ich will nicht mehr allein sein

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Ich will nicht mehr allein sein Marion Lennox Julia 1470 21-1/01 Gescannt von suzi_kay Korrigiert von spacy

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Page 1: Ich will nicht mehr allein sein

Ich will nicht mehr allein sein

Marion Lennox

Julia 1470 21-1/01

Gescannt von suzi_kayKorrigiert von spacy

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1. KAPITEL

Hätte jemand ihm prophezeit, dass er noch an diesem Tag bei der Geburt von neun Babys helfen würde, wäre er sofort umgekehrt und nach Darwin gefahren. Doch da ihn niemand gewarnt hatte, hielt Tom Bradley sich an seinen ursprünglichen Plan. Er hielt nicht einmal an. Es goss in Strömen, und die Sichtverhältnisse waren schlecht. Auf den Gedanken, zu warten, bis das Wetter sich besserte, kam er nicht, denn er hatte Urlaub und wollte auf keinen Fall den Flug verpassen. Von diesem Land hatte er erst einmal genug. Dann tauchte direkt vor seinem Wagen ein Hund auf. Bei dem verzweifelten Versuch, dem Tier in letzter Sekunde auszuweichen, geriet Toms eleganter kleiner Sportwagen ins Schleudern und stieß mit einem entgegenkommenden Lieferwagen zusammen.

Rose war völlig erschöpft. Sie sehnte sich nach ihrem Bett. Am besten wäre es gewesen, anzuhalten, bis der peitschende Regen sich gelegt hatte, denn ihr uralter Lieferwagen war für dieses Wetter ungeeignet. Doch wann würde es aufhören? Und sie hielt es vor Rückenschmerzen kaum noch aus. Der Wagen tauchte plötzlich wie aus dem Nichts vor ihr auf. Außerdem stand mitten auf der Straße ein Hund. Innerhalb von Sekunden kam der Wagen seitwärts auf sie zugeschossen. Es gab kein Entrinnen. Rose machte die Augen zu, trat auf die Bremse und wartete auf den Aufprall.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?" fragte eine Frauenstimme. Tom machte vorsichtig ein Auge auf und zuckte zusammen. Dann öffnete er auch das andere und zuckte wieder zusammen. Es regnete durch die zerborstene Windschutzscheibe. Schemenhaft nahm er ein Gesicht wahr. Und was für ein Gesicht! Wunderschön, dachte er benommen. Einfach wunderschön. Große blaugraue Augen und einige lustige Sommersprossen auf makellosem Teint. Regennasses braunes Haar umgab das Gesicht. Es gibt bestimmt nur wenige Frauen, die in so einem Zustand wunderschön aussehen, überlegte Tom und rang sich ein Lächeln ab. Was hat sie gefragt? überlegte er. Ob alles in Ordnung ist? Es schien so, also antwortete er: „Ich glaube ja." „Ganz bestimmt?" Die Stimme klang ehrlich besorgt. Langsam legte sich die Benommenheit, und er konnte wieder einigermaßen klar denken. Das hatte er wohl dem Regen zu verdanken, der auf ihn herabprasselte. Zum ersten Mal sah er die Frau richtig an. Sie wirkte nicht nur besorgt, sondern auch ausgesprochen erschöpft. „Ihren Wagen hat es ganz schön erwischt", sagte sie. Was für eine hübsche Stimme sie hat, ging es Tom durch den Kopf. Das Denken fiel ihm doch noch etwas schwer. Allerdings wurde ihm bewusst, dass er vor sich hin lächelte - völlig grundlos! Sein Wagen war tatsächlich übel zugerichtet. Der kleine Flitzer, den er für den kurzen Aufenthalt in diesem Land gemietet hatte, war dem Zusammenstoß mit diesem ... Womit war er eigentlich zusammengeprallt? Tom blickte aus der zertrümmerten Windschutzscheibe und entdeckte einen Lieferwagen. Und dieser Lieferwagen hatte sich halb in den kleinen Mietwagen gebohrt. Du liebe Zeit! Tom schluckte und versuchte festzustellen, ob mit ihm wirklich alles in Ordnung war. Zuerst bewegte er vorsichtig einen Fuß, dann den anderen. Schmerzen hatte er jedenfalls nicht. „Aus dem Auto kommt Rauch", sagte die Stimme freundlich. „Sie sollten lieber aussteigen."

