in den neuen ländern - nomos

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Aus dem Inhalt: Th. Ramm: Große Koalition, Föderalismusreform und Staatsbankrott S. 337 St. Fritsche: Die jüngste Rechtsprechung zum fremdfinanzierten Erwerb von Immobilien und Fondsanteilen S. 344 V. Winkler: Welche Juristen braucht die Demokratie? S. 349 ZPO-Reform auf dem Prüfstand S. 351 Rechtsprechungsteil: LVerfG Mecklenburg-Vorpommern: Finanzausgleich und kommunale Selbstverwaltung S. 360 BGH: Voraussetzungen für die Begründung von Dienst- barkeiten nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG S. 366 OLG Naumburg: Sachenrechtsbereinigung und Anfechtung des entschädigungslosen Heimfalls bei Insolvenz des Erbbauberechtigten S. 371 OVG Bautzen: Abstandsflächenverletzung einer Garage und Nachbarschutz S. 374 BVerwG: Beurteilung des redlichen Erwerbs bei Über- tragung eines Bodenreformgrundstücks S. 378 Nomos Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern E 10934 806 60. Jahrgang Seiten 337-384 NJ N eue J ustiz Herausgeber: Prof. Dr. Marianne Andrae Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard Dr. Michael Burmann Dr. Bernhard Dombek Dr. Frank Engelmann Dr. Margarete von Galen Lothar Haferkorn Georg Herbert Dr. Gerhard Hückstädt Dr. Günter Kröber Prof. Dr. Martin Posch Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg Dr. Axel Schöwe Karin Schubert Prof. Dr. Horst Sendler † Manfred Walther Dr. Friedrich Wolff

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Aus dem Inhalt:

Th. Ramm: Große Koalition, Föderalismusreformund Staatsbankrott S. 337

St. Fritsche: Die jüngste Rechtsprechung zumfremdfinanzierten Erwerb von Immobilien undFondsanteilen S. 344

V. Winkler: Welche Juristen braucht die Demokratie?S. 349

ZPO-Reform auf dem Prüfstand S. 351

Rechtsprechungsteil:LVerfG Mecklenburg-Vorpommern: Finanzausgleich undkommunale Selbstverwaltung S. 360

BGH: Voraussetzungen für die Begründung von Dienst-barkeiten nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG S. 366

OLG Naumburg: Sachenrechtsbereinigung undAnfechtung des entschädigungslosen Heimfalls beiInsolvenz des Erbbauberechtigten S. 371

OVG Bautzen: Abstandsflächenverletzung einer Garageund Nachbarschutz S. 374

BVerwG: Beurteilung des redlichen Erwerbs bei Über-tragung eines Bodenreformgrundstücks S. 378

Nomos

Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

E 10934

80660. Jahrgang Seiten 337-384

NJ•Neue Justiz

Herausgeber: Prof. Dr. Marianne Andrae Prof. Dr. Ekkehard Becker-EberhardDr. Michael BurmannDr. Bernhard DombekDr. Frank EngelmannDr. Margarete von GalenLothar HaferkornGeorg HerbertDr. Gerhard Hückstädt Dr. Günter KröberProf. Dr. Martin PoschDr. Erardo Cristoforo RautenbergDr. Axel SchöweKarin SchubertProf. Dr. Horst Sendler †Manfred WaltherDr. Friedrich Wolff

NJ_8_06_Cover 11.07.2006 8:27 Uhr Seite U1

RECHTSPRECHUNG

� 01 Verfassungsrecht

LVerfG Mecklenburg-Vorpommern:Finanzausgleich und kommunale Selbstver-waltung (bearb. v. Jutzi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

VerfG Brandenburg:Kommunale Selbstverwaltung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Gemeinden (Leits.) . . . . . . . 362

� 02 Bürgerliches Recht

BGH:Kaufmannseigenschaft einer LPG. . . . . . . . . . . . . . . . 362

BGH:Beweiskraft von Privaturkunden(bearb. v. Zenker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

BGH:Anspruch auf Beseitigung einer Trafostation und Entstehen einer Dienstbarkeit kraft Gesetzes . . 364

BGH:Voraussetzungen für die Begründung von Dienstbarkeiten nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG (bearb. v. Maskow) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

BGH:Fristlose Kündigung eines Mietvertrags wegen unpünktlicher Zahlung (bearb. v. St. Schreiber) . . . 368

BGH:Zwangsvollstreckung bei Betriebskosten-abrechnungen (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

BGH:Schadensminderungspflicht des Geschädigten bei Mietwagenkosten (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

BGH:Rückabwicklung bzw. Neuberechnungeines Darlehensvertrags zur Finanzierung einer Fondsbeteiligung (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

BGH:Keine Anwendung des SachenRBerG für Einräumung eines Notwegrechts (Leits.) . . . . . 369

BGH:Abrechnung von Betriebskostenvoraus-zahlungen bei Zwangsverwaltung (Leits.) . . . . . . . 370

BGH:Verjährungsbeginn bei Ersatzanspruch des Vermieters (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

S. 360

I

Neue JustizZeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in denNeuen Ländern

60. Jahrgang, S. 337-384

NJ 8/06

Redaktion: Rechtsanwältin Adelhaid Brandt(Chefredakteurin)Rechtsanwältin Susan Vogel

Redaktionsanschrift:Französische Str. 13, 10117 BerlinTel.: (030) 22 32 84-0Fax: (030) 22 32 84 33E-Mail: [email protected]://www.nomos.de

Erscheinungsfolge: einmal monatlich

Bezugspreise: Jahresabonnement: 136,– €inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kosten

Einzelheft: 15,– €inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kostenVorzugspreis für Studenten: gegen Nachweis jährlich 39,– €

inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand-kostenBestellungen beim örtlichen Buch-handel oder direkt bei der NomosVerlagsgesellschaft Baden-Baden. Abbestellungen bis jeweils 30. September zum Jahresende.

Verlag/Druckerei: Nomos VerlagsgesellschaftWaldseestr. 3-5, 76530 Baden-BadenTel.: (07221) 21 04-0Fax: (07221) 21 04-27Anzeigenverwaltung und -annahme: sales˛friendlyBettina RoosMaarweg 48, 53123 BonnTel.: (0228) 978 98-0Fax: (0228) 978 98-20E-Mail: [email protected]

Urheber- und Verlagsrechte:Die in dieser Zeitschrift veröffentlich-ten Beiträge sind urheberrechtlichgeschützt. Das gilt auch für die ver-öffentlichten Gerichtsentscheidungenund ihre Leitsätze; diese sind geschützt, soweit sie vom Einsender oder vonder Redaktion erarbeitet und redigiert worden sind. Kein Teil dieser Zeit-schrift darf ohne vorherige schriftlicheZustimmung des Verlags verwendetwerden. Das gilt insbesondere fürVervielfältigungen, Bearbeitungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungenund die Einspeicherung und Verarbei-tung in elektronischen Systemen.ISSN 0028-3231

Redaktionsschluss: 10. Juli 2006

In d iesem Hef t …

S. 354INFORMATIONEN

Bundesgesetzgebung/Gesetzesinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

Neue Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

S. 337AUFSÄTZE

Große Koalition, Föderalismusreform und StaatsbankrottThilo Ramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

Die jüngste Rechtsprechung zum fremdfinanzierten Erwerb von Immobilien und FondsanteilenStefan Fritsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

KURZBEITRÄGE

Welche Juristen braucht die Demokratie?Viktor Winkler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Kreditsicherungsrechte in Polen, Deutschland und EuropaFrank Skamel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

S. 349

REZENSIONEN

Werner Bienwald/Susanne Sonnenfeld/Birgit Hoffmann:Betreuungsrecht. KommentarVon Matthias Winkler

S. 359

S. 351DOKUMENTATION

ZPO-Reform auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

Eckpunkte einer modernen Justizpolitik im Land Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

RAK-REPORT S. 358

Mantel für NJ 8/06.gxd 11.07.2006 9:52 Uhr Seite I

NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie inder Redaktion unter Angabe der Registrier-Nummer kostenlos bestellen. Fax: (0 30) 22 32 84 33

II

In d iesem Hef t …

BGH:Verwertbarkeit eines gerichtlichen Abstammungsgutachtens (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . 370

BGH:Maßgeblicher Preis bei Vertrag über Lieferung von Fernwärme (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . 370

BGH:Zustellung eines Beitragsbescheidsbei Zwangsverwaltung (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

BGH:Frist für Rückzahlung einer Mietkaution (Leits.) . . 370

Kammergericht:Keine Erhöhungsgebühr bei gerichtlicher Wohngeldverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

OLG Naumburg:Sachenrechtsbereinigung und Anfechtung des entschädigungslosen Heimfalls bei Insolvenz des Erbbauberechtigten (bearb. v. I. Fritsche). . . . . . 371

OLG Rostock:Unverschuldete Säumnis des Rechtsanwalts bei Wahrnehmung eines Gerichtstermins (Leits.). . . 373

OLG Jena:Auslegung eines Gebäudeversicherungsvertrags (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

Kammergericht:Duldung von Rückbaumaßnahmen durch Mieter (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

OLG Naumburg:Voraussetzungen für Gegendarstellungs-anspruch in der Presse (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

Kammergericht:Vollstreckungsunterwerfung bei einem Realkreditvertrag (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

� 04 Verwaltungsrecht

OVG Bautzen:Abstandsflächenverletzung einer Garageund Nachbarschutz (bearb. v. Preschel) . . . . . . . . . 374

OVG Bautzen:Einwendungen gegen Planfeststellung für Straßenbauvorhaben und Lärmschutz (bearb. v. Otto) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375BVerwG:Nichtverwertbarkeit eines Gutachtens wegen Nichtbeteiligung der Partei an Ortsbesichtigung (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

BVerwG:Wirksame Klageerhebung per Funkfax (Leits.) . . . 377

BVerwG:Ausgleichszahlung für freiwillige Flächen-stilllegung (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

OVG Magdeburg:Entschädigung für Versagung der Abrissgeneh-migung eines denkmalgeschützten Gebäudes (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

OVG Greifswald:Streitwert und erstattungsfähige Anwaltskosten im Vorverfahren (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

OVG Bautzen:Nachbarklage gegen Nutzungsänderungs-genehmigung (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

OVG Weimar:Zuständiger Aufgabenträger für Rückzahlung von Wasserbeiträgen (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

OVG Berlin-Brandenburg:Unwirksame Teilzeitverbeamtung von Lehrern (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

OVG Greifswald:Rechtmäßigkeit einer abfallrechtlichen Vergütung (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

VG Chemnitz:Versagung der Zustimmung zur Errichtung von Windkraftanlagen (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

� 05 Recht der offenen Vermögensfragen

BVerwG:Beurteilung des redlichen Erwerbs bei Übertragung eines Bodenreformgrundstücks (bearb. v. Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

BVerwG:Keine strafrechtliche Rehabilitierung bei IM-Tätigkeit trotz Vorliegens einer Häftlings-hilfebescheinigung (bearb. v. Keßler) . . . . . . . . . . . . 379

BVerwG:Unternehmenstrümmerrestitution und Gläubigervorrangverbindlichkeiten (Leits.) . . . . . . 381

BVerwG:Höhe der im Gegenzug zur Grundstücksresti-tution auferlegten Rückzahlungspflicht (Leits.) . . . . 381

BVerwG:Ausschluss von Ausgleichsleistungen für entschädigungslose Enteignung (Leits.) . . . . . . 381

OLG Brandenburg/BGH:Ausschluss des Anspruchs des Eigentümers einer Abfalldeponie auf Beseitigung von Ablagerungen durch VerkFlBerG (bearb. v. Matthiessen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

� 07 Sozialrecht

BSG:Verfassungsmäßige Sonderregelungen über Rentenberechnung im Beitrittsgebiet (Leits.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

BSG:Versicherungspflicht eines ehrenamtlichenBürgermeisters (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

LSG Halle/Saale:Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgungund Kostenauferlegung (Leits.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

Verfahrensfortgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

NJ aktuell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III

Buchumschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI

Veranstaltungstermine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Beilagenhinweis: Dieser Ausgabe liegt ein Prospektder Nomos Verlagsgesellschaft bei. Wir bittenfreundlichst um Beachtung.

Mantel für NJ 8/06.gxd 11.07.2006 9:52 Uhr Seite II

IIINeue Justiz 8/2006

NJ aktuell Heft 8/2006

Europäische Gerichte

EuGH: Staatshaftung für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht

Der EuGH entschied mit Urt. v. 13.6.2006 (Rs. C-173/03), dass ein Mit-gliedstaat für Schäden haftet, die dem Einzelnen durch Verstöße einesobersten Gerichts gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind. DieSchadensersatzpflicht bestehe für jeden dem Mitgliedstaat zurechen-baren Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, unabhängig davon, wel-ches Organ dieses Staates durch sein Handeln oder Unterlassen denVerstoß begangen habe. Als wesentliche Aspekte der Rspr.-Tätigkeitkönnten die Auslegung von Rechtsvorschriften sowie die Sachver-halts- und Beweiswürdigung zu einem offenkundigen Verstoß gegendas geltende Recht führen. Bei der Frage der Haftung käme es auf dasVorliegen eines »offenkundigen Verstoßes« – nicht von Vorsatz undFahrlässigkeit – an. Dieser beurteile sich nach Kriterien wie dem Maßan Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, der Entschuldbar-keit des Rechtsirrtums sowie der Verletzung der Vorlagepflicht durchdas Gericht. Stelle das nationale Recht strengere Voraussetzungen fürdie Staatshaftung auf, als sie sich aus den Voraussetzungen einesoffenkundigen Verstoßes ergäben, liege hierin ein Verstoß gegen dasGemeinschaftsrecht. Dies gelte auch für die Begrenzung der Haftungauf Fälle von Vorsatz und Fahrlässigkeit, sofern die Begrenzung dazuführe, dass die Haftung in Fällen ausgeschlossen wird, in denen einoffenkundiger Verstß gegen das anwendbare Recht begangen wurde.

(aus: Pressemitteilung der BRAK, Büro Brüssel, Nr. 12/06 v. 22.6.2006)

BVerfG: Unzulässige Weisung zur Entbindung der ärztlichen Schweigepflichtim Rahmen der Führungsaufsicht

Der Beschwerdef. war aufgrund strafgerichtlicher Anordnung siebenJahre in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Nachdemdas OLG die Unterbringung für erledigt erklärt hatte, stellte es den Ein-tritt der Führungsaufsicht fest. Mit seiner Verfassungsbeschwerdewandte sich der Beschwerdef. gegen die Führungsaufsicht sowie gegendie damit verbundene gerichtliche Weisung, seinen – ihn im Rahmeneiner ambulanten Therapie behandelnden – Arzt von der Schweige-pflicht gegenüber staatlichen Stellen zu entbinden. Die Verfassungs-beschwerde war teilweise erfolgreich. Das BVerfG stellte mit Beschl. v.6.6.2006 (2 BvR 1349/05) fest, dass gegenwärtig keine gesetzlicheGrundlage besteht, die eine Weisung zur Entbindung von der ärzt-lichen Schweigepflicht ermöglicht. Der Eintritt der Führungsaufsichthingegen wurde nicht beanstandet.Die Entscheidung des OLG verletzt den Beschwerdef. in seinem allge-meinen Persönlichkeitsrecht, soweit sie ihn verpflichtet, den jeweilsbehandelnden Arzt von der Schweigepflicht teilweise zu entbinden.Zwar müssen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im über-wiegenden Allgemeininteresse hingenommen werden, sie bedürfenaber einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung. Einesolche Grundlage besteht hier gegenwärtig nicht; insbesondere bietet§ 68b Abs. 2 StGB keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Zwarhat der Gesetzgeber auch die Aufnahme einer ärztlichen Behandlungals Mittel der Führungsaufsicht gesehen. Eine Regelung zur ärztlichenSchweigepflicht hat er jedoch nicht getroffen. Gegen die Annahmeeiner bereits existierenden Ermächtigungsgrundlage spricht auch einaktuelles gesetzgeberisches Vorhaben der Bundesregierung. Der Gesetz-entwurf zur Reform der Führungsaufsicht v. 7.4.2006 sieht vor, dasssich ein bestimmter Personenkreis, u.a. Ärzte, gegenüber dem Gericht,der Aufsichtsstelle und dem Bewährungshelfer zu offenbaren haben,soweit dies für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist.

(aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 56/06 v. 23.6.2006)

BVerfG: Verfassungswidrige Kostenregelung für Dauerpflegschaft

Das BVerfG hat mit Beschl. v. 23.5.2006 (1 BvR 1484/99) die Gebüh-renregelung des § 92 Abs. 1 u. 2 KostO für verfassungswidrig erklärt.Die Vorschrift ist mit dem Gleichheitssatz unvereinbar, soweit sie fürdie Berechnung der Gerichtsgebühren auch bei Pflegschaften, die sichauf die Personensorge beschränken, unbegrenzt das reine Vermögenzugrunde legt. Für den Erlass einer Neuregelung steht dem Gesetzgebereine Frist bis zum 30.6.2007 zur Verfügung. Auf Sachverhalte, beidenen die Erhebung von Gebühren für Fürsorgemaßnahmen mit ver-mögensrechtlichen Bezügen vorgesehen ist, ist die Gebührenregelungbis zu diesem Zeitpunkt weiter anzuwenden. Für die gerichtliche Tätig-keit bei Fürsorgemaßnahmen, die ausschließlich die Personensorgebetreffen, ist für die Dauer der Übergangszeit die für nichtvermögens-rechtliche Angelegenheiten geltende Regelung des § 30 Abs. 3 u. 2KostO entsprechend anzuwenden. Danach ist der Geschäftswert nachfreiem Ermessen zu bestimmen. Bei fehlenden Anhaltspunkten füreine Schätzung ist der Wert regelmäßig auf 3.000 € anzunehmen; erdarf 500.000 € nicht überschreiten.

(aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 51/06 v. 13.6.2006)

BGH: Dauer des Betreuungsunterhalts eines nichtehelich geborenen Kindes

Nach § 1615l Abs. 2 BGB steht der Mutter ein Unterhaltsanspruch fürdie Dauer von mind. drei Jahren zu, soweit von ihr wegen der Pflege

BVerfG: Zur Kürzung von Fremdrenten

Es ist mit dem GG vereinbar, bei der Berechnung der Renten von Aus-siedlern und Spätaussiedlern die auf der Grundlage des FremdrentenGermittelten Entgeltpunkte um 40% zu reduzieren. Es verstößt jedochgegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip, dass die Kürzungauf Berechtigte, die vor dem 1.1.1991 ihren gewöhnlichen Aufenthaltim Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen haben undderen Rente nach dem 30.9.1996 beginnt, ohne eine Übergangsrege-lung für zu diesem Zeitpunkt »rentennahe« Jahrgänge zur Anwendungkommt. Dies entschied das BVerfG mit Beschl. v. 13.6.2006 (1 BvL9/00 u.a.) auf eine entsprechende Vorlage des BSG. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2007 eine verfassungsgemäße Rege-lung zu treffen. Noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlos-sene Verfahren, in denen sich Berechtigte, die vor dem 1.1.1991 in dieBundesrepublik Deutschland zugezogen sind und deren Rente nachdem 30.9.1996 begonnen hat, gegen die Absenkung der ihrer Rentezugrunde liegenden Entgeltpunkte wenden, bleiben ausgesetzt odersind auszusetzen, um den Betroffenen die Möglichkeit zu erhalten, ausden vom Gesetzgeber zu treffenden Regelungen Nutzen zu ziehen.Bereits bestandskräftig gewordene Verwaltungsakte bleiben von dervorliegenden Entscheidung für die Zeit vor der Bekanntgabe unberührt.Es ist dem Gesetzgeber aber unbenommen, die Wirkung dieser Ent-scheidung auch auf bereits bestandskräftige Bescheide zu erstrecken.

(aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 58/06 v. 30.6.2006)

Bundesgerichte

Mantel für NJ 8/06.gxd 11.07.2006 9:52 Uhr Seite III

Neue Justiz 8/2006IV

BVerwG: Rechtsschutz für Grundstückseigentümer gegen Braunkohlentagebau

Das BVerwG hat mit Urt. v. 29.6.2006 (7 C 11/05) entschieden, dassdie Eigentümer von Grundstücken, die für einen Braunkohlentagebauin Anspruch genommen werden sollen, bereits gegen die Zulassungeines Rahmenbetriebsplans klagen können, der diesen Tagebau zumGegenstand hat. Das zuständige Bergamt habe schon bei der Zulassungdes Rahmenbetriebsplans zu prüfen, ob öffentliche Interessen einergroßflächigen Inanspruchnahme von Grundstücken für den Tagebauentgegenstehen. Die großflächige Inanspruchnahme von Grund-stücken mit der Umsiedlung zahlreicher Menschen unter vollständigerUmgestaltung der Landschaft – hier in Garzweiler – könne öffent-lichen Interessen widersprechen, wenn das Abbauvorhaben nichtdurch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, den dort anstehendenBodenschatz zur Sicherung der Rohstoffversorgung abzubauen. DiesePrüfung diene auch den Interessen des einzelnen Grundstückseigen-tümers, auf dessen Eigentum sonst zugegriffen werden müsste. DasBVerwG hat die Sache an das OVG zurückverwiesen.

(aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 37/06 v. 29.6.2006)

BVerwG: Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen

Erstmals hat das BVerwG mit Urt. v. 27.6.2006 (1 C 14/05) darüber ent-schieden, unter welchen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnisaus humanitären Gründen nach dem neuen AufenthG (§ 25) für einenabgelehnten und geduldeten Asylbewerber in Betracht kommt, dersich auf eine allgemeine Gefahrenlage in seinem Heimatstaat (Irak)beruft. Die Klage auf Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthalts-genehmigung blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Das BVerwG hat klargestellt, dass die Erteilung einer Aufenthalts-erlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG zur Vermei-dung von Kettenduldungen unter erleichterten Voraussetzungen inBetracht kommt. Das ist namentlich dann der Fall, wenn ein abge-lehnter Asylbewerber nicht in seinen Heimatstaat abgeschoben wer-den kann, weil ihm dort Gefahren drohen, die einer Abschiebungnach § 60 Abs. 2-7 AufenthG entgegenstehen. Ob eine solche Gefah-renlage im Abschiebezielstaat besteht, hat allerdings bei Asylbewer-bern nur das Bundesamt zu prüfen. Hat das Bundesamt – wie hier – beider Ablehnung des Asylantrags ein zielstaatsbezogenes Abschiebungs-verbot verneint, ist die Ausländerbehörde daran gebunden und kanndeshalb eine mit Gefahren im Heimatstaat begründete humanitäreAufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG grundsätzlich nicht erteilen.Ob etwas anderes dann gelten kann, wenn sich der Ausländer daraufberuft, dass ihm wie der Bevölkerung insgesamt im Zielstaat derAbschiebung erhebliche allgemeine Gefahren drohen, die zu einemAbschiebestopp geführt haben, ließ das BVerwG offen. Eine unzu-mutbare Gefährdung des Kl. bei der Rückkehr in den Irak habe derVGH ausdrücklich verneint. Daher sei nicht anzunehmen, dass einefreiwillige Ausreise des Kl. aus Rechtsgründen unmöglich ist.

(aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 36/06 v. 27.6.2006)

BVerwG: Versetzung von Beamten zu einer Personalservice-Agentur

Die Versetzung eines Beamten zu einer Personalservice-Agentur(Vivento) ohne gleichzeitige Übertragung eines amtsgemäßen Aufga-benbereichs verletzt dessen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruchauf amtsgemäße Beschäftigung. Das entschied das BVerwG mit Urt. v.22.6.2006 (2 C 26/05). Bei jeder sachlich begründbaren Änderung dereinem Beamten übertragenen Funktion muss diesem stets ein amtsge-mäßer Tätigkeitsbereich verbleiben. Daran hat sich durch die Umwand-lung des Sondervermögens der Deutschen Bundespost in Unternehmenprivater Rechtsform nichts geändert. Eine Modifizierung dieser Rechts-lage durch Privatunternehmen ist nach den verfassungsrechtlichenVorgaben nicht möglich. Zu einer Fortentwicklung der hergebrachtenGrundsätze des Berufsbeamtentums bleibt der Gesetzgeber berufen.

(aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 35/06 v. 22.6.2006)

und Erziehung des Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werdenkann. Unterhalt kann aber auch darüber hinaus zugesprochen werden,wenn dies aus Billigkeitsgründen geboten ist. Damit unterscheidet sichdie Vorschrift von § 1570 BGB, der einer geschiedenen Mutter inso-weit grundsätzlich einen unbefristeten Unterhaltsanspruch einräumt.Es ist deshalb umstritten, ob die grundsätzliche Begrenzung des Unter-haltsanspruchs der nichtehelichen Mutter auf drei Jahre dem Gleich-heitsgebot und dem besonderen Schutz der nichtehelich geborenenKinder genügt. Das OLG Schleswig hat eine verfassungsgemäße Aus-legung nach Billigkeit für möglich gehalten. Es hat der Kl. einenUnterhaltsanspruch bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres der gemein-samen Tochter zugesprochen, weil sie wegen ihrer Erkrankung nebender Pflege und Erziehung des Kindes nur zu einer halbschichtigenTätigkeit in der Lage sei (FamRZ 2004, 975). Der BGH hat mit Urt. v. 5.7.2006 (XII ZR 11/04) die Revision des Bekl.zurückgewiesen und die Rechtsauffassung des OLG gebilligt. § 1615lAbs. 2 Satz 3 BGB ist verfassungsgemäß auszulegen, wobei eltern-bezogene, insbesondere aber kindbezogene Gründe für eine Fortdauerdes Unterhaltsanspruchs berücksichtigt werden müssen.

(aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 99/06 v. 5.7.2006)

Zur vorgesehenen Neuregelung von § 1615l Abs. 2 Satz 3 BGB im Unter-haltsrechtsänderungsG siehe K. Schubert/I. Moebius, NJ 2006, 289 ff. (292).

BGH: Zulässige AGB-Klausel eines Reiseveranstalters

Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob die Verwendung der Klausel»Mit Erhalt der schriftlichen Reisebestätigung und Aushändigung desSicherungsscheins werden 20% des Reisepreises als Anzahlung fällig.Bei Ferienwohnungen beträgt die Anzahlung 20% des Reisepreises jeWohneinheitbuchung.«

in den AGB eines Reiseveranstalters der Inhaltskontrolle nach § 307BGB standhält. Der X. Zivilsenat hat mit Urt. v. 20.6.2006 (X ZR 59/05)entschieden, dass die Klausel die Reisenden nicht entgegen denGeboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, und dieRevision gegen das Urteil des OLG Köln, das zu demselben Ergebnisgekommen war, zurückgewiesen.

(aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 90/06 v. 22.6.2006)

BGH: Zur Schadensersatzklage nach einer Robodoc-Operation

Mit Urt. v. 13.6.2006 (VI ZR 323/04) hat der BGH zu den Anforderungenan den Einsatz eines medizinischen Neulandverfahrens und an die Auf-klärung des Patienten Stellung genommen. Will der Arzt keine allseitsanerkannte Standardmethode, sondern eine relativ neue und noch nichtallgemein eingeführte Methode mit neuen, noch nicht abschließendgeklärten Risiken anwenden, so hat er den Patienten darüber aufzu-klären und darauf hinzuweisen, dass unbekannte Risiken derzeit nichtauszuschließen sind. Der Patient muss in die Lage versetzt werden,sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mitbekannten Risiken oder nach der neuen operieren lassen möchte.Im vorliegenden Fall hatte die Kl. von den Bekl. Schadensersatz wegeneiner nach ihrer Behauptung fehlerhaft und ohne die erforderlicheAufklärung durchgeführten ärztlichen Behandlung verlangt. 1995 wurdeder Kl. mit Hilfe eines computerunterstützten Fräsverfahrens (Robo-doc) eine zementfreie Hüftgelenksendoprothese implantiert und dabeiein Nerv der Kl. geschädigt. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.Die Revision blieb ohne Erfolg. Zwar hätte es eines ausdrücklichenHinweises auf noch nicht allgemein bekannte Risiken bedurft, der derKl. nicht erteilt wurde. Dieser Aufklärungsmangel wirkte sich unterden besonderen Umständen des Streitfalls aber nicht aus, weil sich mitder Nervschädigung ein auch der herkömmlichen Methode anhaf-tendes Risiko verwirklicht hat, über das die Kl. aufgeklärt worden ist.Nach der Rspr. des erkennenden Senats kann sich der Patient nämlichnicht auf einen Aufklärungsfehler berufen, wenn sich (nur) ein Risikoverwirklicht, über das er aufgeklärt worden ist.

(aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 89/06 v. 13.6.2006)Fortsetzung auf Seite V

Mantel für NJ 8/06.gxd 11.07.2006 9:52 Uhr Seite IV

337Neue Justiz 8/2006

Der Bundestag hat am 30.6.2006 mit der notwendigen 2/3-Mehrheiteine Reform des Föderalismus beschlossen, der der Bundesrat am7.7.2006 zugestimmt hat. Mit der weitreichendsten Änderung desGrundgesetzes seit 1949 werden das Vetorecht des Bundesrats gegenGesetzesvorhaben des Bundes stark eingeschränkt und zahlreicheGesetzgebungszuständigkeiten vom Bund auf die Länder verlagert.Die folgenden Ausführungen des Autors – sie beziehen sich auf denDiskussionsstand vom Mai 2006 und behalten nach wie vor ihreGültigkeit – wollen die politische Situation getreu der Lasalle’schenMaxime »Aussprechen was ist«* erklären und damit verstehen lassen.

I. Sachverhalt

Beim Deutschen Bundestag und Bundesrat haben Abgeordneteder CDU/CSU und der SPD Gesetzentwürfe zur sog. Föderalis-musreform eingebracht.1 Dies ist die erste wichtige Aktion der»großen Koalition«, die am 11.11.2005 zwischen CDU/CSU undSPD, den beiden Volksparteien, geschlossen worden ist.2 Sie gehtauf das im Anhang zum Koalitionsvertrag erwähnte Gesprächzwischen Edmund Stoiber und Franz Müntefering und auf dessenWeiterführung durch eine Koalitionsarbeitsgruppe zurück, dieihrerseits das bereits zwischen Bund und Ländern erzielte Ver-handlungsergebnis zugrunde legte.

Mit dem Abschluss des Koalitionsvertrags wurde der als Ergeb-nis der Bundestagswahl von 2005 entstandenen politischen Patt-Situation Rechnung getragen. Keine der beiden Volksparteienvermochte, wie dies bisher fast ausnahmslos3 der Fall gewesen

war, eine »kleine Koalition«4 zu bilden. Ihre Zusammenarbeit unddamit die Koalitionsbildung wurde dadurch legitimiert, dass siedie als notwendig erachteten Reformen beschließen und durch-führen könne.5

Große Koalition, Föderalismusreform und Staatsbankrott Professor Dr. Thilo Ramm, Darmstadt

* »Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was istund beginnt damit«; vgl. Ferdinand Lassalle, in: Was nun? Zweite Rede überVerfassungswesen 1863. Er hat den Satz von Johann Gottlieb Fichteübernommen, der nach dessen Zeugnis ein Lieblingswort Napoleons I.gewesen sein soll. Die Entsprechung zum Ranke’schen Gebot festzustellen,»wie es wirklich gewesen ist«, liegt auf der Hand.

1 BT-Drucks. 16/813 v. 7.3.2006. Sie beschränkt sich auf die Änderungendes GG. Demgegenüber enthält der Entwurf eines Föderalismusreform-Begleitgesetzes (BT-Drucks. 16/814 v. 7.3.2006) »die für dessen Inkraft-treten notwendigen Folgeregelungen auf einfach-rechtlicher Ebene«.

2 Der Koalitionsvertrag umfasst 143 Seiten (auszugsweise abgedr. in NJ2006, 19 ff.). Dazu kommt noch auf 47 Seiten das Ergebnis der Koali-tionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform v. 7.11.2005. Unterzeichnersind nicht vermerkt. Offenbar bestand eine mündliche Abrede der Partei-führer (für die CDU Merkel, für die CSU Stoiber und für die SPD Münte-fering) mit einer Verweisung an die Parteitage. Nach deren Zustimmungfand dann die Unterzeichnung durch die Parteiführer am 18.11.2005statt, für die SPD durch den neu gewählten Platzeck.

3 Die Ausnahme war die »große Koalition« zwischen CDU/CSU und SPDunter Kiesinger (1966-1969) gewesen. Vgl. hierzu auch die Gesamt-übersicht von S. Kropp, Koalitionsbildungen in Bund und Ländern –Verfahren, Institutionalisierungsprozesse und Gewinnverteilungen, in:O. W. Gabriel u.a. (Hrsg.), Parteiendemokratie in Deutschland, 2. Aufl.2001, S. 342 f. Danach waren in den Ländern zwei Drittel Koalitions-regierungen.

4 Die Bezeichnung legt nicht die Anzahl der beteiligten Parteien zugrunde.So waren die ersten Regierungen der Bonner Republik unter Adenauer nur»kleine Koalitionen«, die die Regierungsübernahme durch die SPD oderderen Mitbeteiligung verhinderten.

5 Die Begründung nimmt 178 der 180 Seiten ein.

Neue JustizZeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

Herausgeber:Prof. Dr. Marianne Andrae, Universität Potsdam • Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard, Institut für Anwaltsrecht der Universität Leipzig •Dr. Michael Burmann, Präsident der Rechtsanwaltskammer Thüringen • Dr. Bernhard Dombek, Rechtsanwalt und Notar, Berlin, Präsident derBundesrechtsanwaltskammer • Dr. Frank Engelmann, Präsident der Rechtsanwaltskammer Brandenburg • Dr. Margarete von Galen, Präsidentin derRechtsanwaltskammer Berlin • Lothar Haferkorn, Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen-Anhalt • Georg Herbert, Richter am Bundes-verwaltungsgericht • Dr. Gerhard Hückstädt, Präsident des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern und Präsident des LG Rostock •Dr. Günter Kröber, Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen • Prof. Dr. Martin Posch, Rechtsanwalt, Jena • Dr. Erardo CristoforoRautenberg, Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg • Dr. Axel Schöwe, Präsident der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern •Karin Schubert, Bürgermeisterin und Senatorin für Justiz des Landes Berlin • Prof. Dr. Horst Sendler†, Präsident des Bundesverwaltungsgerichtsa.D., Berlin • Manfred Walther, Rechtsanwalt, Berlin • Dr. Friedrich Wolff, Rechtsanwalt, BerlinChefredakteurin: Rechtsanwältin Adelhaid BrandtRedaktionsanschrift:Französische Str. 13 • 10117 Berlin • Tel.: (030) 22 32 84-0 • Fax: (030) 22 32 84 33 • E-Mail: [email protected] • http://www.nomos.de

8 0660. Jahrgang • Seiten 337-384

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II. Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag ist das Fundament der Koalition. Er kannschriftlich oder formlos geschlossen werden. In ihm wird daskünftige Regierungsprogramm entwickelt. Doch können über dieInterpretation der einzelnen Bedingungen Meinungsverschie-denheiten bestehen, und jeder Partei ist es unbenommen, ihreVorschläge der anderen zu unterbreiten und dadurch die Rich-tung zu verändern.6 Die Koalition ist kein starres, sondern einlebendiges Gebilde. Sie beschränkt, beseitigt aber nicht denMachtkampf ihrer Träger.7 Sie verlagert diesen in die Institutionender Koalition. Ihre Errichtung bildet daher den Schwerpunkt desKoalitionsvertrags.

Der Koalitionsvertrag v. 11.11.2005 zeigt dies beispielhaft. Ersieht zwei Institutionen vor:8 Die eine ist das Bundeskabinett, des-sen Zusammensetzung einschließlich der personellen Besetzungfestgeschrieben wird. Die zweite ist der (eigentliche) Koalitions-ausschuss,9 in den die politisch Verantwortlichen, die Fraktions-vorsitzenden und die Parteivorsitzenden, soweit sie nicht demBundeskabinett angehören, eingebunden sind.10 Beide werdenparitätisch besetzt. Doch ist dieses Bild nach der Entstehungs-geschichte noch zu ergänzen.

Die umfänglichen Aussagen über die Zielsetzung der Koalitionenstammen von den 16 Arbeitsgruppen, die einer Steuerungsgruppeunterstanden und wie diese paritätisch besetzt waren.11 Danebenbestand eine große Verhandlungskommission, die bisherige unddesignierte Minister, aber auch potentielle Koalitionsgegner und auchMinisterpräsidenten umfasste.

Diese Verhandlungskommission war zwar nur ein vorbereitenderAusschuss, indessen in stärkerem Maße ein Parteiausschuss im Unter-schied zu dem jetzt im Koalitionsvertrag erwähnten »kleinen« (Bundes-)Koalitionsausschuss. Seine Arbeit wurde von den drei ParteiführernMerkel (CDU), Stoiber (CSU) und Müntefering (SPD) abgesegnet, die denVertrag »vorbehaltlich der Zustimmung ihrer Partei« unterzeichneten.Diese wurde jeweils mit großer Mehrheit erteilt.

Rechtssystematisch gesehen entspricht der Koalitionsvertragdem Typus des Gesellschaftsvertrags. Wie der des bürgerlichenRechts lässt auch er Änderungen in der konkreten Zielsetzung unddie Aufnahme weiterer Gesellschafter zu seinen Bedingungenzu.12 Vornehmlich gehört er indessen dem staatlichen Bereich an:nach seinem Regelungsgegenstand der Ausübung der Regierungund wegen der Öffentlichkeit, die auch dem Willen der Parteienentspricht.

Die rechtliche Qualifizierung des Koalitionsvertrags ist streitig.13

Sie kann allgemein weder aus dessen Zuordnung zum bürger-lichen, noch zum öffentlichen Recht hergeleitet werden, da dieParteien bürgerlichrechtliche Vereine sind, aber öffentlich-recht-lichen Sonderreglungen unterliegen.14 Auf den Parteiwillen kannebenfalls nicht abgestellt werden. Zwar geht dieser darauf hin,dem Koalitionsvertrag maximale Wirksamkeit zuzubilligen. Dochheißt dies nicht, dass ihm Rechtsverbindlichkeit zuerkannt wer-den soll. Denn damit würden sich die Vertragschließenden einerübergeordneten Stelle unterwerfen, die über Interpretationsstrei-tigkeiten entscheidet und den Vertrag exekutiert, d.h. ihn auchgegen den Willen der Vertragschließenden umsetzt.

Diese Stelle könnte ein vereinbartes Schiedsgericht oder das staat-liche Gericht sein. Der Koalitionsausschuss könnte zwar eine Schieds-funktion übernehmen, doch veränderte er damit seinen Charakter.Er wäre dann nicht mehr eine Schlichtungsinstanz, ein Instrumentdes Ausgleichs und der Vermittlung, sondern träfe Entscheidungen,die über die anderen Organe der Koalition hinausgingen und derenStruktur, ja auch die innerparteiliche Demokratie beeinträchtigten.Entschiede das staatliche Gericht, dann verlagerte sich damit dasGeschehen aus dem Freiraum der Politik in den von der Unabhän-gigkeit des Richters geprägten Bereich der dritten Gewalt. Die Ent-wicklung des Rechtsstaats zum »Richterstaat« würde damit weiterfortgesetzt.

Eine solche weittragende Entscheidung kann auch nicht aus demWillen der Parteien hergeleitet werden. Sie darf ihnen nicht unter-stellt werden, indem allgemein dem Vertrag die Rechtswirksamkeitzuerkannt wird. Eine solche Annahme verkennt die Variationsbreitevon Abreden, die bei der Interpretation zu berücksichtigen ist. Immenschlichen Zusammenleben werden sie gerade nach der Art desEinhaltungswillens abgestuft: von der Unverbindlichkeit über dieOrientierung an der Üblichkeit oder Sitte bis hin zur gewollten Exe-kution, die nur für den Vermögensbereich als typisch erscheint, ihreGrenze aber am Schutz der Persönlichkeit findet.15

Dieselbe Variationsbreite der Wertungen besteht auch für denStaat, von der Rechtsgültigkeit bis zur Nichtigkeit. Der Typus desunklagbaren Vertrags, für den das BGB Spiel, Wette, aber auch dieVerlobung nennt, ordnet den Koalitionsvertrag richtig ein.

Würde ihm die Erzwingbarkeit zugebilligt und damit das staatlicheMachtinstrumentarium zur Verfügung gestellt, dann würde die demo-kratische öffentliche politische Auseinandersetzung in die der Öffent-lichkeit verschlossenen Beratungszimmer von Schiedsgerichten oderGerichten verlagert und die derzeit gegebene Kontrolle verringert.

Der Rechtsstaat aber erfordert, der Macht, die eine Koalitionzusammenballt, keinen Freibrief auszustellen, sondern sie derKontrolle zu unterwerfen, ob sie nicht gegen übergeordneteöffentliche Interessen verstößt. Art. 21 Abs. 1 GG ist somit nichtextensiv auszulegen. Die von ihm den Parteien gewährte Freiheitbesteht vielmehr nur innerhalb des Verfassungsgefüges und derallgemeinen Rechtsordnung.

Der Koalitionsvertrag ist Teil des Systems der konstitutionellenDemokratie. Er passt zum weiten Verfassungsbegriff, der auch dietatsächlichen Machtverhältnisse einbezieht. Doch werden sieeben nicht »verrechtlicht«, und zwar auch dann nicht, wenn dieKoalitionsabrede in das Verfassungsrecht eindringt. Wenn demBundeskanzler die Organisationsgewalt zugestanden wird undgrößere Änderungen des Ressortzuschnitts einvernehmlich gere-gelt werden, dann lässt dies dessen Recht, die Entlassung eines

Aufsätze Ramm, Große Koal i t ion, Föderal i smusre form und Staatsbankrott

6 Der Koalitionsvertrag selbst hatte auf die Fixierung der Föderalismusreformverzichtet und auf die bisherigen Unterhandlungen zwischen dem CSU-Parteichef und dem Bundestagsfraktionsführer Müntefering im Anhangverwiesen.

7 Das Phänomen ist bekannt. Der (verbal nicht selten übersteigerte) Macht-kampf wird entschieden durch die Angewiesenheit auf das Fortbestehender Koalition, d.h. auf seine Ersetzbarkeit durch eine neue, durch dieunterschiedliche Beurteilung der Wichtigkeit eines Streitpunkts für dasSelbstverständnis einer Partei und natürlich durch das Durchsetzungsver-mögen ihrer Führer.

8 Dazwischen steht noch eine dritte Instanz, die indessen nur der Konsens-erzielung dient. Sie wird in C. I. Abs. 2 des Koalitionsvertrags unbestimmtformuliert: »Koalitionspartner CDU, CSU und SPD«. Sind dies dieParteiführer? Aber dann gilt das Paritätsprinzip nicht oder ist dieses nur fürEntscheidungen von Bedeutung?

9 Dieser Zusatz stellt klar, dass im Bundeskabinett ebenfalls ein Koalitions-ausschuss steckt, nur ein verfassungsrechtlich integrierter.

10 Der Koalitionsvertrag beschränkt ihn auf den Bundestag. Zur Abstimmungauf der Länderebene vgl. weiter unten im Text.

11 Tiefensee, Thierse, Zypries und Stoiber waren jeweils zweimal Vorsitzende.12 Auf das Ausscheiden einer Partei einzugehen, sollte anhand der Erfahrun-

gen der Weimarer Republik eingehend erörtert werden. Vgl. dazu auch Lier-mann, Über die rechtliche Natur der Vereinbarungen politischer Parteienuntereinander, AöR, Bd. 50, 1926, S. 401. Weitere Nachw. bei A. Schütte,Koalitionsvereinbarungen im Lichte des Verfassungsrechts. Eine Studie zurdeutschen Lehre und Praxis, 1964; Ch. Sasse, JZ 1961, 720.

13 Vgl. dazu die ausführliche Wiedergabe und Zusammenfassung bei K. Grä-fin von Schlieffen, Koalitionsvereinbarungen und Koalitionsgremien, in:Isensee u. Kirchhof (Hrsg.), Hdb. des Staatsrechts, Bd. 3, 2005, S. 683 ff., mitBibliographie ab 1961; vgl. bis dahin Sasse, JZ 1961, 720.

14 Sasse, JZ 1961, 720, 725 ff., hat sich eingehend mit Koalitionsabmachun-gen befasst, die in das »organisatorische Gefüge der Verfassung« eingreifenoder die Verwirklichung einer verfassungswidrigen Politik zur Pflicht mach-ten, und beide Gruppen für unzulässig erachtet. Dies trifft im Ergebnis zu.Selbst wenn die »große Koalition« zur Verfassungsänderung in der Lage ist,so muss dies in der für diese vorgesehenen Form geschehen. Vgl. ferner denvom BGH (BGHZ 29, 187) entschiedenen Fall Dehler ./. Adenauer (Klageauf Herausgabe einer Verhandlungsniederschrift und Tonband einer Unter-redung über außenpolitische Fragen zum Zwecke der Fortsetzung oderBeendigung der Koalition).

15 So teilt sich das bürgerliche Recht in Vermögensrecht und Personenrecht,und es bedarf der Prüfung, ob und wie weit sich gemeinsame Regeln ausder rechtsgeschäftlichen Privatautonomie ableiten lassen.

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339Neue Justiz 8/2006

Bundesministers vorzuschlagen (Art. 64 GG), und seine Richt-linienkompetenz (Art. 65 GG) unberührt. Ob ihr Gebrauch denKoalitionspartner veranlasst, die Koalition zu beenden, ist eineandere Frage.

Die Einhaltung des Koalitionsvertrags verbleibt im Bereich dertatsächlichen Machtverhältnisse. Auch wenn ihm die Parteitagezugestimmt haben, so ist damit der einzelne Abgeordnete nichtgebunden. Denn dieser oder die Partei tritt nicht als sein Vertre-ter auf. Ihn mit Hilfe rechtsgeschäftlicher Konstruktionen demKollektivwillen zu unterwerfen hieße autoritäre Strukturen för-dern und damit das Gebot innerparteilicher Demokratie (Art. 21Abs. 1 Satz 3 GG) verletzen. Verfassungsrechtlich ist dem Abge-ordneten zugesichert, dass er »an Aufträge und Weisungen nichtgebunden und nur seinem Gewissen unterworfen« ist (Art. 38Abs. 1 Satz 2 GG).16 Seine Unabhängigkeit gewährleisten Immu-nität und Indemnität (Art. 46 GG).

Allerdings entspricht der Rechtslage nicht die Wirklichkeit.Tatsächlich ist der einzelne Abgeordnete dem Fraktionszwangunterworfen und überdies in seiner politischen Karriere von derPartei abhängig. Indessen ist die Tragweite dieser Aussage offen.In den Parteien wird um die Macht gekämpft, so dass entsprechendden konkreten Situationen doch Entscheidungsfreiheit bestehenkann, zumal ohnehin das Schlupfloch geheimer Abstimmungbesteht.17 Die innerparteiliche Demokratie sorgt für instabileMachtverhältnisse und mindert die Bedrohung der Entscheidungs-freiheit des einzelnen Abgeordneten. Dazu tritt gerade bei denVolksparteien die Sogwirkung anderer Parteien auf ihre Flügel.18

Die Koalitionen bleiben in ihrem Spannungsverhältnis zwi-schen Recht und Wirklichkeit im Rahmen der von der Verfassunggezogenen Grenzen der Abänderbarkeit (Art. 79 Abs. 3 GG).Innerhalb dieser Grenzen haben sie wie jedes menschliche Han-deln, das individuelle, kollektive und staatliche, das Gebot derAngemessenheit zu berücksichtigen. Es ist das Verbot des Über-maßes (»Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen!«), das derSituation wie auch der Ermessensfreiheit des Handelnden19 zuentsprechen hat und damit subjektiver wie objektiver Art ist.Diese Wertung verlässt allerdings bereits die Ebene der Vertrag-schließenden und bezieht – und dies ist, da die Koalitionen dieRegierung besorgen, letzthin selbstverständlich – die Ebene derRegierten ebenfalls ein.20

III. Föderalismusreform

Die »große Koalition« von CDU/CSU und SPD21 wurde gebildet,um die durch die Bundestagswahl entstandene Patt-Situation imBundestag zu beheben. Sie schloss eine »kleine Koalition« aus. Die»große Koalition« beendete die Unregierbarkeit, und dies gesamt-deutsch. Denn als Koalition der Parteien erstreckte sie sich nichtnur auf den Bund, sondern auch auf die Länder. Die CSU war,obschon Landespartei, Vertragspartner und der »großen Verhand-lungskommission« hatten auch Landesminister angehört undschließlich hatten die Parteitage zugestimmt. Selbst wenn in denLändern nicht ebenfalls große Koalitionen gebildet wurden undanders zusammengesetzte21 Landesregierungen verblieben, so istdie mitregierende Volkspartei durch den Koalitionsvertrag als Par-teienvertrag verpflichtet, die Bundesregierung nicht zu gefährden.

Für den Parteienvertrag gilt, unbeschadet seiner fehlendenErzwingbarkeit, das Verbot des »venire contra factum proprium«.23

Abstimmungen im Bundesrat verlieren damit ihre bisherige Bri-sanz. Der Bundesrat kann nicht mehr das Recht, Bundesgesetzenzuzustimmen, benutzen, um als parteipolitische Gegenregierungzur Bundesregierung zu fungieren. Zögen die Landesregierungen

nicht diese selbstverständliche Konsequenz, so müsste der Koa-litionsvertrag fortgeschrieben werden, um das innerparteilicheDefizit zu beheben: etwa indem die frühere »große Verhandlungs-kommission« zu einem »großen Koalitionsparteienausschuss«erweitert würde.

Merkwürdigerweise geht die »große Koalition« einen anderenWeg. Mit ihren Gesetzentwürfen v. 7.5.2006 erstrebt sie eineRegelung, die sie teils als Föderalismusreform, teils als »Moderni-sierung der bundesstaatlichen Ordnung« bezeichnet. Sie sei »imKonsens mit den Ländern entwickelt« worden.24 Damit werdenRegelungsebenen oder -gegenstände, Bund und Länder, und diepolitischen Partner vertauscht. Die Länder sind, ebenso wie derBund, keine Vertragspartner der »großen Koalition«. Die Parteienverhandeln auf diesen Ebenen und nicht mit ihnen.25

Zur Durchführung der Reformaufgaben, die sich die »großeKoalition« stellt, bedarf es der »Modernisierung«, der »Verbesse-rung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund undLändern« nicht, denn diese ist bereits mit der Begründung der»großen Koalition« erfolgt. Die Entflechtung der Zuständigkeiten,durch die die Eigenständigkeit von Bund und Ländern gestärktund damit die öffentlichen Haushalte entlastet werden sollen,26

kann sich daher nur mit deren Beendigung befassen, sozusagenin weiser Voraussicht der dann entstehenden Konflikte. Jedenfalls

Ramm, Große Koal i t ion, Föderal i smusre form und Staatsbankrott

16 Vgl. hierzu H. Hamm-Brücher, Der Politiker und sein Gewissen. Eine Streit-schrift für mehr Freiheit, 1983.

17 Hieran sind das Misstrauensvotum gegen Brandt und die letzte Wiederwahlder schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Simonis gescheitert. Wassich dahinter verbirgt, etwa ein Stimmenkauf, verändert die rechtlicheWertung nicht.

18 Die SPD ist aufgrund ihrer Geschichte besonders anfällig, zumal sie seit1919 durch die Parteibildung links von ihr bedroht ist. Ihr ParteiführerMüntefering, der Protagonist der »großen Koalition«, vermochte den vonihm ausgewählten Generalsekretär bei der Wahl durch den Parteitag nichtdurchzusetzen, er gab daraufhin sein Amt auf. Doch lässt sich bei der CSUdieselbe Anfälligkeit beobachten: Stoiber verzichtete auf die Schlüsselposi-tion in der Regierung und blieb Parteichef. Allerdings ist bei dieser Beur-teilung das spezifische, das traditionelle Verhalten Bayern zu Deutschlandin Rechnung zu stellen.

19 Sie ist unverzichtbarer Teil der Entscheidungsfreiheit, die für den Augen-blick des Handelns zu respektieren ist und damit auch der späteren recht-lichen Bewertung Grenzen setzt.

20 Um die Brücke zum allgemeinen Vertragsrecht zu schlagen: Der Koali-tionsvertrag ist zumindest ein Vertrag mit Drittwirkung, vielleicht sogar einVertrag zugunsten Dritter. Damit käme man in die Nähe des Begriffs derVolksvertretung.

21 Der Begriff wird hierauf bezogen – während für die »Weimarer Koalition«das Bindeglied die Bejahung der Republik war. Er hat nichts mit der Zahlder koalierenden Parteien zu tun. Adenauer bildete die erste Koalition ausvier Parteien. Sie war dennoch eine »kleine Koalition«, die gerade über eineStimme gegenüber der zweitstärksten Bundestagsfraktion der SPD verfügte.

22 Weshalb sich die Landesregierungen parteipolitisch anders als die Bundes-regierung zusammensetzen und personelle Alternativen zu Parteiführungaufzeigen, bedarf der Erklärung. Zum einen spiegeln die Landtagswahlenals interimistische und regional beschränkte Protestwahlen die jeweiligeBeurteilung der Bundespolitik. Dieser Protest lässt sich als Reaktion aufgebrochene oder nicht eingehaltene Wahlversprechen erklären, die bei derBundestagswahl abgegeben worden waren. Er steht zwischen der Mei-nungsbefragung und der der Bundestagswahl eigenen Entscheidung. Inseiner Unverbindlichkeit wirkt er der Ausbildung politischer Verantwort-lichkeit des Bürgers entgegen. Zum andern gewähren die Länder aufgrundder innerparteilichen Demokratie die Chance, zu avancieren und Regie-rungserfahrungen zu erwerben und zu demonstrieren. Vom »Landesfürsten«ist der Sprung zum Parteiführer und Bundeskanzler nicht allzu weit.

23 Die Widerspruchsfreiheit des eigenen Verhaltens zählt zu den Grundprinzi-pien einer jeden Rechtsordnung, das Verhaltensänderungen, etwa in einerDauerrechtsbeziehung, einer strengen Überprüfung unterzieht.

24 BT-Drucks. 16/813, S. 1. Nach der Entstehungsgeschichte gab es zunächsteine gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat, dannGespräche zwischen den Parteiführern der CSU und SPD und anschließendoffenbar Arbeitsgruppen der koalitionsbereiten Parteien, deren von denParteitagen nicht abgesegneter Entwurf dann von den beiden Fraktionender CDU/CSU und der SPD gemeinsam eingebracht wurde.

25 Wer die Fehlleistung nicht als intellektuelles Unvermögen ignoriert (oderentschuldigt!), sondern sie hinterfragt, wird die Bürokratie als Partner ent-decken. Die parlamentarische Demokratie ist in der Tat ein auf Parteien undBürokratie gegründetes Herrschaftsverhältnis.

26 BT-Drucks. 16/813, S. 1. Dies soll die »Voraussetzungen für einen effizien-teren Einsatz öffentlicher Mittel, eine dynamischere gesamtwirtschaftlicheEntwicklung und die Konsolidierung der Staatsfinanzen« schaffen.

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ist sie kein geeignetes Mittel, um die »große Koalition« zusam-menzuhalten und sie an ihre Reformaufgabe zu erinnern. Sie ist,mit anderen Worten, eine schädliche Vorsorge. Da auf sie die»große Koalition« viel Arbeitskraft verschwendet hat und sie beimAbschluss des Koalitionsvertrags, obschon in unfertigem Zustand,als Vorzeigeobjekt bezeichnet hat, ist ihre Analyse angezeigt.

Unbestreitbar hat sich der Bundesrat zur Gegen-(»Veto«-)regie-rung der Bundesregierung entwickelt. Dies war nach demursprünglichen Wortlaut des GG nicht vorgesehen, sondern ergabsich als Folge der inzwischen erfolgten Novellierungen – es sindmittlerweile 51.27 War dies der Preis, der für den Zuwachs anBundeskompetenzen entrichtet wurde? In diesem Falle hätte aberdann die Zustimmungsbedürftigkeit jeweils konkret überprüftund reduziert werden können.28 Nur hätte eine solche Option fürdas »Ei des Columbus« vorausgesetzt, sich über die politischeEntwicklung Deutschlands seit der Reichsgründung von 1871klar zu werden. Sie ist vom Föderalismus zum Unitarismus29

gegangen – bis die Länder durch die Nationalsozialisten ihreStaatlichkeit verloren.

Niemand hat übrigens damals sein Leben für ihre Fortexistenzeingesetzt. Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben diese Ent-wicklung zunächst durch die Auflösung Preußens und die Etablierungneuer Territorien als Verwaltungseinheiten ihrer Besatzungszonenund sodann durch deren Umwandlung in Länder in der westdeut-schen Verfassung, dem »Bonner Grundgesetz«, rückgängig zu machenund den Zustand des »Deutschen Bundes« (1815-1866)30 herzustellengesucht. Hinter dieser anachronistischen Entscheidung stand ihrdamaliges militärisches Sicherheitsbedürfnis. Es wurde durch dieRemilitarisierung der deutschen Teilstaaten im »kalten Krieg« kor-rigiert.

Die DDR liquidierte ihre Länder.31 In der Bonner Republik wur-den diese von den Juristen liebevoll konserviert. Schon bei derAusarbeitung des GG war die Verteilung der Gesetzgebungs-kompetenz zwischen ihnen und dem Bund32 heftig umstrittengewesen, und dieser Kampf setzte sich fort – auch wenn beimLänderfinanzausgleich Verfassungsnovellen verschämt Staatszielewie »Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse« oder »Wah-rung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichenInteresse (Art. 72 Abs. 2 GG)« nannten. Die immerhin seit 1919diskutierte Neugliederung der Länder wurde nach der Abwehrdirekt-demokratischer Aktionen auf Eis gelegt.

