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Per BIBLIOTECA "G. MELLI„ S. PIETRO VERNOTICO iderspruch im Wissen and Wesen del 6 Welt. Princip und Einzelbew5hrung der Realdialektik. Von Dr. Julius Bahnse Erster Band. 111:101 Et bat.i ; d7.1 ttG iv' CI a t- S. PIETRO" . ,.tu ts Nil parvum sapias et adhuc sublimia cures ..■■■•1=1. Quid velit et possit rerum concordia discors. fa li or. Zweite Ausgabe. Leipzig. Th. Grieben's Verlag (L. Fernau.) 1882. Biblioteca Comunale "Giuseppe Melli" - San Pietro Vernotico (BR)

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Per BIBLIOTECA"G. MELLI„

S. PIETRO VERNOTICOiderspruchim

Wissen and Wesen del 6 Welt.

Princip und Einzelbew5hrungder

Realdialektik.Von

Dr. Julius Bahnse

Erster Band.

111:101 Et bat.i ; d7.1ttG iv' CI a t-

S. PIETRO" . ,.tu ts

Nil parvum sapias et adhuc sublimia cures..■■■•1=1.

Quid velit et possit rerum concordia discors.fa li or.

Zweite Ausgabe.

Leipzig.Th. Grieben's Verlag (L. Fernau.)

1882.

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r. anima

66 Warum nennt die Realdialektik ihr Princip antilogiseh ?

aber nicht im Wirklichen selber anzuerkennen wagt und deshalhaus irgend einem metaphysischen Jenseits sich Rettung ftirseine Logik herabzulangen versucht.

Aber oh jenes wohl gar so aberwitzig sich anh6rt ? odersieht es nicht mehr nach „Deliriren" ami, wenn sich von jeherdie Abstraction herausnehmen wollte , die Anschauung zumeistern durch die Consequenz des Denkens ? Und wo manmit Recht von eigentlichem „Aberwitz" reden konnte , da wares sicherlich , weil die Vernunft selber sich in Transscendenzenverstiegen bade , wo allem Denken der Athem ausgehen muss,wahrend alle anschauende Erkenntniss sich den Doppelvorzugwahrt, nicht Moss niichtern zu bleiben, sondern auch die Warmedes „Herzens" mit „des Wissens Gut" verbinden zu kiinnen.Wer war denn wohl mehr „bei gesunden Sinnen": der sich der De-.monstration der Unm6glichkeit der Bewegung vermass, oder jenerunverdrehte Kopf, der sich anders auf keine Widerlegung em-less, als dass er seine Strasse fiirbass zog („siehe, ich gehe !")und so die Wirklichkeit dessen zeigte, was ihm hatte „ausge-redet" werden sollen ? Ware alles factisch unm6glich , waslogisch unausdenkbar ist , so k6nnte es ja auch nirgends in derWelt nur das einfachste Werden geben.

Indem sich aber so die Realdialektik mit allen Kraften widerdie Unterstellung stemmt , als miisse sie nun auch alles , wasantilogisch ist, eo ipso fiir realdialektisch gelten lassen, erwachstihr die weitere Verpflichtung , nahere Auskunft zu geben outdie Frage :

10 1 Warum und inwiefern nennt die Realdialektik ihr Princip em nantilogisches ?

Es muss wohl eine Naivetat von mir gewesen sein, wennich annahm, dass bei „Widerspruch" jedermann das Zusammenvon Ja und Nein sich vorstellen werde , und dass ich , wedsolches Zusammendenken eine den Grundgesetzen der gemeinenLogik zuwiderlaufende Zumuthung in sick schliesst, mich nun auchfiir berechtigt hielt, es etwas Antilogisches zu nennen, wenn dieRealdialektik zu ihrem metaphysischen Princip einen sich selberwidersprechenden , namlich seinen eigenen Inhalt zugleich be-jahenden und verneinenden , oder genauer : einen Ja und Neinzugleich zum Inhalt habenden Willen nimmt. Damit, dass ich

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Logisch rectograder Verlauf innerhalb des Realdialektiscben. 67

zugleich gesagt batte: innerhalb seiner Widerspruchs-n at ur verlaufe das Geschehende logisch rectograd , sollte ichsofort wieder diesen antilogischen Grundcharakter meiner Lehreaufgegeben haben , wahrend damit doch welter nichts ausge-sprochen sein solite, als : der Wille bleibt sich in seinem wider-sprechenden Wesen selbst getreu, mit sich selber identisch undins oweit logisch correct. In solchem Sinne batte ich (schonin der Schrift „Zur Philosophie der Gescbichte") allerdingsauch gewagt, von einer Gesetzlichkeit des Widersprechenden alssolchen zu reden. Bei dem , was ich „partiell verniinftig"nannte, solite also auch nicht etwa an emn strichweises oderscbachbrettartiges Nebeneinanderbestehen logiscber und anti-logischer Vorgange gedacht , sondern es solite damit ganzeinfach dem Begriff des Antilogischen die ihm gebfihrende Ein-schrdnkung (Limitation und Restriction) beigegeben werden,weil wir denn doch den Verlauf des Geschehenden , so weitdabei nicht der zu Grunde liegende Wesenswider-spruch des mit sich selber entzweiten Willens inBetracht k omm t , sehr wohl streckenweise mit logischenKategorien begleiten k6nnen. Die Realdialektik muss doch sogut wie jede andere Philosophie fiir die Entstehung der logischenKategorien eine wenigstens psychologische Herleitung zu gebenwissen , und woher sollte sie diese denn anders entnehmen , alsaus ether Erfahrung, welche dazu angethan ist, derartige Sche-mata psychisch zu formiren ? Was wir oben (S. 15) E. v. Hart-mann von „M6glichkeiten" sagen h6rten, welche erst unter Vor-aussetzung des Unlogischen — was ich das realdialektischeGrundwesen der Welt nenne — aufh6ren reell unm6glich zu seinund welche doch von logisch so rigoristisch iu Werk gehendenWissenschaften, wie die Mathematik eine ist, sich tractiren lassen :das wird erst recht verstandlich dadurch , dass eben im Verlaufdes Sichselberwidersprechenden im vorher erlduterten Sinne eine„partiell logische" Folgerichtigkeit waltet , verm6ge deren diehalbseitige (existentielle) Manifestationsweise des essentiell real-dialektisch Gespaltenen (Selbstentzweiten) in den Formen lo-gischer Nothwendigkeit vor sich geht.