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Gute Idee, dachte Tom. Nachdem er kurz überlegt hatte, bewegte er sich. Sein Verstand arbeitete wieder normal. Wo Rauch war, da war auch Feuer. Und ein Auto, aus dem Rauch kam, verhieß nichts Gutes. Aber... „Ich glaube nicht, dass Sie die Fahrertür öffnen können", erklärte die Frau. „Der Lieferwagen hat sie eingeklemmt. Sie müssen auf die andere Seite hinüberrutschen. Warten Sie ..." Es war Tom gerade gelungen, die Füße aus den Überresten von Bremse und Gaspedal zu ziehen, als die Beifahrertür geöffnet wurde. Für diese bildhübsche Frau würde jede Tür aufgehen, dachte er. „Können Sie herüberrutschen?" fragte sie. „Sie stecken doch hoffentlich nicht fest, oder?" „Nein." Allerdings war es für einen Mann von fast einem Meter neunzig schwierig, sich von einem dieser kleinen Schalensitze zum anderen zu schieben. „Kann ich helfen?" Sie versuchte, sich vorzubeugen - vergeblich. „Tut mir Leid", meinte sie leise und stöhnte. „Ich fürchte, das geht nicht. Ich hole den Feuerlöscher aus dem Lieferwagen." Ein erneutes Stöhnen beunruhigte Tom so sehr, dass er sich unter großem Kraftaufwand schnell aus dem Wagen schob. Im nächsten Moment hatte er sich aufgerichtet und sah sich suchend um. Die Frau war verschwunden! Wahrscheinlich habe ich mir nur eingebildet, dass da jemand ist, dachte er verwirrt und sah sich im strömenden Regen erneut um. Aber er hatte die Frau gesehen! Vielleicht war sie auf der Straße zusammengebrochen. Wieder ließ er den Blick durch den Regen gleiten. Nichts! Merkwürdig, dachte Tom. Er hatte sich beim Aufprall zwar den Kopf gestoßen, doch er hatte deutlich gesehen, wie jemand durch die Windschutzscheibe sah. Auf der Straße konnte er nur die beiden lädierten Fahrzeuge entdecken. Weit und breit war kein Mensch. Die Leute, die hier wohnten, dachten wahrscheinlich gar nicht daran, bei diesem Unwetter ihre Häuser zu verlassen. Jenseits der Straße befanden sich Kühe auf einer Weide, die neugierig über den Zaun blickten. Sonst nichts. Allerdings konnte man in diesem Regen ohnehin so gut wie nichts erkennen. Irgendwo muss die Frau ja sein, überlegte Tom. Vielleicht auf der anderen Seite der Böschung. „Hallo, wo sind Sie? Ich kann nichts sehen", rief er und machte drei oder vier Schritte auf die Böschung zu, bevor er über etwas stolperte und der Länge nach auf der Straße landete. Es war nicht die Frau, sondern ein triefnasser Hund, der da mitten im Weg stand. Besser gesagt, eine Hündin. Ihretwegen war er also mit dem Lieferwagen zusammengestoßen. Tom fluchte leise und rappelte sich wieder hoch. Die große Bluthündin, die ihm bis zu den Schenkeln reichte, war reglos stehen geblieben. Sie sah erbärmlich aus - traurig und völlig durchnässt. Ob er sie angefahren hatte? Er betrachte te sie von allen Seiten, konnte jedoch keine äußere Verletzung feststellen. Sie bot wirklich ein Bild des Jammers, wie sie zitternd im Regen mitten auf der Straße stand und ihn aus großen, abgrundtief traurigen Augen anblickte. Sie war so dünn, dass man die Rippen zählen konnte - und sie war trächtig. Du liebe Zeit! Eine halb verhungerte, durchnässte Bluthündin, die offensichtlich sehr bald Nachwuchs erwartete. Tom betrachtete sie mitleidig. Dann beugte er sich vor und umfasste tröstend ihren Kopf. Mehr konnte er ihr im Augenblick nicht bieten, denn leider hatte er weder Handtücher noch Hundefutter dabei, und ein warmes Kaminfeuer war auch nicht in Sicht. „Hallo, altes Mädchen. Ist ja alles in Ordnung, ich habe dich nicht angefahren", sagte er einschmeichelnd. „Wir kümmern uns gleich um dich, aber erst muss ich die Lady finden. Weißt du, wo sie ist?" Die Hündin sah ihn nur traurig an, bewegte sich jedoch nicht von der Stelle. Vielleicht fehlte ihr die Kraft dazu. Tom richtete sich wieder auf. „Ist hier jemand?" rief er und kam sich dabei sehr dumm vor.

