ideen entstehen im kopf
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Article about the special method of the European school of Design developing a process of creativityTRANSCRIPT
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Ideen entstehen Im Kopf
nIcht Im computer AutorIn: n. sAAdI
„Bislang ist die Kampagne nur imaginär,
aber wenn sie gut ankommt, werde ich
sie wirklich umsetzen.“ Tatsächlich steht
der Student bereits in Kontakt mit dem
Kinderschutzbund und der Direktion
seiner alten Schule. Gerade gestaltet er
Schulungsmaterialien zum Thema, die
parallel zur Aktion in den Klassen verteilt
werden sollen. Auf dem Cover: ein junges
Mädchen, das mit dem Kopf über der
Toilettenschüssel hängt.
„In den Konzeptionskursen geht mindes-
tens die Hälfte des Semesters für die
Ideenentwicklung drauf“, erklärt Detlef
Wildermuth, der die European School of
Design gemeinsam mit Ralph Thamm
leitet. Beide sind seit über zwanzig Jahren
in der Werbung tätig und gewannen
höchste Auszeichnungen ihrer Branche.
Wildermuth trägt eine schwarze Jeans
und ein leicht zerknittertes Streifenhemd.
Die blonden kurzen Haare stehen spike-
artig ab. Seine blauen Augen lachen
und strahlen vor Begeisterung. Offen-
sichtlich macht er ihm Spaß, der Job als
lässiger Schulleiter mit strengen Anfor-
derungen. „Bei uns steht die gute Idee
an erster Stelle – die Umsetzung ist ihr
deutlich untergeordnet“, sagt Wilder-
Die European School of Design in
Frankfurt räumt Nachwuchspreise ab
und verblüfft die Kreativszene mit
originellen Arbeiten. Auf dem Lehr-
plan der Akademie steht die syste-
matische Entwicklung guter Ideen an
oberster Stelle.
Eine Schultoilette. Kotzgeräusche dringen
aus der Kabine. An einer verschlos-
senen Klotür haftet ein Aufkleber mit
der Aufschrift: „Nur noch einmal Kotzen
bis zum Tod!“ Die hereinkommenden
Schüler bleiben stehen, gucken irritiert
und unterhalten sich lebhaft über Slogan
und Brechgeräusche. So zumindest stellt
sich David Apel seine Kampagne vor.
Apel studiert im sechsten Semester an
der European School of Design, einer
privaten Akademie, die ihre Studierenden
zu Kommunikationsdesignern ausbildet.
Dieses Halbjahr soll er das Thema Essstö-
rungen im Fach „Konzeption/Ideenent-
wicklung“ umsetzen. „Laut einer Studie
leidet jedes dritte Mädchen im Alter
zwischen 10 und 17 Jahren an einer
Form von Essstörung. Diese Menschen
erreichst du am besten an den Schulen“,
erklärt der 24-Jährige seinen Ansatz.
muth und wird ernst. „Das unterscheidet
uns von anderen Schulen, die oft viel
zu schnell mit Ausarbeitungen loslegen
wollen.“ Die Studierenden der European
School of Design müssen ihre Einfälle
zunächst grob skizzieren. Pro Semester
macht jeder bis zu fünfzig Ideenskizzen,
die dann im Unterricht besprochen und
fast immer verworfen werden. Wilder-
muths trockenes „gabs schon“ ist der
Todesstoß für eine Idee. Dann heißt es
weiterscribblen, so lange, bis sie endlich
kommt – die gute und vor allem auch
neue Idee. „Die erste Idee ist eben fast
nie die beste. Meist haben sie schon viele
andere vor dir gehabt“ sagt Wildermuth
mit Nachdruck. „Eine Idee ist letztend-
lich nichts anderes als die Lösung eines
Problems. Dadurch, dass wir uns intensiv
mit dem Problem beschäftigen und tief
in die Materie eintauchen, sucht das
Gehirn – auch in vermeintlichen Ruhe-
phasen – weiter nach Lösungen. Und
wenn man schon glaubt, einem fällt
nichts mehr ein, dann kommen sie
doch noch, die neuen Ideen.“ Um den
Studenten auf die Sprünge zu helfen,
unterrichtet die Schule Techniken, die
die Kreativität systematisch hervorkitzeln
sollen. Durch Brainstormen, Assoziieren ..