Grade als R e al dialektik hat unsere Auffassung das Recht,ihren Inhalt als einen specifisch antilogischen zu charakterisiren ;denn in diesem steht Logisches wider Logisches : die eine Seiteder widersprechenden Willensrichtungen in ihrem immanent lo-

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68 Warum nennt die Realdialektik ihr Prineip antilogiseh?•

gischen Verlauf gegen die andere in deren nicht minder logischcorrectem Hergange, sodass wir in dieser contradictorischeri Hal-birtheit in der That eine wider sich selber gekehrte Logikhaben , in.dem jede Halite des in Bich Selbstentzweiten in sicbselber sich nach logischer Folgerichtigkeit geberdet.

Nur weil dem so ist, sind wir iiberhaupt im Stanch, mitunserer gegebenen Denk'organisation dem Seienden nachzukommen.Ware dieses das, wozu es mir landlaufige Entstellung unter denHanden hat verdreben wollen , das „absolut" Unsinnige , dannware es auch das ffir unsere geistigen Organe schlechthin Un-fassbare und Unbegreifliche, und dann ware allerdings auchkeinerlei Philosophie mòglich, so wenig nach einseitig logischer,wie nach doppelseitig realdialektischer Anlage.

Das absolut Sinnlose dfinkt uns so wenig denkbar wie andernverniinftigen Menschen denu das miisste emn solches sein,wormn auch jene halbseitige Consequenz nicht vorhanden ware,auf welche die Denkorganisation , qua, logisch funckonirende,accommodirt und eingestellt ist. Die realdialektische Functioni-rungsweise ist ja eben nur die zweiseitige , namlich jene ein-seitige durch ihre Kebrseite erganzt. 1Vollte t man also diesesrealdialektische Denken, das als solohes ebenso das entsprechendeCorrelat zur Ganzheit und Einheit des Selbstentzweiten bildet,vie das logische Denken das zu je einer der beiden Millen,selber auf je nur eine dieser beiden Seiten appliciren, somiisste sich grade so eine unertragliche (sozusagen naetadialek-tische) Inadaquatheit herausstellen, wie da, wo man — nach bis-heriger Weise vulgarlogischer Systeme — den Versuch machte, fiirdas Ganze auszukommen mit dem, was nur je mit einer der Half-ten als deren subjectives Spiegelbild zu dianòologischer Deckunguebracht werden kann.

Seitdem die her verhandelten Instanzen zum erstenmalewider mich erhoben wurden, bin ich darauf bedacht geblieben,das antilogische Verhalten der Realdialektik durch emn einfachesBild zu veranschaulichen.

Die Wege der einfachen Logik lassen sich Strassen ver-gleichen , in welch.en die Hausnummern beiderseits rectogradfortlaufen, etwa rechts die graden, links die ungraden Zahlen.Wie es aber in grossen Stadten bei langausgedehnten Hauser-zeilen beliebter ist , die Nummern auf der einen Seite daanfangen zu lassen , wo sie auf der andern aufgebbrt haben, so

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Die halbseitige Reehtlaufigkeit des Antilogischen. 69

class die Fortgangsrichtung beiderseits eine entgegengesetzte ist,und wie, war etwa unversehens in die Mitte gestellt sich umsehenwollte, schwer begreifen Unnte, wie so weit auseinanderliegendeZiffern einander zu stehein gekommen waren : so machtdie Realdialektik auf den nicht sogleich Orientirten leicht denEindruck des Regellosen , wie wenn etwa Einer aus der verein.-zelten Wahrnehmung, die er an zwei einander gegentberliegen-den Hausern gemacht hatte , schliessen wollte , dass hier Allesdurcheinanderginge, oder vermuthen , dass die Thuser nach derReihenfolge ihres Aufbaus numerirt waren. Die Schwiengkeitware also ziemlich dieselbe, wie sie eine Handschrift bereitenkonnte , welch° unentzifferbar schien , che man die Entdeckunggemacht hatte , dass man bei manchen Vòlkern zu gewissenZeiten flovateopid6v , die Zeilen abwechselnd von links nachrechts und von rechts nach links fiihrend, geschrieben hat.

Wenn aber nun in analoger Weise die Selbstverwirk-lichung des selbstentzweiten Willens einerseits logisch rectograciund andererseits logisch retrograd verlauft, so hebt doch einederartige Alternation des Gedankens so wenig das Hecht auf,jede der beiden Parallelen in sich logisch correct fortzuffihren,als das andere: das Verhaltniss beider Bewegungsweisen zu ein-ander als emn antilogisches zu bezeichnen,

Quer zu quer giebt ja wieder die urspriingliche Langsrich-tung, und das „Superkluge" , welches auf halbem Wegehalbe Wahrheit stehen bleibt, weist „fiber sich hinaus" zur Voll-endung jener Kreisbewegung, welche zur Einfachheit des Rich-

, tigen zurfickkehrt. Die coincidentia oppositorum, von der schonJacobi sagte , dass Hamann ihr framer nachgegangen , wahrendderselbe dem principium contradictionis wie dem des zureichendenGrundes von Herzen gram gewesen, gehòrt erst unter die Vor-ahnungen von der Wahrheit des realdialektischen Gedankens,wie auch was Lassalle in seinem Heraklit fand : die Philosophieder Identitat der Gegensatze. Als aber Herbart sich unterfing,

. t eine widerspruchsfreie Metaphysik herstellen zu wollen, waifihm Fechner die Frage entgegen : heisst es das Gegebene be-greiflich machen, wenn man die Widersprfiche mit haeren fiber-Motet ?

