integrierter umweltschutz und biotechnologie: Ökobilanz und wirtschaftlichkeitsrechnung im...

10
Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Úkobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess* UDOMÛLLER,SUSANNAHÛBNER,HENNINGSERGERUNDRALFTOSTMANN ** Integrierter Umweltschutz in der industriellen Fertigung verfolgt zwei Ziele: Zum einen sollen Kosten reduziert werden, zum anderen wird eine Entlastung der Umwelt an- gestrebt. Im Innovationsprozess sind Umweltschutzmaßnahmen daher gleich zu Beginn zu integrieren, da vor allem in der Entwicklungsphase etwa 80 % der Kosten anfallen. Bedeutende Potenziale hierfu ¨r liegen in der chemischen Industrie, insbesondere bei den Feinchemika- lien. Die Substitution traditioneller chemischer Verfahren durch bio- technologische scheint besonders vielversprechend, so bietet sich der Einsatz von Enzymen (Extremozy- men) bzw. fermentativen Verfahren an. Dreh- und Angelpunkt bei der Beurteilung der Vorteilhaftigkeit einzelner Verfahren sind geeignete Informationsinstrumente wie die Úkobilanz in Verbindung mit der Wirtschaftlichkeitsrechnung. Aufgrund der unterschiedlichen Er- kla ¨ rungsansa ¨ tze dieser Instrumente sind allerdings weitere Ûberlegun- gen zur Amalgamation erforderlich. Integrated Approaches to Environmental Protection and Biotechnology: Eco-balance and Economic Efficiency Analysis in the Innovation Process The main objectives of integrated ap- proaches to environmental protection in industrial processes are cost reduc- tion and a reduction of environmental impact. Environmental protection measures should be integrated into the innovation processes since it is during the development stage that some 80 % of the overall costs arise. Substantial potential for such innova- tion exists in the chemical industry, especially in the field of fine chemicals. The substitution of traditional chemical industrial procedures by biotechnologi- cal methods appears particularly promising. For example, the use of enzymes (extremozymes) or fermenta- tive methods has much to offer. Estimation of the benefits of such procedures critically depends on information instruments such as eco-balances in combination with ana- lysis of economic efficiency. Since such instruments are not consistent in their approach and application, further considerations concerning the amalga- mation are required. 1 Leitbild des integrierten Umweltschutzes 1.1 Charakterisierung Eine basale Kennzeichnung o ¨konomischer Ta ¨ tigkeit betrifft die Entscheidung u ¨ ber den Einsatz knapper Gu ¨ ter. Wirt- schaftsakteure mu ¨ ssen Probleme lo ¨ sen, die aus der Knapp- heit von Gu ¨ tern resultieren. Wirtschaften bedeutet demzu- folge Handeln unter Knappheitsgesichtspunkten. Bezogen auf die Produktionstheorie ist der traditionelle Blick dabei Input-bezogen, die Knappheiten werden u ¨ ber die mit ihren Preisen bewerteten Produktionsfaktoren in Form von Ko- sten zu einem betrieblichen Entscheidungs- und Optimie- rungsproblem. Die Beru ¨ cksichtigung o ¨ kologischer Aspekte in diesem Kontext erweitert hingegen den relevanten Ent- scheidungsraum auf beide Seiten des Produktionsprozesses. Neben der Input-bezogenen Ressourcenknapp- heit spielt nun auch die Output-bezogene begrenzte Assimi- lationsfa ¨ higkeit der Umwelt eine Rolle. Da o ¨ kologisch deter- .............................................................................................................. * Zusammenfassung eines Vortrages anla ¨ sslich eines DECHEMA-Kolloquiums, 3. Febr. 2000 in Frankfurt/M. Die Abbildungen wurden er- ga ¨nzt um die aus den von der DBU gefo ¨ rder- ten Projekten Nr. 13021 und 13037. ** Prof. Dr. U. MÛLLER , Dipl.-Úk. S . HÛBNER , Dipl.- Úk. H . SERGER , Dipl.-Úk. R . TOSTMANN, Universita ¨t Hannover, Fachbereich Wirtschaftswissen- schaften, Abt. Ordnungs- und Prozesspolitik, Ko ¨nigsworther Platz 1, D-30167 Hannover; E-mail: [email protected]. 1429 ÛBERSICHTSBEITRØGE Chemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000 S. 1429–1438 ª WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69469 Weinheim, 2000 0009-286X/2000/1212-1429 $17.50 +.50/0

Upload: udo-mueller

Post on 06-Jun-2016

214 views

Category:

Documents


2 download

TRANSCRIPT

Page 1: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

Integrierter Umweltschutzund Biotechnologie: Úkobilanzund Wirtschaftlichkeitsrechnungim Innovationsprozess*

U D O M Û L L E R , S U S A N N A H Û B N E R , H E N N I N G S E R G E R U N D R A L F T O S T M A N N * *

Integrierter Umweltschutz in der

industriellen Fertigung verfolgt zwei

Ziele: Zum einen sollen Kosten

reduziert werden, zum anderen wird

eine Entlastung der Umwelt an-

gestrebt. Im Innovationsprozess sind

Umweltschutzmaûnahmen daher

gleich zu Beginn zu integrieren, da

vor allem in der Entwicklungsphase

etwa 80 % der Kosten anfallen.

Bedeutende Potenziale hierfuÈ r

liegen in der chemischen Industrie,

insbesondere bei den Feinchemika-

lien. Die Substitution traditioneller

chemischer Verfahren durch bio-

technologische scheint besonders

vielversprechend, so bietet sich der

Einsatz von Enzymen (Extremozy-

men) bzw. fermentativen Verfahren

an. Dreh- und Angelpunkt bei der

Beurteilung der Vorteilhaftigkeit

einzelner Verfahren sind geeignete

Informationsinstrumente wie die

Úkobilanz in Verbindung mit der

Wirtschaftlichkeitsrechnung.

Aufgrund der unterschiedlichen Er-

klaÈ rungsansaÈ tze dieser Instrumente

sind allerdings weitere Ûberlegun-

gen zur Amalgamation erforderlich.

Integrated Approaches to EnvironmentalProtection and Biotechnology:Eco-balance and Economic EfficiencyAnalysis in the Innovation Process

The main objectives of integrated ap-

proaches to environmental protection

in industrial processes are cost reduc-

tion and a reduction of environmental

impact. Environmental protection

measures should be integrated into

the innovation processes since it is

during the development stage that

some 80 % of the overall costs arise.

Substantial potential for such innova-

tion exists in the chemical industry,

especially in the field of fine chemicals.

The substitution of traditional chemical

industrial procedures by biotechnologi-

cal methods appears particularly

promising. For example, the use of

enzymes (extremozymes) or fermenta-

tive methods has much to offer.

Estimation of the benefits of such

procedures critically depends on

information instruments such as

eco-balances in combination with ana-

lysis of economic efficiency. Since such

instruments are not consistent in their

approach and application, further

considerations concerning the amalga-

mation are required.

1 Leitbild des integriertenUmweltschutzes

1.1 Charakterisierung

Eine basale Kennzeichnung oÈ konomischer TaÈ tigkeit betrifftdie Entscheidung uÈ ber den Einsatz knapper GuÈ ter. Wirt-schaftsakteure muÈ ssen Probleme loÈ sen, die aus der Knapp-heit von GuÈ tern resultieren. Wirtschaften bedeutet demzu-folge Handeln unter Knappheitsgesichtspunkten. Bezogenauf die Produktionstheorie ist der traditionelle Blick dabeiInput-bezogen, die Knappheiten werden uÈ ber die mit ihrenPreisen bewerteten Produktionsfaktoren in Form von Ko-sten zu einem betrieblichen Entscheidungs- und Optimie-rungsproblem. Die BeruÈ cksichtigung oÈ kologischer Aspekte

in diesem Kontext erweitert hingegen den relevanten Ent-scheidungsraum auf beide Seiten des Produktionsprozesses.

Neben der Input-bezogenen Ressourcenknapp-heit spielt nun auch die Output-bezogene begrenzte Assimi-lationsfaÈ higkeit der Umwelt eine Rolle. Da oÈ kologisch deter-

..............................................................................................................

* Zusammenfassung eines Vortrages anlaÈ sslicheines DECHEMA-Kolloquiums, 3. Febr. 2000 inFrankfurt/M. Die Abbildungen wurden er-gaÈ nzt um die aus den von der DBU gefoÈ rder-ten Projekten Nr. 13021 und 13037.

