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3 Verehrte Leserinnen und Leser, es ist mir eine Freude, mich an die- ser Stelle an Sie wenden und einige Betrachtungen über Tschechien und die vom Staat betriebene Agentur CzechTourism, deren Anliegen die Werbung für die böhmischen Lande als eine anziehende touristische De- stination in In- und Ausland ist, an- stellen zu dürfen. Tschechien kann sich rechtens unter die ausgesuchten Reiseziele Mittel- europas einreihen. Seine natürliche Schönheit verbindet sich mit kunst- vollen Schöpfungen menschlichen Fleißes und seine Kulturdenkmäler heischen nicht grundlos nach Anerken- nung. Mit seiner Geschichte, Kultur und Architektur zieht es in steigendem Maße Besucher aus aller Welt in sei- nen Bann. Unser Land kann stolz sein auf seine von zahlreichen Wander- und Radwanderwegen durchzogenen Landschaften, den Reichtum an Se- henswürdigkeiten, die malerischen Städte und Kurbäder, die nicht von Heil- sondern auch von Erholungs- bedürftigen aufgesucht werden. Zu dem begrenzt sich die Saison nicht nur auf einige wenige Monate. Eine Reise nach Tschechien lohnt sich jeder Zeit. Egal ob es sich nun um einen längeren Urlaub oder nur um einen Wochen- endtrip handelt, in den Prospekten von Czechtourism findet ein jeder was er sucht. Für das Jahr 2007 haben wir neue themenbezogene Erlebnisreisen vor- bereitet, die unsere Gäste mit dem bekannt machen sollen, was wir mit unserem Land verknüpfen. „Tsche- chien eine erlebnisreiche Sinfonie“, so lautet unser neuer Slogan. Unser Land bietet zahlreiche Mög- lichkeiten zur aktiven und passiven Freizeitgestaltung an. Eine davon ist die Reise in die Vergangenheit, zu der viele Schlösser und Burgen, techni- sche und Kirchendenkmäler einladen. Der Trend der letzten Jahre heißt Aktivurlaub, neben Radfahren und Wandern stehen auch Adrenalin- und Wintersportarten, Agrotourismus, Jagd, Fischfang und Golf hoch im Kurs. Unter dem Stichwort „Erlebnisurlaub“ wird dem Tschechienbesucher mit Gau- menfreuden und anderen Vergnüg- lichkeiten aufgewartet. Bereits beliebt und eingeführt sind Bäderreisen und Kongreß- und Messenbesuch. In den letzten Jahren verzeichnet das Land einen Zustrom ausländischer Touristen. Die Agentur CzechTourism ist be- müht, durch ein breitgefächertes An- gebot allen Wünschen gerecht zu wer- den. Als ihr Direktor wünsche ich eine „Sinfonie“ von Erlebnissen hierzulande. Rostislav Vondruška Direktor der Agentur CzechTourismus Gastkommentar Inhalt Die Zeitschrift Im Herzen Europas erscheint sechsmal jährlich und vermittelt auf ihren Seiten ein Bild über das Leben in der Tschechischen Republik. Die Beiträge präsentieren die Ansichten ihrer Autoren und müssen nicht mit den offiziellen Standpunkten der tschechischen Regierung übereinstimmen. Der Nachdruck der publizierten Materialien ist nur mit Zustimmung des Herausgebers gestattet. Abonnementbestel- lungen sind an die Redaktion der Zeitschrift zu richten. Herausgegeben vom Verlag Theo in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium der Tschechischen Republik. Anschrift der Redaktion: J. Poppera 18, 530 06 Pardubice, Česká republika Chefredakteur: Pavel Šmíd Graphische Redaktion: Karel Nedvěd Vorsitzender des Redaktionsbeirats: Zuzana Opletalová, Leiter der Pressestelle des Außenministeriums der ČR und Pressesprecher des Außenministers Redaktionsbeirat: Libuše Bautzová, Pavel Fischer, Vladimír Hulec, Robert Janás, Milan Knížák, Martin Krafl, Eva Ocisková, Tomáš Pojar, Jan Šilpoch, Petr Vágner, Petr Volf, Marek Skolil Deutsche Übersetzung: Institut für Germanistik Philosophische Fakultät der Masaryk-Universität Brno Druck: VČT Sezemice ISSN 1211–9296 Theo Verlag – Internet: http://www.theo.cz E-Mail: [email protected] „Wir werben für ein barrierefreies Europa“, sagt Alexandr Vondra, Ministerpräsident für Europäische Angelegenheiten Seite 4 – 7 Flughafen für das dritte Jahrtausend Prager Flugplatz feiert seinen 70. Geburtstag Seite 8 – 11 Radfahrer willkommen Kilometerweite Radwege in leicht gewellter Landschaft erwarten Anhänger des Radsports Seite 12 – 15 Unterwegs auf fremden Wassern Moldau, Sazawa und March halten manch eine Überraschung bereit Seite 16 – 19 Galerie Kubany-Urwald alt und unzugänglich Seite 20 – 21 Ostböhmische Fischteiche Das natürliche Gleichgewicht einer Landschaft wird wiederhergestellt. Seite 22 – 25 Dem Ruf der Ferne erlegen Nicht alles vermochten die Kommunisten zu verbieten. Seite 26 – 29 Vergessene Flußbezwinger Mit dem Bau der Moldau-Talsperren ging ein jahrtausendealtes Handwerk unter Seite 30 – 33 Puzzle Tschechien Bilder, Bergsteiger, Museen und kein Sommerloch Seite 34 – 35 Alle Regime überlebt Prager Vltavan – ältester Verein hierzulande Seite 36 – 38

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Verehrte Leserinnen und Leser,

es ist mir eine Freude, mich an die-ser Stelle an Sie wenden und einigeBetrachtungen über Tschechien unddie vom Staat betriebene AgenturCzechTourism, deren Anliegen dieWerbung für die böhmischen Landeals eine anziehende touristische De-stination in In- und Ausland ist, an-stellen zu dürfen.

Tschechien kann sich rechtens unterdie ausgesuchten Reiseziele Mittel-europas einreihen. Seine natürlicheSchönheit verbindet sich mit kunst-vollen Schöpfungen menschlichenFleißes und seine Kulturdenkmälerheischen nicht grundlos nach Anerken-nung. Mit seiner Geschichte, Kulturund Architektur zieht es in steigendemMaße Besucher aus aller Welt in sei-nen Bann. Unser Land kann stolz seinauf seine von zahlreichen Wander-und Radwanderwegen durchzogenenLandschaften, den Reichtum an Se-henswürdigkeiten, die malerischenStädte und Kurbäder, die nicht vonHeil- sondern auch von Erholungs-bedürftigen aufgesucht werden. Zudem begrenzt sich die Saison nicht nurauf einige wenige Monate. Eine Reisenach Tschechien lohnt sich jeder Zeit.Egal ob es sich nun um einen längerenUrlaub oder nur um einen Wochen-endtrip handelt, in den Prospektenvon Czechtourism findet ein jeder waser sucht.

Für das Jahr 2007 haben wir neuethemenbezogene Erlebnisreisen vor-bereitet, die unsere Gäste mit dem

bekannt machen sollen, was wir mitunserem Land verknüpfen. „Tsche-chien – eine erlebnisreiche Sinfonie“,so lautet unser neuer Slogan.

Unser Land bietet zahlreiche Mög-lichkeiten zur aktiven und passivenFreizeitgestaltung an. Eine davon istdie Reise in die Vergangenheit, zu derviele Schlösser und Burgen, techni-sche und Kirchendenkmäler einladen.Der Trend der letzten Jahre heißtAktivurlaub, neben Radfahren undWandern stehen auch Adrenalin- undWintersportarten, Agrotourismus, Jagd,Fischfang und Golf hoch im Kurs.Unter dem Stichwort „Erlebnisurlaub“wird dem Tschechienbesucher mit Gau-menfreuden und anderen Vergnüg-lichkeiten aufgewartet. Bereits beliebtund eingeführt sind Bäderreisen undKongreß- und Messenbesuch. In denletzten Jahren verzeichnet das Landeinen Zustrom ausländischer Touristen.

Die Agentur CzechTourism ist be-müht, durch ein breitgefächertes An-gebot allen Wünschen gerecht zu wer-den. Als ihr Direktor wünsche ich eine„Sinfonie“ von Erlebnissen hierzulande.

Rostislav VondruškaDirektor der Agentur CzechTourismus

Gastkommentar

Inhalt

Die Zeitschrift Im Herzen Europas erscheint sechsmal jährlichund vermittelt auf ihren Seiten ein Bild über das Leben inder Tschechischen Republik. Die Beiträge präsentieren dieAnsichten ihrer Autoren und müssen nicht mit den offiziellenStandpunkten der tschechischen Regierung übereinstimmen.Der Nachdruck der publizierten Materialien ist nur mitZustimmung des Herausgebers gestattet. Abonnementbestel-lungen sind an die Redaktion der Zeitschrift zu richten.Herausgegeben vom Verlag Theo in Zusammenarbeit mit demAußenministerium der Tschechischen Republik.Anschrift der Redaktion:J. Poppera 18, 530 06 Pardubice, Česká republikaChefredakteur: Pavel ŠmídGraphische Redaktion: Karel NedvědVorsitzender des Redaktionsbeirats: Zuzana Opletalová, Leiter der Pressestelle des Außenministeriums der ČRund Pressesprecher des AußenministersRedaktionsbeirat: Libuše Bautzová, Pavel Fischer, VladimírHulec, Robert Janás, Milan Knížák, Martin Krafl, Eva Ocisková,Tomáš Pojar, Jan Šilpoch, Petr Vágner, Petr Volf, Marek Skolil

Deutsche Übersetzung: Institut für GermanistikPhilosophische Fakultät der Masaryk-Universität BrnoDruck: VČT Sezemice

ISSN 1211–9296

Theo Verlag – Internet:http://www.theo.czE-Mail: [email protected]

„Wir werben für einbarrierefreies Europa“,sagt Alexandr Vondra, Ministerpräsidentfür Europäische AngelegenheitenSeite 4–7

Flughafen für das dritteJahrtausendPrager Flugplatz feiert seinen70. GeburtstagSeite 8–11

Radfahrer willkommenKilometerweite Radwege in leichtgewellter Landschaft erwartenAnhänger des RadsportsSeite 12–15

Unterwegs auf fremden WassernMoldau, Sazawa und March haltenmanch eine Überraschung bereitSeite 16–19

GalerieKubany-Urwald – alt undunzugänglichSeite 20–21

Ostböhmische FischteicheDas natürliche Gleichgewicht einerLandschaft wird wiederhergestellt.Seite 22 – 25

Dem Ruf der Ferne erlegenNicht alles vermochten dieKommunisten zu verbieten.Seite 26–29

Vergessene FlußbezwingerMit dem Bau der Moldau-Talsperren gingein jahrtausendealtes Handwerk unterSeite 30–33

Puzzle TschechienBilder, Bergsteiger, Museen– und kein SommerlochSeite 34–35

Alle Regime überlebtPrager Vltavan – ältester VereinhierzulandeSeite 36–38

Alexandr (Sascha) Vondra ist einerder beliebtesten Politiker und Diploma-ten Tschechiens, wohl nicht zuletztauch deshalb, weil er sich aktiv am anti-kommunistischen Widerstand beteiligteund seiner Ansichten wegen auch eineGefängnisstrafe zu verbüßen hatte.Seine vorjährige Kandidatur in denSenat unterstützte der Senator JaromírŠtětina mit den Worten: „Der DissidentSascha Vondra hat seine antikommuni-stische Tätigkeit nie zur Schau gestellt.Wie damals so vermag er auch heutedie Imperative des Gewissens und desVerstandes zu verbinden.

Der heute Sechsundvierzigjährigewird von der Presse als der tschechische

„Herr Europa“ bezeichnet, in seinemKonzept geht er davon aus, daß dieTschechen innerhalb der EU zu neuem„Selbstbewußtsein erwachen“.

Seine Arbeit kennzeichnet Solidi-tät, sein politisches Profil Unwan-delbarkeit und das Festhalten an ein-mal gewonnenen Ansichten. Aus denJahren, die er als Dissident und imUntergrund zubrachte, hat er eine ge-wisse Kultur in die Politik einge-bracht. Während seiner Wahlkampagnezum Senator verzichtete er, wiewohlAußenminister, bei seinen Auftrittenauf Personenschutz.

„Wir werben für ein barrierefreies Europa“,

sagt Alexandr Vondra, Ministerpräsident für Europäische Angelegenheiten.

4 Václav Malý, Václav Havel, Eda Kriseová, Alexandr Vondra, Anna Šabatová, Jan Čarnogurský und andere Dissidenten beim Treffen der Tschechoslowakisch-

Polnischen Solidarnosć, Sommer 1989

Mehr als eine halbe Million Menschen kamen auf dem Prager Flughafengelände zusammen,um den Sturz der kommunistischen Regierung zu unterstützen. Auf der Tribüne (von rechts

nach elinks): Saša Vondra, Tomáš Hradílek und Dana Němcová, 26.Nov. 1989

„Nach der Revolution“ mit Stanislav Devátý und Jana Petrová-Marcová, 1990 Mit Václav Havel als Vertreter des Bürgerforums bei Verhandlungen mit kommunistischen Machthabern, Dezember 1989

InterviewBetrachtet man die Verhältnisse in der

Politik, so geht es um ein immer nochseltenes Phänomen: Für Medien undÖffentlichkeit ist er ganz einfach tele-fonisch zu erreichen, Bitten um ein In-terview lehnt er auch den Zeitschriftennicht ab, die kritisch über ihn schreiben.

Wochenzeitschrift Respektüber Alexander Vondra

Er vertritt die Idee einerZivilgesellschaft mit offenerDemokratie, seine Weltan-schauung wird durch seinSchicksal belegt. Von 1979bis 1984 studierte er an derNaturwissenschaftlichen Fa-kultät der Prager Karls-Uni-versität Geographie. Schonbald fand er zur demokrati-schen Opposition. Aus eige-nem Antrieb verließ er dieFakultät und arbeitete einigeJahre als Kurator der asiati-schen Sammlungen des Ná-prstek-Museums im SchloßLiběchov.

In den achtziger Jahren war er Ma-nager der Underground-Rockband Ná-rodní třída, in der junge Musiker, Künstler und Literaten zusammen-gefunden hatten. Gemeinsam mit Já-chym Topol und Ivan Lamper gab er als Samisdat die Zeitschrift RevolverRevue heraus, eine freie Literaturzeit-schrift, die bis in die Gegenwart über-lebt hat. Er unterhielt Kontakte mit Dis-sidenten in Ungarn, Polen und Litauenund trat 1987 der polnisch-tschechoslo-wakischen Solidarnosć bei. Er nahm andem legendären Treffen der Repräsen-

tanten der polnischen und tsche-choslowakischen Opposition an derStaatsgrenze im Riesengebirge teil undwar Mitorganisator von regelmäßigemLiteratur-, Korrespondenz- und Geräte-schmuggel über den Bergkamm.