Ihren Adepten mtichte die Realdialektik eher den Weihe-spruch entgegentragen : lernet das cariiWS ipEúdog des Platoten! oder als Deutsche anerkennen, class es nicht bloss art

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70 Warmn nennt die Realdialektik ihr Primly.) antilogisch?

den individuellen Unterschieden der einzelnen Palle liegt, wormso oft das nach Maassgabe der abstract logischen Hegel Ver-kehrte das einzig Richtige , namlich das von der -eigentlichenNatur der Verhaltnisse Vorgeschriebene ist.

Die Welt diinkt tins nur so , wir nennen sie nur anti-logisch, weil sie zu dem Schema nicht passt, welches wir psycho-logisch als logische Schablone fiir Bare Auffassung unii Be-messung mitbringen — in sich , d. h. auf der Grun.dlage ihressich selbst widersprechenden Wesens, stimmt sie durchaus folge-richtig o t sich sélber tiberein. Nur w enn wir den logischenAusdruck auf die Welt anwenden wollen , so find.et sich, dasssie in ihrem innersten Kerne g a niz antilogiisch ist.

Was nun der „exacte" Forscher anstrebt , ist doch inamernur einer Beobachtung, bezw; Erscheinung , „ein naheresVerstandivisg abzugewinnen", indera er sie mit bereits Bekann-tern irgendivie Ill gedanklichen (logischen) Zdammenhang bringt,bis er irgendwo innewird , dass alles blow „Erklaren" éinmalein Ende findet , well eine Grenze vorhanden ist, jenseit derendas Moss rationelle Begreifen auf das Gegentheil seiner selbststòsst oder auf jenes ilberverniinftige (aber beileibe nicht:„supranaturalistische") Selbstinnesein , welches Novalis gemeinthAen myss, als er den Satz niederschrieb : „Ganz begreifenatiben Nth uns nie, aber wir k6nnen uns mehr als fregreifen."

Wer dagegen einwenden m6chte : mit ihrem erkenntniss-theoretischen Standpunkt eines (vermeintlich) „naiven Dogmatis-mus" implicire die Realdialektik bereits die Anerkennung eineraffirmativen Stellung zur Logik , namlich die einer Identitatzwischen Gedachtem und Seiendrem, weilthe auPch eine zwischenSeiendem und Gedachtem sein mtisse, der miisste ignorirt haben,wie die Realdialekftik der Ansohauung selber auoh nicht etwaeine unbedingte Zuverlassigkeit beilegt, nirgends aber gar derenConformitat mit dem syllogistisch Ostracten Denken behauptet,mithin auch keineswegs dfe Gititigkeit der Consequenz des ,,Be-grills" ftir das Seiende zuzugestehen braucht. Sie ist vorsichtiggenug , nirgends ohne den stillschweigenden Vorbehalt aufzu-treten : soweit der Welt tiberhaupt Erkennbarkeit zukommt;stelltsie sich dar als eine von realdialektischer Beschaffenheit.

Kehren wir zuriick zu unserm Bible , so k6nnen wir darindem realdialektischen Philosophen die Stellung Eines anweisen,welcher aus der Vogelperspective hinabschaut auf die Hauser-

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Subjective Correlation des Antilogisehen zum Logischen. 71

linien und nun gewahr with , dass Alles seine Richtigkeit be-halt , ob es schon nicht jener einfachsten Form rechtlaufigerCorrespondenz entspricht, wie der sie erwarten mòchte, welcheran einreihig fortlaufende Linien gewant ist. Per with selbstdann nicht irre an „gesetzlicher" Folge des in sich Entgegen-gesetzten , wenn er sieht , class wiederum nebeneinander her-laufende Strassen umgekehrte Ausgangspunkte darbieten kiinnen,indem die eine an ihrem Ost-, die andere an ihrem Westendemit der Eins anhebt. Wer so iiber scheinbarem Wirrsal sehwebt,dem lichtet sich das Labyrinth, und wo Andere fiirchten miissen,sich in eine Sackgasse zu verrennen, offenbart sich dem weiter-blickenden Auge der Anfang eines Fortschreitens nach der con-traren Richtung.

Die jeweilige Bahnstrecke, auf welcher die Realdialektikihren wissenschaftlichen Gang nim.mt , muss selbstverstandlichlogisch rechtlaufig gepflastert und geschient sein. Wir sahenja schon oberi, wie der Charakter der Realdialektik Keinem dasHecht giebt , ihr einzuwenden: nun miisse der lieben Conse-quenz zulieb auch alles bei ihr drunter und driiber gehen. DieRealdialektik hat so gut ihr Soil und Muss wie- die Logikes sieht nur em n wenig anders , durchweg wohl etwas krauser,aus. Am allerwenigsten aber lasst sie es sich als das Machtegebot des ihr heterogenen logischen Soli vorschreiben, s ie ihrer-seits diirfe eben gar kein Soil haben und ihre einzige Pflichtsei the , keine Pflicht zu haben. Penn sie hat , wie alles An-dere auch, die Verpflichtung, ihr eigenstes Wesen darzustellen,und das geschieht , wenn sie logice demonstrirt , dass das ensmetaphysicum nicht emn (oder gar das „absolute") ens logicum sei.

Ein Widerspiel zum Logischen fiihrt der Wille in seinerSelbstverwirklichung auf, nicht das Gegentheil des Logischen injenem strict logischen Sinne , dass nun Alles um so gewisserwirklich sei, je weniger es sich als emn logisch Denkbares erweise.

Gegen solche Auslegung kann sich die Realdialektik nicht zuoft veitwahren. Dass sie nach Maassgabe logischer BeurtheilungVieles in der Welt (namentlich auf dem Felde teleologischerOrganisation und historischer Evolution) von Grund_ aus ver-dreht und verkehrt nennt wie findet , heisst noci lange nicht,,dass sie alle Consequenzen eines Satzes wie : alles Logische istemn Nicht- oder Antidialektisches ohne Einrede wolle fibersich ergehen lassen.

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72 Die Realdialektik und der Begriff.