** Prof. Dr. U. M Û L L E R , Dipl.-Úk. S. H Û B N E R , Dipl.-Úk. H . S E R G E R , Dipl.-Úk. R . TO S T M A N N, UniversitaÈ tHannover, Fachbereich Wirtschaftswissen-schaften, Abt. Ordnungs- und Prozesspolitik,KoÈ nigsworther Platz 1, D-30167 Hannover;E-mail: [email protected].

1429Û B E R S I C H T S B E I T R Ø G EChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000S. 1429 ± 1438 ã WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69469 Weinheim, 20000009-286X/2000/1212-1429 $17.50 +.50/0

Page 2: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

minierte Restriktionen i. d. R. nicht uÈ ber Preise am Marktabgegolten werden, resultiert aus ihrer fehlenden Interna-lisierung die BegruÈ ndung fuÈ r staatliche Eingriffe, um z. B.uÈ ber Úkosteuern oder Emissionsabgaben diese Knapphei-ten in das betriebliche KostenkalkuÈ l einflieûen zu lassen.Auch wenn dabei ± je nach Art und Ausgestaltung deszum Einsatz kommenden umweltpolitischen Instrumentes± positive Innovationsanreize und Steuerungseffekte zu er-warten sind, duÈ rften die staatlichen Maûnahmen mit dafuÈ rverantwortlich sein, dass Umweltschutzaspekte aus Unter-nehmersicht weitgehend als Kostenfaktor betrachtet wer-den. Umfragen bestaÈ tigen diese EinschaÈ tzung: Etwa dreiViertel der Unternehmen betrachten betrieblichen Umwelt-schutz hauptsaÈ chlich unter Kostengesichtspunkten [1]. DassUmweltschutzmaûnahmen indessen auch einen bedeuten-den Kostenentlastungseffekt aus betriebs- und volkswirt-schaftlicher Sicht haben, wird deutlich, wenn das Leitbilddes integrierten Umweltschutzes (IU) naÈ her betrachtet wird.

In der Idee des IU findet sich eine operationaleAusgestaltung der sustainable development (s.d.)-Diskus-sion, in der versucht wird, anthropogenes Handeln oÈ kolo-gisch, oÈ konomisch und sozial vertraÈ glich auszugestalten.Je nach Systemabgrenzung versteht man unter IU-Maû-nahmen± auf internationaler Ebene: BemuÈ hungen um optimale

Allokationen von Umweltschutzmaûnahmen,± auf medialer Ebene: AnsaÈ tze zur BeruÈ cksichtigung von

SchadstoffeintraÈ gen,± auf betrieblicher Ebene: technische, in den Produk-

tionsprozess integrierte Umweltschutzmaûnahmen [2].Letztere lassen sich hinsichtlich produktions- und

prozessintegriertem Umweltschutz, integrierten Recyclingver-fahren und Techniken zur FoÈ rderung des produktintegriertenUmweltschutzes unterscheiden. Neben der technischen Ebe-ne kann der Oberbegriff aber auch hinsichtlich des organi-sationsintegrierten Umweltschutzes unterschieden werden[3]. In diesem Beitrag wird im Wesentlichen auf den produk-tions- und prozessintegrierten Umweltschutz eingegangen.

AuspraÈ gungen des IU koÈ nnen nach der Informa-tionsbasis und der Problembehandlung differenziert wer-den, wobei u. E. der aus der Literatur entnommene Maûnah-menkatalog nicht frei von normativen Kriterien ist, derenBefolgung im Extremfall die betrieblichen EntscheideruÈ berfordern duÈ rfte. Fehlendes Kausalwissen oÈ kologischerWirkungsmodelle und eine i. d. R. luÈ ckenhafte Datenbasisder StoffstroÈ me uÈ ber den Lebenszyklus hinweg erzwingeneine pragmatische Herangehensweise zur Konkretisierungdes IU. Nichtsdestotrotz wird durch die normative und ganz-heitlich orientierte Formulierung der Øste des IU der Leit-bildcharakter des Ansatzes verdeutlicht (s. Tab. 1).

GegenstuÈ ck des IU sind so genannte additive Um-weltschutzmaûnahmen (AU). Dahinter verbergen sich tradi-tionelle UmweltschutzaktivitaÈ ten wie der Einbau von Filternbzw. die Aufbereitung von AbwaÈ ssern. Charakteristisch fuÈ rAU ist, dass die Behandlung negativer Umweltwirkungenam Ende des Produktionsprozesses stattfindet. Da hiereine verkuÈ rzte Betrachtung der ProduktionszusammenhaÈ n-ge erfolgt, haben diese ¹end-of-pipeª-Maûnahmen meist nurkostenrechnerische Effekte, ohne praÈventiv zur Umweltent-

lastung beitragen zu koÈ nnen. So werden Schadstoffe oft nurauf andere Medien uÈ bertragen, wenn etwa verbrauchte Fil-ter entsorgt werden muÈ ssen.

1.2 Integrierter Umweltschutzund Innovationen

Welche Umweltentlastungsverfahren im Betrieb zur An-wendung kommen, haÈ ngt von der Integration des Umwelt-schutzes in den betrieblichen Lebenszyklus und den jeweilszugrundeliegenden Wirtschaftlichkeitsrechnungen ab. Ent-scheidungen uÈ ber den Einsatz von IU sind im Zusammen-hang mit Investitionen bzw. mit Innovationen zu treffen.Im direkten Vergleich und in der kurzfristigen BetrachtungduÈ rften Maûnahmen des IU dabei unguÈ nstiger als additiveMaûnahmen beurteilt werden, da beim Ûbergang auf IU zu-naÈ chst eine vollstaÈ ndige Umstellung der Produktionspro-zesse notwendig ist. Langfristig duÈ rfte sich aufgrund erwar-teter sinkender Betriebskosten diese Aussage jedoch rela-tivieren, hier haÈ ngt eine Bewertung von den zeitlichenund rentabilitaÈ tsmaÈ ûigen Vorgaben des Managements ab,so dass eindeutige Aussagen nicht zu treffen sind.

Einen besonderen Charme gewinnt die BeruÈ ck-sichtigung des integrierten Umweltschutzes allerdings imInnovationsprozess einer Unternehmung. VerkuÈ rzt verstehtman unter einer Innovation die erstmalige gewerbliche Nut-zung von FuE (Forschungs- und Entwicklungs-)-Erkennt-nissen, die neue Verfahren (Prozessinnovationen) bzw. Pro-dukte (Produktinnovationen) zur Folge haben. In der chemi-schen Industrie kommen den Prozessinnovationen beson-dere Bedeutung zu, da diese Branche zu groûen Teilen durchFlieûfertigung gekennzeichnet ist, so dass eine Innovationzumeist auch einen Neuaufbau bzw. eine Umgestaltungvon Produktionsprozessen beinhaltet.

Neben den betrieblichen InnovationstaÈ tigkeitenwird das Ziel des s.d. umso mehr verwirklicht, je mehr oÈ ko-logisch sinnvolle Verfahren in der Breite Anwendung fin-den. Diese Ûbernahme neuer Produkte und Prozesse durchBetriebe des gleichen Sektors oder anderer Branchen wird

Tabelle 1.Maûnahmen und Informationsgrundlagen des integriertenUmweltschutzes, in Anlehnung an S T R E B E L [4].

Informationsgrundlagendes integrierten Umweltschutzes

Maûnahmen des integriertenUmweltschutzes

± Betrachtung energetischerInputs und Outputs von Pro-zessen, d. h. Erstellung vonStoff- und Energiebilanzen.

± Betrachtung der Vorstufeneines analysierten Prozesses.

± Betrachtung der Folgestufeneines analysierten Prozesses.

± Weitestgehender Verzicht auf¹end-of- pipeª- Technologiendurch Anwendung desVorsorge- statt des Nach-sorgeprinzips.

± Neben der eigentlichenProduktionsstufe duÈ rfenbetriebliche Maûnahmendie Belastung der Vor- undFolgestufen unter oÈ kologi-schen Gesichtspunkten nichtverschlechtern.

± Der integrierte Umweltschutzbedient sich der Kooperationmit Abnehmern und Zulie-ferern. Die WertschoÈ pfungs-kette wird nachhaltig er-weitert.

1430 Û B E R S I C H T S B E I T R Ø G EChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 3: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

allgemein als Diffusion bezeichnet. Gelingt es, erfolgreicheTechnologien schnell zu adaptieren, entstehen volkswirt-schaftliche Wettbewerbsvorteile und i. d. R. auch Wachs-tumseffekte.