SCHWERPUNKT | KREATIvITäT | EUROPEAN SCHOOL OF DESIGN
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oder vergleichen kommen die grauen
Zellen auf Trab. „Ideen entstehen im Kopf,
nicht im Computer“. sagt Wildermuth. „In
der Konzeptionsphase sind Computer
bei uns in den Seminaren gar nicht zuge-
lassen.“
Die Methode zeigt Wirkung: Die Euro-
pean School of Design gehört zu den
kreativsten Designschulen der Repu-
blik. Gradmesser sind dabei die regi-
onalen und nationalen Nachwuchs-
preise, die die Hochschule im großen
Stil absahnt. Bis zur Präsentation nach
Paris schaffte es ein Kampagnenent-
wurf, für das neue BlackBerry Touch-
phone. „Berührung, die bewegt“ erzählte
anhand von Motiven aus Fingerabdrü-
cken eine animierte Liebesgeschichte.
Begleitet wurde sie von Apps, Printan-
zeigen und Augmented Reality-Anwen-
dungen. Das Werk gewann den silbernen
GWA Junior Award und Bronze beim ADC.
Lisa Wiedemann holte dieses Jahr sogar
Gold beim ADC-Nachwuchswettbewerb.
Die 23-Jährige entwickelte eine Bedie-
nungsanleitung zur Autowartung für
technisch Unbedarfte – vom Erklär-Falt-
plakat bis zur Ölwechsel-App. Schon
beim letzten Festival des Art Director
Club verursachte die European School of
Design preisgekrönten Wirbel: Die Frank-
furter beherbergten Studierende von
Kommunikationsschulen aus anderen
Städten und verwandelten ihre Schule
kurzerhand in ein „KreativLazarett“, das
mit dem ADC-Bronze-Nagel ausge-
zeichnet wurde. Über den Feldbetten
des studentischen Notlagers hingen
Bilder mit Ikonen der Kreativbranche.
Ein „Alptraumfernseher“ zeigte aktuelle
nervtötende Werbung in Endlosschleife,
die „Notdusche“ enthielt giftgrüne Seife
in einer Spritze. Bierernst geht es an
dieser Schule nicht zu, man ahnt es
schon. Trotzdem ist Kreativität harte
Arbeit. Fünfzig Stunden die Woche und
mehr sitzen die Studierenden an ihren
Werken, animieren Filme, verfremden
Fotos, gestalten Schriften oder orga-
nisieren Shootings. Zur Belohnung
gibt es Preise – oder die Aufmerksam-
keit der Medien. Letztere erreichte
eine Kampagne, die die Studierenden
2009 für die Hilfsorganisation Pro Asyl
entwickelt hatten: „Pro Asyl wollte eigent-
lich nur ein Plakat zum ‚Internationalen
Tag des Flüchtlings‘ von uns. Wir aber
sagten, ihr braucht eine Kampagne, die
die öffentliche Aufmerksamkeit erregt“,
erinnert sich Wildermuth. Stellvertretend
für die vielen Flüchtlinge, die auf ihrem
Weg nach Europa im Mittelmeer oder
auf dem Atlantischen Ozean ertrinken,
fotografierten sich die Studierenden als
Wasserleichen. Dabei trugen sie Schilder
wie „Ertrunken vor Malta“ oder „Ertrunken
vor Gibraltar“ auf dem Rücken. Die
lebensgroßen Motive druckten sie auf
Styropor, schnitten sie aus und warfen
die symbolischen Leichen in den Main.
„viele Zeitungen und selbst das Fern-
sehen haben über die Aktion berichtet“,
erzählt Wildermuth. „Hier hat eine gute
Idee die Organisation groß in die Öffent-
lichkeit gebracht.“
Nicht weniger Beachtung fand das
Siegermotiv eines Plakatwettbewerbs,
das eine Gruppe der European School .