Solange emn Logiker bei der Kritik der Realdialektik nicht;Unbefangenheit genug beweist, urn sich von doctrindren Ver-consequenzelungen zu emancipiren , verfallt or in omen Fehler,dem iihnlich , mit welchem der Theist (und leider selbst eirnVischer in „Auch Einer" !) dem Pessimismus einen Makel anzu-heften versucht : weil der im Gottesglauben Aufgewachsene dieFdhigkeit verloren, sich die Welt ohne einen persOnlichen Schtipferund. Regierer vorzustellen, so stempelt er gemn in unvermerkter Ver-falschung das Weltprincip des Pessimisten um in den Widerparteines guten, liebenden Gottes, tibertragt auf das blinde Willenswesenalle Bedingungen personeller Zurechenbarkeit und Verantwortlichkeitmid hiirt nicht auf, von der Beschaffenheit der Welt als von demProduct eines bewussten Willens zu reden, als miisste es danneinen Urteufel gegeben haben, der seine sehr expresse Freude darangehabt hatte , eine in ihrer Vollstreckung so leidensvolle Welt-legislatur zu etabliren. Und diese Verwandtschaft zwischen derStrategie der Theologen und der der Logiker dfirfte in der Thatschon insofern keine ganz zufallige sein, als die theistische Ur-hypothese mit ihrem persOnlichen Welturheber zwei Locher zu-mal zu stopfen bedacht 1st : die „offene" Frage nach der Hypo-stase des theoretischen Geistes und den weiten Hiatus zwischenethischen Postulaten und den Bescheidungen, welche diesen vonaller Wirklichkeit, soweit Sinne und Gedanken der Menschenreichen, noci je und je ertheilt worden sind.

Um aber nun ihrerseits auch im Einzelnen keinen Zweifeldaraber zu belassen, was denn vom Hausstand des Logikers derRealdialektiker fill- seinen Haushalt in Gebrauch behalte , sowerden die ndchsten Kapitel die Detailfragen zu ertirtern haben,welche sich hieraus ergeben, und es mag dabei die in den Lehr-biichern der formalen Logik hergebrachte Reihenfolge beob-achtet werden , obgleich die Realdialektik als Metaphysik einnaherliegendes Interesse haben kOnnte , zuerst ihre Stellung zuden Kategorien auseinanderzusetzen.

ç.

11, Die Realdialektik und der Begriff:Wie wenig die Realdialektik gesonnen ist , die Bedeutung

der Begriffe als solche herabzusetzen, hat ihr nachster Vertreter•

jederzeit in einer besondern Vorliebe fib? scharfe , namentlich

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Werthlosigkeit der blossen Begriffswiderspriiehe. 73

synonymische Begriffssonderungen bethAtigt. Wer aber ansolchen seine Freude hat , dem kann doch unm6glich mit einerConfusion der begrifflichen Oonceptionen , als der einfachstenVerletzung des Identitatsprincips , gedient sein — denn waskònnte es far einen Zweck haben , Begriffe mittels Definitionoder Unterscheidung erst festzustellen , wenn nicht die Absicht •

obwaltete , das so einmal Festgestellte auch als solches festzu-halten?

Begriffe , die mit einem Widerspruch behaftet sind , kannthis Denken nicht gebrauchen; die sind zu nichts gut, als denVerbaldialektikern Futter in ihre Krippe zu liefern, und vonderen Treiben hat sich die Realdialektik ja oft genug schoalosgesagt. Ware unser Denken wirklich unfdhig, es iiber solcheBegriffe hinauszubringen , welche dem Wesen des begrifflich zuFassenden widersprechen, so miisste dies Verhaltniss des Wider-spruchs doch wohl auch emn wechselseitiges sein und demge-mass, wenn a dein b widerspricht, auch b dem a widersprechen,in diesem Falle also auch das begrifflich zu Fassende dem Be-griffe oder der begrifflichen Fassung. Darum iiberldsst die Real-dialektik das ganze Geriimpel der Wilzernen Eisen und der vier-eckigen Kreise um den „Spottpreis" der Unentgeltlichkeit demnachsten besten logischen Tròdler , der sich nicht mehr odernodi nicht génirt, damit hausieren zu gehen. Solite Schartekenaus verstaubten Winkeln in irgend einem Hintergebdude derehrsamen Matrone „formale Logik" passen nicht hinein in denHausrath der Real dialektik. Da sind ausser Cours gesetztalle Moss gemachten, rein conventionell in Umlauf gekommenen,nirgends auf irgendwelcher empirischen Grundlage der Gegeben-heit fundirten Begriffe : an den Realvaluten der Willensgegen-satze gemessen, erscheinen die blossen Begriffswiderspritche alsKellerwechsel oder blecherne Rechenpfennige. Am Ladentischder Scholastik mag fiir „verflucht gescheit" passieren , was vorden priifenden Augen der Realdialektik als „herzlich dumm"-sich herausstellt , wie jene Allmacht , welche aufhiliren solltersie selbst zu sein , indem sic sich — sei es auch angeblichaus sich selber heraus — selber beschrankt. Es macht ja diespecifische Beschaftigung der Scholastik und professionellen Apo-logetik aus, mittels wohl verketteter argument ationes ex concessis

den Schein aufrecht zu erhalten , als ob sich der Inhalt dermeistangefochtenen. Dogmen ganz bequem um den Spinnrocken

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74 Die Realdialektik und der Begriff.

der forrnalen Logik legen lasse. Von irgendeinem Begriffs-coon den seidenen Faden solch pseudologischer Syllogismen her-unterzuhaspeln 1st ja das Handwerk bestallter Sophisten, mitwelchen die Realdialektik keinerlei Gemeinschaft hat, noch habenwill. Dern, der durchaus tanzen will, 1st bekanntlich leicht ge-ptiffen, und bald zu iiberzeugen., wer wahnt, an ausserlicher Cor-rectheit bereits eine Gewahr fiir materielle Richtigkeit einesGedankens zu besitzen.