Vor dem Hintergrund theoretischer Ûberlegun-gen ist allerdings anzumerken, dass eine stringente Unter-scheidung zwischen Prozessinnovation und integriertemUmweltschutz im Innovationsbereich nicht immer trenn-scharf ist. Wenn z. B. im Zuge des technischen Fortschrittsdie Rohstoffeffizienz der Prozesse steigt, was fuÈ r den Groû-teil der Innovationen zutreffen duÈ rfte, ist eine Unterschei-dung zwischen ¹normalerª und ¹oÈ kologischerª Innovationnicht mehr eindeutig. In Bezug auf die oÈ kologische Wirkungweisen beide Maûnahmen tendenziell in die gleiche Rich-tung. Die BegruÈ ndung von Investitionen im Bereich desIU bzw. zur Aufrechterhaltung eines bestimmten Innova-tionsniveaus duÈ rften allerdings branchen- und betriebsbe-zogen unterschiedlich motiviert sein. Festhalten laÈ sst sichjedoch, dass Branchen, die aufgrund ihrer Energie-, Roh-stoff- und UmweltabhaÈ ngigkeit ein vitales Interesse an wirt-schaftlich neuen, ressourcensparenden Wegen haben, ten-denziell auf einem hoÈ heren AktivitaÈ tenniveau des IU als tra-ditionelle Unternehmen angesiedelt sind [5]. Hier ist beson-ders die chemische Branche hervorzuheben.

1.3 Potenziale des integrierten Umwelt-schutzes

Das Leitbild des integrierten Umweltschutzes ist in der che-mischen Industrie keine Neuheit. Bereits 1988 formulierteein Vertreter des Fonds der Chemischen Industrie: ¹Ziel un-serer Forschung muÈ ssen Verfahren mit integriertem Um-weltschutz sein, die bei moÈ glichst geringem Rohstoff- undEnergiebedarf moÈ glichst wenig Abfall zur Folge habenª[6]. Auch wenn die Vorteile intuitiv einleuchtend und nach-vollziehbar sind, ist im betrieblichen Kontext die Wahrneh-mung der Vernetztheit der Faktoren anscheinend nicht im-mer gewaÈ hrleistet. K AT Z E R berichtet z. B. im Zusammenhangmit FuE-Anstrengungen in einem chemischen Betrieb voneinem Mitarbeiter, der die Vorteilhaftigkeit der Innovationmit einer beeindruckenden Materialausbeute des neuenVerfahrens von 86 % begruÈ ndet. Bei genauerer Betrachtungzeigte sich jedoch, dass fuÈ r 1 t Zielprodukt insgesamt 7 t Ma-terial aufgewendet werden mussten, was einer Gesamtaus-beute von 14 % entspricht. Die Emission von im Endeffekt 6 tSalz pro t Zielprodukt und die damit verbundenen Kostenund Umwelteffekte waren in dem Betrieb aus entwicklungs-technischer Sicht nicht entscheidungsrelevant [7].

Eine VernachlaÈ ssigung dieser ZusammenhaÈ ngefuÈ hrt aber zu volks- und betriebswirtschaftlich hohen Effi-zienzverlusten, die kurz an folgenden Zahlen illustriert wer-den sollen. BranchenuÈ bergreifende SchaÈ tzungen fuÈ r dieProduktion in Deutschland ergeben, dass Werte in HoÈ hevon bis zu 15 % der Gesamtkosten aufgrund mangelnder Be-ruÈ cksichtigung oÈ kologischer Aspekte anfallen. Dies ent-spricht volkswirtschaftlichen Kosten in HoÈ he von 100 bis300 Milliarden DM. DemgegenuÈ ber stehen Wettbewerbsvor-teile durch den Einsatz von IU. Kosteneinsparungen in HoÈ he

von bis zu 40 Milliarden DM werden bei vertretbaren Auf-wand mit dem Ûbergang auf den IU fuÈ r moÈ glich gehalten [8].

Fokussiert man die Effekte in der chemischen In-dustrie, so kann konstatiert werden, dass der chemischenIndustrie eine SchluÈ sselposition bei der EinfuÈ hrung desIU zukommt. 1995 wurden ca. 6,1 Milliarden DM von der ge-samten chemischen Industrie fuÈ r den additiven Umwelt-schutz ausgegeben. Hinsichtlich der StoffstroÈ me weisenTendenzaussagen aus diesem Sektor auf einen Reststoffan-teil (darunter versteht man einen produktionsbedingtenOutput in Form von Kuppelprodukten, der uÈ berwiegendnicht verwertet wird, sondern kostenrelevant entsorgt wer-den muss) je nach Produktionsverfahren von nahezu 30 %bei den Grundchemikalien und uÈ ber 70 % bei den Feinche-mikalien hin. Bei der Umstellung auf IU sind demzufolgeEinsparpotenziale in MilliardenhoÈ he in Form von positivenUmwelteffekten nicht unrealistisch. Nach diesen allgemei-nen AusfuÈ hrungen stellt sich die Frage, wo konkrete Ansatz-punkte neuer Verfahren im Sinne des IU zu finden sind?

2 AusgewaÈ hlte Spannungsfelderder Biotechnologie im Kontextvon Innovation und Diffusion

2.1 Umweltschutz und Innovation

Grundlegendes Ziel der integrierten Verfahren im Innova-tionsbereich ist die Verbesserung der Produktionsverfah-ren, um auf diese Weise schadstoffaÈ rmere und energiespa-rendere Prozesse und Produkte zu generieren. Daten ausder Industrie weisen darauf hin, dass bis zu 80 % der Kostenaber auch der Umweltwirkungen eines Produktes in der In-novationsphase festgelegt werden. Ebenso ist die Beein-flussbarkeit der Entwicklung bzgl. betrieblicher Vorgabenin dieser Phase besonders hoch [9, 10]. ÛbertraÈ gt man dieseWerte auf einen idealtypischen Innovationsprozess in derchemischen Industrie, ergibt sich grob folgender Zusam-menhang (s. Abb. 1). Die Kostenkurve erreicht in der Inno-vationskette nicht 100 %, da ein Teil der produkt- und pro-zessbezogenen Kosten gemaÈ û der Lebensphasenbetrach-tung durch Nutzung und Entsorgung (etwa bei RuÈ cknahme-vereinbarungen) verursacht werden.

Die Beeinflussung des Kostenfaktors duÈ rfte sicherwartungsgemaÈ û auch positiv auf die gesamte WertschoÈ p-fungskette auswirken, da neben produktbezogenen geringe-ren Beschaffungskosten aufgrund der erhoÈ hten Ressour-cenproduktivitaÈ t auch geringere Entsorgungskosten anfal-len. Je nach Marktsegment, in dem sich die Unternehmungbewegt, sind daruÈ ber hinaus erloÈ swirksame Effekte auf-grund einer geringeren PreiselastizitaÈ t der Abnehmer bei¹oÈ kologischenª Produkten vorstellbar, was den positiven Ge-samteffekt verstaÈ rken duÈ rfte. Festzuhalten bleibt, dass diebetriebliche InnovationsaktivitaÈ t ein Kernpunkt der Kosten-und Umweltentlastungsstrategien einer Unternehmung ist.Im Anwendungsbereich verdienen derzeit vor allem dieSubstitutionsmoÈ glichkeiten traditioneller chemischer Ver-fahren durch biotechnologische Verfahren Beachtung.

1431B i o t e c h n o l o g i eChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 4: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

2.2 Ansatzpunkte biotechnologischerVerfahren

Die zunehmende Erkenntnis, dass oÈ kologische Problemenur uÈ ber einen multidisziplinaÈ ren Zugang zu loÈ sen sind, las-sen aus methodischer Sicht Vorteile bei einer Querschnitts-technologie wie der Biotechnologie (BT) erwarten. Auf-grund des ordnungsbegrifflichen Charakters der BT fuÈ r di-verse Anwendungsbereiche scheint sie besonders geeignet,interdisziplinaÈ r begruÈ ndete Umweltschutzanforderungenintegrieren zu koÈ nnen [12]. Der Einsatz biotechnologischerVerfahren dient dabei vor allem [13]:± der Senkung des Rohstoff- und Energieeinsatzes,± der Vermeidung und Verminderung von AbfaÈ llen im

Produktionsprozess± und der Verwertung von AbfaÈ llen im Produktionsver-

bund im Sinne einer produktionsintegrierten Kreislauf-schlieûung.

Auch wenn die oft geaÈ uûerte These, in der die BTautomatisch dem IU zuzurechnen und somit in jedem Fallumweltschonend sei, nicht haltbar ist [14], sind weiterge-hende Untersuchungen sinnvoll, um dezidierte Aussagenzu ermoÈ glichen. Als konkretes Einsatzfeld fuÈ r derartige Un-tersuchungen ist der Einsatz enzymatischer Verfahren viel-versprechend. Hier bestehen vor allem in der katalytischenEigenschaft der Enzyme Ansatzpunkte zur Realisierung desIU. Der Einsatz von Enzymen zur Herstellung von Feinche-mikalien, die einen produktionsbedingten hohen Reststoff-anteil von 70 % aufweisen, deutet auf ein besonders frucht-bares Anwendungsfeld hin.