Im Jahr 1989 wurde er Sprecher der Charta 77 und einer der Autoren der Petition Několik vět (Einige Sätze),die durch ihre Popularität den Fall deskommunistischen Regimes vorzeich-nete. Seiner Aktivitäten wegen saß er in den Gefängnissen Prag-Ruzyně und

Pankrác ein. Im November1989 gehörte er zu den Grün-dern des Bürgerforums,einer politischen Bewegung,die das Land zu den erstenfreien Wahlen führte. In derWohnung seiner Frau in derTrója-Str. im Zentrum Pragsentstand damals der Informač-ní servis, der später in die bis heute erscheinende Zeit-schrift Respekt überging.

In den 90er Jahren wirkteer zuerst als außenpolitischerBerater bei Václav Havel. Erinitiierte Treffen von Intellek-

tuellen und hohen Staatsvertretern derTschechoslowakei, Ungarns und Polensin Bratislava (Preßburg), aus denen der Visegrád-Zusammenschluß her-vorging. Später leitete er als ErsterVizeaußenminister eine Arbeitsgruppe,die den tschechoslowakischen Außen-dienst aufteilte, führte die Verhandlun-gen mit Deutschland über die Deutsch-tschechische Erklärung und leitete dieGespräche zum NATO-Beitritt Tsche-chiens ein.

Zwischen 1997 und 2001 war ertschechischer Botschafter in den Ver-einigten Staaten und später Regierungs-

5Mit der Familie im Wochenendhaus bei Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe), 2006

bevollmächtigter bei der Vorbereitungdes Nato-Gipfels in Prag. 2003 schieder auf eigenen Wusch aus dem diploma-tischen Dienst aus.

Im September 2006 wurde er zum Außenminister ernannt und imselben Jahr wurde er zum Senator für die ODS (Občanská demokratickástrana, Bürgerlich-Demokratische Par-tei) gewählt. Seit Januar 2007 beklei-det er das Amt des Ministerpräsiden-ten für Europäische Angelegenheiten.Er ist Träger verschiedener Auszeich-nungen für sein Engagement in denBereichen Menschenrechte, Demo-kratie und zwischenstaatliche Verstän-digung, u.a. die Endowment for De-mocracy Medal sowie polnische undlettische Staatspreise.

Wie bereitet sich die TschechischeRepublik auf den bevorstehendenEU-Vorsitz vor?

Die Vorbereitungen für den VorsitzTschechiens im Rat der EU im erstenHalbjahr 2009 laufen seit dem ver-gangenen Jahr auf Hochtouren. Gebil-det wurde eine aus zuständigen Fach-

leuten zusammengesetzte Arbeits-gruppe, die schon entscheidende Fort-schritte in der strategischen Begren-zung der politischen Prioritäten destschechischen Vorsitzes und in derganzen Bandbreite der organisatori-schen, administrativen und kommuni-kativen Absicherungen in Tschechienund Brüssel gemacht hat.

Gegenwärtig wird in Zusammen-arbeit mit der Ständigen Vertretungin Brüssel der erste Entwurf eines Ter-minkalenders – das Harmonogramm

der wichtigsten Verhandlungen, diein den Zeitraum unseres EU-Vorsitzesfallen – fertiggestellt. Dieser Zeitplanwird nachfolgend mit dem General-sekretariat des Rates der EU disku-tiert und korrigiert. Neu ermittelt wer-den auch die logistischen Kapazitätender einzelnen Regionen, hinsichtlichder Veranstaltung von Kongressen,Unterbringung und Verpflegung, beur-teilt werden die Gegebenheiten fürinformelle Zusammenkünfte der je-weiligen Minister. Die meisten sollen

in den Regionen stattfinden. Die Ar-beitsgruppe gibt im Herbst diesesJahres eine Reihe von öffentlichenAusschreibungen bekannt, die auf dieEinbindung von Privatfirmen zuge-schnitten sind. In der Endphase befin-det sich der Wettbewerb um das Logound den einheitlichen visuellen Stil.Intensiviert wird die Kommunikationmit den einzelnen Ressorts bei derKoordination politischer Prioritätenund der Organisation von Begleit-veranstaltungen.

Was kann Tschechien der EU an-bieten und wie sollte es sich desVorsitzes annehmen, sollte es inbestimmter Weise beispielgebendsein?

Tschechien sollte im Rahmen seinesVorsitzes den Blick der „Altländer“der EU auf die neuen Mitgliedsstaatenlenken, und darauf, wie diese deneuropäischen Vereinigungsprozeß wahr-nehmen. Dieses Anliegen spricht be-reits aus dem Motto des tschechischenVorsitzes: „Europa ohne Barrieren“,welche innere wie äußere Dimensionendes Wirkens der EU einschließt. Un-sere Aufmerksam richtet sich in erster

Alexandr Vondra läßt sich zusammen mit Reportern fotographieren (während seiner gemeinsamen Lateinamerika-Reise mit Václav Havel), 1996

Alexandr Vondra als neuer Außenminister beim gemeinsamen Fototermin mit den Missionschefs im Außenamt

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Was hat Tschechien der Welt anzu-bieten, wenn es über und für Europasteht? Was bestimmt ihre persönlicheSympathie zur tschechischen Nation,„zum kleinen tschechischen Garten“?

Ich liebe die tschechische Land-schaft, ihre Vielgestaltigkeit und Bunt-heit. Persönlich fühle ich mich derbewegten Landschaft Nordböhmensverbunden. Hinzufügen muß ich je-doch, daß es nicht nur die Landschaftist, die uns von anderen Teilen Euro-pas unterscheidet. Ich meine, dietschechische Seele machen vor allemSinn für Humor, ein durch historischeErfahrungen bestimmter Überblickund die Fähigkeit zur Selbstironie aus.

Bezeichnen wir den Teil der Welt, der„unter dem Patronat“ der USA stehtals Insel der Freiheit, so stellt sich dieFrage, ob wir bedingungslos dazu-gehören wollen. Was Tschechien unddie Menschenrechte? Bewahren wiruns in dieser Hinsicht unsere Würde?

Ein solch kleines Land wie Tschechienkann nicht allzu viele Prioritäten inder Außenpolitik setzen. Trotzdemstellen gerade die Menschenrechte

Linie auf die Bereiche Konkurrenz-fähigkeit, die vier Freiheiten (Freizü-gigkeit von Waren, Personen, Dienst-leistungen und Kapital im Rahmen derEU – Anm. d. Red.) sowie liberaleHandelspolitik.

Von den weiteren Themen, die wirins Gespräch bringen wollen, ist dieProblematik der zu erhaltenden undsicheren Energiewirtschaft zu nennensowie Beziehungen der EU über ihrenRahmen hinaus, besonders in Rich-tung Transatlantik, westlicher BalkanOsteuropa und Mittelasien. Die Prio-ritäten wurden so gewählt, daß sie sichin das allgemeine Konzept der EU ein-passen, es zugleich aber ermöglicheninnerhalb der vorgeschriebenen Agen-den etwas Eigenes einzubringen, ge-wissermaßen einen „tschechischenFingerabdruck“ zu hinterlassen.

Selbstverständlich haben wir auchdie Ambition, beispielgebend zu sein.Im ersten Halbjahr 2009 richtetTschechien alle Kräfte darauf aus, denübrigen Mitgliedsstaaten und euro-päischen Institution ein respektablerPartner zu sein, der fähig ist, all dieanspruchsvollen Aufgaben die mitdem EU-Vorsitz verbunden sind, mitBravour zu erfüllen. In diesem Sinne

können wir den anderen neuen Mit-gliedstaaten, die gleich uns zumersten Mal den Vorsitz übernehmen,zum Vorbild werden.

Worin können wir uns, Ihrer Mei-nung nach, bereits jetzt mit Europamessen?

Tschechien ist ein vollwertiger Be-standteil Europas und wir könnenuns mit jedem einzelnen seiner Teilevergleichen. Setzen sollte man dabeinicht nur auf das reiche Kulturerbe,sondern vor allem auf den Aufbaueiner Bildungsgesellschaft, dabeidenke ich aber nicht an den bloßenErwerb von Diplomen, sondern an dieFähigkeit selbstständigen theoreti-schen Denkens.

eine Priorität der tschechischen Aus-senpolitik dar. Unserer Bemühungenum die Demokratisierung z.B. in Kubaoder in Weißrußland wegen wirdunser Land respektiert, zugleich aberauch von den totalitären Systemen,nicht nur in Europa sondern in derganzen Welt, angefeindet. Länder,die sich bereits der Freiheit erfreuen,möchte ich nicht direkt als „Inseln unterdem Patronat der USA“ bezeichnen.Schließlich und endlich haben sichdie Amerikaner nicht selbst die Statueder Freiheit errichtet.

Für das Gespräch dankt die Redaktion.Redaktion

Photos: Archiv Alexandr Vondra, ČTK (Tschechische Presseagentur),

AP/Jan Bauer, Archiv Anna Šabatová, Petr Uhl, Archiv Redaktion

Alexandr Vondra als Außenminister bei Gesprächenmit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier, 2006

Zusammen mit der Rock-Legende Lou Reed in New York, 1998 7

8 Abschluß der Bauarbeiten, 1937

Flughafengelände, 1957

„Schwer zu sagen, welchem Schicksalder größte tschechische Flugplatz ent-gegen sähe, hätte sich die Auswahlkom-mission Ende der 20er Jahre für denavantgardistischen Entwurf entschieden,den neuen Flugplatz auf einer giganti-schen Plattform im Bereich des heutigenMasaryk-Bahnhof zu errichten“, denktLubomír Dudáček, der ehemalige Ge-neraldirektor der Tschechischen Flug-platzverwaltung und Historiker des Flug-wesens zurück. „Die Kommission votierteschließlich für die leicht gewellte Ebeneunweit der Ortschaft Ruzyně, dessen Vor-zug in der Weitläufigkeit des Geländesund der Stadtnähe lag. Die eigentlichenBauarbeiten im funktionalistischen Stilverliefen in den Jahren 1933-1937. Dasendgültige Gesicht des Flughafens wurde

auf der Weltausstellung in Paris 1937 miteiner Goldmedaille prämiert.“

Während die Statistiker 1937 die Rei-senden in Tausenden zählten, sind es um 70 Jahre später Millionen, genauer gesagt elfeinhalb Millionen allein im Jahre 2006.Für die Zukunft rechnet man mit 20 Mil-lionen abzufertigenden Passagieren jähr-lich. Prag ist nämlich der nächstliegendeFlughafen für 8 Millionen Tschechen, 4 Millionen Deutsche und 6 Millionen Polen.Der Geschäftsführer des Flugplatzes JiříPos führt an: „Unter den neuen EU-Ländernsind wir am erfolgreichsten, im nächstenJahr bietet sich noch dazu Gelegenheit, denVorsprung seines größten Konkurrenten,des Wiener Flughafens zu verringern. Zum

Flughafen für das dritte Jahrtausend

Luftaufnahme, 1938

Landung des ersten Flugzeugs in Prag-Ruzyně

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Flughafengelände, 1930er Jahre VerkehrAm 5. April 1937 landete auf dem

Flughafen in Prag-Ruzyně das ersteFlugzeug der TschechoslowakischenFluggesellschaft der innerstaatlichenLinie Piešťany-Zlín-Brno-Prag. Diedamaligen Statistiken zählten dieFluggäste in Tausenden, heute, um70 Jahre später, sind es Millionen.

1. Januar 2008 tritt Tschechien dem Schen-gen-Abkommen bei und Prag könnte so zueinem alternativen Tor zu Süd- und Ost-europa werden“.

Der 70. Jahrestag des Flughafens ist keinebloße historische Erinnerung, den größtenAnteil an seinem gegenwärtigen Erfolg ha-ben all jene, die ihn vor 70 Jahren erbauten.„Die Anlage des Flugplatzes ist – vom heu-tigen Standpunkt gesehen – so günstig, funk-tional, ja ich möchte sogar sagen so vor-ausschauend angelegt, das all unsere weite-ren Schritte nichts anderes sind, als seineFortsetzung“, erklärt die Generaldirektorindes Prager Flughafens Hana Černochová.„Die ursprünglichen Gebäude, insbesonderedie Abfertigungshalle, entsprechen von derpraktischen wie der ästhetischen Seite herallen Ansprüchen. Das erste Flughafenge-bäude steht seiner baulichen Einmaligkeitwegen unter Denkmalschutz“. „Ruzyně“ ent-wickelte sich in den ersten Jahren seinesBestehens in eine selbstständige Stadt undein internationales Luftfahrtszentrum. Seinevielversprechende Entwicklung wurde 1939durch die Okkupation gebremst. Die deut-sche Luftwaffe richtete hier eine Flieger-schule ein. Als sich die Deutschen in derNacht vom 7. zum 8. Mai 1945 vom Flug-hafen zurückzogen, schafften sie es noch,die Zufahrt zum Flugplatz und die Abfer-tigungshalle zu verminen. Nur das Zusam-menspiel verschiedener Zufälle verhinderte

die Explosion. Nach dem Krieg wurde derBetrieb wieder aufgenommen und bereitsein knappes Jahr später landete das ersteinterkontinentale Flugzeug. Nach der Lan-dung der Lockheed L-049 Constellation derGesellschaft Pan America erklärten derenVertreter den Prager Flughafen zum bestenauf dem europäischen Kontinent.

Zu einem Boom bei den Fernflügen kames allerdings erst in den 70er Jahren, als dieČeskoslovenské aerolinie exotische Zielewie Kuba, Dakar, Damaskus, Bagdad oderSingapur für ihre Kunden erschloß. 1960-1968 wurde nördlich vom ehemaligen Flug-platz ein neuer gebaut, das Terminal Nord.Die feierliche Eröffnung des neuen tech-nischen Blocks mit Kontrollturm und Ab-fertigungshalle mit einer Kapazität für dieAbfertigung von 2 Millionen Reisendenjährlich lief am fünfzehnten Mai 1968 überdie Bühne. Gleich darauf hatte der neueröffnete Flughafen seine Feuerprobe zubestehen. In der Nacht zum 22. Augustwurde er völlig für den Zivilverkehr ge-sperrt und zur Landefläche für die Okku-pationsarmeen des Warschauer Paktes.

Heute gehen die meisten Flüge nach Lon-don, Paris, Frankfurt und Amsterdam. Fünf-zig Fluggesellschaften verbinden die Stadtmit 120 Orten auf der Welt. Dem ambi-tiösen Prag, als europäische Metropole undmöglicherweise auch als zukünftige Olym-piastadt, hilft die neu eingerichtete Direkt-

Begrüßung der tschechischen Piloten der RAF bei ihrer Ankunft in der Heimat, 1945

Flughafen in den 1960er Jahren

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Luftaufnahme, Gegenwart

verbindung zum amerikanischen Kontinent.Seit Mai dieses Jahres steht den Reisendendie Linie Prag-Atlanta offen. Fünf Malwöchentlich startet eine Boeing 767 der Gesellschaft Delta Airlines in Zusammen-arbeit mit der tschechischen Aerolinie(ČSA) mit bis zu 230 Passagieren an Bord.Der Prager Oberbürgermeister Pavel Bémhofft darauf, daß dieser Flieger mehr ameri-kanische Touristen nach Tschechien bringt.„Neben der regelmäßigen Verbindung nachNew York eröffnen sich den Reisenden ausTschechien alternative Anflugsorte in denUSA“, läßt sich Bém hören. Prag ist näm-lich die erste Stadt Osteuropas, die eineLinie nach Atlanta unterhält.