Die Realdialektik , niemals auf tauschende Dicke bedacht,stimmt wahrlich nicht emn in das bedenkliche Lob , welchesHegel seiner Muttersprache soil gespendet haben : sie sei darumdie beste zum Philosophieren , weil es in ihr so viel doppel-sinnige Wòrter gebe. Ihre Zwecke, die nicht auf Einschiich-terung ausgehen , warden nicht im Germgsten gefiirdert mittelsjenes „vollkommenen Widerspruchs", der „gleich geheimnissvollfiir Kluge wie fiir Thoren" ihr ist unvergessen , was gleichdarnach aus Mephisto's spottendem Munde ergangen:

Mein Freund, di e Kunst 1st alt und neuMe kennt die Liebhaberei der Geistessterilitat der Faustbewunderera la Wagner fiir

Reden, die so blinkend sind,In denen sie der Menschheit Schnitzel krauseln,

schon aus ihrem Plato , allwo sie (Hippias maj. 304 a) xviattaraxca Iteetryiyarra TO-57) 167(ov heissen. Ihr ist die Sprache sozu-sagen die blosse Erscheinung des Denkens, hinter welcher das„reine" , wortlose Erkennen der Intuition stehen bleibt, als das

• zu dieser Erscheinung gehtSrende Ding an sich des Denkens..Aber grade um auch her das Unechte von dem Echten,

den bloss eingebildeten von dem wirklichen Widerspruch zuunterscheiden , giebt es ja keinen zuverlassigeren Probiersteinals die femere Begriffsdestinction, und weit entfernt, uns Am-phibolien zu Nutze machen zu wollen , freuen wir uns vielmehrdes Vorzugs unserer ausgefeilteren Sprache, die uns so mancherVerlegenheit enthebt, in welcher sich die Plato und Aristotelesnoci von ungeklarten Relativitaten und uniiberwundenen Aporienumschniirt fanden.

Diese Ulm Gewissenhaftigkeit ist es nun auch , was dieRealdialektik vor dem Schicksal bewahrt , welches Hu dieGegner zugedacht hatten, als sie darauf sannen , sic dia-lektisch abzuthun. Da wurde versucht, mit einer Art von Dia-

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Unantastbarkeit far dialektische Anfechtungen. 75

lektik in der zweiten Potenz (wo es in der That vielleicht ge-lingen Vinnte, sie in die einfache gradlinige Strasse der richtigenLogik zurtickzubiegen) die Realdialektik in Selbstaufhebung undSelbstaufliisung zu verstricken. Durchweg mit dem Handwerks-rzeug einer conecten Logik fiir Schule unii Haus operirend, de-cretirte oder vielmehr octroyirte man ihr Consequenzen, zuwelchen sie gob richtig verstanden keineswegs zu bekennenbraucht, und zwar deshalb nicht, weil sie then nicht „in ihremBegriffe liegen." Deshalb unterliessen wir es ja nicht , unsernBegriff des Widerspruches selber in Einklang zu setzen mitunsern eigenen Identitatsforderungen und so Denen einen Haupt-spass zu verderben, welche schon am liebsten die Realdialektikrealdialektisch, an einem Selbstwiderspruch mòchten verendenseh en.

Eher kann man nattirlich der Begriffsdialektik mit in ihrer•eigenen Werkstatte geschnnedetem Riistzeug beikommen, undwenigstens scheinbar gelungen war der Versuch E. v. Hart-mann's (in seiner Kritik der dialektischen Methode S. 42 ff.),die formale Dialektik in ihren eigenen Netzen zu fangen undderen Princip mittels einfachen Consequenzenziehens wider sichselber zu kehren. Solle, so concludirt er dort, der Widerspruchin allen Ding en und. Begriffen wesentlich und nothwendigsein, so miisste er in der Tota li t a t sowohl aufgehoben werden,als bestehen bleiben und in d er s el ben Bezi eh un g- zu geltensowohl aufhtiren, als fortfahren. Dies aber sei der Widerspruchin hòchster Potenz . . . „ist die Aufstellung der Behauptungmòglich , so ist ihr Inhalt falsch ist ihr Inhalt richtig, so istsie als Behauptung unmòglich. Die Behauptung stòsst ihreneigenen Inhalt um , der Inhalt tòdtet sie im Entstehenwollen.Den Dialektiker aber kiimmert dies Alles nicht selbst da, woser sich wider den Vorwurf, in Widersprtichert zu reden , ver-wahrt, redet er in Widerspriichen." Allein so wenig sonst auchdie Realdialektik sich berufen fithlen kann , der Caricatur ihrerselbst ah Anwalt beizuspringen , so heischt doch Billigkeit undHecht, zu Gunsten der so unglimpflich Angegriffenen aus derenSinne den Gedanken vorzubringen : der Satz vom Widerspruchist das Triebrad der Dialektik — aber eben darum muss er ihrselber verfallen: in ihr zugleich gesetzt und aufgehoben seindenn ware er etwas absolut Feststehendes , so gabe es keineunbedingte Dialektik , da sic ja an ihrem eigenen Princip Hue

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76 Die Realdialektik und. der Begriff.

Schranke lande; und ware er etwas schlechthin Aufgehobenes,so batte man erst recht nicht, was von einem Widerspruch zumandern fortjagte , d. h. vorwartshetzte — dann also ware dasPrincip der sich 't.selber mit logischen Stachelgeisseln weiter-peitschenden D4dektik in sich selber todt, und alle ,dialektischeBeweguug" fande in sich selber ihr Ende , ehe sie noch hatterecht beginnen kiinnen.

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Anstatt in solchen Schlingen sich erwilrgen zu lassen, gehtdie Realdialektik lieber selber auf den Anstand. Sie weiss sehrwohl, dass es der Grenzrain der Axiome und Fundamentaldefi-nitionen ist , wo am meisten philosophische Schmuggelwaareeingeschwarzt wird, und legt sich deshalb auf die Lauer , umdas unsaubere Gewerbe zu hintertreiben. Sie setzt die Helmihrer Kritik mid Polemik da an, wo sich emn System allein aus.den Fugen rticken làsst: an den Urbegriffen, und weil hier desUnfugs dm meisten getrieben wird von (ter scheinheiligentidatiatg , die sich mit diesem ihrem Namen schon das Privile-gium erheuchelte, Mr die Lehre und Wissenschaft par excellence .