Neben den klassischen Enzymen ruÈ ckt zuneh-mend auch die wirtschaftliche Nutzbarkeit von Extremozy-men in den Blickpunkt der Forschung. Dabei handelt es sichum Mikroorganismen, die aus Extrembiotopen wie subma-rinen und kontinentalen Vulkangebieten, Habitaten mitsehr niedrigem oder sehr hohen pH-Wert oder aÈ hnlich un-wirtlichen Umgebungen isoliert wurden. Ein Groûteil dieser

vorwiegend hyperthermophilen Mikro-organismen zaÈ hlt phylogenetisch zuden Archae. Bis heute sind etwa 50 Ar-ten hyperthermophiler Archae undBakterien bekannt [15]. Die charakteri-stischen Eigenschaften der Enzyme derOrganismen machen die ExtremozymefuÈ r viele Anwendungen attraktiv. Vor-teile der Anwendung von Extremozy-men sind z. B. hoÈ here spezifische Bioka-talyseeigenschaften, aber auch die Bei-behaltung von Katalyseeigenschaftenbei hoÈ heren Temperaturen (uÈ ber60 8C), die tendenziell zu einer Verbes-serung der fuÈ r die Flieûfertigung rele-vanten Transportparameter (ViskositaÈ t,Transportgeschwindigkeit) fuÈ hren.

Der Anteil von technischenEnzymen, die zur Herstellung von Fein-chemikalien verwendet werden, belaÈ uftsich derzeit auf einen Anteil von 4 bis5 % des Enzymweltmarktes, der sichauf ein Gesamtvolumen von ca. 1 Mil-

liarde US belaÈ uft. Relevant ist, dass bisher nur wenig enzy-matisch katalysierte Prozesse zur Herstellung von Feinche-mikalien im Tonnenmaûstab Anwendung finden [16]. DerAnteil von Extremozymen bei groûindustrieller Fertigungist mit Null anzusetzen, so dass hier ein groûes Potenzialzur Nutzung bei entsprechender oÈ kologischer und oÈ konomi-scher Eignung der Enzyme vorhanden ist. Um technologie-nachfragewirksam zu werden, setzt dies aber ein WissenuÈ ber die AnwendungsmoÈ glichkeiten der Einsatzstoffe undder neuen Verfahren bei den an den Entscheidungen betei-ligten betrieblichen Akteuren voraus.

2.3 Abbau von Diffusionshemmnissen

Vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)mit historisch gewachsener Produktionsstruktur und gerin-ger Einbindung in Forschungsnetzwerke duÈ rften immernoch WissensluÈ cken uÈ ber die oÈ kologischen und oÈ konomi-schen Potenziale der neuen Technologie existieren. DieArt des Wissenstransfers und die MoÈ glichkeit, an dem neu-en Wissen partizipieren zu koÈ nnen, beeinflusst ± neben deninstitutionellen Rahmenbedingungen ± ebenfalls das Ûber-nahmetempo neuer Technologien. Das Wissen determiniertaus evolutorisch diffusionstheoretischer Sicht den Such-raum fuÈ r ProblemloÈ sungen. Bezogen auf Anwendungendes IU bestehen zum Beispiel diffusionsrelevante Wissens-luÈ cken bezuÈ glich des Anwendungsspektrums der neuenVerfahren, zum anderen aber auch hinsichtlich der Vorteil-haftigkeit der neuen Verfahren. Hier koÈ nnen Forschungs-projekte einen Beitrag leisten, indem sie helfen, Wissens-asymmetrien abzubauen.

Um einige weiûe Flecken der EinsatzmoÈ glichkei-ten des Umweltschutzes auf der Landkarte der biotechnolo-gischen AnwendungsmoÈ glichkeiten zu tilgen, laufen derzeitmit UnterstuÈ tzung der DBU Forschungsprojekte, die tradi-tionelle chemische Verfahren im Rahmen der Produktion

Abbildung 1.Die Innovations- und WertschoÈ pfungskette im Kostenzusammenhang, in Anleh-nung an S T E I N BA C H [11].

1432 Û B E R S I C H T S B E I T R Ø G EChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 5: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

von Feinchemikalien mit enzymatischen vergleichen sollenbzw. den Fokus auf das Feld fermentativer Verfahren mitHilfe gentechnisch manipulierter Mikroorganismen richten.

Ziele der Projekte sind:± PruÈ fung der oÈ kologischen und oÈ konomischen Wirkun-

gen traditioneller und biotechnologischer Verfahrenzur Herstellung von AminosaÈ uren.

± FoÈ rderung des integrierten Umweltschutzes;± Beitrag zur Erleichterung des Ûbergangs auf erfolgver-

sprechende, neue technologische Trajektorien durchBarrierenabbau;

± Erweiterung der Wissensbasis der betrieblichen undsektoralen Akteure;

± ErhoÈ hung der betrieblichen WettbewerbsfaÈ higkeitdurch Kostensenkungen;

± Erweiterung des Ertragspotenzials und der Nutzungalternativer, nicht reglementierter Rohstoffquellen;

± Ausbau und Festigung der Methodik oÈ kologischer Rech-nungslegung;

± PruÈ fung der MoÈ glichkeiten einer Amalgamation oÈ kolo-gischer und oÈ konomischer Informationssysteme.

Um diese Ziele erreichen zu koÈ nnen, ist die These,dass sich Umweltschutz oÈ konomisch und oÈ kologisch rech-net, in den Forschungsprojekten zu pruÈ fen. Wenn die PruÈ -fung positiv verlaÈ uft, kann ein anreizkonformer Anstoû zurBegehung einer neuen technologischen Trajektorie erfol-gen. Dazu werden Informationssysteme benoÈ tigt, die denbetrieblichen Entscheidern unterstuÈ tzende Informationenliefern. Da letztlich zwei Arten der Information generiertwerden, naÈ mlich oÈ kologische und oÈ konomische, soll nunauf die beiden Øste naÈ her eingegangen werden. Die Instru-mente, die dabei verwendet werden, sind die Úkobilanz aufder einen und umweltorientierte Wirtschaftlichkeitsrech-nungsverfahren auf der anderen Seite.

3 Úkobilanz und Wirtschaftlich-keitsrechnung im Kontextbetrieblicher Entscheidungen

Voraussetzung fuÈ r IntegrationsmoÈ glichkeiten oÈ kologischerund oÈ konomischer Aspekte bei der Substitution chemischerProzesse durch biotechnologische Verfahren ist der Einsatzvon Informationssystemen zur EntscheidungsunterstuÈ tzungim Unternehmen. Geeignete Instrumente sind hierfuÈ r dieÚkobilanz und die Kostenrechnung, da sie aber verschiede-nen Informationszwecken dienen und zudem unterschied-lich abgegrenzt sind, werden sie zunaÈ chst inhaltlich kurzvorgestellt.

3.1 Úkobilanz

Unter der Vielzahl der diskutierten Instrumente zur Opera-tionalisierung des s.d. wie der Produktlinienanalyse (PLA),der Risikoanalyse oder der TechnikfolgenabschaÈ tzung wirdvor allem der Úkobilanz eine Eignung zum Erreichen derZiele des s.d. zugestanden. Inhaltlich stellt sie eine aufden Lebensweg eines Produktes gerichtete, zielbezogene,oÈ kologische Betrachtung und Bewertung bzw. eine wir-kungsbezogene Aggregation von materiellen und energeti-

schen Inputs und Outputs dar; man spricht in diesem Zu-sammenhang von Life Cycle Assessment (LCA). Analogzum Preissystem unterstuÈ tzt sie Entscheidungsfindungenin Situationen oÈ kologischer Knappheit und liefert Umwelt-informationen.

Trotz verschiedener Entwicklungspfade bei derKonkretisierung und auch heute noch existierender Frei-raÈ ume sowie unterschiedlicher Handhabungen dieses In-struments haben sich vor allem aufgrund der Arbeiten derSociety of Environmental Toxicology and Chemistry (SETAC)und der International Standard Organisation (ISO) Standardsbei der Erstellung von Úkobilanzen etabliert, die der Praxisinhaltliche Mindestanforderungen und wesentliche Be-griffsklaÈ rungen fuÈ r die Erstellung von Úkobilanzen an dieHand geben [17, 18]. Den heutigen Konsens uÈ ber dieses Um-weltinformationsinstrument kann man an folgenden Eck-pfeilern ausmachen:± Úkobilanzen verwenden den Begriff ¹Bilanzª im Sinne

einer zumindest gedanklich moÈ glichen GegenuÈ berstel-lung von energetischen und materiellen In- und Out-puts.