Hort des Unitarismus war die freiheitliche Ordnung derBundesrepublik, über deren Grundrechte das BVerfG wachteund sie fortentwickelte. Sie war insofern selbstverständlich, alsjedem Deutschen die Freizügigkeit gewährleistet ist, und diesfordert Rechtseinheit. Auch ohne in sozialen Grundrechtenseinen Ausdruck zu finden, garantierte der gesetzlich verwirk-lichte Sozialstaat die Einheit. Außerhalb der Verfassung stand dieparademokratische Ersatzinstitution des »kooperativen Föde-ralismus«. Die »ständige Kultusministerkonferenz« war als vor-konstitutionelle Einrichtung vorangegangen. Ihr folgten dienicht institutionalisierten Konferenzen der Ministerpräsidentenund Landesminister, die Innen-, Finanz-, Justiz-, Verkehrs- usw.ministerkonferenzen. Diese Ministerkonferenzen schließen auchVertreter des Bundes ein und sind damit nichts anderes als eineweitere Form der nunmehr auch die Länderbürokratien ein-schließenden Unitarisierung.33 Die sog. Föderalismusreform gehtals gewollte Rechtszersplitterung nun in die entgegengesetzteRichtung. Sie sucht das Rad der Geschichte noch ein weiteres Malzurückzudrehen. Und diesmal ist es keine Entscheidung derSieger, sondern eine deutsche Entscheidung.

Es ist hier nicht die Stelle, die sog. Föderalismusreform alssolche einer eingehenden Kritik zu unterziehen34 und das Ergeb-nis einer fünf Jahre andauernden Reformdiskussion35 in einer– umfangreichen – Mängelliste zusammenzustellen. Es geht aus-

schließlich um ihre prinzipielle Wertung. Die »Modernisierung«beruht offensichtlich auf dem Grundgedanken, dass in einemBundesstaat zwischen Bund und Ländern ein Gleichgewichtexistieren müsse, das in jedem Fall aufrechtzuerhalten sei.

Dies aber ist falsch: Auch der Bundesstaat ist als historischeEntscheidung Entwicklungen unterworfen. Und die Angleichungs-prozesse der Lebensverhältnisse zu ver- oder behindern, ist nichtSache des Rechts.36 Wer dies behauptet, verkennt die dienendeFunktion des Rechts. Sicherlich spaltet der Bundesstaat politischeMacht. Doch rechtfertigt dies allein keineswegs seine Existenz alssolche und noch weniger darf dadurch die Suche nach anderenWegen unterbunden werden, um die Freiheit des Bürgers viel-leicht sogar effektiver zu schützen und zu entfalten.

Der zweite Diskussionsgegenstand ist der Preis. FöderalistischeRechtsverschiedenheit ist Unübersichtlichkeit und Unkontrol-lierbarkeit eines Rechts, das dazu weitgehend unter Ausschluss derdemokratischen Kontrolle entstanden ist. Die Rechtswissenschaftwird mit der Aufgabe überfordert, die deutsche Rechtslage darzu-stellen und kritisch zu bewerten.37 Die Berechenbarkeit des Rechtsbildet aber das Fundament der Freiheit.

Aufsätze Ramm, Große Koal i t ion, Föderal i smusre form und Staatsbankrott

27 Vgl. hierzu die Zusammenstellung von A. Bauer u. M. Jestadt, Das Grund-gesetz im Wortlaut. Änderungsgesetze, Synopse, Textstufen und Vokabularzum Grundgesetz, 1997.

28 Nach der von H. Georgii und S. Borhanian besorgten Ausarbeitung der Wis-senschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, 2006, enthielten 1949nur 12 GG-Artikel die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit, nun-mehr seien es 35 Artikel mit insges. 49 Zustimmungstatbeständen. Dochsoll dies nicht zu einem erheblichen Anwachsen des Anteils derZustimmungsgesetze geführt haben. Sie listen die Schwankungen des Pro-zentsatzes der Zustimmungsgesetze auf: von 41,8% (1949) bis 60,6%.Wieso ist dann aber der Bundesrat zum »permanenten Vetoorgan« gewor-den? Ergibt sich dies aus der Art der Zustimmungsgesetze oder aus derVerschärfung des parteipolitischen Kampfes?

29 Dabei ist stets und zu recht zwischen Unitarismus und der Gleichmache-rei des Zentralismus unterschieden worden.

30 Es ist freilich der Zustand ohne Österreich und Preußen. Der eine Staatwurde eliminiert und der andere zerstückelt und aufgelöst. Als Vergleichs-gegenstand dient somit nur das Trias, der süddeutsche Kern der Rhein-bundstaaten alias die mit Napoleon versippten Dynastien.

31 Das Verhältnis der beiden Ebenen zueinander wäre einer eingehendenUntersuchung wert. Dabei spielt die Machteroberung durch die KPD/SED,aber auch die Deutsche Einheit mit der Orientierung an der WeimarerVerfassung eine zentrale Rolle. Die russische Besatzungsmacht begünstigteohnehin den Zentralismus.

32 Der Begriff ist von der Zäsur des Jahres 1945 zu definieren. Aus Deutsch-land wurden zunächst neue Selbstverwaltungseinheiten der Besatzungs-mächte herausgeschnitten, bei denen diese die übergeordnete Ebene – mit(russischer und englischer Besatzungszone) oder ohne deutschen Unter-bau – bildeten. Die zonenübergreifenden Zusammenschlüsse wurden dannmit den Ländern auf die deutsche Ebene transferiert und der Kreation desBundesstaats eine begrenzte Souveränität verliehen. Dieses Verständnislegt die Beseitigung deutscher Staatlichkeit durch die Sieger zugrunde.Doch waren die Deutschen nach 1945 vom Fortleben der deutschen Staat-lichkeit ausgegangen. Wird diese alte Auseinandersetzung freilich ignoriert,so bleibt nur die positivistische Diskussion übrig, die, juristischer Traditiongemäß, mit Hilfe verselbständigter Begriffe geführt wird. Historisch-poli-tisch ist demgegenüber festzuhalten, dass der Bundesstaat von 1871, derBundesstaat von 1919 und der heutige Bundesstaat verschiedene Gebildesind. Werden sie mit dem idealtypischen Begriff verglichen, so erscheinensie freilich als Spielarten des Scheinföderalismus.

33 Daran lässt die Entstehungsgeschichte keinen Zweifel. Sie wurden durchGeorg August Zinn, den hessischen Ministerpräsidenten und »Landes-vater«, inauguriert.

34 Dazu gehört die Frage, ob das erstrebte Ziel erreicht wird: Genügt es, wie inder Tagespresse dargestellt worden ist, den Prozentsatz der zustimmungs-pflichtigen Gesetze von derzeit 60% auf 35% zu verringern? Nach der vonGeorgii u. Borhanian besorgten Ausarbeitung der WissenschaftlichenDienste des Deutschen Bundestags, 2006, würde sie nur noch 25,8 bzw.24% statt 55,2 und 51% im Vergleich zu den letzten Wahlperioden betra-gen – »tant de bruit pour une omelette«?

35 Nach der Gesetzesbegründung hat sie 2001 begonnen. 36 Der westdeutsche Jurist hat allen Anlass, sich insoweit an die eigene Brust

zu klopfen. Mit dem ominösen Vertretungsanspruch in der Präambel undseiner völkerrechtlichen Erstreckung durch die Hallstein-Doktrin zeichneteer sich von der deutschen Verantwortung für die Einheit frei.

37 Der Öffentlichrechtler kann auf das besondere Verwaltungsrecht, derArbeitsrechtler auf das Individualarbeitsrecht verweisen, in dem überalter-tes Gesetz, Spezialrecht und Rechtsprechungsrecht zusammentreffen. DerGesetzgeber hatte stets Abhilfe versprochen, aber sein Versprechen nieeingehalten.

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Ein dritter und letzter Gesichtspunkt sei nur erwähnt: Innerhalb desGG ist die Zustimmung des Bundesrats nur eine von mehreren Aussa-gen zum Föderalismus. Allein sie verändern, heißt nur eine punktuelleRegelung vornehmen, die doch erst im Gesamtkontext ihre Bedeutungerhielte. Die Auswirkung auf Neugliederung oder Länderfinanzaus-gleich ist aber nicht behandelt, sie ist nicht einmal angeschnittenworden. Das Reformvorhaben ist, so ist das Ergebnis, keine Föderalis-musreform, denn es wird nicht in die verfassungsrechtliche und ebensoauch nicht in die außerverfassungsrechtliche FöderalismuskonzeptionDeutschlands einbezogen.

Die derzeitige Auseinandersetzung dreht sich um die Zustän-digkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern. Das politischeHauptanliegen ist die Verdichtung der Länderkompetenz bis hinzur absoluten Zuständigkeit. Allerdings wird nicht so heiß geges-sen wie gekocht. Zwar soll die Wahrnehmung der deutschenRechte gegenüber der Europäischen Union auf den Gebieten derschulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks fortan nichtdem Bund, sondern einem vom Bundesrat bestimmten Vertreterder Länder zustehen (Art. 23 Abs. 6 GG-E). Doch wird dem damiterklärtermaßen als Gegner angesehenen Bund dann doch die aus-schließliche Gesetzgebung in Sachen des Schutzes des deutschenKulturguts gegen Abwanderungen in das Ausland (Art. 73 Abs. 1Nr. 5a GG-E) übertragen.

Und es gibt das »Zusammenwirken« von Bund und Ländern »inFällen von überregionaler Bedeutung« als neue Kategorie, aller-dings auf Sachen wissenschaftlicher Forschung begrenzt (Art. 91bGG-E). Soll die Tätigkeit des im Koalitionsvertrag ausdrücklicherwähnten Bundesministeriums »Bildung und Forschung« hieraufbeschränkt werden? Und wird nunmehr die »ständige Kultus-ministerkonferenz« aufgelöst?

Die Föderalismusreform ist Juristenwerk.38 Sie verändert einigeVerfassungsbestimmungen, ohne die Verfassung, ja sogar ohnedas Verhältnis von Bund und Ländern als Einheit zu sehen.39

Daher wird sie, einerlei was immer ihr endgültiges Ergebnis oderdas der sich anschließenden Interpretationsstreitigkeiten auchsein wird, niemals den wirklichen Machtverhältnissen gerechtwerden. Die prinzipiellen Fragen bleiben und lassen sich auf deneinfachen Tatbestand zurückführen: Wenn die Kulturhoheit beiden Ländern liegt, dann gibt es demzufolge nur das bayrische,sachsen-anhaltinische, saarländische, hessische, mecklenburg-vorpommersche usw. Kulturvolk.40 Nach dem Zusammenbruchder deutschen Staatsnation im Jahre 1945 wird also zwei Gene-rationen später die deutsche Kulturnation verabschiedet – dieeinstmals die Größe Deutschlands bildete und die das Fundamentseiner moralischen Regeneration werden könnte.

Doch, so wird jener tristen Perspektive sicher entgegnet werden,bedürfe es einer solchen Regeneration gar nicht. Denn sie sei längsterfolgt: Die Bonner Republik habe sie mit ihrem Wirtschafts-wunder bewirkt und die marode bankrotte DDR brüderlich aufge-nommen oder angeschlossen.41 Doch gilt dies auch jetzt noch –und wie sehen die Parteien die wirtschaftliche Lage Deutschlands?

IV. Staatsbankrott

Der Koalitionsvertrag hat auf 138 Seiten die Vorhaben in neunHandlungsfeldern mit insgesamt 55 Unterpunkten aufgelistet.Schon die Handlungsfelder sind nach ihren Überschriften ungleichgewichtet und propagandistisch aufgemacht.42

Noch mehr gilt dies für die Unterpunkte. Ihnen fehlt die ent-scheidende Aussage über die Notwendigkeit gemeinsamenHandelns, um so aus der bestehenden wirtschaftlichen Misereherauszukommen: Deutschland bedarf der »großen Koalition«,weil es sich in einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Krisebefindet. Diese ist allgemein bekannt. Die Verfassungsbestim-

mungen über die öffentlichen Haushalte, für Bund und Länderund die satzungsrechtlichen für Gemeinde und Gemeinde-verbände werden nicht eingehalten. Und seit Jahren verletzt dieBundesrepublik ihre mit der Entscheidung für eine supranatio-nale Währung eingegangenen Verpflichtungen zur Einhaltungvon Haushaltsregeln. Deutschland hat unmissverständlich denBankrott erklärt. Nur darf dieser nicht beim Namen genanntwerden. Denn schon das Wort »Staatsbankrott« zählt zu denpolitischen Unwörtern des Deutschen.43 Sein Gebrauch könnteRuhe und Ordnung, die höchsten politischen Werte des Deut-schen, gefährden.

Dies ist merkwürdig, denn für die Wirklichkeit gilt, dass derDeutsche an Staatsbankrotte gewohnt ist. Zwei davon sind als Wäh-rungsinflation verharmlost worden, obschon die erste den Mittel-stand vernichtete und die Republik von den inneren Kriegsschulden,von der Rückzahlungspflicht für die Kriegsanleihen befreite. Diezweite Inflation vermied diesen Fehler, da sie mit der Lastenaus-gleichsgesetzgebung verbunden wurde. Stets, und dies galt auch fürden Staatsbankrott der DDR, wurde der Staatsbankrott mit dem all-gemeinen Zusammenbruch verbunden und damit die Flucht nachvorne angetreten. Nunmehr indessen bezieht er sich auf einenhochgelobten Staat mit einer als vorbildlich angesehenen und dem-entsprechend gepriesenen Verfassung.

Die demokratische Staatsform erleichtert den Umgang mit derKatastrophe. Denn der Bürger zahlt seine Steuern wacker weiter. DieSteuerverweigerung oder auch nur die Drohung mit ihr, jene selbst-verständliche Reaktion auf das wirtschaftliche Versagen desFürsten, ist mit der Monarchie entfallen. Die Volkssouveränitätbleibt. Sie ist nicht ablösbar, auch wenn die parlamentarischeDemokratie als neue Form politischer Herrschaft erkannt wird.Denn ihre Ausübung durch Vertreter des Volkes ist zeitlich begrenztund geschieht in der Form der Abwahl der zuletzt regierendenPartei oder »kleinen Koalition«. Diesen beschränkten Herren-wechsel hat nun allerdings 2005 die Bundestagswahl unmöglichgemacht, und ihm wäre auch kein Sinn zugekommen, da für denStaatsbankrott nicht der Letztregierende allein verantwortlich ist.Die »große Koalition« vereinigt vielmehr die Verantwortlichen,wenn sie nicht noch weitergehend als Offenlegung der Unzuläng-lichkeit des bestehenden Herrschaftssystems zu begreifen ist.

Mit dem Eingeständnis des Staatsbankrotts wird die Frageaufgeworfen, ob sich nicht die allgemeinen Grundsätze des

Ramm, Große Koal i t ion, Föderal i smusre form und Staatsbankrott

38 Sollte man nicht sogar von Juristen-Flickwerk sprechen? Wer ist eigentlichdafür zuständig, die von Polen als Mitgliedstaat der Europäischen Unioneinbehaltenen Kultgegenstände zurückzufordern? Das betroffene Landoder der Bund als Nachfolger Preußens?

39 Übersehen wird dabei auch, dass mit der Ratifikation des InternationalenPakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 durchdie Bonner Republik und die DDR gemeinsames Recht geschaffen wurde,vgl. dazu Dier, Bildungsverfassungen, in: O. Anweiler u.a. (Hrsg.), Vergleichvon Bildung und Erziehung in der BRD und in der DDR, Materialien zurLage der Nation, 1990, S. 34. Dahinter kann nicht zurückgegangen werden.

40 Wird den 16 Landesvölkern die Aufgabe zugewiesen, für die historischeErinnerung zu sorgen, so zeigt sich die ganze Misere. Fällt die BetreuungGoethes als Frankfurter Hessen oder Thüringen zu, die von LichtenbergHessen oder Niedersachen? Die historischen Jubiläen der Revolution von1848 und des Reichsdeputationshauptschlusses haben offensichtlich dieLänder überfordert. Die Erhebung des »Marquis de Brandenbourg« zumpreußischen König konnte wenigstens von Brandenburg gefeiert werden(2001). Doch wäre dieses Land mit dem Gedenken an Immanuel Kantsicherlich überfordert.

41 Das Wort »Anschluss« ist heute politisch inkorrekt, da der großdeutscheGedanke durch den Österreicher Hitler in Verruf geraten ist – trotz Pauls-kirche und republikanischer Bestrebungen in der Zeit nach dem Ersten Welt-krieg. Er wird hier neutral gebraucht, um die Integration eines Vertragspart-ners in das Rechts- und Gesellschaftssystem des anderen zu kennzeichnen.

42 Mehr Chancen für Innovation und Arbeit, Wohlstand und Teilhabe (I),Staatsfinanzen nachhaltig konsolidieren – Steuersystem zukunftsorientiert (II),Aufbau Ost voranbringen (III), Soziale Sicherheit verlässlich und gerechtgestalten (IV) usw.

43 Anders geht noch K. Elster im Politischen Handwörterbuch, hrsg. vonP. Elster, Bd. 2, 1923, S. 680, ausführlich auf ihn ein; vgl. ferner Jäger, in:HdSTW, 4. Aufl., Bd. 5, 1923, S. 850, und Heckel/Lotz, in: ebenda, Bd. 7,1926, S. 820. Möglicherweise ändert sich dies. Eine Berliner Ausstellung»Staatsbankrott – bankrotter Staat« setzt sich unter dieser Überschrift mitder preußischen Niederlage von 1806 auseinander.

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Aufsätze Ramm, Große Koal i t ion, Föderal i smusre form und Staatsbankrott

Insolvenzrechts anwenden lassen. Zwar passen nicht die Regelndes Bankrotts mit der Aufteilung des Vermögens des Schuldners.Doch steht neben ihnen die Insolvenzregelung durch einen Insol-venzplan mit dem Erhalt des Unternehmens,44 und hierzu lassensich durchaus Parallelen ziehen wie auch der Straftatbestand desbetrügerischen Bankrotts (§ 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB) ebenfallsherangezogen werden kann. Stets sind dabei freilich die Besonder-heiten öffentlich-rechtlichen Handelns zu berücksichtigen.

Materiell-rechtlich besteht Übereinstimmung für die Tatbeständeder Zahlungsunfähigkeit und, so bei juristischen Personen, der Über-schuldung (§ 19 Abs. 1 InsO). Doch führt das Gericht das private Insol-venzverfahren durch. Es erlässt den Eröffnungsbeschluss, ernenntden Insolvenzverwalter, überwacht dessen Tätigkeit oder auch die vonihm zugelassene Eigenverwaltung des Schuldners unter Aufsicht einesSachwalters (§ 270 InsO) und bestätigt endlich auch den Insolvenz-plan (§ 248 InsO). Hinter all diesen Regelungen steht die Grundüber-legung, dass der Schuldner, der wirtschaftlich versagt hat, nicht seineGeschäfte weiterführen darf. Er ist im Regelfall auszuwechseln, jeden-falls aber besonders zu kontrollieren. Herr des Verfahrens ist dasInsolvenzgericht. Und an der übergeordneten Stelle fehlt es geradebeim Staatsbankrott.

Die Verfassung sieht für das Versagen der Regierung keinesolche Regelung vor. Das GG kennt nicht den starken Reichs-präsidenten der Weimarer Republik, der dem damaligen Versagender Parteiendemokratie und ihrer Koalitionen immerhin zeitwei-lig durch Präsidialkabinette und Notverordnungen zu begegnenvermochte. Niemand vermag an die Stelle der parteiendemo-kratischen Führungsspitze ein Kabinett von Fachministern zusetzen, das mit Hilfe eines parteipolitisch neutralen Berufsbeam-tentums regieren könnte. Doch stellt auch der Zusammenschlussvon Parteien keine Lösung dar. Die Übernahme des halbenletztverantwortlichen Bundeskabinetts in das neue der »großenKoalition« ist höchstens ein Zeichen für die Uneinsichtigkeit desSchuldners und rechtfertigt es keinesfalls, ihn als Insolvenz-verwalter einzusetzen.

Gibt es Zwischenlösungen?

Der Bundespräsident, der über den Parteien und über der födera-listischen Ordnung steht und moralische Autorität beansprucht,könnte in der Notsituation eingreifen. Dazu müsste er sich freilichseiner Rolle als Zeremonienmeister und Moralprediger entledigen,in die ihn eine fast 60-jährige Tradition eingeschnürt hat.45 Zögeer seine beiden Amtsvorgänger hinzu und bildete er so ein Trium-virat, so könnte ihm noch weniger ein Staatsstreich und die Über-nahme der Diktatur vorgeworfen werden. Er würde ohnehin nurHerzogs Aufruf, Deutschland möge sich einen Ruck geben,aktualisieren und auf den Träger des höchsten Amtes der Bundes-republik anwenden. Im Übrigen bedürfte es der Diskussion, wiedie Überwachung des Insolvenzschuldners Staat weiter zu konkre-tisieren und zu institutionalisieren ist – wenn dies nun alles denngewollt sein sollte.

Die radikale Lösung, einen vorläufigen Insolvenzverwalter (vgl.§ 22 InsO) zu bestellen und von einer dem Insolvenzgerichtvergleichbaren übergeordneten Position die erforderlichenSicherungsmaßnahmen (vgl. § 21 InsO) zu treffen, erscheint alsdie praktisch einfachere. Doch ist der Deutsche dazu bereit?Die historischen Bedenken bestehen: die Unfähigkeit des letztendeutschen Kaisers, das Versagen der Weimarer Republik und, diesvor allem, die Erinnerung an den nationalsozialistischen Führer-und Verbrecherstaat. Kommt also das urdeutsche Staatsvertrauen,das den Untertan an Münchhausens Erzählung glauben lässt,der sich an seinem Zopf selbst aus dem Sumpf gezogen hatte, derParteiendemokratie zugute? Dann bliebe immerhin die Parallelezur privaten »Masseverwaltung durch den insolventen Schuld-ner«.46

Eine unbefangene Wertung des Geschehenen durch die öffent-liche Meinung könnte die embryonal-demokratische politischeWillensbildung wesentlich fördern. Der Sache nach ist derAbschluss des Koalitionsvertrags die Insolvenzerklärung, dasEingeständnis des Staatsbankrotts. Aus seinen 138 Seiten könn-ten die Aussagen destilliert werden, wie die wirtschaftlicheNotlage behoben werden soll.

Scheitert die Entwicklung eines staatlichen Insolvenzrechts ander Kontinuität staatlichen Handelns? Ist sie wirklich die unüber-steigbare Hürde und das politische Weitermachen »in alterFrische« die Lösung? Es ist natürlich einfach, den bequemen Wegdes geringsten politischen Widerstands weiterzugehen, auchwenn er mit Gesetz und Recht unvereinbar ist. Der Bürger mucktnicht auf, wenn das öffentliche Vermögen veräußert wird, um dielaufenden Geschäfte zu finanzieren, wenn etwa Grundeigentumveräußert und dann wieder gemietet wird. All dies verbietet jedochdie analoge Anwendung des Insolvenzrechts, ohne Rücksicht aufihre Rechtfertigung als Privatisierung und damit als angeblicheReform, als Beschneidung zu weit ausgedehnter staatlicherZuständigkeit.

Hierüber ist erst später, nach Beendigung des Insolvenzverfah-rens, zu entscheiden. Bestehende Verpflichtungen des Staates sindzu erfüllen, wenn ihre Nichterfüllung die Existenz Abhängigerbedrohte. Löhne und Gehälter der Staatsbediensteten sind daherweiterzuzahlen. Hingegen besteht eine absolute Sperre für die Ver-mehrungen solcher Leistungen, und dies schließt auch Tarifver-handlungen hierüber ein. Ebenso sind bisherige supranationaleBeiträge weiterzuzahlen, während es unzulässig ist, sie zu erhöhenoder neue zu übernehmen. Dies trifft auch auf deren Übernahmein kaschierter Form als Zustimmung zur Aufnahme neuer unter-stützungsbedürftiger Mitglieder oder Truppenentsendungen insAusland zu. Die Insolvenz beendet die Ära bundesrepublikani-scher Scheckbuchdiplomatie. Und sie beendet auch die bisherigenSubventionszahlungen – endgültig oder zumindest zeitweilig.Sicherlich ist das staatliche Insolvenzrecht nicht rückwirkend aufdie seit dem Abschluss des Koalitionsvertrags ab 18.11.2005verstrichene Zeit anzuwenden. Doch deckt der Rückblick auf sieSparmöglichkeiten auf, die für die Zukunft genutzt werden können.

Die geplante Föderalismusreform ist jedenfalls darauf zu über-prüfen, ob sie die Insolvenz behebt oder zumindest erheblicheEinsparungen ermöglicht. Die Erweiterung der ausschließlichenBundesgesetzgebungskompetenz mit der Einschränkung derTätigkeit des Vermittlungsausschusses als Folge scheint sich soauszuwirken. Doch werden dann nicht die Einsprüche vermehrtund damit die Kostenersparnis zunichte gemacht? Sicherlich wirddie »Verländerung«47 der Gesetzgebung, die Übertragung derGesetzgebungskompetenz vom Bund auf die Länder, die Kosten

44 Daher kann auch nicht auf die Rspr. des BVerfG hingewiesen werden, dasin zwei älteren Entscheidungen die alte KO zugrunde gelegt hatte – nun-mehr gilt die InsO v. 5.10.1994. Auch damals hatte sich das BVerfG zurück-haltend geäußert. Es bemerkte im Jahr 1962 zwar, das Konkursrecht sei füreinen Staatsbankrott weder gedacht noch geeignet. Bei der Bereinigungeines Staatsbankrotts stehe die gesamt künftige Finanzpolitik und dadurchmittelbar die ganz künftige Staatspolitik mit im Spiele (BVerfGE 15, 135,141). Doch spricht es dann dem »Regelungsgesetzgeber« keine volle Gestal-tungsfreiheit zu, »wenn durch die gleiche Politik das gesamte Wirtschafts-leben zerstört, das Wirtschaftspotential selbst eingehend vernichtet unddas soziale und persönliche Leben der Menschen so tief getroffen wordenist, dass mit einer neuen grundsätzlichen staatlichen Neuordnung auch einWiederaufbau des ganzen wirtschaftlichen, sozialen und privaten Lebensfür jedermann und an allen Stellen notwendig wird.«

45 Vgl. dazu Ramm, »Die Geschichte der Bundespräsidenten«, Rezension derArbeit von Scholz/Süskind, 2004, in: Vormbaum (Hrsg.), Jahrb. der Juristi-schen Zeitgeschichte, Bd. 6, 2004/05, S. 185 ff., sowie den Standpunkt inFokus 21/2004: »Bundespräsident alles andere als machtlos«.

46 Vgl. dazu die gleichnamige Schrift von S. Wehdeking, 2005.47 Zugegeben, das Wort ist genau so scheußlich wie die »Verreichlichung« und

der Gegenbegriff der »Verbündelung«. Aber der juristischen Terminologiekommt doch eine Aussagekraft zu – wenn sie nur verwandt wird.

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auf diesen Gebieten auf das jeweils 16-fache ansteigen lassen zzgl.der Angleichungskosten in den betreffenden Ministerkonfe-renzen. Auch die durch Generalklauseln nur unzulänglich gere-gelten Kompetenzverlagerungen sind wegen ihrer Konflikt- unddamit ihrer Gerichtsträchtigkeit natürlich kostspielig.

Und wie ist etwa die Ersetzung der bisherigen Rahmengesetz-gebung des Bundes durch die komplizierte Neuregelung derkonkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 GG-E) zu bewerten? DieKritik am Entwurf ist eine insolvenzrechtliche, eine Effizienzkritik,die weiter greift: Die keineswegs unerheblichen Kosten der gesetz-geberischen Arbeit sind in Relation zum Erfolg zu sehen. Diesog. Föderalismusreform gibt Anlass zur Frage, ob die »großeKoalition« in die richtige Richtung geht. Sie verfügt zwar übereine in der Demokratie unvorstellbare Macht. Doch wird sie dieserichtig einsetzen?

Den deutschen Staat stellt das Insolvenzrecht auf den Prüfstand.Der »großen Koalition« stehen zur Behebung der Insolvenz diebereits gemachten Sparvorschläge, die Berichte der Rechnungs-höfe – des Bundes wie der Länder – wie die Vorschläge des Bun-des der Steuerzahler, zur Verfügung. Sollten sie nicht zum Bild der»Lage der Nation« zusammengefügt und ergänzt werden? Doches geht nicht nur um in der Zukunft vermeidbare Fehlleistungen.

Bereits die Untersuchung, weshalb Missstände nicht abgestelltworden sind, führt zu den beiden Kernfragen: Was kostet der Staatin seiner heutigen Struktur und wie effizient ist er eigentlich?Sie zu beantworten, scheint zunächst keine Schwierigkeiten zubereiten. Demokratie ist Öffentlichkeit und damit ist die Trans-parenz der staatlichen Ausgaben gegeben. Natürlich genügt derBlick in die Gesetzblätter, um den Haushaltsgesetzen die Kostenfür die Staatsverwaltung zu entnehmen. Indessen, wer hat sieschließlich zusammengezählt?48 Und wer hat die Kosten für dieMinisterkonferenzen ermittelt?

Das föderalistische System verweigert sich solchem unkeu-schen, weil quasiunitarischen Ansinnen. Es teilt in Bund und Län-der auf und darüber steht keine Instanz außer dem machtlosenBundespräsidenten. Doch könnte er den Stein ins Rollen bringen.Die aktuelle Zahl der Landesvolksvertreter und der Landesminis-terpräsidenten und -minister und die Kosten hierfür zu ermittelnund zusammenzuzählen ist nicht schwierig. Dafür bieten sich dieGesellschaftswissenschaften an. Sie stehen auch im Verein mit derRechtswissenschaft zur Verfügung, um die mit der Kostenfrageunweigerlich verbundene Frage nach der Effizienz zu beantworten.

Wie effizient ist die deutsche Staatlichkeit?

Graf Henri de Saint-Simon hat 1818 die Gretchenfrage an denfrisch restaurierten französischen Staat nach der Entbehrlichkeitseiner politischen Klasse gestellt und sie bejaht.49 Würde er sie andas heutige Deutschland richten, dann wären die Ministerpräsi-denten, die Minister und Staatssekretäre mitsamt ihres Apparatesund die Landesvolksvertreter disponibel. Gebietet nicht der Ein-gangssatz des Herrenchiemseer Entwurfs, der 1948 die deutscheVerfassungsdiskussion eröffnete (»Der Staat ist für den Bürger daund nicht der Bürger für den Staat«), zu prüfen, wie der Staats-apparat vereinfacht und dadurch den Bürgern mehr Freiheitverschafft werden kann?

Die Effizienzkontrolle50 erstreckt sich auch auf die Abgabe derSouveränitätsrechte an supranationale Einheiten. Wenn Deutsch-land Teile der Souveränität auf übernationale Einrichtungenverlagert, wenn es dem Nationalstaat absagt, dann darf es nichtalte Strukturen weiterschleppen und noch eine weitere Staats-ebene den bisherigen zufügen. Es muss vielmehr seine bisherigeStaatlichkeit an die neuen Gegebenheiten anpassen und für die

wirksame Vertretung der deutschen Interessen im Kreis dereuropäischen Nationalstaaten sorgen.

Der Staatsbankrott wird mit seinen schmerzhaften Wirkungendas notorische, vielleicht besser pathologische Desinteresse desDeutschen an der Politik, die Flucht vor sich selbst, beenden.Wenn niemand als Insolvenzverwalter die Rolle des McKinsey fürden öffentlichen Haushalt übernimmt, dann muss jedenfallsfür die adäquate Erledigung dieser Aufgabe gesorgt werden. Mitdem Föderalismus, der der »großen Koalition« offensichtlich alsParadebeispiel für ihre Reformvorhaben dünkt, sollte begonnenwerden. Er ist ein gar kostspieliges und ineffektives Unternehmen.

Die Zerlegung des Reichs lag 1948 im Interesse der Siegermächte,ob im deutschen war nicht gefragt. Sie war den Deutschen vorgege-ben. Das wiedervereinigte Deutschland hat 1990 seinen »pouvoirconstituant« und damit seine politische Entscheidungsgewalt erst-mals wiedererlangt. Sein neuerlicher Zusammenbruch – und dies istnun einmal der Staatsbankrott – zwingt es nun dazu, davon Gebrauchzu machen und die harte Frage nach der Disponibilität staatlicher Ein-richtungen zu stellen. Es kann sich nicht mehr einfach auf seinennaiven Kinderglauben berufen, die beste aller möglichen Verfassun-gen zu besitzen,51 und einfach weitermachen.

Die seltsame Rolle einer »Nation, die keine sein will«,52 zuspielen, konnte allenfalls einer Generation geglaubt werden, diedie »deutsche Katastrophe« von 1945 erlebt hat und sich dann imErschrecken ob ihres Mitmachens oder auch nur Versagens vom»Dritten Reich« zu distanzieren sucht. Niemand vermag sichseiner kollektiven Zugehörigkeit zu entziehen und jedem obliegtes, sich über dieses Kollektiv und sein eigenes Verhältnis zu ihrRechenschaft abzulegen – für die Gegenwart und für die Zukunft,aber auch für die Vergangenheit. »Die Wahrheit wird Euch freimachen«. Dieses Gebot weist den Weg zur moralischen Erneue-rung.53 Der Akt der Befreiung, die Revolution ist die Basis für dieAusübung der verfassungsgebenden Gewalt. Wenn die »großeKoalition« dies nicht erkennt, dann wird ihr Werk keinen Nutzen,sondern Schaden stiften.

*Heute besteht jedenfalls die Chance eines politischen Neuan-fangs: politisch durch die Bildung der »großen Koalition« unddurch die Bereitschaft der Bürger, diese zu respektieren, wenn sienicht nur Opfer von ihm fordert, sondern auch bereit ist, neueWege zu gehen. Das Eingeständnis des Staatsbankrotts würdediese Bereitschaft ausdrücken. Denn dieser ist untrennbar mit derdeutschen Wirtschafts- und Sozialordnung verknüpft, wie auchdie Analyse des Koalitionsvertrags bestätigt. Ohne den Mut zurEhrlichkeit und der Bereitschaft, radikale Lösungen zu wagen,wird kein neues Vertrauen zur politischen Führung entstehen,dessen die Parteiendemokratie nach ihrem Versagen bedarf.

Ramm, Große Koal i t ion, Föderal i smusre form und Staatsbankrott

48 Der Bund der Steuerzahler hat es einmal für das Jahr 2002 getan. In der SZv. 1.7.2004 habe ich seine Ergebnisse wiedergegeben. Danach gaben dieBundesländer allein 16,68 Mrd. € für die politische Führung und zentraleVerwaltung aus, im Durchschnitt 202 € pro Einwohner. Zu den 16 Regie-rungschefs kamen 150 Minister, deren Bezüge insges. 25 Mio. € (ohneVersorgungsbezüge i.H.v. 28 Mio. €) ausmachten. Für die 1.921 Landtags-abgeordneten wurden 279 Mio. € aufgebracht.

49 So seine berühmte »Parabel« (abgedr. in: Der Frühsozialismus, hrsg. v.Ramm, 2. Aufl. 1968, S. 83); dazu auch Ramm, Die großen Sozialisten alsRechts- und Sozialphilosophen, Bd. 1, 1955, S. 240.

50 Bedeutet effizient eigentlich, dass originäre gesetzgeberische Lösungen ent-wickelt worden sind. Oder haben die Ministerialbürokraten etwa vonein-ander abgeschrieben – häufig oder nur gelegentlich? Der Rechtshistorikerweiß dies für das Strafrecht aus der Zeit des Deutschen Bundes, vgl. dazudie Aufstellung von Binding, Grundriß des Deutschen Strafrechts, Allge-meiner Teil, 1902, S. 38 ff., mit den entsprechenden Hinweisen.

51 Ob die Verfechter des »Verfassungspatriotismus« wohl Voltaires »Candide«(1759) gelesen haben? Der Transfer von dessen böser Verspottung vonLeibniz’ bester aller Welten zur politischen Traumwelt der Bundesrepublikist jedenfalls unterblieben.

52 Ch. Meier, Die Nation, die keine sein will, 1991. Vgl. auch Ramm, »DieDeutschen – eine Nation«, Politik und Zeitgeschichte, Beilage 39/04, 434.

53 Vgl. hierzu Ramm, »Der Jurist und das kollektive Erinnern«, JZ 2004, 689.

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Im Anschluss an die Darstellungen der Rechtslage beim fremdfinan-zierten Erwerb von Immobilien und Fondsanteilen (I. Fritsche/St. Frit-sche, NJ 2003, 231 ff. u. 288 ff., sowie St. Fritsche, NJ 2004, 529 ff.)illustriert der Autor im Folgenden die zwischenzeitlich ergangeneJudikatur insbesondere des EuGH und des BGH.

I. Einleitung

Auch zum Abschluss des Jahres 2004 sowie in den Jahren 2005und 2006 ergingen wieder zahlreiche Judikate im Kontext desfremdfinanzierten Erwerbs von Immobilien und Fondsanteilen.Eine besondere Prägung erhielt die Rechtsprechungsentwicklungdurch die halböffentlich ausgetragene Kontroverse zwischen demII. und XI. Zivilsenat des BGH um Inhalt und Reichweite des Ver-braucherschutzes sowie die neuerlichen Stellungnahmen desEuGH zur Vereinbarkeit deutscher Rechtsanwendung mit denVorgaben der Haustürgeschäfte-Richtlinie v. 20.12.1985.1 Letztereliegen nunmehr in Gestalt der Urteile v. 25.10.2005 in den Rechts-sachen »Schulte«2 und »Crailsheimer Volksbank«3 vor.

Die Meinungsverschiedenheit der obersten Senate ist wohldurch vier Entscheidungen des XI. Zivilsenats, jeweils ergangenam 25.4.2006,4 beendet, ohne dass es hierfür einer Vorlage an denGroßen Senat für Zivilsachen gem. § 132 GVG bedurfte, weil derII. Zivilsenat auf entsprechende Anfrage erklärte, an seinen – vorallem in den Urteilen v. 14.6.2004 geäußerten5 – abweichendenAuffassungen nicht mehr festhalten zu wollen.

Schließlich widmete sich auch die ober- und landesgerichtlicheRechtsprechung entsprechenden Fallgestaltungen. Auf die damitverbundenen, die bis dato bestehende Rechtslage präzisierenden,judikativen Kernaussagen wird nachfolgend eingegangen.

II. Die Treuhandmodelle

Im Zuge des treuhänderischen Erwerbs von Immobilien undFondsanteilen tauchen hinsichtlich der Rechtsform des Treu-händers immer wieder neue praktische Gestaltungen auf. DerXI. Zivilsenat verdeutlichte deshalb mit Blick auf die Vorausset-zungen des Art. 1 § 1 RBerG Folgendes:

»Eine rechtsberatende GmbH bedarf auch dann einer Erlaubnisnach dem RBerG, wenn ihr Geschäftsführer als Rechtsanwaltzugelassen ist, denn Vertragspartner und Treuhänder ist nicht derRechtsanwalt, sondern die GmbH.«6

Von Bedeutung ist folglich auch in einem solchen Fall die Fragenach der Wirksamkeit der durch den Treuhänder abgeschlossenenDarlehensverträge im Wege des Rechtsscheins. Diesbezüglichhatte der II. Zivilsenat in einer Entscheidung v. 14.6.2004 nochdeutlich judiziert, dass die Anwendung der Grundsätze überDuldungs- und Anscheinsvollmachten im Geltungsbereich des§ 9 VerbrKrG ausgeschlossen ist, weil derartige Rechtsscheinstat-bestände den Prämissen verbundener Geschäfte widersprechen.Gleiches deutete er im Hinblick auf die gesetzliche Rechtsschein-vollmacht der §§ 172, 171 BGB an.7

Demzufolge konnte sich eine darlehensgebende Bank beiVorliegen eines verbundenen Geschäfts iSv § 9 VerbrKrG über die

Unwirksamkeit der Treuhändervollmacht nicht mit dem Hinweisauf die Vorlage des Originals oder einer Ausfertigung der Voll-macht hinwegretten. Dem ist der XI. Zivilsenat in einem Urteilv. 26.10.2004 mit einer durchaus nachdrücklichen Formulierungentgegengetreten:

»Schon systematisch hat § 9 Abs. 1 VerbrKrG, in dem von Vertre-tung keine Rede ist, im Zusammenhang mit den §§ 164 ff. BGBnichts zu suchen.«8

Diese Rechtsprechung hat der Senat durch zwei Urteile v.25.4.2006 nochmals bestätigt. Darin führt er aus:

»§ 9 Abs. 1 VerbrKrG ist für die Rechtsscheinhaftung eines Kredit-nehmers aufgrund der Erteilung einer nichtigen Vollmacht recht-lich ohne Bedeutung. Weder regelt die Vorschrift Vertretungsfra-gen, noch steht sie systematisch in einem Zusammenhang mit denVertretungsregeln der §§ 164 ff. BGB. Die Rechtsscheinhaftung desVertretenen bestimmt sich vielmehr ausschließlich nach den§§ 172 ff. BGB sowie nach den Grundsätzen der Anscheins- undDuldungsvollmacht. … Außerdem setzen die §§ 171 ff. BGB auchkein irgendwie geartetes Vertrauensverhältnis zwischen dem Ver-treter und dem Vertretenen voraus, sondern knüpfen ausschließlichan die Vorlage der vom Vertretenen ausgestellten Vollmachts-urkunde und den guten Glauben des Vertragspartners an die Wirk-samkeit der Vollmacht an.«9

Als hinreichende Vollmachtsurkunde anerkannte der BGH in denentschiedenen Fällen einen formularmäßigen Zeichnungsschein,mit dem der Anleger den Treuhänder u.a. ermächtigte, den Beitrittzur Anlagegesellschaft (GbR) zu bewirken und – ausdrücklich –sowohl für die Gesellschaft als auch für die einzelnen Gesell-schafter die erforderlichen Finanzierungskredite aufzunehmen.10

Diese Vollmacht unterfällt ihrerseits nicht dem RBerG, weil sieschwerpunktmäßig wirtschaftliche und keine rechtsberatendeTätigkeit ermöglicht. Nachdem der II. Zivilsenat dieser Judikaturausdrücklich beigetreten ist, dürfte sie nunmehr für alle weiterenEntscheidungen verbindlich sein.

Keine Anwendung findet § 9 VerbrKrG gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2VerbrKrG auf Realkredite. Ein solcher Realkredit liegt schonimmer dann vor, wenn das Darlehen eine grundpfandrechtlicheAbsicherung erfahren hat, ungeachtet der Tatsache, ob der Kredit-nehmer selbst Sicherungsgeber ist11 oder ein bereits bestehendesGrundpfandrecht lediglich übernommen wird.12 Unschädlich istauch, dass sich der Erwerber im Rahmen der Bestellung desGrundpfandrechts von einem Treuhänder hat vertreten lassen.13

Damit sind sowohl die §§ 172, 171 BGB als auch die gesetzlich

Aufsätze

Die jüngste Rechtsprechung zum fremdfinanziertenErwerb von Immobilien und FondsanteilenDr. Stefan Fritsche, Friedrich-Schiller-Universität Jena*

* Der Autor ist als wiss. Mitarbeiter am Abbe-Institut für Stiftungswesentätig.

1 RL 85/577/EWG, ABl. EG 1985 Nr. L 372 S. 31.2 EuGH, Rs. C-350/03, ZIP 2005, 1959.3 EuGH, Rs. C-229/04, ZIP 2005, 1965.4 BGH, XI ZR 29/05, ZIP 2006, 987; XI ZR 193/04, ZIP 2006, 941; XI ZR

106/05, ZIP 2006, 1084; XI ZR 219/04, ZIP 2006, 1088.5 Hierzu St. Fritsche, NJ 2004, 529 (535).6 BGH, Urt. v. 22.2.2005, ZIP 2005, 896 (897).7 BGH, Urt. v. 14.6.2004, ZIP 2004, 1394 (1396).8 BGH, Urt. v. 26.10.2004, ZIP 2005, 69.9 BGH, Urteile v. 25.4.2006 – XI ZR 29/05, ZIP 2006, 987 (990); XI ZR 219/04,

ZIP 2006, 1088.10 A.A. noch der II. Zivilsenat, Urt. v. 14.6.2004, ZIP 2004, 1394 (1396).11 Zweifelnd insoweit noch II. Zivilsenat, ZIP 2004, 1394.12 BGH, ZIP 2005, 69 (73 f.); ausdrücklich bestätigt durch BGH, ZIP 2006, 987

(989); anders noch II. Zivilsenat, Urt. v. 21.3.2005, ZIP 2005, 750 (vgl. dazugenauer unter III.).

13 BGH, Urt. v. 18.1.2005, ZIP 2005, 481 (482).

NJ-Umbruch 8/06 Teil 1.gx 11.07.2006 9:15 Uhr Seite 344

345Neue Justiz 8/2006

nicht geregelten Rechtsscheinstatbestände im Grundsatz unein-geschränkt anwendbar. Eine Ausnahme hiervon ist nur danngeboten, wenn es zur kollusiven Absprache zwischen der Bank,dem Initiator des Anlagemodells und dem Treuhänder zumNachteil des Anlegers gekommen ist, wobei der Anleger hierfürdie Beweislast trägt.14

Präzisiert hat der XI. Zivilsenat seine Anforderungen an dieVoraussetzungen der Rechtsscheinstatbestände. Danach ist derVorlage einer notariellen Vollmacht dadurch Genüge getan, dassdie in dem notariell beurkundeten Geschäftsbesorgungsvertragenthaltene Vollmacht vorgelegt wurde.15 Hinreichend ist auch dieDurchschrift des o.g. Zeichnungsscheins. Sie stellt sich als Origi-nal der Vollmachtsurkunde iSv § 172 BGB dar, wenn und weil derAussteller damit eine gleichwertige Urschrift und nicht nur eineAbschrift herstellen wollte (»Blaupause«).16 Insoweit findet dieAusschlussnorm des § 173 BGB regelmäßig keine Verwendung beiDarlehensverträgen, deren Abschluss vor dem Jahr 2000 datiert,weil die Bank zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von demMangel der Vertretungsmacht haben musste.17 Eine Duldungs-vollmacht ist hingegen nur gegeben,

»wenn es der Vertretene – i.d.R. über einen längeren Zeitraum –wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn ohne Bevoll-mächtigung als Vertreter auftritt, und der Vertragspartner diesesbewusste Dulden dahin versteht und nach Treu und Glauben verste-hen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist.«18

Dem genügt weder die Vorlage von den Erwerbern unterzeich-neter Formulare zur Vorbereitung des Darlehensvertrags (Selbst-auskunft, Schufaformulare)19 noch die Tatsache, dass die betref-fende Bank in der Vergangenheit eine Vielzahl gleich gelagerterGeschäfte unter Einschaltung von Treuhändern abgewickelt hat;20

denn hier fehlt der individuell (nämlich durch den jeweiligenAnleger) gesetzte rechtsscheinsbegründende Umstand.

Des Weiteren kann in der Übersendung der unterzeichnetenWiderrufsbelehrung und dem Unterlassen eines Widerrufs keinekonkludente Genehmigung des Abschlusses des Darlehensver-trags gesehen werden.21

Eine solche Genehmigung liegt nach Auffassung des OLG Mün-chen auch nicht in einer den Darlehensvertrag betreffenden spä-teren Umstellungsvereinbarung (Prolongationsvereinbarung),wenn im Moment dieser Vereinbarung – hier 1994 – die Nichtig-keit des Geschäftsbesorgungsvertrags und die daraus folgendeUnwirksamkeit der Vollmacht noch nicht erkennbar waren.22

Wurde die Umstellungsvereinbarung ebenfalls von dem bevoll-mächtigten Treuhänder abgeschlossen, so ist auch sie unwirksam.Der daraus erwachsende Bereicherungsanspruch der Erwerbergegenüber der finanzierenden Bank ist auf die Rückzahlung dergeleisteten Raten, abzüglich der im gleichen Zeitraum verein-nahmten Nettokaltmieten gerichtet. Die Bank kann gegen dieseForderung nicht mit einem Anspruch auf Rückzahlung der aus-gereichten Darlehensvaluta aufrechnen, wenn diese unmittelbaran den Treuhänder geflossen sind.23

III. Die (Un-)Wirksamkeit des Darlehensvertrags

Nochmals bestätigt hat der II. Zivilsenat seine Auffassung,wonach der Beitritt zu einer Anlagegesellschaft eine andereLeistung iSv § 9 Abs. 4 VerbrKrG darstellt, die Regelungen überverbundene Geschäfte mithin Anwendung finden, wenn sich dieFondsgesellschaft und die Bank derselben Vertriebsorganisationbedienen.24 Dem steht nicht entgegen, dass sich die mit derVermittlung der Kreditverträge beauftragte Fondsbetreiberseiteeiner der finanzierenden Bank unbekannten Untervermittlerinbedient hat.25

Eine von der Judikatur des XI. Zivilsenats deutlich abweichendeAnsicht vertrat der II. Zivilsenat im Hinblick auf den Eingriff derBereichsausnahme des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG (keine Geltungdes § 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. b sowie der §§ 7, 9 u. 11-13VerbrKrG bei grundpfandrechtlicher Sicherung des Kredits).Während Ersterer die Geltung der Regelungen über verbundeneGeschäfte bei Vorliegen eines Realkreditvertrags unter Berufungauf diese Vorschrift (beinahe) gänzlich ausschließt,26 präferierteLetzterer eine teleologische Reduktion von § 3 Abs. 2 Nr. 2VerbrKrG. Die Norm sollte danach jedenfalls dann keine Anwen-dung finden, wenn– der grundpfandrechtlich gesicherte Kredit nicht zur Finanzierung

einer Immobilie, sondern eines Fondsanteils aufgenommen wurde,– die Grundpfandrechtsbestellung zeitlich weit vor dem Erwerb der

Anlage erfolgte und– das Grundpfandrecht durch einen Dritten (hier durch die Treuhän-

derin) und nicht durch den Kreditnehmer bestellt wurde.27

Dies hatte zur Folge,»dass die von dem Darlehensnehmer empfangene Leistung im Falleder Auszahlung des Darlehens an einen Dritten bei einem verbun-denen Geschäft iSv § 9 VerbrKrG der finanzierte Gesellschaftsanteilund damit nicht das Darlehen ist.«28

Im entschiedenen Fall konnte deshalb die aus dem Verstoß gegen§ 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a, b und f VerbrKrG (Angabe des aufden einzelnen Anleger entfallenden Nettokreditbetrags, des aufihn entfallenden Gesamtbetrags aller zur Tilgung und zur Beglei-chung der Zinsen und sonstigen Kosten zu entrichtenden Teil-zahlungen29 und der Kosten der im Zusammenhang mit demKreditvertrag abgeschlossenen Kapitallebensversicherung) fol-gende Nichtigkeit des Verbraucherdarlehensvertrags nicht durchden Empfang oder die Inanspruchnahme der Kredite (durch denAnleger selbst) gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 VerbrKrG geheilt werden.30

Zwischenzeitlich hat der II. Zivilsenat diese Judikatur zugunstender Rechtsprechung des XI. Zivilsenats aufgegeben. Letzterer stellt

Fr i t sche , Die jüngste Rechtsprechung zum f remdf inanzier ten Erwerb …

14 BGH, ZIP 2005, 69 (72 ff.).15 BGH, ZIP 2005, 69 (74); jeweils vollumfänglich bestätigt durch BGH, Urt.

v. 9.11.2004, ZIP 2005, 110; BGH, Urt. v. 11.1.2005, ZIP 2005, 521.16 BGH, Urt. v. 25.4.2006 – XI ZR 219/04, ZIP 2006, 1088: Erzeugt wird der

Rechtsschein insoweit bereits mit der Vorlage der Vollmacht, ohne dass derVertragspartner tatsächlich Einsicht in sie nehmen müsste.

17 Mehrfach bestätigt durch BGH, ZIP 2005, 69 (74 f.); ZIP 2005, 110 (113 f.);ZIP 2005, 521 (523).

18 BGH, ZIP 2005, 896 (898 f.).19 Dazu LG Leipzig, VuR 2005, 378 ff. (»Bast-Bau«).20 So aber noch OLG Karlsruhe, ZIP 2004, 900 (901).21 BGH, ZIP 2005, 896 (898 f.); bestätigt durch BGH, Urt. v. 21.6.2005, ZIP

2005, 1357 (1359 ff.).22 OLG München, VuR 2005, 337 (338 f.); ebenso LG Braunschweig, VuR

2005, 296; zur Frage der Genehmigung eines unwirksamen Darlehens-vertrags durch persönlichen Abschluss eines weiteren Darlehensvertragsvgl. BGH, Urt. v. 27.9.2005, Zeitschr. für Bank- und Kapitalmarktrecht(BKR) 2005, 501 (503 f.). Zur Frage der Fortgeltung eines Vergleichs übereine Fondsfinanzierung und die pro-rata-Haftung der Gesellschafter vgl.OLG Schleswig, BKR 2006, 158.

23 OLG München, VuR 2005, 337 (339); LG Leipzig, VuR 2005, 378 (380);allgemein BGH, ZIP 2005, 896 (899): Die Bank kann bei unwirksamerAnweisung nur den Treuhänder als Zahlungsempfänger auf Rückgewährder Darlehensvaluta in Anspruch nehmen.

24 BGH, Urt. v. 6.12.2004, ZIP 2005, 567 (569).25 BGH, Urt. v. 31.1.2005, ZIP 2005, 565 (566).26 BGH, ZIP 2005, 69 (73 f.); ZIP 2005, 481 (482).27 BGH, ZIP 2005, 750 (751 f.) mwN; eine teleologische Reduktion von § 3

Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG ablehnend im Hinblick auf die Anwendungsaus-nahme für § 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. b VerbrKrG OLG München, ZIP2005, 1591 (1592); insgesamt krit. u.a. Wolf/Großerichter, ZIP 2005, 2091 ff.

28 BGH, Urt. v. 14.6.2004, ZIP 2004, 1402 (1404 f.).29 Hierbei ist zu beachten, dass § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b VerbrKrG in

der bis zum 30.4.1993 gültigen Fassung eine Gesamtbetragsangabe nur»wenn möglich« verlangte. Hieran fehlt es in den Fällen der sog. unechtenAbschnittsfinanzierung; vgl. BGH, ZIP 2005, 521 (524). Des Weiteren ist derKreditvertrag gem. § 6 Abs. 1 VerbrKrG nur dann nichtig, wenn eineGesamtbetragsangabe völlig fehlt, nicht jedoch, wenn diese Angabe lediglichfehlerhaft ist; vgl. BGH, Urt. v. 25.4.2006 – XI ZR 106/05, ZIP 2006, 1084.