zu passieren , so weiss sich die Realdialektik keinen schònerenTriumph, als grade dieser arrogantesten ihrer Widersacherinnengelegentlich das Larvcben herunterreissen zu diirfen. Das giebtihr einen Eugen Miffing zum brauchbaren Bundesgenossen, wedder sich emn besonderes Geschaft daraus gemacht hat ,Falschungen zu enthiillen , welche namentlich unter dem Deck-mantel einer Pseudo- Unendlichkeit auf mathematischem Feldesind betrieben worden. Denn auch sic will das 7ve(thov tptaogbief in den Vorbedingungen zu alien spateren Demonstrationenaufweisen , um so den Feind schon in der Wiege lahmzulegenund hier auf immer zu entwaffnen. Zu vornehm, ihren Witz.zu iiben an den logischen Unhaltbarkeiten , die herauskommentsobald man sich anschickt , fiir Dinge wie den mathematischenPunkt, die geometrische Linie u. dergl. den congruenten begriff-lichen Ausdruck zu finden, geht sic lieber der principiellen Pra-tension der Mathematiker zu Leibe : das Anschauen solle sichvom Denken controliren lassen. Armselige Nothbehelfe diinkt

.

es sic, wenn die Mathematik, welche wie keine andere Wissen-schaft in die angebliche Unfehlbarkeit ihrer Methode vernarrtist und wie das verwdlinte Kind reicher Eltern it Conto ererb-ten Credits sich des Allerkeckesten meint erdreisten zu diirfen,.

wenn die zu solchen Undenkbarkeiten greifen muss wie:

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Das Sophistische in mathematischen Definitionen. tn 77

„Parallelen sind Milieu, welche sich in der Unendlichkeitschneiden".

, Schon in unserm zweiten Capitel sahen wir im Mutter-schos der Realdialektik das Unvermògen des \ Denkens liegen,Alles seinem logischen Geriiste einzuzwan.gen. Das Logischestòsst sehr bald auf Binge, an denen alle Kunst der Definitionscheitert; weil ihr Wesen sich begrifflicher Fassung absolutnicht ffigen will, und gliicklicherweise ist die Realdialektiknicht der erste Versuch, das logische Denken in die damit an-gezeigten Schranken seiner Natur zuriickzuweisen.

Wo das Logische an diese feste Grenze gelangt ist , em-pfangt 'es die Realdialektik mit der Mahnung, abzustehen vomVerfolgen doch ewig unerreichbarer Ziele und sich der vorhan-denen Krafte lieber in der Richtung zu bedienen, wo sie besse-ren Erfolg versprechen. Aber emn dankbares oder auch nurwillkommenes Geschaft pfiegt es allerdings nicht zu sein umsolch Bemilhen, vom Trachten nach eingebildeten Mtiglichkeitenzuriickbringen zu wollen. Wer sich einmal in den Kopf gesetzt,er habe das Zeug • dazu, den allerverlockendsten Beruf sich er-wahlen zu diirfen, leiht ken willig Ohr dem aufrichtigen Mentor,der ihm zu Gemiithe fiihrt , dass er Dingen nachjage , die ihmauf immer versagt bleiben miissen , wie dem Stmamlosen derRubin, ah Opernsanger zu glanzen ; und da wie dort pflegt diebeliebteste Ausrede, mit welcher man sich die Unbequemen vomLeibe zu halten sucht, emn „Was nicht 1st , kann werden" zusein. Man verweist darauf, wie viel Ungeahntes scion ver-wirklicht sei, und baut auf die Vergleichung der Gegenwartmit der Vergangenheit unbeschrankte Hoffnungen fiir die Zu-kunft. Dem gegeniiber und insbesondere angesichts der Heber-hebungen moderner Rechenktinstler unii. Kunstrechner sammtderen immerhin staunenswerthen mechamschen Leistungen , er-innert die Realdialektik — welche sicll allerdings vorzugs-weise und nicht aus blosser Laune oder Privat-Malice als Anti-Mathese weiss gem auf die agyptischen Pyramiden- und Ca-ner Dombaue, die auch ohne solchen Krimskrams fertig geworden,bei dem es Einem doch zuweilen widerspruchsvoll genug zu

Sinn with , wie zum Exempel bei „cubischen Plancurven desnullten Gesehlechts" (Klein und Mayer's Mathem. Annalen,

B. 13. II. 3). Das Ignoramus gesteht man seufzend zu, aber

vom I gnorabimus will man nichts Wiren. Und doch kann man

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Die itealdialektik und der Begrift

nur auf emn Wachsen unseres Erkenntnissstoffes , nicht aufentsprechende Zunahme unserer Grundverm6gen rechnen. Odersolite wirklich emn darwinistischer Evolutionist in seiner Zu-versicht so weit gehen , dass er glauben m6chte , es werdedem Menschengeiste noci dereinst gelingen , z. B. vom Ur-

' begriff alles Mathematischen , von der Grosse, eine Definition *)zu geben, bei welcher man sich nun auch wirklich definitiv be-ruhigen k6nnte ? Diinken uns nicht vielmehr einstweilen Die-jenigen nicht Moss die Ehrlichsten, sondern auch die Gescheite-sten , welche offenen Verzicht geleistet haben auf Analyse desEinfachen wie auf Versonnung des Widersprechenden und Her-leitung des Urspriinglichen, oder auf Beweise fiir das Axiomatische,kurz auf alle Verendlichung des Ewigen ? Deshalb wollen ja,auch wir nicht weichen aus den Fusstapfen, in denen Kant unsvorangegangen, und es insbesondere mit Denen unter den Ma-thematikern halten, welche lieber zur Anerkennung einer dussersten,in einem letzten Widersprechenden gegebenen Wissensschrankesich verstehen wollen, als in eine vierte Raumdimension sich ver-steigen. (Auch Miner erklart namlich ausdriicklich : in je mehrDimensionen , desto wider spruchs fr eier k6nnten wir unsdie Objecte denken wie sich Schwere , Harte , Widerstandblossen Schattendimensionen nicht beilegen liessen, so wiirdewas jetzt rdthselhaft und unerkldrlich bleibe, verstandlich werdendurch die Annahme weiterer Dimensionen , vor allem also auchdie Unbegreiflichkeiten der Organisation , welche in das imRaum_ von drei Dimensionen waltende Mechanische nicht reinaufgehe !)