Die meistgenutzte Dienstleistung einesjeden Flugplatzes ist der Abfertigungsser-vice für die Fluggäste und ihr Gepäck.Sechs große ausländische Fluggesellschaf-ten, die auf dem Prager Flughafen agieren,bieten ihren Kunden die Abfertigung perInternet von Haus bzw. Büro aus an. DieČSA (České státní aerolinie) bereitet sichbereits auf diesen Schritt vor. „Der an-spruchsvollen Klientel bieten wir gegenAufschlag verschiedene VIP-Sonderleistun-gen an, Abfertigung ohne Formalitäten beiAbflug und Landung, ebenso Service fürSonder-Veranstaltungen, angefangen bei Ge-schäftstreffen bis zum Empfang von Zele-

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Taufe der Boeing mit dem Panorama der PragerBurg, 2007

britäten oder Sportlern. Wir vergessen aberauch die übrigen Reisenden nicht, für welchewir in den Verbindungsräumen zwischen denTerminals eine spezielle Zone zu Ruhe undErholung einzurichten gedenken“, führt JiříPos an. Ein Beispiel für die zu erwartendenVeränderungen stellt das kürzlich eröffneteTransithotel dar, das Fluggästen, die auf einenAnschluß warten, ein Maximum an Komfortund Ungestörtsein verspricht.

„Bei uns sind 90 Flugplätze in Betrieb,davon 19 internationale. Auf dem PragerFlughafen werden etwa 90 % der Passagier-flüge abgewickelt und er ist, was seine Lei-stung anbetrifft, auf Weltniveau. Er ist ein le-bendiger, pulsierender Organismus, der die Wirtschaft unseres Landes in nicht geringemMaße beeinflußt. Auf je eine Million Flug-gäste entfallen tausend Arbeitsplätze direktauf dem Flugplatz. Ganz zu schweigen vondem wirtschaftlichen Nebeneffekt durchInvestitionen, Ausgaben der Touristen undGeschäftsreisenden u.a.“, konstatiert Ver-kehrsminister Aleš Řebíček.

Offen bleibt die Frage nach den Besitzver-hältnissen des Letiště Praha s.p. (FlughafenPrag, Staatsbetrieb), dessen Haupteigen-tümer bislang der Staat ist. Interesse meldetaber auch die Stadt Prag an: „Als Oberbür-

germeister halte ich es für entscheidend, daß auch die Stadt Prag Inhaber von Flug-hafenaktien ist“, erklärt Bém. „Wir könntenso zu Ressourcen für die nötige Infrastruk-tur, zum Beispiel eine Anbindung an dasNetz der Untergrundbahn, kommen.“

Das Management ist bestrebt, den Flug-platz was Infrastruktur und Umweltschutzanbelangt, von der besten Seite zu präsen-tieren. „In den nächsten Jahren beabsichtigenwir eine neue Abflugs- und Landebahn einzurichten, die den Flugverkehr von dendichtbesiedelten Stadtteilen wegführt. Eswurde von uns der Einbau von lärmdämmen-den Fenstern und Balkontüren für fast zwei-einhalbtausend Gebäude in Flughafennähedotiert. Wir sponsern in den anliegenden Orts-teilen neue Gehwege, Sportplätze, Radwegeund Spielplätze“, bemerkt Pos.

Anfang des 21. Jahrhunderts wurden ineinem Teil des Flughafens verglaste Fahr-gastbrücken und bewegliche Fußsteige ein-geführt. Im Mai 2005 erlangte der PragerFlughafen (als bester Flughafen Ost/Mittel-europas) den ersten Preis im internationalenWettbewerb World Airport Awards. 2006wurde der Öffentlichkeit das Terminal Server 2 (Nord 2) übergeben, die größte In-vestition zur Erweiterung des Areals. Diesessoll die Abfertigung von 20 Millionen Passagieren jährlich ermöglichen. Die Flughafenleitung plant selbstverständlichFeierlichkeiten anläßlich des 70. Jahresta-ges, verbunden mit einer großflächigenWerbeaktion. Das riesenhafte Panorama der Prager Burg, gemalt auf den Leib einerBoeing, propagiert Prag und den PragerFlughafen in der ganzen Welt. Die Besucherder Abfertigungshalle des Terminals Sever 2können an der Gestaltung des „größten Mosaiks der Welt“ teilhaben. Es handeltsich dabei um ein originelles künstlerischesund karitatives Projekt, in das auch 500Kinder aus Kinderheimen involviert sind.Beim Kauf eines Sammeldrucks im Ori-ginal erhält der Interessierte „Steinchen“ zurGestaltung eines eigenen kleinen Fragmentsdes gigantischen Mosaiks.

Daniel SemanHistorische Daten nach: Lubomír Dudáček,

Dopravní letiště Praha, T.I-IIIPhotos: Flughafen Prag, AG (www.prg.aero),

Archiv der Redaktion Staatliches Zentralarchiv

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Jeder Böhme ein Musikant? LassenSie sich nur nicht irre machen. Zu Be-ginn des 21. Jahrhundert gilt etwas ganzanderes. Jeder Tscheche ein Radfahrer!

So wenigstens könnte es einem aus-ländischen Besucher vorkommen, dermit Verwunderung die Alltagserschei-nungen in einer beliebigen tschechischenStadt verfolgt. Stellen Sie sich vor: jedenAugenblick flitzt ein Radrennfahrer ineinem farbigen Trikot auf der Straße vor-bei, überholt wird er von Autos mit Fahr-rädern auf dem Dachgepäckträger. Aufdem Gehsteig, direkt hinter Ihrem Rückentaucht ein gewandter Messenger auf, dereinem Klienten seine Sendung zustellt.Am Straßenrand schiebt eine ältere Frauihr ächzendes Rad, am Lenker baumelnvolle Einkaufstaschen. In der Fußgän-gerzone jagt eine Gruppe Halbwüchsigerauf Fahrrädern einher, und aus der Fernedroht ihnen der Schutzmann vom Fahr-radsattel herab. Kurz und gut: Tschechienhat etwas mehr als 10 Millionen Einwohner,denen etwa die gleiche Anzahl an Fahr-rädern verschiedenen Alters, Qualität undWert zur Verfügung steht. Aus den Unter-lagen von Herstellern und Importeurengeht hervor, daß sich die Tschechen all-jährlich mehr als zweihunderttausend

neue Räder kaufen. Nicht eingerechnetall die individuellen Anschaffungen imAusland, bei privaten Händlern oder inSupermärkten, die bei Datenerhebungenunberücksichtigt bleiben.

Am Anfang stand das Mountainbike

Seine Beliebtheit hierzulande verdanktder Radsport in erster Linie dem Boom

in den USA vor 30 Jahren. Die Ein-führung der Mountainbikes und zugleichauch der ersten Wettrennen läßt sich auf das Jahr 1976 datieren. In die Weiten

Böhmens kam es erst Ende der Acht-ziger, aber dafür fand es umso stärkereResonanz. Plötzlich schien die ganzeNation das Mountainbike zu satteln undzu entdecken, wie es ist, wenn man nurso zum Spaß oder der besseren Kondi-tion wegen dahinradelt. An einheimi-schen Verkäufern, Herstellern und Im-porteuren wimmelte es nur so, und bevorder Markt sich stabilisierte und Qua-litätswaren in die Geschäfte kamen,konnte man den kaufwütigen Radsport-besessenen alles andrehen, was einemMountainbike auch nur im entferntestenähnlich sah.

„Mountainbikes erwiesen sich fürRadler und Fahrradhändler als ein neuerImpuls, zu verdanken ist ihm wohl auchdie gegenwärtige Beliebtheit diesesSportgerätes in breiten Bevölkerungs-kreisen. Mit dem Ausbau von Rad- undRadwanderwegen wächst in zunehmen-

Radfahrerwillkommen

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SportIn kaum einem Land der Welt kann

man einen Ausflug mit einer TasseKaffee auf dem altehrwürdigen Markt-platz beginnen und nach kurzerFahrt durch die Zivilisation in zwan-zig bis dreißig Kilometer menschen-leere Natur eintauchen.

dem Maße auch das Interesse am Rad-sport, was wiederum den Herstellern vonCross- und Trekkingrädern Auftrieb gibt.Meiner Meinung nach steht für die näch-sten Jahre ein Comeback des Fahrrads zuerwarten. Es genügt sommers ein Stückaus Prag herauszufahren, und schon trifftman auf Hunderte von Radfahrern“,bemerkt Michal Dalecký, Sportmanagerund Organisator von Mountainbike-Ma-ratonveranstaltungen.

Der Aufwind im Radsport erhöhtauch die Nachfrage nach Verpflegungs-und Übernachtungsmöglichkeiten. Indiesem Rahmen wurde in Tschechien dasProjekt, Cyklisté vítáni (Radfahrer will-kommen) ins Leben gerufen. Dank die-ser Initiative ist auf Karten und Falt-blättern aus dem allgemein bekanntenPiktogramm zu erkennen, welche Re-

staurants und Pensionen sich besondersauf Radfahrer spezialisiert haben. Die somarkierten Einrichtungen verfügen überverschließbare Fahrradräume, Außenter-rassen, Unterkünfte und Fahrradservice.„Unser Ziel ist die Verbesserung derDienstleistungen für die Zielgruppe derRadler und Radsportler durch die Ein-führung eines landesgültigen Zertifikatsfür diese Serviceleistungen unter derBezeichnung Cyklisté vítáni. Dadurchwerden qualitative Standards kreiert, die denen der EU-Länder vergleichbarsind“, erläutert Petr Kazda, Projektma-nager, seine Vorhaben.

In sanft gewelltem Terrain

„In kaum einem Land ist es so einfach,aus den Großstädten in tiefe Wälder zuentfliehen und sich in meilenweit ver-lassener Natur wiederzufinden. Beispiel-

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weisend ist hier die Stadt Hradec Králové(Königgrätz) mit ihren hunderttausendEinwohnern, wo es möglich ist, mit einerTasse Kaffee auf dem altehrwürdigenMarktplatz zu beginnen, und nach kurzerFahrt durch die Zivilisation in zwanzigbis dreißig Kilometer menschenleere Na-tur einzutauchen“, schreibt der Zeitungs-reporter und Publizist Jan Rybář.

Tschechien kann auch auf große unberührte Landschaftsflecken, insbe-sondere im Grenzgebiet, zurückgreifen,wo momentan Radwanderwege ange-legt werden. In der Gegend um Šluknov(Schluckenau) nördlich von Děčín (Tet-schen) oder in der Böhmischen Schweizbieten sich sanft gewellte Straßen zumRadeln zwischen Felsengebilden undBlockhütten an. Kenner schwören zu demdarauf, daß die Entfernung zwischen den einzelnen Schenken kaum mehr als 5 kmbeträgt. Manche Radwanderwege wer-den aus EU-Fonds subventioniert oderentstehen mit Förderung der grenz-überschreitenden Regionen. So etwa diekürzlich fertiggestellte polnisch-tsche-chische Masaryk-Route, die zu 80 % ausEU-Töpfen finanziert wurde. Die Streckeverbindet das tschechische Náchod aufsbequemste mit dem polnischen Kurbad

Chudoby. Sie wird regelmäßig von Aus-flüglern aus beiden Ländern befahren,Teil des modernen asphaltierten Rad-wanderweges ist auch ein 90m langer Steg über das Wasserwerk am Fluß Me-tuje (Mettau).

Die tschechischen Radwanderwegehalten für jeden etwas bereit, egal obman sich nun mehr sportiv oder kultur-interessiert gibt. Die siebzig Kilometerlange Strecke um Svitavy (Zwittau) führtWißbegierige auf den Spuren von Bo-

huslav Martinů und Bedřich Smetana.Landschaftsanbeter und Badefreundeerwarten die gut ausgeschilderten undinstand gesetzten Radwanderwege Süd-böhmens. Gaumenfreunde und Wein-liebhaber kommen in Südmähren, be-sonders im Landschaftsschutzgebiet Pá-lava (Pollauer Berge) auf ihre Kosten.Ein „romantischer“ Radwanderweg führtum Opava (Troppau) herum, vorbei ansehenswerten schlesischen Burgen undSchlössern.

Herausgegeben wird das Verzeichnisaller markierten Wanderwege vom VerlagSHOCart Vizovice (Wisowitz) in Zusam-menarbeit mit dem Tschechischen Wander-verein (Klub českých turistů). Als beson-dere Leistung dieser beiden Institutionenkann die Herausgabe des Atlasses derRadwanderwege Tschechiens angesehenwerden. „Es ist ein außergewöhnlichesWerk, das hier in Tschechien seines glei-chen sucht. Der Atlas enthält alle Rad-wanderwege und wird durch 250 Aus-flugstipps in ganz Tschechien ergänzt“,präsentiert der Marketingdirektor desVerlags Michal Gaja das Werk.

Mit der Seilbahn auf Bergkämme

Auf dem Fahrrad kommt man zwarnicht überallhin, aber man kann es prak-tisch überall mit hin nehmen. In Pragkann man sein Fahrrad umsonst in der U-Bahn mit sich führen, auch in Zügenist es meist kein Problem, sein Rad dabei-zuhaben. In Zügen mit diesbezüglichemZeichen ist ein vereinfachter Transportzum Preis von ca. 0,75 Euro möglich. Esist aber auch möglich, sich dank neuemService auf 13 tschechischen BahnhöfenFahrräder auszuleihen. Mit dem entlie-

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henen Rad kann man umsonst bis zurnächsten Ausleihstelle fahren, wo mandas Rad wieder abgeben kann, so daßman nicht an den Ausgangspunkt zurückmuß. Und sogar die meisten Seilbahnenermöglichen den Transport des Drahte-sels, Biker begrüßen es, daß sie mit demLift nach oben kommen und ihre Rad-tour auf den Bergkamm fortsetzen kön-nen. Die frequentiertesten Ausflugszieledieser Art sind der Špičák (Spitzberg) imBöhmer Wald, der Klínovec (Keilberg)im Erzgebirge, Lysá hora in den Bes-kiden, oder Černá hora (Schwarzenberg)im Riesengebirge. Wenn die Strecke eszuläßt und die Sportfreunde zu den An-hängern moderner Disziplinen wie Free-ride oder Downhill gehören, können siesich vom Berggipfel direkt ins Tal hin-unter stürzen. Die überwiegende Mehr-heit der Radler genießen den Ausblickvom Bergkamm, ruhen aus und nehmenTouren mit geringer Steigung in Angriff.

Auf Tschechiens Radwegen sind,dank der Tradition, ehemalige wie aktiveprofessionelle Radsportler unterwegs.„In letzter Zeit fahre ich mal mit demCrossrad und mal mit dem Mountain-

bike, und manchmal fahre ich sogar nachder Karte, was sonst gar nicht meine Artist. Unsere Radwege werden immer bes-ser und es ist zu sehen, daß verschiedeneGruppen unterwegs sein können, unter-schiedlich im Interesse und in der Lei-stung, ohne einander zu behindern“,bemerkt Jan Svorada, einer der berühm-testen tschechischen Straßenradsportler,jetzt Manager des Merida Biking Teams.