30 BGH, ZIP 2005, 750 (751); a.A. OLG Dresden, NJ 2005, 416 (bearb. v.St. Fritsche).

NJ-Umbruch 8/06 Teil 1.gx 11.07.2006 9:15 Uhr Seite 345

Neue Justiz 8/2006346

in den Urteilen v. 25.4.2006 fest, dass die Anwendung des § 3Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG (Bereichsausnahme) auch bei einem Erwerbvon Fondsanteilen31 nicht schon deshalb ausgeschlossen ist,

»weil die das Darlehen absichernde Grundschuld bereits vor demBeitritt der Kl. und ohne ihre Beteiligung bestellt worden war. …Überdies stellt der eindeutige Wortlaut der Vorschrift nicht auf dietatsächliche Bestellung des Grundpfandrechts, sondern auf dieschuldrechtliche Verpflichtung dazu ab.«32

Hierbei verfängt die vom II. Zivilsenat angeführte Rechtfertigungfür § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG (Beurkundung durch einen Notar mitentsprechender Belehrung nach § 17 BeurkG) nicht, da die Bestel-lung von Grundpfandrechten gem. § 873 Abs. 1 BGB keiner nota-riellen Beurkundung bedarf, sondern formfrei möglich ist. Soweitdie Nichtigkeitsanordnung der §§ 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. b,6 Abs. 1 VerbrKrG im Einzelfall gleichwohl Anwendung findet– im entschiedenen Fall, weil das Darlehen nicht zu den fürgrundpfandrechtlich abgesicherte Kredite üblichen Bedingungengewährt wurde –, tritt eine Heilung der Nichtigkeit durch dieEmpfangnahme des Kredits ein, wenn der Kreditgeber die Darle-hensvaluta vereinbarungsgemäß an einen Dritten ausgezahlt hat.Dies gilt ungeachtet der Tatsache, ob der Darlehensvertrag undder finanzierte Fondsbeitritt ein verbundenes Geschäft iSv § 9Abs. 1 VerbrKrG beinhalten. Auch in diesem Fall empfängt derDarlehensnehmer (Anleger) das Darlehen und nicht den finan-zierten Gesellschaftsanteil als Leistung.33

IV. Die Eingrenzung von Aufklärungspflichten

1. Aufklärungspflichten des Kreditgebers

Weiter eingegrenzt hat der XI. Zivilsenat seine Entscheidungs-praxis im Hinblick auf bestehende vorvertragliche Aufklärungs-pflichten. Danach begründet das Wissen der Bank um die»Doppelrolle« der Treuhänderin als ihre Beauftragte, Initiatorindes Bauherrenmodells und Finanzvermittlerin für sich noch kei-nen konkreten Wissensvorsprung, der eine entsprechende Aufklä-rungspflicht statuiert, weil sich darin kein spezielles Risiko desfinanzierten Objekts widerspiegelt. Auch über die Konkursreifeder Generalmieterin eines Objekts und der damit verbundenenWertlosigkeit einer Mietgarantie besteht eine Aufklärungspflichtnur dann, wenn die Bank Kenntnis von diesen Umständen hatund die Finanzierung in einem engen zeitlichen Zusammenhangzum Konkurs steht. Darüber hinaus trifft eine Bank, die sich aufihre Rolle als Kreditgeberin beschränkt, keine Hinweispflichtauf eine im Kaufvertrag enthaltene und unmittelbar an denVertrieb gezahlte »versteckte Innenprovision« i.H.v. 18,4% desKaufpreises.34

Eine Aufklärungspflicht ist jedoch dann zu bejahen, wenn einKreditinstitut weiß oder damit rechnet, dass wertbildende Fakto-ren durch Manipulation verschleiert wurden oder der Kreditneh-mer von den Geschäftspartnern arglistig getäuscht wurde. Dies-bezüglich muss sich die Bank ein gleichlautendes Sonderwissendes auf Verkäuferseite Handelnden zurechnen lassen, soweit derHandelnde in einer Filiale des Kreditgebers als Bankkaufmanntätig ist, dort das Finanzierungskonzept ausarbeitet und anschlie-ßend von einer anderen Filiale derselben Bank – allerdings ohneMitwirkung dieses Bankkaufmannes – die Kredite an den Immo-bilienerwerber ausgereicht werden.35

Mit Urteil v. 16.5.2006 hat der XI. Zivilsenat »im Interesse derEffektivierung des Verbraucherschutzes bei realkreditfinanziertenWohnungskäufen und Immobilienfondsbeteiligungen, die nichtals verbundene Geschäfte behandelt werden können«, weiterfestgestellt, dass die eine eigene Aufklärungspflicht auslösende

Kenntnis der Bank vom Vorliegen einer arglistigen Täuschungwiderleglich vermutet wird, wenn– Verkäufer oder Fondsinitiatoren, die von ihnen beauftragten Ver-

mittler und die finanzierende Bank in institutionalisierter Art undWeise zusammenwirken,

– die Finanzierung der Kapitalanlage vom Verkäufer oder Vermittlerangeboten wurde und

– die Unrichtigkeit der Angaben des Verkäufers, Fondsinitiators oderder für sie tätigen Vermittler bzw. des Verkaufs- oder Fondspro-spekts nach den Umständen des Falles evident ist, so dass sichaufdrängt, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschunggeradezu verschlossen.36

Nach Ansicht des OLG Karlsruhe trifft die Bank eine vorvertrag-liche Aufklärungspflicht, wenn sie ihre Finanzierung mit derBedingung eines Beitritts zu einem Mietpool verknüpft. Eine sol-che Mietpool-Konstruktion schafft nämlich einen »besonderenGefährdungstatbestand«, so dass über die damit verbundenenRisiken aufzuklären ist. Für eine Verletzung dieser Pflicht spielt eskeine Rolle, dass die Bank nicht durch eigene Mitarbeiter, sonderndurch Handelsvertreter gegenüber den Anlegern aufgetreten ist.37

Dagegen besteht nach Überzeugung des Kammergerichts einesolche Pflicht auch bei der zwingenden Beteiligung an einemMietpool nur in den Fällen, in denen ein besonderes Aufklärungs-und Schutzbedürfnis des Darlehensnehmers existiert und einHinweis der Bank nach Treu und Glauben geboten ist.38

2. Aufklärungspflichten der Initiatoren und Verkäufer

Eine Aufklärungspflicht der Initiatoren ist nach Auffassung desOLG Karlsruhe im Hinblick auf Gewinne anzunehmen, die einezum Initiatorenkreis gehörende Gesellschaft durch den Erwerbund Weiterverkauf der Immobilie realisiert hat und die eineSumme von 15% des Gesamtaufwands überschreiten. DerartigeVeräußerungsgewinne sind hinweispflichtigen Innenprovisionengleichzusetzen.39

Das OLG Celle erblickt einen Beratungsfehler auf Seiten des Ver-käufers, wenn dieser über eine sehr lange Laufzeit der Finanzie-rung (30 bis 35 Jahre) und/oder die Problematik des optisch nied-rigen Zinssatzes durch ein Disagio (Auszahlung von nur 92%der Kreditsumme bei einer Zinsfestschreibung von fünf Jahren)nicht aufklärt. Im Rahmen eines besonderen Beratungsvertrags40

kann die Haftung für eine solche Pflichtverletzung nicht durcheine formularmäßige Freizeichnungsklausel (»keine Haftung fürgrobes Verschulden«) ausgeschlossen werden.41

Aufsätze Fri tsche , Die jüngste Rechtsprechung zum f remdf inanzier ten Erwerb …

31 Dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 358 Abs. 3 Satz 3 BGB nun-mehr nach dem Zweck der Kreditaufnahme differenziert, ist nach Ansichtdes XI. Zivilsenats für das Verständnis des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG ohneBelang.

32 BGH, XI ZR 29/05, ZIP 2006, 987 (989); ebenso BGH, XI ZR 219/04, ZIP2006, 1088, u. XI ZR 106/05, ZIP 2006, 1084.

33 BGH, ZIP 2006, 987 (991 f.); so bereits OLG Dresden, NJ 2005, 416 ff. (bearb.v. St. Fritsche). Insoweit ist die vom Bearbeiter ebenda gegebene Empfeh-lung, sich hinsichtlich des dem Judikat des OLG Dresden zugrunde liegen-den Tatbestands an der abweichenden Auffassung des II. Zivilsenats desBGH zu orientieren, zwischenzeitlich obsolet geworden.

34 Insgesamt BGH, ZIP 2005, 69 (71 f.).35 BGH, ZIP 2005, 481 (483 f.), auch zu den Voraussetzungen der Wissens-

zurechnung innerhalb der Bank sowie zu den Anforderungen an einenschlüssigen und damit erheblichen Sachvortrag durch die Anleger.

36 BGH, XI ZR 6/04, ZIP 2006, 1187; vgl. auch die Pressemitt. in NJ 7/06, IV.37 OLG Karlsruhe, ZIP 2005, 698 ff. (»Badenia«).38 KG, NJ 2006, 374 (Leits.), in diesem Heft.39 OLG Karlsruhe, ZIP 2005, 1633 (1635 f.).40 Hierzu genauer St. Fritsche, NJ 2004, 529 (532 f.).41 OLG Celle, ZIP 2005, 199 (201 ff.). Insoweit postulierte die bestätigte

erstinstanzliche Entscheidung eine Verurteilung der Bekl. (Verkäuferin)zur Ablösung der Kreditverpflichtung bei dem finanzierenden Kreditinsti-tut («Badenia«) gegen Rückgabe des Objekts.

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347Neue Justiz 8/2006

V. Die Leistungsrückabwicklung

Nochmals bestätigt hat der II. Zivilsenat seine Rechtsprechung imHinblick auf die Rückabwicklung verbundener Geschäfte. Danachführt die Nichtigkeit oder der Widerruf42 des Darlehensvertragsnicht zu einer Rückzahlungspflicht des Kreditnehmers, sondernnur zur Abtretung der Fondsanteile, soweit die an ihn erbrachteLeistung in der Gesellschaftsbeteiligung zu sehen ist.43 Der XI. Zivil-senat ist dieser Judikatur im Hinblick auf die Widerrufsfolgenbeigetreten. Gleichzeitig hat er die Maßstäbe einer schadens-ersatzrechtlichen Rückabwicklung von Fondsbeteiligungen kon-kretisiert.

1. Rückabwicklung nach Widerruf des Darlehensvertrags gem. § 1 Abs. 1 HTürWG

Insoweit ist eine Beschränkung der Rückgewährpflicht des Anle-gers auf den Fondsanteil nach Ansicht des XI. Zivilsenats zunächstdann geboten, wenn der Darlehensvertrag nach § 1 Abs. 1 HTür-WG widerrufen wird. Denn der Zweck von § 3 HTürWG erfordert,

»dass dem Darlehensgeber nach dem Widerruf kein Zahlungsan-spruch gegen den Darlehensnehmer in Höhe des Darlehenskapitalszusteht. Die Rückabwicklung hat in diesen Fällen (verbundenesGeschäft) vielmehr unmittelbar zwischen dem Kreditgeber unddem Partner des finanzierten Geschäfts (der Anlagegesellschaft) zuerfolgen.«44

Dies gilt ebenfalls, soweit der Fondsbeitritt notariell beurkundetwurde und damit gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 HTürWG nicht isoliertwiderrufbar wäre. In umgekehrter Richtung erstreckt sich dieRückzahlungspflicht des Kreditgebers ausschließlich auf Leistun-gen, die aus dem von der Gesellschaftsbeteiligung unabhängigenVermögen des Anlegers erbracht wurden.45 Nicht anwendbar istdiesbezüglich die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft. Damitverbleibt es bei der Feststellung, dass

»der kreditnehmende Gesellschafter der Bank lediglich zur Über-tragung des finanzierten Gesellschaftsanteils bzw. seiner Rechte ausdem fehlerhaften Beitritt verpflichtet ist, nicht aber die Darlehens-valuta zurückzahlen muss.«46

2. Rückabwicklung nach Widerruf der Fondsbeteiligung gem. § 1 Abs. 1 HTürWG

Im Gegensatz dazu finden bei einem wirksamen Widerruf derFondsbeteiligung die Grundsätze über die fehlerhafte GesellschaftAnwendung, so dass eine Auseinandersetzung für die Zukunfterfolgt.47 Der kreditierenden Bank kann daher auch im Anwen-dungsbereich des § 9 VerbrKrG lediglich das Auseinanderset-zungsguthaben (resp. der Anspruch hierauf) entgegengehaltenwerden.48 Im Übrigen ist der Anleger in Höhe der Differenz zwi-schen diesem Auseinandersetzungsguthaben und der ausgereich-ten Darlehenssumme gegenüber dem Kreditinstitut weiterhin zurRückzahlung verpflichtet.49

3. Rückabwicklung bei arglistiger Täuschung des Anlegers

Grundsätzlich ausgeschlossen ist eine Rückzahlungspflicht dage-gen, wenn der Anleger durch einen Vermittler arglistig getäuschtwurde. In einem solchen Fall kann der Kreditnehmer

»vielmehr ohne weiteres auch den mit dem Anlagevertrag gem. § 9Abs. 1 VerbrKrG verbundenen Darlehensvertrag als solchen nach§ 123 BGB anfechten, wenn die Täuschung auch für dessenAbschluss kausal war, denn der Vermittler sowohl der Fondsbetei-ligung als auch des Darlehensvertrags ist für die kreditgebendeBank nicht Dritter iSv § 123 Abs. 2 BGB.«50

Hierbei ist von der Kausalität infolge der wirtschaftlichen Einheitvon Fondsbeitritt und Kreditvertrag regelmäßig auszugehen.

Anstelle der Anfechtung ist der über die Fondsbeteiligunggetäuschte Anleger ebenso berechtigt, einen Schadensersatz-anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss (früher c.i.c., nun§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) gegen die kredit-gebende Bank geltend zu machen. Auch an dieser Stelle muss sichdie Bank – zur Vermeidung eines unvertretbaren Wertungswider-spruchs – bei einem verbundenen Geschäft das täuschende Ver-halten des Vermittlers zurechnen lassen, weil dieser nicht DritteriSv § 123 Abs. 2 BGB ist. Im Ergebnis ist der Anleger so zu stellen,wie er ohne die Täuschung gestanden hätte. Nach widerleglicherVermutung wäre er dann weder dem Fonds beigetreten, nochhätte er den Finanzierungskredit aufgenommen. Folgerichtigmuss der Anleger

»den Kredit deshalb nicht zurückzahlen, sondern nur seinenFondsanteil, nach dessen Kündigung seinen Abfindungsanspruch(Auseinandersetzungsguthaben), an die kreditgebende Bank abtre-ten, die ihrerseits die Rückerstattung von Zins- und Tilgungsleis-tungen an den Kreditnehmer und Anleger – abzüglich der nachdem Prinzip der Vorteilsausgleichung anzurechnenden Fondsaus-schüttungen und etwaiger Steuerersparnisse – schuldet.«51

Damit folgt der XI. Zivilsenat im Grundsatz den bereits vom II. Zivil-senat postulierten Rechtsfolgen, wonach der Anleger im Wege desSchadensersatzes so zu stellen ist, als hätte er keine Fondsanteileerworben und keinen Darlehensvertrag mit dem den Beitrittfinanzierenden Institut geschlossen.52 Insoweit stehen die Prinzi-pien der fehlerhaften Gesellschaft dem Anspruch auf Rückgewährder Einlage nicht entgegen.53 Gleichzeitig hat der XI. Zivilsenatdiese Art der (Gesamt-)Rückabwicklung jedoch auf die genanntenFälle beschränkt und dabei betont, dass – entgegen der bisherigenEntscheidungspraxis des II. Zivilsenats – allein die Ansprüchedes Anlegers gegen Gründungsgesellschafter, Fondsinitiatoren,maßgebliche Betreiber, Manager und Prospektherausgeber demKreditinstitut nicht gem. § 9 Abs. 3 VerbrKrG entgegengehaltenwerden können.54

In ähnlicher Weise äußerte sich das OLG Schleswig bereits ineinem Urteil v. 2.6.2005.55 Darin führte das Gericht aus, dass dievom II. Zivilsenat formulierten Ansprüche gegenüber dem Kredit-institut auf der Grundlage des Einwendungs- (§ 9 Abs. 3 Verbr-KrG) und Rückforderungsdurchgriffs (§ 9 Abs. 2 Satz 4 VerbrKrG)die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten.56

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42 BGH, Urt. v. 18.4.2005, ZIP 2005, 1124 (1126), zur Frage der ordnungs-gemäßen Widerrufsbelehrung nach dem HTürWG bei unklarer Zuordnungder Unterschriftszeilen. Zur Erforderlichkeit gesonderter Belehrungeninnerhalb der Beitrittserklärung und des Darlehensvertrags vgl. LG Verden,VuR 2005, 298 ff.

43 BGH, ZIP 2005, 567 (569); ZIP 2005, 750 (752); BGH, Urt. v. 30.5.2005, ZIP2005, 1314 (1316); LG Neuruppin, VuR 2005, 375 ff. (»Dreiländer Beteili-gung«), auch zur Frage der Voraussetzungen des Haustürgeschäfts.

44 BGH, Urt. v. 25.4.2006, ZIP 2006, 940 (941).45 BGH, ZIP 2005, 567 (569). Keine Erstattungspflicht besteht folglich für

Zahlungen, die auf der Grundlage von Mietausschüttungen aus einer derAnlagegesellschaft gehörenden Immobilie geleistet wurden. Steuervorteiledes Anlegers sind im Rahmen der Rückabwicklung nach § 3 Abs. 1 Satz 1HTürWG ebenfalls nicht zu berücksichtigen; vgl. OLG Schleswig, ZIP 2005,1127 (1131); LG Neuruppin, VuR 2005, 375 (378).

46 BGH, ZIP 2006, 940 (943) mwN.47 BGH, ZIP 2005, 1124 (1125 f.), auch zur Frage der Invollzugsetzung der

Gesellschaft bei Vorliegen eines Teilgewinnabführungsvertrags iSv § 292Abs. 1 Nr. 2 AktG.

48 BGH, ZIP 2005, 565 (567).49 Angedeutet durch BGH, ZIP 2006, 940 (943).50 BGH, Urt. v. 25.4.2006 – XI ZR 106/05, ZIP 2006, 1084.51 BGH, ebenda.52 BGH, ZIP 2005, 567 (570); ZIP 2005, 750 (753); ausführlich zur Rück-

abwicklung OLG Stuttgart, ZIP 2005, 2152; vgl. auch St. Fritsche, NJ 2004,529 (534 ff.).

53 BGH, Urteile v. 21.3.2005 – II ZR 140/03, ZIP 2005, 753; II ZR 310/03, ZIP2005, 759; BGH, ZIP 2005, 1124 (1126).

54 BGH, Urt. v. 25.4.2006 – XI ZR 106/05, ZIP 2006, 1084.55 OLG Schleswig, ZIP 2005, 1127, auch zur Verjährung der dem Verbraucher

gegenüber Dritten zustehenden Ansprüche und zur Frage der »doppeltenWiderrufsbelehrung« nach dem VerbrKrG und dem HTürWG.

56 Zustimmend Edelmann, BKR 2005, 394 ff.

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Demzufolge schloss das Obergericht die durch § 563 Abs. 2 ZPOeigentlich postulierte Bindung an die höchstrichterliche Recht-sprechung für diesen Fall aus.

4. Rückabwicklung bei unterlassener Aufklärung durch die Bank

Das OLG Karlsruhe judizierte schließlich hinsichtlich der unter-lassenen Aufklärung im Rahmen der Finanzierungsberatung, dasssich ein entsprechender Schadensersatzanspruch der Anleger aufdie Rückabwicklung der Finanzierungsverträge einschließlichdes (vorliegend gegebenen) Immobilienerwerbs richtet. Für dieSchadensberechnung kommt es nicht auf eine Differenzierungzwischen einem Finanzierungsschaden einerseits und einemgeringeren Verkehrswert der Immobilie andererseits an.57 Willsich der Kreditgeber von der Haftung befreien, trifft ihn dieBeweislast dafür, dass der Schaden auch bei gehöriger Aufklärungeingetreten wäre.58

VI. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs

Nachdem das LG Bochum mit Vorlagebeschluss v. 29.7.200359 unddas OLG Bremen mit Vorlagebeschluss v. 27.5.200460 dem EuGHjeweils vier – sich weitgehend deckende – Fragen zur Vereinbar-keit deutscher Verbraucherschutzstandards mit entsprechendemGemeinschaftsrecht zur Begutachtung vorgelegt hatten, nahmder EuGH mit den Entscheidungen v. 25.10.200561 hierzu Stellung.Vorgeschaltet war die Frage des OLG Bremen, ob die Zurechnungeiner Haustürsituation anhand der Voraussetzungen des § 123Abs. 2 BGB festgestellt werden müsse.62

Dem erteilte der EuGH eine Absage. Nach Auffassung desGerichts kommt es für die Zurechnung einer Haustürsituationnicht darauf an, dass der Gewerbetreibende bei der Einschaltungeines Dritten – der im Namen oder für Rechnung des Gewerbe-treibenden in die Aushandlung oder den Abschluss eines Vertragseingebunden wird – wusste oder hätte wissen müssen, dass derVertrag in einer solchen Situation geschlossen wurde.63

Mit den Urteilen v. 12.12.200564 und 14.2.200665 haben derII. und XI. Zivilsenat ihre Judikatur entsprechend abgeändert.Nach richtlinienkonformer Auslegung ist § 1 HTürWG (nun-mehr) deshalb immer dann anwendbar, wenn objektiv eine Haus-türsituation bestanden hat.66

Darüber hinaus konzentrierten sich die Vorlagepunkte dernationalen Gerichte im Wesentlichen auf die Problematik derVerknüpfung von Immobilienerwerb und Darlehensvertrag undhier vor allem auf die Frage, ob der Darlehensnehmer aus euro-parechtlicher Sicht im Falle des Widerrufs nur der Kreditverein-barung zur sofortigen Rückzahlung der Darlehensvaluta nebstZinsen verpflichtet sein kann, obwohl das Darlehen direkt an denVerkäufer der Immobilie ausgezahlt wurde.67

Diesbezüglich stellt der EuGH zunächst unmissverständlichklar, dass– Immobilienkaufverträge nicht in den Anwendungsbereich der

RL 85/57/EWG fallen, auch wenn sie lediglich Bestandteil eineskreditfinanzierten Anlagemodells sind,

– daher auch im Rahmen von kreditfinanzierten Kapitalanlage-modellen keine Rückabwicklung des Immobilienkaufvertrags erfolgt,wenn nur der Kreditvertrag widerrufen wird, und

– die Richtlinie nationalen Vorschriften nicht entgegensteht, welchedie Rechtsfolgen eines Widerrufs des Verbraucherkreditvertragsdergestalt regeln, dass der Verbraucher zur sofortigen Rückzahlungder ausgereichten Darlehensvaluta einschließlich eines Nutzungs-entgelts in Form des marktüblichen Zinses verpflichtet ist.68

Das Gericht bestätigt damit in erster Linie eine höchstrichterlicheinnerstaatliche Judikatur,69 die im Schrifttum nicht selten mit der

Aussage, sie provoziere einen »ruinösen Widerruf«, beschriebenwurde.70

Allerdings belässt es der EuGH hierbei nicht. Obiter dictum,denn Gegenstand der Vorlagefragen waren diese Erörterungennicht, führt das Gericht aus, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist,dafür Sorge zu tragen, dass ein Kreditinstitut, welches seinerPflicht zur ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung nicht nachge-kommen ist, die mit der Kapitalanlage verbundenen Risiken trägt,wenn der Verbraucher im Falle einer Belehrung diese Risikenhätte vermeiden können.71

Die in diesem Zusammenhang benannten Risiken bestehennach Ansicht des EuGH darin, dass die Wohnung (Immobilie)zum Zeitpunkt ihres Kaufs zu hoch bewertet war, die veran-schlagten Mieteinnahmen nicht erzielt wurden und sich dieErwartungen in Bezug auf die Entwicklung des Immobilienpreisesals falsch erwiesen haben.72

Im Ergebnis provoziert eine fehlerhafte Belehrung deshalb dieeigentlich nicht gebotene Einbeziehung des Immobilienerwerbsin die Rückabwicklung des Darlehensvertrags. Ob und wie dieseMaßgabe des EuGH letztlich durch die deutschen Gerichte inpraxi angewandt wird, bleibt abzuwarten.73

Das OLG Bremen hat in der Rechtssache »Crailsheimer Volks-bank«, im Gegensatz zu anderen Gerichten,74 jedenfalls eineVerpflichtung der innerstaatlichen Gerichte zur Umsetzung derVorgaben des EuGH angenommen.75 Inhaltlich begründet es dieBelehrungspflicht der Bank mit der Funktion der Belehrung, diedarin besteht, dem Verbraucher die Möglichkeit zu eröffnen, sichvon dem finanzierten Geschäft zu lösen (resp. davon Abstand zunehmen).76 Systematisch verbindet sich mit der Verletzung dieserPflicht nach Ansicht des OLG Bremen eine verschuldensunabhän-gige Haftung, die zu einem Schadensersatzanspruch – gerichtetauf das negative Interesse – führt.77 Der Anleger ist folglich so zustellen, als hätte er die schädigenden Rechtsgeschäfte nichtabgeschlossen.

Im Ergebnis dürften die Rechtsfolgen damit denen entspre-chen, die der BGH hinsichtlich der Rückabwicklung im Zuge einerarglistigen Täuschung des Anlegers postuliert.78

Das Kammergericht hat in einer Entscheidung v. 8.11.2005 unterBezugnahme auf die genannten Urteile des EuGH eine solch ver-bundene Rückabwicklung trotz fehlender Widerrufsbelehrung

Aufsätze Fri tsche , Die jüngste Rechtsprechung zum f remdf inanzier ten Erwerb …

57 OLG Karlsruhe, ZIP 2005, 698 (706).58 OLG Karlsruhe, ebenda, sowie ZIP 2005, 1633 (1635 f.).59 LG Bochum, ZIP 2003, 1437 (»Schulte«).60 OLG Bremen, ZIP 2004, 1253 (»Crailsheimer Volksbank«).61 EuGH, ZIP 2005, 1959 (»Schulte«); ZIP 2005, 1965 (»Crailsheimer Volks-

bank«); ausführlich hierzu etwa Staudinger, NJW 2005, 2521 ff.; Hoff-mann, ZIP 2005, 1985 ff.

62 Zuletzt ausgeführt durch BGH, ZIP 2005, 1314.63 EuGH, ZIP 2005, 1965, Tz 41 ff.64 BGH, Urt. v. 12.12.2005 – II ZR 327/04, ZIP 2006, 221.65 BGH, Urt. v. 14.2.2006 – XI ZR 255/04, ZIP 2006, 652.66 Zur Unterbrechung der Haustürsituation durch notarielle Beurkundung des

fremdfinanzierten Fondsbeitritts vgl. OLG Jena, ZIP 2006, 946.67 Genauer zu den Vorlagefragen St. Fritsche, NJ 2004, 529 (532, 534).68 EuGH, ZIP 2005, 1959 (1962 ff.), Tz 72 ff.69 Geprägt insbes. durch die Entscheidungspraxis des XI. Zivilsenats.70 Vgl. nur die Anm. bei Doehner/Hoffmann, ZIP 2004, 1884 (1892).71 EuGH, ZIP 2005, 1959 (1964 f.), Tz 94 ff.72 EuGH, ZIP 2005, 1959 (1961), Tz 52.73 Hierzu im Schrifttum u.a. Thume/Edelmann, BKR 2005, 477 ff.; Hofmann,

BKR 2005, 487 ff.; Habersack, JZ 2006, 91 ff.; Freitag, WM 2006, 61 (64 ff.).74 Genauer Sauer, BKR 2006, 96 ff. mwN.75 OLG Bremen, NJW 2006, 1210 (1212 f.).76 Häublein, NJW 2006, 1553 (1554): Die Belehrungspflicht schützt auch vor

dem Mittelverwendungsrisiko!77 OLG Bremen, NJW 2006, 1210 (1213 ff.); ausführlich Häublein, NJW 2006,

1553 (1555 ff.), auch zur Frage der Beweislastverteilung.78 Vgl. hierzu oben unter V. 3.

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349Neue Justiz 8/2006

gleichwohl abgelehnt, weil der Kaufvertrag zeitlich vor demDarlehensvertrag abgeschlossen wurde. Damit konnte

»die fehlende oder mangelhafte Belehrung im später geschlossenenDarlehensvertrag nicht mehr ursächlich dafür werden, dass derVerbraucher den Risiken des Kaufvertrags ausgesetzt ist.«79

Dies gilt nach Meinung des OLG Bremen allerdings dann nicht,wenn der Verbraucher mangels wirksamer Vertretung an denzuvor geschlossenen Kaufvertrag nicht gebunden ist.80

VII. Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung

Haben sich die Darlehensnehmer im Hinblick auf die Durchset-zung eines Rückzahlungsanspruchs mittels einer Erklärung desvollmachtlosen Treuhänders gegenüber der kreditierenden Bankder sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr persönliches Vermögenunterworfen, so ist diese Unterwerfungserklärung grundsätzlichunwirksam.81 Die Rechtsscheinstatbestände der §§ 172, 171 BGBfinden auf diese prozessuale Vollmacht keine Anwendung, weildie §§ 78 ff. ZPO insoweit ein Sonderrecht bilden.82 Dennochkann sich der Anleger nach Ansicht des XI. Zivilsenats unterHeranziehung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB)auf die Unwirksamkeit der Vollstreckungsunterwerfung nichtberufen, wenn er entsprechend § 128 HGB verpflichtet ist, dieDarlehensverbindlichkeiten in Höhe seiner Beteiligung anzu-erkennen und sich diesbezüglich der Zwangsvollstreckung in seinprivates Vermögen zu unterwerfen.83

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall trat der Anle-ger im Wege einer schriftlichen Erklärung einer den geschlossenenImmobilienfonds verwaltenden GbR bei. Kurze Zeit später schloss dieGbR über ihre geschäftsführende GmbH einen Realkreditvertrag i.H.v.11.365.025 DM mit der nunmehr bekl. Bank. Nach dessen Inhaltwaren die Gesellschafter gegenüber der Kreditgeberin verpflichtet,die Darlehensverbindlichkeit der GbR in einer ihrer jeweiligen Betei-ligung am Gesellschaftsvermögen entsprechenden Höhe anzuerken-nen und sich insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihrprivates Vermögen zu unterwerfen.

Dogmatisch sieht das Gericht die Bindung an die Voll-streckungsunterwerfung offensichtlich weniger in der Erwägungbegründet, dass die einen geschlossenen Immobilienfonds ver-waltende GbR eine eigene Rechts- und Parteifähigkeit besitzt undihre Gesellschafter deshalb analog § 128 HGB für die Gesell-

schaftsschulden persönlich sowie mit ihrem ganzen Privatver-mögen haften,84 als vielmehr in der Tatsache,

»dass die geschäftsführenden Gesellschafter … in der Lage sind,durch ihr rechtsgeschäftliches Handeln eine derartige ›persönlicheVerbindlichkeit‹ der Anteilseigner wirksam zu begründen.«85

Nach Ansicht des Kammergerichts verstößt weder eine persönlicheSchuldübernahme noch eine Vollstreckungsunterwerfung zurSicherung eines Grundschuldbetrags gegen § 10 VerbrKrG. Sichertdie Grundschuld ihrerseits alle gegenwärtigen und zukünftigenForderungen der Kreditgeberin aus jedem Rechtsgrund, so erfasstdies auch Ansprüche aus § 3 Abs. 1 HTürWG. Die persönlicheSchuldübernahme nimmt an diesem weiten Sicherungszweckmittelbar teil. Der wirksame Widerruf des Darlehensvertragsberührt die ein abstraktes Schuldanerkenntnis darstellende per-sönliche Haftungsübernahme sowie die Vollstreckungsunterwer-fung nicht, wenn diese unabhängig von der Kreditvereinbarungim Rahmen einer nachfolgenden Grundschuldbestellung (jeden-falls stillschweigend) erklärt wurden.86

Schließlich ist eine Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingun-gen, die den Kreditnehmer zur Abgabe eines persönlichen Schuld-anerkenntnisses nebst Erklärung der Vollstreckungsunterwerfungbestimmt, weder überraschend iSv § 3 AGBG (nunmehr § 305cBGB), noch benachteiligt sie den Kreditnehmer unangemesseniSv § 9 AGBG (nunmehr § 307 BGB).87

Fr i t sche , Die jüngste Rechtsprechung zum f remdf inanzier ten Erwerb … Kurzbe i t räge

79 KG, NJ 2006, 346 (Leits.), in diesem Heft.; ebenso OLG Frankfurt/M., BKR2006, 156.

80 OLG Bremen, NJW 2006, 1210 (1214 ff.).81 Zur Kondiktion der Vollstreckungsunterwerfung nach Widerruf des Darle-

hensvertrags LG Frankfurt (Oder), VuR 2005, 425.82 So unstreitig bereits BGH, ZIP 2003, 2346 (2348 ff.); ZIP 2003, 2351 (2352)

= NJ 2004, 123 (bearb. v. I. Fritsche); ZIP 2004, 159 (162); OLG Naumburg,NJ 2003, 373 (bearb. v. I. Fritsche/St. Fritsche).

83 BGH, Urt. v. 15.2.2005, ZIP 2005, 1361; krit. dazu Ulmer, ZIP 2005, 1341ff.; Habersack, BB 2005, 1695 ff.; zustimmend jedenfalls im Hinblick auf die(beschränkte) akzessorische Haftung Altmeppen, ZIP 2006, 1 (7 f.).

84 Grundlegend BGHZ 146, 341 (358); 154, 370 (372).85 Insoweit konkretisierend BGH, Urt. v. 25.10.2005, ZIP 2006, 121. Nach dem

Inhalt der ausgänglichen Kreditvereinbarung ist die Haftung durch dieHöhe der jeweiligen Kapitalbeteiligung begrenzt.

86 KG, NJ 2006, 346 (Leits.), in diesem Heft.87 BGH, Urt. v. 22.11.2005, ZIP 2006, 119.

Welche Juristen braucht die Demokratie?Viktor Winkler, Frankfurt/M.

Dass Demokratie Juristen braucht, ist eine bemerkenswerte Prä-misse. Allzu häufig wird sie nicht bedacht. Zu selbstverständlichist uns vielleicht geworden, dass das demokratische Recht auchAkteure benötigt – solche nämlich, die es anwenden, am bestennoch in demokratischem Geist. Eine Tagung, die die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit dem Forum Justizgeschichte e.V.am 1. und 2. Juni 2006 in Berlin veranstaltete, stellte die Fragenach der Juristenausbildung bewusst in diesem Sinn. Nun ist dasmit der Demokratie so eine Sache: Sie steht im Recht. Demokratiebräuchte dann nur Juristen, die genügend gesetzestreu sind. Fürviele war und ist das nicht genug. Zu Recht und Demokratie

gesellte sich daher auch auf der Tagung ihre etwas divenhafteSchwester: die Gerechtigkeit. »Versuch in Gerechtigkeit – WelcheJuristen braucht die Demokratie?« wurde gefragt.

Und in der Tat: »Demokratie reicht nicht«, erklärte Prof. Dr. UweWesel (Berlin) gewohnt pointiert. Die USA zeigten ja, so Wesel,dass eine Demokratie zu zahlreichen (Völker-)Rechtsverletzungenimstande sei. Gerechtigkeit also. Aber »die kommt nicht dran«, soWesel’s Kritik. Stattdessen würden Studierende mit unzähligenMeinungsstreitigkeiten zugeschüttet, am Ende stünde ein Exa-men, das dadurch seit Jahrzehnten immer schwieriger gewordenist. Aber immerhin, die Methode, die hierzulande gelehrt wird,bleibt für Wesel vorbildlich.

Im gewissen Stolz über diese »solide« analytisch-systematische»Denkweise« trafen sich offenkundig »Junge« wie »Alte« auf derTagung. Das klang auch schon mal anders. Die ehemaligenHeroen der späten sechziger Jahre, die sich einst in Loccum zu

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einer grundlegenden Reform aufmachten, tragen zwar weiterhinkeine Schlipse, ein bisschen versöhnt haben sie sich aberschon mit der deutschen Juristenausbildung. Dr. Helmut Pollähne(Bremer Institut für Kriminalpolitik) lieferte als Dabeigewesenereine bittersüße Erinnerung an die einstufige Juristenausbildung,die, längst zur Rechtsgeschichte geworden, einst Lichtblicke bot:kritische Reflexion über Studieninhalte, über das Verhältnis vonTheorie und Praxis, Sinn und Unsinn juristischer Technik etc.

Der Geist von »Loccum« ist verschwunden. Waren auch das nurModen? Heute regiert jedenfalls eine andere. Nichts ist somodisch wie Internationalisierung, Mehrsprachigkeit, Flexibi-lität, Schlüsselqualifikationen – das klingt nicht nur gut, das istauch gut, so das nüchterne Pathos von Dr. Andreas Fijal, Studien-dekan der Juristischen Fakultät der FU Berlin. Wer dieses Kaisersneue Kleider nicht sehen will, der hat noch nicht begriffen, dassjuristisches Arbeiten Dienstleistung ist. Und wer wünscht sichDienstleistung nicht mehrsprachig, weltgewandt und anpas-sungsfähig? Fijals Forderung daher: Mehr von alledem!

Fast schade, dass die Geschichte hier auch noch ein Wort mit-reden will: Priv.-Doz. Ralf Frassek (Halle/Saale) skizzierte auf derGrundlage seiner eingehenden Forschungen die Juristenaus-bildung im Nationalsozialismus. Hier wurden Kontinuitätensichtbar, »zurück« hinter 1933 und nach »vorn« bis heute – trotzjuristischer »Stoßtruppfakultäten«, »Neuer Rechtswissenschaft«und anderem nicht folgenlosem Getöse von in der Tat furcht-baren Juristen. Der Stachel im Fleisch heutiger Diskussionen, dassnämlich nach 1933 von nichts so viel gefaselt wurde wie von»Gerechtigkeit« versus »Recht«, wurde auf der Tagung selten emp-funden. Allein Rechtsanwalt Klaus Eschen (Berlin) wies aus Sichtdes wahrlich »kritischen« Praktikers auf den (Eigen-)Wert desRechts hin, der offenbar auch ohne »Gerechtigkeit« (in Massen)gerecht sein kann: In den Kämpfen mit bornierten Richtern umjene Ausschöpfung anwaltlicher Rechte, die er einst mit Kollegenwie Otto Schily oder Christian Ströbele mutig erstritt, habe sich dieGegenseite doch letztlich an das Recht gehalten – und das, sodurften die Zuhörer ergänzen, war auch gut so.

Dass hier schon in der Frage nach dem Recht und nicht erstnach der »Gerechtigkeit« die Probleme schlummern, zeigtePriv.-Doz. Dr. Thomas Henne (Frankfurt/M.) in seiner Auseinan-dersetzung mit der Kommentar-Kultur. Dass der Kommentar dasGesetz als Rechtserkenntnisquelle abgelöst hat, weiß jeder. Schlaf-lose Nächte bereitet das offenbar niemandem. »Welche Rechts-erkenntnisquelle braucht die Demokratie?« wurde auch auf derTagung nicht gefragt.

Warum auch? Die »Jungen« hatten Gelegenheit, auf einerPodiumsdiskussion ihr Wohlgefühl mit der Juristenausbildungzum Ausdruck zu bringen. Ein bisschen mehr Grundlagen-Salz,also Rechtsgeschichte oder Rechtsphilosophie, und schonschmeckt sie wieder, die Ausbildungs-Suppe. Dass sie wie vor 130Jahren zubereitet wird, stört nicht wirklich. Am Großvater-Mordhat die heutige Generation generell kein Interesse mehr.Dafür sind sie auch zu ehrfurchteinflößend, die Großväter. Prof.Dr. Susanne Baer (Berlin) verteidigte daher mit mahnenden Wortendas Humboldt’sche Bildungsideal auch für die Juristenausbildunggegen Vorschläge, Recht im Weg einer professional school zulehren wie in den USA. Baer muss es wissen, bekleidet sie doch seit2005 das Amt einer Vize-Präsidentin der – natürlich – Humboldt-Universität.

Das Erbe der Großväter wird also liebevoll konserviert. Hum-boldt muss sich nicht im sprichwörtlichen Grab umdrehen. Dafürgehen freilich heutige Jura-Studierende regelmäßig durch dienicht immer nur sprichwörtliche Hölle von Examensvorberei-tung und -prüfung, eine Hölle, die, ist man ihr einmal entkom-

men, selten besichtigt wird. Ralf Oberndörfer (Berlin) zeichnete ineinem bewegenden Vortrag die seelischen Dimensionen der soGeprüften nach. Angelehnt an Foucault’s Analyse von Macht-strukturen, machte er den Preis kenntlich, den Jura-Studierendezahlen müssen, um der Ehre jenes bürgerlichen Bildungserleb-nisses teilhaft zu werden, das sie sich zuvor von gutbürgerlichbezahlten Repetitorien haben mundgerecht aufbereiten lassen,wenn auch meist ohne Humboldt.

Die Juristenausbildungsreform, so die gegenwärtige Devise, istohnehin saturiert. Dr. Michael Greßmann, Leiter des ReferatsJuristenausbildung im BMJ, wies nicht ohne Recht darauf hin,dass man nun erst einmal die Effekte der soeben eingeführtenÄnderungen abwarten müsse. Und dann? Weiter mit Humboldt,Gutachtenstil, Staatsexamina (gleich zwei!), sieben Jahre Jura-Studium, Repetitoriensystem? Vielleicht wären Ernüchterungennötig, auch Beschränkungen. Vielleicht darauf, dass wir Rechtlehren, nicht mehr und nicht weniger? Dass wir junge Menschenzu Rechtsanwendern ausbilden, nicht weniger, aber bitte auchnicht mehr? Dass wir Bildungserlebnisse den privaten Interessender Studierenden überlassen und nicht mehr tun, als sie, ganzschlicht, in die Lage zu versetzen, mit gesetzesgebundener Rechts-anwendung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – und das viel-leicht bevor sie 30 Jahre alt sind?

Die Studierenden wollen Recht lernen und nicht praxis- undvor allem rechtsferne Meta- und Megaprobleme, über deren ver-meintliche »Wichtigkeit« die Praxisfernsten entscheiden. Siewollen in möglichst kurzer Zeit einen Beruf erlernen und nichtihre Lebenszeit mit fragwürdigem Bildungszierrat vergeuden – jefinanziell schwächer sie sind übrigens, desto weniger.

Die Tagung hat in jedem Fall gezeigt, dass solch eher schlichte,banale Fragen über die Juristenausbildung es wert sind, geklärt zuwerden – auch wenn jene großen nach Philosophie, Geschichteund Gerechtigkeit verführerischer schimmern. Insoweit darf mansich ruhig Woody Allen’s Verwunderung anschließen:

»I think it’s funny that people want to ›know the universe‹, when I find it hard to find my way around in chinatown.«

Kurzbe i t räge Winkler, Welche Jur i s ten braucht d ie Demokrat ie?

Kreditsicherungsrechte in Polen,Deutschland und EuropaFrank Skamel, wiss. Mitarbeiter, Institut für Anwaltsrecht der Universität Leipzig

Am 26.5.2006 fand mit der Tagung »Kreditsicherungsrechte inPolen, Deutschland und Europa« die im Jahr 2005 begonneneZusammenarbeit zwischen dem Institut für Anwaltsrecht unddem Institut für Bank- und Kapitalmarktrecht der UniversitätLeipzig mit dem Institut für Internationales Privatrecht der Schle-sischen Universität Kattowitz (Polen) ihre Fortsetzung (vgl.Skamel, NJ 2005, 399, und Hempel/Skamel, NJ 2006, 162 f.).Bereits zum dritten Mal trafen sich etwa 70 deutsche und polni-sche Praktiker, Wissenschaftler und Studenten, um sich überaktuelle Entwicklungen des deutschen und polnischen Rechts zuinformieren und daraus folgende Rechtsfragen für den grenz-überschreitenden Verkehr von Waren und Dienstleistungen zudiskutieren.

Mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1.5.2004haben solche Fragen eine neue Qualität gewonnen: Die Über-

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351Neue Justiz 8/2006

nahme des acqui communautaire und die nunmehr auch den pol-nischen Gesetzgeber treffende Pflicht, die Vorgaben europäischerRichtlinien in autonomes Recht umzusetzen, erlauben es nichtnur, das polnische wie auch das deutsche Recht am europäischenRahmen zu messen, sondern bieten mit dieser gemeinsamenGrundlage nationaler Rechtsetzung die Gelegenheit zu einemunmittelbar vergleichenden Blick auf beide Rechtsordnungen.

Diesen Umstand betonte Prof. Dr. Reinhard Welter (Leipzig)in seinem Vortrag über die Umsetzung der RL 2002/47/EGdes Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.6.2002 überFinanzsicherheiten im deutschen Recht. Dass die Annäherungunterschiedlicher Rechtsordnungen auch ohne den Zwang zurUmsetzung supranationaler Richtlinien erreicht werden kann,verdeutlichte Prof. Dr. Justus Meyer (Dresden). Mit seinem Beitragzur Harmonisierung des Rechts der Mobiliarsicherheiten spannteer einen Bogen von der mit dem Uniform Commercial Code inden USA erreichten Vereinheitlichung des Privatrechts der ein-zelnen Bundesstaaten zu internationalen Harmonisierungs-prozessen wie dem UNIDROIT- oder dem UNCITRAL-Projekt.

Zuvor sprachen Dr. Jacek Gorecki (Kattowitz) zur Sicherungs-übereignung im polnischen Recht und Rechtsanwalt BernhardUlrici (Leipzig) über die Rechtsprechung des BGH zur Übersiche-rung und zu den Freigabeklauseln im deutschen Recht. Vor diesemHintergrund erläuterte Prof. Dr. Bernadetta Fuchs (Kattowitz)Möglichkeiten der Mobiliarsicherung im grenzüberschreitendenVerkehr. Probleme entstehen hier, wenn im Staat der Belegenheitdes Sicherungsguts bestehende Sicherheiten in einem fremdenStaat anders geregelt oder unbekannt sind. Fuchs beschrieb die ausdem Fehlen eines numerus clausus dinglicher Sicherungsrechtefolgende Vielzahl vertragsgestalterischer Möglichkeiten im pol-

nischen Recht und untersuchte die sich aus der Verbringung despolnischen Sicherungsguts in das Ausland ergebenden kollisions-rechtlichen Probleme. Zum Fortbestand und der Reichweitewirksam bestellter Sicherheiten im Fall der Insolvenz des Siche-rungsgebers sprach Dr. Wojciech Klyta (Kattowitz). Die im polni-schen Recht bislang wenig deutlich ausgeprägte Unterscheidungzwischen insolvenzfesten Sicherungsrechten und solchen, diedem Sicherungsnehmer lediglich ein Recht auf vorzugsweiseBefriedigung aus der Insolvenzmasse geben, stellte er dabeiebenso vor wie die im polnischen rechtswissenschaftlichenSchrifttum entwickelten Lösungen, die sich an die Kategorien derAussonderungs- und Absonderungsrechte im deutschen Insol-venzrecht anlehnen. Die geplante Reform des polnischen Immo-biliarsachenrechts war Gegenstand des Vortrags von Dr. JacekZralek (Kattowitz). Die Tagung wurde beschlossen mit dem Referatvon Claudia Apel (Leipzig) zu typischen Vereinbarungen bei derBestellung einer Sicherungsgrundschuld im deutschen Recht.

Den simultan übersetzten Vorträgen schlossen sich ebenfallsübersetzte Diskussionen an. Die rege genutzte Gelegenheit zurVertiefung und Weiterführung der angesprochenen Themenverdeutlichte nicht nur die praktische Notwendigkeit tragfähigerKreditsicherheiten im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr,sondern zeigte ebenso das Potential der mit dem europäischenBinnenmarkt angestrebten rechtlichen Harmonisierung. DieReferate werden in englischer Sprache in einem Tagungsbandzusammengefasst.

Die mit dieser wiederum sehr gelungenen Leipziger Tagungweiter gefestigte Kooperation der beteiligten Institute beiderFakultäten wird im kommenden Frühjahr mit einer Veranstaltungin Kattowitz fortgesetzt.

Skamel , Kredi t s icherungsrechte in Polen, Deutsch land … Dokumentat ion

ZPO-Reform auf dem PrüfstandBundesjustizministerin Brigitte Zypries hat im Mai 2006 der Öffent-lichkeit eine Studie vorgestellt, die die Wirkungen der am 1.1.2002 inKraft getretenen ZPO-Reform einer umfassenden rechtstatsächlichenEvaluation unterzogen hat. Nachfolgend werden die wesentlichenErgebnisse des von den Professoren Hommerich und Prütting vorge-legten Abschlussberichts abgedruckt.

Methodisch beruht die Untersuchung auf einer Auswertung derZählkartenstatistik für die Jahre 2000 bis 2004, einer repräsentativenAktenanalyse, einer schriftlichen Befragung von Richtern und Rechts-anwälten sowie einer Befragung von Mitarbeitern von Geschäftsstel-len in den Gerichten.

I. Güteverhandlung/Schlichtung

Der Gesetzgeber wollte die gütliche Streitbeilegung in einem mög-lichst frühen Stadium fördern. Zu diesem Zweck wurde eine obliga-torische Güteverhandlung im Zivilprozess eingeführt, die – von Aus-nahmen abgesehen – der streitigen Verhandlung vorausgeht (§ 278Abs. 2 ZPO). Die Güteverhandlung findet beim AG in 58% und beim LG in 64%aller Verfahren mit mündlicher Verhandlung statt. Der Anteil derVergleiche stieg in diesen Fällen von 21,3% im Jahre 2001 auf 29,3%im Jahre 2004 bei den AG und von 29,6% auf 38% bei den LG.Deshalb müssen seit Inkrafttreten der ZPO-Reform immer wenigerZivilsachen durch streitiges Urteil entschieden werden. Die Quote istvon 21,1% (2001) auf 17,9% (2004) beim AG und von 27,0% (2001)auf 23,9% (2004) beim LG gesunken.

Im Gegensatz zu diesen statistisch nachweisbaren Effekten äußern dieim Rahmen der Evaluation befragten Richter und Anwälte mehrheit-lich die Ansicht, dass mit der Güteverhandlung die Wahrscheinlich-keit auf eine gütliche Einigung nicht gestiegen sei. Immerhin verneintaber eine deutliche Mehrheit der Richter einen Mehraufwand odereine zeitliche Verzögerung durch die Güteverhandlung (AG: 71%bzw. 88%; LG: 91% bzw. 94%). Als weiteres effektives Instrument zur gütlichen Streitbeilegung giltdie Möglichkeit zu schriftlichen Vergleichsvorschlägen. Bislangmussten Prozessvergleiche in einer mündlichen Verhandlung proto-kolliert werden, was für die Prozessbeteiligten in vielen Fällen einenvermeidbaren Aufwand bedeutete. Jetzt kann das Gericht einenschriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten, den die Parteien auchschriftlich annehmen können (§ 278 Abs. 6 ZPO). Davon machen98% bzw. 96% der Richter an den AG und LG Gebrauch. DieErfolgsquote beträgt hier sogar 71% – ein vergleichsweise sehr hoherWert.

II. Erhöhte Transparenz gerichtlicher Entscheidungsfindung

Erstinstanzliche Urteile finden seit der ZPO-Reform nicht zuletztdeshalb eine höhere Akzeptanz, weil die richterliche Hinweispflichtpräzisiert wurde (§ 139 ZPO) und die gerichtliche Entscheidungs-findung dadurch transparenter wurde. Die Vorschrift hat die früheran verschiedenen Stellen der ZPO befindlichen Regelungen zusam-mengefasst und konkretisiert, um die Mitverantwortung des Gerichtsfür eine umfassende tatsächliche und rechtliche Klärung des Streit-stoffs stärker hervorzuheben. Von zentraler Bedeutung sind hierbeidie Pflichten des Gerichts, Hinweise an die Parteien möglichst früh-zeitig zu erteilen und diese Hinweise zu dokumentieren (§ 139 Abs. 4ZPO).

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Sowohl die Erteilung als auch die Dokumentation von Hinweisenhat zugenommen, d.h. die ZPO-Reform hatte die gewünschten Aus-wirkungen auf die gerichtliche Praxis. Allerdings bleibt auch fest-zustellen, dass die Richterschaft hinsichtlich der Akzeptanz derNeuregelung des § 139 ZPO noch immer zweigeteilt ist, wie die Befra-gung im Rahmen der Evaluation ergeben hat. Die Berufungsquote (Verhältnis der anfechtbaren erstinstanzlichenUrteile zu den Neueingängen in der Berufungsinstanz) ist zurück-gegangen: Sie betrug für Urteile des AG im Jahr 2001 noch 38,7% undsank bis 2004 kontinuierlich auf 32,4%, für Urteile des LG sank dieQuote im selben Zeitraum von 58,6% auf 55,7%. Die befürchteten Nebeneffekte einer Erweiterung der gerichtlichenHinweispflicht sind vergleichsweise gering ausgefallen. Die durch-schnittliche Dauer erstinstanzlicher Verfahren hat sich seit der ZPO-Reform nur leicht erhöht (AG: von 4,3 Monaten im Jahr 2001 auf4,4 Monate im Jahr 2004; LG: von 6,9 Monaten im Jahr 2001 auf7,2 Monate im Jahr 2004). Demgegenüber ist die durchschnittlicheDauer der Berufungsverfahren deutlich gesunken (siehe unten zu demPunkt »Berufung«). Deshalb dauern Verfahren bis zur Rechtskraftinsgesamt kürzer.

III. Einzelrichter

Die ZPO-Reform hat den originär zuständigen Einzelrichter beim LGeingeführt (§ 348 ZPO), um die Entscheidungszuständigkeit desEinzelrichters auszuweiten. Zuvor mussten geeignete Verfahren perBeschluss von der Kammer auf den Einzelrichter übertragen werden.Der Regierungsentwurf prognostizierte, dass die Einzelrichter künftigetwa 70% der bei der Kammer eingehenden Verfahren selbst zu ent-scheiden haben würden (BT-Drucks. 14/4722, S. 63). Die Evaluationhat ergeben, dass sich die Einzelrichterquote mit 73% ziemlich exaktim Bereich der Erwartungen bewegt. 56% der erstinstanzlichenRichter an den LG meinen, das habe die Spruchkörper an den LG ent-lastet. Als Hauptgrund wurde auf den Wegfall der Doppelbelastung(Einzel- und Kammerrichter) verwiesen. Die Erweiterung der Zuständigkeit des Einzelrichters hat die Verfah-ren nicht verlängert. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der vonEinzelrichtern in originärer Zuständigkeit erledigten Verfahren istsogar kürzer als die der von der Kammer erledigten Verfahren. Es istdeshalb davon auszugehen, dass die komplexen und damit zeit-aufwendigeren Verfahren in den Kammern konzentriert werden.Entsprechend der Zielsetzung der ZPO-Reform werden nunmehrweniger komplexe Verfahren zeitlich effizienter von Einzelrichternbearbeitet. In der Anwaltschaft überwiegt die Zufriedenheit mit der Arbeit desEinzelrichters (48% sind zufrieden; 26% sind teils zufrieden, teilsunzufrieden; 26% sind unzufrieden). Positiv hervorgehoben werdendie bessere Vorbereitung und straffere Prozessführung durch den Ein-zelrichter im Vergleich zur Arbeit der Kammern. Im Einzelnen werdendie größere Sorgfalt, bessere Hinweiserteilung, ökonomischere, klarereund unkompliziertere Prozessführung betont. Die Quote der Beru-fungsverfahren gegen Entscheidungen von Einzelrichtern sind nachder Reform nicht gestiegen: Betrug die Quote vor der Reform 42% in2000 bzw. 44% im Jahr 2001, so lag sie nach der Reform zwischen39% und 45%.

IV. Rechtsmittelrecht Auch das neue Rechtsmittelrecht hat sich bewährt. Die Balancezwischen mehr Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bürger und derKonzentration der Berufungsinstanz auf ihre Kernaufgabe (Fehler-kontrolle) ist gelungen. Die Revisionsinstanz kann noch stärker alsbisher Rechtsvereinheitlichung und -fortbildung betreiben.

1. Zugang zur Berufung Die Evaluation hat ergeben, dass von der Zulassungsberufung fürZivilsachen mit Grundsatzbedeutung in der Praxis ein sinnvoller undmaßvoller Gebrauch gemacht wird. Im Jahr 2002 waren insges. 3.050und im Jahr 2004 insges. 3.265 zugelassene Berufungen mit einemStreitwert bis 600 € in der Berufungsinstanz beim LG anhängig. Seitder ZPO-Reform können grundsätzlich sämtliche amtsgerichtlichenUrteile mit der Berufung zum LG (und mit der Revision bis zum BGH,siehe unten 3.) gelangen. Neben der streitwertabhängigen Berufung(bei mehr als 600 €) kann jetzt bei einem Wert der Beschwer bis 600 €

die Zulassungsberufung eröffnet sein.

Auch die Herabsetzung der Berufungssumme von früher 1.500 DM auf600 € hat zu mehr Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bürger geführt,ohne die Berufungsgerichte zu überfordern: Im Jahr 2002 lagen 4,4%aller Berufungsverfahren an den LG im Streitwertsegment 600,01 bis766,94 €. Dieser Anteil stieg im Jahr 2004 auf 6,3%. Damit waren imJahr 2004 insges. 4.523 Verfahren in der Berufungsinstanz bei den LGanhängig, die nur wegen der Reduzierung der Berufungssumme beru-fungsfähig waren.

2. Durchführung der Berufung Das neue Berufungsrecht hat sich bewährt. Insgesamt haben sich dieBerufungsverfahren signifikant beschleunigt. Bei den Berufungs-kammern beim LG sank die durchschnittliche Verfahrensdauer von5,6 (2001) auf 4,9 Monate (2004), beim OLG von 8,7 (2001) auf 7,7Monate (2004). Die Berufungsinstanz wurde durch die ZPO-Reform von einer vollenzweiten Tatsacheninstanz in ein Instrument zur Fehlerkontrolle und-beseitigung umgestaltet. Das Berufungsgericht ist jetzt grundsätzlichan die Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil gebunden;neue Tatsachen sind nur noch ausnahmsweise zugelassen (§ 529ZPO). Die Zahl der Beweisaufnahmen in der Berufungsinstanz ist des-halb signifikant zurückgegangen, und zwar von 10,1% bzw. 13% imJahr 2001 auf 6,8% bzw. 8,4% im Jahr 2004 jeweils bei den LG bzw.OLG. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme wird nur in 7% (LG) bzw.12% (OLG) aller streitigen Berufungsverfahren wiederholt. Die Krite-rien für einen Neueinstieg in die Tatsachenfeststellung wurden vonden Richtern weit überwiegend (80%) als handhabbar bezeichnet. Aussichtslose Berufungen ohne Grundsatzbedeutung werden durchdie Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege (§ 522 Abs. 2 ZPO)schneller und effizienter erledigt. Diese neue Möglichkeit wird vonder gerichtlichen Praxis gut angenommen: 2002 lag der Anteil der aufdiese Art beendeten Verfahren bei 4,2% (LG) bzw. 5,7% (OLG).Er stieg 2003 auf 7,4%/8,6%. In 2004 setzte sich diese Steigerung fortund erreichte einen Wert von 10,7%/11,0%. Darüber hinaus ist ein gestiegener Anteil der Berufungsrücknahmenzu verzeichnen: Er ist von 26,9% (LG) bzw. 29,6% (OLG) im Jahr 2001auf 31,8%/32,3% im Jahr 2004 gestiegen. Wenn das Gericht vor derVerhandlung darauf hingewiesen hatte, dass die Berufung aussichts-los sei (§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO), wurde jede zweite Berufung beimOLG zurückgenommen. Insgesamt sind eine spürbare Effizienzsteigerung im Berufungs-verfahren und eine deutliche Entlastung der Berufungsgerichtefestzustellen. Vor diesem Hintergrund muss ein allgemeines Berufungs-zulassungserfordernis in der ZPO, dessen Einführung derzeit rechts-politisch diskutiert wird, mit Skepsis betrachtet werden. Es ist davonauszugehen, dass die angestrebten Beschleunigungs- und Entlas-tungspotentiale bereits durch die ZPO-Reform ausgeschöpft wordensind bzw. werden können.