Von einer gewissen Klassicitdt der Pracision ist die Fas-sung, in welcher Wundt (Grundziige der physiologischen Psycho-logie S. 690) dem Ansinnen Miner's entgegentritt, wir solltentins nun auch den vierdimensionalen Baum als wirklich vor-handen, ja als den eigentlich allein wirklichen Ort des Dingsan sich vorstellen oder wenigstens denken. Wundt sagt dort :„wir diirfen nicht annehmen , class wir die Welt so vorstellen

• *) Wie sehr es mit der logischen Unantastbarkeit mathematischerGrunderklarungen seinen }Taken hat, wissen die Mathematiker selber nurallzugut — es gehart dies Thema ja zu denen , deren Er6rterung inihren Zeitschriften z. B. der Hofmann'schen beinahe einen stehendenArtikel bildet.

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1st das Widersprechende vorstellbar und. definirbar? 79111 ii S s e n, wie wir sie nicht vorstellen Unnen" emn Aus-spruch, welcher ftir die Realdialektik doppelt interessant ist, weiler oberfldchlich angesehen seine volle Scharfe ebenso sehr gegendiese selber wie gegen jene hypermathematischen Verstiegen-.heiten zu kehren scheint, dagegen richtig verstanden sehrwohl von der Realdialektik zur eigenen Devise genommen werdenkann. Penn es ist ja grade deren eigene G-rundbehauptung,dass wir uns bei ndherer Priifung unvermògend finden, die Weltlogisch auszudenken , und eben weil wir dies nicht kOnnen,uns dazu gentithigt finden, dass wir sie antilogisch auffassenm iis s e n. Dem entsprechend wird sich die Realdialektik auchbescheiden, auf die (ebenda S. 691) aufgeworfene Frage, ob Vor-stellbares aus Unvorstellbarem diirfe abgeleitet werden , nichtgleich eine entschiedene Antwort bei der Hand zu haben ; dennals wir die Einzelwiderspriiche aus dem Universalwiderspruchherzuleiten uns vorbehielten , machten wir uns damit nicht an-heischig, das Erkennen einer totalen Vorstellbarkeit zuzuffihren,ohne jedoch andererseits absolute Unvorstellbarkeit vom real-dialektischen Grundgedanken aussagen zu wollen. Lasst sich dasWidersprechende auch nicht ganz aussprechen, so muss sich dochdavon oder dariiber sprechen lassen, wenn es iiberbaupt Gegen-stand philosophischer Eròrterung sein soli.

Seine nachste Probe besteht jener Zweifel bei den Her-leitungen aus dem Begriff und Wesen der Unendlichkeiten. Indem betreffenden Capitel seiner „Natiirlichen Dialektik" bemiihtsich E. Diihring angelegentlich, die unvorstellbare unendliche Zahlals mit einem Widerspruche behaftet darzustellen, sobald sie alseine gegebene soli gedacht werden. Es heisst da S. 116 : „dererste Widerspruch wird begangen, indem vorgestellt wird, dassdas, was nicht abgeschlossen werden kann, dennoch abgeschlossensei." Aber es ruht dies auf der bereits (Cap. 7) erwahntenzu engen Definition des Widerspruchs , nach welchem dieser„darin bestehen" soil, „class zwei Begriffe in einer Hinsicht alsidentisch gesetzt werden, in welcher sie verschieden sind" ; wabrendffir uns das Wesen des Widerspruchs in der Aussage besteht,dass etwas gleichviel oh Ding oder Eigenschaft, Subject oderPradicat — zugleich sei und nicht sei. Darnach bemessen er-weist sich aber obiger Schuss Diihring's ah eine fallacia per

homonymiam, indem „abgeschlossen" das eine mal von der sub-jectiven Synthese, das andere mal von der objectiven Vollstandig-

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flie Realdialektik und der Begriff.

keit oder Totalitat verstanden sein soli und grade von der, aufond doch antiidealistischen, Auffassung des Positivismus aus 1stdoppelter Grund vorhanden, die objective Wirklichkeit nicht von dershbjectiven Vollziehbarkeit abbangig zu machen (was Diihring a.a. O. S. 117 gegen diesen Einwand vorbringt, falt nach obigerUnterscheidung in sich selbst zusammen). In diesem Sinne hatWundt vollstandig Becht, wenn er in den abstracten Begriffenwesentlich „Postulate" des Denkens erkennt, mittels deren wir dieSchranken des effectiv (synthretisch) Vorstellbaren iiberschreitenmlissen, wenn wir nicht iiberhaupt auf emn gròssere Gedanken-massen bewAltigendes Denken verzichten wollen — ein. Verzicht, zuwelchem der Mathematiker am wenigsten geneigt sein wird,weil er seine grossartigsten Operationen lediglich mittels thenSlither Symbolisirungen viollzieht nur ,dass seine algebraischenBuchstaben noci ungleich mehr "vom Cbarakter blos angedeuteterPostulate haben , als die Wortsprache, welche doch mehr oderweniger unmittelbar auf einem mehr sinnlichen Fundamente ruhenbleibt. Wie es aber um. deren Zuverldssigkeit bestellt sei, davonplaudert derselbe Diihring emn unbezahlbares Geheimniss aus derSchule seiner kathematischen Freunde, wo er (a. a. O. S. 134 ff.)sagt : „Wenn man in den Differentialgleichungen liberali genaueGleichungen finden will, so verschliesst man sich selbst den Wegzur Usung der Schwierigkeiten. Carnot kam auf den sehr ein-fachen, aber an das Ei des Columbus erinnernden Gedanken,gradezu unvollkommene Gleichungen einzugestehen undals Vermittler der gewanlichen Operationen anzuerkennen.Das Gleichbeitszeiehen ist . . her nte . emn Zeichen der Gleich-heit, sondern nur emn Zeichen einerseits . . . . einer Ungleichheitvon einer gewissen Kleinheit und andererseits . . . . einer\fibenfallsstetigen unbeschrdnkten Verminderung. Dies 1st der • genaueBegriff, den man sich von der sogefiannten unvollko ii co enenGleicbung Carnot's zu machen hat." — Also Gleichheiten , diekeine Gleichbeiten sind ! was bedarf es weiter Zeugniss , um dieGrundlehre der Realdialektik zu erharten , dass es ohne funda-mentalen Widerspruch nirgendwo beim logiscb sein wollendenDenken abgeht ? Kann es einen gldnzenderen Triumph ftir unsgeben , als dass die anspruchsvollste Erbfeindin des antilogischenPrincips selber sich zu dem Bekenntniss gedrdngt sieht: sic arbeite,wo sie am „elegantesten" „operire" mit einem eingestandenenBlendwerk ?! Die Incongruenz des angeblich Congruentesten,