Rekordmänner innerhalbder Stadtmauern

Ein durchschnittlicher Tscheche legtkaum 200 km jährlich auf dem Sattel sei-nes Drahtesels zurück. Auf den Arbeits-weg fallen davon weniger als fünfzig.Verantwortlich dafür ist wohl das fehlen-de Ansehen des Fahrrades als Verkehrs-mittel. „Das Fahrrad wird von vielen alsFortbewegungsmittel für arme Leute be-trachtet. Seltsamer Prestigevorstellungenwegen fahren viele mit dem Auto zurArbeit“, meint der AmateurradsportlerJaroslav Martínek. Gemeinhin unter-scheidet man auch zwischen einem Radfür die Stadt und den Arbeitsweg undeinem Sportrad. Diese stehen, auch wasden Preis anbelangt, sehr viel höher im Kurs. Eine Ausnahme bildet z.B. der Prager Fremdenführer Petr Vaněk.

Die 30 km von seinem Wohnort zu sei-nem Büro in Prag legt er täglich aufeinem Straßenrennrad für rd. viertausendEuro zurück. „Ich betrachte das als eingutes Training für die Amateurwett-kämpfe, an denen ich am Wochenendeteilnehme“, verrät der junge Mann. Er isteiner der 1,2% Prager, die sich nichtfürchten in der von Autos überflutetenMetropole mit dem Rad zur Arbeit zufahren. Landesweit steht es etwas besser,jeder siebte von hundert Einwohnern legt seinen täglichen Arbeitsweg auf demRad zurück. Es gibt aber auch Städte, in denen jeder dritte auf dieses Verkehrs-mittel zurückgreift, so in Prostějov (Proß-nitz), Olomouc (Olmütz) oder HradecKrálové (Königgrätz).

Jedes Jahr mehren sich auch Veranstal-tungen, die das Fahrrad als umwelt-freundliches Verkehrsmittel propagieren.Tschechien beteiligt sich auch an der Eu-ropäischen Woche der Mobilität im Sep-tember und dem Europäischen Tag ohneAuto. Zwar gelingt es den Radfahrern auchda nicht, über die Autofahrer zu siegen,aber die Teilnahme steigt und das Echoinnerhalb der Bevölkerung nimmt zu.

Ondřej VysypalPhotos: CzechTourism, Václav Novák

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Zu den tausenden von Tschechen, für die der Wassersport gewissermaßen einenNationalsport darstellt und eine Tour aufder Moldau oder einem anderen einheimi-schen Fluß ein alljährliches Ritual darstellt,gesellen sich in den letzten Jahren immermehr Ausländer. Die einen, weil es in ihrerHeimat keine vergleichbaren Flüsse gibt,die andern zieht die Aussicht an, für wenigGeld in fremden Gewässern „herum-zupaddeln“. Das Wasser lockt nicht nur solche an, die auf abenteuerliche Fahrtendurch wilde Stromschnellen und außer-gewöhnliche sportliche Leistungen aussind. Im Gegenteil. Auf Tschechiens Was-sern ist auch manch einer zu finden, deransonsten geradezu eine Abneigung gegenalle Art von Sport an den Tag legt.

Boot, ahoi!

Die Flußfahrten im Frühling und Som-mer bieten weniger ein sportliches Aus-

in Zelten und treffen sich des Abends am Lagerfeuer.

Die Anfänge des Wasserwanderns sind in der jüngsten Vergangenheit zusuchen. Obwohl sich die Tschechen von

altersher zum Wasser hingezogen fühl-ten, erlebte der Wassersport seinen Boomerst in der Zeit des „realexistierendenSozialismus“. Durch das totalitäre Re-gime war die Reisefreiheit der Tsche-chen von 1948 bis 1989 stark beschnit-ten, und so gewöhnten sich viele vonihnen daran, ihren Urlaub statt im Aus-land auf dem Wasser zu verbringen. DieFlußfahrten boten ihnen neben unver-bindlicher Unterhaltung auch eine Fluchtaus dem Alltag.

Wer nun erwartet, daß die Flüssenach dem Sturz des Kommunismus men-schenleer seien, sieht sich getäuscht. Ob-wohl die Grenzen wieder offen stehen,lassen sich die meisten zumindest eineWoche des liebgewordenen Wasserwan-derns nicht entgehen. Schulkinder absol-vieren ihre Bootsfahrten im Rahmen desSportunterrichts, und zahlreiche Eltern

leben als vielmehr kurzweiligen Zeitver-treib, laden ein zum Kennenlernen vonNaturschönheiten und Baudenkmälern,zum Lagern und Schließen neuer Be-kanntschaften. Das Wasser verwischtalle Unterschiede, seien sie nun ge-sellschaftlicher oder finanzieller Natur.Auf den öffentlichen Anlegeplätzen treffen Banker und Fabrikarbeiter, Poli-tiker und Studenten, Künstler und z.B.Raumpflegerinnen auf einander. Es isteinfach unmöglich zwischen den Leutenin den gleichen ausgebleichten T-Shirtsund ähnlichen Kopfbedeckungen Reicheoder Arme zu erkennen. Gleitet ein Bootam anderen vorbei, so grüßen sich ihre Besatzungen, mit dem allseits be-kanntem „Ahoooi!“, alle schlafen nachts

nehmen ihre Kinder mit aufs Wasser,sobald sie ihre ersten Schritte gemachthaben.

Bis 1989 war es nicht so einfach, seinBoot aufs Wasser zu bringen. Meist er-folgte der Transport per Bahn.

Gleich nach der politischen Wendewurde der Wassersport zum Schauplatzprivater Unternehmer. Entlang der Flüsseentstanden Dutzende von Bootsverleihensamt Zubehör, Restaurants und Lager-plätze für Wassersportler. Wer heutzu-tage eine Wasserwanderung oder Boots-fahrt unternehmen will, braucht eigent-lich nichts weiter als Geld oder Bank-karte. Es reicht, sich an den Ausgangs-punkt seiner Wanderung zu begeben undalles, was man für nötig hält, auszulei-

Unterwegs auf fremdenWassern

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FremdenverkehrHier und da neigen sich Felsblöcke

über das Wasser, treibt man an ein-samen Mühlen vorbei. Erst am Zu-sammenfluß mit der Sazawa erhebtsich hoch über den Wassern, einemAdlernest gleich, eine Blockhütten-siedlung für Wandergruppen.

hen. Allein an der Moldau, dem längstender tschechischen Flüsse, gibt es über150 Ausleihstellen unterschiedlichsterArt. Am Ende seiner Flußfahrt steigt derReisende aus, zieht sich um und mußsich um weiter nichts kümmern.

Dieser Komfort reizt auch jene, diesich zuvor von all den Schwierigkeitenmit Bootstransport und dem mangel-haften Service entlang der Flüsse ab-schrecken ließen. Die traditionellenWasserwanderer, die stolz darauf sind,ihr eigenes Boot zu besitzen und selbstzum Wasser zu bringen, zeigen sichverärgert über die „Feiertagstouristen“,die die Flüsse überfüllen, ohne die nöti-gen Regeln zu kennen und zu beachten.Damen in teuren Kleidern und Herren ingut gebügelten Anzügen bilden auf demWasser keine Ausnahme mehr. Zwischendiesen Sonntagsfahrern gleiten die alten„Wasserhasen“ dahin, tauchen ihre ab-genutzten Holzpaddel ins Wasser undschütteln verständnislos über das Ge-schehen auf dem Fluß den Kopf.

Auf dem Wasser schläftsich’s schlecht

Einen nicht geringen Teil des buntge-mischten „Wasservolkes“ machen Aus-

länder aus, die erst jetzt den Zaubertschechischer Wasserläufe entdeckthaben. Sie stellen 20 % der Klientel derAusleihstellen für Boote und Zubehördar. Für ausländische Touristen hält derWassersport und besonders die Art undWeise wie er hierzulande betrieben wird,sicherlich einige Überraschungen bereit.Vor allem muß man für das Befahren der Flüsse nichts bezahlen. Allerdings ge-ben die Tschechen das, was sie solcher-maßen sparen, für Essen und das allseitsbeliebte Bier aus, das an Lagerplätzenund Restaurants entlang der Flüsse inStrömen fließt. Bis spät in die Nachtwird am Lagerfeuer gesungen, Gitarregespielt, und an Unterhaltung gibt eskeine Not. Für Ausländer, die geselligsind und die die tschechische Natur kennenlernen möchten, gibt es keinenbesseren Ort als entlang der von Wasser-wanderern beliebten Flüsse.

„Ich habe schon viele Flüsse befahren,aber mit der Moldau kann sich keiner ver-gleichen. Hier herrscht einfach Leben“,erklärt der dreiunddreißigjährige Deut-sche Marcus Schneider, der sommersbereits zum fünften Mal nach Vyšší Brodgekommen ist. Der Fluß gleicht hier inder Saison einer Autobahn. Nicht einmaldie Staus fehlen. Trotzdem scheint es

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vielen zu gefallen. „Hier gibt es Bier und Spaß“, verrät Schneider. Den Ver-gleich mit der Autobahn scheut auch derService nicht, der die Touristen in denCamps entlang der Flußläufe erwartet.Mit dem aus der Zeit des Sozialismus,als kaum mehr als lauwarme Würstchenund Gulasch auf der Speisekarte standen,hat er nichts mehr gemein. Die meistenLagerplätze winken mit einer langenSpeisekarte, Fertiggerichte, Bier in Glä-sern statt Plastikbechern, zum Frühstückfrische Hörnchen und Berliner sind nichtsBesonderes mehr.

Touristen, die auf Ruhe aus sind,könnten sich von den tschechischen Ver-hältnissen leicht überfordert fühlen. ImUnterschied zu anderen Ländern wird in den Lagern der „Flußratten“ kein Zap-fenstreich geblasen und keine Nachtruheeingehalten. Weit in die Nacht hinein, oft bis in die frühen Morgenstunden wirdgetrunken, gesungen und Musik ge-macht. Das Argument, die Kinder bräucht-en ihren Schlaf, zieht in den Camps ent-lang der Flüsse nicht. Im Vordergrundstehen Spaß und Unterhaltung. Am Mor-gen klettern die Flußbezwinger oft nochbeseligt in ihre Boote und peilen den

nächsten Lagerplatz an. Zur Aufmunte-rung genügt ein kühles Bad im Fluß.

Vom Böhmerwald nach Krumlov

Beim Wasserwandern in Tschechienkommen aber nicht nur die auf ihreKosten, die auf lärmende Unterhaltsam-keit aus sind. Oft führen die Flußläufedurch sehenswerte Landschaften, ladenBurgen, Schlösser oder andere Sehens-würdigkeiten zum Besuch und zum Ver-weilen ein. Die meisten für den Ruder-und Paddelsport genutzten Wasserläufeentspringen in oder durchfließen Süd-böhmen. Zu nennen sind da in ersterLinie Lužnice (Lainsitz), Otava (Wotta-wa) und vor allem die Vltava (Moldau),

die sich der allergrößten Beliebtheit er-freut und von allem und für alle etwas zu bieten hat. Ruhige Abschnitte für Fa-milien mit Kindern und Stromschnellenam Oberlauf, die den Adrenalinspiegelsteigen lassen. Vom Böhmerwald aus durch-queren die Liebhaber des Wasserwan-derns tiefe bewaldete Täler, über denensich von Zeit zu Zeit eine Burg oder einSchloß erhebt. Trotz der vielen Wasser-sportler ist die Moldau sauber und dieFahrt von Zlatá Koruna (Goldenkron)bis Boršov erinnert ohne Übertreibungan eine Flußreise inmitten kanadischerWälder. Im Ganzen gesehen ist der Moldauabschnitt von Vyšší Brod (Ho-henfurth) nach Boršov bei České Bu-dějovice (Budweis) die frequentiertesteWasserstrecke Tschechiens und vielleichtauch ganz Europas. Im Gegensatz zuanderen Flüssen ist die Moldau in die-sem Abschnitt das ganze Jahr über undpraktisch auch bei jedem Wetter be-fahrbar. Weiter südlich schlängelt sichder Fluß durch das historische ČeskýKrumlov (Krumau), eingetragen im Welt-kulturerbeverzeichnis der UNESCO.Das Durchschiffen des Stadtzentrumsgehört zu den schönsten Erlebnissen.Zudem erwartet die BootsbesatzungenAction, denn die Krumauer Wehre sind

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auch für erfahrene Wassersportler einerecht harte Nuß. An dem Wehr U Pláš-tíku scheitern sieben von zehn Bootenzum Vergnügen der Krumauer und ihrerGäste, die zu Hunderten das Geschehenauf dem Wasser verfolgen.

In ruhigem Fahrwasser

Außer den „bevölkerten“ Flüssen kannTschechien mit einer Fülle an wenigerfrequentierten, ruhigen Wassern aufwar-ten. Jeder von ihnen hat seinen eigenenReiz. Die beliebtesten sind wohl Morava(March), Chrudimka, Svratka (Schwarza-wa) oder Jizera (Iser). Gutes Fahrwasserfindet man aber auch auf der mittelböh-mischen Blanice (Blanitz). Der Chefredak-teur des Outdoor-Servers Horydoly.czschildert den Fluß wie folgt: „Das kleineFlüßchen windet sich durch verlasseneTäler und man mag kaum glauben, daßman sich in einer dichtbesiedelten Re-gion befindet. Anfangs durchzieht es inMäandern die blumigen Wiesen um denBerg Blaník, dann springt es über einigehohe Wehre und ergießt sich in ein tief-bewaldetes Tal. Hier und da neigen sichFelsblöcke über das Wasser, treibt manan einsamen Mühlen vorbei. Erst amZusammenfluß mit der Sazawa erhebt

sich hoch über den Wassern, einemAdlernest gleich, eine Blockhüttensied-lung für Wandergruppen.“

Der Vorteil tschechischer Flüsse bleibtdie Tatsache, daß es nicht allzu schwierigist, sie zu befahren, so daß es nach ent-sprechenden Instruktionen auch ein blu-tiger Anfänger schafft. Es fehlen die inHochgebirgsgegenden üblichen Strom-schnellen und Wasserfälle, Gefahrenstellen einzig vereinzelte Wehre undKlüfte dar, wo Unerfahrene lieber aus-steigen und die Boote vorbeitragen soll-ten. Alte „Wasserhasen“ sehen in diesenHindernissen eher eine Bereicherung.

Die Spesen einer viertägigen Tour auf der Moldau bewegen sich einschließ-lich der Entleihung von Boot und Zube-hör, Beförderung, Unterbringung in Zel-ten auf Campingplätzen, Verpflegungund Getränken in Restaurants um die 40 Dollar pro Tag. Für die meisten Aus-länder, die die tschechischen Flüsse fürsich entdeckt haben, ist das ein mehr alsakzeptabler Preis.

Marek KerlesTageszeitung Lidové noviny

Photos: CzechTourism, Pavel Wellner, Archiv Redaktion

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GalerieKubany-Urwald – alt und unzugänglich

Das Naturschutzgebiet Kubany-Urwald (Boubínský prales) liegt am südöstlichenFuße des Kubany-Berges (Boubín, 1362 m), bekannt und renommiert war es bereits1858. Darum verdient gemacht hat sich der Forstmeister Josef John aus Vimperk(Winterberg), Verwalter der Schwarzenbergischen Wälder. Dieser markierte 1851acht Waldflächen, auf denen der ursprüngliche Pflanzenbestand am besten er-halten war. Mit dem Besitzer der Ländereien, Johann Adolf II. von Schwarzenbergverhandelte er über die Möglichkeit, den ursprünglichen Charakter des Waldes zuerhalten. Schwarzenberg legte hier später tatsächlich ein „Privates Naturschutz-gebiet“ von ca. 150 h an.

