenfalls grobeSchätzungen, sofern sie auf die tat-sächliche Verwertbarkeit im mensch-lichen Organismus bezogen werden.

Statt dieser Werte (ME = metabo-lisierbare Energie bzw. „Brutto-wert“) sollten zukünftig die tatsäch-lich verwertbaren Kalorien (genanntNME bzw. „Nettowert“) angegebenwerden. Wird mit „alten“ ME-Wer-ten gerechnet, so kann schon einkleiner, schnell möglicher Fehlervon nur 20 kcal pro Tag nacheinem Jahr eine Differenz von 1 kgKörpergewicht ausmachen.

Teil 2 in der kommenden F&G

In der F&G 2/2014 veröffent-lichen wir den 2. Teil des Artikels

„Ist eine Kalorie immer eine Kalo-rie?“. Dort werden wir Ihnen schil-dern, ob und inwieweit, die Art unddie Zusammensetzung oder auchdie Zubereitung einer Mahlzeit dieNährstoffaufnahme des Körpers unddamit auch die Energiebilanz beein-flusst. Darüber hinaus zieht derAutor ein Fazit und entwickelt dar-aus Empfehlungen für die Beratungvon Fitness-Kunden. <<

Prof. Dr. Theo Stemper

LiteraturAtwater, W.O & Bryant A.P. (1900). The availabilityand fuel value of food materials. AgricultureExperiment Station 12th Annual Report, 1900, 73-110.Washington, DC: US Government Printing Office.Carmody, R.N., Weintraub, G.S. & Wrangham, R.W.(2011). Energetic consequences of thermal andnonthermal food processing. Proc Natl Acad Sci USA,108: 19199–19203.Flores-Mateo, G., Rojas-Rueda, D., Basora, J., Ros, E.& Salas-Salvadó, J. (2013). Nut intake and adiposity:meta-analysis of clinical trials. Am J Clin Nutr, June2013, 97: 1346-1355. First published online April 17,2013. doi:10.3945/ajcn.111.031484.Livesey, G. (2001). A perspective on food energystandards for nutrition labelling. Review article. BritishJournal of Nutrition, 85, 3: 271-287. DOI:http://dx.doi.org/10.1079/BJN2000253, Publishedonline: 9 March 2007Lucas, P. W. (2011). Cooking clue to human dietarydiversity. Proc Natl Acad Sci USA, 108: 19101–19102.Novotny, J.A., Gebauer, S.K. & Baer, D.J. (2012).Discrepancy between the Atwater factor predicted andempirically measured energy values of almonds inhuman diets. Am J Clin Nutr, August 2012, 96, 2:296-301. First published July 3, 2012, doi: 10.3945/ajcn.112.035782.Oka, K., Sakuarae, A., Fujise, T., Yoshimatsu, H.,Sakata T, et al. (2003). Food texture differences affectenergy metabolism in rats. J Dent Res, 82: 491–494.doi: 10.1177/154405910308200617.Trivedi, Bijal (2009). The Calorie Delusion: Why foodlabels are wrong (darin u. a. Interview GeoffreyLivesey), New Scientist. (15 July 2009)Wrangham, R.W., Jones, J.H., Laden, G., Pilbeam, D. &Conklin-Brittain, N.L. (1999). The raw and the stolen:Cooking and the ecology of human origins. CurrAnthropol, 40:567–594.

Fitness & Ernährung

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Prof. Dr. Theodor StemperSportwissenschaftleran der BergischenUniversität Wuppertal,1. StellvertretenderVorsitzender desBundesverbandesGesundheitsstudiosDeutschland e.V.(BVGSD) undAusbildungsdirektordes DFAV e.V.