± Bedeutung hat das Konzept der Lebenszyklusbetrach-tung: GrundsaÈ tzlich werden in einer Úkobilanz alleUmweltveraÈ nderungen betrachtet, die intentional undkausal mit einem zu betrachtenden Zurechnungsobjektin Verbindung stehen.

± In einer solchen Úkobilanz werden dann ± anders als ineiner monetaÈ ren betrieblichen Bilanz ± im WesentlichenStromgroÈ ûen bilanziert.

Von der Bearbeitungssystematik koÈ nnen vierSchritte bei der Erstellung einer Úkobilanz unterschiedenwerden:1. Die Zieldefinition und die Abgrenzung des Bilanzraums

bilden die systematische Grundlage einer Úkobilanz.Inhaltlich wird der Anwendungszweck und die Ziel-gruppe genannt. Die Nennung der Bilanzgrenzen, dieAuswahl alternativer Produkte sowie die Kenntlichma-chung weiterer Annahmen erhoÈ hen die Aussagekraft.

2. Die Erstellung der Sachbilanz gilt als HerzstuÈ ck derÚkobilanz, hier sind vor allem Fragen bzgl. der Indika-torenauswahl (Welche UmweltveraÈ nderungen sollenberuÈ cksichtigt werden?), der Datenbeschaffung (Wohersind Daten uÈ ber die empirische Indikatoren-AuspraÈ -gung zu bekommen?) sowie der DatenqualitaÈ t (Wie istderen DatenqualitaÈ t zu beurteilen und laÈ sst sich aufihrer Grundlage eine ausreichend valide oÈ kologischeBeschreibung der zu vergleichenden biotechnologi-schen Prozesse gewaÈ hrleisten?) zu beantworten.

3. Die WirkungsabschaÈ tzung erfolgt anhand verschiede-ner Beurteilungsfelder wie Treibhauseffekt, Ressour-cenverbrauch oder ÚkotoxizitaÈ t und erfordert eine Zu-teilung der Sachbilanzindikatoren auf die einzelnenWirkungskategorien. Da einzelne Stoffe unterschiedli-che Wirkungsfelder gleichzeitig tangieren koÈ nnen undhier innerhalb einzelner Wirkungskategorien unter-schiedliche Faktoren mit unterschiedlicher Dimensio-nierung eine Rolle spielen, besteht bei der Fundierungdieses Aspektes der Úkobilanz noch ein relativ groûerForschungsbedarf.

1433B i o t e c h n o l o g i eChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 6: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

4. In der Bilanzbewertung werden dieErgebnisse der Wirkungsbilanz undder Sachbilanz zusammengefasst.

Die Teilprozesse sind unterei-nander verknuÈ pft, so dass die Erstellungeiner Úkobilanz als iterativer verkoppel-ter Prozess gekennzeichnet werdenkann. Aufgrund ihrer breiten Fundie-rung ist die Úkobilanz prinzipiell geeig-net, die Interessen der unterschiedli-chen betrieblichen Akteure wie des Ma-nagements, der Marketingabteilungoder der Produktentwicklung bedienenzu koÈ nnen (s. Abb. 2).

Die Aufstellung von Úkobi-lanzen ist dadurch gekennzeichnet,dass groûe KapazitaÈ ts- und Ressourcen-beanspruchungen stattfinden. Unterpragmatischen, aber auch unter Kosten-gesichtspunkten bietet es sich an, nachVereinfachungsmethoden zu suchen.Eine adaÈ quate Vorgehensweise zur Ver-einfachung liefert das von der Europe Working GroupScreening and Streamlining der SETAC vorgeschlagenedreistufige iterative Vereinfachungsverfahren zur Erstel-lung ¹vereinfachter Úkobilanzenª [20].

Leichter handhabbar wird eine Bewertung, wennkonkret zwei Prozesse hinsichtlich eines nutzenaÈ quivalen-ten Verfahrens verglichen werden. Im Rahmen der DBU-Projekte findet daher eine Beurteilung anhand zweierpotenzieller Verfahren statt, die gegenuÈ bergestellt und imGesamtzusammenhang bewertet werden.

3.2 Wirtschaftlichkeitsrechnungund Umweltkostenmanagementim Rahmen des integrierten Umwelt-schutzes

In den vergangenen Jahrzehnten wurde Umweltschutz inder Industrie in erster Linie mit end-of-pipe-LoÈ sungengleichgesetzt. Charakteristisch fuÈ r diesen Ansatz ist ausSicht der Wirtschaftlichkeitsrechnung, dass die bestehen-den Produktionskosten unveraÈ ndert bleiben und zusaÈ tz-liche Kosten fuÈ r die end-of-pipe-Maûnahmen hinzukom-men, so dass die Gesamtkosten des Unternehmens steigen.

Dieses Vorgehen fuÈ hrte in Industrie und PolitikzwangslaÈ ufig zu der Ûberzeugung, dass verbesserte Um-weltschutzmaûnahmen in jedem Fall mit hoÈ heren Kostenverbunden sind. Selbst Unternehmen, die den betrieblichenUmweltschutz als Herausforderung betrachteten und ihmpositiv gegenuÈ berstanden, zweifelten nicht an diesem Zu-sammenhang. Sie rechneten hingegen damit, dass die alsunvermeidbar angenommenen Zusatzkosten durch strate-gische Marktvorteile kompensiert werden koÈ nnten. Die Auf-fassung, ein verbesserter Umweltschutz sei automatisch mithoÈ heren Kosten verbunden, ist auch in der aktuellen um-weltpolitischen Diskussion nach wie vor haÈ ufig anzutreffen[21].

Nachdem lange Zeit der betriebliche Umwelt-schutz von den meisten Unternehmen als ein reiner Kosten-faktor ohne unmittelbare Vorteile fuÈ r den Unternehmenser-folg bewertet wurde, ist in den letzten Jahren diesbezuÈ glichein Prozess des Umdenkens und eine differenziertere Sicht-weise zu beobachten. AusgeloÈ st wurde diese Entwicklunginsbesondere durch einige fortschrittliche Unternehmen,die im Bereich des integrierten Umweltschutzes Pionierar-beit geleistet haben und in der betrieblichen Praxis zeigenkonnten, dass Umweltschutzmaûnahmen kostensenkendwirken koÈ nnen und daruÈ ber hinaus die Wettbewerbspositi-on des Unternehmens gestaÈ rkt werden kann [21 ± 23].

Ziel integrativer Umweltschutzmaûnahmen imUnternehmen sollte demzufolge nicht nur die GenerierungoÈ kologisch optimierter Innovationen, sondern auch die Er-schlieûung von Kostensenkungspotenzialen sein, da sichdie neuen Prozesse bzw. Produkte im Wettbewerb behaup-ten muÈ ssen. Auf zahlreichen MaÈ rkten existiert fuÈ r einen An-bieter nur ein sehr geringer Spielraum bei der Preissetzung,so dass der Marktpreis letztendlich ein Datum darstellt, andem sich der gesamte Entwicklungsprozess orientierenmuss (target costing). Ausgehend von dem am Markt erziel-baren Preis sollte deshalb eine Wirtschaftlichkeitsberech-nung integrativer Umweltschutzmaûnahmen ein Datenge-ruÈ st zur VerfuÈ gung stellen koÈ nnen, welches zu einer ErhoÈ -hung der Kostentransparenz fuÈ hrt, indem es Informationengeneriert, die uÈ ber die traditionelle Kostenrechnung hinaus-gehen und diese vervollstaÈ ndigen koÈ nnen.

Das mit dieser Umweltkostenrechnung verfolgteZielbuÈ ndel laÈ sst sich in die folgenden Teilziele untergliedern[22]:± Ermittlung von Rationalisierungspotenzialen bei Roh-

stoffeinsatz, Abfall, Abwasser etc.± BeruÈ cksichtigung der umweltbezogenen Kosten bei der

Investitionsrechnung.± Ohne die genaue Zurechnung von Umweltbelastungen

ermittelte Herstellkosten von Produkten und damit irre-

Abbildung 2.Aufbau und Elemente der Úkobilanz, SETAC [18] und UBA [19].