Ein starker Sturm zerstörte 1870 eine große Fläche, erhalten blieben gerade mal47 h. 1933 wurde der Urwald zum Staatlichen Naturschutzgebiet erklärt. Späterwurde die Fläche auf die heutigen 666,41 h ausgedehnt.

Der Urwald liegt 920 bis 1110 m über dem Meeresspiegel und wird vor allem aus Buchen, Fichten und Tannen gebildet, von denen manche älter als 400 Jahresind. Das eigentliche Innere ist nicht mehr zugänglich. In der Vergangenheit wurden nämlich die Baumwurzeln durch die zahlreichen Touristen ernstlichbeschädigt, die Bäume trockneten aus und fielen so dem Wind oder Schädlingenzum Oper. Dieses Schicksal traf z.B. auch den „König der Fichten“ – die höchsteFichte wurde am 4. Dezember 1970 von einem Schneesturm entwurzelt. Sie war57,2 m hoch und der Durchmesser ihres Stammes umfaßte in der Höhe von 1,3 müber der Erde mehr als 5 m.

Die sehenswertesten Phänomene sind mißgestaltete Bäume mit ungewöhnlichenDeformationen, z.B. mit harfenförmig vervielfältigten Stämmen, Fichten auf weit gespreizten raren Wurzeln. Es finden sich hier aber auch andere seltene Pflanzen und Tiere.

Photos: Jan Kavale, Pavel Hubený

Wasserfeder (Hottonia palustris)

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Soll ein Gebiet zum Reservat oderzum Naturschutzgebiet erklärt werden,stößt man auf die allgemeine Befürch-tung, daß dort in erster Linie alles ver-boten, ja daß die Gegend geradezu hin-ter Stacheldraht versteckt werde. Die„Konservierung“ einer Landschaft er-weist sich nicht immer als ideale Lö-sung. Das gilt auch für die Fischteicheum Bohdaneč, die wortwörtlich Hun-derte von Jahren bewirtschaftet wur-den. Dieses Terrain war schon immerein Ort vielfältiger menschlicher Be-tätigungen, egal ob es sich nun umFischfang, Jägerei, Holz- oder Land-wirtschaft handelt. Die Rekultivierungdieser Nutzlandschaft wird von denUmweltschützern in acht mehr oderweniger drastischen Etappen geplant.Beabsichtigt wird, dem hiesigen Land-strich sein vormaliges Gesicht wieder-zugeben. Ein offenes Gelände mit moor-

durchzogenen Wiesen, wasserumspültenWeiden und Erlen.

„Die Fischteiche gehören zu den ausornithologischer Sicht bemerkenswer-

testen Lokalitäten Böhmens. Es lebenhier um die 130 Vogelarten, von denen80 hier nisten. Zu den wertvollsten ge-hören z.B. Seeadler, Fischadler, Kor-moran und Graugans“, hören wir vondem Ornithologen František Bárta.

Die Teichanlagen aus dem 16.Jahrhundert, die auf Vilém von Pern-stein und zu Helfenstein zurückgehen,ließen inmitten der Elbauen überwäl-tigende Bauten entstehen. Es breitetensich hier die größten böhmischenFischteiche aus. Das heutige Ausmaßder Wasserfläche ist nur eine beschei-dene Erinnerung an den einstigen Um-fang, so nahm der Teich Čeperka beiOpatovice eine Fläche von tausend haein. Gespeist wird die Teichanlage bisheute durch Wasser aus dem Opato-vicer Kanal aus dem Jahre 1513, der als

Ostböhmische FischteicheRückkehr in eine offene Landschaft

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NaturDes Wassers Fläche breitet grau

sich ausund über ihr der Silberreiher kreistDie Augen schattend mit der

Hand steh ich am Wehrund schaue leise nach der

Landschaft hin

Li PoChinesischer Dichter

(701-762)

Wunder mittelalterlicher Baukunst gilt. Die elf Fischteiche bei Bohdanečlassen sich wohl kaum mit den zwei-hundertdreißig vergleichen, die es hierum 1560 gab, trotzdem bilden sie eineneuropaweit bekannten Landschafts-schutzpark.

Die vorgesehene Ausgestaltungdes Naturschutzgebiets legt historischeQuellen zu Grunde. Die ersten Schrittewurden von der Agentur für Natur-schutz in der 2. Hälfte der 1990er Jahreunternommen. An Orten, wo trockenesGesträuch wuchs, entstanden weitläu-fige seichte Wasserflächen, Morastemit niedrigem Gras. Schon sehr baldfanden Vogelarten zurück, die zumNisten eine weitläufige, überschaubareLandschaft benötigen. Gefällt wurdenriesige kanadische Pappeln, die irgend-wer in den 60er Jahren gesetzt hatte, unddie den Charakter der sogen. Polák-Halbinsel ungebührlich veränderten. InDienst genommen wurden Privatfir-men, die dort, wo einst Wiesen lagen,das Gras per Hand mähen.

„In den 1980ern wurden hier Kar-pfen und Enten gezüchtet. Ihre Ex-kremente reicherten die Sedimente auf

dem Grund der Teiche an und störtendas Ökosystem. Nach dem Abtragen vonHunderttausenden Tonnen Schlamm,was in 2 Jahren fertig sein sollte, wer-den sich die Lebensbedingungen fürseltene Arten nachhaltig verbessern“,erläutert Lukáš Řádeček von der Agen-tur für Naturschutz.

Das Naturschutzgebiet ist zu 70 %von Wasser bedeckt. Die größte Flächenimmt der Bohdanečer Fischteich ein,der zweitgrößte mit Namen Matka (Mut-ter) wurde 1999 bei Rekultivierungs-arbeiten erneuert. Im darauffolgendenJahr wurden im nordwestlichen Teil 12Tümpel angelegt, die Amphibien undWasserpflanzen beheimaten.

Bei ihrer Arbeit legen die Natur-schützer größten Wert auf die Zusam-menarbeit mit Denkmalschützern, vondenen sie erfahren, welches Gesicht dieLandschaft vormals aufwies, und mitden kommunalen Behörden, die anTourismus und Gewerbetätigkeit in der Region interessiert sind. Der Kur-ort Bohdaneč hat sich als attraktiver,gut besuchter Badeort und Reha-Zen-trum einen Namen gemacht. Von An-fang an wurde auf Tourismus gesetzt,

In der Erlenwald-Klimax sind verschiedene feuchtigkeitsliebende Pflanzen anzutreffen

Iris pseudacorus

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allerdings, der Größe des Gebietes we-gen, auf bescheidenen.

„Wir haben uns gesagt, daß man dieBesucher an der Grenze des Natur-schutzgebietes halten und Lehrpfade zuWissenswertem über die Geschichteund die Erneuerung der Kulturland-schaft anlegen sollte. Die Rekultivie-rung sah vor allem in ihrer Anfangs-phase dramatischer aus, als sie letz-tendlich war. Durch den Einsatz vonBaggern entstanden freigelegte Flä-chen, die ein barbarischer Eingriff indas Ökosystem zu sein schienen. Abergerade dadurch wurde das biologischePotential des Ortes ans Licht gebracht.In den Ablagerungen wurden Sporenund Samen freigelegt, die in der erstenPhase Wurzeln schlugen. Da, wo wie-der gemäht wurde, zeigten sich bereitsinnerhalb von zwei Jahren Orchideenund seltene Farne“, erfahren wir vondem Projektleiter Jiří Veselý.

Dank durchdachtem Vorgehen in Etappen und zeitgerechtem Eingrei-fen lassen sich nicht nur seltene Tier-und Pflanzenarten, sondern auch dieDynamik der natürlichen Landschafts-entwicklung beobachten. Zu diesemZweck wurden zwei Lehrpfade ange-legt und zwei turmartige Observatorienaufgebaut. Die Stadt hat für ihre Bade-gäste auch einige Ruheplätze entlangder Trasse eingerichtet. Die Lehrpfade

haben sich im Laufe der Zeit gut in dieLandschaft eingefügt und dienen denKurgästen zu Kurzweil und Erholung.Anziehungspunkt ist vor allem diePolák-Halbinsel. Von hier aus kann derBesucher das Innere des Landschafts-schutzgebietes beobachten, ohne esselbst zu betreten. Auch deshalb strecktsich an dieser Stelle ein Aussichtsturmin die Höhe. Im Frühling und Herbstlockt die Veranstaltung Vítání ptačíhozpěvu (Willkommen dem Vogelgesang)zahlreiche Schaulustige an. Binnendrei Stunden lösen Hunderte von Be-suchern einander ab, ohne daß dieRuhe des Reservats gestört wird. Diessignalisiert, daß der Landschaftsparkhinter ähnlichen Naturschutzgebietenin Österreich und Westeuropa nichtzurücksteht.

Was also wird den Touristen ge-boten? Durch getarnte Gänge gelangensie zu gut maskierten Ausgucken, wosie mittels starker Ferngläser das Ge-

Zaunkönig (Troglodytes troglodytes) Blaukehlchen (Luscinia cyanecula)

Der Bohdanečer Fischteich dient vielen Zugvogelarten als Rastplatz

Wintergoldhähnchen (Regulus regulus) Bartmeise (Panurus biarmicus)

25Regelmäßige Kontrolle der Vogelbestände

Bei der Veranstaltung Vítání ptačího zpěvu(Willkommen dem Vogelgesang)

sprünglichen Gegebenheiten zu er-neuern. Um im Sinne des Tourismus zu sprechen, handelt es sich eher umein vergessenes Unikat. „Die Kinderkönnen hier mehr über die Natur ler-nen, als in einem Zoo. Und noch einenGrund gibt es, um zu Fuß oder per Radhierher aufzubrechen, vorläufig gibt eshier weder Ansammlungen von Touri-sten noch Restaurants oder Stände mitSouvenirs und schon gar keine über-füllten Parkplätze“, verrät der ReporterMartin Biben.

Das ganze Projekt wird aus-schließlich aus eigenen Mitteln finan-ziert, und ist bis jetzt zur Hälfte ab-geschlossen. „Im Prinzip geht es umden Energiestrom in der Landschaft,ihre Rolle spielen dabei Wasser, Sonne,Erde, lebendige Organismen. Durchkluges Management läßt sich sicher-stellen, daß der Mensch immer wenigerin die Landschaft um Bohdaneč eingreift,sein Einschreiten an Drastischem, Dra-matischem verliert. Hier entsteht eineausgewogene, selten gewordene Kul-turlandschaft, in der zu dem Agrarwirt-schaft und Fischzucht betrieben wer-den. Eine Landschaft, die ihresgleichensucht“, erklärt Veselý abschließend.

Michal KlímaPhotos: Jiří Veselý, František Bárta, Zuzana

Růžičková, Lukáš Řádek, Agentur für Natur- undLandschaftsschutz der Tschechischen Republik

(Agentura ochrany přírody a krajiny ČR)

habe der Vögel in ihrem natürlichenUmfeld verfolgen können. Zugänglichund sehenswert sind diese und ähnlicheAnlagen das ganze Jahr über.

In der 2. Hälfte der 1990er Jahrewurde der Versuch gestartet, die Boh-danečer Teichlandschaft in das inter-nationale Netz erhaltenswerter Land-schaften Secial Protected Areas ein-zubinden, was nach einigen JahrenMonitoring auch gelang. Gleich imAnschluß wurde der Landstrich alsVogelschutzgebiet und einer der we-nigen Aufenthaltsorte des Tümpel-sumpfhuhns (Porzana porzana) und der Rohrdommel (Botaurus stellaris)in das europäische System Natura 2000aufgenommen. Im Zuge der Rekulti-vierung fanden sich auch andere wert-volle Vogelarten ein, so z.B. der GraueKraniche (Grus grus), der nachweis-lich schon das dritte Jahr hier nistet.

„Die Wiederansiedlung seltener Vo-gelarten, ihre Bestimmung und Beob-achtung wäre ohne die Mitarbeit derAmateurornithologen nicht möglich.

Von ihnen wird jedes Jahr der Abfangund die Vogelberingung durchgeführt.In zweimonatiger harter Terrainarbeitgingen ihnen drei- bis fünftausend Vögel ins Netz. So kann festgestelltwerden, daß sich auch ausgesprochenseltene Arten, wirkliche ‚Raritäten‘, wie der Mariskensänger (Acrocephalus me-lanopogon) oder die Zitronenstelze,(Motacilla citreola) hier einfinden“,lobt Veselý die freiwilligen Vogelkund-ler. „Die schönsten Augenblicke beimeiner Arbeit brachte mir gerade dasZusammenwirken mit den ‚Amateu-ren‘. Ich ziehe den Hut vor einer Reihefachkundiger Vogelfreunde, die sichehrenamtlich für das Bohdanečer Vo-gelschutzgebiet aufgeopfert haben undauch für einige beachtenswerte Fach-literatur zeichnen. Die schönsten Au-genblicke habe ich vor vielen Jahrenmit vier älteren Ornithologen inmittendes Bohdanečer Naturschutzgebietesverbracht, als wir die erste Ankunft derGrauen Kraniche beobachteten. Esbegann mit den Worten: ‚Das sind aberseltsame Reiher!‘ Es war ein feierlicherMoment, an den von ihnen ausge-stoßenen Tönen zu erkennen, daß siehier ihre Nester aufschlagen würden.“

Das Bohdanečer Areal empfiehlt sichEntomologen, Biologen und Zoologen.Das hiesige Vorkommen einer seltengewordenen Froschart, der Rotbauch-unke (Bombina bombina) umfaßt rd.tausend Exemplare. Es leben hier selteneLibellen, z.B. die Große Moosjungfer(Leucorrhinia pectoralis) und Schmet-terlinge, wie etwa zwei von fünf inEuropa vom Aussterben bedrohtenBläulingsarten, der Große Moorbläu-ling (Maculinea teleius) und der Berg-strässer (Maculinea nausithous).

Das biologische Potential der Boh-danečer Fischteiche ist auf die Zukunftausgerichtet, es ist gelungen, die ur-

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„Die Entwicklung der Pfadfinderbewegungwurde auch von der Jugend verfolgt, der es zuAnfang versagt war, dem Verband beizutreten,oder denen, die durch die Lektüre Karl Maysbeeinflußt, die Regeln der Bewegung verwarfenund dem freien Herumstreifen den Vorzuggaben“, so beschreibt Josef Peterka, einer derGurus des tschechischen Trampings (entferntvergleichbar mit der deutschen Wandervogel-bewegung) und besser bekannt unter seinemSpitznamen Bob Hurikán, 1940 in seinem BuchDějiny trampingu (Geschichte des Trampings)die Anfänge dieser Bewegung.

Paradoxerweise erlebte die Wanderbewegungdank der Kommunisten, welche die Tramps miß-trauisch beargwöhnten, in den nächsten Jahr-zehnten einen unerwarteten Zulauf. Ausflüge indie Natur und die Vorstellung, das „freie“ Lebender amerikanischen Landstreicher und Waldläu-fer nachzuvollziehen, waren einer der wenigenHorte vor dem alles kontrollierenden Regime.