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Gleichungen. von% ungleichen Gliedern. 81das 1st dieser Weisheit „letzter Schluss" also genau das, waswir sagen: die Welt absolut unfahig, logisch begriffen zu werden,weil in ihrem Wesen an sich das directe Geuentheil alles logisch„Correcten."

Darum erinnert es uns an das Stat pro ratione voluntas, wennderselbe Dfthring S. 7 den Anspruch der Erkenntniss dabin for-mulirt „Wir wollen wissen, wie wir das System der Dingeohne Widersprueh denken k#5 linen" ; denn die Antivort miisstelauten : gar nicht! und wer UnmOgliches begehrt, hat das An-recht verwirkt, gehtirt zu werden, und den Anmaassungen derMathematik, the Vergreterin des Logischen nee igoziiv zu sein,setzen wir den Ausspruch, welchen Diihring ebenda cilia,' vonihrem eigenen MeiAster Lagrange entgegen, dass das Verfahrendes • hOheren Calculi regelmassig eines zweiten Denkfehlers bee,-ado, urn einen ersten wieder gut zu machen — emn Wort,welches fiiglich dieser ganzen Betrachtung Witte zum Motto ge-geben werden. kOnnon.

Falls aber darnach jem.and hOhnen miichte: „-Nacht musses sein, wo Eure Sterne strralen", so darf sich die Realdialektikauf ihr gutes Gewissen zuffickeemben, dass sie keinen Theil batan dell] vielfach zur Anwendung gebrachten Kunstgriff, emnMysterium durch das andrere erlautern zu wollen, wie wennDunkel Licht in die Finsterniss tragen kOnnte. Was ihr an derKlarbeit voller Ttigesheile gebtireht , kommt auf Rechnung derIncongruenz zwischen logischen Sprachmitteln und antilogischemDenkstoff; aber solange die IVIathematik der IVIittelbegriffe desInationalen und Imagindren nicht entrathen kann , hat diet am.allerwenigsten emn ,Reebt, zgu. einer Weltanschauung die Nase zùriimpfen, welche nur 'elarlicher als sie selber die Dingo beimrechten Namen nennt.

Obzwar dern realdialektisch dreinschauenden. Auge A11eSringsumher in das seh-avliche Grau einer geistig yollzogenenGtitterdammerung siCh Ale, so strahlt doch auch dahinein emnthe Nacht durchbrechendes Sternengeflimmer durch jene Locherder Weltkrystalldecke, von drenen alte Mythen erzahlen. Wenndie modernsten Vertreter „haeren" und htichsten Formelkramssich scion riihmen: die Vorstellobarkeit ihrer BegriBlichkeit ge-Wire nur noch zu den Ausnahmen, so vernimmt daraus die Real-dialektik nur die Kehrseite derselben Einsicht, von weleher sieselber ihren Hauptimiiuls empfangen, dass ndnalich die Begriff-,

B ahrts(;n; itealdialektik. 6

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82 Welch° SteHung weist die Realdialektik der Abstraction an ?

lichkeit, d. h. das Aufgehen in rein logische Ausdrucksweise,beim a,nschaulichen oder gefilhlsmitissigen Wissen kaum jemal sich einfinde..

1st dem aber also, dann kònnen wir uns auch einer Ab-schatzung des Abstractionsvermbgens iiberhaupt nach 'seinerscientifischen Dignitat nicht Pcinger entziehen, und aus demThema dieses Capitels entspmnt Bich so ganz von selber die Fragedes nachsten :

12. Welehe Stellung und Bedeutung weist die Realdialektik der Ab-straction als solcher an?

Pass die Realdialektik in der Vernunft nicht die hdchste,geschweige die allein normgebende Functionirungsweise unsererFdhigkeit zum Erkennen des Seienden respectiren Unne, erhelltbereits sattsam ans allem Bisherigen. Aber auch abgesehen vonder Unfabigkeit der Vernunft ah solcher, sich in Widerspriichehineinzufinden und das Wirkliche begrifflich zu erschòpfen oderauch nur auszumessen, kann die Realdialektik dem blos abstra-hirenden und in kbrstractionen sidh ergehendren Denken, selbstschon nach seiner Stellung im Complex der psychischen Functionen,iiberhaupt keinen allzuhohen Rang einrAumen, und eben darummuss es ihr vollends lacherlich erscheinen, wenn das Logischenichts Geringeres als die Weltherrschaft selber pratendirt, dadoch die Logik als Doctrin nichts weiter bieten kann., als sozu-agen eine Gesundheitslehre fiir die Functionen des Abstractions-

vermògens.Auf wie niedriger Stufe die Mosse Abstrahirfahigkeit in

ihrer Isolirung stehen bleibt, mag man 'bei Cretinlehrern er-fragen, welche z. B. in der unmittelbar der Anschanung folgen-den Nachahmung von Bewegungen einen ungleich htiheren Ent-wickelungsfortschritt begriissen, als in den auch Thieren so leichtbeibringbaren Reffexbewegungen nach gewiss en Commando w or t en(far welche bekanntlich beim Hiihnerhund em n blosser Pfiff mitnoch zwingenderer Gewalt der „Ausltisung" eintreten kann). —Das Abstracte in seiner Isolirtheit erweist sich so schon aufelementaren Vorstufen als das schlechthin Unproductive — alleswahre Talent bewegt sick ausserhalb seiner, besitzt seine Keimeim Vermdgen zum inneren Nachzeichnen des innerlich oder

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