3. Revision Die Änderungen im Revisionsrecht haben dazu geführt, dass der BGHerheblich häufiger Grundsatzrechtsprechung betreiben kann. Das hatdie Rechtssicherheit – für jeden Einzelnen spürbar – gestärkt. DieRevision ist jetzt auch gegen landgerichtliche Berufungsurteile eröff-net; sie hängt auch nicht mehr von dem Erreichen einer bestimmtenWertgrenze ab. An die Stelle der früheren Wertrevision (60.000 DM)ist die Zulassungsrevision getreten, wenn die Rechtssache grundsätz-liche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung desRevisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO). Lässt das Berufungsgerichtdie Revision nicht zu, so ist die Nichtzulassungsbeschwerde zumBGH eröffnet; hierfür muss allerdings nach der vorläufig bis zum31.12.2006 befristeten Übergangsregelung des § 26 Nr. 8 EGZPO einBeschwerdewert von 20.000 € erreicht sein. Der BGH hatte – gerade auch im unteren Streitwertsegment – seit 2002mehrfach Gelegenheit zu wichtigen Entscheidungen mit Grundsatz-bedeutung. Der erweiterte Zugang zum Rechtsmittel ist deshalb sehrpositiv zu bewerten. Insbesondere im Mietrecht – aber auch z.B. beimWiderrufsrecht beim e-bay-Kauf – hat der BGH zahlreiche ungeklärteFragen entschieden und damit Vermieter- und Mieterrechte verbind-lich geklärt (u.a. Rechtsfragen um die Nebenkostenabrechnung,Installation einer Mobilfunkantenne auch gegen den Willen desMieters).

Dokumentat ion ZPO-Reform auf dem Prüfs tand

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Vor der Reform waren landgerichtliche Berufungsurteile in Miet-sachen nicht revisibel. Grundsätzliche Rechtsfragen mussten über dasaufwendige Instrument des Rechtsentscheids geklärt werden, was aberin der Praxis kaum funktionierte, so dass im Mietrecht zahlreicheZweifelsfragen ungeklärt blieben. Das hat sich durch die Reform geän-dert. Der Abschlussbericht stellt hierzu fest, dass der Kreis der Ent-scheidungen, die der Revision unterliegen, durch die Öffnung auchfür Berufungsurteile des LG massiv ausgeweitet wurde. Im Jahr 2004kamen von den eingegangenen zugelassenen Revisionen 30% (265)von den LG.Trotz der Öffnung des Revisionszugangs und der Ausweitung derGrundsatzrechtsprechung ist die Gesamtbelastung des BGH durchRevision und Nichtzulassungsbeschwerde im Vergleich zu vorherdeutlich gesunken. Der Wechsel von der Streitwert- zur Grundsatz-revision hat – wie in der Reformentwurfsbegründung prognostiziert –den BGH entlastet (BT-Drucks. 14/4722, S. 71). Die Anzahl von Revi-sionen und Nichtzulassungsbeschwerden ging von 4.595 im Jahre2002 auf 3.633 im Jahre 2004 (und 3.233 im Jahre 2005) zurück.Dies ist nicht zuletzt auf die Wertgrenze für die Nichtzulassungs-beschwerde i.H.v. 20.000 € zurückzuführen, deren Geltung bis31.12.2006 befristet ist und mit dem 2. JustizmodernisierungsG umweitere fünf Jahre verlängert werden soll.

4. Rechtsbeschwerde Die Einführung der Rechtsbeschwerde zum BGH hat sich als richtigerSchritt erwiesen. Sie wurde geschaffen, um dem Gericht insbesonderein Kostenfestsetzungs-, Zwangsvollstreckungs- und PKH-Sachen einegrößere Wirkungsbreite zu verschaffen. In diesen Verfahren gab es vorder Reform keinen Zugang zum BGH und damit keine Möglichkeit,grundsätzliche Rechtsfragen zu klären. Der BGH hat mittlerweile ineiner Vielzahl von Beschlüssen Rechtsfragen im zivilprozessualenMassengeschäft (anwaltliches Gebührenrecht, Erstattungsfähigkeitvon Aufwendungen, Behandlung des Erfüllungseinwands im Voll-streckungsverfahren) geklärt, die seit Jahrzehnten unter den OLGstreitig waren. Das hat die Rechtssicherheit für die Rechtsanwendererhöht. Auf lange Sicht dürfte dies die Justiz spürbar entlasten. Die mit der Einführung der Rechtsbeschwerde zwangsläufig verbun-dene Mehrbelastung für den BGH konnte – wie geplant – durch denRückgang bei den Revisionen aufgefangen werden. Die Gesamtbelas-tung des BGH – d.h. die Belastung durch Revisionen, Nichtzulas-sungsbeschwerden und Rechtsbeschwerden – hält sich inzwischen inerträglichen Grenzen.

Anm. d. Redaktion: Anlässlich der Vorstellung des Abschlussberichts hatdie BRAK in ihrer Presseerklärung v. 17.5.2006 erneut die tiefen Einschnittekritisiert, die für Rechtsuchende mit der ZPO-Reform verbunden seien. Dievon der damaligen Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin selbst gestecktenZiele der Reform – mehr Akzeptanz und mehr Tranparenz im gerichtlichenVerfahren – seien weit verfehlt worden.

Einführung sog. Serviceeinheiten, in denen bislang arbeitsteiligvorgenommene Arbeiten zusammengeführt werden. Ein vernetzteselektronisches Informationsverteilungssystem bei den Amtsgerichtenbefindet sich im Aufbau. Wesentliches Ziel der Justizreform war die Verbesserung des Bürger-service. Eine zu diesem Zweck durchgeführte Umfrage unter Bürge-rinnen und Bürgern führte zum Entwurf einer Geschäftsordnung, mitdem die Sprechzeiten für die Geschäfts- und Rechtsantragsstellenerweitert und die Einrichtung von Infostellen in den Gerichten vor-gegeben werden. Im Hinblick auf das Personalmanagement wurden für den richterlichenBereich Anforderungsprofile und Beurteilungsrichtlinien entwickelt,die neben den formalen Voraussetzungen für das Richteramt außer-fachliche Kompetenzen wie z.B. Kommunikationsfähigkeit, Entschluss-freude und Organisationsvermögen besonders betonen. So wird dieGerichtsverhandlung künftig eine bürgernähere und offenere Gestal-tung erhalten. Die Beteiligung von annähernd 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern am »Projekt Justizreform« hat zu einer hohen Akzeptanz derfortlaufenden Veränderungen geführt und als Nebeneffekt eine ver-besserte Kommunikation zwischen den Gerichten und Behördenbewirkt. Das Reformvorhaben wurde ohne Inanspruchnahme finan-zieller Unterstützung aus den Mitteln für Projekte der Verwaltungs-modernisierung durchgeführt.Die Zahl der Beschäftigten in der Berliner Justiz verringerte sich auf-grund der Einsparvorgaben für die Berliner Verwaltung von 12.521 imJahr 2002 auf 11.918 im Jahr 2005. Der Frauenanteil insgesamt konnteim Vergleichszeitraum von 55,6 auf 56,8% gesteigert werden. Zehnder insges. 24 Positionen in der Leitung von Gerichten sowie Staats-und Amtsanwaltschaft sind von Frauen besetzt; allein sechs der zwölfBerliner Amtsgerichte unterstehen Präsidentinnen. Herbeigeführt wurde eine Vollausstattung mit Informations- undKommunikationstechnik. Es erfolgte eine nahezu flächendeckendeIT-Ausstattung sowie die Errichtung einer IT-Infrastruktur mit Hilfeder neu geschaffenen zentralen IT-Serviceeinheit für die ordentlicheGerichtsbarkeit (ITOG). Die Anzahl moderner Bildschirmarbeitsplätzekonnte von 850 zu Beginn der Legislaturperiode auf 3.980 (= Aus-stattungsgrad von 94%) zu Beginn des Jahres 2006 gesteigert werden.Durch das einheitliche IT-Fachverfahren AULAK wird künftig bspw.auch der elektronische Rechtsverkehr möglich sein. Die Verfahrensdauer in der Justiz konnte weitreichend verringert wer-den: Bei den Amtsgerichten konnte sie in Zivilsachen von 4,5 Monateim Jahr 2002 auf 4,3 Monate im Jahr 2005 minimiert werden; Beru-fungen am Landgericht in Zivilsachen nahmen im Jahr 2005 einenDurchschnitt von 4,6 Monaten in Anspruch, während sie im Jahr2002 durchschnittlich 7,5 Monate dauerten. In der Verwaltungs-gerichtsbarkeit konnte die durchschnittliche Verfahrensdauer imVerlauf von 2002 bis 2005 von 19,5 auf 17,9 Monate gesenkt werden.Nahm ein Verfahren am Sozialgericht zu Beginn der Legislaturperiodenoch 12,8 Monate durchschnittlich in Anspruch, belief sich dieserWert im Jahr 2005 auf 11,9 Monate. Einzig in der Strafgerichtsbarkeitkonnte keine Beschleunigung erreicht werden. Hier verlängerte sicham Amtsgericht die Verfahrensdauer im Vergleichzeitraum von 4,4auf 4,8 Monate und in landgerichtlichen Verfahren der ersten Instanzvon 5,1 auf 6,5 Monate. Ein weiterer wesentlicher Punkt der Neustrukturierung ist der Ausbauder Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg. Durch die Gründungdes Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamts im Jahr 2004 konnte dieauf Bundesebene beschlossene Reform der Juristenausbildung ein-heitlich vorangetrieben werden. Die Errichtung der gemeinsamenFachobergerichte führt zur Entwicklung einer gefestigten Rechtspre-chung im Raum Berlin/Brandenburg und stärkt so den Wirtschafts-standort. Am 1.7.2006 wird das Zentrale Mahngericht Berlin-Brandenburg beim AG Wedding seine Arbeit aufnehmen und damitflächendeckend für beide Länder das automatisierte Mahnverfahrenanbieten (siehe dazu auch Inform. auf S. 355, in diesem Heft). Damitkönnen Mahnbescheide innerhalb einer Woche ergehen. Im Justizvollzug wird durch den Erweitungsneubau für das Justizvoll-zugskrankenhaus Berlin, das im Spätsommer 2006 mit einer Kapazitätvon 125 Betten fertig gestellt sein wird, eine Entspannung der Über-belegung eintreten. Seine moderne medizinische Ausstattung wird zu

ZPO-Reform auf dem Prüfs tand

Eckpunkte einer modernen Justizpolitikim Land BerlinDie Justizsenatorin Karin Schubert hat im Mai 2006 dem Senat vonBerlin Bericht über die Modernisierung der Berliner Justiz in den Jahren2002 bis 2006 erstattet, der im Folgenden abgedruckt wird.

Das »Projekt Justizreform«, ins Leben gerufen im Okt. 2002, bewirktein der Berliner Justiz einen enormen Modernisierungsschub. Einzentraler Gesichtspunkt war die effektivitäts- und effizienzsteigerndeDezentralisierung der Organisationsstruktur. Alle zwölf Amtsgerichteerhielten einen eigenen Präsidenten bzw. eine eigene Präsidentinund damit die eigenständige Verantwortung sowohl für das Personalals auch für den Haushalt. Sämtliche Verwaltungsaufgaben werdennunmehr von den einzelnen Amtsgerichten selbst übernommen,wodurch zeitraubende und innovationsferne Verwaltungsabläufesowie Doppelarbeit entfallen. Darüber hinaus wurde die Organisationinterner Aufbau- und Ablaufstrukturen deutlich verbessert durch die

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einer Reduzierung von sonst personalintensiven Ausführungen undBewachungen in öffentliche Krankenhäuser führen. Zur Sicherungder Bevölkerung wurde im Jahr 2003 in der JVA Tegel eine weitereSozialtherapeutische Anstalt mit 36 Haftplätzen speziell zur Behand-lung von Sexualstraftätern eingerichtet. In der JVA Moabit wurden50 Haftplätze durch Umbau eines früheren Unterkunftsbereichserschlossen. In den JVA Tegel und Moabit sind in doppelt belegtenHafträumen Toilettenabtrennungen eingebaut worden, um die vomKammergericht im Sommer 2004 gerügte verfassungswidrige Unter-bringungssituation zu beenden. Der Neubau einer JVA für dengeschlossenen Männervollzug mit rd. 650 Haftplätzen wird vorange-trieben. Die Fehlschläge von Vollzugslockerungen beliefen sich mit0,10% im Jahr 2005 auf einem absoluten Tiefststand; im Jahr 2002 lagsie bei 0,14% (im Jahr 1992: 0,57%). Das Programm »Arbeit statt Strafe« wurde erweitert. Die Vermeidungder Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen entsprach im Jahr 2005rd. 440 Haftplätzen; dies bedeutet einen bundesweiten Spitzenplatzund eine Einsparung von rd. 12,8 Mio. €.

Durch die Neuschaffung der Intensivtäterabteilung bei der Staats-anwaltschaft wurde die Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwalt-schaft zur Verfolgung intensiv krimineller, insbesondere jugendlicherund heranwachsender Straftäter deutlich verbessert. Bis zum 31.3.2006wurden in 728 Fällen Anklagen gegen Intensivtäter erhoben; esergingen in der Abteilung 682 gerichtliche Entscheidungen, die beiIntensivtätern durchweg auf Jugend- und Freiheitsstrafen lauteten.Die Vereinfachung des Berliner StiftungsG führte in Berlin zu einer deut-lichen Steigerung von Neustiftungen, deren Vermögen gemein-nützigen Einrichtungen zugute kommt. Ein von der Justizverwaltung erarbeiteter Gesetzentwurf zur Einführungeines Korruptionsregisters wurde im April 2006 vom Abgeordnetenhausverabschiedet und komplettierte die auch von »Transparency Inter-national« lobend hervorgehobene Berliner Strategie zur Korruptions-bekämpfung.Die nunmehr beschlossene Bundesratsinitiative zur Bekämpfungder Zwangsheirat ist wesentlich auf den von Berlin eingebrachtenEntwurf zurückzuführen (siehe Inform. in NJ 2006, 165).

In format ionen Eckpunkte e iner modernen Just izpol i t ik im Land Ber l in

BUNDESGESETZGEBUNG

Auswertung der BGBl. 2006 I Nr. 26 bis 30Nach der Prozesskostenhilfebekanntmachung 2006 (PKHB 2006)v. 6.6.2006 sind die Einkommensfreibeträge für die PKH imVergleich zum Vorjahr gleich geblieben. Für die Zeit vom 1.7.2006bis zum 30.6.2007 gelten folgende Beträge, die gem. § 115 Abs. 1Satz 3 Nr. 1 Buchst. b und Nr. 2 ZPO vom Einkommen der Pro-zessparteien abzusetzen sind: 173 € für Parteien, die ein Einkom-men aus Erwerbstätigkeit erzielen; 380 € für die Partei und ihrenEhegatten oder ihren Lebenspartner; 266 € für jede weiterePerson, der die Partei aufgrund gesetzlicher UnterhaltspflichtUnterhalt leistet. (BGBl. I Nr. 26 S. 1292)

Das Ges. zur Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädigungs-rechts und des Ges. über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen imBeitrittsgebiet v. 19.6.2006 ändert u.a.: § 84a BVG idF d. Bkm. v.22.1.1982 (BGBl. I S. 21), zuletzt geänd. durch Ges. v. 24.4.2006(BGBl. I S. 926); § 1 Abs. 8 OEG idF d. Bkm. v. 7.1.1985 (BGBl. IS. 1), zuletzt geänd. durch Ges. v. 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950); § 11AAÜG v. 25.7.1991 (BGBl. I S. 1606, 1677), zuletzt geänd. durchGes. v. 21.6.2005 (BGBl. I S. 1672); § 28a SGB IV idF d. Bkm. v.23.1.2006 (BGBl. I S. 86, 466), geänd. durch Ges. v. 15.6.2006(BGBl. I S. 1304). In das DienstbeschädigungsausgleichsG (DbAG)v. 11.11.1996 (BGBl. I S. 1674, 1676), geänd. durch Ges. v.27.7.2001 (BGBl. I S. 1939), wurde neben Änderungen der §§ 1-3ein neuer § 1a (Leistungsversagung und -entziehung) und einneuer § 4 (Leistungen für die Zeit vom 1.8.1991 bis 28.2.2002)eingefügt. Das ÄndG ist teils am 23.6.2006, teils rückwirkend inKraft getreten. (BGBl. I Nr. 27 S. 1305)

Mit Ges. zur Änderung und Bereinigung des Lastenausgleichsrechtsv. 21.6.2006 ist in Art. 1 das LAG idF d. Bkm. v. 2.6.1993 (BGBl. IS. 845, 1995 I S. 248), zuletzt geänd. durch Ges. v. 12.8.2005(BGBl. I S. 2354), in mehreren Paragraphen geändert worden.Durch Einfügung eines neuen § 349a wurde der Mindestbetrag fürRückforderungen von Ausgleichsleistungen auf 50 € festgelegt.Mit den Art. 3-9 sind zudem zahlreiche Rechtsvorschriften mitWirkung v. 1.7.2006 aufgehoben worden. (BGBl. I Nr. 28 S. 1323)

Das HaushaltsbegleitG 2006 (HBeglG 2006) v. 29.6.2006 ändertinsges. 13 Rechtsvorschriften und zielt auf eine umfassende Sanie-rung der Staatsfinanzen. Es enthält u.a. folgende zum 1.1.2007

wirksam werdende Maßnahmen: Erhöhung des Mehrwertsteuer-satzes und des Regelsatzes der Versicherungsteuer von 16% auf19%; Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherungum 2% auf 4,5%; Anhebung des Pauschalbeitragssatzes fürgeringfügig Beschäftigte von 25% auf 30% (§ 226 Abs. 4 SGB V);Begrenzung der Sozialversicherungsfreiheit von Sonn-, Feiertags-und Nachtzuschlägen auf einen Grundlohn von 25 € pro Stunde(§ 1 der ArbeitsentgeltVO). Die zum 1.7.2006 erfolgte Änderung des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VIsieht vor, dass bei Gesellschaftern als Auftraggeber die Auftrag-geber der Gesellschaft gelten; außerdem wurde Satz 4 der Normum eine Nr. 3 erweitert, wonach bei Gesellschaftern auch dieArbeitnehmer der Gesellschaft als Arbeitnehmer gelten. Damitwurde klargestellt, dass selbständige GmbH-Geschäftsführer nichtder Rentenversicherungspflicht unterliegen. Die Voraussetzun-gen für die Versicherungspflicht müssen – entgegen der vom BSGin seinem Urt. v. 24.11.2005 (siehe Pressemitt. in NJ 3/06, V)vertretenen Auffassung – bei der Gesellschaft und nicht in derPerson des Gesellschafters erfüllt sein. (BGBl. I Nr. 30 S. 1402)

GESETZESINITIATIVEN

FöderalismusreformNach mehrtägigen gemeinsamen Expertenanhörungen vonBundestag und Bundesrat im Mai/Juni 2006 hat der Bundestagdas Ges. zur Änderung des GG und das Föderalismusreform-BegleitG beschlossen. Ziel ist die Stärkung der Gesetzgebung vonBund und Ländern durch eine deutliche Zuordnung der Gesetz-gebungskompetenzen (u.a. für den Strafvollzug, die Besoldung,Versorgung und das Laufbahnrecht für Beamte und Richter, dasVersammlungs-, Heim- und Gaststättenrecht, den Ladenschlusssowie den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr und daswirtschaftliche Pachtwesen), die Abschaffung der Rahmengesetz-gebung, der Abbau gegenseitiger Blockaden durch Neubestim-mung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen imBundesrat, der Abbau von Mischfinanzierungen und eine Neu-fassung der Möglichkeiten für Finanzhilfen des Bundes und dieStärkung der Europatauglichkeit des GG.Der Bundesrat hat den Gesetzen am 7.7.2006 zugestimmt.

(aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 89/06 v. 7.7.2006)

Zur Föderalismusreform siehe den Beitrag von Th. Ramm auf S. 337 ff.,in diesem Heft.

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355Neue Justiz 8/2006

Frühjahrs-JustizministerkonferenzDen Schwerpunkt der Beratungen anlässlich der am 1. und2.6.2006 in Erlangen stattgefundenen 77. JuMiKo bildete diesog. Große Justizreform. Mit ihren Beschlüssen sprachen sich dieJustizministerinnen und -minister für die Einführung einer funk-tionalen Zweigliedrigkeit in allen Gerichtsbarkeiten aus. Nachdem Vorbild der VwGO soll nur noch eine Berufungszulassungmöglich sein. In der Zivilgerichtsbarkeit soll die Berufungssummevon 600 € auf mind. 1.000 € angehoben werden. Das Rechts-mittelrecht im Arbeitsrecht soll an das der Zivilgerichtsbarkeitund im Sozialrecht an das der Verwaltungsgerichtsbarkeit ange-glichen werden. Für das Strafrecht ist nach dem Vorbild imJugendstrafverfahren (§ 55 Abs. 2 JGG) die Einführung einessog. Wahlrechtsmittels vorgesehen, wonach sich die Beteiligtenbei Urteilen der Amtsgerichte wahlweise für die Berufung oderRevision entscheiden können.Weiterer Gegenstand der Beratungen war die Einführung einesneuen Verbraucherentschuldungsverfahrens. Gänzlich mittellosePersonen sollen danach künftig nach einem neuen Verfahrenentschuldet und auf die Beteiligung eines Treuhänders verzichtetwerden. Während der vorgesehenen achtjährigen Laufzeit desVerfahrens sollen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mit gewissenEinschränkungen zulässig sein. Das BMJ hat dazu einen Diskus-sionsentwurf vorgelegt, der als Grundlage für eine Regierungs-vorlage auf den gesetzgeberischen Weg gebracht werden soll.(aus: Pressemitteilung des Bayerischen Justizministeriums v. 2.6.2006)

Zur Großen Justizreform siehe das Plädoyer des sächsischen Justizminis-ters G. Mackenroth, NJ 2005, 481 ff.

Insolvenzrecht für UnternehmenDas Bundeskabinett hat den Entwurf eines Ges. zur Vereinfachungdes Insolvenzrechts für Unternehmen beschlossen, das das Insol-venzverfahren vereinfachen und Impulse für eine wirtschaftlicheBetätigung trotz Eintritt des Insolvenzfalls geben soll. So soll dasInsolvenzgericht künftig im Eröffnungsverfahren anordnenkönnen, dass solche sicherungsübereigneten Betriebsmittel, diefür eine Fortführung des Betriebs von wesentlicher Bedeutungsind, nicht an die Gläubiger herausgegeben werden müssen. DerInsolvenzverwalter soll die Möglichkeit erhalten, nach Zustim-mung durch die Gläubiger zu erklären, dass Vermögen aus einerselbständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmassegehört. Künftig haben die Gerichte die Insolvenzverwalter ausdem Kreis aller Personen auszuwählen, die sich zur Übernahmevon Insolvenzverwaltungen bereit erklärt haben; sog. geschlos-sene Listen sind dann unzulässig.

(aus: Pressemitteilung des BMJ v. 28.6.2006)

EUROPA

Definition des Begriffs »Kurzarbeit« Die Kommission hat im Amtsblatt einen Beschluss veröffentlicht,in dem die Bedeutung des Begriffs »Kurzarbeit« der VO 1408/71definiert wird. Hintergrund des am 1.6.2006 in Kraft getretenenBeschlusses ist das EuGH-Urteil in der Rs. C-444/89. Der EuGHhatte darin entschieden, dass eine einheitliche und gemein-schaftliche Einstufung der Grenzgänger als Kurzarbeiter oderVollarbeitsloser vorzunehmen ist, die sich nicht nach Kriteriendes nationalen Rechts richten darf. Nach dem Beschluss ist dieBestimmung der Art der Arbeitslosigkeit – Kurzarbeit oder Voll-arbeitslosigkeit – abhängig von der Existenz oder dem Fehleneines Arbeitsverhältnisses und nicht von der Dauer der Arbeits-losigkeit. Ein Grenzgänger, der zwar weiter bei demselben Unter-nehmen beschäftigt, dessen Tätigkeit aber vorübergehend unter-

brochen ist, ist als Kurzarbeiter anzusehen. Damit hat der Staat,in dem er bis auf die Unterbrechung arbeitet, für Sozialleistungenaufzukommen. Hingegen wird ein Grenzgänger, der keineVerbindung mehr zu dem Beschäftigungsmitgliedstaat hat, alsvollarbeitslos eingestuft, die Leistungen werden dann vom Trägerdes Wohnorts gewährt. (aus: Pressemitteilung des DAV, Büro Brüssel, Nr. 20/06 v. 30.5.2006)

NEUE BUNDESLÄNDER

BERLIN/BRANDENBURG

Seit dem 3.7.2006 werden fristwahrende Anträge auf Erlass einesMahnbescheids vom AG Berlin-Wedding als Zentrales MahngerichtBerlin-Brandenburg bearbeitet. In Berlin war für die Bearbeitungbereits bisher als Zentrales Mahngericht das AG Wedding zuständig;in Brandenburg zeichneten dafür die Amtsgerichte verantwortlich.Mit einer Anzahl von jährlich über 410.000 stellen die Mahnver-fahren in Berlin einen großen Anteil der insges. rd. 520.000 zivil-prozessualen Streitigkeiten pro Jahr dar. Durch die anstehendeBearbeitung auch der Brandenburger Verfahren wird die Zahl derMahnverfahren auf rd. 500.000 jährlich steigen.

(aus: Gemeins. Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Justiz Berlin u. des bbg. Justizministeriums v. 3.7.2006)

Durch ÄndVO v. 30.5.2006, in Kraft seit 16.6.2006, wurde dieAnlage zu § 1 Satz 1 der VO über den LandesentwicklungsplanFlughafenstandortentwicklung v. 28.10.2003 (GVBl. Bln. S. 521;GVBl. Bbg. II S. 594) neu gefasst. Die Änderungen wurden erfor-derlich, nachdem das OVG Frankfurt (Oder) mit Urt. v. 10.2.2005(NJ 2005, 324 [Leits.]) aufgrund von Klagen mehrerer Gemeindenwegen Abwägungsfehlern die Unwirksamkeit von § 1 der VOeinschließlich des darin zum Bestandteil dieser VO erklärtenLandesentwicklungsplans Flughafenstandortentwicklung (LEP FS)festgestellt hatte.

(GVBl. Bln. Nr. 21 S. 509; GVBl. Bbg. II Nr. 13 S. 154)

BERLIN

Der Untersuchungsausschuss »Bankgesellschaft« hat dem Abgeord-netenhaus seinen 900 Seiten langen Abschlussbericht vorgelegt,der die Arbeit von 97 Sitzungen, die Anhörung von 122 Zeugenund das Aktenstudium von rd. 100.000 Seiten zusammenfasst.Der Skandal um die landeseigene Bankgesellschaft war wegen desSchadens für die Allgemeinheit der größte Bankenskandal in derGeschichte Deutschlands. Der Bericht beleuchtet den Weg derBank von ihrer Gründung im Jahr 1994 über die Auflegung derrisikoreichen Immobilienfonds bis zur Fast-Pleite. Er nennt dieVerantwortlichen und als Gründe für das Fiasko Missmanage-ment, politisches Versagen, Verantwortungslosigkeit im Umgangmit Landesvermögen, fehlende Kontrolle und kriminelle Energie.Bisher kostete der Bankenskandal dem Land Berlin ca. 2,85 Mrd. €,für die Folgejahre wird aufgrund einer Landesbürgschaft mit wei-teren vier bis sieben Mrd. € gerechnet. Politisch führte der Skan-dal im Juni 2001 zum Ende der CDU-SPD-Koalition.

(aus: Berliner Zeitung v. 3.6.2006)

Durch 8. ÄndG v. 19.6.2006, in Kraft seit 25.6.2006, wurde dasLandesgleichstellungsG idF v. 6.9.2002 (GVBl. S. 280), zuletztgeänd. durch Ges. v. 29.6.2004 (GVBl. S. 261), vor allem durchNeufassung des § 20 geändert. Nunmehr kann die Frauenvertre-terin das Verwaltungsgericht anrufen, um geltend zu machen,dass die Dienststelle ihre Rechte aus diesem Gesetz verletzt hat.Die Anrufung hat keine aufschiebende Wirkung.

(GVBl. Nr. 23 S. 575)

NJ-Umbruch 8/06 Teil 1.gx 11.07.2006 9:15 Uhr Seite 355

Neue Justiz 8/2006356

BRANDENBURG

Strafrichter sollen künftig von der Gerichtshilfe zuverlässigeAngaben über die persönlichen Lebensumstände eines Beschul-digten oder Angeklagten erhalten. Eine weitere Aufgabe derGerichtshelfer soll darin bestehen, über die Folgen der Tat zuberichten und hierzu Kontakt mit dem Opfer aufzunehmen. DieTätigkeit der Gerichtshilfe wird von Sozialarbeitern bei denSozialen Diensten der Justiz des Landes wahrgenommen. Nacherfolgreicher Beendigung der Pilotphase im LG-Bezirk Neuruppinwird eine landesweite Ausweitung angestrebt.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 23.6.2006)

Justizministerin Beate Blechinger hat dem Verein Opferhilfe LandBrandenburg e.V. einen Fördermittelbescheid i.H.v. 178.225,92 €übergeben. Mit diesen Landesmitteln und einer Eigenbeteiligungkann der Verein seine sechs Beratungsstellen in den Städten Pots-dam, Brandenburg a.d. Havel, Cottbus, Senftenberg, Frankfurt(Oder) und Neuruppin weiterführen.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 26.6.2006)

Die Umstellung vom traditionellen Grundbuch auf das elektroni-sche Grundbuch »SolumSTAR« ist in Brandenburg abgeschlossen.Das Papiergrundbuch gehört damit nun bei allen Amtsgerichtender Vergangenheit an.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 27.6.2006)

Das 7. ÄndG v. 29.5.2006, im Wesentlichen seit 1.7.2006 in Kraft,ändert u.a. umfassend das AbgeordnetenG idF d. Bkm. v. 18.1.2002(GVBl. I S. 2), zuletzt geänd. durch Ges. v. 24.5.2005 (GVBl. IS. 196). (GVBl. I Nr. 6 S. 66)

Das 1. Bbg. BürokratieabbauG (1. BbgBAG) v. 28.6.2006 dient durchÄnderung und Aufhebung zahlreicher Rechtsvorschriften demAbbau von bürokratischen Hemmnissen im Land. Es enthält inArt. 1 das Ges. zur Erprobung der Abweichung von landesrechtlichenStandards in Kommunen des Landes Brandenburg. Danach könnenGemeinden, Ämter, Landkreise und Zweckverbände auf Antragfür höchstens vier Jahre von der Anwendung landesrechtlicherVorschriften befreit werden, sofern dem Bundes- und EG-Rechtnicht entgegensteht und die Rechte Dritter nicht berührt werden.Mit Art. 2 wird die BbgBO v. 16.7.2003 (GVBl. I S. 210), zuletztgeänd. durch Ges. v. 19.12.2005 (GVBl. I S. 267), in mehrerenParagraphen geändert. Die Geltungsdauer der Baugenehmigunggem. § 69 BbgBO beträgt nunmehr sechs (zuvor vier) Jahre. Art. 22bestimmt u.a. die Aufhebung des VergnügungsteuerG und desSammlungsG. Das Gesetz tritt im Wesentlichen am 1.8.2006 inKraft; Art. 1 tritt am 1.9.2010 wieder außer Kraft.

(GVBl. I Nr. 7 S. 74)

MECKLENBURG-VORPOMMERN

Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat einen neuenDienstsitz. Die rd. 120 Mitarbeiter haben vor kurzem ihre Räumeim Neustädtischen Palais in Schwerin bezogen. Seit April 2003wurden für inges. 11,3 Mio. € der Altbau in der Puschkinstraßesaniert sowie im Innenhof und an der Körnerstraße ein Neubauerrichtet. Die neue Anschrift des Justizministeriums lautet: Pusch-kinstr. 19-21, 19055 Schwerin.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 22.6.2006)

Nach ca. zweijähriger Bauzeit wurde der Neubau des Kriminaltech-nischen Instituts des LKA in Rampe übergeben, der eine deutlichbessere Kriminalitätsbekämpfung ermöglicht. Alle kriminaltech-nischen und wissenschaftlichen Untersuchungsbereiche – vonder Daktyloskopie bis zur DNA-Analyse – sind an einem Standort

untergebracht. Mit den hochmodernen Laborkapazitäten aufinges. rd. 2.000 qm Nutzfläche verfügen die mehr als 45 Kriminal-techniker und Sachverständigen des LKA nunmehr über optimalewissenschaftliche Arbeitsbedingungen.

(aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 16.6.2006)

Das Ges. zur Modernisierung der Verwaltung des Landes M-V v.23.5.2006 enthält in Art. 1 das Funktional- und KreisstrukturreformG(FKrG M-V). Von zentraler Bedeutung ist der in den §§ 72 ff. gere-gelte Neuzuschnitt der Landesteile, der mit Ablauf des Tages vor denNeuwahlen für die Kreistage im Jahr 2009 wirksam wird. Diebestehenden zwölf Landkreise werden aufgelöst. Aus ihnen wer-den fünf neue Kreise (Mecklenburgische Seenplatte, MittleresMecklenburg-Rostock, Nordvorpommern-Rügen, Südvorpom-mern und Westmecklenburg) gebildet, in die die bestehendensechs kreisfreien Städen eingegliedert werden. Die einzurichten-den Aufbaustäbe werden ab Aug. 2006 den Übergang der Land-kreise in den neuen Kreis, die Eingliederung der kreisfreien Städtesowie die Überleitung von Aufgaben und Personal vom Land aufdie Kreise vorbereiten. Einige Regelungen treten bereits zum1.8.2006 in Kraft. Dies betrifft vor allem den überwiegenden Teilder Aufgabenübertragung von den Landkreisen auf die Ämterund amtsfreien Gemeinden im Zuge der Funktionalreform IIsowie die Bildung von Aufbaustäben. Im Wesentlichen werdenAufgaben nach dem PersonenstandsG, nach dem Gewerbe- undHandwerksrecht und aus dem Naturschutzbereich sowie dieFestlegung von Ladenschlusszeiten auf die Ämter und amtsfreienGemeinden übertragen. (GVOBl. M-V Nr. 8 S. 194)

Das PersonalübergangsG (PersÜG M-V) v. 23.5.2006, das den Über-gang von Landespersonal auf die Kreise aus Anlass der Funktional-reform I regelt, ist am 10.6.2006 in Kraft getreten und tritt am31.12.2010 wieder außer Kraft. (GVOBl. M-V Nr. 9 S. 275)

Das LandesstiftungsG (StiftG M-V) v. 7.6.2006 ist am 17.6.2006 inKraft getreten; gleichzeitig trat das StiftungsG v. 24.2.1993 außerKraft. Das neue StiftG M-V gilt nur für rechtsfähige Stiftungen desbürgerlichen Rechts. Mit 13 Paragraphen (bisher 32) wurde dasStiftungsrecht auf das notwendige Maß zurückgeführt. Gem. § 3hat das Innenministerium ein allgemein einsehbares Stiftungs-verzeichnis zu führen. (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 366)

Nach der Bekanntmachung v. 24.5.2006 treten die im 2. Ges. zurDeregulierung und zum Bürokratieabbau v. 13.2.2006 (GVOBl.M-V S. 90) enthaltenen Änderungen des ArchitektenG und des Inge-nieurG zusammen mit der neuen LBauO M-V am 1.9.2006 inKraft. (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 456)

SACHSEN

Das Kabinett hat auf der Basis der Vorschläge des Lenkungsaus-schusses »Verwaltungsreform« die Eckpfeiler zur Verwaltungs- undFunktionalreform beschlossen. Damit soll eine Vielzahl von bisherstaatlichen Aufgaben künftig ortsnah und gebündelt durch Land-kreise und kreisfreie Städte erledigt werden. Die Verwaltungs- undFunktionalreform soll zum 1.7.2008 in Kraft treten; die dafürnotwendigen Gesetzentwürfe sollen Anfang 2007 in den Landtageingebracht werden.

(aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 27.6.2006)

Für den weiteren Bürokratieabbau hat das Kabinett ein Eckpunkte-papier beschlossen und zur Anhörung freigegeben. Danach sollenu.a. Grundstücke mit einer vorhandenen Bebauung von bis zu zweiWohneinheiten und bebaute Grundstücke von bis zu 1.000 qmaus dem Geltungsbereich gemeindlicher Baumschutzsatzungen

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357Neue Justiz 8/2006

herausgenommen sowie die Bewässerung von Klein- und Haus-gärten aus vorhandenen Brunnen erlaubt werden. Zur Beschleu-nigung von Genehmigungsverfahren ist eine Entscheidungsfristder Behörde von i.d.R. drei Monaten vorgesehen.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 20.6.2006)

Das Ges. über den Zugang zu Umweltinformationen für den FreistaatSachsen v. 1.6.2006 ist am 1.7.2006 in Kraft getreten. Es enthält inArt. 1 das Sächs. UmweltinformationsG (SächsUIG) und in denArt. 2-4 Folgeänderungen u.a. im Sächs. WasserG und im Sächs-WaldG. (SächsGVBl. Nr. 7 S. 146)

Zum SächsUIG siehe den Beitrag von F. Ekardt, NJ 2006, 295 ff. (297 ff.).

SACHSEN-ANHALT

Justizministerin Prof. Dr. Angela Kolb strebt eine Neuordnung derJustizstrukturen im Land an. Geprüft werden der Bestand kleinerAmtsgerichte und AG-Außenstellen sowie die Standorte in denFachgerichtsbarkeiten und bei den Staatsanwaltschaften. BisEnde 2006 soll ein Konzept vorliegen, das auch einen Zeitplan fürdie Umsetzung enthalten wird. Derzeit gibt es 27 Amtsgerichte,fünf davon haben Außenstellen. Hintergrund der Justizstruktur-reform sind neben der Kreisreform z.T. rückläufige Eingangs-zahlen bei den Fachgerichten und die negative Bevölkerungsent-wicklung.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 28.6.2006)

Innenminister Holger Hövelmann hat einen verbesserten Schutz fürOpfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution angekündigt.Bislang erhalten die Opfer aufgrund eines Erlasses des Innen-ministeriums von 2000 eine vierwöchige Ausreisefrist; bei Bereit-schaft zur Zeugenaussage gegen die Täter wird die Abschiebungausgesetzt (Duldung). Entsprechend einer EU-Richtlinie von2004, deren beabsichtigte Umsetzung in nationales Recht nichtin der vorgesehen Frist (6.8.2006) erfolgen wird, soll den Betrof-fenen, die an der Bekämpfung des Menschenhandels mitwirkenund dazu mit den zuständigen Behörden kooperieren wollen, einbefristeter Aufenthaltstitel erteilt werden. Seit 2000 wurden imLand insges. 170 Fälle der Ausbeutung von Prostituierten, derZuhälterei und des Menschenhandels mit 219 Opfern in der PKSregistriert. 34 zur Zusammenarbeit bereite ausländische Opfer, diedazu auch in Deutschland bleiben wollten, wurden von der Fach-beratungsstelle VERA vermittelt. Derzeit betreut VERA zehn Opfer.

(aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 9.6.2006)

Die Justizministerin hat im Landtag die Prüfung eines Modell-projekts »Schülergericht« angekündigt. Dazu werden jetzt dieErfahrungen anderer Bundesländer mit Schülergerichten (zuBerlin siehe Inform. in NJ 2005, 546; zu Sachsen in NJ 2006, 260) aus-gewertet. Anschließend soll in Abstimmung mit Staatsanwälten,Richtern und dem Kultusministerium ein landesspezifischesKonzept erstellt werden.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 9.6.2006)

Werner Zink ist neuer Präsident des LAG Halle. Der 58-jährige Juristwar seit 1992 Vizepräsident des OLG Naumburg. Er tritt die Nach-folge von Christoph Gross an, der Ende 2005 in den Ruhestand trat.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 29.6.2006)

Nach der VO über die Festsetzung von Regelsätzen im Land Sachsen-Anhalt gelten vom 1.7.2006 bis zum 30.6.2007 folgende monat-liche Regelsätze: Haushaltsvorstände und Alleinstehende 331 €;Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres199 € und ab Vollendung des 14. Lebensjahres 265 €.

(GVBl. LSA Nr. 20 S. 366)

THÜRINGEN

Justizminister Harald Schliemann hat den Landtag darüber infor-miert, dass durch personalwirtschaftliche Maßnahmen der seiteinigen Jahren wachsenden Belastung in der Sozialgerichtsbarkeitentgegengetreten wird. So wurden durch freiwillige Abordnungenund das Einsetzen neuer Richter die Sozialgerichte seit Anfang2005 mit rd. 15 Richtern personell verstärkt, um das entstandeneArbeitsaufkommen und den erwarteten Verfahrenszuwachs u.a.durch Hartz IV zu bewältigen. Die Zahl der Klagen hatte sich inden Jahren 2001 bis 2004 um rd. ein Drittel erhöht. 2005 gingen11.487 neue Klagen bei den vier Sozialgerichten ein, 3,7% mehrals im Vorjahr. 2.668 Klagen entfielen auf das neue Sachgebiet(SGB II), während in den anderen Sachgebieten der Eingang derKlagen im Vorjahresvergleich um 20% zurückging. Die Anzahlder erledigten Verfahren ist im Jahr 2005 mit 10.332 Verfahrenspürbar gestiegen (+ 16,4% gegenüber 2004).

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 8.6.2006)

Am 30.6.2006 hat der Justizminister den Präsidenten des OLG JenaDr. h.c. Hans-Joachim Bauer in den Ruhestand verabschiedet. Erkam unmittelbar nach der Wiedervereinigung nach Thüringen,wo er von Anfang an die Strukturen der Justiz maßgeblich mit ent-wickelte. 1993 wurde er zum Präsidenten des OLG Jena ernannt;von 2000 bis 2005 war er zudem Präsident des VerfGH in Weimar.

(aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 28.6.2006)

STATISTIK

Fachanwaltstitel

Nach der von der BRAK vorgestellten Statistik erwerben immermehr Rechtsanwälte als weitere Berufsqualifikationen einenFachanwaltstitel. Zum 1.1.2006 gab es in Deutschland 22.841Fachanwälte, das sind bereits mehr als 1/6 der gesamten deut-schen Anwaltschaft. Die größte Attraktivität genießt mit 6.457Fachanwälten das Arbeitsrecht, gefolgt vom Familienrecht mit6.353 und dem Steuerrecht mit 3.901 Fachanwälten. Im Strafrechtsind 1.730 und im Verwaltungsrecht 1.178 Fachanwälte tätig. Die2005 neu eingeführten Fachanwaltstitel für Verkehrsrecht bzw.für Bau- und Architektenrecht wurden von 396 bzw. 360 Anwältenerworben. Mit den im April 2006 von der Satzungsversammlungbeschlossenen Fachanwaltstiteln für Informationstechnologie-recht sowie für Urheber- und Medienrecht existieren derzeit für17 Rechtsgebiete Fachanwaltstitel.

(aus: Pressemitteilung der BRAK Nr. 20/06 v. 23.5.2006)

Vergütungsvereinbarungen von RechtsanwältenDas Soldan Institut für Anwaltsmanagement e.V. hat auf dem57. Deutschen Anwaltstag in Köln (siehe Bericht auf S. 358, indiesem Heft) eine empirische Untersuchung der Vergütungspraxisder deutschen Anwaltschaft vorgestellt. Dazu wurden auf rd. 200Seiten die Angaben von mehr als 1.000 Anwälten zum Abschlussvon Vergütungsvereinbarungen mit Mandanten ausgewertet. Derfeste Stundensatz liegt danach im Bundesschnitt bei 182 €. Dervon den Befragten am häufigsten genannte Preis für die anwalt-liche Arbeitsstunde beträgt 150 €. Einzelkanzleien berechnen dieniedrigsten Stundensätze und bleiben bei ihrem festen Stunden-satz als auch bei ihrem Höchstsatz ca. 14% unter dem Durch-schnittspreis. Kleine Sozietäten mit bis zu 5 Anwälten berechnenim Schnitt 177 €; Sozietäten einer Größe von 6 bis 20 Anwältenliegen bereits 40 € über dem Durchschnitt. Sozietäten mit mehrals 20 Anwälten berechnen die höchsten Stundensätze und liegen59% über dem Bundesdurchschnitt. Eine nicht unerheblicheDiskrepanz besteht auch nach Wegfall des Gebührenabschlags im

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Neue Justiz 8/2006358

Beitrittsgebiet zwischen den alten und neuen Ländern: Im Westenliegt der feste Stundensatz bei 187 €, im Osten bei nur 133 €.Bei Fachanwälten liegt der feste Stundensatz im gesamtenBundesgebiet ca. 14 € höher als bei ihren Kollegen ohne Fach-anwaltstitel. Vergleichsweise niedrige Stundensätze erheben Fach-anwälte für Familienrecht; der feste Stundensatz liegt hier beidurchschnittlich 164 €.

(aus: Pressemitteilung des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement e.V. v. 24.5.2006 u. AnwBl. 2006, 473 ff.)

VERANSTALTUNGEN

57. Deutscher Anwaltstag

Unter dem Motto »Vertrauen ist gut, Anwalt ist besser« hat vom24. bis 26.5.2006 in Köln der 57. Deutsche Anwaltstag stattge-funden, zu dem sich 1.700 Anwältinnen und Anwälte angemel-det hatten. In seiner Eröffnungsrede betonte DAV-Präsident RAuNHartmut Kilger insbesondere den Zusammenhang zwischen Ver-trauen und Qualität. Nur wenn es der Anwaltschaft gelänge, daspersönliche Vertrauen der Menschen zu gewinnen, sei es gerecht-fertigt, im Rahmen einer Reform des RBerG die Alleinstellung derAnwaltschaft bei der Wahrung des Rechts zu fordern. Bundes-justizministerin Brigitte Zypries appellierte an die Anwaltschaft,den mit dem DAV und der BRAK diskutierten Gesetzentwurf fürein RechtsdienstleistungsG zu akzeptieren.

In seinem Festvortrag »Vertrauensberufe im Rechtsstaat« ver-deutlichte Bischof Dr. Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rates derEvangelischen Kirche in Deutschland, die Parallelen zu seinerBerufsgruppe und den Medizinern. Er betonte, dass ein Anwaltdann am besten sei, wenn er durch sein Vertrauen getragen wird,und schlug vor, dass Motto des DAV zu ändern in »Ist das Ver-trauen gut, ist der Anwalt besser«.Im Rahmen der zahlreichen Einzelveranstaltungen gab u.a. Prof.Dr. Schulte-Nölke, verantwortlich für das sog. Forscher-Netzwerk,einen Überblick über den Stand der Arbeiten an einem europä-ischen Vertragsrecht. Prof. Dr. Hellwig berichtete im Ausschuss»Internationaler Rechtsverkehr« über aktuelle Entwicklungen imeuropäischen und internationen Berufsrecht und ging dabei ins-besondere auf die Situation in England/Wales, Dänemark und denNiederlanden in Bezug auf die anwaltliche Selbstverwaltung ein.In der anschließenden Diskussion wurden die diversen Reform-vorschläge zur anwaltlichen Selbstverwaltung intensiv erörtert.Hierzu vertritt der DAV die Auffassung, dass sich die RAK auf diegesetzlich normierten, öffentlich-rechtlichen Aufgaben beschrän-ken sollten, während die BRAK und die Kammern der Meinungsind, dass sie als Interessenvertreter der Anwaltschaft legitimiertund beauftragt sind, sich allen Aufgaben, die im Interesse derAnwaltschaft wahrzunehmen sind, zu widmen. Angesichts dereuropäischen Liberalisierungstendenzen dürften Aufgaben undZukunft der Kammern in Deutschland daher in der künftigenDiskussion eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

RAK-Report

Rechtsanwaltskammer BERLIN

Geschäftsstelle: Littenstr. 9, 10179 BerlinTel.: (030) 30 69 31-0, Fax: (030) 30 69 31 99E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-berlin.dePräsidentin: RAin Dr. Margarete von GalenVizepräsidenten: RA und Notar Wolfgang Gustavus,RA und Notar Jann Fiedler, RA und Notar Bernd HäuslerHauptgeschäftsführerin: RAin Marion Pietrusky

TermineAm Freitag, dem 25.8.2006, 14 bis 19 Uhr, wiederholt die RAKBerlin die Fortbildungsveranstaltung über »Vergütungsverein-barungen in der Praxis: Änderung des § 34 RVG Nr. 2100 ff. zum1.7.2006« mit RAuN Herbert P. Schons, I. Vizepräsident undVorsitzender der Gebührenabteilung der RAK Düsseldorf. Teilnahmegebühr: 50 €.

Am Freitag, dem 22.9.2006, 14 bis 18 Uhr, referiert RiLG Dr. Bern-hard Dietrich über »Aktuelle Praxisprobleme im Bankrecht«. DieVeranstaltung geht auf diejenigen – u.a. sehr aktuellen – Problemeein, die das zivilrechtliche Anwaltsmandat mit Bankberührunghauptsächlich prägen. Teilnahmegebühr: 40 €

»Einführung in das Marketing von Rechtsanwaltskanzleien« heißtdas Seminar am Freitag, dem 29.9.2006, 14 bis 18 Uhr. RA MartinW. Huff, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Verlagskonzerns Wol-ters Kluwer Deutschland, zuvor lange Jahre Chefredakteur derNJW, referiert über: Verständnis von Marketing/Der Auftritt derKanzlei nach innen und außen/Die Suche nach der richtigenStrategie/Die Öffentlichkeitsarbeit der Kanzlei. Teilnahmegebühr: 50 €.

Die folgenden Kooperationsveranstaltungen mit dem DeutschenAnwaltsinstitut (DAI) für Fachanwältinnen und Fachanwälte wer-den zu einem ermäßigten Kostenbeitrag im Ausbildungscenterdes DAI, Voltairestraße 1, 10179 Berlin, angeboten:

8./9.9.2006: Intensivkurs Straßenverkehrsrecht, insbesondere Fahrerlaubnisrecht15./16.9.2006: Aktuelles Familienrecht29./30.9.2006: Testamentsvollstreckung in der anwaltlichen Praxis20./21.10.2006: Praxisschwerpunkte im Steuerrecht28.10.2006: Überblick zur Verteidigung gegenüber Presse- und Medienberichterstattung3./4.11.2006: Ausgewählte Fragen aus dem Bau- und Architek-tenrecht10.11.2006: Aktuelle Fragen des Vertragsarztrechts17./18.11.2006: Strafverteidigung in Wirtschaftsstrafsachen – mate-rielle und verfahrensrechtliche Fragen des Wirtschaftsrechts8./9.12.2006: Praxisschwerpunkt Mietrecht15./16.12.2006: Upgrade Arbeitsrecht

Das ausführliche Programm für alle Veranstaltungen findet sichunter www.rak-berlin.de unter Aktuelles/Termine.

StandpunktUnerlaubte Werbung mit Fachanwaltstitel

In den neuen Gelben Seiten (2006/2007) werben einige Kam-mermitglieder mit einem Fachanwaltstitel, ohne bereits Fachan-walt zu sein. Der Gesamtvorstand der RAK Berlin hat beschlossen,dass hiergegen wettbewerbsrechtlich und/oder durch Abgabe derSache an die Generalstaatsanwaltschaft zur berufsrechtlichenAhndung vorgegangen werden soll. RA Johannes Eisenberg,Vorsitzender der Werbeabteilung V, hat im Interview mit demKammerton (Berliner Anwaltsblatt 2006, 226) herausgestellt, dasssich die betreffenden Kollegen erhebliche Vorteile im Wettbewerbverschaffen, die ihnen nicht zustehen.

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359Neue Justiz 8/2006

Rechtsanwaltskammer SACHSEN

Geschäftsstelle: Atrium am Rosengarten, Glacisstr. 6, 01099 DresdenTel.: (0351) 31 85 90, Fax: (0351) 3 36 08 99E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-sachsen.dePräsident: RA Dr. Günter Kröber, LeipzigVizepräsidenten: RA Markus Merbecks, Chemnitz; RAin Karin Meyer-Götz; RA Dr. Martin Abend, beide DresdenGeschäftsführerin: Ass jur. Ina Koker

StandpunktRAK Sachsen für den verfassungsgemäßen Schutz der Ehe

Die RAK Sachsen hat sich erneut gegen das Vorhaben des BMJzum sog. vereinfachten Scheidungsverfahren ausgesprochen.Danach sollen kinderlose Ehepaare künftig im gerichtlichenScheidungsverfahren auf einen Anwalt verzichten können,wenn sie sich zuvor über die Scheidungsfolgen, wie Unterhalts-ansprüche, Ehewohnung und Hausrat, vor einem Notar geeinigthaben. Die RAK sieht hierin eine Gefahr für die Interessenver-tretung des sozial schwächeren Ehepartners und fordert denGesetzgeber mit Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 22 Abs. 1der Sächs. Verf. auf, seiner Schutzaufgabe nachzukommen.Die Ehe darf nicht auf ein normales Schuldrechtsverhältnisabqualifiziert werden!

(Siehe dazu auch den Beitrag der beiden sächsischen AnwältinnenG. Sailer und D. Perlwitz »Kein Scheidungsnotariat in Deutschland!«in NJ 2005, 491 f.)

WissenswertesGesprächsrunde mit der sächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit

Zum zweiten Mal fand auf Einladung der RAK Sachsen am6.4.2006 eine Gesprächsrunde mit der sächsischen Verwaltungs-gerichtsbarkeit statt. Seitens der Justiz nahmen der Präsident desOVG Bautzen sowie die Präsidenten und Vizepräsidenten dersächsischen Verwaltungsgerichte teil. Die anwaltliche Seitewurde vertreten durch den Präsidenten der RAK Sachsen und diesächsischen Fachanwälte für Verwaltungsrecht. Die Teilnehmersprachen aktuelle Themen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Sach-sen an. Diskutiert wurden dabei insbesondere Möglichkeiten derVerkürzung der Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren.

Beratung mit der Notarkammer Sachsen

Am 17.5.2006 fand eine Beratung des Präsidiums der RAK Sachsenmit dem Vorstand der Notarkammer Sachsen statt. Im Ergebnisder Besprechung bestand Übereinstimmung, dass in Zukunft aufeine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Anwaltschaft undden Notaren hinzuarbeiten ist. Dies gilt auch für die Positionie-rung zu aktuellen Gesetzesvorhaben und rechtspolitischen Fragensowie in der Fortbildung der Anwaltschaft und Notare und fürweitere gemeinsame Veranstaltungen, z.B. Telefonforen.

10 Jahre Strafverteidiger Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V.

Am 23.6.2006 fand in Dresden die Festveranstaltung zum 10. Jah-restag des Strafverteidiger Sachsen/Sachsen-Anhalt e.V. mitzahlreichen Gästen aus Anwaltschaft, Justiz und Politik statt.Die Grußworte sprachen der Sächsische Staatsminister der Justiz,Geert Mackenroth, sowie der Präsident der RAK Sachsen, Dr. Gün-ter Kröber. Dr. phil. Dipl. Psych. Wolfgang Schmidbauer (Mün-chen) hielt den Festvortrag »Der Jurist und das Helfersyndrom«.

Rezens ionen

Werner Bienwald/Susanne Sonnenfeld/Birgit HoffmannBetreuungsrechtKommentarVerlag Ernst und Werner Gieseking, 4., völlig neu bearb. Aufl.,Bielefeld 20051.626 Seiten, geb., 128 €ISBN 3-7694-0958-2

Das zum 1.7.2005 in Kraft getretene 2. BtÄndG brachte es mit sich,dass sämtliche einschlägigen Kommentare zum Betreuungsrechtüberarbeitet wurden und nun in neuer Auflage vorliegen. Der Bien-wald war einer der schnellsten, erreicht nun schon die 4. Auflage unddarf mit gutem Recht Standardkommentar genannt werden. Er ist– von Loseblattausgaben abgesehen – das nach Seitenzahl und wohlauch Inhalt umfangreichste Werk zum Thema außerhalb der BGB-Gesamtkommentierungen. Er besticht nach wie vor durch eine klareund übersichtliche Systematik, die durch eine nach Randnummerngegliederte Kommentierung der Einzelvorschriften erreicht wird.

Nach einer prägnanten Einführung durch den Hauptautor Bien-wald, der auch die weiteren Abschnitte maßgeblich bearbeitet hat,folgen als voneinander getrennte Teile die Kommentierungen zummateriellen Betreuungsrecht (§§ 1896-1908i BGB), zum Vergütungs-recht, Verfahrensrecht (FGG), BetreuungsbehördenG und 2. BtÄndG.Als weitere sachkundige Autoren sind Sonnenfeld (kommentiert vorallem die §§ 65-69o FGG) und Hoffmann (kommentiert die §§ 1904u. 1906 BGB) hinzugetreten, wie der Hauptautor ausgewieseneProfessoren an einschlägigen Fachhochschulen in Berlin und Mann-heim.

Da die Vorauflage 1999 erschienen war und Gesetzgebung undRechtsprechung seitdem sehr in Bewegung geraten sind, nahm derKommentar etwas an Volumen zu und musste umfassend überarbei-tet werden. Wie zu erwarten, sind die maßgeblichen Entwicklungenberücksichtigt und wie zuvor kenntnisreich kommentiert. Das giltsowohl für die Änderungen im Betreuungsrecht durch die Gesetzes-novelle als auch die in den vergangenen Jahren stürmische Entwick-

lung im Bereich der Vorsorgeverfügungen. Mit (berechtigter) Kritikam Gesetzgeber, der sich viel zu sehr an fiskalischen Interessenorientiert, wird nicht gespart. Leider fällt aber die Kritik in der Kom-mentierung zur neu geschaffenen – reichlich sinnlosen, weil denFormvorschriften des Zivil- und Registerrechts nicht genügenden –Beglaubigungszuständigkeit der Betreuungsbehörden (§ 6 BtBG) zukurz aus.