Den bislang letzten Massenandrang ver-zeichnete das Tramping in den 1980er Jahren.Damals erlebten Schaffner und Personal desBraniker Bahnhofs in Prag allwöchentlich hek-

tische Freitagnachmittage. Auf der Ausgangs-station des sog. Posázavský pacifik (SazauerPacific-Lokalbahn) fanden sich junge Leute in Cowboy- und Armeekluft mit Gitarren und Rucksäcken en masse ein. Schon die wer-weiß-wievielte Generation begeisterter Trampsmachte sich auf den Weg zu den Wassern des„Goldenen Flusses“, der Sázava (Sazau), des

„Großen Flusses“, der Vltava (Moldau) oder indie Wälder des Brdý-Gebietes.

Von Jarda zu Harry und Pepa zu Bob

Die Wanderbewegung – oder wie man in Tsche-chien zu sagen pflegt, das Tramping – kam vormehr als 100 Jahren in Mode. Genauer gesagtvor dem Ersten Weltkrieg, als Böhmen undMähren noch zu Österreich-Ungarn gehörten,rekrutierten sich die ersten Tramps aus den Rei-hen der aufkommenden Pfadfinderbewegung.

„Die Tschechen sind ein romantisches Völk-chen, sie sehnen sich nach der Weite, nach No-stalgie“, hören wir von Stanislav Motl, Reporterdes tschechischen Fernsehsenders Nova, lang-jähriger Tramp und Autor des Vor- und Nach-worts zur Neuauflage von Hurikáns Dějinytrampingu in den 1990er Jahren. Ihm zufolgebefanden sich unter den ersten Tramps auchsog. Grüne Kader (zelení kádrové), Männer, die1917 in die Armee eingerückt waren und nachKriegsende in den Wäldern blieben. Ihnenschlossen sich mehr und mehr Jugendliche an,begeistert von Karl May und anderen Büchern

Dem Ruf der Ferne erlegen

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PhänomenTramp – das englische Wort für Land-

streicher, ist die Bezeichnung für Aus-flügler, Wanderlustige, die regelmäßigin der Natur ihr Lager aufschlagen, imUnterschied zu den Pfadfindern habensie keine festumrissenen Regeln und Sat-zungen (…) Ausschreitungen der Tramp-bewegung werden von der mit der Auf-sicht betrauten Landesgendarmerie bzw.vom Forstpersonal bekämpft (.) Die tsche-chischen Tramps haben auch ihre eigene,etwas seltsame Ausdrucksweise und ge-ben eine eigene Zeitschrift heraus.

Masarykův slovník naučný (Masaryk-Konversationslexikon), T. 7, Prag, 1933

und Filmen über das Leben imWilden Westen.

„So wurden über Nacht ausAnička, Mánička und BoženkaAnny, Mary, Bobiny oder Daisy,Betsy, Virginie, bei den Bubenwar es gar noch schlimmer. AusJarda wurde Harry, aus Pepík(Sepp) Bob, aus Ota Brandy, ausZdeněk Eiserne Faust oder Win-trop, Eddie oder gar Swenny,Grizzly, Bill, Old Shatterhand,Farnum, Dawson, Jack usw., usw.Der Phantasie, angeregt durchCowboy-Filme, schienen keineGrenzen gesetzt“, schildert Bob Hurikán dieseZeit der Trampingbewegung, die „Zeit der Wilden Pfadfinder“.

Es folgte die „Cowboy-Zeit“ (1919-1927).Wohl nirgendwo auf der Welt soll es so vieleSheriffs gegeben haben, wie in Böhmen. Es gab keine Clique, ja nicht einmal eine Zweier-gruppe ohne Sheriff. Der Titel wurde mit demRecht des Stärkeren erkämpft oder nach Ab-stimmung verliehen. Getragen wurden bunt-gescheckte Hemden, alte Velourhüte verwan-delten sich nach langem Kneten und Drücken in„echte“ Stetsons, breite Gürtel zierten Polster-nägel. Seinen Namen erhielt das Trampingallerdings erst in der nächsten Etappe, in der„Kanada-Zeit“, nach Jack Londons Roman TheRoad (Abenteuer des Schienenstranges).

„Getrampt“ wurde auch währenddes Zweiten Weltkrieges, aller-dings in eingeschränktem Maße.Die Nazis besetzten beispiels-weise das beliebte Tal am Zusam-menfuß von Sazawa und Moldau,so daß die Tramps ihre dortige Nie-derlassung aufgeben mußten. ImFebruar 1948 wurde das Trampinggleich neben der Pfadfinderbewe-gung verboten. Aus der tschecho-slowakischen Presse erfuhr man,daß die Ära des Trampings endgül-tig vorbei sei. Aber an der Wendezwischen den 1950er und 1960er

Jahren kam es zu einem neuen Boom. Wiederfüllten sich Bahnhöfe und Wälder. Ein neues„goldenes Zeitalter“ des Trampings hob an.

Endlos rauscht der Niagara

„Entlang der Sazawa gab es inzwischen viele Wochenendhäuser, was uns verweichlicht vorkam. Wir campierten grundsätzlich unterfreiem Himmel. Zum Beispiel in Mokropes,was heute eigentlich schon zu Prag gehört. Aberauch in Roztoky (Rostock) oder Křivoklát(Pürglitz)“, erinnert sich der Tramp und Lieder-macher Kapitán Kid, mit bürgerlichem NamenJaroslav Velínský.

Über einen Jungenklub kam auch ein andererMusikant, Jan Vyčítal, zum Tramping. Im Wan-

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derklub wurde er als der Jüngere von seinemälteren Bruder gerade noch so gelitten und denersten richtigen Čundr (Wanderfahrt mehrererCliquen) erlaubten ihm seine Eltern erst mitsechzehn. Damals, 1957, trug Vyčítal einen Hutmit Krempe, Marke Eigenbau, ein kariertesHemd, Trainingshosen und Gummistiefeln, wiesie von den Bauern getragen wurden. Späterwurden die Trainingshosen durch Reithosenersetzt, dazu kam eine Weste mit Fransen, wel-che seine Mutter beim Flicken irgendwelcherPionierwimpel eingespart hatte. Neben dem„wilden“ Tramping versammelte man sich auchbei sog. potlach (Meetings). Die Organisationdieser Treffen war recht locker. „Die Cliquenkannten sich. Die Sheriffs hielten untereinanderKontakt. Außerdem hatte jeder sein Tagebuch –cancák genannt. Und wenn man auf einen Trampstieß, der einem sympathisch war, so sagte manzu ihm: cancni mi něco – trag mir was ein. Ichzum Beispiel malte Bilder, ein anderer schriebein paar Worte, aber immer kam die Adressedazu, und dann verständigte man sich unterein-ander, wenn etwas los war“, erzählt Vyčítal.

Ein unerläßlicher Bestandteil der großenTreffen (potlach) war das Singen am Lagerfeuer.Die einzelnen Cliquen wetteiferten miteinander,wessen Vortragsweise wohl die bessere sei.Auch in ihren „goldenen“ Zeiten reichten denmeisten Tramps naive und romantische Liederaus den 1930ern von Autoren wie Bob Hurikánoder Eduard Ingriš, dem Komponisten des be-

liebten Niagara-Liedes. Nicht wenige Lieder,die zum Lagerfeuerrepertoire gehörten, entstan-den in den 1960er und 80er Jahren. 1967 kam esganz spontan zur Gründung des Folk- undTrampliederfestivals Porta. Bei der bestbesuch-testen Veranstaltung im Jahr 1989 fanden sichmehr als 30 000 Zuhörer ein. Die Musik, dieheute von den jungen Tramps am Lagerfeuergemacht wird, hat auch einen Wandel erfahren.„Lieder wie Niagara oder Bedna od whisky(Eine Kiste voll Whisky) werden kaum nochgespielt, es ist nichts Besonderes wenn mo-derne Popmusik wie Buty oder America vonLucie erklingt. Etwas Konkretes zuordnen zuwollen, macht einfach keinen Sinn“, behauptetMichael Tony Antony, einer der jüngerenTrampgeneration aus der Clique Avalon.

Gefährliche Nächte im Brdy-Gebirge

Wenn die „alten“ Tramps sich heute fragen,was sie in den 50ern, 60ern und 70ern so in denBann geschlagen hat, kommt neben Romantikund Naturbesessenheit immer noch ein Aspektzur Sprache – das totalitäre Regime. „In dieWälder zu fahren, war das einzige, was man inder Zeit machen konnte. Das war so frei. Daswar einfach ein Sich-Spreizen, Querstellen“,denkt ein Tramp mit Spitznamen Klondikezurück, der noch heute so aussieht, als wäre er

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einem von Zdeněk Burian illustrierten Karl-May-Roman entsprungen. Auf dem Kopf einschwarzer Hut, ein Stoppelfeld im Gesicht, wetterharte, sonnenverbrannte Haut. Seine Niederlassung Louisiana Tigers feierte im Fe-bruar dieses Jahres ihr „zwanzigstes Feuer“,also zwanzigjähriges Bestehen.

Die Kommunisten konnten die Tramps, diesie nicht voll unter Kontrolle hatten, einfachnicht in Ruhe lassen. Ihre Gemeinschaftstreffentrieb nicht nur die Polizei auseinander, sondernauch andere bewaffnete Einheiten wie dieKampftruppen der Arbeiterklasse, die volksei-gene Betriebe vor dem Zugriff des Klassen-feindes bewachten. Ende der 70er Jahre spreng-ten Angehörige der Kampftruppen im Brdy-Gebirge gut vierzig Blockhütten in den Nieder-lassungen der Tramps in die Luft. Zu gefragten„Belustigungen“ bewaffneter Organe gehörteauch der Empfang auf dem Bahnhof. „Der Bra-níker Bahnhof wurde komplett umstellt, manzwang uns, unsere Rucksäcke auszupacken,kramte in allen unseren Sachen herum. Wer einMesser hatte, dem wurde es zerbrochen, alleStoffabzeichen mit Zugehörigkeitssymbolenwurden aus den Ärmeln herausgeschnitten, eben-so wurde überall die Aufschrift US entfernt“,beschreibt „Job“ Veselka seine Erinnerungen.„In den Nächten gab es auch Kontrollen in denWäldern. Sie brachen bei unseren Treffen über

uns herein, zerstörten, was ihnen unter die Fin-ger geriet, schlugen die Teilnehmer und triebensie auseinander, schleppten sie etwa 50 km weitvon einander weg, so daß sie sich nicht mehrzusammenfinden konnten“, so schildert Jan Vy-čítal die Ausschreitungender Polizei.

Einige Tramps wur-den zur Emigration ge-zwungen. Diese veran-stalteten später weltweiteMeetings in der Schweiz,in Australien, in Colora-do. Das bislang letzteTreffen fand 2006 inTexas statt.

Das Ende der Cowboysin Tschechien?

Die genaue Anzahlderer, die in den böhmischen Landen demTramping huldigten, ist nicht genau zu bestim-men. Zuletzt versuchte es 1940 der bereitserwähnte Bob Hurikán.

Seit dem letzten großen Aufschwung gleichnach der Wende, als allerdings statt Cowboy-hüten und Fransenwesten amerikanische Uni-formen in Mode kamen, scheint das traditio-nelle Tramping zu stagnieren. Michael „Tony“Antony, als Vertreter der „jüngeren“ Generationmeint dazu, daß „…die Tramps in den nächsten

Jahrzehnten keinesfalls aussterben werden,obwohl kaum Massenzulauf zu erwarten ist.“Er argumentiert damit, daß er als Herausgeberder meistgelesenen Trampzeitschrift Puchejř(Blase) gut 4000 Abonnenten hat. „Wenn wir

Goldfieber (ein Treffen,bei dem im Fluß nachGold gesucht wird) veran-stalten, kommen auf zweiKilometer Fluß etwa 300Leute, die jünger sind, alsich.“ Er selbst und seineFreunde tragen schonkeine Stetsons mehr, undhaben auch viele andere,einst unerläßliche Attri-bute aufgegeben. „DieWild-West-Mode ist imAbklingen, auch auf denFilmleinwänden, der Cow-boy ist längst nicht mehr

der Held der heutigen Jugend“, gesteht auch JanVyčítal ein. Aber er sieht es nicht pessimistisch:„Unverbesserliche Romantiker werden immerwieder geboren. Die Westernzeit ist endgültigdahin, aber es gibt genug junge Pfadfinder, diewenn sie erst Blut geleckt haben, zur Keimzelleneuer wilder Tramps werden können.

Petr KolářTageszeitung Lidové noviny

Photos: Tomki Němec (Schwarz-weiß), Petr Havelka, Archiv Zdeněk „Britt“ Moidl

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Im Jahre 1971 wurden in Tsche-chien zum letzten Male auf traditio-nelle Art und Weise Flöße gebaut undzu Wasser gebracht. „Auf der Wiesevor Vyšší Brod (Hohenfurth) fügtenwir ein 120 Meter langes Floß zu-sammen. Jedwede Zuarbeit entsprachalthergebrachten Verfahren. Die ein-zelnen Stämme wurden mit Seilen zugroßen Platten gebunden, aus welchendann das ganze Floß zusammen-geschnürt wurde. Die Ruder wurdenvon Hand gefertigt, kein einzigerNagel und auch nicht das kleinsteStück Draht wurden verwendet. DerBau und das Flößen als solches wur-den von einem Filmstab aufgenom-men und die Kamera konnte so alleNuancen dieses historischen Hand-werks einfangen“, erinnert sich Vác-

lav Hodr, einer der letzten Flößer, derdie Moldau befahren hat.

Offiziell verlängerte so das Hand-werk, dessen volle Blüte schon imJahre 1316 durch ein Privileg Johannesvon Luxemburg dokumentiert wurde,die Liste der untergegangenen Berufe.Ältere Bescheide über Zoll und We-gegeld, eingenommen auf den Flüs-sen, reichen bis ins 11. Jh. zurück.Dem Holztsansport auf über Jahr-hunderte gleich gebliebenen Wasser-wegen setzte der Bau von TalsperrenMitte des 20. Jh. Grenzen.

Gerade die Moldau mit ihren Ne-benflüssen – Malše (Maltsch), Lužnice(Lainsitz), Otava (Wottawa), Sázava(Sazawa) und Berounka (Beraun) –

Vergessene Flußbezwinger

Einfahrt in die Schleuse des defekten Žďákover Wehrs bei Pilsen an der Moldau Steuern des Floßes mit den vorderen Rudern unterhalb des Žďákover Wehrs

Floßbau am „Kanal über der Schmiede“ Na Pátečku

Einfahrt in die Schleuse des Wehrs in Dobronice, Südböhmen Beim Verlassen der Schleuße, Dobronice

31Orlík nad Vltavou, 1920/30

Štěchovice (Štěchowitz) bei Prag, 1930/40 TraditionHurra, Freunde Kameraden, gekom-

men ist der Tag,daß wir morgen in der Frühe ziehen

auf den Fluß hinaus,die Flöße sind fertig, die Ruder behauen,möge Gott Gesundheit geben,mögen wir gut ankommen,Hurra, gut ankommen.

Aus einem Flößerlied

bot alle Voraussetzungen für das Flös-sereiwesen. Es war Kaiser Karl IV.,der erstmals erfolgreich ein Schiff amUnterlauf der Moldau hinter Pragvom Stapel laufen ließ. Seit dem Jahr1340 läßt sich nachweisen, daß alt-eingesessenen Müllern die Aufsichtüber die tschechischen Wasserläufeübertragen wurde.