1434 Û B E R S I C H T S B E I T R Ø G EChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 7: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

fuÈ hrende Produktionskostenangaben sollen aufgedecktund korrigiert werden. Die umfassende Verrechnungvon umweltbezogenen Kosten fuÈ hrt zu exakterenSelbstkosten und damit zu einer genaueren Preisfin-dung, was eine Voraussetzung zur Realisierung eineshoÈ heren Produkt-Deckungsbeitrages darstellt.

± Einflussnahme auf die Motivation der Mitarbeiter: Um-weltschutz soll als eigenstaÈ ndige Aufgabe und ChancefuÈ r Produkt- bzw. Prozessverbesserungen sowie alsKostensenkungspotential betrachtet werden.

± Verbesserung der Auûenwirkung des Unternehmens.Diese Teilziele haben sicherlich nicht fuÈ r jedes

Unternehmen eine gleichrangige Bedeutung. Je nach Wett-bewerbssituation des Unternehmens sind unternehmens-spezifische PrioritaÈ ten zu setzen. Bei den Unternehmen,die in den letzten Jahren Umweltkostenrechnungssystemeimplementiert haben, sind Schwer-punktbildungen vorwie-gend in den Bereichen Erschlieûung von Kostensenkungs-potentialen (insbesondere bei mittelstaÈ ndischen Unterneh-men) und Verbesserung der Auûenwirkung des Unterneh-mens zu verzeichnen gewesen.

Die umweltbezogene Kostenrechnung erfasst undverrechnet Kosten, die durch Umweltauswirkungen desUnternehmens entstehen. Sie wird nicht parallel zur tradi-tionellen Kostenrechnung aufgebaut, sondern soll in dieseintegriert werden und sie vervollstaÈ ndigen. Die umwelt-bezogene Kostenrechnung ist als eine Weiterentwicklungetablierter Kostenrechnungssysteme anzusehen [24]. EinemoÈ gliche Vorgehensweise ist in Abb. 3 dargestellt.

Die Grundlage einer Umweltkostenrechnung bil-det in jedem Fall die Erfassung der betrieblichen Stoff- undEnergiestroÈ me in Form von betrieblichen Umweltbilanzen.Falls im Unternehmen bereits (die umfassenderen) Úko-bilanzen erstellt werden, koÈ nnen diese Umweltbilanzenauf den Sachbilanzen aufbauen (vgl. Abschnitt 3.1), anson-sten ist die Erfassung der Stoff- und EnergiestroÈ me neu zuimplementieren. Fallbeispiele aus dem biotechnologischenBereich weisen hier auf die Vorteilhaftigkeit dieser umfas-senderen Betrachtungsweise hin. So konnten die Kostender Produktion von 6-Aminopenicillan-saÈ ure (6-APA) um 16 % bei der Umstel-lung von chemischen auf enzymatischeVerfahren gesenkt werden. Der Ener-gieverbrauch des neuen Verfahrens lagum 50 % unter dem Referenzverfahren[14].

Es ist davon auszugehen, dassdie bestehende Kostenrechnung nichtalle Daten liefern kann, die erforderlichsind, um Rationalisierungspotenziale imUmweltbereich aufzudecken. EinSchwerpunkt bei der umweltorientier-ten Kostenrechnung ist darin zu sehen,die Kosten fuÈ r Umweltbelastungen nichtunauffindbar in anderen KostenbloÈ ckenuntergehen zu lassen. Ziel der Erfas-sung ist eine moÈ glichst hohe Stoffstrom-und Kostentransparenz. Dieses Zielwird aus der Ûberlegung abgeleitet,

dass jedes Kilogramm Abfall, jeder Kubikmeter Abwasser,jedes Kilowatt AbwaÈ rme gewissermaûen ein Produkt dar-stellt, das sich von dem fuÈ r den Markt bestimmten Produkt-angebot lediglich dadurch unterscheidet, dass es nicht beab-sichtigt ist. Dieser Reststoff verursacht jedoch genauso Be-schaffungs-, Herstellungs-, Lagerungs-, Absatz- und Ent-sorgungskosten. WaÈ hrend die konventionelle Produktkal-kulation diese Stoffe stiefmuÈ tterlich behandelt, laÈ sst sichuÈ ber die Herstellung der Stoffstromtransparenz eine syste-matische EinschraÈ nkung erreichen. Die Reststoffkosten derdeutschen Industrie werden auf ca. 5 bis 15 % der Gesamt-kosten beziffert [21]. Den Reststoffkosten kommt im Rah-men des Umweltkostenmanagements daher eine zentraleBedeutung zu.

Der Durchlauf der Reststoffe im Produktionspro-zess verursacht Kosten auf mehreren Ebenen. Bevor dieReststoffe als solche erkennbar anfallen, sind sie bereits an-teilig in den betrieblichen Stoff- und EnergiestroÈ men ent-halten. Sie werden im Einkauf bezahlt, im Betrieb gelagert,des Weiteren transportiert und nehmen anteilig Produkti-onskapazitaÈ ten in Anspruch. Nachdem die Reststoffe ange-fallen sind, werden sie erfasst und gesammelt, erneut trans-portiert und gelagert, gegebenenfalls nachbehandelt und anEntsorger weitergegeben. Das Unternehmen hat fuÈ r dieReststoffe demnach Kosten in doppelter HoÈ he zu tragen: zu-naÈ chst fuÈ r die Produktion und anschlieûend fuÈ r die Entsor-gung, ohne dass dabei eine WertschoÈ pfung entsteht. ErsteErfahrungen in Pilotprojekten lassen den Schluss zu, dassdie Vermeidung und optimierte Verwertung von Reststoffenbei einem typischen Industrieunternehmen eine Senkungder Gesamtkosten von bis zu 2 % bewirken koÈ nnen [25].

Bei einer Erweiterung der Betrachtungen auf diedirekt mit den Produkten zusammenhaÈ ngenden StofffluÈ sseergeben sich weitere Ansatzpunkte fuÈ r die Verringerung vonKostenbelastungen. SchaÈ tzungen zufolge sind ca. 47 bis 57 %der Gesamtkosten in Industriebetrieben unmittelbar demProduktdurchlauf zuzurechnen [21]. Durch eine Verminde-rung dieser StofffluÈ sse lassen sich Kostensenkungen erzie-len. Ansatzpunkte fuÈ r Reduzierungen des Materialeinsatzes

Abbildung 3.Ûberblick uÈ ber den Rechengang der Umweltkostenrechnung [22].

1435B i o t e c h n o l o g i eChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 8: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

sind die Materialeinsparung unmittelbar am Produkt, dieVerlaÈ ngerung seiner Lebensdauer oder die ProduktruÈ ck-nahme und -verwertung. Bestrebungen in diese Richtungensind in vielen Bereichen bereits zu beobachten, so z. B. derTrend zu ¹intelligentemª Leichtbau (geringerer Materialein-satz bei gleichen Festigkeitswerten), kleineren Aggregatenund Miniaturisierung bei Konsum- und InvestitionsguÈ tern.

Chancen zur ErhoÈ hung der Ressourceneffizienzergeben sich sowohl auf dem Gebiet der Materialsubstitu-tion und der Entwicklung neuer Materialien, als auch durchOptimierungen im Strukturdesign bei bereits verwendetenWerkstoffen. Die ersten Erfolge am Markt zeigen, dassauch ein verminderter Ressourceneinsatz fuÈ r das eigent-liche Produkt wirtschaftlich attraktiv sein kann.

In einer ErhoÈ hung der Ressourcen-RentabilitaÈ tliegt somit ein nicht zu vernachlaÈ ssigendes Kostensen-kungspotenzial. Ein Umweltkostenmanagement, welchesauf einer Erfassung und monetaÈ ren Bewertung der Stoff-und EnergiestroÈ me basiert, kann zugleich oÈ kologischeSchwachstellen und RessourceneinsparmoÈ glichkeiten auf-zeigen. Dies hat zur Folge, dass bei zunehmender Kenntnisvon Aufkommen und Struktur der umweltrelevanten Kostendas Potential an KostensenkungsmoÈ glichkeiten steigt.