Ein sinnvoller Index nicht kommentierter, jedoch berücksichtigterVorschriften und weitere Materialien (Abdruck der Ausführungs-gesetze der Länder und des 2. BtÄndG) runden das Werk ab underleichtern dem Praktiker die Arbeit mit dem Kommentar und derMaterie.

Verdienstvoll ist den Autoren vor allem anzurechnen, dass siegerade im Bereich der im Fluss befindlichen Rechtsbereiche sich nichtauf das Referieren des Rechtszustands beschränken, sondern bei denbislang ungelösten Fragen in die Tiefe gehen und nach dogmatischsauberen und praxistauglichen Antworten suchen. Das ist insbeson-dere bei dem schwierigen Thema der Patientenverfügung zu beob-achten, wo der Kommentar versucht, die vom BGH vorgegebenen,reichlich unbestimmten Kriterien und Schranken der Zulässigkeiteines Behandlungsabbruchs zu analysieren und näher zu bestimmen(Rn 176 ff. zu § 1904 BGB).

Zu bemängeln gibt es nur wenig. Der neue § 51 Abs. 3 ZPO wirdzwar berücksichtigt, die Darstellung der bisherigen Rechtslage inRn 122 zu § 1896 BGB war jedoch unnötig. Dafür fehlt eine Erläute-rung zu den Auswirkungen dieser Änderung auf die anderen Prozess-und Verfahrensordnungen. Außerdem sind im Stichwortverzeichnisz.B. die Begriffe »Bank« (bzw. »Bankkonto« und »AGB der Banken«),»Notar« und »Beurkundung« nicht zu finden.

Diese kleineren, sicherlich auch der Unstetigkeit des Gesetz-gebungsprozesses geschuldeten Schwächen beeinträchtigen denGesamteindruck des vorgestellten Werks indes nicht, das seinen Preisrechtfertigt und in den Handapparat jedes juristischen Praktikers aufdiesem Gebiet gehört.

Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin

NJ-Umbruch 8/06 Teil 1.gx 11.07.2006 9:15 Uhr Seite 359

Neue Justiz 8/2006360

01 VERFASSUNGSRECHT

� 01.1 – 8/06

Finanzausgleich und kommunale Selbstverwaltung

LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. Mai 2006 – 1/05, 5/05 u. 9/05

LVerf. (LV) M-V Art. 72 Abs. 1, 73 Abs. 2; LVerfGG M-V § 52 Satz 1;FAG M-V § 5; KommVerf. M-V § 6

1. a) Gegenüber einem Gesetz, das rückwirkend in Kraft getre-ten ist, kann innerhalb eines Jahres nach dessen VerkündungVerfassungsbeschwerde erhoben werden.b) Die Frist kann in keinem Fall länger oder kürzer als ein Jahrsein.c) Erhält durch Auflösung eines Normenverbunds eine gesetz-liche Vorschrift eine neue Wirkung, so wird die Frist neu eröffnet.2. Das Land hat die Pflicht, die kommunale Selbstverwaltung zufördern, um ihr Freiräume zu sichern.3. Dem Recht der Kommunen auf eine angemessene Finanzaus-stattung, das die Landesverfassung gewährleistet, ist genügt,wenn sie aufgabenadäquat ist, wenn ferner die Aufgaben desLandes einerseits und diejenigen der Kommunen andererseits alsgrundsätzlich gleichwertig behandelt werden und wenn denKommunen eine Mindestfinanzausstattung zukommt, die für einMinimum von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben ausreicht.4. Die Mindestfinanzausstattung ist nicht allgemein quantifizier-bar. Sie lässt sich nur im Wege einer wertenden Betrachtungermitteln.5. Das Recht auf Mindestfinanzausstattung besteht in den Gren-zen der Leistungsfähigkeit des Landes.6. Die Landesverfassung gibt den Kommunen und ihren Spitzen-verbänden kein Recht auf eine formalisierte Einbeziehung in dasGesetzgebungsverfahren und sein Vorfeld.7. Bei Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes musslaufend beobachtet werden, ob die Vermutung, die Ausgabenund die Einnahmen entwickelten sich beim Land und bei denKommunen gleichmäßig, noch zutrifft. Die Beobachtungspflichtkann schon vor Ablauf des gesetzlich bestimmten Zeitraums vonvier Jahren in eine Handlungspflicht übergehen.8. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Kommunen im LandMecklenburg-Vorpommern nicht mehr in der Lage wären, einMindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zu erle-digen. Sie verfügen dafür noch über hinreichende, wirtschaftlichund sparsam einzusetzende Mittel.

Problemstellung:

Mittels kommunaler Verfassungsbeschwerde wandten sich meh-rere Beschwerdef. – je zwei Landkreise und Gemeinden – imKern gegen Art. 1 Nr. 1 lit. e des 5. FAG-ÄndG v. 4.3.2004 (GVOBl.M-V S. 96), wodurch § 5 Abs. 6 FAG M-V geändert wurde.

Infolge der Änderung wurde den kommunalen Gebietskörper-schaften für das Jahr 2004 eine geringere Mindestfinanzausstat-tung als zuvor und für das Jahr 2005 keine verrechnungsfreieMindestfinanzausstattung (Sockelgarantie) mehr gewährt. Es kamnunmehr – wie das LVerfG wegen gesetzestechnischer Mängel erstdurch Auslegung ermitteln musste – nur noch der bereits im Jahr2000 in das Gesetz eingefügte, bisher aber wegen der Sockel-garantie nicht praktisch gewordene Gleichmäßigkeitsgrundsatz(§ 5 Abs. 1 Satz 2 u. 3 FAG M-V) zur Anwendung. Danach ent-wickeln sich die Gesamteinnahmen der Gemeinden und Land-kreise aus eigenen Steuern und den Zuweisungen nach dem FAGM-V gleichmäßig zu den dem Land verbleibenden Einnahmenaus Steuern, Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich ein-

schließlich der Bundesergänzungszuweisungen, abzgl. der denGemeinden und Landkreisen nach dem FAG M-V zufließendenFinanzausgleichsleistungen.

Ziel des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes ist es, eine gleichmäßigeEntwicklung der Einnahmen des Landes und der Kommunen zuerreichen und die aufgrund der Sockelgarantie zuvor eingetreteneüberproportionale Belastung des Landes bei Mindereinnahmenabzuschaffen.

Die Beschwerdef. sahen sich durch die neue Regelung des FAGM-V in ihrem Recht auf Selbstverwaltung, das auch einen gegendas Land gerichteten Anspruch auf angemessene Finanzausstat-tung enthält, verletzt. Sie wandten sich außerdem gegen diesog. Revisionsklausel (§ 5 Abs. 2 Satz 3 FAG M-V), da sie dieZeitspanne von vier Jahren, innerhalb derer zu überprüfen ist, obaufgrund von Veränderungen im Aufgabenbestand die Finanz-verteilung anzupassen ist, für zu lang hielten.

Die Verfassungsbeschwerden blieben ohne Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Die Verfassungsbeschwerden waren zulässig. Das galt insbeson-dere auch bzgl. des angegriffenen Gleichmäßigkeitsgrundsatzesund der Revisionsklausel, für welche die an sich bereits verstri-chene Jahresfrist des § 52 Satz 1 LVerfGG M-V mit der Verkündungdes 5. FAG-ÄndG erneut zu laufen begann, weil die Vorschriftenerstmals für die Kommunen im Ergebnis relevant wurden.

In der Sache hatten die Verfassungsbeschwerden jedoch keinenErfolg. Die grundlegenden verfassungsrechtlichen Anforderun-gen an gesetzliche Regelungen über die Finanzbeziehungen zwi-schen dem Land und den Gemeinden hatte das LVerfG bereits ineinem früheren Urteil aufgezeigt (LVerfGE 14, 293 = NJ 2004, 171[bearb. v. Jutzi] ). Danach haben die Kommunen einen Anspruchgegen das Land auf angemessene Finanzausstattung. Ihnen mussnicht nur hinsichtlich der Pflichtaufgaben eine genügendeFinanzmasse zur Verfügung stehen, sondern sie müssen auch inder Lage sein, ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungs-aufgaben zu erledigen. Dies gehört zum unantastbaren Kern-bereich der kommunalen Selbstverwaltung. Der Anspruch derKommunen folgt unmittelbar aus der Gewährleistung der Selbst-verwaltung durch Art. 72 Abs. 1 LV M-V, da die Finanzausstattungeine Voraussetzung ihrer Existenz ist.

Bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des kommunalenFinanzausgleichs hat der Gesetzgeber insbesondere im Rahmendes Art. 73 LV M-V einen weiten Gestaltungsspielraum. NachArt. 73 Abs. 1 Satz 1 LV M-V fließen den Gemeinden das Aufkom-men aus den Realsteuern und nach Maßgabe der LandesgesetzeAnteile aus staatlichen Steuern zu; nach Satz 2 ist das Landverpflichtet, den Gemeinden und Kreisen eigene Steuerquellen zuerschließen. Außerdem schreibt Abs. 2 der Norm den kommuna-len Finanzausgleich vor, der sowohl – vertikal – zwischen demLand und den Kommunen als auch – horizontal – unter den Kom-munen stattfindet. Schließlich hat das Land nach Abs. 3 für vonihm veranlasste Mehrbelastungen einen entsprechenden finan-ziellen Ausgleich zu schaffen (striktes Konnexitätsprinzip).

Das Recht auf eine angemessene Finanzausstattung entfaltetWirkung nicht nur zur Vermeidung von den Kern des Selbstver-waltungsrechts berührenden Notlagen, sondern auch für Rege-lungen, welche die Kommunalfinanzen in der Normalsituationbetreffen. Das LVerfG definiert den Begriff der Angemessenheitdahin, dass die Finanzausstattung der Kommunen aufgaben-adäquat sein muss. Ferner hat der Gesetzgeber sich davon leitenzu lassen, dass die Aufgaben des Landes einerseits und diejenigender Kommunen andererseits grundsätzlich gleichwertig sind, d.h.

Rechtsprechung

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 360

361Neue Justiz 8/2006

er hat Verteilungsmaßstäbe zu wählen, durch die eine einseitigeBenachteiligung der Kommunen vermieden wird. Schließlich istdafür Sorge zu tragen, dass den Kommunen eine Mindestaus-stattung zukommt, die für ein Minimum von freiwilligen Selbst-verwaltungsaufgaben ausreicht.

Das LVerfG hält die Mindestfinanzausstattung nicht für allge-mein quantifizierbar. Insbesondere muss nicht durchgehendeine sog. freie Spitze verfügbar sein. Vielmehr ist eine wertendeBetrachtung anzustellen, bei der etwa auch von Bedeutung ist,ob die Kommunen dem Gebot wirtschaftlicher und sparsamerHaushaltsführung nachkommen.

Im Übrigen sieht das LVerfG den Anspruch der Kommunendurch die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Landes begrenzt.Obwohl es hier um den Kernbereich der Selbstverwaltung geht,der an und für sich »unantastbar« ist, hält das LVerfG diese Grenzefür zulässig. Die institutionelle Verfassungsgarantie bezieht sichinsoweit auf den Entzug bestimmter Befugnisse (Hoheiten),gleichgültig ob und inwieweit die Gemeinden von diesen tatsäch-lich Gebrauch machen. Bei der Mindestfinanzausstattung geht esdagegen darum, durch Finanzausgleichsleistungen die Wahrneh-mung des Selbstverwaltungsrechts tatsächlich zu ermöglichen.Der Umfang der die Wahrnehmung von Aufgaben im Kernbereichermöglichenden Finanzausstattung ist aber – je nach den finan-ziellen Gegebenheiten – veränderlich.

Für die konkrete Prüfung in einem Verfahren kommt es daraufan, ob mangels einer angemessenen Finanzausstattung dieKommunen in ihrer Gesamtheit nicht mehr hinreichend imKernbereich der kommunalen Selbstverwaltung tätig sein könnenund – wenn dies verneint wird – ob jedenfalls den beschwerdef.Kommunen keine angemessene Finanzausstattung gewährtwird.

Nach Prüfung des ordnungsgemäßen Zustandekommens desÄndG (Gesetzgebungsverfahren, Änderungsfestigkeit der Sockel-garantie, Problem eines Maßstäbegesetzes, Beteiligungsrechte derKommunen oder ihrer Verbände – ein Verstoß gegen § 6 Komm-Verf. M-V bleibt verfassungsrechtlich folgenlos –, Vertrauens-schutz, Grenzen zulässiger Rückwirkung), worauf vorliegendnicht eingegangen werden kann, wendet sich das LVerfG derFrage zu, ob der Gesetzgeber die Anforderung an die finanzielleMindestausstattung gewahrt hat.

Das LVerfG sieht im Gleichmäßigkeitsgrundsatz des FAG M-Vein geeignetes Instrument zur Sicherung einer angemessenenFinanzausstattung der Kommunen. Die Beseitigung der Sockel-garantie stellt eine aus der Sicht des Landes vertretbare Regelungzur Abschaffung eines dem System des Gleichmäßigkeitsgrund-satzes fremden Vorteils dar. Allerdings setzt der Gleichmäßig-keitsgrundsatz als Entwicklungsprinzip einen Ausgangspunktvoraus, an dem die Entwicklung ansetzt. Dieser Ausgangspunktmuss von Verfassungs wegen aufgabenbezogen sein – was imvorliegenden Fall, wie das Gericht näher darlegt, der Fall war –und der Gesetzgeber ist verpflichtet, laufend zu beobachten, obwegen Veränderungen in der Belastung mit Aufgaben und Aus-gaben auch eine Veränderung in der Relation der Finanzmittelzwischen Land und Kommunen angezeigt oder geboten ist. Derletzten Anforderung wurde durch die Revisionsklausel genügt.

Daran anschließend legt das LVerfG – im Verhältnis zu den ehertheoretischen Ausführungen relativ knapp – dar, dass den Kom-munen Mecklenburg-Vorpommerns insgesamt genügend Mittelfür ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgabenzustehen. Hierzu zieht es Finanzdaten anderer Länder zumVergleich heran. Das LVerfG betont, dass die Vergleichbarkeitzwischen den Ländern ihre Grenzen hat, weist auf gewichtigeUnterschiedsfaktoren hin, die allerdings das Ergebnis nicht beein-

flussten, da nachteilige strukturelle Besonderheiten die Kommu-nen ebenso wie das Land belasten. Abschließend wird festgestellt,dass auch die Beschwerdef. selbst in der Lage sind, freiwilligeSelbstverwaltungsaufgaben zu erfüllen, was gleichzeitig das zuvorgefundene Ergebnis für die Lage der Kommunen insgesamtbestätigt.

Kommentar:

Die recht umfangreiche Entscheidung setzt sich mit einer Reiheinteressanter Rechtsfragen auseinander, die hier aus Platzgründenz.T. nur angedeutet wurden und daher auch nicht kommentiertwerden. Im Ergebnis verdient das Urteil uneingeschränkteZustimmung; einige Aussagen erscheinen jedoch des weiterenNachdenkens wert.

Da ist zunächst der eher großzügige Umgang mit der Frist-bestimmung des § 52 Satz 1 LVerfGG M-V zu nennen. EineVerfristung wird verneint, weil angegriffene Normen für die Kom-munen im Ergebnis erstmals relevant wurden (Leits. 1. c). Die Auf-lösung eines Normenverbunds, die bei einer bereits existierendenNorm rechtlich einen neuen Gehalt auslöst, rechtfertigt es zwar,den Fristbeginn an dieses Ereignis zu knüpfen (vgl. auch BVerfGE11, 351, 359 f.; 12, 10, 24; 111, 382, 411 mwN). Zweifelhaft ist esaber, wenn die Auflösung des Normenverbunds – wie hier – sichlediglich faktisch iSd erstmaligen Anwendung einer potentiellschon bisher anwendbaren Norm auswirkt. Damit wird der Frist-beginn von der unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit einesBeschwerdef. abhängig gemacht und die Fristregelung erheblichausgehöhlt. Zutreffend hat das LVerfG dagegen bei rückwirkendin Kraft tretenden Gesetzen – entgegen dem Wortlaut des § 52Satz 1 LVerfGG M-V – für den Fristbeginn auf deren Verkündungabgestellt (Leits. 1. a; ebenso BVerfGE 1, 415, 416 f.; 64, 367, 376).

Was die materiell-rechtlichen Fragen angeht, hat sich dasGericht erfreulicherweise nicht auf die Auffassung der Landes-regierung eingelassen, aus der Gewährleistung der kommunalenSelbstverwaltung ließen sich zwar Abwehrrechte, nicht aberLeistungsansprüche, also auch kein Recht auf eine Mindestfinanz-ausstattung, ableiten. Unabhängig davon, ob – selbst im Verhält-nis Staat-Bürger – prinzipielle Unterschiede für die Eingriffs- undLeistungsverwaltung anzuerkennen sind und ob nicht schonArt. 73 LV M-V eine verfassungsrechtliche Finanzgarantie zu ent-nehmen ist, was mehr als nahe liegt, dürfte sich ein solches Rechtwie auch eine Pflicht auf eine Mindestausstattung bei mit eigenerRechtspersönlichkeit ausgestatteten Hoheitsträgern schon aus derNatur der Sache – nämlich ihrer Errichtung oder rechtlich aner-kannten Existenz – ergeben.

Eine andere Frage ist es, inwieweit eine solche Mindestfinanz-ausstattung verfassungsrechtlicher Kontrolle unterliegt. Der StGHBW (JZ 1999, 1049, 1053 f. mit krit. Anm. von F. Kirchhof, insbes.S. 1056 f.) hält eine materielle verfassungsrechtliche Kontrolleinsoweit für unmöglich. Dies führt indes zu einer erheblichenAushöhlung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. DasLVerfG hat Wege gefunden, die eine möglicherweise anfechtbare,aber in zentralen Punkten rational nachvollziehbare Kontrolleermöglichen und die dem Gesetzgeber noch genügend Spielraumbelassen.

Zuzustimmen ist dem LVerfG auch darin, ein Recht auf Finanz-ausstattung nur in den Grenzen der Leistungsfähigkeit des Lan-des anzuerkennen (so auch VerfGH NW, DVBl. 1999, 391, 393;Waechter, VerwArch. 85 [1994], 208, 218 ff.; a.A. wohl VerfGHThür., ThürVBl. 2005, 228, 230 f.), und es hat überzeugenddargelegt, dass die Abhängigkeit von den finanziellen Gegeben-heiten des Landes insgesamt nicht als Eingriff in den Kernbereichkommunaler Selbstverwaltung zu begreifen ist.

Ver fassungsrecht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 361

Neue Justiz 8/2006362

Der Prüfungsumfang bzgl. der angegriffenen Normen wirdindes vom LVerfG überdehnt bzw. die Anforderungen an denGesetzgeber werden überspannt. Eine angemessene finanzielleAusstattung für die Gesamtheit der Kommunen hält das Gerichtnicht für ausreichend. Es soll auch erforderlich sein, die Frage zuklären, ob die jeweils beschwerdef. Kommune noch über eineMindestausstattung verfügt. Einer ähnlichen Linie folgte dasGericht auch schon bei der Auslegung des Konnexitätsprinzipsnach Art. 72 Abs. 3 LV M-V (LVerfG M-V, LKV 2006, 217 = NJ 2006,171 [bearb. v. Jutzi mit krit. Komm.]).

Wenn der Gesetzgeber durch geeignete Regelungen sicherstellt,dass die Gesamtheit aller Kommunen über eine angemesseneFinanzausstattung verfügt und für eine sachgerechte Verteilungdieser Mittel im Verhältnis der kommunalen Ebenen zueinandersorgt, dann können diese Regelungen nicht deshalb verfassungs-widrig sein, weil sie bei einer einzigen Kommune im Land nichtzu einer ausreichenden Finanzausstattung führen (ebenso VerfGHNW, aaO, S. 392). In einem solchen Fall wird dem Gesetzgeber nurabzuverlangen sein, gewisse »Nothilferegelungen« für Einzelfälle– finanzielle Hilfen für unverschuldet in Not geratene Kommunenund Staatsaufsicht für Verschwender – bereitzuhalten. Denn– und hierin ist dem LVerfG wieder Recht zu geben – solange eineKommune noch existiert, kann sie nicht schutzlos bzgl. ihresSelbstverwaltungsrechts sein. Die Verfassungswidrigkeit derfinanzausgleichsrechtlichen Kernregelungen dürfte dies indesnicht nach sich ziehen. Vielmehr wäre ein gesetzgeberischesUnterlassen einer Härtefallregelung zu reklamieren.

Abschließend noch die Bemerkung, dass sich – trotz denkbarerAnfechtbarkeit im Detail – die vom LVerfG angewandte Ver-gleichsmethode der Finanzausstattung mit anderen Ländernals tragfähig erweisen dürfte. Wenngleich es sicherlich vertret-bar wäre, weitere Einzelkriterien heranzuziehen – was von denBeschwerdef. auch verlangt wurde –, ist zu bedenken, dass dieAuswirkungen komplizierter Regelungen umso weniger vorher-sehbar werden, je höher die Zahl der herangezogenen, unter-schiedlich gewichteten Kriterien ist. Das dürfte zwangsläufig aufeine Reduktion der verfassungsgerichtlichen Kontrolle hinaus-laufen. So haben die Kommunen durch die Rspr. des LVerfGwenigstens partiell einen effektiven verfassungsrechtlichen Schutzihres Selbstverwaltungsrechts erreicht.

MinDgt Dr. Siegfried Jutzi, Justizministerium Rheinland-Pfalz

� 01.2 – 8/06

Kommunale Selbstverwaltung und Ermittlung des Finanzbedarfsder Gemeinden

VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18. Mai 2006 – 39/04

LVerf. Bbg. Art. 97 Abs. 1 Satz 1, 99 Satz 2 u. 3; Gemeindefinan-zierungsG (GFG) 2004 §§ 8, 16

1. Zu den Darlegungs- und Begründungsobliegenheiten für einekommunale Verfassungsbeschwerde, mit der eine Verletzungdes Anspruchs auf eine den Aufgaben angemessene finanzielleMindestausstattung geltend gemacht wird.2. Die gesonderte Berücksichtigung von Zentralorten, nicht abervon Selbstversorgerorten im Hauptansatz für die Ermittlung desFinanzbedarfs der Gemeinden und für die Aufteilung der Schlüs-selmasse in § 8 GFG 2004 ist von Verfassungs wegen nicht zubeanstanden.

Anm. d. Redaktion: Zur Darlegungslast bei einer Verfassungsbeschwerdesiehe auch LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 26.1.2006, NJ2006, 171 (bearb. v. Jutzi).

02 BÜRGERLICHES RECHT

� 02.1 – 8/06

Kaufmannseigenschaft einer LPG

BGH, Beschluss vom 30. März 2006 – III ZB 74/05 (OLG Brandenburg)

ZPO § 1027 Abs. 1 Satz 1 aF; GenG § 17 Abs. 2; HGB § 6 Abs. 2 aF

Die in dem Beitrittsgebiet nach dem Recht der DDR entstande-nen – registrierten – LPGen waren nach der Wiederherstellungder staatlichen Einheit Deutschlands am 3.10.1990 als (Voll-)Kaufleute kraft Rechtsform anzusehen.

Die LPG Tierproduktion (T) S., die Rechtsvorgängerin der Ag.,sowie die LPG T G. und die LPG T R., die Rechtsvorgängerinnender Ast., schlossen am 4.3.1991 mit der LPG Pflanzenproduktion(P) H. gleich lautende Verträge »über die Teilung und den Zusam-menschluss gemäß den Bestimmungen des LwAnpG v. 29.6.1990«.Damit sollten Vermögenswerte der LPG P H. nach Maßgabe einesTeilungsplans auf die LPG T S., G. u. R. übertragen werden unddie LPG T S. sollte bestimmte, nicht betriebsbezogen zugeordneteVermögenswerte treuhänderisch für die anderen LPGen verwal-ten. Weiter hieß es in dem Vertrag:

»Streitigkeiten aus diesem Vertrag werden durch ein im Streitfallezu bildendes Schiedsgericht gelöst. Dabei verständigen sich die Ver-tragspartner über eine Person ihres Vertrauens, die in der Lage undbereit ist, den Vorsitz des Schiedsgerichts zu übernehmen. Im Übri-gen finden die Bestimmungen der ZPO (§§ 1025 ff.) Anwendung.Diese Regelung gilt auch im Falle gegenseitiger Ansprüche der ausder Teilung der LPG P hervorgehenden neuen Unternehmenuntereinander.«

Die Ast. begehrten von der Ag. Auskunft über die Treuhandver-waltung. Gestützt auf die Schiedsvereinbarung haben sie bean-tragt, für die Ag. einen Schiedsrichter zu bestellen. Das OLG hatdiesen Antrag zurückgewiesen und angekündigt, den VorsRiOLGi.R. K. als Schiedsrichter für die Ag. bestimmen zu wollen.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrte die Ag. die Feststellungder Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens.

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Nach Auffassung der Rechtsbeschwerde stellt sich diegrundsätzliche Frage (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob eine LPG alsKaufmann iSd früheren HGB-Vorschriften anzusehen ist. Die ent-sprechende Auffassung des OLG laufe dem Grundsatz zuwider,dass die sog. Formkaufleute (etwa nach § 17 Abs. 2 GenG) erstdurch Eintragung in das Register die Kaufmannseigenschaft erlan-gen. Dieser Grundsatz ist hier indes nicht verletzt. Das OLG hatdie LPGen auch zu Recht als Kaufleute qualifiziert. Dabei ist dieFrage der Kaufmannseigenschaft einer LPG … nicht klärungsbe-dürftig, da sie offenkundig zu bejahen ist.

a) Die Wirksamkeit der Schiedsklausel, die in Nr. 5.2 der gleichlautenden Verträge »über die Teilung und den Zusammenschlussgemäß den Bestimmungen des LwAnpG v. 29.6.1990« v. 4.3.1991verabredet wurde, ist nach § 1027 ZPO aF zu beurteilen. …

b) Gem. § 1027 Abs. 1 Satz 1 ZPO aF muss der Schiedsvertragausdrücklich geschlossen werden und bedarf der Schriftform;andere Vereinbarungen als solche, die sich auf das schiedsge-richtliche Verfahren beziehen, darf die Urkunde nicht enthalten.Daran mangelt es hier: Der vorgenannte Vertrag v. 4.3.1991 ent-hält nicht nur Bestimmungen zum schiedsgerichtlichen Verfah-ren, sondern regelt weiter – sogar vornehmlich – die Übertragungvon Vermögen von der LPG P H. auf andere Genossenschaftengem. Teilungsplan.

Rechtsprechung

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 362

363Neue Justiz 8/2006

c) Die Form des § 1027 Abs. 1 Satz 1 ZPO aF ist allerdings nichtvonnöten, wenn der Schiedsvertrag für beide Teile ein Handels-geschäft war und keine der Parteien zu den in § 4 HGB aFbezeichneten Gewerbetreibenden gehörte (§ 1027 Abs. 2 ZPO aF).Einen solchen Fall hat das OLG zutreffend angenommen. Diein dem Beitrittsgebiet nach dem Recht der DDR entstandenen– registrierten – LPGen waren nach der Wiederherstellung derstaatlichen Einheit Deutschlands am 3.10.1990 als (Voll-)Kauf-leute anzusehen (§ 17 Abs. 2 GenG, § 6 Abs. 2 HGB aF analog; vgl.BezG Frankfurt [Oder], DtZ 1992, 58).

aa) Bei den LPGen handelte es sich um »sozialistische« landwirt-schaftliche Großbetriebe (…), die nach den Grundsätzen der»genossenschaftlichen Demokratie und der sozialistischenBetriebswirtschaft« organisiert waren (…). Die LPGen waren beidem Rat des Kreises zu registrieren; mit der Registrierung wurden sie– in der Form der LPG P oder der LPG T – »rechtsfähig undjuristische Person« (vgl. §§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 1 LPG-G v. 2.7.1982 …).

Im Zuge der politischen Wende im Okt. 1989 erfolgten ver-schiedene gesetzgeberische Maßnahmen, um die – rechtlichverordnete – Genossenschaftlichkeit in der DDR aus ihren staat-lichen Bindungen zu befreien (vgl. im Einzelnen Beuthien, GenG,14. Aufl. 2004, Einl. Anm. III 2 b). Das LwAnpG v. 29.6.1990(GBl. I S. 642) ermöglichte neben der Teilung und dem Zusam-menschluss von LPGen die Umwandlung einer LPG durch Form-wechsel in eine eingetragene Genossenschaft; auf die Umwand-lung waren die Vorschriften des GenG anwendbar (vgl. § 27LwAnpG 1990). Ab dem 1.1.1992 sollten die LPGen (spätestens)kraft Gesetzes in eingetragene Genossenschaften »im Aufbau«umgewandelt sein (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 1 LwAnpG 1990 …).

Der Gesetzgeber des LwAnpG sah die LPGen mithin in nächsterNähe zur eingetragenen Genossenschaft des GenG. Ihre innereStruktur entsprach auch, nachdem sie nicht mehr staatlicherZwangsverband waren, in etwa derjenigen der eingetragenenGenossenschaften. Der Sache nach waren die (von den staatlichenBindungen befreiten) LPGen Absatzgenossenschaften (vgl. § 1Abs. 1 Nr. 3 GenG; Beuthien, aaO, § 1 Rn 43 a.E.). Wie diese (vgl.§ 17 Abs. 2 GenG) waren sie als Kaufmann iSd HGB (aF) anzusehen.

bb) Dem steht nicht … entgegen, dass die LPGen nur dann(Form-)Kaufmann gewesen wären, wenn sie diese Eigenschaftdurch Eintragung im Register erlangt hätten. Die LPGen entstan-den als juristische Person mit ihrer Registrierung als LPG P oderLPG T durch den Rat des Kreises (vgl. § 8 Abs. 2, § 9 Abs. 1 LPG-G v.2.7.1982 …). Entsprechend der Rechtslage bei der eingetragenenGenossenschaft (vgl. § 17 Abs. 2 GenG, § 6 Abs. 2 HGB aF; Beut-hien, aaO, § 17 Rn 4; Bauer, Genossenschafts-Hdb. [Stand VII.02],§ 13 GenG Rn 1) war jedenfalls die registrierte und durch dasLwAnpG und andere Gesetze umgestaltete LPG als Kaufmannkraft Rechtsform aufzufassen; ihr wuchs mit der Registrierunganalog §§ 13, 17 Abs. 2 GenG, § 6 Abs. 2 HGB aF von Gesetzeswegen die Eigenschaft als (Voll-)Kaufmann zu, ohne dass esauf den Gegenstand des Unternehmens angekommen wäre (vgl.– zum Formkaufmann – MünchKommHGB/Bokelmann, 1. Aufl.1996, § 6 Rn 9).

cc) Hier liegt es ebenso. Die Parteien waren bei Abschluss derVerträge v. 4.3.1991 unstreitig nach DDR-Recht registrierteLPGen; sie gelten daher entsprechend § 17 Abs. 2 GenG, § 6Abs. 2 HGB aF als Kaufleute, und es wird vermutet, dass die vonihnen vorgenommenen Rechtsgeschäfte, also auch die Verträgev. 4.3.1991, zum Betriebe ihres Handelsgewerbes gehörten (vgl.§ 343 Abs. 1 HGB aF, § 344 Abs. 1 HGB; Bauer, aaO [Stand VII.86],§ 17 GenG Rn 8; Müller, GenG, 2. Aufl. 1991, § 17 Rn 13). Die indiesen Verträgen getroffene Schiedsvereinbarung bedurfte nichtder Form des § 1027 Abs. 1 Satz 1 ZPO aF.

� 02.2 – 8/06

Beweiskraft von Privaturkunden

BGH, Urteil vom 8. März 2006 – IV ZR 145/05 (Kammergericht)

ZPO § 416

Die Beweisregel des § 416 ZPO erstreckt sich auch auf dieBegebung einer schriftlichen Willenserklärung. Dem Ausstellersteht jedoch der Gegenbeweis offen, dass ihm die nur alsEntwurf gedachte Urkunde abhanden gekommen ist (Fort-führung von BGH, Urt. v. 18.12.2002 – IV ZR 39/02, VersR 2003,229).

Problemstellung:

Die Kl. bestellte der Bekl. eine vollstreckbare Sicherungs-grundschuld im Hinblick auf eine Kreditforderung gegen eineGesellschaft, an der der Ehemann der Kl. beteiligt war. Eine ent-sprechende, von der Kl. unterschriebene Zweckerklärung legtedie Bekl. im Prozess auf die Vollstreckungsgegenklage vor(zwischenzeitlich umgestellt in eine Klage auf Erlösauskehr).

Die Kl. berief sich darauf, dass die Sicherungsgrundschuld ohneRechtsgrund bestellt worden sei, da sie die Angelegenheit nocheinmal vor Absendung der unterschriebenen Zweckerklärunghabe bedenken wollen, ihr Ehemann jene jedoch eigenmächtigan die Bekl. übermittelt habe.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg, wobei das KG (OLGR2005, 721) der Behauptung der Kl. nicht nachgegangen ist, ihrEhemann habe die Urkunde gegen ihren Willen in den Verkehrgebracht.

Der BGH verwies die Sache deshalb an das KG zurück.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Nach Auffassung des BGH steht nicht fest, ob durch die gem.§ 151 BGB von der Bekl. angenommene Zweckerklärung der Kl.ein Sicherungsvertrag als Rechtsgrund der Grundschuld und derErlöszuweisung an die Bekl. zustande gekommen war.

Die formelle Beweiskraft der Privaturkunde gem. § 416 ZPObezieht sich zwar auch darauf, dass sie vom Aussteller willentlichin Verkehr gebracht worden ist. Anders als das KG gestattet derBGH jedoch der Kl. den Beweis, dass ihr die Urkunde entzogenworden sei. Die ausdrückliche Eröffnung des Gegen(teils)bewei-ses in §§ 415 Abs. 2, 418 Abs. 2 ZPO erlaubt keinen Umkehr-schluss, da diese Normen auf den Besonderheiten öffentlicherUrkunden und ihrer Beweiskraft auch bzgl. der inhaltlichen Rich-tigkeit beruhen. Dem Aussteller muss – wie bei der nachträglichveränderten Urkunde oder dem abredewidrig ausgefüllten Blan-kett (BGHZ 104, 172, 175 f.) gem. §§ 440 Abs. 2, 292 ZPO – derBeweis möglich sein, dass er die Geltung des Inhalts der von ihmunterschriebenen Urkunde nicht wollte. Sollte sich der kläge-rische Vortrag bestätigen, so ist die Zweckerklärung unwirksamund fehlte der Grundschuld ein Rechtsgrund.

Wenn auch der Kl. das Risiko des Abhandenkommens derUrkunde nicht allein aufgebürdet werden kann, so weist der BGHdas KG doch darauf hin, dass es ggf. Schadensersatzansprüche derBekl. aus c.i.c. (nun §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) undanalog § 122 BGB zu prüfen haben wird. Dabei zieht er allerdingszum einen ein Verschulden der Kl. in Zweifel, da sie eher nichtdavon ausgehen musste, ihr Ehemann werde die Urkundeentwenden, und macht zum anderen deutlich, dass er die Kon-stellation des § 122 BGB (zunächst wirksame, anfechtbareWillenserklärung) und die hiesige (unwirksame Willenserklärung)für verschieden hält, so dass aus seiner Sicht eine Analogie zu§ 122 BGB nicht möglich zu sein scheint.

Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 363

Neue Justiz 8/2006364

Kommentar:

Der Sachverhalt scheint geradewegs einem Lehrbuch zum Allge-meinen Teil des BGB zu entspringen. Gleichwohl steht einebeweisrechtliche Vorfrage im Mittelpunkt des BGH-Urteils, näm-lich die nach der Reichweite von § 416 ZPO. Diese Vorschriftenthält die gem. § 286 Abs. 2 ZPO zu beachtende Beweisregel, dassdie in einer echten, äußerlich mangelfreien, unterzeichnetenPrivaturkunde enthaltenen Erklärungen vom Aussteller »abgege-ben« worden sind (formelle Beweiskraft) – nicht aber auch, dasssie wahrheitsgemäß, in dieser Form gewollt oder materiell-recht-lich wirksam sind (keine materielle Beweiskraft).

Getreu dem Verständnis dieses Begriffs in der Rechtsgeschäfts-lehre und wie schon in einer früheren Entscheidung (VersR 2003,229) bezieht der BGH die demnach bewiesene »Abgabe« derErklärungen mit der h.L. (a.A. nur Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl.,§ 416 Rz 9) auch auf die willentliche Entäußerung der Erklärun-gen, obwohl der Urkundeninhalt hierzu naturgemäß keineAussage trifft. Diese (zweifelhafte) Erweiterung der Beweiskraftüber den Urkundeninhalt hinaus führt zu Problemen, wenn – wiehier – nicht der Inhalt, sondern die Abgabe der Erklärung im Streitsteht, da § 416 ZPO anders als §§ 415, 418 ZPO nicht ausdrück-lich die Möglichkeit eröffnet, die Unrichtigkeit zu beweisen.

Daraus jedoch mit dem KG (ebenso vor allem MünchKomm-ZPO/Schreiber, 2. Aufl., § 416 Rz 10) abzuleiten, die Abgabe seidurch Vorlage der Urkunde unverrückbar bewiesen, wäre allzuformal und starr. Deshalb muss dem Aussteller der Beweis offenstehen, dass die Urkunde ohne seinen Willen in den Verkehrgeraten, insbesondere dass sie ihm entzogen worden ist (so auchMusielak/Huber, ZPO, 4. Aufl., § 416 Rz 3; Stein/Jonas/Leipold,ZPO, 21. Aufl., § 416 Rz 11; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO,27. Aufl., § 416 Rz 4).

Die Parallele, die der BGH zum willenswidrig verändertenErklärungsinhalt oder zum abredewidrig ausgefüllten Blankettzieht, überzeugt – hier wie dort schieben Dritte dem Unter-zeichner eine Erklärung unter, die er nicht gewollt hat. Es liegtdann aber auch nicht fern, anders als der BGH den Einwand, eshandele sich lediglich um einen Erklärungsentwurf, ebenfalls alsEinwand gegen die Echtheit iSd § 440 Abs. 2 ZPO zu verstehen(so wohl auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht,16. Aufl. 2004, § 118 Rz 31; a.A. Stein/Jonas/Leipold, aaO, § 416Rz 11; Thomas/Putzo/Reichold, aaO, § 416 Rz 4) – mit der (prak-tisch wohl selten relevanten) Folge, dass zum Gegenteilsbeweisgem. § 292 Satz 2 ZPO auch die (sonst durch § 445 Abs. 2 ZPOgesperrte) Parteivernehmung zulässig ist.

Der BGH »rettet« daher zumindest im Ergebnis zu Recht dasProblem der »abhanden gekommenen Willenserklärung«, inLehrbüchern seit jeher exemplifiziert mittels der willenswidrigerfolgten Absendung von Briefen, das durch den prozessualen»Kunstgriff« des KG nahezu jeder praktischen Bedeutung beraubtzu werden drohte. Der Vortrag der Kl. klingt freilich wohl nochunwahrscheinlicher als die meisten Lehrbuchfälle – sie habe einederart wichtige Erklärung zwar unterschrieben, dann aber beiseitegelegt und das Abhandenkommen erst etwa zwei Jahre späterentdeckt und der Bekl. mitgeteilt, als jene nämlich aus der Grund-schuld vorging (dies könnte ggf. ein weiterer Anknüpfungspunktfür ein Verschulden der Kl. im Rahmen einer c.i.c. sein).

Sollte das KG den klägerischen Vortrag gleichwohl bestätigtfinden, soll es nach Auffassung des BGH (lediglich) über dieSchadensersatzhaftung aus c.i.c. und entsprechend § 122 BGBnachzudenken haben – von der Unwirksamkeit der abhandengekommenen Willenserklärung geht der BGH wie selbstver-ständlich aus. Dabei wird mit guten Gründen – insbesondere zumSchutz des redlichen Empfängers einer unterschriebenen Erklärung,

der berechtigt auf deren Wirksamkeit vertraut – vielfach vertreten,dass die Willenserklärung wie in Fällen des fehlenden Erklärungs-bewusstseins zunächst wirksam, aber mittels Anfechtung ver-nichtbar sei (Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II,4. Aufl. 1992, S. 226 Fn 10, S. 449 f.; Medicus, Allgemeiner Teil desBGB, 8. Aufl. 2002, Rz 266, 607; a.A. etwa Köhler, BGB, Allgemei-ner Teil, 29. Aufl. 2005, § 6 Rz 12). Die für die Wirksamkeit derErklärung ohne Erklärungsbewusstsein zumeist geforderte Zure-chenbarkeit (vgl. nur BGHZ 91, 324, 330) könnte beim nichtversehentlich, sondern bewusst gegen den Willen des Ausstellerserfolgten Versand des Erklärungsentwurfs generell abgelehntwerden (Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts,9. Aufl. 2004, § 26 Rz 7; MünchKommBGB/Einsele, 4. Aufl., § 130Rz 14); die Zurechnung ließe sich jedoch wohl auch an dasErstellen und Unterschreiben der Urkunde anknüpfen.

Jedenfalls aber überzeugt das Argument nicht, mit dem derBGH eine Analogie zu § 122 BGB zu verwerfen scheint, da § 122BGB mit § 118 BGB auch einen Fall der anfänglichen Nichtigkeiterfasst. Schwerer wiegt das Argument (Bork, Allgemeiner Teil desBürgerlichen Gesetzbuchs, 2001, Rz 615), es gebe bei der abhan-den gekommenen Willenserklärung anders als beim fehlendenErklärungsbewusstsein oder den anderen von § 122 BGB erfasstenFällen kein zurechenbares Verhalten des vermeintlich Erklären-den gegenüber der Außenwelt. Allerdings hat er doch immerhindurch seine Unterschrift bewusst einen Erklärungsentwurfgeschaffen, der im Rechtsverkehr jederzeit mit einer wirksamabgegebenen Erklärung verwechselt werden kann – für das derartin Anspruch genommene und schließlich enttäuschte Vertrauenmuss er haften, ohne dass es auf ein Verschulden bei der Aufbe-wahrung ankommen kann (Canaris, Die Vertrauenshaftung imdeutschen Privatrecht, 1971, S. 548; Staudinger/Singer, BGB, März2004, § 122 Rz 10).

Da hier das negative Interesse wohl dem Verwertungserlös derGrundschuld entspricht – die Bekl. hätte den Kredit unstreitig (sozumindest das KG) ohne den Sicherungsvertrag nicht gewährt –,wäre die Revision daher nach hier vertretener Ansicht wohljedenfalls gem. § 561 ZPO zurückzuweisen gewesen.

Der Sachverhalt und die Entscheidungen des KG und des BGHführen deutlich vor Augen, dass man Erklärungen tunlichst erstunterschreibt, wenn man ihre Geltung auch wirklich will;überlegt man es sich dann doch einmal vor Abgabe anders, sollteman die unterschriebene Urkunde nicht nur weglegen, sondernentweder sicher wegschließen oder – besser noch – die Unter-schrift vorsorglich wieder durchstreichen. Ist das Unheil einmalgeschehen und eine solche Urkunde mit unversehrter Unter-schrift willenswidrig an den Empfänger geraten, sollte (auchwenn der BGH es nicht für erforderlich zu halten scheint) vor-sorglich die Irrtumsanfechtung erklärt werden – und zwar unver-züglich, nicht in gerichtlich zuzustellenden Schriftsätzen (BGH,NJW 1975, 39) und bei Einschaltung eines Vertreters wegen § 174BGB unter Beifügung einer Vollmachtsurkunde.

Auf der anderen Seite, der des Empfängers, sollten wichtigeErklärungen nicht nur nach § 151 BGB angenommen, sondernsollte die Annahme ausdrücklich erklärt werden. Der von der Kl.behauptete Ablauf hätte dann bereits zu einem weniger kriti-schen Zeitpunkt ans Licht kommen müssen.

Wolfgang Zenker, wiss. Mitarbeiter, Humboldt-Universität zu Berlin

� 02.3 – 8/06

Anspruch auf Beseitigung einer Trafostation und Entstehen einerDienstbarkeit kraft Gesetzes

BGH, Urteil vom 24. Februar 2006 – V ZR 145/05 (OLG Dresden)

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 364

365Neue Justiz 8/2006

GBBerG § 9

§ 9 Abs. 2 GBBerG steht dem Entstehen einer Dienstbarkeit nach§ 9 Abs. 1 GBBerG schon dann entgegen, wenn die VO überAllgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarif-kunden (AVBEltV) am Stichtag des 25.12.1993 einschlägig war.

Die Kl. erwarb im Jahr 2001 mehrere Grundstücke in S. mit demZiel der Errichtung einer Eigenheimsiedlung. Auf einem dieserGrundstücke, das zu dem im Jahr 1992 stillgelegten Karosserie-betrieb des V. gehörte, befindet sich ein Pförtnerhaus mit ange-bauter Trafostation, die seit 1987/88 auch der Energieversorgungin S. dient. Der Strombezug und der Stromlieferungsvertrag fürdas ehem. Karosseriewerk endeten im Aug. 1997. Seither bestehtkein Stromanschluss mehr.

Die Kl. brach die alten Betriebsgebäude bis auf das Pförtnerhausund die Trafostation ab, die 147 qm in Anspruch nehmen und ausstatischen Gründen nur zusammen abgerissen werden können.Die Kl. hat geltend gemacht, die Trafostation hindere die Bebau-ung von zwei Eigenheimgrundstücken und deren wirtschaftlicheVerwertung. Dem Anliegen der Kl., die Trafostation zu beseitigen,will die Bekl. nur gegen Erstattung der Kosten für eine Verlegungentsprechen. Dazu ist die Kl. nicht bereit. Die Kosten einer Umle-gung betragen 28.000 €, wobei für den neuen Standort nur eineFläche von etwa 6 qm benötigt würde.

Im ersten Rechtszug hat die Kl. die Beseitigung der Trafostationund der Verschmutzungen verlangt, die von der Energieanlageherrühren. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerich-tete Berufung, mit der die Kl. ihre Klage nur mit Blick auf dieTrafostation weiter verfolgt hat, blieb erfolglos.

Die – zugelassene – Revision hatte teilweise Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen: I. Das BerufungsG steht auf dem Standpunkt, einem Beseitigungs-anspruch stehe entgegen, dass die Bekl. nach § 9 Abs. 1 GBBerG einebeschränkte persönliche Dienstbarkeit erworben habe, aufgrund derendie Kl. zur Duldung der Trafoanlage verpflichtet sei. § 9 Abs. 2 GBBerGhindere das Entstehen der Dienstbarkeit nicht. Die dort genannte VOüber Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung vonTarifkunden (AVBEltV) sei zwar einschlägig, eine hieraus folgendeDuldungspflicht sei aber gleichwohl zu verneinen, weil die Kl. nach§ 8 Abs. 3 AVBEltV die Verlegung der Elektrizitätseinrichtung wegenUnzumutbarkeit verlangen könne und damit eine Duldungspflicht ander konkreten Stelle nicht mehr bestehe.

Da das Pförtnergebäude aus statischen Gründen nicht allein abge-rissen werden könne, beanspruche die an sich räumlich unbedeutendeTrafostation eine Fläche von 147 qm. Dies sei unverhältnismäßig undunzumutbar. Es komme daher nicht mehr darauf an, dass der Strom-lieferungsvertrag mit dem Ausbau der Messeinrichtung am 20.8.1997beendet worden und damit die Fünfjahresfrist des § 8 Abs. 3 AVBEltV(richtig: § 8 Abs. 4 AVBEltV) verstrichen sei, nach deren Ablauf dieDuldungspflicht ende. Dass die Bekl. möglicherweise in nächster Zeitohnehin eine Erneuerung der Trafostation plane, führe nicht dazu,dass deren Weigerung, die Anlage auf eigene Kosten zu verlegen, treu-widrig (§ 242 BGB) sei.

II. 1. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichenPrüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das BerufungsG einen Besei-tigungsanspruch der Kl. nach § 1004 Abs. 1 BGB mit der Erwägungverneint, der Bekl. stehe eine beschränkte persönliche Dienstbar-keit zu, aufgrund deren die Trafostation weiterhin an ihremjetzigen Standort zu dulden sei (§ 1004 Abs. 2 BGB).

a) Allerdings ist das BerufungsG zutreffend davon ausgegangen,dass die Entstehung einer Dienstbarkeit kraft Gesetzes (§ 9 Abs. 1GBBerG) ausgeschlossen ist, soweit Kunden und Anschlussneh-mer, die Grundstückseigentümer sind, u.a. nach der AVBEltVzur Duldung von Energieanlagen verpflichtet sind (§ 9 Abs. 2GBBerG), und zumindest im Ansatz auch davon, dass es hierfür

auf den Stichtag des 25.12.1993 ankommt. Dem BerufungsG istauch darin zuzustimmen, dass diese VO am Stichtag einschlägigwar.

b) Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch der weiterenErwägung, § 9 Abs. 2 GBBerG hindere trotz Anwendbarkeit dergenannten VO das Entstehen einer Dienstbarkeit nicht, weil eine»konkrete Duldungspflicht« wegen Unzumutbarkeit nicht bestan-den habe (§ 8 Abs. 3 AVBEltV).

aa) Das angefochtene Urteil erweist sich schon deshalb nicht alsüberzeugend, weil nicht ersichtlich ist, dass die Anlage am25.12.1993 für den damaligen Grundstückseigentümer unzu-mutbar iSd §§ 8 Abs. 3; 11 Abs. 3 AVBEltV gewesen wäre. Darauf,ob die Aufrechterhaltung der Trafostation an der konkreten Stellefür die Kl., die das Grundstück erst im Jahr 2001 erwarb, am Stich-tag unzumutbar gewesen wäre oder ob dies heute so ist …, kannes für die Frage des Entstehens der Dienstbarkeit nicht ankom-men. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit,deren der Grundstücksverkehr in besonderem Maße bedarf, mussbereits am Stichtag Klarheit darüber bestehen, ob eine Dienstbar-keit entstanden ist oder nicht. Das kann nicht von dem Eintrittspäterer Ereignisse abhängig gemacht werden.

bb) Vor allem aber steht § 9 Abs. 2 GBBerG dem Entstehen einerDienstbarkeit schon dann entgegen, wenn die AVBEltV am Stich-tag einschlägig war. Der Wortlaut der Vorschrift bringt dies zwarnicht zum Ausdruck. Sinn und Zweck der Regelung gebietenjedoch eine dahingehende Norminterpretation.

Die Übergangsregelung des § 9 GBBerG dient der Rechtsanglei-chung. Ihr Sinn und ihre Funktion besteht darin, in den neuenLändern eine rechtliche Absicherung von Anlagen und Leitungen inden gleichen Formen zu schaffen wie in den alten Ländern (vgl. BT-Drucks. 12/6228 S. 76; Schmidt-Räntsch, VIZ 2004, 473, 474 f.). In die-sen ist eine Absicherung durch beschränkte persönliche Dienstbar-keiten nur vorgesehen, soweit ein Anschlussvertrag nicht besteht undes sich nicht um Anlagen und Leitungen des örtlichen Niederspan-nungsnetzes handelt. In allen anderen Fällen wird die Absicherungdurch Begründung von Duldungspflichten realisiert, die durch denAbschluss von Versorgungsverträgen nach den Verordnungen überAllgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkun-den v. 21.6.1979 (BGBl. I S. 684), für die Gasversorgung von Tarifkundenv. 21.6.1979 (BGBl. I S. 676) und für die Versorgung mit Fernwärmev. 20.6.1980 (BGBl. I S. 742) begründet werden und zu deren Über-nahme der Eigentümer bei Abschluss von Versorgungsverträgen kraftVerordnung verpflichtet ist (vgl. Schmidt-Räntsch, aaO).

Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn § 9 Abs. 2GBBerG der Entstehung einer Dienstbarkeit kraft Gesetzes ent-gegensteht, weil in solchen Konstellationen am Stichtag bereitsdieselbe Absicherung wie in den alten Bundesländern gegebenwar; das Ziel der Rechtsangleichung ist insoweit bereits verwirk-licht. Dabei ist über die Geltung der genannten Versorgungsver-ordnungen eine angemessene Absicherung sichergestellt, die einenausgewogenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit, derEnergieversorgungsunternehmen und der betroffenen Grund-stückseigentümer enthalten und als Ausdruck dessen insbeson-dere Verlegungsansprüche bei Unzumutbarkeit (vgl. §§ 8 Abs. 3Satz 1, 11 Abs. 2 AVBFernwärmeV sowie jeweils §§ 8 Abs. 3 Satz 1,11 Abs. 3 Satz 1 AVBEltV und AVBGasV) und eine Duldungspflichtdes Grundstückseigentümers für weitere fünf Jahre auch nachEinstellung der Energieversorgung vorsehen, es sei denn, dassdies dem Eigentümer nicht zugemutet werden kann (vgl. jeweils§§ 8 Abs. 4, 11 Abs. 2 AVBEltV, AVBGasV und AVBFernwärmeV).

Bedarf für das Entstehen einer Dienstbarkeit hat der Gesetz-geber nur außerhalb des Bereichs der Versorgungsverordnungengesehen, weil die im EinigungsV vorgesehene Ablösung der in denneuen Ländern nach der EnergieVO 1988 entstandenen und vor-läufig aufrechterhaltenen Mitbenutzungsrechte durch vertraglichneu zu begründende Dienstbarkeiten an praktischen Schwierig-

Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 365

Neue Justiz 8/2006366

keiten zu scheitern drohte und sich der Gesetzgeber deshalbentschloss, eine am voraussichtlichen Inhalt solcher Verträge aus-gerichtete gesetzliche Regelung vorwegzunehmen (BT-Drucks.12/6228, S. 76; Senat BGHZ 157, 144, 146 = NJ 2004, 226 [Leits.];Schmidt-Räntsch, RdE 1994, 214, 215).

Nur diese – bei fehlendem Eingreifen einer der in § 9 Abs. 2GBBerG genannten Verordnungen drohende – Absicherungs-lücke galt es zu schließen, nicht aber sollte Energieversorgungs-unternehmen eine Rechtsstellung verschafft werden, die über diebei Anwendbarkeit der Versorgungsverordnungen am Stichtaggegebene Absicherung hinausgeht. Dies würde zu einer von derRegelung nicht bezweckten Privilegierung von Energieanlagenin den neuen Ländern führen und damit die mit der Normbezweckte Rechtsangleichung verfehlen.

c) Sollte das BerufungsG auf das Entstehen einer Dienstbarkeitnach dem Stichtag abgestellt haben – dafür könnte sprechen,dass es das Vorliegen einer Duldungspflicht der Kl., obwohl dieseam Stichtag noch nicht Eigentümerin war, im Kontext des § 9Abs. 2 GBBerG verneint hat –, könnte auch dem der Senat nichtfolgen. Ein späteres Entstehen sieht das Gesetz nicht vor. DerWortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Er stellt auf das Inkraft-treten der Vorschrift und damit auf den 25.12.1993 ab. Eine ent-sprechende Anwendung der Norm scheitert jedenfalls daran, dassdie für einen Analogieschluss erforderliche planwidrige Rege-lungslücke nicht vorliegt. …

2. Das angefochtene Urteil ist nicht im Ergebnis aus anderenGründen richtig. Die Bekl. ist nicht verpflichtet, die Trafostationweiterhin zu dulden.

a) Eine Duldungspflicht nach §§ 8 Abs. 4, 11 Abs. 2 AVBEltVscheitert jedenfalls daran, dass der Strombezug im Aug. 1997 ein-gestellt wurde, seither unstreitig keine Lieferungen mehr erbrachtwurden und damit der Fünfjahreszeitraum für eine weitereDuldung der Trafostation verstrichen ist.

b) Der Bekl. steht kein Mitbenutzungsrecht nach § 29 EnV 1980bzw. § 29 EnV 1988 wegen der ab 1987/88 erfolgten Nutzungder Trafostation zur Energieversorgung auch von S. zu, weil einsolches Recht mangels einer zwangsweisen Anordnung nur auf-grund einer Vereinbarung mit dem Eigentümer entstehen konnte(vgl. BGHZ 144, 29, 31 ff. = NJ 2000, 489 [bearb. v. Hirse/Willing-mann]; Senat, Urt. v. 6.2.2004, VIZ 2004, 328, 329 mwN = NJ 2004,469 [Leits.] ). Eine ausdrückliche Vereinbarung liegt nicht vor.

Eine Vereinbarung wird auch nicht durch § 1 Abs. 3 Satz 1 der5. DB EnV 1980 bzw. § 17 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB EnV 1988 fin-giert. Nach diesen Bestimmungen gilt eine Mitbenutzung zwar alsvereinbart, wenn ein Elektroenergielieferungsvertrag zustandekommt. Diese Wirkung tritt nach § 1 Abs. 3 Satz 2 der 5. DB EnV1980 bzw. § 17 Abs. 1 Satz 2 der 2. DB EnV 1988 auch gegenüberdem an einem solchen Vertrag nicht beteiligten Rechtsträger oderEigentümer des Grundstücks ein. Dies gilt aber nur »in Bezug aufAnlagen des Leitungstransports«, zu denen Anlagen zur Umfor-mung von Elektroenergie nicht gehören (Senat, Urt. v. 6.2.2004,aaO). Es kann deshalb offen bleiben, ob ein Mitbenutzungsrechtwegen der am Stichtag des 25.12.1993 gegebenen Absicherungdurch die AVBEltV überhaupt noch bestünde.

c) Eine weitere Duldung lässt sich schließlich nicht aus demGrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) herleiten. Das gälteselbst dann, wenn man davon ausgehen wollte, dass die Kl. imZuge der Bebauung bereits in nächster Zukunft einen Stromliefe-rungsvertrag eingehen wird. Wie bereits dargelegt, enthalten dieAllgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung auch imHinblick auf die Duldungspflicht des Grundstückseigentümerseinen angemessenen Interessenausgleich. Ausdruck dieses Inte-

ressenausgleichs ist insbesondere die Fünfjahresfrist der §§ 8Abs. 4, 11 Abs. 2 AVBEltV, die dem Energieversorgungsunterneh-men ausreichend Zeit lässt, seine Interessen zu wahren.