Zum freien Handwerk wurde dieFlößerei 1575 erklärt. Rechnungendes Orlicer Zollamtes zufolge legtenim 16. Jahrhundert jährlich 12000Flöße (etwa 140000 Klafter Holz),aus Südböhmen kommend, in Pragan. Auf den Flößen wurden auchHandelsgüter transportiert, abhängigvon der Flößerei war etwa das Ge-schäft mit Salz und anderen Waren.

Im 18. Jahrhundert bereiste Profes-sor Johann Ferdinand Schor die Mol-dau und fertigte Entwürfe für derenFlößbarkeit an. Er erarbeitete einenPlan zur Entfernung von Steinblöckenaus dem Flußbett, und erbaute 1729an der Moldau, unterhalb von Župano-vice, die erste Kammerschleuse Mittel-europas. Das goldene Zeitalter derFlößerei brach mit dem 19. Jahrhun-dert an und dauerte bis zur Mitte des20. Die Kunstfertigkeit im Floß-binden und die eigentliche Flößerei,die Beherrschung der Hölzer auf dem Wasser, erreichten ihren Höhe-

punkt. In Zeiten der Hochkonjunkturbeendeten manche ihre Reise nicht in Prag, sondern flößten weiter bisnach Deutschland, einige sogar bisnach Hamburg. Ab 1902 konnte manseine Flöße auch von Dampfernschleppen lassen. Um diese Zeitunternahmen auch die Volkskundlererste Schritte, um die ureigene Weltder Flößer festzuhalten.

Die Flößer verfügten nicht nur überein eigenes Vokabular, sondern auchüber sorgfältig ziselierte Traditionen,Bauern(Flößer)regeln, Sagen undAberglauben, Feste und Weisheiten,weitergegeben von einer Generationzur anderen. Das Flößerhandwerk

blieb in der „Familie“, und den Kerneiner Flößertruppe verband enge Ver-wandtschaft. An ihrer Spitze standder Floßmeister, der erfahrenste Flös-ser, der dank seines Könnens größteAutorität genoß und über ein Landes-floßmeisterpatent (zemský vrátenskýpatent) verfügte. Sein Erwerb warschwierig, die Prüfung dauerte einigeTage und der Adept mußte seine genaue Kenntnis der Vorschriften,der Praxis des Flößerhandwerks und der Situation auf dem Flußabschnittunter Beweis stellen.

Das Tun und Treiben auf demFluß und das Tagewerk der Flößer ist Inhalt vieler fröhlicher Lieder. DieTagesabschnitte wurden so festge-legt, daß man des Abends immer aneiner Flößerschenke anlegte, an ei-nem Platz, wo man auch die Stämmegut festmachen konnte. Die einzelnenFlößertrupps hatten ihre beliebtenAnlegeplätze, wo sie von den Schank-wirten begrüßt wurden, als kämen sienach Hause. Nach dem Nachtmahlsaß man bei Bier und Schnaps undsang zur Ziehharmonika Flößerlie-der. Eine Schütte Roggenstroh dientemeist als Schlafstelle.

Tagsüber konnten die Flöße nichtverweilen und die Flößer meldetensich schon lange zuvor bei den Gast-häusern am Wege an. Ihr Hupen, das

32 Týn nad Vltavou (Moldauthein), 1920/30

Unterhalb der Burg Orlik

Holz zum Floßbau, Vyšší Brod (Hohenfurth), 1955

weit über das Wasser hallte, war denWirten Signal, Speisen und Getränkeans Ufer zu bringen. Bei Hochwasserwar aber auch dies nicht möglich und die Flößer mußten sich mitSuppe und schwarzem Kaffee, direktam Feuer auf dem Floß gekocht, zu-frieden geben.

Die erfolgreiche Ankunft desFloßes kommentierten die Flößer mitdem Satz: „Wieder geht eine Fahrt(ráz) zu Ende.“ Eine erfahrene Truppe

schaffte in einem günstigen Jahrzwanzig Fahrten. Für ihre schwereArbeit kassierten die Flößer gutesGeld, weswegen sie manchmal eineNeigung zu Protzerei und Hochmutzeigten. Ihre hohen Einnahmen warenallerdings nur relativ. Ihre Fahrtenwaren oft begleitet von strömendemRegen, kaltem Frühlings- oder Herb-stunwetter. Hin und wieder holte sichauch das Wasser seine Opfer, und je-mand ertrank. Zudem war der Flößerden ganzen Winter über ohne Ein-kommen. Im Moldaugebiet war dasSprichwort verbreitet: „Des FlößersWeib ist sommers ohne Mann undwinters ohne Geld.“

Wenn Josef Štoffel, der in dieFußstapfen seiner Vorfahren getretenwar, an seinen Vater, den wohl be-rühmtesten Moldauflößer dachte, er-innerte er sich der Worte, die er oft vonihm gehört hatte: „Du mußt etwasaushalten, aber dafür bist du auf demWasser dein eigener Herr.“ Die Flößerhatten ihre Rituale für die Aufnahmevon Neuen und Benjamins in ihreZeche. Die Taufe, die sich im Wirts-haus abspielte, leitete der „Pate“, derdem „Täufling“ drei kräftige Gerten-schläge über den Hintern zog. Tradiertwurde auch die Ehrfurcht vor dem Fluß. Beim Eintauchen der Flöße in die Johannisstromschnellen, das

Štěchovice nad Vltavou bei Prag, 1. Hälfte der 1930er Jahre

33Das letzte Floß auf der Moldau

Na Pátečku

sige Orlík-Staumauer vor dem Ab-schluß stand, sah man hier auch dieletzen Flöße. Sie kämpften sich mitden wilden Wassermassen durcheinen sieben Meter breiten Durchlaß,und die Männer auf den Baumstäm-men waren bis über die Gürtellinienaß. Mit dieser Fahrt kam der tradi-tionelle Beruf definitiv zum Erliegen.

An das ehrwürdige Flößerhand-werk erinnern hierzulande vor allemzwei Museen. In Hluboká nad Vlta-vou (Frauenberg), Ortsteil Pukarec,ist die Halle der Moldauflößer zu fin-

den. Ausgestellt sind hier Werkzeuge,die zur Floßherstellung gebrauchtwurden, Gegenstände des täglichenBedarfs oder auch echte Flößerlizen-zen – sog. vrátenské listy.

Das weit bekanntere Museum desFlößerhandwerks hat im ehemaligenZollamt im Prager Stadtteil Výtoň,dem letzten Überrest der alten Fischer-siedlung Podskalí, sein Unterkommengefunden. Meistbestauntes Exponatist das getreue Modell eines Floßes,weiter sind Werkzeuge der Flößerund ein echtes Paar Ruder ausgestellt.Gefunden wurde dasselbe auf demBoden des Zollamtes bei der erst kürz-lich durchgeführten Rekonstruktion.Das Museum winkt aber auch mit ver-schiedenen Raritäten, wie zum Bei-spiel mit einem Modell von Podskalíum 1870, dem Anker eines Schlep-pers oder der Kasse des Zollamtes.

Ferdinand VelekQuellen: Jan Čáka: Zmizelá Vltava

(Entschwundene Moldau), Vladimír Scheufler,Václav Šolc: Já jsem plavec od vody (Ich bin

ein Flößer vom Wasser)Photos: Archiv Vojtěch Pavelčík,

Archiv Verein Vltavan

größte Wehr der Moldau, nahmen die älteren Flößer den Hut ab, dieältesten aber knieten zum Gebet nie-der. Die Flößer kannten die größtenund gefährlichsten Steinblöcke undhatten für sie Namen, es gab Sprich-wörter (ähnlich den Bauernregeln),die bestimmten, um welche Tages-zeit man wo gut hindurchkam, undwas man an gefährlichen Stellenunterlassen solle.

Am Vorabend des Baus gi-gantischer Talsperre, von 1951-1953,wurde in der Gegend von Zvíkov(Klingenberg) ein Film gedreht, derdas Flößerwesen einmal für allemalverewigte. Václav Wassermans Pla-vecký mariáš entstand in Zusammen-arbeit mit dem „Štoffel-Klan“ aus Zví-kovské Podhradí.

Als die Zuflüsse zu den Stauseengeschlossen wurden, näherte sichauch die tausendjährige Tradition desFlößerhandwerks ihrem Ende. DieMoldaukaskaden bilden 9 Talsperren,deren erste bereits in den 1930erngebaut wurden. Damit verbundenwar die Zerstörung von Naturland-schaft und geschichtsträchtigen Orten,so verschwanden neben etlichen Dör-fern und Siedlungen auch die Johan-nisstromschnellen. Als 1960 die rie-

Oma Hájková bewacht im Prager Vorort Podskalí das Floßholz

JRM statt JAWA

Unter blauem Himmel

Baťa wieder in Ehren

Auf dem MountEverest

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ist der Name eines internationalen Kunst-wettbewerbs für Kinder, der Kunstfertigkeitmit Computertechnik verbindet. Es handeltsich um eine außergewöhnliche Ausschrei-bung, weltweit wohl die erste dieser Art.

Die Idee stammt von Hana Horská, Grund-schullehrerin aus Moravská Třebová (Mäh-risch Trübau), selbst Künstlerin mit eigenenAusstellungen im Ausland, und von ihr wirddas Projekt auch umgesetzt.

Das erste landesweite Preisausschreiben2006 fand einen so unerwarteten Anklang,daß die Schule in Zusammenarbeit mit derGesellschaft Microsoft Česká republika,OR-CZ GmbH und der Stadtvertretung abdem 2. Jahrgang des Wettbewerbs auchinternationale Beteiligung vorsieht.

Interesse an diesem Preisausschreibenverraten die fast 2000 Einsendungen. DasThema des Vorjahres Meine Traumland-schaft (Krajina mých snů) und das dies-jährige, Verwandlungen (Proměny) scheinender Phantasie der Kinder geradezu beflügeltzu haben. Die Kinder vermochten es, ihreminneren Erleben künstlerisch Ausdruck zu

verleihen, und dies nur vermittels desGrundprogramms Malen im Betriebs-system Windows. Sie stellten so nicht nurihre künstlerische Veranlagung unter Be-weis, sondern auch ihr Können im Umgangmit dem Computer. Auch im kommendenJahr läuft der Wettbewerb wieder an unddie Organisatoren begrüßen Arbeiten vonKindern aus aller Welt.

Auf den Speedwaybahnen zeigt sich einneuer Renner. Aus der Fabrik JAWA Di-višov, dem weltweit größten Herstellervon Speedwaymaschinen, kommen seitJuli d.J. Motorräder Marke JRM. „Mit demletzten Juli lief der Lizenzvertrag für dieMarke JAWA aus“, erklärt der Vertreter derFirmenleitung, Karel Horčička.

Jährlich verlassen 400 bis 460 Maschinenden Betrieb. In der neuen Saison werdenetwa der Däne Hans Anderson, der SloweneMatěj Zagar oder die Tschechen ZdeněkSchneiderwind und Luboš Tomíček die JRM(Jawa Racing Motorcycles) fahren.

Den Wolkenkratzern in der Stadt Zlín gegen-über wurde eine 2 Meter hohe bronzene StatueJan Antonín Baťas, des Stiefbruders des be-rühmten Gründers der Schuhfabriken, enthüllt.

Es ist heuer 60 Jahre seit dem Urteil des Volks-gerichtes vergangen, welches J.A. Baťa in Ab-wesenheit zu 15 Jahren Gefängnis und Einbußeallen Eigentums wegen mutmaßlichen Landes-verrats verurteilte.

„Ich hoffe, daß das kommunistische Komplottvon 1947 wiedergutgemacht wird. Mein Onkel warein Patriot“, erklärt Tomáš Baťa j. bei der Enthül-lung des Denkmals in Zlín. Baťa hat bei den tsche-chischen Gerichten die Wiederaufnahme des Pro-zesses beantragt, er erhofft sich, daß der Nameseines Onkels wieder rein gewaschen wird.

Jan Antonín Baťa übernahm nach dem tragi-schen Tod seines Stiefbruders Tomáš 1932 dieLeitung der Baťa-Werke. „Das Denkmal ist eineGenugtuung gegenüber seiner Person, und vonder Stadt wird er auf diese Weise rehabilitiert“,gibt sein Urheber, der akademische BildhauerRadim Hanke zu bedenken.

Die achtundzwanzigjährige KláraPoláčková, momentan als Konsulentinin London tätig, erstieg am 16. Mai d.J.als erste Tschechin den Gipfel deshöchsten Berges der Welt (8850m).

Auf den Gipfel begleitet wurde sievon zwei Sherpas und Tashi Tenzing,dem Enkel des berühmten Tenzing Nor-gay, der zusammen mit Sir EdmundHillary 1953 die Erstbesteigung desMount Everest unternahm.

Klára Poláčková hat bereits den Aco-nagua (6962 m) in Argentinien und denCho Oyu in Nepal bezwungen.

Zwei Tage nach ihr erklomm auchder Prager Oberbürgermeister PavelBém den Gipfel des höchsten Bergesder Welt. Er ist damit der zehnte Tsche-che, der vom Dach der Welt herab-schauen konnte.

Das barocke Kornhaus im Schloß-gelände von Nový Hrady (Gratzen) ver-wandelte sich in das erste tschechischeFahrradmuseum. Ausgestellt werdenhier Exponate privater Sammler, Fahr-radliebhaber, die sich von Jugend andiesem Hobby widmen.

Das Museum stellt eine repräsentativeKollektion von Zweirädern vom Augen-blick seiner Erfindung an aus. DenGrundstock bilden Ausstellungsstückeaus der Zeit Österreich-Ungarns. Be-reichert wird die Ausstellung durch zwei umfangreiche Sammlungen – eineaus der Zeit des ersten Weltkrieges, diezweite bietet Einblick in eine historischeReparaturwerkstatt und ein Fahrrad-geschäft aus den 1930er Jahren. In denoberen Etagen ist eine Ausstellung desmodernen Radsports im Entstehen.Installiert werden sollen hier auch einKarussell und ein Kino, wo historischeFilme rund um das Fahrrad zu sehensein werden.

Petra Jeřábková – 1. Platz, Arbeit zum Thema „Verwandlungen“

Markéta Přikrylová – 3. Platz, Arbeit zum Thema „Verwandlungen“

Fahrradmuseumeröffnet

Prager Oberbürgermeister Pavel Bém mit Landsleuten beim Galaabend „Goldenes Prag“

Bahnhof alt-neu

Luboš Hruška verstorben

Prag überraschtChicago

AutomatisierterAngelsport

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Mosaik

Der Preis Rekonstruktion 2007 desGrand Prix der Architekten, der von derTschechischen Architektenkammer er-teilt wird, ging an den Bahnhof Ostrava-Svinov (Ostrau) des Ingenieurs VáclavFilander. Der Bahnhof, der Jahrzehntelang vernachlässigt wurde, nahm vorallem in den 1970er Jahren Schaden, alsdie historische Fassade entfernt wurde.Den letzten Rest versetzte ihm das Hoch-wasser von 1997.

Der Bahnhof erhielt nicht nur seinhistorisches Aussehen zurück, sondernwurde um eine gläserne Eingangshallemit Servicecenter erweitert. Die verglasteHalle ermöglicht nicht nur am Tag, son-dern auch in der Nacht den Durchblickauf das alte Bahnhofsgebäude.