3.3 Informationen und Ableitung vonHandlungsregeln

ÛberfuÈ hrt man die Aussagen der beiden Informationssy-steme in eine Entscheidungsmatrix (s. Abb. 4), dann sindzwei eindeutige Strategieempfehlungen ableitbar. Sind bei-de Informationen unguÈ nstig, dann ist die Innovation abzu-lehnen (Feld I). Ein Optimum ist erreicht, wenn die neuenVerfahren eine hoÈ here RentabilitaÈ t bei positiven oÈ kologi-schen Effekten aufweisen (Feld IV). Probleme treten aller-dings auf, wenn die Vektoren in unterschiedliche Richtun-gen weisen. Ist wie in Feld II ¹nurª der oÈ konomische Effektunbefriedigend, so sind die oÈ konomischen Randbedingun-

gen zu verbessern; falls dies nicht gelingt, ist der Prozesszu verwerfen bzw. muss von Null an neu geplant werden.Problematisch ist insbesondere der Umgang mit einempositiven Preisvektor und einem negativen Úkovektor(Feld III). Sollte der Prozess oÈ kologisch nicht zu verbessernsein, ist ein AbwaÈ gen im Kontext des gesamten betrieblichenWertesystems notwendig, welches aufgrund einer bereitsvorliegenden UmwelterklaÈ rung der Unternehmung aucheine Verantwortung uÈ ber die oÈ kologischen Folgewirkungender betrieblichen TaÈ tigkeiten beinhaltet.

Ûberlegungen zur Wertsynthese sind dann anzu-stellen, wenn der Preis- und der Úkologievektor in unter-schiedliche Richtungen weisen. Ebenso sind AbwaÈ gungs-uÈ berlegungen erforderlich, wenn z. B. innerhalb eines supe-rioren Prozesses (im Idealfall das biotechnologische Verfah-ren) verschiedene Rohstofflieferanten in Frage kommen, dieaufgrund unterschiedlicher Ausbeuten bzw. variierenden¹oÈ kologischen RucksaÈ ckenª zu divergierenden ErgebnissenfuÈ hren. Hier ist zu pruÈ fen, inwieweit die Informationen ineinem ganzheitlichen Rechnungssystem verwendet bzw.wie eindeutige Informationen generiert werden koÈ nnen.Auch wenn das Problem an dieser Stelle nicht geloÈ st werdenkann, ist es doch moÈ glich, einen Anforderungskatalog andieses einheitliche Informationssystem aufzustellen, dersich wie folgt darbietet:1. Es sollte in dem Sinne integrativ sein, dass oÈ kologische

und oÈ konomische Informationen verarbeitet sowie In-formationsbeschaffung und Informationsverwendungaufeinander aufbauend ermoÈ glicht werden.

2. Es sollte modular aufgebaut sein, um Ønderungen desWissens sowie unternehmensspezifische SituationenberuÈ cksichtigen zu koÈ nnen und Anpassungen zu er-moÈ glichen.

3. Es sollte innerbetrieblich nutzbar, aber auch fuÈ r Auûen-stehende nachvollziehbar sein.

4. Es sollte eindeutige Informationen liefern.5. Es sollte Lernprozesse ermoÈ glichen, in Gang halten und

unterstuÈ tzen.6. Es sollte der Rechenschaftslegung

dienen und demzufolge transparentsein.

Tab. 2 fasst ausgewaÈ hlte MoÈ g-lichkeiten einer Integration der Infor-mationssysteme zusammen.

BezuÈ glich des Anforderungs-kataloges weisen A und B1 WiderspruÈ -che zu der Forderung nach Eindeutig-keit auf, insofern werden auch die For-derungspunkte eins, zwei und drei tan-giert. Probleme resultieren daruÈ ber hin-aus aufgrund der unterschiedlichenzeitlichen, sachlichen und raÈ umlichenSystemgrenzen von Kostenrechnungund Umweltinformationssystem. B2auf der anderen Seite scheint trotz derin der Tabelle genannten EinschraÈ n-kungen am ehesten geeignet zu sein,die Anforderungen zu erfuÈ llen und bie-tet die meisten Freiheitsgrade.

Abbildung 4.GegenuÈ berstellung der Informationssystemeund Handlungsempfehlung.

1436 Û B E R S I C H T S B E I T R Ø G EChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 9: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

4 Sachstand und Ausblick

Bilanziert man die AusfuÈ hrungen, so lassen sich folgendeKernaussagen und Forderungen nennen.± Der IU liefert einen betraÈ chtlichen Beitrag zur Kosten-

entlastung der Unternehmen bei gleichzeitiger Scho-nung der Umwelt.

± Am vielversprechendsten ist eine fruÈ hzeitige Integra-tion des IU in den betrieblichen Planungsprozess.Hier bietet der betriebliche Innovationsprozess diegroÈ ûten Potenziale.

± In der chemischen Industrie sind bei der Substitutionchemischer durch biotechnologische Prozesse vor allemin der Produktion von Feinchemikalien hohe Umwelt-entlastungspotenziale zu identifizieren.

± Insbesondere Enzyme weisen aufgrund ihrer katalyti-schen Eigenschaften auf attraktive Anwendungsfelderhin.

± Der IU muss sich oÈ kologisch und oÈ konomisch rechnen;dafuÈ r sind Informationsinstrumente wie Úkobilanz undWirtschaftlichkeitsrechnungen notwendig.

± Die parallele Betrachtung oÈ konomischer und oÈ kologi-scher Effekte stellt aus methodischer Sicht ein Problemdar und erfordert vor dem Hintergrund der Entschei-dungsunterstuÈ tzung geeignete Amalgamationsverfah-ren.

In den Projekten im Zusammenhang mit der Ami-nosaÈ ureproduktion wird bei der Úkobilanz eine ¹cradle-to-the-gateª-Systemabgrenzung vorgenommen. Betrachtetwerden die Vorketten, d. h. Anbau der Proteinlieferantenim landwirtschaftlichen Sektor und im weiterverabeitendenSektor. BegruÈ ndet ist dies darin, dass zum einen eine auchoÈ kologisch verantwortbare Entscheidung die Vorketten nichtausklammern darf und hier innerhalb einzelner Produktli-nien, d. h. je nachdem, welcher AminosaÈ urelieferant in Fragekommt, deutlich unterschiedliche UmweltveraÈ nderungen zuberuÈ cksichtigen sind. Die Ausgrenzung der Weiterverarbei-tungswege auf der anderen Seite ist darin begruÈ ndet, dassaufgrund der speziellen Marktsituation im AminosaÈ ure-

markt nicht genuÈ gend Wissen uÈ ber die einzelnen Wegeder AminosaÈ uren vorliegt, aber auch darin, dass nicht imklassischen Sinne recycelt wird, sondern AminosaÈ urenz. B. als diaÈ tetische NahrungsergaÈ nzung oder uÈ ber parente-rale ErnaÈ hrung in den Stoffwechsel des Menschen gelangen.

Auf prozesslicher Ebene wird der Produktionsab-lauf unter oÈ kologischen und oÈ konomischen Aspekten detail-lierter untersucht. Da jedoch nicht das gesamte Zusammen-spiel simultan beobachtet werden kann, werden hier mitHilfe von Arbeitshypothesen und unter Nutzung von ceterisparibus-Annahmen die Prozesse abgebildet, wobei insofernkeine Feinjustierung erfolgt, als im Wesentlichen black-box-Modelle angewendet werden. Auch wenn konkrete Aussa-gen zu dem jetzigen Zeitpunkt sicherlich verfruÈ ht waÈ ren,sind Hypothesen bereits aufstellbar. BezuÈ glich der traditio-nellen und der biotechnologischen Verfahren ist zu vermu-ten, dass die letzteren dahingehend Vorteile aufweisen, dass± geringere Salzfrachten anfallen,± eine hoÈ here Effizienz (Ausbeute) erreicht und damit

verbunden ein geringerer Rohstoffverbrauch bei denInputfaktoren erzielt wird,

± kostenrechnerische Vorteile aufgrund geringerer Auf-bereitungskosten entstehen und

± weniger Prozessschritte zur Herstellung notwendigsind. Die FlexibilitaÈ t bzgl. der Anlagenauslastung steigtsomit. Nachfrageschwankungen koÈ nnen dadurch bes-ser ausgeglichen werden.

Falls diese Hypothesen bestaÈ tigt werden, ist diesohne Zweifel ein hervorragender Grund fuÈ r den Einsatz desIU. Letztlich sollte man sich jedoch vor Augen halten, dass IUin sich die Gefahr einer Technologiefixierung birgt und da-mit den Glauben zementiert, technischer Fortschritt sei einHeilmittel zur Behebung aller oÈ kologischer MissstaÈ nde. Hierist ein Umdenken vonnoÈ ten, denn langfristig kann IU dazubeitragen, das Blickfeld fuÈ r differenziertere Sichtweisen zuoÈ ffnen.

Eingegangen am 22. September 2000 [B 6060]

Tabelle 2.MoÈ glichkeiten der Integration oÈ kologischer und oÈ konomischer Kennzahlensysteme.