Vor diesem Hintergrund kann § 242 BGB einem Beseitigungs-verlangen des Grundstückseigentümers nach Verstreichen desFünfjahreszeitraums nur in besonders krassen Fällen entgegen-stehen, etwa dann, wenn zwischen dem Ablauf der Frist und demerneuten Strombezug nur eine geringfügige Zeitspanne liegt.Davon kann hier keine Rede sein. Die Fünfjahresfrist endetebereits im Jahr 2002. …

� 02.4 – 8/06

Voraussetzungen für die Begründung von Dienstbarkeiten nach§ 116 Abs. 1 SachenRBerG

BGH, Urteil vom 24. Februar 2006 – V ZR 255/04 (OLG Dresden)

SachenRBerG §§ 8, 116 Abs. 1

Ein nachbarrechtlicher Anspruch auf Wiederbegründung einerDienstbarkeit, die durch die Überführung des dienenden Grund-stücks in Volkseigentum erloschen ist, besteht nicht. Die früherbestehende Dienstbarkeit ist für einen Anspruch auf Neube-gründung einer Dienstbarkeit aus § 116 Abs. 1 SachenRBerGohne Bedeutung. § 8 SachenRBerG schränkt die Ansprüche aus§ 116 Abs. 1 SachenRBerG nicht ein.

Problemstellung:

Der Zugang zu einem mit einem Wochenendhaus bebautenGrundstück (herrschendes Grundstücks) erfolgte über einen Wegauf dem Nachbargrundstück (dienendes Grundstück), der durcheine 1938 eingetragene Grunddienstbarkeit gesichert war. BeideGrundstücke wurden zur DDR-Zeiten enteignet und als volks-eigen gebucht. Die Dienstbarkeit wurde gelöscht. Das dienendeGrundstück wurde nach der Wiedervereinigung der Stadt Dresdenzugeordnet, die es an die Bekl. veräußerte. Das herrschendeGrundstück wurde auf die Kl. zurückübertragen. Eine Wiederbe-gründung der Dienstbarkeit unterblieb.

Die Kl. beabsichtigt, das herrschende Grundstück zu bebauen,und hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, der Eintragung einesWegerechts als Dienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentü-mers des herrschenden Grundstücks im Grundbuch des dienen-den Grundstücks zuzustimmen. Das LG hat die Klage abgewiesen.Das OLG gab der Berufung der Kl. statt und führte zur Begrün-dung aus, dass das Erlöschen der Dienstbarkeit aufgrund desGrundsatzes der Unbelastbarkeit des Volkseigentums als mittel-bare Folge der gegen einen Dritten gerichteten Enteignungsmaß-nahme nicht zu einem Restitutionsanspruch der Kl. nach demVermG geführt habe. Auch § 116 Abs. 1 SachenRBerG finde keineAnwendung, da das fremde Grundstück schon vor dem 8.5.1945genutzt worden sei. Daraus ergebe sich eine Gesetzeslücke, diedurch einen nachbarrechtlichen Anspruch auf Wiederbegrün-dung der erloschenen Grunddienstbarkeit zu schließen sei.

Auf die – zugelassene – Revision der Bekl. hat der BGH die Sachezur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück-verwiesen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Nach Auffassung des BGH besteht kein nachbarrechtlicherAnspruch auf Wiederbegründung des gelöschten Wegerechts.Wenn überhaupt eine Gesetzeslücke besteht, kann sie jedenfallsnicht durch Fortbildung des Zivilrechts geschlossen werden. DasOLG geht davon aus, dass das herrschende Grundstück zeitlichnach dem dienenden Grundstück enteignet worden ist. Verhält

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NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 366

367Neue Justiz 8/2006

es sich so, dann waren mit der zuvor erfolgten Enteignung desdienenden Grundstücks auch die daran bestehenden Rechteuntergegangen (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 ZGB).

Der Eigentümer des herrschenden Grundstücks wurde mittelbargeschädigt. Dafür sieht das VermG keinen Anspruch des geschä-digten Rechtsinhabers vor. Da es zur zeitlichen Reihenfolge derEnteignungen keinen Sachvortrag der Parteien gibt, kann nichtausgeschlossen werden, dass das herrschende Grundstück zuerstenteignet worden ist. Dem Eigentümer wäre dann durch dieEnteignung auch die Dienstbarkeit entzogen worden. Über ihreWiederbegründung wäre im Restitutionsverfahren zu entschei-den gewesen. Eine Regelungslücke bestünde nicht.

Auch wenn das herrschende Grundstück nach dem dienendenGrundstück enteignet worden ist, kann eine Wiederbegründungvon Rechten an einem enteigneten Grundstück nur nach denGrundsätzen des VermG und in dem dort vorgesehenen Verfah-ren entschieden werden und nicht nach nachbarrechtlichenGrundsätzen.

Die Rückübertragung von Vermögenswerten nach den §§ 3u. 6 VermG unterliegt materiellen und verfahrensrechtlichenBeschränkungen insbesondere hinsichtlich des Schutzes redli-cher Erwerber durch § 4 Abs. 2 u. 3 VermG und der Einhaltungder Fristen des § 30a VermG. Deswegen besteht ein Vorrang desVermG. Diese Beschränkungen können nicht durch eine zivil-rechtliche Ergänzung des VermG ausgehebelt werden.

Eine entsprechende Anwendung oder Fortbildung des SachenR-BerG kommt hier nicht in Betracht, da keine planwidrige Lückevorliegt. Das SachenRBerG dient der Sicherung bestehender, nichtaber der Wiederherstellung erloschener Rechtspositionen. Es solleinen Interessenausgleich für die Zukunft herbeiführen.

Die Bereinigung der rechtlich nicht abgesicherten Mitbenut-zung fremder Grundstücke nach § 116 SachenRBerG soll demWegfall des gesetzlichen Bodennutzungsrechts der LPG und demUmstand Rechnung tragen, dass die Inanspruchnahme fremderGrundstücke zu Erschließungszwecken in der DDR vielfach auchohne die Mitbenutzungsrechte nach den §§ 321, 322 ZGB alsrechtmäßig angesehen wurde. Der Bereinigungsanspruch aus§ 116 Abs. 1 SachenRBerG tritt an die Stelle einer Mitbenutzungund verleiht der über das Notwegrecht von § 917 BGB hinausge-henden Stellung des Mitbenutzers über den 2.10.1990 hinausBestand (Senat, BGHZ 144, 25, 27 f. = NJ 2000, 542; Urt. v.9.5.2003, NJ 2003, 656).

Diese Sache ist aber nicht im Sinne einer Klageabweisung zurEndentscheidung reif, weil nicht abschließend beurteilt werdenkann, ob sich der geltend gemachte Anspruch nicht unmittelbaraus § 116 Abs. 1 SachenRBerG ergibt. Voraussetzung dafür wäre,dass die geforderte Grunddienstbarkeit zur Erschließung desherrschenden Grundstücks erforderlich ist und der am 2.10.1990ausgeübten Nutzung entspricht. Dass die Kl. das herrschendeGrundstück im Wege der Restitution erworben hat, steht derAnwendung vom § 116 Abs. 1 SachenRBerG nicht entgegen,denn der darin verwendete Nutzungsbegriff ist nicht personen-,sondern grundstücksbezogen.

Auch dass das herrschende Grundstück vor dem 8.5.1945erschlossen worden ist und die Erschließung durch eine Grund-dienstbarkeit gesichert war, ist nicht schädlich. Ein Anfangszeit-punkt, vor dem die Nutzung nicht begonnen haben darf, ist in§ 116 SachenRBerG nicht vorgesehen. § 8 SachenRBerG gilt nachseiner systematischen Stellung nur für die im 2. Kapitel desSachenRBerG geregelten Fälle baulicher Nutzung. Eine entspre-chende Anwendung auf Bereinigungstatbestände des 5. Kapitelskommt nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und wegen

der grundsätzlichen Verschiedenheit der Regelungsgegenständenicht in Betracht. Ein DDR-typisches Vollzugsdefizit kann – wiedieser Fall zeigt – auch dadurch entstanden sein, dass eineursprünglich vorhandene Absicherung nach 1945 aus DDR-typischen Gründen weggefallen und nicht ersetzt worden ist.

Für den Anspruch aus § 116 Abs. 1 SachenRBerG ist zudemunerheblich, ob ein vermögensrechtlicher Anspruch auf Wieder-begründung der Dienstbarkeit bestanden hätte, weil diese Rege-lung von den Vorschriften des VermG nicht verdrängt wird. Auchdass das dienende Grundstück bis zur Wiedervereinigung volks-eigen war, steht der Anwendung des § 116 Abs. 1 SachenRBerGnicht entgegen; denn maßgeblich ist nicht, ob eine Absicherungder Mitbenutzung im Recht der DDR vorgesehen war – dies warbei volkseigenen Grundstücken nicht der Fall –, sondern dass dieMitbenutzung als rechtmäßig angesehen wurde.

Die Bestellung einer Grunddienstbarkeit kann also nur insofernverlangt werden, als der auf dem Grundstück der Bekl. verlau-fende Weg am 2.10.1990 als Zugang und Zufahrt für das kläge-rische Grundstück genutzt wurde. Hierzu sind ergänzenderSachvortrag und Beweisantritt der Kl. gem. § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPOzuzulassen, weil auch das LG diesen Gesichtspunkt rechtsfehler-haft für unerheblich gehalten hat.

Kommentar:

Mit dieser Entscheidung geht der BGH einen weiteren Schritt zurBestimmung des Verhältnisses von VermG und SachenRBerG.Dabei werden die unterschiedlichen Funktionen beider Gesetze(VermG = Unrechtsbeseitigung; SachenRBerG = Interessenaus-gleich für die Zukunft) deutlich gegenübergestellt und darausKonsequenzen für die Rechtsanwendung bis hin zur Zuständig-keitsbestimmung abgeleitet.

Dem BGH ist darin zuzustimmen, dass die Voraussetzungen fürdie Anwendung des § 116 Abs. 1 SachenRBerG auf das zu kon-zentrieren sind, was in dieser Vorschrift und – so muss man wohlhinzufügen – den übrigen Normen des 5. Kapitels des SachenR-BerG geregelt ist, und noch weitere, zusätzliche Voraussetzungenfür die rechtliche Absicherung von Mitbenutzungsrechten in dieVorschrift nicht hineininterpretiert werden dürfen.

Bislang wurde davon ausgegangen, dass gutgläubige Erwerbernach dem 31.12.2000 Grundstücke grundsätzlich ohne derartigeBelastungen übernehmen, so dass die nicht rechtzeitige Geltend-machung von Mitbenutzungsrechten zum Verlust des daraufgerichteten Anspruchs führen konnte (z.B. Vossius, SachenRBerG,1995, gestützt auf § 122 iVm § 111 SachenRBerG). Das dürfte nachder jetzigen Auslegung durch den BGH fraglich sein, denn § 122SachenRBerG bezieht sich nur auf durch das ARoV begründete be-schränkte dingliche Rechte. Eine direkte Anwendung des § 111aus dem 2. Kapitel des SachenRBerG bzgl. der Ansprüche aufBestellung von Dienstbarkeiten nach dem 5. Kapitel des SachenR-BerG bietet sich nicht mehr an, nachdem der BGH das für § 8SachenRBerG ausdrücklich verneint hat. Auch spricht der Umkehr-schluss aus § 122 SachenRBerG dagegen.

Allerdings erlöschen nicht im Grundbuch eingetragenebeschränkte dingliche Rechte nach § 8 GBBerG iVm § 13 Abs. 1der Sachenrechts-DVO in den neuen Bundesländern einschließ-lich Berlin gundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2005. Das dürfteauch für Ansprüche auf Bestellung von Dienstbarkeiten gelten,wenn sie nicht vorher wirksam geltend gemacht worden sind.Aus der vorliegenden Entscheidung kann aber auch abgeleitetwerden, dass an die Geltendmachung keine besonders strengenAnforderungen zu stellen sind, also bspw. die Berufung auf falscheRechtsnormen unschädlich ist.

Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 367

Neue Justiz 8/2006368

Der BGH nimmt somit eine der Bestellung von Dienstbarkeitennach dem 5. Kapitel des SachenRBerG freundliche Haltung ein,was angesichts dessen, dass vielfach die an sich mögliche Klärungdieser Probleme zunächst unterblieben war, nur begrüßt werdenkann.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Dietrich Maskow, Berlin

� 02.5 – 8/06

Fristlose Kündigung eines Mietvertrags wegen unpünktlicherZahlung

BGH, Urteil vom 11. Januar 2006 – VIII ZR 364/04 (LG Berlin)

BGB § 543 Abs. 1

Zur Frage, wann eine wiederholte unpünktliche Zahlung derMiete eine außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigemGrund rechtfertigen kann.

Problemstellung:

Der Kl. verlangt Räumung und Herausgabe einer von ihm an denBekl. vermieteten Wohnung. Nach den Allgemeinen Vertragsbe-stimmungen (AVB) des Kl. – deren Einbeziehung umstritten ist –ist die Miete monatlich im Voraus, spätestens bis zum drittenWerktag eines jeden Monats zu entrichten.

In den Jahren 1998 bis 2000 überwies der Bekl. die Miete zuunterschiedlichen Zeitpunkten während des laufenden Monats,z.T. auch erst im Folgemonat. Im Febr. 2001 kündigte der Kl. dasMietverhältnis fristlos wegen Zahlungsverzugs. Das Mietverhält-nis wurde jedoch fortgesetzt und von März 2001 bis Jan. 2003 ent-richtete der Bekl. die Miete zu Beginn des jeweiligen Monats.Anschließend erfolgte die Mietzahlung wieder sehr unregelmäßig.

Mit Schreiben v. 7.7.2003 forderte der Kl. den Bekl. auf, denbestehenden Mietrückstand auszugleichen, und kündigte an,andernfalls das Mietverhältnis wegen unpünktlicher Mietzahlun-gen zu kündigen. Dem kam der Bekl. durch zwei Teilzahlungennach. Mit Schreiben v. 16.7.2003 beanstandete der Kl. erneut, dassder Bekl. die Miete unpünktlich zahle, und drohte abermals an,das Mietverhältnis fristlos zu kündigen. Die Miete für Aug. 2003überwies der Bekl. am 20.8.2003. Mit Schreiben v. 22.8.2003 kün-digte der Kl. das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Das LG hat diese Entschei-dung bestätigt und im Wesentlichen ausgeführt: Der Kl. sei trotzder unpünktlichen Mietzahlungen nicht zu einer außerordent-lichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund wegen Unzumut-barkeit der Vertragsfortsetzung gem. § 543 Abs. 1 BGB berechtigt.Zwar war der Bekl. mit den Mietzahlungen in Verzug und dieSchreiben des Kl. sind als ausreichende Abmahnung anzusehen;einer Kündigung stehe jedoch entgegen, dass der Bekl. die Mietenach der Abmahnung nur noch einmal verspätet gezahlt habe.Eine fristlose Kündigung setze jedoch voraus, dass die Miete nacheiner Abmahnung mit Kündigungsandrohung innerhalb einesJahres noch mindestens dreimal verspätet gezahlt werde, daandernfalls die Voraussetzungen der Kündigung wegen Zahlungs-verzugs (§ 573 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a und b BGB) unterlaufenwürden. Das Mietverhältnis sei auch nicht durch fristgemäßeKündigung beendet worden, weil der Kl. kein berechtigtes Inte-resse an der Beendigung des Mietverhältnisses habe.

Die zugelassene Revision des Kl. war erfolgreich und führte zurZurückverweisung der Sache.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Die Erwägungen des BerufungsG halten der rechtlichen Über-prüfung nicht stand.

Nach § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB kann jede Partei das Mietver-hältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen.Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unterBerücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondereeines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung derbeiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses biszum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendi-gung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (§ 543Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Beantwortung der Frage, ob eine Unzu-mutbarkeit in diesem Sinne vorliegt, obliegt in erster Linie demTatrichter und kann vom RevisionsG nur daraufhin überprüftwerden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollstän-dig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat oder ob er dieallgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtigangewandt hat (Senatsurt. v. 9.3.2005, NJW 2005, 2552).

Der Prüfung anhand dieses Maßstabs hält das Berufungsurteilnicht stand. Das BerufungsG hat die Anforderungen an das Vor-liegen eines wichtigen Grundes iSv § 543 Abs. 1 BGB überspannt,wenn es zum einen stets eine dreimalige verspätete Zahlung nachAbmahnung für erforderlich hält und darüber hinaus meint,Zahlungsverzögerungen vor der Abmahnung seien nicht zu berück-sichtigen. Die Abmahnung soll dem Mieter Gelegenheit zurÄnderung seines Verhaltens geben (BT-Drucks. 14/5663, S. 69).Zweck des Abmahnungserfordernisses ist es, dem Mieter vor Ver-tragsbeendigung noch eine Chance zu vertragsgemäßem Verhal-ten einzuräumen (AnwKommBGB/Riecke, 2005, § 543 Rn 35).

Es erscheint daher fraglich, ob der Auffassung des BerufungsGhinsichtlich des Erfordernisses einer dreimaligen verspätetenZahlung nach Abmahnung zu folgen ist; dies kann jedoch dahin-stehen. Sie kann jedenfalls dann nicht gelten, wenn der Abmah-nung – wie hier – wiederholt Zahlungsverzögerungen vorausge-gangen sind. Eine Kündigung ist somit nicht bereits deshalbunwirksam, weil zwischen der Abmahnung und dem Zugang derKündigung nur ein Zahlungstermin liegt, zu dem die Miete nichtpünktlich eingegangen ist. Denn insbesondere nach fortdauerndunpünktlichen Mietzahlungen muss das Verhalten des Mietersnach einer Abmahnung mit Kündigungsandrohung geeignetsein, das Vertrauen des Vermieters in eine pünktliche Zahlungs-weise wiederherzustellen. Solche Umstände liegen hier nicht vor,weil der Bekl. nicht auf die Abmahnung reagiert und sein Verhal-ten auch danach fortgesetzt hat. Damit hat er deutlich gemacht,dass er nicht bereit war, seine zögerliche Zahlungsweise ernsthaftund auf Dauer abzustellen.

Es mag sein, dass im Einzelfall Ausnahmen in Betracht kom-men können. Denkbar ist dies etwa in einem Bagatellfall (sov. Hase, NJW 2002, 2278, 2283, zu § 314 Abs. 2 BGB) oder wenndem Mieter u.U. noch eine Prüfungsfrist zuzubilligen ist (vgl.Staudinger/Emmerich, BGB, 2003, § 543 Rn 78 a.E.). Beides liegthier jedoch nicht vor.

Die vorstehenden Erwägungen gelten sinngemäß für die vomKl. hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung gem. § 573 Abs. 1Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Das Berufungsurteil ist nach alledem aufzuheben und zurneuen Verhandlung an das LG zurückzuverweisen. Hier wird zuprüfen sein, ob der Bekl. mit seiner unregelmäßigen Zahlungsweisedie vertraglich vereinbarten Fälligkeitstermine überschritten hat,so dass eine Vertragsverletzung vorliegt. Ohne die Einbeziehungder AVB des Kl. war dieser gem. § 551 Abs. 1 BGB aF nicht ver-pflichtet, die Miete monatlich im Voraus zu entrichten.

Sollten die AVB nicht einbezogen sein, so ist zu prüfen, ob dieParteien abweichend von § 551 BGB aF durch schlüssiges Handelneine Vereinbarung über die Fälligkeit der Miete jeweils zu Monats-beginn getroffen haben, indem der Kl. durch seinen Hinweis auf

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NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 368

369Neue Justiz 8/2006

die bisherigen unpünktlichen Mietzahlungen in seiner Kündi-gung im Febr. 2001 stillschweigend zum Ausdruck gebracht hat,dass er im Falle einer etwaigen Fortsetzung des Mietverhältnissesauf einer Zahlung zu Monatsbeginn besteht und daraufhin derBekl. die Miete über einen längeren Zeitraum tatsächlich jeweilszu Beginn des Monats gezahlt hat.

Sollte der Bekl. den Fälligkeitstermin überschritten haben, wirddas LG die gebotene Gesamtabwägung nachzuholen haben. Bei derhier gegebenen Sachlage spricht nichts dafür, dass eine etwaigeZahlungsunpünktlichkeit unverschuldet war. Der Bekl. hat sichlediglich darauf berufen, dass er regelmäßig erst zur Monatsmitte»liquide« sei. Der Senat hat bereits entschieden, dass sich der Mieterzwar u.U. auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe berufenkann (Urt. v. 16.2.2005, NZM 2005, 334 = NJ 2005, 315 [Leits.]).Abgesehen von Übergangszeiten wird es für den Mieter jedochi.d.R. vorhersehbar sein, wenn sein Arbeitslohn oder seine Arbeits-losenunterstützung u.U. erst zur Monatsmitte überwiesen werden.

Kommentar:

Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Sie bestätigt dieschon bisherige h.M. in Rspr. und Lit., dass auch wiederholtunpünktliche Zahlungen eine wesentliche Vertragsverletzungund damit einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellenkönnen (vgl. nur BGH, NJW-RR 1997, 203), und stellt klar, dassbei der Gesamtabwägung keine übersteigerten Anforderungengestellt werden dürfen.

Die Auffassung des BerufungsG, wonach in dieser Konstellationnicht einmal eine ordentliche Kündigung möglich sei, berück-sichtigt die Vermieterinteressen zu wenig. Es kommt weniger aufdessen konkrete Nachteile, sondern darauf an, ob das Vertrauens-verhältnis zwischen den Parteien zerstört ist (MünchKomm/Schil-ling, § 543 BGB Rn 12). Daneben dürfte das Vermieterinteresse aneiner pünktlichen Mietzahlung oft über den »Zinsverlust« beiverspäteter Zahlung hinausgehen. Nicht selten wird sein Interessean einem pünktlichen Zahlungseingang damit zusammenhängen,dass dieser gegenüber Dritten – z.B. finanzierende Banken – termin-liche Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen hat. Auch erfordernunpünktliche Mietzahler einen erhöhten Verwaltungsaufwand.

Ein Erfordernis von drei verspäteten Zahlungen nach derAbmahnung ist in diesem Zusammenhang zu pauschal. Gleichesgilt für die Auffassung des BerufungsG, bei der Gesamtabwägungdie Zahlungsverzögerungen vor der Abmahnung unberücksich-tigt lassen zu wollen. Woraus sonst als aus dem bisherigen Ver-halten des Mieters soll die »Zukunftsprognose« entwickelt werden,die in jeder Gesamtabwägung zur Unzumutbarkeit der Fortset-zung des Vertragsverhältnisses liegt?

Soweit es das Problem der Fälligkeit der Mietzinszahlung angeht,würde ohne vertragliche Vereinbarung § 551 BGB aF gelten.Danach war der Mietzins erst am Ende des jeweiligen Zeitab-schnitts zu zahlen. Diese Regelung bleibt auf alle vor dem1.9.2001 geschlossenen Mietverträge anwendbar (Art. 229 § 3Abs. 1 Nr. 7 EGBGB). Die Neuregelung des § 556b Abs. 1 BGB,wonach die Miete zu Beginn, spätestens bis zum dritten Werktageines jeweiligen Zeitabschnitts zu zahlen ist, gilt erst für ab dem1.9.2001 geschlossene Verträge. Da selbst ein möglicher still-schweigender Neuabschluss des Vertrags nach der Kündigung imFebr. 2001 vor diesem Termin liegt, kommt es in jeden Fall aufeine Fälligkeitsvereinbarung an.

Zu begrüßen ist die Klarstellung des BGH, dass der Mieter füreine pünktliche Mietzahlung einzustehen hat und sich grundsätz-lich nicht als »Entschuldigung« auf Zahlungsschwierigkeitenberufen kann. Daher ist jedem Mieter dringend zu raten, in Fällenauftretender Schwierigkeiten aktiv auf den Vermieter zuzugehen,

um vorübergehende Stundungen oder generell veränderte Fällig-keitstermine zu vereinbaren. Die Praxis zeigt, dass sich viele frist-lose Kündigungen im Vorfeld vermeiden lassen. So beraten einigeWohnungsgenossenschaften ihre Mieter und halten z.T. sogarspezielle Fallmanager vor.

Dr. Steffen Schreiber, wiss. Mitarbeiter, Universität Potsdam

� 02.6 – 8/06

Zwangsvollstreckung bei Betriebskostenabrechnungen

BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 – I ZB 94/05 (LG Berlin)

ZPO § 888

Die Verurteilung eines Vermieters, eine Betriebskostenabrech-nung zu erteilen, ist als Verurteilung zu einer nicht vertretbarenHandlung zu vollstrecken.

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu die Information in NJ 7/06, IV.

� 02.7 – 8/06

Schadensminderungspflicht des Geschädigten bei Mietwagen-kosten

BGH, Urteil vom 9. Mai 2006 – VI ZR 117/05 (LG Halle)

BGB § 249 Abs. 2 Satz 1

Zur Frage der Erforderlichkeit eines Mietwagentarifs im Rahmender Schadensabrechnung, wenn der Autovermieter nicht zwi-schen »Unfallersatztarif« und »Normaltarif« unterscheidet,sondern einen einheitlichen Tarif anbietet, der weit über demDurchschnitt der auf dem örtlichen Markt erhältlichen »Normal-tarife« liegt.

� 02.8 – 8/06

Rückabwicklung bzw. Neuberechnung eines Darlehensvertragszur Finanzierung einer Fondsbeteiligung

BGH, Urteil vom 9. Mai 2006 – XI ZR 119/05 (Kammergericht)

HTürWG § 1 Abs. 1 Nr. 1; VerbrKrG § 6 Abs. 2 Satz 4

a) Verneint das Berufungsgericht einen Kausalzusammenhangzwischen Haustürsituation und Abschluss des Darlehensvertragsneben dem zwischenzeitlichen Zeitablauf vor allem deshalb, weilder Verbraucher sein Widerrufsrecht hinsichtlich der mit derKreditaufnahme verbundenen Fondsbeteiligung nicht ausgeübthabe, so ist diese im Revisionsverfahren nur beschränkt über-prüfbare tatrichterliche Würdigung nicht zu beanstanden. b) § 6 Abs. 2 Satz 4 VerbrKrG gewährt dem Darlehensnehmerkeinen Anspruch auf Neuberechnung der geleisteten Teilzahlun-gen unter Aufschlüsselung der jeweiligen Zins- und Tilgungsan-teile, sondern verpflichtet die Bank nur zur Neuberechnung derHöhe der Teilzahlungen unter Berücksichtigung der auf 4% p.a.herabgeminderten Zinsen.

Anm. d. Redaktion: Zur jüngsten BGH-Rechtsprechung zum fremd-finanzierten Erwerb von Immobilien und Fondsanteilen siehe St. Fritscheauf S. 344 ff., in diesem Heft.

� 02.9 – 8/06

Keine Anwendung des SachenRBerG für Einräumung einesNotwegrechts

BGH, Urteil vom 5. Mai 2006 – V ZR 139/05 (LG Neubrandenburg)

Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 369

Neue Justiz 8/2006370

BGB §§ 95, 917, 918; SachenRBerG §§ 2, 116 Abs. 1

a) Der Besitzer eines zugangslosen Grundstücks kann nicht dieEinräumung eines Notwegrechts nach § 917 Abs. 1 BGB verlan-gen; das gilt auch dann, wenn der Besitzer Eigentümer vonScheinbestandteilen ist, die sich auf einem solchen Grundstückbefinden (Fortführung von RGZ 79, 116, 118). b) § 116 Abs. 1 SachenRBerG ist nicht anwendbar, wenn einGrundstück am 2.10.1990 zu Freizeitzwecken genutzt wurde(§ 2 Abs. 1 Satz 1 SachenRBerG).

Anm. d. Redaktion: Zu den Voraussetzungen für die Begründung vonDienstbarkeiten nach § 116 Abs. 1 SachenRBerG siehe BGH, Urt. v.24.2.2006, NJ 2006, 366 (bearb. v. Maskow), in diesem Heft.

� 02.10 – 8/06

Abrechnung von Betriebskostenvorauszahlungen bei Zwangs-verwaltung

BGH, Urteil vom 3. Mai 2006 – VIII ZR 168/05 (LG Berlin)

BGB § 556 Abs. 3; ZVG § 152 Abs. 2; ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4

a) Der Zwangsverwalter eines vermieteten Grundstücks hat beieinem im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Anordnung derZwangsverwaltung noch laufenden Mietverhältnis über die vomMieter geleisteten Betriebskostenvorauszahlungen auch für sol-che Zeiträume abzurechnen, die vor der Anordnung liegen. b) § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO ist – wie § 538 Abs. 1 Nr. 3ZPO aF – entsprechend anzuwenden, wenn das erstinstanzlicheGericht eine Stufenklage insgesamt abgewiesen hat, das Beru-fungsgericht hingegen dem Rechnungslegungs- oder Auskunfts-anspruch stattgibt (Fortführung von BGH, Urt. v. 24.5.1995 – VIIIZR 146/94, NJW 1995, 2229 mwN).

� 02.11 – 8/06

Verjährungsbeginn bei Ersatzanspruch des Vermieters

BGH, Urteil vom 15. März 2006 – VIII ZR 123/05 (LG Berlin)

BGB §§ 200, 548 Abs. 1 Satz 2

Die Verjährung der Ersatzansprüche des Vermieters beginnt nach§ 548 Abs. 1 Satz 2, § 200 Satz 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in demer die Mietsache zurückerhält (im Anschluss an Senat, BGHZ 162,30). Dies gilt auch dann, wenn der Mietvertrag erst später endet.

� 02.12 – 8/06

Verwertbarkeit eines gerichtlichen Abstammungsgutachtens

BGH, Urteil vom 1. März 2006 – XII ZR 210/04 (OLG Dresden)

ZPO §§ 355 Abs. 2, 372a, 387 analog, 640 Abs. 2 Nr. 2; BGB §§ 1600 Abs. 1 Nr. 1, 1600b Abs. 1 Satz 2; GG Art. 1, 2

a) Zur Verwertbarkeit eines gerichtlichen Abstammungsgutach-tens, das nicht hätte eingeholt werden dürfen, weil die Anfech-tung der Vaterschaft auf eine heimlich eingeholte DNA-Analysegestützt war (Fortführung der Senatsurteile BGHZ 162, 1, und v.12.1.2005 – XII ZR 60/03, FamRZ 2005, 342 = NJ 2005, 126 [Leits.]).b) Zu den prozessualen Möglichkeiten des Kindes, die Recht-mäßigkeit einer solchen Beweisanordnung durch Zwischenurteilklären zu lassen.

Anm. d. Redaktion: Der XII. Zivilsenat hatte am 12.1.2005 entschieden,dass eine ohne Zustimmung des Kindes bzw. seiner allein sorgeberech-tigten Mutter eingeholte sog. DNA-Vaterschaftsanalyse im Rahmen einer

Vaterschaftsanfechtungsklage nicht verwertet werden kann. Er hatte nunüber einen Fall zu entscheiden, in dem das OLG im Jahr 2004 – und damitvor Bekanntwerden dieser Rspr. – die gegenteilige Auffassung vertretenund deshalb ein Blutgruppengutachten eines öffentlich bestellten Sach-verständigen eingeholt hatte, demzufolge die Vaterschaft des Kl. ausge-schlossen war. Das OLG hatte festgestellt, dass der Kl. nicht der Vater sei.Mit seiner Revision machte das bekl. Kind geltend, das Gutachten sei inprozessordnungswidriger Weise erhoben worden. Dem ist der BGH nicht gefolgt: Auch unter Berücksichtigung der sog. fruitof the poisonous tree-Doktrin sei das Ergebnis einer gerichtlichen Beweis-aufnahme im Zivilprozess nicht schon deshalb unverwertbar, weil derBeweis nicht hätte erhoben werden dürfen. Bei der Abwägung der Grund-rechte beider Parteien brauchen hier die Rechte des Kl. – anders als beider Verwertung eines heimlich eingeholten DNA-Gutachtens – nichthinter den Grundrechten des Bekl. zurückstehen. Insoweit sei auch zuberücksichtigen, dass das Kind die Möglichkeit gehabt hätte, durch einZwischenurteil klären zu lassen, ob es sich dem Blutgruppengutachtenunterziehen müsse.

� 02.13 – 8/06

Maßgeblicher Preis bei Vertrag über Lieferung von Fernwärme

BGH, Urteil vom 15. Februar 2006 – VIII ZR 138/05 (OLG Brandenburg)

VO über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fern-wärme (AVBFernwärmeV) §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 Satz 2, 30 Nr. 1

a) Fernwärmeversorgungsunternehmen iSv § 1 Abs. 1 AVBFern-wärmeV sind auch Unternehmen, die Fernwärme nicht selbstherstellen, aber andere mit Fernwärme versorgen, die sie vonDritten beziehen. b) § 30 Nr. 1 AVBFernwärmeV findet keine Anwendung auf denEinwand des Abnehmers, die von dem Versorgungsunterneh-men geforderte Fernwärmevergütung entspreche nicht den fürgleichartige Versorgungsverhältnisse geltenden, wegen Fehlenseiner ausdrücklichen Preisvereinbarung gem. § 2 Abs. 2 Satz 2AVBFernwärmeV maßgeblichen Preisen.

� 02.14 – 8/06

Zustellung eines Beitragsbescheids bei Zwangsverwaltung

BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 – IX ZR 151/04 (LG Mühlhausen)

ZVG §§ 10 Abs. 1 Nr. 3, 152 Abs. 1, 155 Abs. 2; AO § 122 Abs. 1 u. 5

Der Bescheid über einen Herstellungsbeitrag zur anteilmäßigenFinanzierung der Investitionskosten der öffentlichen Entwässe-rungsanlagen ist nicht dem Zwangsverwalter, sondern demGrundstückseigentümer bekannt zu geben.

� 02.15 – 8/06

Frist für Rückzahlung einer Mietkaution

BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 – VIII ZR 71/05 (LG Berlin)

BGB § 551

Die Mietkaution sichert auch noch nicht fällige Ansprüche, diesich aus dem Mietverhältnis und seiner Abwicklung ergeben, understreckt sich damit auf Nachforderungen aus einer nach Been-digung des Mietverhältnisses noch vorzunehmenden Abrech-nung der vom Mieter zu tragenden Betriebskosten. Deshalb darfder Vermieter einen angemessenen Teil der Mietkaution bis zumAblauf der ihm zustehenden Abrechnungsfrist einbehalten,wenn eine Nachforderung zu erwarten ist.

Rechtsprechung Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 370

371Neue Justiz 8/2006

� 02.16 – 8/06

Keine Erhöhungsgebühr bei gerichtlicher Wohngeldverfolgung

Kammergericht, Beschluss vom 13. April 2006 – 1 W 108/06 (LG Berlin)

VV RVG Nr. 1008; WEG § 43

Keine Erhöhung der Verfahrensgebühr für den Verfahrens-bevollmächtigten einer Wohnungseigentümergemeinschaft imVerfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG.

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend ist das LG zu dem Ergebnis gelangt, dass sich dieVerfahrensgebühr für den Verfahrensbevollmächtigten der Ast.nicht nach Nr. 1008 VV RVG erhöht hat.

Das LG hat ausgeführt, dass der Verfahrensbevollmächtigte nicht– wie von Nr. 1008 VV RVG vorausgesetzt – mehrere Auftraggebergehabt habe. Ast. sei die Wohnungseigentümergemeinschaft gewesen,die nach der Entscheidung des BGH v. 2.6.2005, NJW 2005, 2061, alsteilrechtsfähig anzusehen sei. Der BGH habe ausdrücklich die Teil-rechtsfähigkeit bejaht, wenn – wie hier – die Wohnungseigentümer-gemeinschaft im Innenverhältnis gemeinschaftliche Beitragsansprüchegegen einzelne Wohnungseigentümer verfolge. Die Anwendung dieserEntscheidung scheitere auch nicht in zeitlicher Hinsicht, weil die Ent-scheidung des BGH allgemein spätestens im Monat Aug. 2005 bekanntgeworden sei und der Antrag der Ast. v. 1.9.2005 datiere.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfungstand. … Wenn § 43 Abs. 4 Nr. 1 WEG bestimmt, dass in allenFällen von Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft derWohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaft-lichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Woh-nungseigentümer untereinander sämtliche WohnungseigentümerBeteiligte am Verfahren sind, so ist dem zwar zu entnehmen, dassalle Wohnungseigentümer zwecks Wahrung ihrer Rechte von sichaus am Verfahren teilnehmen können oder vom Gericht hinzu-gezogen werden (Niedenführ/Schulze, WEG, 7. Aufl., Vor §§ 43 ff.Rn 65; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 6 Rn 5). Daraus ist jedoch nicht zufolgern, dass die Miteigentümer nur als Einzelpersonen amWohnungseigentumsverfahren beteiligt werden können und eineBeteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaft als solchevon Gesetzes wegen ausgeschlossen sein soll.

Vielmehr ist die Partei- und Beteiligungsfähigkeit der Woh-nungseigentümergemeinschaft hinsichtlich der das Verwaltungs-vermögen betreffenden Forderungen und Verbindlichkeiten dieverfahrensrechtliche Konsequenz der Teilrechtsfähigkeit derWohnungseigentümergemeinschaft (BGH, NJW 2005, 2061,2065; OLG München, NJW-RR 2005, 1326). Denn die Beteilig-tenfähigkeit, die der Parteifähigkeit im Zivilprozess entspricht(Niedenführ/Schulze, aaO, Vor §§ 43 Rn 72; Jansen, aaO, § 13,Rn 2), folgt aus der Rechtsfähigkeit (§ 50 Abs. 1 ZPO).

Tritt aber die Wohnungseigentümergemeinschaft in einem Ver-fahren zur Durchsetzung ihrer Beitragsforderungen zum gemein-schaftlichen Vermögen als Ast. auf, ist § 43 Abs. 4 Nr. 1 WEGGenüge getan. Denn mit der Wohnungseigentümergemeinschaftals Ast. und dem in Anspruch genommenen Wohnungseigen-tümer als Ag. sind alle Mitglieder der Gemeinschaft, mithin sämt-liche Wohnungseigentümer am Verfahren beteiligt und in derLage, ihre Rechte zu wahren.

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das LG … nur dieWohnungseigentümergemeinschaft als Ast. und mithin alleinigeAuftraggeberin ihres Verfahrensbevollmächtigten angesehen hat.Der Beschluss des BGH v. 2.6.2005 (V ZB 32/05) ist im 29. Heft derNJW, d.h. in der 29. Woche (18.-24.7.2005) des Jahres 2005,erschienen und konnte daher bei der Einleitung des Verfahrensgem. § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG am 1.9.2005 als allgemein bekanntvorausgesetzt werden. …

� 02.17 – 8/06

Sachenrechtsbereinigung und Anfechtung des entschädigungs-losen Heimfalls bei Insolvenz des Erbbauberechtigten

OLG Naumburg, Urteil vom 14. Februar 2006 – 3 U 35/05 (LG Magde-burg) (Revision eingelegt; Az.: IX ZR 59/06)

InsO §§ 119, 133 Abs. 1 Satz 1; SachenRBerG § 42

1. Auch wenn ein Erbbaurecht in Erfüllung eines Anspruchs nachdem SachenRBerG eingeräumt wurde, kann zu seinem Inhalt derHeimfall bei Insolvenz des Erbbauberechtigten unter Ausschlusseiner Vergütung des Erbbaurechts gehören. § 119 InsO stehteiner solchen Regelung nicht entgegen.2. Akzeptiert der Nutzer in Erfüllung seines investitionsbeding-ten Anspruchs die Einräumung eines Erbbaurechts, das inhaltlichüber § 42 SachenRBerG hinaus geht und Heimfallregelungen fürden Fall der Insolvenz des Erbbauberechtigten enthält, so kannder Insolvenzverwalter diese, von vornherein auf eine Gläubi-gerbenachteiligung angelegte Rechtshandlung nach § 133 Abs. 1Satz 1 InsO anfechten. Die Anfechtung führt dazu, dem Eigen-tümer den Heimfall zu versagen.

Problemstellung:

Nach der Darstellung des Sachverhalts lag der Entscheidung desOLG ein Rechtsstreit in der Vorinstanz zugrunde, in dem dieGrundstückseigentümerin ein Aussonderungsrecht gem. § 47InsO gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht hatte. DasAussonderungsrecht gründete sich nach Auffassung der Kl. auf diewirksame Vereinbarung eines entschädigungslosen Heimfallsgem. § 32 Abs. 1 Satz 2 ErbbauVO für den Fall der Insolvenz desErbbauberechtigten. Grundlage der Vereinbarung war im Übrigenein Anspruch des Erbbauberechtigten als Nutzer gem. §§ 15, 32,42 ff. SachenRBerG, der zu der Vereinbarung des Erbbaurechts-vertrags mit der o.g. Besonderheit des entschädigungslosen Heim-falls führte.

Das LG hat der Klage der Grundstückseigentümerin stattge-geben. Es sah in der Vereinbarung eines entschädigungslosenHeimfalls bei Insolvenz des Erbbauberechtigten keine treu- odersittenwidrige Abmachung, so dass der Heimfall wirksam ausgeübtwerden konnte. Die §§ 103 ff. InsO (insbes. die Kündigungssperrenach §§ 112, 119 InsO) finden nach Ansicht des LG keine Anwen-dung auf Erbbaurechtsverhältnisse. Die Vorinstanz hat auch einAnfechtungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 134 InsO(unentgeltliche Verträge) verneint, da die Grundstückseigen-tümerin nach § 33 ErbbauVO beim Heimfall verpflichtet sei,Grundpfandrechte zu übernehmen, was sich als eine Form derGegenleistung darstelle.

In seiner Berufung machte der Insolvenzverwalter die Unzu-lässigkeit der Heimfallregelungen auf Grundlage des § 119 InsOiVm dem Rechtsgedanken des § 112 InsO geltend. Wenn dieseRegelungen bereits für Miet- oder Pachtverhältnisse gelten, dannerst recht für Dauerrechtsverhältnisse wie das Erbbaurecht. Die Kl.hat eingewendet, dass es den Parteien freistehe, die Vorausset-zungen des Heimfalls zu vereinbaren, so dass die Insolvenz denHeimfall unberührt lasse.

Das OLG hat die Klage auf Aussonderung abgewiesen und dieRevision zugelassen.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Das OLG stimmt im Wesentlichen der Argumentation des vor-instanzlichen Gerichts zur Zulässigkeit der Heimfallregelung imfraglichen Vertrag zu. Es sieht in den Regelungen der §§ 42 ff.SachenRBerG kein Hindernis für die Vereinbarung eines Heim-fallrechts, zumal § 60 Abs. 1 SachenRBerG auf die ErbbauVO,

Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 371

Neue Justiz 8/2006372

mithin auch auf deren § 32 Abs. 1 verweist und der Grundsatz derVertragsfreiheit zwischen Eigentümer und Nutzer nach § 3 Abs. 1Satz 2 SachenRBerG gilt. Auch die Unentgeltlichkeit des Heimfallswird vom OLG nicht beanstandet, zumal die Grundstückseigen-tümerin in diesem Fall das wirtschaftliche Risiko der weiterenVerwertung des Grundstücks und die öffentlichen Lasten trägtund ihr der weitere Erbbauzins entgeht. Zudem ist nichts dafürersichtlich, dass die Kl. sich beim Vertragsabschluss sittenwidrigiSd § 138 Abs. 1 BGB verhalten hat. Der Nutzer (Gemeinschuld-ner) hatte nach den Bestimmungen des SachenRBerG einenAnspruch auf die Bestellung eines Erbbaurechts und daher keineschwächere Position als die Grundstückseigentümerin. Er musstesich nicht auf die dann vereinbarte Entschädigungslosigkeit desHeimfalls einlassen.

Eine andere Auffassung als das LG vertritt das OLG zur Frage derAnfechtbarkeit der Heimfallvereinbarung. In Abgrenzung zuanderen Entscheidungen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.3.2000,ZinsO 2001, 714; Urt. v. 21.5.2000, NJW-RR 2002, 413) hält es beieinem nach dem SachenRBerG bestellten Erbbaurecht eine Gläu-bigerbenachteiligung dann für gegeben, wenn der Erbbauberech-tigte in Aufgabe einer Rechtsposition, die ihm das SachenRBerGgibt, den Heimfall für den Insolvenzfall entschädigungslos akzep-tiert.

Der Erbbauvertrag erfüllt die Voraussetzung der »Rechtshand-lung« nach § 129 Abs. 1 InsO, wobei die Akzeptanz des Erbbau-rechts in der vorliegenden Form durch den Erbbauberechtigten(Gemeinschuldner) die Anfechtbarkeit begründet. Damit wurdenach Ansicht des OLG »direkt vermindernd auf die Haftungs-masse Einfluss genommen. ... Die Masse war durch die dinglicheWirkung des Heimfalls geschmälert … Der konkrete Insolvenz-bezug der Heimfallbestimmung verleiht dem Vertragsabschlussangesichts des zu ihm führenden Bereinigungsanspruchs derGemeinschuldnerin auf beiden Seiten eine Finalität (vgl. hierzuBGHZ 162, 143 = NJ 2005, 370 [bearb. v. Biehl] ), die auf Vorsatzund dessen Kenntnis iSv § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO schließen lässt.«

Die Anfechtbarkeit des Geschäfts gem. § 133 Abs. 1 InsO führtnach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO zu einer Rückgewährungsver-pflichtung der Grundstückseigentümerin. Da eine Aufhebung derErbbaurechte und die Wiedereinräumung der vorherigen Rechts-position unter Berücksichtigung von § 59 Abs. 2 SachenRBerG(Erlöschen des Nutzungsrechts) nicht möglich ist, haftet dieGrundstückseigentümerin nach § 143 Abs. 1 Satz 2 iVm §§ 819Abs. 1, 818 Abs. 4, 275 Abs. 4, 285 Abs. 1 BGB auf die Verschaf-fung des Erbbaurechts. Aus § 242 BGB ist es ihr daher verwehrt,den Heimfall einzufordern, weil sie das erlangte Erbbaurechtsogleich wieder rückübertragen müsste. Bei Anwendung der vomBGH entwickelten Auffassung, wonach die Anfechtung des Erb-baurechts die Wirkung einer nur auf den Heimfall bezogenenTeilanfechtung hat, die Anfechtungswirkung also vom Ausmaßder Gläubigerbenachteiligung bestimmt wird, gelangt man zudem gleichen Ergebnis.

Kommentar:

Das OLG versucht, einen Interessenausgleich zwischen den Gläu-bigern und dem Grundstückseigentümer herzustellen. Ob dieEntscheidung der – zwischenzeitlich eingelegten – Revision stand-hält, wird davon abhängen, ob der BGH die rechtliche Konstruk-tion, die sich auf die Anfechtbarkeit der Heimfallvereinbarungbezieht, für vertretbar hält. Hier gibt es mehrere Probleme, dieerörterungswürdig sind.

Zum einen kann man wohl nicht ohne weiteres davon ausge-hen, dass die Parteien beim Abschluss der Vereinbarung vonvornherein eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung iSv § 133

Abs. 1 InsO beabsichtigten. Das OLG zieht diese Schlussfolgerungaus der »Finalität«, d.h. wohl dem angezielten Ergebnis der Ver-einbarung. Das würde zumindest die Schlussfolgerung zulassen,dass jede Vereinbarung, die darauf zielt, die Rechte eines Ver-tragspartners im Falle der Insolvenz des anderen gegenüber demInsolvenzverwalter und den Gläubigern zu schützen, mit demVerdacht der vorsätzlichen Schädigung der Gläubiger belastet ist.Damit werden die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 Satz 1, dieden (vom Insolvenzverwalter zu beweisenden) Vorsatz desSchuldners zur Gläubigerbenachteiligung und die Kenntnis die-ses Vorsatzes durch den Vertragspartner fordern, in Frage gestellt(zu den subjektiven Anforderungen vgl. BGH, WM 2004, 1587 =MDR 2004, 1318).

Die Absicht der Gläubigerbenachteiligung kann zwar zur Über-zeugung des Gerichts gem. § 286 ZPO aus bestimmten, aus der»Lebenserfahrung abgeleiteten Grundsätzen« (so BGH, WM 2003,1923 = NJW 2003, 3560) gewonnen werden, z.B. bei Zahlungenan Begünstigte, die keinen Rechtsanspruch darauf haben (inkon-gruente Geschäfte), oder die Zahlung an bestimmte Gläubiger, umNachteile (Stellung eines Insolvenzantrags) für sich abzuwenden(BGH, ebenda). Jedoch ist sie an bestimmte Umstände gebunden,die einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mitder drohenden Zahlungsunfähigkeit haben (vgl. auch OLG Ham-burg, OLGR Hamburg 2006, 146; OLG Frankfurt/M., ZInsO 2005,548; OLG Köln, OLGR Köln 2004, 62). Der Vorsatz kann nichtallein aufgrund der Ermittlung einer objektiven Gläubigerbenach-teiligung festgestellt werden (MünchKomm/Kirchhof, Bd. II,2002, Rn 23 mwN).

Die genannte Schlussfolgerung des OLG und ihre Herleitungaus dem rechtlichen Ergebnis der Vereinbarung ist erkennbar derSchwierigkeit geschuldet, Vorsatz der Parteien in Bezug auf dieSchädigung der Gläubiger positiv festzustellen. Ob sich dieseSchwierigkeit mit der vom OLG gewählten Argumentationumgehen lässt, kann auch unter Berücksichtigung des weiterenWortlauts von § 133 Abs. 1 InsO bezweifelt werden. Denn dieseNorm stellt in Satz 2 eine Vermutung auf, die dem Gericht dieBeweisprobleme etwas erleichtern soll. Die Vermutung des Sat-zes 2 knüpft aber ebenfalls an die subjektiven Voraussetzungenan, nämlich an die Kenntnis des Vertragspartners von der dro-henden Insolvenz des Schuldners und der Benachteiligung derGläubiger durch die Handlung des Schuldners. Auch bei diesererleichterten Variante reicht die bloße Wirkung der Handlung fürdie Anfechtbarkeit nicht aus. Es müssen Umstände hinzutreten,aus denen sich die drohende Zahlungsunfähigkeit ableiten lässt,wie etwa erhebliche Zahlungsrückstände und die Kenntnis, dasses noch andere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt (vgl.BGH, WM 2004, 669 = NZI 2005, 690).

Darüber hinaus kann nicht übersehen werden, dass die Hürden,die § 133 Abs. 1 InsO errichtet, im Zusammenhang mit demAussonderungsrecht des § 47 InsO auch dem Schutz der RechteDritter dienen sollen. Diese gesetzgeberische Intention könntedurch Konstruktionen, wie sie das OLG verwendet, in Fragegestellt werden. Die Ausübung des Heimfallrechts hat dinglicheWirkung (BGH, NJW 1985, 1464), nach a.A. ist sie einem durchVormerkung gesicherten Anspruch gleichzustellen (OLG Karls-ruhe, NJW-RR 2002, 413 mwN). Die Argumentation des OLGKarlsruhe in zwei Entscheidungen (ebenda und ZInsO 2001, 714)macht diesen erheblichen qualitativen Unterschied zu denschuldrechtlichen Verträgen, für die der § 112 InsO im Insol-venzfall eine Kündigungssperre vorsieht, deutlich. Weshalb dasZustandekommen des Erbbaurechts aus dem Anspruch des Nut-zers nach dem SachenRBerG zu einer anderen Bewertung derHeimfallvereinbarung führen soll, ist nicht nachvollziehbar,

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NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 372

373Neue Justiz 8/2006

denn das SachenRBerG schränkt die Vertragsfreiheit der Parteiennach der ErbbauVO – wie das OLG selbst feststellt – nicht grund-sätzlich ein.

Letztlich ist auch dann, wenn man die Argumentation des OLGfür tragbar hält, zu fragen, ob die Konsequenz nicht zu weit geht.Denn man wird schwerlich etwas gegen einen Heimfall beiInsolvenz des Erbbauberechtigten einwenden können, wenndieser gegen angemessene Entschädigung vereinbart wird. Dasspricht dafür, die Wirkung der Anfechtung nur auf die Entschä-digungslosigkeit der Vereinbarung zu beschränken, weil dieBenachteiligung der Gläubiger gerade darin begründet ist undnicht in dem Heimfall an sich (zur Beschränkung der Anfecht-barkeit vgl. auch BGHZ 124, 76 = NJW 1994, 449).

Literaturhinweis:

Zu den Voraussetzungen der Gläubigerbenachteiligung vgl. BGHZ124, 76; 114, 315. Zu den Voraussetzungen des Vorsatzes vgl.Braun (Hrsg.), InsO, Komm., 2002, § 133 Rn 9 u. 13. ZumAnwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO: Gottwald (Hrsg.),Insolvenzhdb., 2001, Rn 12 ff.

Prof. Dr. Ingo Fritsche, Fachhochschule für Rechtspflege NRW

� 02.18 – 8/06

Unverschuldete Säumnis des Rechtsanwalts bei Wahrnehmungeines Gerichtstermins

OLG Rostock, Urteil vom 28. April 2006 – 3 U 163/05 (LG Neubrandenburg) (Revision eingelegt; Az.: X ARZ 177/06)

ZPO §§ 139, 337, 514, 538 Abs. 2 Nr. 6, 543 Abs. 2 Nr. 1, 717

1. Die erweiterte Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte bringtes mit sich, dass sie ständig in entfernten Gerichten Verhand-lungstermine wahrzunehmen haben. Dem geschäftlich reisendenRechtsanwalt ist daher grundsätzlich zuzubilligen, bei Reisendurch Deutschand die zeitsparende Nutzung des Flugzeugs inseine Reiseplanung einzubeziehen.2. Für die Beurteilung einer unverschuldeten Säumnis ist derMaßstab des Verschuldens durch das Gericht nicht überhöhtanzulegen. Die Sorgfalt des Anwalts muss sich daran messenlassen, welche Maßnahmen er in der jeweiligen Situation zuergreifen veranlasst war. (Leitsätze der Redaktion)

Anm. d. Redaktion: Das OLG hat die – zwischenzeitlich eingelegte –Revision wegen der grundsätzlich bedeutsamen Frage, welche Anfor-derungen an die Reiseplanung eines Rechtsanwalts insbesondere mitBlick auf die Nutzung von Flugverbindungen zu stellen sind, zugelassen;Rspr. sei dazu bislang nicht ersichtlich.

� 02.19 – 8/06

Auslegung eines Gebäudeversicherungsvertrags

OLG Jena, Urteil vom 22. März 2006 – 4 U 800/04 (LG Erfurt) (Revision eingelegt; Az.: IV ZR 108/06)

VVG §§ 59 Abs. 2 Satz 1, 67 Abs. 1

1. Bei durch einen Mieter verursachten Schäden am Gebäude(der Mietwohnung) steht dem den Schaden regulierendenGebäudeversicherer kein Direktanspruch gegen den Haftpflicht-versicherer des Mieters zu. Ein Anspruch kommt allenfalls aus§ 67 Abs. 1 VVG in Betracht, wenn seitens des Gebäudeversiche-rers auch ein Anspruch gegen den den Schaden verursacht haben-den Mieter selbst besteht. Scheidet ein solcher aber wegen eineskonkludenten Regressverzichts aus, entfällt auch ein Anspruch

aus § 67 Abs. 1 VVG gegen den Haftpflichtversicherer desMieters. 2. Ein solcher konkludenter Regressverzicht ergibt sich ausergänzender Vertragsauslegung des Gebäudeversicherungs-vertrags für die Fälle, in denen der Mieter einen Schaden an demGebäude (nur) durch einfache Fahrlässigkeit verursacht. Dieseallgemeine ergänzende Vertragsauslegung hängt nicht davonab, ob der Mieter im Einzelfall eine Haftpflichtversicherungabgeschlossen hat; d.h. der Regressverzicht besteht unabhängigvom Abschluss einer Haftpflichtversicherung. 3. Allein aus dieser Regressbeschränkung ergibt sich noch keinzureichender Anhaltspunkt für eine Einbeziehung des Sach-ersatzinteresses des Mieters in die Gebäudeversicherung (desVermieters), also keine versicherungsmäßige Deckung desHaftpflichtrisikos (des Mieters), so dass auch aus dem Gesichts-punkt der Doppelversicherung ein auszugleichender Anspruchdes Gebäudeversicherers gegenüber dem Haftpflichtversicherer– aus § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG – ausscheidet. Daher liegt wederNeben- noch Doppelversicherung zwischen der Sachversiche-rung des Eigentümers und der Haftpflichtversicherung des Schä-digers vor, wenn nicht hinreichend konkrete Anhaltspunkte – z.Bdurch Sondervereinbarungen – wenigstens im Wege der ergän-zenden Vertragsauslegung ergeben, dass in eine reine Sachver-sicherung (Gebäudeversicherung) auch ein Sachersatzinteressedes Mieters miteinbezogen worden ist.