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David präsentiert Ideen für seine „Kotz“-Aktion
an Schulen zum Thema Essstörungen.
ADC-Bronze:
„KreativLazarett“
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Mit Zivilcourage haben die Studenten der European School of Design
den MKN-Nachwuchspreis gewonnen.
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of Design entwickelt hatte: Typisch deut-
sche Gartenzwerge trafen auf ihre eigens
modellierten Pendants aus anderen
Kulturen. Gemeinsam formierten sie sich
zu einer fröhlich tanzenden Multi-Kulti-
Runde. Das Plakat, das für die „Interkultu-
relle Woche“ warb, hing in ganz Deutsch-
land aus. „Das Motiv war sogar Thema
beim Wort zum Sonntag“, erinnert sich
Thamm, der zweite Schulleiter, lachend.
„Hey – was sind schon Auszeichnungen
in Cannes oder auf dem ADC. Wir waren
beim Wort zum Sonntag!“
Geld verlangt die Schule nicht für die
echten Kampagnen, die sie hauptsäch-
lich für Non-Profit-Organisationen entwi-
ckelt. Dafür üben die Studierenden den
gängigen Prozess, den sie später für ihren
kreativen Berufsalltag brauchen: Brain-
stormen, vor dem Kunden präsentieren,
Ideen verkaufen und unter Zeitdruck
umsetzen – oder auch Enttäuschungen
verkraften, wenn die Dinge nicht so
klappen. Grau ist alle Theorie, und so
achten Wildermuth und Thamm auf eine
enge verzahnung von Schule und Praxis.
Das gilt auch für die Lehrenden selbst:
„Alle unsere Dozenten stehen im Berufs-
leben, das ist voraussetzung“, erklären die
Beiden. „Um den Studierenden wirklich
etwas beibringen zu können, müssen wir
im Job stehen. Sonst bekommen wir die
rasanten Entwicklungen in der Kommu-
nikationsbranche nicht mehr mit.“ Regel-
mäßig laden die beiden Schulleiter
Kreative ein. Marketingchefs, Art Direk-
toren oder Regisseure plaudern aus dem
Nähkästchen, um dem Nachwuchs ihr
Berufsleben näher zu bringen. „Irgendwas
mit Medien“ machen, wollen viele. Aktuell
arbeiten mehr Menschen im Kultur- und
Kreativsektor als in der Autoindustrie. Die
Branche gehört zu den umsatzstärksten
der deutschen Wirtschaft. Die Absol-
venten der European School of Design
haben trotz hoher Konkurrenz gute
Aussichten: „Top-Agenturen rufen bei uns
an und sagen: So gute Mappen haben
wir seit Jahren nicht mehr gesehen.
Könnt ihr uns noch mehr von euren
Studis schicken“, erzählt Wildermuth
nicht ohne Stolz. Einige seiner Schütz-
linge haben beim Pflichtpraktikum vor
der Abschlussprüfung schon den festen
Arbeitsvertrag in der Tasche.
Die Idee zur eigenen Designschule entwi-
ckelten Wildermuth und Thamm vor allem
durch unbefriedigende Erfahrungen im
Lehrbetrieb. Bis vor sechs Jahren unter-
richteten sie noch an anderen Akade-
mien und merkten schnell, was dort zu
kurz kam: Die Entwicklung von kraft-
vollen Ideen und der lebendige Bezug
zur Praxis. Studenten bedrängten die
zwei Kreativrebellen, doch bitte ihre
eigene Akademie zu gründen. „Was für
eine Schnapsidee“, dachten die beiden.
„Die Pleite ist vorprogrammiert“ unkten
andere. Im Sommer 2007 riefen sie dann
beim staatlichen Schulamt an: „Guten Tag.
Wir möchten eine Schule eröffnen.“
Link zum Thema:
www.europeanschoolofdesign.eu
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Der eigene Illustrations-Stil aus Fingerabdrücken,
für die BlackBerry-Kampagne: „Berührung, die bewegt“,
wurde mit Silber beim GWA Junior Award und Bronze
beim ADC Junior belohnt.