Kennzahlensysteme

Integration in bestehendeRechenwerke (A)

Mehrere Kennzahlen (B1) Eine Kennzahl (B2)

Beispiel Úkologischer BAB (Betriebs-abrechnungsbogen zur VerteilungoÈ kologischer und oÈ konomischerKostenarten auf Kostenstellen)

oÈ konomisch/oÈ kologisch basierteKennzahlen wie:± Energieverbrauch pro Outputeinheit± Abfallmenge pro Outputeinheit

Nutzwert (ein entsprechendder PraÈ ferenzfunktion der Entscheiderverdichteter dimensionsloser Ordnungs-index)

pro ± PlausibilitaÈ t± Vertrautheit± geringer Aufwand

± Verdichtung der Einzel-Informationen± Generierung von Effizienzaussagen

± Verdichtung von Einzelinformationen± Offenlegung der PraÈ ferenzfunktionen± Aggregation v. Einzelwerten aufgrund

des dimensionslosen Nutzwertindex

contra ± Systemabgrenzung± Zurechnung oÈ kologischer Effekte

auf Abteilungen± Akzeptanz± Bewertung

± Unterschiedliche Richtungder Kennzahlensysteme je nachverwendetem Indikator

± Systemabgrenzung± Aggregation± Interpretation der Kennzahlen

± SubjektivitaÈ tstransfer± Skalierungsprobleme (ordinal, kardi-

nal, nominal)± VerknuÈ pfung der PraÈ ferenzordnungen

1437B i o t e c h n o l o g i eChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000

Page 10: Integrierter Umweltschutz und Biotechnologie: Ökobilanz und Wirtschaftlichkeitsrechnung im Innovationsprozess

Literatur

[1] EuroStrategy Consultants: Attitude and Strategy ofBusiness Regarding Protection of the Environmen.Common Environmental Framework, S. 81, BruÈ ssel,1995, zit. nach DY L L I C K , T.; B E L Z , F.; S C H N E I D E W I N D, U.:Úkologie und WettbewerbsfaÈ higkeit, Hanser-Verlag, MuÈ nchen 1997, S. 103.

[2] K R E U Z B U R G, J.UmweltoÈ konomische und umweltpolitischeAspekte des integrierten Umweltschutzes,Korrespondenz Abwasser 44 (1997) 6, S. 1048/1055.

[3] S O L B A C H , D.Integrierter Umweltschutz, internationale Wett-bewerbsfaÈ higkeit und StandortqualitaÈ t, TransferVerlag, Regensburg 1998, S. 221 f.

[4] S T R E B E L , H .Merkmale des integrierten Umweltschutz, in:Integrierter Umweltschutz: Eine Herausforderungan das Innovationsmanagement (Hrsg.: K R E I K E B AU M ,H .), Gabler Verlag, Wiesbaden 1990, S. 3/16.

[5] Ifo Institut fuÈ r Wirtschaftsforschung: Additiver undintegrierter Umweltschutz und dessen Bedeutungim internationalen Wettbewerb, Gutachten imAuftrag des BuÈ ros fuÈ r TechnikfolgenabschaÈ tzungbeim Deutschen Bundestag (TAB), MuÈ nchen 1994,S. 282 f.

[6] Fonds der Chemischen Industrie: Chemie ±Forschung fuÈ r die Umwelt, Schriftenreihe desFonds der Chemischen Industrie 30, Frankfurt/M.1988, zit. in: S T R Û M P E L , B.; L O N G O L I U S, S.: Leitbilderdes integrierten Umweltschutzes zwischen Hand-lungsprogramm und Leerformel, in: IntegrierterUmweltschutz ± Eine Herausforderung fuÈ r dasInnovationsmanagement (Hrsg.: K R E I K E B AU M , H .),Gabler, Wiesbaden 1990, S. 73/86.

[7] K AT Z E R , W.Umweltschutz in der chemischen Industrie, in:Integrierter Umweltschutz ± Eine HerausforderungfuÈ r das Innovationsmanagement (Hrsg.: K R E I K E -

B AU M , H .), Gabler, Wiesbaden 1990, S. 137/153.

[8] F I S C H E R , H .Environmental Cost Management, in: Umwelt-kostenmanagement ± Kosten senken durch praxis-erprobtes Umweltcontrolling (Hrsg.: F I S C H E R , H .;W U C H E R E R , C.; W A G N E R , B.; B U R S C H E L , C.), Hanser-Verlag, MuÈ nchen 1997, S. 1/27.

[9] D R E Y E R , P.Úkologisches Life Cycle Assessment (LCA) alsInstrument des Umweltmanagements: Integrationin betriebliche AblaÈ ufe und Strukturen, Transfer-Verlag, Regensburg 1997.

[10] C A D U F F, G.Integration oÈ kologischer Aspekte in die Produkt-entwicklung, in: Úkologische Produktgestaltung:Stoffstromanalysen und Úkobilanzen als Instru-mente der Beurteilung (Hrsg.: S C H I M M E L P F E N N I G, L .;L Û C K , P.), Springer Verlag, Berlin 1999, S. 53/68.

[11] S T E I N B A C H , A .Nachhaltige Kostensenkung mit Methode, EuropaChemie 33 (1999) 19.

[12] S E R G E R , H .; TO S T M A N N, R .Aspekte der Diffusion generischer Technologienin Deutschland ± Betrachtungen zur neuen Bio-technologie unter besonderer BeruÈ cksichtigung derGentechnologie, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M.2000, S. 239/286.

[13] H E I D E N, S.Integrierte Biotechnologie, in: Industrielle Nutzungvon Biokatalysatoren: Ein Beitrag zur Nachhaltig-keit, 15. OsnabruÈ cker UmweltgespraÈ che (Hrsg.:H E I D E N, S.; B O C K , A .-K .; A N T R A N I K I A N, G.), Berlin 1999,S. 1/37.

[14] Umweltbundesamt: Stand der MoÈ glichkeitenvon prozessintegrierten PraÈ ventivtechnikenzur Vermeidung oder zur Verminderung vonUmweltbelastungen, UBA-Text (1998) 68, S. 27 f.

[15] A N T R A N I K I A N, G.Prozess-Innovation durch industrielle Applikationvon Extremozymen, in: Industrielle Nutzung vonBiokatalysatoren: Ein Beitrag zur Nachhaltigkeit,15. OsnabruÈ cker UmweltgespraÈ che (Hrsg.: H E I D E N,S.; B O C K , A .-K .; A N T R A N I K I A N, G.), Berlin 1999, S. 39/48.

[16] S A H M , H .; F R E U D L , R .; S P R E N G E R , G.Molekularbiologische Strategien zur Herstellungvon Enzymen, in: Industrielle Nutzung von Bio-katalysatoren: Ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, 15.OsnabruÈ cker UmweltgespraÈ che (Hrsg.: H E I D E N, S.;B O C K , A .-K .; A N T R A N I K I A N, G.) , Berlin 1999, S. 27/38.

[17] ISO 14040: Environmental Management, Life CycleAssessment ± Principles of Framework, Geneva1997.

[18] SETAC (Ed.): Guidelines for Life-Cycle Assess-ment: A ¹Code of Practiceª, from a workshop heldat Sesimbra, Portugal, 31.3/3.4.93, BruÈ ssel 1993.

[19] UBA: Úkobilanzen fuÈ r Produkte, Bedeutung ±Sachstand ± Perspektiven, Berlin 1992.

[20] B E Y E R , H .-M .; S C H M I D T, W.-P.Vereinfachte Úkobilanzen (Streamlined-/Screen-ing-LCA) ± Ein Konzept fuÈ r interne Anwendungen;in: Úkobilanzen VI.; 17. Seminar im Rahmen derUTECH Berlin '98 ± Umwelttechnologieforum vom19./20. Febr. 1998, Berlin.

[21] F I S C H E R , H ., W U C H E R E R , C., W A G N E R , B., B U R S C H E L , C.Umweltkostenmanagement, Hanser-Verlag,MuÈ nchen 1997.

[22] Bundesumweltministerium, Umweltbundesamt(Hrsg.): Handbuch Umweltkostenrechnung,Vahlen, MuÈ nchen 1996.

[23] F I C H T E R , K .; L O E W, T.; S E I D E L , E .Betriebliche Umweltkostenrechnung, Springer,Berlin 1997.

[24] L U D W I G, A .Entwurf eines oÈ konomisch-oÈ kologischen Rech-nungswesens, Peter Lang, Frankfurt/M. 1999.

[25] F I S C H E R , H .; B L A S I U S, R .Umweltkostenrechnung, in: Handbuch Umwelt-controlling (Hrsg.: Bundesumweltministerium undUmweltbundesamt), Vahlen, MuÈ nchen 1995.

1438 Û B E R S I C H T S B E I T R Ø G EChemie Ingenieur Technik (72) 12 I 2000