Anm. d. Redaktion: Das OLG hat die – zwischenzeitlich eingelegte –Revision zugelassen, weil die Frage, ob eine analoge Anwendung des § 59Abs. 2 VVG auf Fallgestaltungen wie vorliegend möglich ist, vor dem Hin-tergrund des stillschweigenden Regressverzichts ungeklärt ist. Zudemgehe das OLG München (Recht und Schaden [r+s] 2005, 107, unterBezugnahme auf BGH, VersR 1976, 847, und Prölss/Martin/Kollhosser,VVG, 27. Aufl., § 59 Rn 18) von einem Direktanspruch des Gebäude-versicherers gegen den Haftpflichtversicherer aus, so dass die Sicherungeiner einheitlichen Rspr. eine Entscheidung des BGH erfordere.

� 02.20 – 8/06

Duldung von Rückbaumaßnahmen durch Mieter

Kammergericht, Urteil vom 21. März 2006 – 4 U 97/05 (LG Berlin)(rechtskräftig)

BGB § 1004 Abs. 1

Mieter einer Eigentumswohnung sind dann Zustandsstörer iSd§ 1004 BGB, wenn sie durch ihre Weigerung, den Rückbau derentgegen den Regeln der Wohnungseigentümergemeinschaftvom Vermieter durchgeführten Baumaßnahmen zu dulden, deneigentumsbeeinträchtigenden rechtswidrigen Zustand aufrecht-erhalten. Der hieraus folgende Beseitigungsanspruch ist daraufgerichtet, dass die Mieter die von einem anderen Wohnungs-eigentümer im Wege der Ersatzvornahme beabsichtigten Rück-baumaßnahmen zu dulden verpflichtet sind (entgegen OLGMünchen, Urt. v. 10.12.2002 – 5 U 4733/02, NZM 2003, 445).

Anm. d. Redaktion: Die Kl. nahm die Bekl. auf Duldung von Rückbau-maßnahmen in Anspruch. Die Kl. und der Streithelfer sind Miteigentümereiner Wohneigentumsanlage. Der Streithelfer hatte als Eigentümer aneinigen Wohneinheiten Balkone und Wintergärten errichten lassen, ohnedie erforderliche Zustimmung aller Wohnungseigentümer einzuholen.Mit bestandskräftigem Beschluss des KG wurde der Streithelfer verpflich-tet, die Balkone und Wintergärten zu entfernen und den ursprünglichenZustand wiederherzustellen. Da er dieser Verpflichtung nicht nachge-kommen ist, will die Kl. die Rückbaumaßnahmen im Wege der Ersatz-vornahme nach § 887 ZPO vornehmen. Die Bekl. weigerten sich als

Bürger l i ches Recht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 373

Neue Justiz 8/2006374

Mieter, den Rückbau zu dulden. Das LG hat die Bekl. verurteilt, den Rück-bau der angebrachten Wintergärten und Balkone und die Herstellung desursprünglichen Zustands durch freischwebende Balkone in analogerAnwendung des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGBzu dulden. Das KG hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen und die – nicht ein-gelegte – Revision zugelassen. Neben der Abweichung vom Urteil desOLG München habe die Rechtssache auch grundsätzliche Bedeutunghinsichtlich der Frage, ob den Interessen des Miteigentümers an derWiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands am Gemeinschafts-eigentum der Vorrang gegenüber den Interessen von Mietern an derAufrechterhaltung des von diesen nicht geschaffenen rechtswidrigenZustands einzuräumen ist.

� 02.21 – 8/06

Voraussetzungen für Gegendarstellungsanspruch in der Presse

OLG Naumburg, Urteil vom 25. Januar 2006 – 6 U 149/05 (LG Halle)(rechtskräftig)

LandespresseG § 10

1. In § 10 Abs. 1 des PresseG für das Land Sachsen-Anhalt (Landes-presseG) ist der Gegendarstellungsanspruch der Person geregelt,die durch eine in einem Druckwerk aufgestellte Tatsachen-behauptung betroffen ist. 2. Der verantwortliche Redakteur oder der Verleger kann denAbdruck einer Gegendarstellung in der Presse nicht nur nach § 10Abs. 2 Satz 1 LandespresseG verweigern, sondern auch dann,wenn die betroffene Person kein berechtigtes Interesse amAbdruck einer Gegendarstellung hat. 3. Die Einwendung des fehlenden berechtigten Interesses istweder durch den Wortlaut des § 10 LandespresseG noch nachdessen Sinn und Zweck ausgeschlossen. 4. Der Ausschluss des Gegendarstellungsanspruchs mangelsberechtigten Interesses ist zwar im Gegensatz zu den Presse-gesetzen der meisten anderen Bundesländer in § 10 LandespresseGnicht ausdrücklich erwähnt. Die Einwendung des fehlendenberechtigten Interesses ist indes aus dem allgemeinen Rechts-grundsatz abzuleiten, dass die Durchsetzung eines Anspruchsohne berechtigtes Interesse grundsätzlich rechtsmissbräuchlichist. Die Rechtsverfolgung verdient in solchen Fällen keinenRechtsschutz. 5. Daraus folgt, dass nicht die von der Presseveröffentlichungbetroffene Person die Tatsachen darlegen und beweisen muss,die ihr berechtigtes Interesse begründen. Vielmehr muss derverantwortliche Redakteur oder der Verleger die Umständedarlegen und beweisen, aus denen das Gericht auf das fehlendeberechtigte Interesse der betroffenen Person schließen kann.

� 02.22 – 8/06

Vollstreckungsunterwerfung bei einem Realkreditvertrag

Kammergericht, Urteil vom 8. November 2005 – 4 U 175/04 (LG Berlin)(Revision eingelegt; Az.: XI ZR 299/05)

HTürWG §§ 1, 3 Abs. 1; VerbrKrG §§ 3, 9 Abs. 2, 10

Zur Reichweite einer Sicherungsvereinbarung und einer persön-lichen Haftungsübernahme mit Vollstreckungsunterwerfungnach wirksamen Widerruf eines Realkreditvertrags.

Anm. d. Redaktion: Zu dieser Entscheidung siehe auch den Beitrag vonSt. Fritsche zur jüngsten Rechtsprechung zum fremdfinanzierten Erwerbvon Immobilien und Fondsanteilen auf S. 344 ff. (346 mit Fn 38, 349mit Fn 79 u. 86), in diesem Heft.

04 VERWALTUNGSRECHT

� 04.1 – 8/06

Abstandsflächenverletzung einer Garage und Nachbarschutz

OVG Bautzen, Urteil vom 9. März 2006 – 1 B 526/04 (VG Dresden)(rechtskräftig)

SächsBO §§ 6 Abs. 4, 80 Satz 1, 90 Abs. 1 Satz 3, §§ 6 Abs. 5 Satz 1u. Abs. 11, 7 Satz 1, 77 Satz 1 aF

1. Giebelflächen sind nach § 6 Abs. 4 SächsBO bei der Ermittlungder Wandhöhe vollständig zu erfassen.2. Liegen die Voraussetzungen des »Garagenprivilegs« nach § 6Abs. 11 Satz 1 Nr. 1 SächsBO aF nicht vor, führt die errichteteGarage zu einer Abstandsflächenverletzung im Umfang vonjedenfalls 3 Metern (§ 6 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SächsBO aF).

Problemstellung:

Der Kl. errichtete auf seinem mit einem Einfamilienhaus bebau-ten Grundstück im Jahre 1998 eine zum benachbarten Grund-stück grenzständige 6 m lange und 5,85 m breite Garage mit einerFirsthöhe von 5,87 m (3,23 m Wand + 2,64 m Giebel) bzw. 4,90 m(2,26 m Wand wegen Geländeaufschüttung). Ihr Satteldach hateine Neigung von 41 bis 45 Grad. Die beigel. Nachbarn waren beider Erteilung ihres Einverständnisses zum Bau der Garage davonausgegangen, dass eine grenzüberschreitende Bebauung und eineBeeinträchtigung ihrer Interessen nicht stattfindet.

Der Kl. zeigte den Bau der Garage an und beantragte eineBefreiung von den Festsetzungen des Vorhaben- und Erschlie-ßungsplans, die versagt wurde. Mit der Begründung, die Garageverstoße gegen § 6 SächsBO und gegen die Festsetzungen desVorhaben- und Erschließungsplans wurde der Kl. zur Beseitigungder Garage verpflichtet.

Nach erfolglosen Widersprüchen gegen die Versagung derBefreiung und die Beseitigungsanordnung erhob der Kl. Klage mitder Begründung, er müsse aufgrund des Garagenprivilegs aus § 6Abs. 11 SächsBO aF keine Abstandsfläche einhalten. Maßgeblichfür die Privilegierung sei statt der First- allein die Wandhöhe iSv§ 6 Abs. 4 Satz 2 SächsBO aF, die bei der den Beigel. zugewandtenSeite nur 2,26 m betrage. Die Beigel. hätten sich zudem mit derÜbernahme der Abstandsflächen einverstanden erklärt; außer-dem fehle es ihr an einem Abwehrrecht, wenn die Abstandsflächenur geringfügig überschritten werde und sich dies auf die Bebau-ung des Nachbargrundstücks nicht spürbar auswirke.

Das VG hob die Beseitigungsanordnung auf, da der Vorhaben-und Erschließungsplan zwischenzeitlich aufgehoben worden warund auch eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Auf-fassung des Gerichts nicht feststellbar sei. Die 6 m lange Garagedes Kl. unterschreite mit einer mittleren Wandhöhe von 2,75 mdie gem. § 6 Abs. 11 Nr. 1 Satz 1 SächsBO aF zulässige mittlereWandhöhe von 3 m.

Die Berufung des Bekl. hatte Erfolg.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Das OVG kommt zu dem Ergebnis, dass die Beseitigungsanord-nung rechtmäßig war. Die vom Kl. errichtete Garage verstößtgegen § 6 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SächsBO aF, da sie nicht dem Gara-genprivileg des § 6 Abs. 11 Nr.1 SächsBO aF unterfällt und alsgrenzständige bauliche Anlage nicht den Mindestabstand von3 m zum Grundstück der Beigel. einhält.

Die aktuelle Fassung der SächsBO enthält keine günstigereRegelung (§ 90 Abs. 1 Satz 3 SächsBO) für den Kl., denn aus derentfallenen Anrechnungsregelung zu Giebelflächen in § 6 Abs. 4

Rechtsprechung

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 374

375Neue Justiz 8/2006

Satz 4 Nr. 2c SächsBO aF lässt sich ihre Nichtberücksichtigungnicht ableiten. Ohne gesonderte Kennzeichnung handelt es sichbei den Giebelflächen um Wandflächen (vgl. Dirnberger, in: Jädeu.a., Bauordnungsrecht Sachsen, Stand Nov. 2005, § 6 Rn 32:»Außenwände mit geneigtem oberen Wandabschluss«), die nach§ 6 Abs. 4 SächsBO nF vollständig zu erfassen sind (vgl. Dammert,in: ders., Die neue sächsische Bauordnung, 2. Aufl. 2005, § 6Rn 37). Ausgehend von der für den Kl. günstigeren Berechnungist zu der Wandhöhe von 2,26 m eine Giebelfläche von 2,64 mim Umfang von einem Drittel gem. § 6 Abs. 4 Satz 4 Nr. 2cSächsBO aF, d.h. von 0,88 m zu berücksichtigen, was zu einerHöhe von 3,14 m führt. Damit überschreitet die Garage die für dasGaragenprivileg nach § 6 Abs. 11 SächsBO aF maximal zulässigeHöhe von 3 m um 14 cm, so dass der Mindestabstand von 3 mnach § 6 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SächsBO aF einzuhalten wäre.

Dieser Verstoß ist auch nicht wegen § 7 Satz 1 SächsBO unbe-achtlich, wonach sich Abstände und Abstandsflächen ganz oderteilweise auf Nachbargründstücke erstrecken können, wenn derNachbar gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich zustimmt,dass sie nicht überbaut und auf die auf diesem Grundstück erfor-derlichen Abstände oder Abstandsflächen nicht angerechnetwerden oder sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nichtüberbaut werden können.

Eine Einverständniserklärung der beigel. Nachbarn gegenüberder bekl. Bauaufsichtsbehörde, aus der hervorgeht, dass sie dievom Kl. auf ihrem Grundstück in Anspruch genommeneAbstandsfläche selbst nicht überbauen, wurde nicht abgegeben.Der Erklärung gegenüber dem Kl. lässt sich ein Wille zur Über-nahme der Abstandsflächen nicht entnehmen. Es liegt auchkein Fall rechtlich gesicherter Unüberbaubarkeit iSv § 7 Satz 12. Alt. SächsBO aF der durch die Garage des Kl. in Anspruchgenommenen Abstandsflächen auf dem Nachbargrundstück vor.

Die Bekl. hatte keinen Anlass, die Erteilung einer Befreiungnach § 68 Abs. 3 SächsBO aF ohne Antrag des Kl. von Amts wegenzu überprüfen.

Die Anordnung der vollständigen Beseitigung der Anlage istverhältnismäßig, da ein Teilabbruch der Giebelwand zunächsteinen baurechtswidrigen Zustand hinterließe. Zur Verhinderungeines vollständigen Abbruchs ist es Aufgabe des Kl., durch Vorlagevon vermaßten Bauvorlagen nachzuweisen, auf welche Weise errechtmäßige Zustände herzustellen gedenkt.

Die Verletzung der Nachbarrechte ist auch nicht geringfügig, dadie zulässige Wandhöhe nicht lediglich um 14 cm überschrittenwurde. Die mangels Garagenprivilegs einzuhaltende Mindestab-standsfläche von 3 m gem. § 6 Abs. 5 Satz 1 SächsBO wird wegender Grenzständigkeit der Garage um mindestens 3 m verfehlt.Wegen des Überdeckungsverbots nach § 6 Abs. 3 Satz 1 SächsBO aFwird die betroffene Grundstücksfläche grundsätzlich einer bau-lichen Nutzung entzogen und darf ihrerseits nicht für eigeneAbstandsflächen in Anspruch genommen werden. Da die Erklä-rung der Beigel. gegenüber dem Kl. weder eine Duldung nocheinen Rechtsverzicht enthält, kann von einer Verwirkung dernachbarlichen Abwehrrechte nicht ausgegangen werden. Siegingen in ihrer Erklärung vielmehr ausdrücklich davon aus, dasseine grenzüberschreitende Bebauung und Beeinträchtigung ihrerInteressen nicht stattfindet. Letztere liegt aber mit der Nicht-einhaltung der Mindestabstandsflächen vor.

Kommentar:

Die Entscheidung enthält zwar nichts Neues, dafür aber einigeKlarstellungen zum Abstandsflächenrecht und dem damit ver-bundenen Nachbarschutz.

Das betrifft u.a. den Begriff der Wandhöhe in § 6 Abs. 4SächsBO nF. Die Regelung des Gesetzgebers, wonach die Höhevon Dächern mit einer Neigung von weniger als 70 Grad zu einemDrittel der Wandhöhe und andernfalls voll hinzugerechnet wird,ist jedoch so unmissverständlich, dass die den Klarstellungsbedarfdurch das OVG auslösende Fehlinterpretation seitens des VGkaum nachvollziehbar ist. Eine gleich lautende Regelung enthältauch § 6 Abs. 4 ThürBO. Ebenso eindeutig ist die Altregelung, dieden geltenden Fassungen der § 6 Abs. 4 BauO M-V, § 6 Abs. 4 BauOLSA, § 6 Abs. 4 BauO Bln entspricht.

Da die Anrechnung der Giebelfläche auf die Wandhöhe zurÜberschreitung der mittleren Wandhöhe der Garage führt,entfällt das Garagenprivileg gem. § 6 Abs. 11 aF (§ 6 Abs. 7 Satz 1Nr. 1 nF), was zur Einhaltung der Mindestabstandsfläche von 3 mzwingt.

Eine Befreiung nach § 68 Abs. 3 SächsBO aF von der gesetzlichzwingenden Mindestabstandsflächenregelung in § 6 Abs. 5 Satz 1Nr. 1 SächsBO aF (§ 6 Abs. 5 Satz 1 nF) wäre, selbst wenn einAntrag vorläge, problematisch. Es sind jedenfalls weder Gründedes Wohls der Allgemeinheit erkennbar, die diese Abweichungerfordern, noch würde die Einhaltung der Mindestabstandsflächeim Fall des Kl. zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härteführen. Eine Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen dürfteschon wegen der Verletzung der Nachbarrechte zu verneinen sein.Gerade wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den öffentlich-rechtlichgeschützten nachbarlichen Belangen wäre auch nach § 67 Abs. 1iVm § 90 Abs. 1 Satz 3 SächsBO nF eine Abweichung von derMindestabstandsfläche abzulehnen und die Anwendung derNeuregelung damit nicht günstiger für den Kl. Mit dieser Fragemusste sich das OVG mangels eines schriftlichen Antrags des Kl.allerdings nicht auseinander setzen.

Klarstellend sind die Ausführungen des OVG hinsichtlich derAnforderungen an die Einverständniserklärung des Nachbarn,die hier eindeutig nicht erfüllt sind.

Nicht sehr souverän ist die Entscheidung allerdings hinsicht-lich der Beseitigungsanordnung. Das OVG geht davon aus, dassdurch einen Teilabbruch der Giebelwand zunächst ein baurechts-widriger Zustand bestehen bleibt, was durch den Sachverhaltnicht klar und im Urteil auch nicht näher erläutert wird. Inwieweitder Verstoß gegen die Festsetzungen des inzwischen aufgehobe-nen Vorhaben- und Erschließungsplans neben der Verletzung des§ 6 SächsBO für die Ermessensentscheidung der Bekl., einen voll-ständigen Abriss der Garage anzuordnen, maßgeblich war, wirdin der Entscheidung nicht deutlich. Zumindest wäre hier eineerneute Ermessensbetätigung der Bekl. nach veränderter Rechts-lage erforderlich.

Auch die Ausführungen, mit denen das OVG die Ermessens-fehlerfreiheit der Beseitigungsanordnung begründet, überzeugenwenig, so dass Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Anord-nung der vollständigen Beseitigung der Garage bleiben.

Literaturhinweis:

Zu den neuen Bauordnungen in Berlin und Sachsen-Anhalt sieheCh. Preschel, NJ 2006, 61 ff. u. 157 ff.

Priv.-Doz. Dr. Christina Preschel, Berlin

� 04.2 – 8/06

Einwendungen gegen Planfeststellung für Straßenbauvorhabenund Lärmschutz

OVG Bautzen, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 5 BS 159/05 (VG Dresden) (rechtskräftig)

Verwaltungsrecht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 375

Neue Justiz 8/2006376

SächsStrG § 39; BlmSchG §§ 41 Abs. 1, 42; VwGO § 80 Abs. 5,§ 146 Abs. 4; VwVfG § 21 Abs. 1

1. Sowohl nach § 39 Abs. 5 SächsStrG idF bis 31.8.2003 als auchnach § 39 Abs. 3 Satz 2 SächsStrG iVm § 72 Abs. 4 Satz 3 VwVfGsind Einwendungen gegen eine Planfeststellung, die nach Ablaufder Einwendungsfrist erhoben werden, präkludiert. 2. Ein Grundstückseigentümer kann einen straßenrechtlichenPlanfeststellungsbeschluss unter allen rechtlichen Gesichtspunktenanfechten, wenn ihm die Gefahr einer schweren und unerträg-lichen Beeinträchtigung seines Eigentumsrechts droht. Andern-falls besteht nur ein subjektives Recht auf eine gerechte Abwägungeigener Belange. 3. Die Frage, welches Ausmaß an Verkehrslärmimmissionen derInhaber eines dem Schutzzweck des Art. 14 Abs. 1 GG unterwor-fenen Rechts hinzunehmen hat, berührt die Inhalts- und Schran-kenbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. 4. Erst Lärmbelastungen, die ein Wohnen an dieser Stelle schlecht-hin unzumutbar machen, stellen einen schweren und unerträg-lichen Eingriff in das Eigentumsrecht eines Grundstückseigen-tümers dar. 5. Für die Frage einer Gesundheitsgefährdung durch nächtlichenLärm kommt es auf die Lärmbelastung im Innern der Schlafräumean. Von entscheidender Bedeutung sind auch Lage und Art derFenster. 6. Die Einhaltung von grundstücksbezogenen Grenzwerten nachder 22. BlmSchV ist grundsätzlich keine Rechtmäßigkeitsvoraus-setzung für die Planfeststellung eines Straßenbauvorhabens.Ggf. ist im Planfeststellungsverfahren aber zu prüfen, ob eineProblemlösung im Rahmen eines separaten (Luftreinhalte-)Ver-fahrens möglich ist. 7. Das Einholen einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234EGV kommt im Rahmen von Verfahren des vorläufigen Rechts-schutzes nicht in Betracht.

Problemstellung:

Die Ast. wandte sich gegen den Planfeststellungsbeschluss desRegierungspräsidiums D. v. 25.2.2004, durch den der Neubau desVerkehrszugs Waldschlößchenbrücke in Dresden genehmigtwurde. Sie hat gerügt, dass der mit der Planfeststellung befassteReferatsleiter W. des Regierungspräsidiums D. befangen gewesensei. Zudem sei sie an den Nachuntersuchungen zur Lärm- undSchadstoffbelastung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.Außerdem beantragte die Ast., den EuGH zur Vorabentscheidunganzurufen und im Wesentlichen die Frage klären zu lassen, ob esdie RL 1999/30/EG des Rates v. 22.4.1999 über Grenzwerte vonLuftschadstoffen erforderlich macht, im Fall der Zulassung einesneuen Verkehrsweges für die Einhaltung der Grenzwerte bereitsin der Zulassungsentscheidung Sorge zu tragen, wenn die Über-schreitung der Grenzwerte im Zulassungsverfahren prognostiziertist.

Die Beschwerde der Ast. gegen den Beschluss des VG, mit demihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrerKlage abgewiesen wurde, blieb erfolglos.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Das OVG hat durchgreifende inhaltliche Mängel des Planfeststel-lungsbeschlusses, auf die sich die Ast. im Verfahren des einstweili-gen Rechtsschutzes berufen könnte, nicht festgestellt. Da sämtlicheGrundstücke der Ast. außerhalb des Plangebiets liegen, ist sienicht unmittelbar betroffen und eine schwere und unerträglicheBeeinträchtigung ihres Eigentumsrechts durch das Planvorhabennicht erkennbar. Die Ast. ist lediglich als mittelbar Betroffeneanzusehen, so dass der Planfeststellungsbeschluss nur mit der

Begründung angegriffen werden könnte, dass ihre rechtlichgeschützten eigenen Belange in der Abwägung zu kurz gekommenseien. Zudem ist die Ast. nur betreffend die Lärm- und Schadstoff-emissionen zu hören. Mit ihrem sonstigen Vorbringen ist die Ast.ausgeschlossen, weil sie sich dazu im Planfeststellungsverfahrennicht geäußert hat.

Das Vorbringen der Ast. zum Anstieg der Lärm- und Schad-stoffbeeinträchtigungen führt indes nicht zum Erfolg des Antrags.Denn die für die Grundstücke ermittelten Immissionswerte lassenAbwägungsfehler nicht erkennen, zumal durch Auflagen sicher-gestellt wurde, dass es nicht zu einer unzumutbaren Beeinträch-tigung kommen wird. Zur Gesundheitsgefährdung durch nächt-lichen Lärm, die u.a. von der Lage und Art der Fenster abhängt,hat die Ast. nichts vorgetragen.

Die Mitwirkung des von der Ast. für befangen gehaltenenReferatsleiters W. begründet keinen Verfahrensmangel. Zumeinen ist dieser nicht gem. § 21 Abs. 1 VwVfG befangen. Objektivfeststellbare Tatsachen, aus denen sich ableiten lässt, Misstrauengegen eine unparteiliche Amtsübung eines Amtsträgers zu recht-fertigen, trägt die Ast. nicht vor. Der Verfahrensablauf bietetkeinen Anlass, das Verhalten des Referatsleiters W. als befangenzu werten. Zudem können sich Verfahrensfehler im Planfeststel-lungsverfahren nur auswirken, wenn nach den Umständen desEinzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planungs-behörde ohne den Verfahrensfehler anders entschieden hätte(vgl. BVerwG, Urt. v. 20.5.1998, NVwZ 1999, 67). Diese Möglich-keit hat die Ast. nicht substantiiert vorgetragen.

Den Ausführungen der Ast. zur Lärmbelastung folgte das OVGnicht. Es erkennt darin keine Verletzung des Abwägungsgebotsvon § 39 Abs. 3 Satz 1 SächsStrG, weil die Ast. auf ihre konkreteSituation bezogene Umstände nicht dargelegt hat, die daraufschließen lassen könnten, dass die Planfeststellungsbehörde dieGrenzen ihres Abwägungsspielraums überschritten habe. Eineunzumutbare Bedrohung ihrer Gesundheit hat die Ast. nichtgeltend gemacht. Das Gericht hält es auch nicht für belegt, dassdie schalltechnischen Untersuchungen fehlerhaft oder dieSchallschutzmaßnahmen nicht ausreichend sind. Auch am Lärm-schutzkonzept hegte das Gericht keine so schwerwiegendenZweifel, dass es die Ausgewogenheit der Planung insgesamt inFrage gestellt sieht.

Ebenso bewertete das OVG das Vorbringen der Ast. zur Schad-stoffbelastung. Der Senat geht davon aus, dass die Einhaltungder grundstücksbezogen zu betrachtenden Grenzwerte der22. BImSchV grundsätzlich keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungfür die Planfeststellung eines Straßenbauvorhabens ist. Denn esist nicht die Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, die Einhaltungder Grenzwerte dieser VO vorhabenbezogen sicherzustellen. Auchexistiert kein Verbot dahingehend, Straßenbauvorhaben inGebieten durchzuführen, in denen die Grenzwerte überschrittensind oder werden.

Schließlich sah der Senat sich nicht verpflichtet, dem Antragauf Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens zu folgen.Nach Art. 234 Abs. 2 EGV kann ein Gericht eine Frage u.a. überdie Auslegung des EG-Vertrags dem EuGH vorlegen. Das OVGversteht Art. 234 Abs. 3 EGV in Anlehnung an den zuvor ein-schlägigen Art. 177 Abs. 3 EGV aF jedoch so, dass nur ein letzt-instanzliches Hauptsachegericht vorlageverpflichtet sein kann.Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren besteht eine Vorlage-pflicht deshalb nicht.

Kommentar:

Die Entscheidung verdeutlicht den hohen Rang der Formalitätund des subjektiven Rechtsschutzsystems. Die Ast. hatte es

Rechtsprechung Verwaltungsrecht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 376

377Neue Justiz 8/2006

versäumt, den Großteil ihrer Argumente im Planfeststellungs-verfahren vorzutragen. Wegen der Präklusionsvorschriften desPlanfeststellungsrechts konnte sie deshalb im Gerichtsverfahrenmit ihren Argumenten nicht mehr gehört werden. Dies ist für dieAst. zwar unerfreulich, aber von ihr zu verantworten.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die von den Verfah-rensbeteiligten nicht problematisierte und oftmals unerwähnteFrage, ob denn das Verfahren ordnungsgemäß bekannt gemachtwurde. Das VG Potsdam hat im Hinblick auf die 9. BImSchVentschieden, dass die Bekanntmachung in den Tageszeitungenzu erfolgen habe, in denen üblicherweise amtliche Bekanntma-chungen zu veröffentlichen sind (Beschl. v. 10.6.2005 – 4 L 2/05).Dazu gehören jedenfalls auch die überörtlichen Tageszeitungen,die in dem betroffenen Gebiet gelesen werden. Nach Jarass(BImSchG, Komm., 6. Aufl., § 10 Rn 60) sind die Anzeigen sogarin sog. Anzeigeblättern zu schalten.

Rechtsanwalt Dr. Christian-W. Otto, Berlin

� 04.3 – 8/06

Nichtverwertbarkeit eines Gutachtens wegen Nichtbeteiligungder Partei an Ortsbesichtigung

BVerwG, Beschluss vom 12. April 2006 – 8 B 91/05 (VG Gera)

VwGO §§ 97, 98; ZPO § 404a Abs. 4

1. Die Vorschrift des § 97 Satz 1 VwGO ist auf eine Sachverhalts-ermittlung im Wege einer Ortsbesichtigung durch den Sach-verständigen zur Vorbereitung seines Gutachtens entsprechendanwendbar. 2. Ein Sachverständigengutachten, das auf einer Ortsbesich-tigung beruht, die unter Verstoß gegen die Vorschriften derParteiöffentlichkeit durchgeführt wurde, ist regelmäßig nichtverwertbar.

� 04.4 – 8/06

Wirksame Klageerhebung per Funkfax

BVerwG, Beschluss vom 30. März 2006 – 8 B 8/06 (VG Magdeburg)

VwGO §§ 55a, 81

1. Die Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der OberstenGerichtshöfe des Bundes und des BVerwG zu den Anforderungenan die wirksame Klageerhebung durch Computerfax findet auchauf die Übermittlung per »Funkfax« Anwendung. 2. An dieser Rechtsprechung ist auch nach Einfügung des § 55aVwGO festzuhalten.

� 04.5 – 8/06

Ausgleichszahlung für freiwillige Flächenstilllegung

BVerwG, Vorlagebeschluss vom 19. Januar 2006 – 3 C 52/04 (OVG Frankfurt [Oder])

VO (EWG) Nr. 1765/92 Art. 7 Abs. 6; VO (EWG) Nr. 3887/92Art. 9; Kulturplanzen-Ausgleichszahlungs-VO idF d. Bkm. v.27.11.1995 § 12a

Dem EuGH wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, obArt. 9 Abs. 2-4 der VO (EWG) Nr. 3887/92 dahin auszulegen ist,dass die Berechnung der Höchstfläche, die für Ausgleichszahlun-gen für eine freiwillige Flächenstilllegung in Betracht kommt, aufder Grundlage der beantragten oder der tatsächlich ermitteltenAnbaufläche erfolgt.

� 04.6 – 8/06

Entschädigung für Versagung der Abrissgenehmigung eines denk-malgeschützten Gebäudes

OVG Magdeburg, Beschluss vom 2. Mai 2006 – 2 L 39/04 (VG Magde-burg) (rechtskräftig)

DenkmSchG LSA §§ 10, 19; GG Art. 14

1. § 19 Abs. 4 DenkmSchG LSA muss im Zusammenhang mit § 10Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3-5 DenkmSchG LSA gesehen werden. 2. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 DenkmSchG LSA ist ein Eingriff in einKulturdenkmal zu genehmigen, wenn die unveränderte Erhaltungdes Kulturdenkmals den Verpflichteten unzumutbar belastet.Dies ist der Fall, wenn für ein geschütztes Baudenkmal dieursprüngliche Nutzung in Folge geänderter Verhältnisse hinfälligwird und eine andere Verwendung, auf die der Eigentümer inzumutbarer Weise verwiesen werden könnte, sich nicht verwirk-lichen lässt. 3. Hält die Behörde die Erhaltung des Denkmals im öffentlichenInteresse gleichwohl für geboten, kann für den Eigentümer einAnspruch auf Entschädigung nach § 19 Abs. 4 DenkmSchG LSAbestehen. 4. Hält der Eigentümer die Versagung einer Abbruchgenehmi-gung für wirtschaftlich unzumutbar, so muss er die Genehmigungim Verwaltungsrechtsweg erstreiten. Gründe der wirtschaftlichenUnzumutbarkeit können nicht isoliert im Entschädigungsverfah-ren geltend gemacht werden.

� 04.7 – 8/06

Streitwert und erstattungsfähige Anwaltskosten im Vorverfahren

OVG Greifswald, Beschluss vom 13. April 2006 – 1 O 5/06(VG Schwerin) (rechtskräftig)

VwVfG M-V § 80; BRAGO §§ 118, 119

1. Kosten des Ausgangsverfahrens sind nicht nach § 80 VwVfG M-Verstattungsfähig.2. Auf die Kosten, die ein Beteiligter vor einer Verwaltungs-entscheidung zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigungaufgewendet hat, ist § 80 VwVfG M-V weder unmittelbar nochentsprechend anwendbar.3. Zur Berechnung der Rechtsanwaltsgebühr muss in allen Fällen,in denen dem Vorverfahren unter Beteiligung desselben Rechts-anwalts ein (Ausgangs-)Verwaltungsverfahren vorangegangenist, die – mit Blick auf § 119 Abs. 1 BRAGO – jeweils einheitlichentstandene Geschäftsgebühr gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGOaufgeteilt werden.4. Erstattungsfähig als Kosten des Vorverfahrens iSd § 80 Abs. 2VwVfG M-V ist nur der Teil der einheitlichen Geschäftsgebühr,der auf das Vorverfahren entfällt, also nur der Teil der Gebühr,um den sich diese durch die Tätigkeit des Bevollmächtigten imWiderspruchsverfahren erhöht hat.

� 04.8 – 8/06

Nachbarklage gegen Nutzungsänderungsgenehmigung

OVG Bautzen, Urteil vom 28. März 2006 – 1 B 335/04 (VG Dresden)(rechtskräftig)

SächsBO §§ 6, 90 Abs. 1 Satz 3; BauNVO §§ 5, 6

Eine Nutzungsänderungsgenehmigung zur Nutzung der einemVierseithof zugeordneten Rasenfläche für eine Außenbewirt-schaftung löst keine Neuprüfung der Abstandsflächen des Vier-seithofs aus.

Verwaltungsrecht

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 377

Neue Justiz 8/2006378

� 04.9 – 8/06

Zuständiger Aufgabenträger für Rückzahlung von Wasserbeiträgen

OVG Weimar, Beschluss vom 27. März 2006 – 4 EO 87/06 (VG Gera)(rechtskräftig)

ThürKAG 2005 § 21a Abs. 3 Satz 1; AO 1977 § 37 Abs. 1

1. Bei dem landesgesetzlichen Rückzahlungsanspruch in § 21aAbs. 3 Satz 1 ThürKAG 2005 handelt es sich um einen Anspruch ausdem Beitragsschuldverhältnis entsprechend § 37 Abs. 1 AO 1977. 2. Zur Rückzahlung der Wasserbeiträge gem. § 21a Abs. 3 Satz 1ThürKAG 2005 ist nicht der am 1.1.2005 zuständige Aufgaben-träger verpflichtet, sondern der Aufgabenträger, der aufgrunddes begründeten Beitragsschuldverhältnisses als Beitragsgläubi-ger die gezahlten Wasserbeiträge bis zum 1.1.2005 erhalten hat,oder ein Rechts- oder Funktionsnachfolger.

Anm. d. Redaktion: Im Zuge der Novellierung des Kommunalabgaben-rechts war die Rückzahlung der Wasserbeiträge angeordnet worden;siehe dazu die Informationen in NJ 2005, 549; 2006, 118 f.

� 04.10 – 8/06

Unwirksame Teilzeitverbeamtung von Lehrern

OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. März 2006 – 4 B 18/05(VG Cottbus) (Revision eingelegt; Az.: 2 C 12/06)

Bbg. LBG §§ 6, 7, 10, 39a, 39b; BGB § 133; BRRG §§ 3, 3a, 44a

1. Zur Begründung eines Beamtenverhältnisses wie auch zurUmwandlung eines Beamtenverhältnisses in ein solches andererArt – hier eines Beamtenverhältnisses auf Probe in ein solches aufLebenszeit – bedarf es gem. § 7 Abs. 1 Bbg. LBG einer Ernennung. 2. Entspricht die Ernennungsurkunde nicht der in § 7 Abs. 2Satz 2 Bbg. LBG vorgeschriebenen Form, so liegt keine Ernennungvor. Die nach der Formulierung der Ernennungsurkunde erfolgteBerufung in ein »Teilzeitbeamtenverhältnis« ist unwirksam, weilein solches im Bbg. LBG nicht geregelt und auch durch das Rah-menrecht des Bundes nicht zugelassen ist. (Leitsätze der Redaktion)

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu die Information in NJ 5/06, VI.

� 04.11 – 8/06

Rechtmäßigkeit einer abfallrechtlichen Vergütung

OVG Greifswald, Beschluss vom 17. November 2005 – 3 M 71/04(VG Greifswald) (rechtskräftig)

Abfall- und AltlastenG M-V (AbfAlG M-V) § 27 Abs. 1; GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 24

Die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters erfüllt als solchenicht den Tatbestand des Ablagerns iSv § 27 Abs. 1 AbfAlG M-V.

� 04.12 – 8/06

Versagung der Zustimmung zur Errichtung von Windkraftanlagen

VG Chemnitz, Urteil vom 22. November 2005 – 3 K 1209/05(rechtskräftig)

BImSchG § 67 Abs. 9; VwGO § 91

1. § 67 Abs. 9 Satz 4 BImSchG ist auf Bauvorbescheide entspre-chend anwendbar.2. Zur Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes durch Wind-energieanlagen (hier bejaht, vgl. Urt. v. 8.9.2005 – 3 K 1577/01).

(mitgeteilt von RiVG Wichart Müller, Chemnitz)

05 RECHT DER OFFENEN VERMÖGENSFRAGEN

� 05.1 – 8/06

Beurteilung des redlichen Erwerbs bei Übertragung eines Boden-reformgrundstücks

BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2006 – 7 C 7/05 (VG Dresden)

VermG § 4 Abs. 2 u. 3; BGB § 1922; VO über die landwirtschaftlicheBodenreform in Sachsen v. 10.9.1945; BesitzwechselVO 1975

Wird nach dem Tod eines Neubauern einem seiner Erben nachder BesitzwechselVO das Bodenreformland übertragen, kommtes für einen redlichen Erwerb nach § 4 Abs. 2 VermG allein aufdie Redlichkeit des Erben bei der Übertragung des Bodenreform-grundstücks an ihn, hingegen nicht (auch) auf eine Redlichkeitdes Neubauern bei der Zuteilung des Bodenreformlands an.

Problemstellung:

Der Rechtsvorgänger der Kl. war Eigentümer eines Rittergutes.1936 schenkte er das Gut verfolgungsbedingt Herrn v. L. 1945wurde das Rittergut auf der Grundlage der VO über die landwirt-schaftliche Bodenreform in Sachsen v. 10.9.1945 enteignet.

Im Zuge der Bodenreform wurden dem Vater des Beigel. Teileder enteigneten Grundstücksfläche als Bodenreformland zuge-teilt. Der 1968 verstorbene Vater wurde von seiner Ehefrau undseinen Kindern beerbt. Die Bodenreformgrundstücke wurden1976 dem Beigel. und seiner Ehefrau als Eigentümer in ehelicherVermögensgemeinschaft übertragen.

1992 beantragten die Kl. die Rückübertragung der zum Ritter-gut gehörenden Vermögensgegenstände. Das LARoV und das VGhaben die Berechtigung der Kl. iSd VermG bejaht, eine Restitutionwegen redlichen Erwerbs des Beigel. und seiner Ehefrau jedochverneint.

Die Revision der Kl. blieb erfolglos.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

Das BVerwG rekapituliert zunächst seine Rspr. zu Bodenreform-grundstücken: Durch das Ges. über die Rechte der Eigentümervon Grundstücken aus der Bodenreform v. 6.3.1990 (GBl. I S. 134)ist das Eigentum an Bodenreformgrundstücken zu Volleigentumerstarkt. Deshalb kann sich der Eigentümer eines früherenBodenreformgrundstücks auf den Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2VermG berufen, sofern er das Grundstück redlich iSd Vorschrifterworben hat (vgl. Urt. v. 19.10.2000 – 7 C 91/99, Buchholz 428§ 2 VermG Nr. 49 S. 10 [14 f.] = NJ 2001, 156). Nach dieserBestimmung ist die Rückübertragung ausgeschlossen, wennnatürliche Personen nach dem 8.5.1945 in redlicher Weise anVermögenswerten Eigentum erworben haben.

Grundsätzlich ist für die Frage des redlichen Erwerbs auf dengegenwärtigen Rechtsinhaber abzustellen (vgl. Beschl. v. 23.6.1995– 7 PKH 2/94 [7 C 13/94], Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 20 S. 47[48 f.] = NJ 1995, 560 [Leits.]). Deshalb ist maßgeblich, ob der Erbeeines Neubauern zum Zeitpunkt der Übertragung des Boden-reformlands redlich war. Zwar ist als Ausnahme von diesemGrundsatz im Erbfall entscheidend, ob der Erblasser den Vermö-genswert redlich erworben hatte (vgl. Urt. v. 27.10.1995 – 7 C56/94, Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 24 S. 56 [60] = NJ 1996, 212),da der Erbe im Wege der Universalsukzession in die Rechtsstellungdes Erblassers eingetreten ist. Deshalb muss der Erbe sich dieUnredlichkeit des Erblassers zurechnen lassen.

Der Erwerb findet im Erbfall kraft Gesetzes statt, so dass es aneinem Akt fehlt, hinsichtlich dessen die Redlichkeit des Erbengeprüft werden könnte. Dies gilt auch dann, wenn der Vermö-

Rechtsprechung

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 378

379Neue Justiz 8/2006

genswert des Erblassers auf mehrere Erben übergegangen ist unddiese sich erst später über die Aufteilung des Nachlasses ausein-ander setzen (vgl. Urt. v. 13.9.2000 – 8 C 12/99, Buchholz 428 §4 Abs. 2 VermG Nr. 11 S. 39 [41 f.]).

Von dem Grundsatz, dass bei Prüfung der Redlichkeit auf denErwerb des gegenwärtigen Rechtsinhabers abzustellen ist, ist aberdann keine Ausnahme zu machen, wenn nach dem Tod einesNeubauern das Bodenreformland einem Erben übertragen wurde.Die Bestimmungen des bürgerlichen Erbrechts wurden nämlichin der DDR durch die Vorschriften der BesitzwechselVO über-lagert. So wurden die Bodenreformgrundstücke nur dann auf denErben nach der hier einschlägigen BesitzwechselVO v. 7.8.1975(GBl. I S. 629) übertragen, wenn er Mitglied einer LPG oderArbeiter der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft war unddas Grundstück entsprechend nutzte. Sofern die Voraussetzungenfür eine Übertragung nicht gegeben waren, wurde das Boden-reformgrundstück in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt.

Erst mit dieser staatlichen Übertragung und der Prüfung derVoraussetzungen nach der BesitzwechselVO 1975 trat der Erbe desNeubauern in dessen Rechtsposition als Bodenreformeigentümerein. Zuvor ging seine Stellung über eine tatsächliche Chance nichthinaus (vgl. Urt. v. 19.10.2000, aaO). »Da eine erneute staatlicheÜbertragung nötig war, fehlte es … an einer uneingeschränktenKontinuität der privaten Vermögenszuordnung von Boden-reformland.«

Anders als bei einem Erbfall fehlte es auch nicht an einemErwerbsvorgang bzgl. dessen die Redlichkeit geprüft werdenkonnte. Die Übertragung von Bodenreformland war ein staat-licher Hoheitsakt, »der der Mitwirkung des Begünstigten«bedurfte. Hinsichtlich dieser Mitwirkung kann die Redlichkeitgeprüft werden.

Der Beigel. und seine Ehefrau haben auch in redlicher WeiseEigentum an den Bodenreformgrundstücken erworben. DerErwerb stand im Einklang mit den zum Zeitpunkt des Erwerbs inder DDR geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrens-grundsätzen und einer ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis. Diein der BesitzwechselVO 1975 geregelten Voraussetzungen für dieÜbertragung der Bodenreformgrundstücke an den Beigel. unddessen Ehefrau lagen auch vor.

Kommentar:

Nicht immer stellt das BVerwG im Fall der Bodenreformland-problematik bei der Redlichkeitsprüfung ausschließlich auf dengegenwärtigen Eigentümer des Bodenreformlands ab. Dies ist nurder Fall, wenn der Erbe am 16.3.1990 (Inkrafttreten des Ges. v.6.3.1990, aaO) bereits als Eigentümer im Grundbuch eingetragenwar. Dies trifft hier zu. Die Bodenreformgrundstücke waren 1976dem Beigel. und dessen Ehefrau als Eigentümer in ehelicher Ver-mögensgemeinschaft übertragen worden.

Sofern aber zum 15.3.1990 gem. Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1EGBGB noch der Erblasser und nicht der Erbe als Bodenreform-landeigentümer eingetragen war, jedoch bereits ein unerledigtesErsuchen bzw. ein Antrag auf Grundbucheintragung beimGrundbuchamt vorlag, ist sowohl eine Redlichkeitsprüfung in derPerson des Erblassers als auch des Erben erforderlich (BVerwG,Urt. v. 19.10.2000, aaO).

Das 2. VermRÄndG hat mit der Regelung des Art. 233 EGBGBPersonen das Eigentum zugewiesen, welche Erben oder Erbes-erben des eingetragenen Neubauern am 22.7.1992 (Inkrafttretendes 2. VermRÄndG) tatsächlich sind. Der Gesetzgeber hat damitlediglich den früher in der Verwaltungspraxis außerhalb desGrundbuchs erfolgten Eigentumserwerb nachvollzogen. Der

Eigentumswechsel aufgrund eines Besitzwechselprotokolls oderder Entscheidung der zuständigen Behörde wurde damit alsrechtswirksam angesehen.

Weshalb das BVerwG zum einen eine einfache Redlichkeits-prüfung in der Person des gegenwärtigen Rechtsinhabers genügenlässt und zum anderen eine doppelte Prüfung vornimmt, ist nichtverständlich. Die Argumentation, dass im Erbfall eines Boden-reformgrundstücks erst noch eine »staatliche Übertragung« nötigwar und es an einer »uneingeschränkten Kontinuität der privatenVermögenszuordnung von Bodenreformland« gefehlt hatte, trifftauch auf den Sachverhalt zu, dass dem Erben das Bodenreform-land lediglich noch nicht eigentumsrechtlich im Grundbuchübertragen worden war. Der staatliche Prüfungs- und Hoheitsakt,wonach in der Person des Erben die Voraussetzungen nach derBesitzwechselVO 1975 vorlagen, war auch in den Fällen desArt. 233 § 11 EGBGB bereits abgeschlossen.

Auf einen anderen Aspekt sei noch kurz hingewiesen: DasBVerwG stellt in seinem Urteil abschließend fest, dass dieVoraussetzungen der BesitzwechselVO 1975 für die Übertragungder Bodenreformgrundstücke bei dem Beigel. und seiner Ehefrauvorgelegen haben. Die Frage der Redlichkeitsprüfung beim Erwerbdurch Ehegatten war noch lange Zeit nach Inkrafttreten desVermG umstritten. Erst mit Beschl. v. 2.6.1995 (NJ 1995, 612)hatte das BVerwG klargestellt, dass im Falle einer ehelichen Ver-mögensgemeinschaft iSv § 15 Abs. 2 FGB die Unredlichkeit einesEhegatten beim Erwerbsvorgang auch die Person des anderenEhegatten erfasst, und dazu ausgeführt: »Fragen der gegenseitigenZurechnung von Wissenselementen oder Verhaltensweisen stel-len sich schon deswegen nicht, weil das Rechtsgeschäft nichtteilbar ist und sein Erfolg die Erfüllung des Erwerbstatbestandsdurch beide Ehegatten voraussetzt.«

RD Udo Michael Schmidt, Sächs. Staatsministerium des Innern, Dresden

� 05.2 – 8/06

Keine strafrechtliche Rehabilitierung bei IM-Tätigkeit trotzVorliegens einer Häftlingshilfebescheinigung

BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2006 – 3 C 11/05 (OVG Berlin)

HHG §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 10 Abs. 4; StrRehaG §§ 16 Abs. 2, 25 Abs. 2;VwVfG § 48 Abs. 1

1. Der auf eine mehrjährige Tätigkeit des Betroffenen als IM fürden Staatssicherheitsdienst der DDR gestützte Ausschluss vonLeistungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG setzt nicht den Nachweisvoraus, dass diese Tätigkeit bestimmte Verfolgungsmaßnahmengegenüber Dritten zur Folge hatte; vielmehr reicht es aus, dassdie konkreten Handlungen des Betroffenen geeignet waren,Dritte einer solchen Verfolgung auszusetzen. 2. Ist ein Antrag auf Kapitalentschädigung nach § 16 Abs. 2StrRehaG bestandskräftig abgelehnt worden und ist diese Ent-scheidung rechtswidrig, weil der Betroffene im Besitz einerHäftlingshilfebescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG ist, darf dieRücknahme des ablehnenden Bescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 1VwVfG mit der Begründung versagt werden, dass auch die Häft-lingshilfebescheinigung wegen eines Verstoßes des Betroffenengegen die Grundsätze der Menschlichkeit rechtswidrig sei.

Problemstellung:

Die Beteiligten streiten darüber, ob das 1995 bestandskräftigabgeschlossene strafrechtliche Rehabilitierungsverfahren des Kl.wieder aufgegriffen werden muss. Der Kl. war aufgrund einerVerurteilung durch ein sowjetisches Militärtribunal von 1948 bis1956 inhaftiert und erhielt deswegen 1990 eine Bescheinigung

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nach § 10 Abs. 4 HHG. 1993 beantragte er Gewährung einerKapitalentschädigung nach § 25 Abs. 2 StrRehaG. Eine Anfragebeim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicher-heitsdienstes ergab, dass der Kl. von 1968 bis 1981 als IM für dasMfS tätig gewesen sei; in den Akten seien ca. 110 Treffberichte,ca. 130 handschriftliche IM-Berichte sowie fünf Tonbandab-schriften enthalten. Der Bekl. lehnte den Antrag 1995 ab, derWiderspruch des Kl. blieb erfolglos.

1997 beantragte der Kl. das Wiederaufgreifen des Verfahrens.Der Bekl. lehnte dies zunächst ab, sagte aber in einem anschlie-ßenden Klageverfahren zu, den Antrag im Rahmen von § 48Abs. 1 VwVfG neu zu bescheiden. 1999 lehnte er den Antrag mitder Begründung ab, der Kl. habe gegen die Grundsätze der Rechts-staatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen und damit denAusschlussgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG, § 16 Abs. 2 StrRehaGerfüllt. Die Häftlingshilfebescheinigung werde nicht zurückge-nommen, so dass der Kl. die damals gezahlte Eingliederungshilfebehalten dürfe. Zwar hätte bei der Entscheidung von 1995 derAusschlussgrund wegen der Häftlingshilfebescheinigung nichtberücksichtigt werden dürfen. Da die Bescheinigung aber richti-gerweise hätte eingezogen werden müssen, sei nach dem Gebotder Rechtmäßigkeit der Verwaltung an der zwar rechtswidrigen,aber inhaltlich richtigen bestandskräftigen Entscheidung, keineKapitalentschädigung zu gewähren, festzuhalten.

Widerspruch, Klage und Berufung des Kl. hatten keinen Erfolg.Das OVG kam nach Einholen eines Sachverständigengutachtenszu dem Schluss, der Kl. habe eine Vielzahl mündlicher und schrift-licher Berichte abgeliefert, die konkret geeignet gewesen seien,andere Personen in der DDR zu schädigen oder zu gefährden; esbedürfe keines Nachweises einer konkreten Drittschädigung.

Die vom OVG zugelassene Revision blieb erfolglos.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:

1. Das OVG musste kein weiteres Sachverständigengutachtenüber das dem Kl. zugerechnete Schreibwerk einholen. Die Ent-scheidung darüber, ob ein weiteres Gutachten eingeholt werdensoll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1VwGO) im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts.Dieses Ermessen wird nur dann fehlerhaft ausgeübt, wenn dasGericht von der Einholung eines zusätzlichen Gutachtens absieht,obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser weiteren Beweis-aufnahme hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Urteile v.6.2.1985 – BVerwGE 71, 38; v. 6.10.1987 – Buchholz 310 § 98VwGO Nr. 31; Beschl. v. 30.9.1988 – Buchholz 310 – § 133 VwGONr. 84). Dies ist dann der Fall, wenn das Tatsachengericht zu derÜberzeugung gelangen musste, dass die vorliegenden Gutachtenden allgemeinen oder besonderen Anforderungen des konkretenFalls nicht genügen, weil sie nicht klar, unvollständig oderwiderspruchsvoll sind, also auch für den Nichtsachkundigenerkennbare Mängel aufweisen, oder wenn sie Anlass zu Zweifelnan der erforderlichen Sachkunde oder der Unparteilichkeit derGutachter geben (vgl. BVerwG, Urteile v. 26.4.1985 – Buchholz310 § 86 VwGO Nr. 169, und v. 6.10.1987, aaO).

Das ist hier nicht gegeben, da der nach seinem Werdegang ver-sierte Sachverständige die Handschrift für das Tatsachengerichtnachvollziehbar nach den Regeln seines Fachgebiets analysiertund sein schriftliches Gutachten mündlich noch einmal detail-liert erläutert hat, so dass das BerufungsG keinen Anlass habenmusste, an den Feststellungen zu zweifeln.

2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahmedes bestandskräftigen Bescheids nach § 48 VwVfG liegen vor, daeinem Berechtigten einer Häftlingshilfebescheinigung gem. § 10Abs. 4 HHG soziale Ausgleichsleistungen nach §§ 25 Abs. 2, 17

Abs. 2 StrRehaG nicht unter Berufung auf die Ausschlussgründedes § 16 Abs. 2 StrRehaG versagt werden dürfen (BVerwG, Urt. v.24.10.2002 – Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 1 = NJ 2003, 215).

§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG stellt aber die Rücknahme einesrechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts in das Ermessen derzuständigen Behörde. Eine Ermessensreduzierung zu einem Rück-nahmeanspruch liegt ausnahmsweise vor, wenn das Aufrecht-erhalten des rechtswidrigen Bescheids schlechthin unerträglichwäre (BVerwGE 28, 122; 44, 333; 95, 86). Das ist vorliegend nichtder Fall, denn das StrRehaG spricht dem Opfer einer rechtsstaats-widrigen Freiheitsentziehung nach § 16 Abs. 2 StrRehaG keineKapitalentschädigung zu, wenn es gegen die Grundsätze derMenschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder inschwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oderzum Nachteil anderer missbraucht hat.

Dieser Regelung wie auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG liegt der allge-meine Gedanke zugrunde, dass in den Genuss der für die unschul-digen Opfer einer Gewaltherrschaft bestimmten Vergünstigungennicht auch jene kommen sollen, die ein Schicksal erfuhren, dassie selbst unter dem Schutz der Gewaltherrschaft anderen zuge-fügt haben (BVerwG, Urt. v. 8.3.2002 – E 116, 100 = NJ 2002, 550).Angesichts dieser Wertung kann das Festhalten des Bekl. an derbestandskräftigen Ablehnung der Kapitalentschädigung mit derBegründung, der Kl. habe selbst durch seine Spitzeltätigkeit fürdas MfS die Grundsätze der Menschlichkeit verletzt, nicht alsschlechthin unerträglich angesehen werden.

Die Berufung auf die Spitzeltätigkeit bei der Rücknahme-entscheidung ist nicht durch § 25 Abs. 2 StrRehaG verwehrt. § 16Abs. 2 StrRehaG kommt im Rahmen des § 25 Abs. 2 StrRehaGdeshalb nicht zum Tragen, weil das Gesetz davon ausgeht, dasseine entsprechende Prüfung bereits nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHGerfolgt ist, so dass auch die sozialen Ausgleichsleistungen nach§ 25 Abs. 2 StrRehaG niemandem zugute kommen, der gegen dieGrundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit versto-ßen hat. Bei der Entscheidung über die Gewährung einer Kapital-entschädigung muss daher die Behörde beim Vorliegen einesVersagungsgrunds zunächst eine dennoch erteilte Häftlingshilfe-bescheinigung zurücknehmen, um dann § 16 Abs. 2 StrRehaGanwenden zu können.

Im Rahmen des Rücknahmeermessens kann die Behördedagegen berücksichtigen, dass zwar § 16 Abs. 2 StrRehaG nichtunmittelbar hätte herangezogen werden dürfen, aber die Häft-lingshilfebescheinigung aus demselben Grund rechtswidrig war,mithin die Versagung der Kapitalentschädigung materiell denVorgaben des Gesetzgebers entsprach. Es ist schließlich keinwidersprüchliches Verhalten, dem Kl. die Eingliederungshilfe zubelassen, denn eine Ermessensbetätigung zu Gunsten des Kl. hin-sichtlich bereits erhaltener Leistungen begründet keinen Zwang,ihm auch zukünftige zu gewähren, die ihm der Gesetzgeber nichtzubilligt.

3. Die Entscheidung war nicht ermessensfehlerhaft. Zwar ver-letzt nicht jede Tätigkeit als IM die Grundsätze der Menschlich-keit iSv § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG, § 16 Abs. 2 StrRehaG, doch genügtes, wenn sich der Einzelne als Denunziant oder Spitzel freiwilligbetätigte, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen (BT-Drucks.12/1608, S. 24). Dementsprechend begründet eine Spitzeltätigkeitunter Inkaufnahme einer Drittschädigung im Regelfall einen Ver-stoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaat-lichkeit (Urt. v. 8.3.2002, aaO).

Ein Nachweis für eine konkrete Schädigung Dritter ist nachSinn und Zweck des Ausschlussgrunds nicht erforderlich. Ein IMhatte keinen Einfluss darauf, ob und in welcher Weise seineMitteilungen verwertet, insbesondere mit welchen weiteren

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Informationen sie später zusammengeführt werden konnten(LG Berlin, Beschl. v. 7.9.2000, NJ 2001, 106 [Leits.]), während dasMfS durch die Berichte sogar belanglose und unverfänglicheInformationen nutzen, mit eigenen Erkenntnissen verknüpfenund mit anderen Sachverhalten bewerten konnte (OLG Jena,Beschl. v. 5.3.2002, NJ 2002, 324). Daher lässt sich weder beieingetretener Schädigung die Frage der Kausalität zuverlässigbeantworten, noch ist den Berichtsunterlagen der IM zu entneh-men, welche Folgen die Denunziationen für den Bespitzeltengehabt haben. Die Forderung eines entsprechenden Nachweisesließe daher den Ausschlussgrund weitgehend leer laufen.