Verwunderung und Überraschung beherr-schten das amerikanische Chicago währendder Tage Prags. Den ersten Schock bereitetedie Statue des „hängenden Mannes“ vonDavid Černý, die an den in Příbor (Freiberg)geborenen Sigmund Freud erinnerte. Nachihrer feierlichen Enthüllung am 28.6. d.J.über der Michigan Avenue, wurden die Rettungsdienste mit hysterischen Anrufernkonfrontiert, die sich um das Schicksal des„Verunglückten“ sorgten.

Das Programm der Prager Tage war inerster Linie dem Gedenken an den aus Böh-men (Kladno) stammenden BürgermeisterChicagos Antonín Čermák gewidmet, eineder Hauptverkehrsadern der Stadt erhielterneut seinen Namen. An den Einfluss derEinwanderer aus böhmischen Ländern aufGestaltung und Entwicklung der Stadt erin-nerte der jetzige Bürgermeister Richard Da-ley: „Die Tschechen hatten einen großen An-teil an der Urbanisierung, Sie waren brillanteArchitekten, Ingenieure und Kaufleute.“

Der Prager Oberbürgermeister Pavel Bém,der an den Feierlichkeiten teilnahm, hob die guten Beziehungen zu den Amerikanernhervor, die sich zu ihren tschechischen Wurzeln bekennen. Die tschechische Lands-mannschaft die 1930 in der Stadt existierte,zählte 500 000 Mitglieder, heute bekennen

sich noch rd. 150 000 Einwohner zum tsche-chischen Erbe.

Die amerikanische Öffentlichkeit konntewährend der Feierlichkeiten auch die Tagedes tschechischen Films auskosten, deret-wegen der tschechische Filmemacher JanHřebejk mit seinem Film Pupendo angereistwar, der hier seine „Amerikapremiere“ er-lebte. Aufmerksamkeit erregte auch dieAusstellung von Graphikblättern OldřichKulháneks. Dieser stellte erstmals die Ent-würfe aus, nach welchen die tschechischenBanknoten entstanden sind. Von der ChicagoTribune wurde die Exposition in höchstenTönen gelobt.

Die Tage Prags, Béms zu Folge „diegrößte Präsentation tschechischer Kultur inChicago seit 1989“, begleitet von Konzertentschechischer Interpreten, Ausstellungen undSeminaren, fanden nicht nur bei der Bevölke-rung und den Stadtvätern Anklang, sondernerweckten auch das Interesse einflußreicheramerikanischer Medien.

Im Alter von 80 Jahren verstarb in Plzeň(Pilsen) Luboš Hruška, langjähriger politi-scher Häftling und Urheber des einzigartigenGartens der Besinnung mit dem Denkmal fürdie Opfer der Gewaltherrschaft im PilsenerStadtpark, Träger verschiedener Auszeichnun-gen, einschließlich des T.G.Masaryk-Ordens.

Den Garten zum Gedenken an das Leid derMenschen, die sich dem totalitären Regimeentgegenstellen, legte Luboš Hruška heimlichund aus eigenen Mitteln Ende der achtzigerJahre an. Die Sandsteinstatuen des Kreuzwe-ges stammen von dem Bildhauer Roman Pod-hrázský. Nach der Wende vom November1989 wurde die Stiftung Denkmal für dieOpfer der Gewaltherrschaft (Nadace Památ-níku obětem zla) gegründet und eine neueKapelle gebaut. Der Park steht heute derÖffentlichkeit zur Verfügung und wird fürkirchliche und kulturelle Zwecke genutzt.

Der neunzehnjährige Student der Tech-nischen Fachoberschule in Prostějov To-máš Nezval konnte auf der Internationalenwissenschaftlich-technischen Messe IntelISEF in den USA eine Auszeichnung undeinen Geldpreis in Empfang nehmen.

Er entwickelte eine automatische An-gelrute, die dank Mikroprozessoren selbst-tätig Fische fängt. Besonders geeignet istdie Angel für den Winter, weil man sichdie Bewegungen des Köders nach Bedarfvorprogrammieren kann.

Den Preis erhielt er in der Sparte Elek-trisches und Mechanisches Ingenieur-wesen. Auf der Messe wetteiferten 1500Nachwuchswissenschaftler und Erfinderaus 51 Ländern miteinander.

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„Alljährlich am ersten Mai, wenn dieSchiffahrtssaison eröffnet wird, stehen sievor dem historischen Dampfer Vyšehrad zumSpalier ausgerichtet. Abwechselnd Mannund Frau. Oder, wie man bei ihnen sagt, Bru-der und Schwester. Angetan sind sie mit ihrerParadeuniform, eine Schärpe um die Hüften,einen Aufnäher mit der Aufschrift VltavanPraha an der Schulter.“ So beschreibt derReporter Adam Pražák sein Zusammen-treffen mit dem Verein Vltavan, dem ältestenVerband Tschechiens.

Vltavan besteht seit 1871, vor kurzem fei-erte er 135 Jahre ununterbrochene Verbands-arbeit. Im Unterschied zu anderen Organisa-tionen, wie etwa der tschechische Turn- undSportverein Sokol, wurde seine Tätigkeit nichteinmal von den Kommunisten unterbrochen.Seine Wurzeln hat er im Holzhandel und Flößer-wesen, an seiner Wiege standen dreiundachtzigFlößer, Holzhändler und Fischer. Zu den Grün-dern gehörten aber auch der damalige PragerOberbürgermeister František Dittrich und dieAristokraten Adolf und Karl Schwarzenberg.

Der Verein ist schicksalhaft verbunden mitden Orten, an denen sich der Fluß mit derPrager Stadtmitte berührt, mit dem ehema-ligen Stadtteil Podskalí. Dieses Viertel fiel inden Jahren 1905 bis 1910 der recht unsensib-len Sanierung der alten Stadtteile zum Opfer.Erhalten geblieben ist nur das alte Zollamt

Na Výtoni. Eben hier hat der Verein Vltavanseinen Sitz. Das Gebäude hat seinen Namennach der Bezeichnung für den Flußzoll –výton, der an dieser Stelle seit 1088 einge-zogen wurde, wie es der erste tschechischeKönig Vratislav II. angeordnet hatte. Heuteunterhält das Museum der Hauptstadt Praghier eine Ausstellung, die der regionalen Flös-serei und Dampfschiffahrt auf der Moldaugewidmet ist. Die Vereinstraditionen bringennicht nur die Ausstellungsstücke im Museumin Erinnerung, sondern auch das stilgerechtePodskaler Wirtshaus, in dem sich jetzt wie-der die „Leute vom Wasser“ treffen.

Seinen Sinn sieht Vltavan von seiner Grün-dung an in gegenseitiger Hilfe und Unterstüt-zung, durchdrungen von Patriotismus und derIdee der nationalen Emanzipation. Heute ar-beitet der Verband mit der Organisation fürbehinderte Kinder S tebou mě baví svět (Mitdir freut mich die Welt) zusammen.

Patriotismus und Heimatverbundenheitstrahlt auch die Eröffnungszeremonie desältesten Balls Tschechiens aus, der von dem

Alle Regime überlebt

„Vltavaner“ Kamil Lhoták, 1980

Zu den Gründungsmitgliedern des Vereins gehörten Flößer, Holzhändler und Fischer – hier beim winterlichen Fischverkauf

Bei der alljährlichen Trauerfeier für die Ertrunkenen, 1970er Jahre

37Abzeichen von Karel Svolinský

Der Verein samt seiner Vereinskapelle beim Ausflug auf der Moldau GesellschaftUnd so wie unsere Nation aus

ihrem Dahindämmern erwachte,leuchtete es auch in den Herzen derSöhne unseres Stadtteils Podskalíauf, die darüber nachdachten, daßsich die Vltava (Moldau) in den VaterVltavan verwandle, der die krankenSöhne aus Podskalí nicht verlassenwürde, die Toten zur letzten Ruhe-stelle geleiten, Verstümmelte heilen,gebrechliche Glieder stützen und soin der Not helfen möge.

Einleitung zum Stammbuchdes Vereins Vltavan

Verein organisiert wird. Eröffnetwird die Feierlichkeit mit demChorgesang des Liedes Čechykrásné, Čechy mé (Schönes Böh-men, Böhmen mein) „Wir allezusammen bilden einen typischenPrager Verein, der trotz aller Un-bill dem Leben optimistisch ge-genübersteht“, sagt Bruder Jaro-slav Vopravil, einer der Chronis-ten des Vereins.

Nur noch ein Drittel der Ver-einsmitglieder hat beruflich mitdem Fluß zu tun. Die Mitglied-schaft ist das Erbe einiger Genera-tionen. „Als ich vor Jahren in Podskalí unter-richtete, konnte ich in den Familien meinerSchüler die schönen Traditionen des VereinsVltavan beobachten. Ich verbrachte vieleschöne Stunden mit auf den Wassern tsche-chischer Flüsse und die Moldau habe ichsogar noch vor der Fertigstellung der Stau-dämme mit den Flößern befahren. Das warein ganz gewöhnliches Erlebnis, und dieFahrt endete traditionell am Landeplatz Na Výtoni.“, erinnert sich Michal Basch, vor-mals Bürgermeister von Prag 2, wozu der ver-schwundene Stadtbezirk Podskalí gehörte.

Zeit seines Bestehens hat der Verein anseinen Bräuchen festgehalten: Im Sozialis-mus liefen die Verbandsaktivitäten unter demNamen „Friedensfeier“. Nach der Auflösungder Vereinigung der Floßmeister und Bade-meister übernahm der Verband die Traditionder Totenfeier für die Ertrunkenen, die jedes

Jahr am ersten Sonntag nach Aller-seelen veranstaltet wird.

„Am ersten November 1930trafen sich vor dem ehemaligenGasthaus U Riehsů in Podskalí die ‚Männer vom Wasser‘ (Flößer,Schiffer, Fischer, Bademeister)und beschlossen, alljährlich denenzu gedenken, die der Fluß sich ge-holt hatte. Die Brüder Jandáček,Bademeister vom Gelben Bad(Žluté lázně), dachten dabei an dieJungs, die sie unter den steilenKalksteinfelsen bei Zlíchov (Pra-ger Stadtteil) hervorgezogen hat-

ten, die Schiffer an ihre ertrunkenen Kamera-den. Die Seeleute vom Schlachtschiff Sv. Jiří(St. Georg) an ihre Mitstreiter an der Buchtvon Boka Kotorska (Bocche di Cattaro), amweitesten gekommen war der Seemann Šká-ba, bis hinaus nach Shanghai“, so beschreibtder Schriftsteller Adolf Branald das Entstehendieser Tradition. In einem Essay in seinemBuch Lidé a lodě na Vltavě (Menschen undSchiffe auf der Moldau) schildert er, wie dieFeier heute vonstattengeht: „Oben in Štěcho-vice werfen die Flößer einen Kranz aus weißenAstern ins Wasser. (…) Eine Ehrenwache,angeführt vom Vereinsvorsitzenden, und be-gleitet von Musik, steht an der Mole Spalier.Wenn das Trauerschiff mit der Breitseite ander Staumauer anlegt, werden Kränze vomSchiff gebracht und beim Klang des ChoralsKol Slaven (Ich bete an die Macht der Liebe)an die Vltava-Statue (Moldau-Statue in Prag-

Erste Vereinsfahne aus dem Jahr 1872, genannt wirdsie „Historische“ oder „Jesus“

drucksvollsten Symbolen. DieEhrfurcht davor ist kein for-maler Ausdruck der Mitglied-schaft, sondern Beweis echterBindungen und Ausdruck desStolzes auf Vergangenheit undGegenwart unseres Vereins“,hören wir von Vereinsgeschicht-ler Jiří Mejstřík.

Die hübsche Vereinsuniformist wirklich ungewöhnlich, sieist aus den Uniformen der französischen Handelsmarinehervorgegangen, die Farben rot und weiß erinnern an denKampf um Unabhängigkeit

von Habsburg. Von den Vereinstraditionenließen sich auch Künstler inspirieren. Dasgegenwärtige Klubabzeichen stammt vondem Maler Karel Svolinský, einen „Vorzei-gevltavaner“, der in seiner Uniform am Fluß-ufer steht, malte Kamil Lhoták.

Der momentane Altersdurchschnitt desVereins beträgt fast 60 Jahre. Die Vereins-mitglieder machen sich keine Illusionendarüber, daß das Vereinsleben kaum nochjunge Leute anzieht. Aber Nachfolger guterTraditionen, so hofft man, werden sichimmer wieder finden.

RedaktionPhotos: Archiv Verein Vltavan

liebliche Melodien aus unserem Leierkasten,den wir nur bei ganz besonderen Gelegen-heiten erklingen lassen“, ergänzt Karl Mik-šovský, auch Kapitän auf dem Dampfer Tyrš.

Stolz ist der Verein auch auf seine vierVereinsfahnen, deren älteste wirklich einUnikat darstellt. „Die erste Vereinsfahneheißt Jesus und wurde am ersten Jahrestagdes Vereins 1872 geweiht. Die Fahne wiegtfast dreißig Kilo, und der Fahnenträger, dersie bei Festlichkeiten trägt, muß deshalbnicht nur ein geachteter, sondern auch einkräftiger Mann sein“, erklärt der erste Stell-vertreter Václav Hodr. „Neben streng ein-gehaltenen Regeln, Vereinsabzeichen undder Anrede ‚Schwester‘ und ‚Bruder‘, gehö-ren die Fahnen und Uniformen zu den aus-

Smichow) gehängt. Die Men-schen auf der Brücke und amUfer schließen sich an, manchenehmen sogar die Hüte ab,aber ansonsten geht und fährtalles oben auf der Brücke wei-ter, Autos und Straßenbahnensind zu hören, und nicht einmalauf dem Fluß kommt das Le-ben zum Stillstand, aber vonhier, von der Statue aus, scheintes, als würde gerade jetzt, imstillsten aller Bruchteile derZeit, wo die überdauerte Zeitmit der unsrigen in eins über-geht, etwas drängend erklingen.“

Der Verein nimmt auch ganz regelmäßigjedes Jahr am traditionellen Ruderwettbe-werb Primátorská osma (Achter des Ober-bürgermeisters) im Achter mit Steuermannteil, der seit 1910 stattfindet. Für den Rest desJahres wendet sich der Verein eher vergnüg-lichen Aktivitäten zu. Egal, ob es sich umEröffnung des regelmäßigen Bootsverkehrszwischen Prag und Slapy handelt, die nichtohne Musik und Tanz abgeht, oder um Fahrtenmit dem Vereinsdampfer Tyrš zu den Klän-gen von Countrymusik. Die wichtigste Ver-anstaltung aber bleibt das Podskalí-Treffen,bestimmt für die Prager Öffentlichkeit. Aufdie Besucher wartet die Besichtigung desMuseums, Altprager Musik, Dampferfahrt,Vorstellungen der Scharfschützen. „Und

38 Mitglieder des Vereins umringen Miloslav Kardinal Vlk, St. Peter-und-Paul-Wallfahrt, Prag, Vyšehrad, 2002

Treffen von Vereinsmitgliedern mit Václav Klaus und seiner Frau Livia, 2005

jiří kolářpřeskládaná historie

the rearranged history11. 9.–20. 10. 2007galerie art chrudimwww.galerieart.cz

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