Angesichts der Strukturen des Staatssicherheitsdienstes und desübrigen Machtapparats der DDR ist daher der zur Verletzung derGrundsätze der Menschlichkeit gehörende Verletzungserfolgschon dann zu bejahen, wenn die Berichte des IM geeignet waren,für die Bespitzelten eine beachtliche Gefahrenlage zu schaffen.Dies war hier nach den Feststellungen des OVG der Fall. DieAuslegung widerspricht auch nicht der Rspr. des BSG zu § 5 Abs. 1EntschRG, da es sich um eine andere Rechtsnorm handelt undauch das BSG keinen konkreten schädigenden Erfolg, sondern»(mindestens) eine konkrete Handlung« verlangt (Urteile v.23.10.2003 – BSGE 91, 231 = NJ 2004, 283 m. Anm. Vock; v.31.10.2003 – SozR 3-8850 § 5 Nr. 7 S. 89 = NJ 2003, 447 [Leits.]).

Es liegt auch ein zurechenbares, vorwerfbares Verhalten vor.Allein in einer schriftlichen Verpflichtung zum Spitzeldienst»unter dem Druck der Haft« ist kein Verstoß gegen die Grundsätzeder Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit zu sehen (BVerwG,Urt. v. 22.10.1987 – Buchholz 427.6 § 3 BFG Nr. 25). Eine solcheZwangslage bestand für den Kl. nicht. Schließlich ist unerheblich,ob die dem Kl. zugefügten Leiden unvergleichlich schwerer wogenals die möglichen Folgen seines eigenen Tuns, denn im Rahmenvon § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG und § 16 Abs. 2 StrRehaG findet eineAufrechnung, was das schlimmere Unrecht war, nicht statt.

Kommentar:

Verwaltungsverfahrensrechtlich bedeutsam ist, dass der Kl. zwar1997 zunächst einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrensgestellt hat, im vorliegenden Verfahren aber nur noch eine Rück-nahmeentscheidung nach § 48 Abs. 1 VwVfG im Streit stand.Offenbar lagen – wofür der Entscheidung allerdings nichts zuentnehmen ist – keine Wiederaufgreifensgründe iSv § 51 Abs. 1VwVfG vor, denn im Rahmen des § 51 VwVfG wäre der Behördekein Ermessen eröffnet gewesen. Die Behörde hätte dann dasVerfahren aussetzen – was auch ohne eine § 94 VwGO vergleich-bare ausdrückliche Regelung im VwVfG möglich ist (Knack,VwVfG, 8. Aufl., § 9 Rn 23 mwN) – und zunächst die Rücknahmeder Häftlingshilfebescheinigung prüfen müssen.

Wenn aber ein Anspruch auf Wiederaufgreifen nicht besteht,verbleibt immer noch der Anspruch des Kl. auf eine fehlerfreieErmessensentscheidung, ob die Behörde erneut in die Sachprü-fung einsteigt (st.Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 21.9.2000, DVBl.2001, 726; ausführl. Knack, aaO, § 51 Rn 16). Dass das BVerwGdie Ermessensentscheidung, eine materiell richtige Entscheidungaufrechtzuerhalten, nicht beanstandet, verwundert nicht. Inte-ressant wäre aber der Fall, dass die Rechtmäßigkeit der Häftlings-hilfebescheinigung fraglich erscheint und die Behörde unterBerufung auf die Bestandskraft an der Entscheidung festhält, umein aufwendiges Rücknahmeverfahren ungewissen Ausgangs zuvermeiden. Immerhin hat der Kl. gegen die Ablehnung von 1995nicht den Rechtsweg beschritten.

Mit der Auffassung, dass § 16 Abs. 2 StrRehaG keinen konkre-ten schädigenden Erfolg voraussetzt, befindet sich das BVerwGweitgehend im Einklang mit den Rehabilitierungsgerichten, nicht

jedoch damit, dass keine Abwägung zwischen begangenemUnrecht und eigenen Schäden erfolgen könne (OLG Rostock,Beschl. v. 10.2.2004 – 1 WsRH 3/03, juris; KG, Beschlüsse v.2.1.2001, VIZ 2002, 184; v. 3.11.1997, NJW 1998, 1789). Auchwenn es das BVerwG weiterhin nicht ausdrücklich ausspricht,dürfte der Ausschlussgrund – ebenso wie die inhaltsgleichen § 2Abs. 2 VwRehaG und § 4 BerRehaG – nur systembezogenesUnrecht erfassen (so KG, Beschl. v. 20.3.1995, NJ 1996, 40; OLGDresden, Beschl. v. 17.3.1995, OLG-NL 1996, 19; OLG Jena5.4.1994, VIZ 1995, 128; OLG Rostock, Beschl. v. 25.5.1994, VIZ1995, 63), so dass ein Vergleich mit gleich lautenden früherenVorschriften nur eingeschränkt möglich ist (zu § 5 Nr. 1b BVFG:VGH München, Urt. v. 28.7.2005 – 19 B 02.531, juris). System-bezogenheit ist aber keine subjektive Voraussetzung; der Betref-fende muss also nicht gehandelt haben, um das System zu stützen(BVerwG, Urt. v. 8.3.2002, aaO, zu § 4 BerRehaG).

RiVG Ulrich Keßler, Berlin

� 05.3 – 8/06

Unternehmenstrümmerrestitution und Gläubigervorrangver-bindlichkeiten

BVerwG, Urteil vom 27. April 2006 – 7 C 12/05 (VG Dresden)

VermG § 6 Abs. 6a Satz 2

Für die Höhe von Gläubigervorrangverbindlichkeiten iSd § 6Abs. 6a Satz 2 VermG ist der Zeitpunkt der Rückgabe des Ver-mögenswerts maßgebend.

Anm. d. Redaktion: Das VG ist bei der Berechnung der Höhe des Zahl-betrags für Gläubigervorrangverbindlichkeiten zugunsten der BvS vonden Schulden des Unternehmens im Zeitpunkt der Betriebsstilllegungausgegangen. Das BVerwG hat das Urteil in diesem Umfang aufgehobenund die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an dasVG zurückverwiesen.

� 05.4 – 8/06

Höhe der im Gegenzug zur Grundstücksrestitution auferlegtenRückzahlungspflicht

BVerwG, Beschluss vom 27. März 2006 – 3 B 109/05 (VG Magdeburg)

VwRehaG § 2 Abs. 4; VermG § 7a Abs. 2

Im Rahmen des § 2 Abs. 4 VwRehaG berechtigt eine wegenzwischenzeitlicher Verschlechterung des restituierten Grund-stücks nach wie vor bestehende Ausgleichsfunktion der seinerzeitgewährten Entschädigung zur Einbehaltung des Betrags, der aufdie nach den damaligen Verhältnissen berechnete Wertminde-rung entfällt; sie lässt die Pflicht nach § 2 Abs. 4 Satz 5 VwRehaGunberührt, den aktuellen Verkehrswert für Ersatzgrundstücke zuentrichten, an deren Eigentum festgehalten wird.

Anm. d. Redaktion: Zur Berücksichtigung von in der DDR gewährterEntschädigung bei verwaltungsrechtlicher Rehabilitierung vgl. BVerwG,Urt. v. 17.5.2000, NJ 2000, 553 (bearb. v. Keßler). Zur Erstattungspflichtfür Zinsen bei sukzessiv ausgezahlter DDR-Entschädigung vgl. BVerwG,Urt. v. 30.6.2005, NJ 2005, 569.

� 05.5 – 8/06

Ausschluss von Ausgleichsleistungen für entschädigungsloseEnteignung

BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2006 – 3 C 22/05 (VG Gera)

Recht der o f fenen Vermögensf ragen

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 381

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AusglLeistG § 1 Abs. 1 u. 4; VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a

In die Prüfung, ob ein Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4AusglLeistG vorliegt, ist auch derjenige einzubeziehen, auf dendie entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicheroder besatzungshoheitlicher Grundlage abgezielt hat, selbstwenn er im Zeitpunkt der Enteignung bereits verstorben war.Die Enteignung zielt auf denjenigen ab, dessen Belastung, etwadurch erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozia-listischen Systems, der Grund für den Zugriff auf den Vermö-genswert und die entschädigungslose Enteignung war (wie Urt.v. 24.2.2005 – 3 C 16/04, NJ 2005, 332 [Leits.]).

� 05.6 – 8/06

Ausschluss des Anspruchs des Eigentümers einer Abfalldeponieauf Beseitigung von Ablagerungen durch VerkFlBerG

OLG Brandenburg, Urteil vom 11. November 2004 – 5 U 128/03 (LG Potsdam)BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2005 – V ZR 257/04

VerkFlBerG § 1 Abs. 1 Satz 1 u. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2

Ein Anspruch des Eigentümers eines Deponiegrundstücks aufBeseitigung der Abfallablagerungen ist im Anwendungsbereichdes VerkFlBerG durch § 9 Abs. 2 VerkFlBerG ausgeschlossen. (Leitsatz des Bearbeiters)

Problemstellung:

Die Kl. ist Eigentümerin verschiedener im Gebiet der bekl.Gemeinde belegener Grundstücke, die spätestens seit 1989 alsMülldeponie genutzt worden sind. Sie verlangte von der Bekl. dieBeseitigung sämtlicher Ablagerungen (Schutt, Hausmüll, Alt-metalle etc.).

Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung imWesentlichen darauf verwiesen, die Bekl. sei nicht Rechtsnach-folgerin nach dem Rat des Kreises L. Für vor dem 17.5.1990abgelagerten Müll könne sie daher nicht in Anspruch genommenwerden. Es sei auch nicht Sache der Bekl., den Umfang des ihrzurechenbaren Anteils an den Müllablagerungen darzulegen.

Mit ihrer Berufung verfolgte die Kl. ihren Anspruch weiter,hilfsweise verlangte sie die Beseitigung eines Teils der Ablagerun-gen, weiter hilfsweise Schadensersatz i.H.v. 490.000 €. Die Beru-fung blieb ohne Erfolg.

Der BGH hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung derRevision mit Beschl. v. 29.9.2005 zurückgewiesen und dieseEntscheidung auf eine Gegenvorstellung der Kl. mit Beschl. v.1.12.2005 mit weitergehender Begründung bekräftigt.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe des OLG:

Die Kl. kann von der Bekl. weder ganz noch teilweise die Beseiti-gung der auf ihren Grundstücken befindlichen Deponie verlan-gen, noch steht ihr ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ob undinwieweit Ansprüche der Kl. auf Beseitigung der Deponie bereitsdadurch ausgeschlossen sind, dass die Bekl. nicht Rechtsnachfol-gerin nach dem Rat der Gemeinde L. und auch nicht Betreiberinder Deponie ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.

Die von der Kl. geltend gemachten Ansprüche sind schon des-wegen ausgeschlossen, weil die Bekl. – unterstellt, sie sei dieBetreiberin der Deponie – nach § 9 Abs. 1 Satz 4 VerkFlBerG zumBesitz der Grundstücke berechtigt wäre, soweit diese tatsächlichals Deponie in Anspruch genommen werden; die Kl. ist im Gegen-

zug auf die Geltendmachung von Nutzungsentgeltansprüchennach § 9 Abs. 1 Satz 1 VerkFlBerG beschränkt.

1. Der Anwendungsbereich des VerkFlBerG nach § 1 Abs. 1 isteröffnet. Die Grundstücke der Kl. wurden spätestens 1989 unddamit zwischen dem 9.5.1945 und dem 3.10.1990 als Deponiegenutzt. Die Frage der Genehmigung der Anlage spielt für dieAnwendbarkeit des VerkFlBerG keine Rolle, es genügt die tatsäch-liche Inanspruchnahme des Grundstücks. Die rechtliche Qualitätder Begründung der Inanspruchnahme ist unerheblich. Erfasstsind damit auch sämtliche Fälle, in denen ihr ein unwirksamesRechtsgeschäft, ein rechtswidriger Verwaltungsakt, ein nichtigerVerwaltungsakt oder gar kein Rechtsakt zugrunde lag (Matthies-sen, in: Kimme [Hrsg.], Offene Vermögensfragen, § 1 VerkFlBerGRz 7). Die Grundstücke der Kl. sind auch mit einer sonstigen bau-lichen Anlage bebaut. Als solche gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 4VerkFlBerG ausdrücklich auch Deponien.

Die Grundstücke müssen, um dem Geltungsbereich des VerkFl-BerG zu unterfallen, nach wie vor einer Verwaltungsaufgabe dienen.Da § 9 Abs. 2 VerkFlBerG auch Konstellationen regelt, in denendie öffentliche Nutzung zwischenzeitlich aufgegeben worden ist,muss man die zeitliche Begrenzung dahingehend verstehen, dassdas Grundstück zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am1.10.2001 zu öffentlichen Zwecken genutzt worden sein muss.Wurde die Nutzung dagegen zuvor aufgegeben, ist das Rechtsver-hältnis zwischen öffentlichem Nutzer und Eigentümer nach denallgemeinen Vorschriften abzuwickeln (Matthiessen, aaO, Rz 10).

Auch wenn die Grundstücke der Kl. unstreitig seit Mitte 1992nicht mehr zur Ablagerung weiterer Abfälle genutzt worden sind,dienten sie am 1.10.2001 noch einer Verwaltungsaufgabe. BeiDeponien besteht nämlich die Besonderheit, dass die öffentlicheNutzung nicht mit dem Tag endet, an dem die Deponie fürweitere Ablagerungen geschlossen wird. Vielmehr ergibt sich ausder auf Dauer angelegten Aufgabe, eine gemeinwohlverträglicheEndablagerung von Abfällen sicherzustellen, eine fortdauerndeInanspruchnahme für öffentliche Zwecke.

Aus § 36 Abs. 2 KrW/AbfG trifft den Betreiber der Deponie eineentsprechende Nachsorgepflicht. Diese Vorschrift gilt für Depo-nien iSv § 35 Abs. 2 KrW/AbfG, mithin auch für solche, die in denneuen Bundesländern vor dem 1.7.1990 betrieben worden sind,dem Tag an dem nach dem UmweltrahmenG das damals geltendeAbfG in Kraft getreten ist. Da dem Regelungsbereich des § 36 KrW/AbfG auch illegale Deponien unterfallen, die bislang lediglichgeduldet worden sind (vgl. dazu BVerwG, DVBl. 1996, 38), kommtes vorliegend nicht darauf an, ob für die Deponie eine Genehmi-gung vorlag oder nicht.

Die Nachsorgepflicht besteht für die Grundstücke der Kl. fort.Selbst wenn die öffentliche Nutzung nach dem 1.10.2001 aufge-geben worden wäre, könnte die Kl. die Beseitigung nicht verlangen.Einem entsprechenden Anspruch aus § 1004 BGB stünde § 9Abs. 2 VerkFlBerG entgegen; die Kl. wäre auf die Geltendmachungder Rechte nach § 9 Abs. 2 Satz 2-5 VerkFlBerG beschränkt.

Der Anwendbarkeit des VerkFlBerG steht auch § 1 Abs. 2 Nr. 2dieses Gesetzes nicht entgegen. Selbst wenn der Inanspruch-nahme eines Grundstücks eine vertragliche Regelung zugrundelag, findet dieser Ausnahmetatbestand nur Anwendung, wenn einMiet-, Pacht- oder sonstiger Nutzungsvertrag die Grundlage derNutzung ist und sich die Parteien auf einen nur vorübergehendenCharakter der öffentlichen Nutzung verständigt haben. Jedenfallsan einer Verständigung über einen nur vorübergehenden Charak-ter der öffentlichen Nutzung fehlt es vorliegend, denn der Betriebeiner Mülldeponie ist bereits seiner Natur nach auf Dauerangelegt. Abreden über eine vorübergehende Nutzung werdenvon der Kl. auch nicht geltend gemacht. Dann muss es aber

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jedenfalls dann, wenn eine bauliche Anlage auf der Grundlageeines solchen Vertrags errichtet worden ist und dieser keineausdrückliche oder stillschweigende zeitliche Einschränkungenthält, bei der Anwendbarkeit des VerkFlBerG verbleiben(Matthiessen, aaO, Rz 23).

2. Findet das VerkFlBerG Anwendung, so steht dem Betreiberder Deponie ein Recht zum Besitz zu. Die auf Beseitigung derDeponie gerichteten Haupt- und Hilfsanträge sind daher unbe-gründet. Auch dem mit der gescheiterten Möglichkeit einesVerkaufs der Grundstücke begründeten Schadensersatzanspruchi.H.v. 490.000 € steht das dem Betreiber der Deponie zustehendeBesitzrecht entgegen. Die Schadenshöhe ist zudem nicht nach-vollziehbar beziffert worden.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe des BGH:

Die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechts-frage, ob die öffentliche Nutzung an einem Deponiegrundstückmit der Stilllegung oder erst mit der Beendigung der Rekultivie-rung nach § 36 Abs. 2 KrW/AbfG endet, stellt sich nicht. Dievon der Kl. geltend gemachten Ansprüche sind durch § 9 Abs. 2VerkFlBerG ausgeschlossen.

§ 9 Abs. 2 VerkFlBerG ist unmittelbar anwendbar, wenn die Nut-zung des Grundstücks der Kl. für eine öffentliche Verwaltungs-aufgabe bis zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Nachsorge-pflicht aus § 36 KrW/AbfG noch fortdauert. Das hat das OLGangenommen, dessen Auffassung durch die Gesetzesbegründungzu den Deponiegrundstücken in § 1 Abs. 1 Satz 4 VerkFlBerGgestützt wird (BT-Drucks. 14/6964, S. 12; dazu auch Matthiessen,aaO, Rz 18).

§ 9 Abs. 2 VerkFlBerG schließt die von der Kl. geltend gemach-ten Ansprüche jedoch auch dann aus, wenn die öffentliche Nut-zung als Deponiegelände bereits mit der Stilllegung im Jahre 1992und damit vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1.10.2001 aufge-geben worden sein sollte. Der zeitliche Anwendungsbereich desVerkFlBerG in § 1 Abs. 1, nach der die Grundstücke beim Inkraft-treten des Gesetzes noch der öffentlichen Aufgabe dienen müssen,gilt nur für den Bereinigungsanspruch, jedoch nicht für dieRegelung der Rechtsfolgen aus einer Aufgabe der öffentlichenNutzung (Trimbach/Matthiessen, VIZ 2002, 1, 2; Eickmann/Purps,SachenRBerG, § 1 VerkFlBerG Rz 12).

»Das entspricht dem Zweck der an § 82 SachenRBerG orien-tierten Regelung in § 9 Abs. 2 VerkFlBerG, mit der die Härten derallgemeinen Ansprüche aus dem BGB für den öffentlichen Nut-zer vermieden werden sollen (BT-Drucks. 14/6204, S. 22). Damitwäre es unvereinbar, den öffentlichen Nutzer allein deshalbschlechter zu stellen, weil die in der DDR begründete öffentlicheNutzung nicht über ein Jahrzehnt nach dem Eintritt in den Gel-tungsbereich des GG fortgesetzt wurde.« Eine entsprechendeAnwendung des § 9 Abs. 2 VerkFlBerG ist zudem zur Vermeidungeiner mit dem Regelungszweck unvereinbaren Ungleichbehand-lung der Eigentümer öffentlich genutzter Grundstücke geboten.Es dürfen nicht die Eigentümer der Grundstücke bevorzugt wer-den, die diese bereits vor dem 1.10.2001 infolge der Aufgabe deröffentlichen Nutzung wieder privatnützig verwenden konnten,und allein die Eigentümer der Grundstücke durch den Ausschlussallgemeiner Ansprüche benachteiligt werden, die durch dieüber zehn Jahre nach dem 3.10.1990 fortdauernde öffentlicheNutzung in der Ausübung ihrer Eigentümerrechte besonderseingeschränkt waren.

Kommentar:

In der DDR war die Errichtung von Mülldeponien auf privatenGrundstücken nicht selten. Diese Fallkonstellation war nach dem

Beitritt besonders konfliktträchtig, weil diese Nutzungsart eineprivatnützige Verwendung der Grundstücke auf unabsehbare Zeitausschließt und der wirtschaftliche Wert eines Grundstücks, aufdem sich eine stillgelegte Deponie befindet, gering und das Bestre-ben des Grundstückseigentümers, das Grundstück in der ursprüng-lichen Form zurückzuerhalten, daher besonders groß ist.

Der Gesetzgeber des VerkFlBerG hat es deshalb in einer spätenPhase des Gesetzgebungsverfahrens für geboten gehalten, Depo-nien in § 1 Abs. 1 Satz 4 VerkFlBerG ausdrücklich in den Anwen-dungsbereich dieses Gesetzes einzubeziehen (vgl. Beschlussemp-fehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6964,S. 24), um die bis dahin zumeist ungeklärten Rechtsverhältnissezwischen Grundstückseigentümer und öffentlichem Nutzer zuregeln.

Zweifelhaft war die Anwendbarkeit des Gesetzes allerdings inFällen, in denen die Deponie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens desGesetzes bereits stillgelegt war, also nicht mehr zur Ablagerungweiterer Abfälle genutzt wurde. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1Satz 1 gilt das VerkFlBerG nur für Grundstücke, die »einer Ver-waltungsaufgabe noch dienen«. Diese zeitliche Einschränkungbezieht sich nach wohl einhelliger Auffassung allerdings nur aufden eigentlichen Bereinigungsanspruch des öffentlichen Nutzersauf Ankauf des Grundstücks oder auf Bestellung einer beschränk-ten persönlichen Dienstbarkeit (in diesem Sinne bereits Trimbach/Matthiessen, VIZ 2002, 1, 2), nicht aber auf die Folgeansprücheaus § 9 Abs. 2 VerkFlBerG, die gerade die Aufgabe der öffentlichenNutzung voraussetzen.

Nach einer vorliegend nun auch vom OLG vertretenen Ansichtsollen auch die Folgeansprüche aus § 9 Abs. 2 VerkFlBerG nachAufgabe der öffentlichen Nutzung allerdings nur dann gegebensein, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am1.10.2001 ein Bereinigungsanspruch des öffentlichen Nutzers we-gen der Fortdauer der öffentlichen Nutzung bestanden hat, dasRechtsverhältnis also überhaupt den zeitlichen Anwendungsbe-reich des Gesetzes erreicht hat (so auch Matthiessen, in: Kimme[Hrsg.], Offene Vermögensfragen [11/02], § 1 VerkFlBerG Rz 10).Auch für am 1.10.2001 bereits stillgelegte Abfalldeponien wirdman dies wegen der abfallrechtlichen Besonderheiten allerdingsregelmäßig zu bejahen haben. Selbst wenn der eigentlicheDeponiebetrieb eingestellt ist, handelt es sich bei der gemein-wohlverträglichen Endablagerung von Abfällen – wie vom OLGausgeführt – um eine auf Dauer angelegte Verwaltungsaufgabe,die nach § 36 Abs. 2 KrW/AbfG insbesondere Nachsorgepflichtenzum Inhalt hat.

Fällt das Deponiegrundstück damit in den Anwendungsbereichdes VerkFlBerG, so sind Ansprüche des Grundstückseigentümersnach § 1004 BGB auf Beseitigung der Abfallablagerungen ausge-schlossen. Das Rechtsverhältnis wird bis zur Aufgabe der öffent-lichen Nutzung durch § 9 Abs. 1 und danach durch § 9 Abs. 2VerkFlBerG geregelt. In Anwendung des Gesetzes lässt sich mit-hin eine sachgerechte Lösung erzielen.

Es überrascht daher, dass der BGH in dem in dieser Sacheergangenen Beschluss zwar die grundsätzliche Bedeutung derRechtssache verneint, sich gleichwohl aber für eine – wohl ana-loge – Anwendung des § 9 Abs. 2 VerkFlBerG auch in den Fällenausspricht, in denen die öffentliche Nutzung vor dem 1.10.2001beendet worden ist. Die vom BGH für den Analogieschlussangeführten Gründe mögen zwar in diesem Fall einiges für sichhaben. Ob die Interessenlage jedoch in allen Fällen einer Nut-zungsbeendigung zwischen dem 3.10.1990 und dem 1.10.2001vergleichbar ist, bedarf wohl noch gründlicherer Prüfungen ananderer Stelle.

RiOLG Dr. Holger Matthiessen, z.Zt. Justizministerium Brandenburg

Recht der o f fenen Vermögensf ragen

NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 383

Neue Justiz 8/2006384

07 SOZIALRECHT

� 07.1 – 8/06

Verfassungsmäßige Sonderregelungen über Rentenberechnungim Beitrittsgebiet

BSG, Urteil vom 14. März 2006 – B 4 RA 41/04 R (SG Altenburg)

SGB VI §§ 63 Abs. 6, 64, 68, 70 Abs. 1, 254b Abs. 1, 254d, 255a,256a; SGB X §§ 44 Abs. 2, 48 Abs. 1; EinigungsV Art. 30 Abs. 5Satz 3; GG Art. 3

1. Die Sonderregelungen für das Beitrittsgebiet in den §§ 254b,254d, 255a SGB VI über Entgeltpunkte (Ost) und einen beson-deren aktuellen Rentenwert (Ost) waren im Juli 2000 im Hinblickauf die besondere Ausnahmesituation nach der Wiedervereini-gung nicht verfassungswidrig (Fortführung von BSG v. 31.7.2002 –B 4 RA 120/00 R = BSGE 90, 11 = SozR 3-2600 § 255c Nr. 1).2. Macht ein Kläger erstmals im Revisionsverfahren einenAufhebungsanspruch wegen nachträglicher Änderung der Ver-hältnisse gem. § 48 Abs. 1 SGB X geltend, ist dies eine unzulässigeKlageänderung.

Anm. d. Redaktion: Zur – bisher nicht erfolgten – Herstellung einheit-licher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet und der Angleichung der Lohn-und Gehaltssituation in den neuen Bundesländern an die im übrigenBundesgebiet siehe auch BVerfGE 107, 218 = NJ 2003, 585; BSG, Urt.v. 20.10.2005, NJ 2006, 336 (Leits.).

� 07.2 – 8/06

Versicherungspflicht eines ehrenamtlichen Bürgermeisters

BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 – B 12 KR 12/05 R (LSG Chemnitz)

SGB IV §§ 1 Satz 1 Nr. 1, 7 Abs. 1, idF v. 19.12.1998 § 14 Abs. 1;AFG idF v. 15.12.1995 § 168 Abs. 1 Satz 1; SGG idF v. 30.3.1998§ 193 Abs. 4 Satz 1

Ein ehrenamtlicher Bürgermeister einer verbandsangehörigenGemeinde in Sachsen, der eine steuerpflichtige Aufwandsent-schädigung erhält, übt eine abhängige Beschäftigung gegenEntgelt aus.

Anm. d. Redaktion: In dem Rechtsstreit war umstritten, ob der Beigel.als ehrenamtlicher Bürgermeister abhängig beschäftigt und unter Beach-tung der Höhe seiner Aufwandsentschädigung versicherungspflichtigwar. SG und LSG hatten ebenso wie die Bekl. entschieden, dass Perso-nen, die auf kommunaler Ebene ehrenamtlich sowohl eine Verwaltungs-tätigkeit ausüben als auch als Mitglied des Gemeinderats tätig sind,abhängig beschäftigt sind, wenn die Verwaltungstätigkeit im Verhältniszur repräsentativen Tätigkeit im Gemeinderat nicht unerheblich ist.Die Revision der klagenden Gemeinde blieb erfolglos.

� 07.3 – 8/06

Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung und Kostenauferlegung

LSG Halle/Saale, Beschluss vom 1. Juni 2006 – L 7 V 2/06 u.a. (SG Halle)(rechtskräftig)

SGG § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 idF v. 17.8.2001

1. Der Gesetzgeber hat in § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nF zumverfahrensrechtlichen Ausgleich der Objektivierung des materi-ellen Maßstabs die Auferlegung von Kosten von einer richter-lichen Belehrung abhängig gemacht, die sich von der Anhörungnach § 62 SGG durch strengere formale und weitergehendeinhaltliche Anforderungen unterscheidet.2. Die in § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG vorgeschriebene Darle-gung der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -vertei-digung durch den Vorsitzenden soll dem Betroffenen ermögli-chen, die Missbräuchlichkeit der Fortführung des Rechtsstreitseinzusehen, und muss dazu geeignet sein.3. Durch den in § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zusätzlich vorge-schriebenen Hinweis auf die Möglichkeit der Kostenauferlegungsoll auch der unbelehrbare Beteiligte vor der Kostenfolge einerFortführung des Rechtsstreits gewarnt werden. Wegen dieserWarnfunktion darf der Vorsitzende auch schon bei der vorange-gangenen Belehrung an der Missbräuchlichkeit einer Fort-führung des Rechtsstreits keinen Zweifel lassen.4. Die Unzulässigkeit der Klage kann nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2SGG die Missbräuchlichkeit der Fortführung des Rechtsstreitsnur begründen, wenn diese deswegen offensichtlich aussichtslosist.

VERFAHRENSFORTGANG

Unzulässige Verwendung der Bezeichnung »Steuerberatung«durch eine Rechtsanwaltskanzlei

OLG Rostock, Beschluss vom 29. November 2005 – 6 W 12/05 (LG Stralsund)

in: NJ 2006, 277 (Leits.) unter 02.16 – 6/06

Die gegen diese Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde, mit derdie Beschwerdef. eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 u. Art. 3 Abs. 1 GGrügen, hat das BVerfG unter Hinweis auf seine st.Rspr. mit Beschl. v.22.3.2006 (1 BvR 97/06) nicht zur Entscheidung angenommen. Der Zusatz »und Steuerberatung« ist – so die 3. Kammer des ErstenSenats – jedenfalls nach der seit dem 1.3.2006 geltenden Fassung des§ 7 BORA unzulässig. »Nach Abs. 2 der neuen Vorschrift darf ein Rechts-anwalt – und nach Abs. 3 gilt dies entsprechend auch fürBerufsausübungsgemeinschaften nach § 9 BORA – unabhängig vonFachanwaltsbezeichnungen Teilbereiche der Berufstätigkeit nicht benen-nen, soweit damit die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaf-ten oder eine sonstige Irreführung begründet wird.«

Freiberufliches Werberecht und Persönlichkeitsrecht

Kammergericht, Urteil vom 30. September 2005 – 9 U 21/04 (LG Berlin) in: NJ 2006, 83 (bearb. v. Kleine-Cosack) unter 02.11 – 2/06

Der BGH hat mit Beschl. v. 23.5.2006 (VI ZR 235/05) die Beschwerdeder Bekl. gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen. DieAbwägung der beteiligten Grundrechte zugunsten der Kl. durch das KGsei nicht zu beanstanden.

Rechtsprechung

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NJ-Umbruch 8/06 Teil 2.gx 11.07.2006 9:16 Uhr Seite 384

BVerwG: Beamtenbesoldung im Beitrittsgebiet

Beamte in den neuen Bundesländern erhalten eine abgesenkte Besol-dung, wenn sie dort erstmals in ein Beamtenverhältnis mit Anspruchauf Dienstbezüge berufen worden sind. Um Berufsanfänger, die im bis-herigen Bundesgebiet ihre berufliche Qualifikation als Beamte erreichthaben, für den Beamtendienst in den neuen Ländern zu interessieren,war nach den bis 1997 geltenden Regelungen vorgesehen, einenZuschuss zu zahlen, mit dem der Unterschied zwischen der BesoldungOst und West bis heute ausgeglichen wird.Mit Urteilen v. 15.6.2006 (2 C 14/05 u.a.) hat das BVerwG entschie-den, dass auf den Zuschuss auch diejenigen Beamten einen Anspruchhaben, die die laufbahnrechtlichen Anforderungen überwiegend imehem. Bundesgebiet erfüllt haben. Zwar müssen sämtliche Befähigungs-voraussetzungen bei ortsbezogener Betrachtung im ehem. Bundesge-biet erworben worden sein. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass diefachbezogene Ausbildung und die Prüfung ausschließlich im bisheri-gen Bundesgebiet absolviert wurden. Im Einzelfall kann es ausreichen,dass der Beamte die Ausbildung und Prüfung zu gleichen Anteilen imbisherigen Bundesgebiet und im Beitrittsgebiet durchgeführt hat.

(aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 33/06 v. 15.6.2006)

BVerwG: Auflösung altrechtlicher Gemeinden in der DDR

Das BVerwG hat mit Urteilen v. 14.6.2006 (3 C 18/05 u.a.) entschie-den, dass der Grundbesitz der früheren altrechtlichen landwirtschaft-lichen Gemeinschaften – sog. Realgemeinden bzw. Gemeinschaftenvon Separationsinteressenten – den Gemeinden und nicht der Treu-handverwaltung des Bundes zusteht.Im Mittelpunkt der Rechtsstreitigkeiten stand die in der SBZ/DDRerfolgte Neuordnung noch aus dem Mittelalter stammender land-wirtschaftlicher Strukturen. In den Dörfern hatte die sog. Allmende imgemeinschaftlichen Eigentum derjenigen Bauern gestanden, die eineHofstelle im Ort besaßen. Während des 19. Jh. wurden nutzbareFlächen – namentlich Weiden – vielfach unter den beteiligten Bauernaufgeteilt (separiert). Von der Aufteilung ausgenommen blieben jedochWege und Gräben, Brunnen, Kiesgruben, auch Wälder. An diesenFlächen blieb gemeinschaftliches Eigentum bestehen, das nach demZweiten Weltkrieg entschädigungslos aufgelöst wurde.

(aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 32/06 v. 14.6.2006)

Zu altrechtlichen Personenzusammenschlüssen und ihrem Grundbuch-Schick-sal in den neuen Bundesländern siehe W. Böhringer, NJ 2000, 120 ff.

BAG: Altersabstandsklausel und Gemeinschaftsrecht

Das BAG hat eine vom Arbeitgeber geschaffene VersorgungsO zubeurteilen, wonach die Hinterbliebenenversorgung dann nicht gewährtwird, wenn der hinterbliebene Ehegatte mehr als 15 Jahre jünger istals der verstorbene ehem. Arbeitnehmer. Der arbeitsrechtliche Gleich-behandlungsgrundsatz steht nach deutschem Recht einer solchenRegelung nicht entgegen. Es erscheint jedoch nach dem EuGH-Urt. v.22.11.2005 (C-144/04; siehe Pressemitt. in NJ 1/06, III ) zweifelhaft, obdie Rechtslage unter Berücksichtigung des EG-Rechts anders zu beur-teilen ist. Das BAG hat mit Beschl. v. 27.6.2006 (3 AZR 352/05) das Ver-fahren daher ausgesetzt und dem EuGH u.a. folgende Fragen vorgelegt:1. a) Enthält das Primärrecht der EG ein Verbot der Diskriminierungwegen des Alters, dessen Schutz die Gerichte der Mitgliedstaaten auchdann zu gewährleisten haben, wenn die möglicherweise diskriminie-rende Behandlung keinen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist?b) Falls die Frage zu a) verneint wird, wird ein solcher gemeinschafts-rechtlicher Bezug hergestellt durch Art. 13 EG oder die RL 2000/78/EG?2. Ist ein sich aus der Beantwortung der Frage zu 1. ergebendes gemein-schaftsrechtliches Verbot der Diskriminierung wegen des Alters auchanwendbar zwischen privaten Arbeitgebern und ihren Arbeitnehmernoder Betriebsrentnern und deren Hinterbliebenen?

(aus: Pressemitteilung des BAG Nr. 43/06 v. 27.6.2006)

Neue Justiz 8/2006 V

Fortsetzung von Seite IVBAG: Rückwirkende Inkraftsetzung des Hochschulbefristungsrechtsverfassungsgemäß

Im 5. HRGÄndG v. 16.2.2002 hatte der Gesetzgeber neben derEinführung der Juniorprofessur auch das Zeitvertragsrecht des wis-senschaftlichen und künstlerischen Personals (§§ 57 ff. HRG) grund-legend neu geregelt. Das BVerfG erklärte mit Urt. v. 27.7.2004 (NJ2004, 457 bearb. v. Wrase]) die Vorschriften des 5. HRGÄndG insgesamtfür nichtig. Darauf erließ der Gesetzgeber das Ges. zur Änderungdienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hochschulbereich v.27.12.2004, wonach u.a. die im 5. HRGÄndG enthaltenen befristungs-rechtlichen Vorschriften auf Arbeitsverträge anzuwenden sind, dieseit dem 23.2.2002 bis zum 27.7.2004 abgeschlossen wurden. Das BAG hat mit Urt. v. 21.6.2006 (7 AZR 234/05) entschieden, dassdie rückwirkende Inkraftsetzung der §§ 57a-e HRG mit den sich ausdem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Grundsätzen vereinbar ist. DasGes. v. 27.12.2004 stellt nur die Rechtslage wieder her, von der beideVertragsparteien beim Abschluss der Befristungsabrede im Jahr 2003ausgehen mussten. Zum damaligen Zeitpunkt bestanden keineAnhaltspunkte dafür, dass die §§ 57a ff. HRG im Zusammenhang mitder Entscheidung über die Juniorprofessur für nichtig erklärt werdenwürden. Das Vertrauen des Kl. in den Fortbestand der für ihn späterals günstig erkannten Rechtslage war nicht schutzwürdig. Er mussteangesichts der durch die Feststellung der Nichtigkeit entstandenenRegelungslücke mit einer rückwirkenden Normsetzung rechnen.

(aus: Pressemitteilung des BAG Nr. 41/06 v. 21.6.2006)

BAG: Nachvertragliches Wettbewerbsverbot im Arbeitsvertrag

Verpflichtet sich ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber imArbeitsvertrag, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für längstenszwei Jahre bestimmte Wettbewerbshandlungen zu unterlassen, und istim Arbeitsvertrag geregelt, dass im Übrigen die gesetzlichen Vor-schriften der §§ 74 ff. HGB gelten, ist die Wettbewerbsabrede nichtwegen Fehlens einer Karenzentschädigung nichtig. In einem solchenFall decken die Arbeitsvertragsparteien mit der Bezugnahme auf die§§ 74 ff. HGB aufgrund der Regelungsdichte dieser gesetzlichen Vor-schriften alle wesentlichen Elemente einer Wettbewerbsabrede unddamit auch die Zahlung von Karenzentschädigung ab. Ein nachver-tragliches Wettbewerbsverbot setzt nicht voraus, dass das Arbeitsver-hältnis erst nach Ablauf einer vereinbarten Probezeit endet. Soll dasVerbot erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit in Kraft treten, müssendie Parteien dies vereinbaren. Fehlt eine solche Abrede, kann sich derArbeitgeber auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Wettbewerbs-verbot diene nicht dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Inte-resses. Diese rechtshindernde Einwendung steht nur dem Arbeitneh-mer zu. Das entschied das BAG mit Urt. v. 28.6.2006 (10 AZR 407/05).

(aus: Pressemitteilung des BAG Nr. 44/06 v. 28.6.2006)

Landesgerichte

VerfG Brandenburg: Verfahren gegen GemeindefinanzierungsG abgeschlossen

Das VerfG Brandenburg hat am 15.6.2006 u.a. über die letzten beidenaus Anlass der landesweiten Gemeindegebietsreform erhobenenkommunalen Verfassungsbeschwerden entschieden. Die beschwerdef.früheren Gemeinden Rottstock (31/05) aus dem Amt Ziesar und Gosen(33/05) aus dem Amt Spreenhagen hatten keinen Erfolg. Das VerfG sahdie Eingliederung von Rottstock in die Nachbargemeinde Gräben undden Zusammenschluss der benachbarten Gemeinden Gosen undNeu Zittau bei Erhalt des jeweiligen Amtes als verfassungsrechtlichunbedenklich an.

Mantel für NJ 8/06.gxd 11.07.2006 9:52 Uhr Seite V

Uwe WeselGeschichte des RechtsVon den Frühformen bis zur GegenwartVerlag C. H. Beck, 3., überarb. u. erw. Aufl., München 2006651 S., in Leinen, 35,– €ISBN 3-406-54716-8Der Band vereinigt die Rechtsgeschichte der Antike und Neuzeit,erschließt zugleich die Prähistorie und führt die Entwicklung hoch-aktuell bis in die Gegenwart fort. Die oft als spröde verrufene Materiewird durch den Autor ungemein anschaulich, lebendig und zugleichin konzentrierter Form dargestellt. In der 3. Auflage werden neu behan-delt die Folter, der Hitler-Prozess von 1923 und jüngste Entwicklungenim Völkerrecht, in der Europäischen Union und in Deutschland.

T. Müller-Heidelberg/U. Finckh/E. Steven/J. Kühn/J. Micksch/W. Kaleck/M. Kutscha/R. Gössner/F. Schreiber (Hrsg.)Grundrechte-Report 2006Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in DeutschlandFischer Taschenbuch, Frankfurt/M. 2006256 S., brosch., 9,95 €ISBN 3-596-17177-6Das zum 10. Mal erschienene Jahrbuch hat sich zum Sprachrohr all der-jenigen entwickelt, die sich für die Menschen- und Bürgerrechte undfür den demokratischen Rechtsstaat einsetzen, und mittlerweile den Rufeines alternativen Verfassungsschutzberichts erlangt. Für das Jahr 2006stehen u.a. folgende Themen im Mittelpunkt: Ausbau des Überwachungs-staates, Verletzung der Pressefreiheit, Einschränkung des Demonstra-tionsrechts, zunehmende Repressionen gegen Muslime sowie demo-kratiegefährdende Aktivitäten von Geheimdiensten.

Jürgen FennVerfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichenUnfallversicherungGefahrtarif und DDR-Altlasten als GleichheitsproblemVerlag Peter Lang, Frankfurt/M. u.a. 2006201 S., brosch., 42,50 €ISBN 3-631-54536-3Bei der vorliegenden Dissertation handelt es sich um die erste mono-graphische Bearbeitung des Themas »DDR-Altlasten in der Unfall-versicherung« überhaupt. Dabei behandelt der Autor sowohl dieFestsetzung des Gefahrtarifs als auch die Umlage der DDR-Altlasten alsGleichheitsproblem. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass der DDR-Lasten-ausgleich gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, und schlägt insoweit dessenNeuordnung vor.

Hans Schulte-Nölke/Norbert Frenz/Eckhard Flohr (Hrsg.)Formularbuch VertragsrechtVerträge • Musterschriftsätze bei VertragsstörungenZAP Verlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, 2., überarb. u. erw. Aufl.,Münster 2006. 1.926 S., geb., mit CD-ROM, 102,– €ISBN 3-89655-203-1Die Neuauflage des Formularbuchs orientiert sich an der praktischenFallbearbeitung in der Kanzlei und ist sowohl für die anwaltlicheBeratung als auch die Vertragsgestaltung konzipiert. Am Anfang jedenKapitels erhält der Nutzer ein »Wissens-Update«, in dem Grundlagenund wichtige Neuerungen für jedes Teilgebiet übersichtlich dargestelltwerden. In der sich anschließenden Vertragsgestaltung werden zahl-reiche praxiserprobte Vorschläge für Vertragsmuster aufgeführt. Neuaufgenommen wurden u.a. Verträge und Musterschriftsätze zu denBereichen »Architektenrecht« und »Vergütungsvereinbarung«.

W. Gerold/H. Schmidt/K. v. Eicken/W. Madert/St. Müller-RabeRechtsanwaltsvergütungsgesetzKommentarVerlag C. H. Beck, 17., überarb. Aufl., München 20062.032 S., in Leinen, 98,– €ISBN 3-406-53832-0Die 17. Auflage bietet eine zusammenfassende Kommentierung vonRechtsprechung und Literatur mit allen bisher 13 Änderungen seitInkrafttreten des RVG. Besonderes Augenmerk wird dabei auch auf diefrei ausgehandelte Vergütung bei der außergerichtlichen Beratunggelegt, die mit der letzten Stufe des KostRModG für Rechtsanwälte zum1.7.2006 an die Stelle der Tarifvergütung des RVG getreten ist.

VI Neue Justiz 8/2006

BuchumschauDamit sind – nachdem seit Mitte 2003 über 243 Anträge von Gemein-den auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu befinden war – nunauch alle 255 Kommunalverfassungsbeschwerden entschieden. Mitihren Verfassungsbeschwerden hatten insges. 30 Gemeinden zunächstwegen Anhörungsfehlern im Gesetzgebungsverfahren Erfolg. ImHinblick darauf erließ der Gesetzgeber ein Ges. zur Bestätigung derlandesweiten Gemeindegebietsreform nach weiterer Bevölkerungs-anhörung, mit dem er im Ergebnis an seinen betreffenden Neuglie-derungsvorstellungen festhielt. Einige der von der Bestätigung betrof-fenen Gemeinden – darunter auch die Gemeinden Rottstock undGosen – wandten sich daraufhin ein zweites Mal an das LVerfG. Sieblieben aber schließlich in der Sache ohne Erfolg. Im Übrigen obsiegten allein die Gemeinden Königsberg (63/03) undHerzsprung (138/03), und zwar wegen materieller Fehler der Abwägung.Der Gesetzgeber hatte beabsichtigt, sie in die Stadt Wittstock/Dosseeinzugliedern. Nach den Entscheidungen des VerfG im Jahr 2004konnten sie ihre Zuordnung zur amtsfreien Gemeinde Heiligengrabeerreichen.

(aus: Pressemitteilung des VerfG Brandenburg v. 20.6.2006)

OVG Berlin-Brandenburg: Keine Einsicht von Landtagsabgeordneten in Trennungsgeldvorgänge

Mit Beschlüssen v. 20.6.2006 (4 S 50/05 u. 84/05) hat das OVG zweiEntscheidungen des VG Potsdam bestätigt, mit denen dem Land Bran-denburg untersagt worden war, einzelnen LandtagsabgeordnetenEinsicht in die Trennungsgeldvorgänge von Beamten des Landes zugewähren.Das Akteneinsichtsrecht der Abgeordneten als Mittel parlamentari-scher Kontrolle genießt nach der Landesverfassung zwar einen hohenStellenwert; es muss jedoch im Einzelfall mit dem – ebenfalls durch dieVerfassung geschützten – privaten Interesse der Betroffenen an derGeheimhaltung ihrer persönlichen Daten abgewogen werden. Tren-nungsgeldakten enthalten typischerweise eine Vielzahl persönlicherDaten des Beamten und seines engsten persönlichen Umfelds. AlsBestandteil der Personalakten gehören sie zu den Vorgängen, dieihrem Wesen nach grundsätzlich geheim zu halten sind; sie unter-liegen besonderem Schutz und einem hohen Maß an Vertraulichkeit.Bei der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Abgeord-neten und dem privaten Interesse einzelner Beamter an der Geheim-haltung ihrer in den Trennungsgeldakten enthaltenen persönlichenDaten erweist sich die Preisgabe der Daten als unverhältnismäßig.Das Recht der Abgeordneten auf Akteneinsicht hat daher hinter demRecht der Beamten auf Datenschutz zurückzutreten.

(aus: Pressemitteilung des OVG Berlin-Brandenburg Nr. 27/06 v. 22.6.2006)

LG Berlin: Unwirksame Gaspreiserhöhungen für SonderkundenDas LG Berlin hat mit Urt. v. 19.6.2006 (34 O 611/05) die Unwirk-samkeit der von den Berliner Gaswerken zum 1.10.2005 vorgenom-menen Erhöhungen der Gaspreise für Sonderkunden festgestellt. DasGericht begründete seine Entscheidung damit, dass 38 Kläger mit derGASAG Sondertarife abgeschlossen hätten. Für die Wirksamkeit derPreiserhöhungen komme es – anders als für die allgemeinen Tarife,auf die die VO über Allgemeine Bedingungen der Gasversorgung vonTarifkunden anwendbar sei – darauf an, ob die in den AGB der GASAGvorgesehenen Regelungen für Preiserhöhungen wirksam seien. DieKammer hält diese wegen des Verstoßes gegen das Transparenzgebotfür unwirksam. Sie benachteilige die Kunden der GASAG unangemes-sen. Damit hatte die Klage Erfolg, ohne dass über die Rechtmäßigkeitder Preiserhöhungen, insbesondere die ihnen zugrunde liegendeKalkulation, entschieden werden musste.Die Klagen von drei Kunden wurden abgewiesen. Diese hatten zum1.10.2005 neue Verträge abgeschlossen, so dass die Höhe der Gaspreisenicht auf einer Anwendung der AGB der GASAG beruhte.

(aus: Pressemitteilung des Kammergerichts Nr. 25/06 v. 19.6.2006)

Mantel für NJ 8/06.gxd 11.07.2006 9:52 Uhr Seite VI

VIINeue Justiz 8/2006

Axel Dessecker (Hrsg.)Jugendarbeitslosigkeit und KriminalitätKriminologische Zentralstelle e.V. (KrimZ), Wiesbaden 2006275 S., brosch., 25,– €ISBN 3-926371-71-4Der Band geht auf die Beiträge einer Tagung im April 2005 zurück, dievon der KrimZ in Zusammenarbeit mit dem Sächs. Staatsministeriumder Justiz in Leipzig durchgeführt wurde. Er enthält u.a. aktuelle For-schungsergebnisse zu folgenden Themen: Berufsbildung, Arbeit undDelinquenz/Freizeitverhalten, Cliquenzugehörigkeit und Gewaltkrimi-nalität/Maßnahmen zur Verhinderung von Jugendarbeitslosigkeit undihrer Wirksamkeit/E-learning im Strafvollzug.

Wolfgang Däubler (Hrsg.)Tarifvertragsgesetzmit Arbeitnehmer-EntsendegesetzNomos Verlagsgesellschaft, 2. Aufl., Baden-Baden 20061.709 S., geb., 158,– €ISBN 3-8329-1779-9Der Großkommentar wurde durchgehend aktualisiert mit dem Anlie-gen, den Benutzer möglichst umfassend über den Stand der Judikaturund die in den juristischen Auseinandersetzungen gewechseltenArgumente (Stand: März 2006) zu informieren. Dabei konzentrierensich die Autoren nicht nur auf die »großen« Fragen, wie das Verhältnisdes Tarifvertrags zu betrieblichen Verhandlungssystemen, sondernbehandeln auch zahlreiche sehr konkrete Probleme von den Aus-schlussklauseln bis zu den neuen Formen der Altersversorgung.

Uwe J. Scherf/Hans-Peter Schmieszek/Wolfram ViefhuesElektronischer RechtsverkehrKommentar und HandbuchC. F. Müller, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm, Heidelberg 2006208 S., kart., 36,– €ISBN 3-8114-3321-0Der elektronische Rechtsverkehr hat zu einer radikalen Änderung derArbeitsabläufe geführt, den sich auf Dauer kein Jurist wird entziehenkönnen. Das Praxishandbuch erläutert in seinem Kommentarteil dierechtlichen Änderungen der Verfahrensordnungen durch das Justiz-kommunikationsG. Im Handbuchteil werden die einschlägigen tech-nischen Begriffe dargestellt und gleichzeitig praktische Hilfestellungengegeben, wie der Rechtsanwender das neue Medium sinnvoll undgewinnbringend nutzen kann.

Alois Wosnitzka (Hrsg.)Das Neue Kriminalgericht in MoabitFestschrift zum 100. GeburtstagBerliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2006184 S., geb., 25,– €ISBN 3-8305-1176-0Das 1906 erbaute Kriminalgericht ist ein Ort mit reicher Historie, derzugleich menschliche Gefühle unterschiedlichster Natur unter einemDach vereint. 13 Autoren haben in der Festschrift ihre Eindrückegeschildert bzw. dargestellt, was sie am Kriminalgericht interessiert,fasziniert, begeistert oder irritiert. So ist ein buntes Porträt entstanden,das von Statistiken, Skurrilitäten, Mitarbeitern und Einrichtungen fürVerfahrensbeteiligte bis hin zum benachbarten Untersuchungsgefäng-nis die Normalitäten und Besonderheiten dieses Gerichts beinhaltet.

Weitere Neuerscheinungen:

Rechtsgrund und Haftungsauslösung im StaatshaftungsrechtEine Untersuchung auf europarechtlicher und rechtsvergleichenderGrundlage. Von Athanasios Gromitsaris. Duncker & Humblot, Berlin2006. 301 S., brosch., 98,– €. ISBN 3-428-12029-9.

Die Insolvenz des FreiberuflersVon Charlotte Schildt. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2006.207 S., brosch., 39,– €. ISBN 3-8329-1858-2.

Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen StrafverfahrenVon Markus Neuser. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2006.287 S., brosch., 59,– €. ISBN 3-8329-1923-6.

(ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten)

Vom 18. bis 23. September 2006 findet in Cottbus unter der Schirm-herrschaft der Ministerin der Justiz des Landes Brandenburg, BeateBlechinger, die Woche der Rechtskultur unter dem Motto »Brückenbauen« statt, für die u.a. folgende Themen vorgesehen sind:Montag, den 18.9.2006• Weg von der Spaßgesellschaft und hin zur Rechts- und Verantwor-

tungsgesellschaft. Wie können Schüler und andere Bürger im Alltaghelfen? (Podiumsdiskussion u.a. mit Almuth Berger, Ausländerbe-auftragte des Landes Brandenburg; Sigrun v. Hasseln, Vorsitzende desBundesverbands der Jugendrechtshäuser Deutschland e.V.; Dr. ErardoC. Rautenberg, Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg)

• Rechtspädagogik in praktischer Anwendung am Beispiel Antibullyingan 17 Schulen im Landkreis Ostprignitz-Ruppin (Workshop)

Dienstag, den 19.9.2006• Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte gehen in die Schulen.

Potsdamer Leitlinien für die Rechtsvermittlung durch Juristen anSchulen und ihre Umsetzung in die Praxis (Workshop)

• Emphatie, Vernunft, Dynamik (Rechtspädagogisches Kolloquiummit Sigrun v. Hasseln, Begründerin der Rechtspädagogik, Lehrbeauf-tragte der Technischen Universität Cottbus)

Mittwoch, den 20.9.2006• Gewalt – mit mir nicht. Rechtspädagogisches Gemeinschaftsprojekt

zwischen Jugendrechtshaus, Polzei und Grundschulen (Workshop)• Vorbeugen ist besser als heilen und strafen! Arbeiten mit schwer

erreichbaren Eltern (Workshop)Donnerstag, den 21.9.2006• Rechtskultur in Wirtschaft und Arbeitsleben. Das neue Allgemeine

Gleichbehandlungsgesetz (Unternehmerworkshop)• Rechtspädagogisches Arbeiten mit delinquenten Kindern (Workshop)• Anarchie statt Rechtskultur an deutschen Schulen? Hilflose Lehrer,

gewalttätige Schüler, Fremdenhass – ist Rechtsextremismus heilbar?(Diskussionsveranstaltung im Forum der »Lausitzer Rundschau«)

Freitag, den 22.9.2006• 6. Jahrestreffen der Jugendrechtshäuser• Feierliche Eröffnung der Akademie für Rechtskultur und Rechts-

pädagogikSamstag, den 23.9.2006• Fortsetzung des 6. Jahrestreffens der JugendrechtshäuserTeilnahmegebühr: 60 €/Ehepaare ingesamt 90 € (einschl. umfangreicherTagungsmappe etc.)Weitere Informationen und Anmeldung: Frau Hella Hering-Ebbinghaus,Bundesverband der Jugendrechtshäuser Deutschland e.V., StandortNiedersachsen. Stichwort: Woche der Rechtskultur. Von-Witzleben-Allee 5, 27798 Hude. Tel.: (04408) 80 84 30; Fax: (04408) 7910. E-Mail:[email protected]. Oder: Frau Antje Feistkorn,Akademie für Rechtskultur und Rechtspädagogik, Cottbus. Stichwort:Woche der Rechtskultur. Tel.: (0179) 9299257, E-Mail: [email protected]

*Der Deutsche Juristinnenbund (djb) veranstaltet vom 20. bis 22. Okto-ber 2006 in Bonn sein diesjähriges Seminar zu dem Thema

»Europarecht ist unser Recht –zur Regelung von Dienstleistungen auf europäischer Ebene«.

Als Themen sind u.a. vorgesehen:• Wie sozial ist unser Modell Europa? Aktuelles aus der Rechtsetzung

sowie aus der Rechtsprechung des EuGH (Ref.: Prof. Dr. WaltraudHakenberg, Kanzlerin des Gerichts für den öffentlichen Dienst derEuropäischen Union, Luxemburg)

• Die EU-Dienstleistungsrichtlinie – Ziele, Hintergrund und Stand derDiskussion (Ref.: Dr. Andrea Liesenfeld, Europäische Kommission,Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen, Brüssel)

• Die Dienstleistungsrichtlinie – im Widerspruch zum sozialen Europa(Ref.: Evelyne Gebhardt, MdEP, Brüssel)

• Arbeitsrechtliche Aspekte der Dienstleistungsrichtlinie (Ref.: Prof.Dr. Marita Körner, Fachhochschule für Wirtschaft, Berlin)

• Vorstellung des Entwurfs einer Stellungnahme des djb zur Dienstleis-tungsrichtlinie mit Abschlussdiskussion

Am 20.10.2006 findet ein Workshop des Arbeitsstabs »Berufsorien-tierung, Karriereplanung« für Berufsanfängerinnen und »Fortge-schrittene« statt.Anmeldung und weitere Informationen: Deutscher Juristinnenbund e.V.,Geschäftsstelle, Anklamer Str. 38, 10115 Berlin. Tel.: (030) 44 32 70-0,Fax: (030) 44 32 70-22, E-Mail: [email protected]; Internet:www.djb.de

Veranstaltungstermine

Mantel für NJ 8/06.gxd 11.07.2006 9:52 Uhr Seite VII