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Aber irgendwo musste die Frau stecken. Wenn nur die Sicht besser gewesen wäre! „Wo, um alles in der Welt, sind Sie?"„Ich ... ich bin hier."Die Frau tauchte hinter dem Lieferwagen auf und trug einen großen Feuerlöscher, der fast so groß war wie sie. Tom beobachtete, wie sie auf ihn zutaumelte und im nächsten Moment in die Knie ging. Er konnte sie gerade noch auffangen. Glücklicherweise hatte der Unfall sein Reaktionsvermögen nicht beeinträchtigt. In seinem Beruf musste man schnell sein.Als er die Frau nun hochhob, erlebte er die nächste Überraschung: Auch sie warhochschwanger!Sie stöhnte leise. Offensichtlich hatte sie Schmerzen, wollte sich aber nichts anmerken lassen.„Entschuldigung. Sie können mich jetzt runterlassen, es geht schon wieder."„Ganz bestimmt?"„Ja. Ich bin nur gestolpert. Der Feuerlöscher ist ziemlich schwer."„Aha, er ist zu schwer für Sie. Ich trage ihn, und ich trage Sie und alle, die bei Ihnen an Bord sind. Es macht mir überhaupt nichts aus. Sind Sie verletzt?"„Nein, wirklich nicht." Als sie strampelte, damit er sie absetzte, bewegte sich ihr Bauch. Tom betrachtete ihn fasziniert.„Sind Sie auch ganz sicher nicht verletzt?" fragte er wieder, ohne den Blick abzuwenden. „Ich habe den Eindruck, dass Sie Schmerzen haben."„Nein, es ist alles in Ordnung, wirklich." In ihren Augen lag ein entschlossener Ausdruck. „Ich bin ganz allein aus dem Lieferwagen geklettert, Sie dagegen brauchten Hilfe. Und nun hören Sie endlich auf, meine Zwillinge so anzustarren, und setzen mich ab. Bitte!"Zwillinge.... Auch das noch! Tom blieb stur. „Ich setze Sie erst ab, wenn ich ein trockenes Plätzchen für Sie gefunden habe."„Gut, dann setzen Sie mich in den Lieferwagen."„In den Lieferwagen?"„Er hat nicht viel abbekommen. Sagen Sie mal, fahren Sie eigentlich immer wie einVerrückter, noch dazu bei diesem Wetter?"„Ich hatte plötzlich einen Hund vorm Wagen."„Einen Hund?"„Ja. Eine Hündin, um genau zu sein. Sie stand mitten auf der Straße. Ich konnte ihr gerade noch ausweichen."„Stattdessen haben Sie meinen Lieferwagen angefahren."„Es tut mir sehr Leid, aber ..."„Meine Fahrlehrerin hat mir ausdrücklich verboten, das Steuer herumzureißen, um einem Tier auszuweichen", erklärte die Frau bestimmt, zwinkerte jedoch humorvoll. „Sie hatgesagt, wenn man das Steuer herumreißt, ist die Gefahr noch größer, das Tier anzufahren, weil es nicht weiß, wohin es ausweichen soll. Aber sie ist ja auch eine Frau, und Frauen sind nun mal vernünftiger."„Was Sie nicht sagen", antwortete Tom gespielt mürrisch. Dabei konnte er sich kaum das Lachen verkneifen. Dann betrachtete er die Frau auf seinem Arm fasziniert. Lachte sie etwa?„Ja, das sage ich allerdings." Und dann wurde sie ernst und stöhnte wieder leise.„Sie sind doch verletzt." Tom musterte sie besorgt.„Nein, ich habe nur furchtbare Rückenschmerzen. Die haben mich schon vor dem Unfall geplagt. Daran sind die Zwillinge schuld."„Die Zwillinge?"„Sie haben sie eben selbst ganz fasziniert betrachtet", erwiderte sie und strich sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Oder ist Ihnen entgangen, dass ich hochschwanger bin?"„Nein. Es sind also Zwillinge." Er atmete tief durch, bevor er die nächste Frage stellte. „Sie haben aber keine Wehen, oder?"„Nein. Bis zum errechneten Geburtstermin sind es noch drei Wochen, und mein Arzt meint,

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es gibt keinerlei Anzeichen für eine Frühgeburt." „Nein?" Tom trug sie zur Beifahrerseite des Lieferwagens. „Trotzdem sehen Sie aus, als wären Sie drauf und dran zu entbinden." „Sind Sie Arzt?" „Nein." „Das habe ich mir gedacht. Wenn der Arzt sagt, die Babys kommen in drei Wochen, dann kommen sie auch erst in drei Wochen." „Möchten Sie, dass Ihre Kinder Ihnen aufs Wort gehorchen?" „Klar. He, was soll das?" „Ich setze Sie ins Auto." Kurz darauf schob er sie behutsam auf den Beifahrersitz. Nach einem Blick durch die Windschutzscheibe, die heil geblieben war, schüttelte die Frau den Kopf. „Das hat auch keinen Zweck." „Wieso nicht?" „Ich sitze jetzt zwar im Trockenen, aber das bringt mich auch nicht weiter. Irgendein Dummkopf hat seinen Sportwagen genau vor meiner Nase geparkt." Tom lachte amüsiert. „Man sollte etwas dagegen unternehmen. Hier muss es doch noch mehr Parkplätze geben!" „Genau. Und ich war zuerst da!" „Tut mir sehr Leid." Er lächelte fröhlich. Die Frau hatte wirklich viel Sinn für Humor. „Mein Fahrlehrer hat mir auch nicht beigebracht, wie man richtig parkt." Sie lachte, wurde allerdings gleich wieder ernst. „Wir brauchen wohl einen Abschleppwagen", sagte sie mit Blick auf den demolierten Sportwagen. Tom nickte. „Ich werde mich gleich darum kümmern. Zuerst muss ich allerdings das Feuer löschen. Sie bleiben hier und passen auf die Zwillinge auf. Am besten sagen Sie ihnen, dass sie heute drinnen spielen müssen, weil es regnet." „Aber..." „Keine Widerrede." Er hatte Kopfschmerzen, und noch immer bestand die Gefahr, dass der Sportwagen explodierte. Schnell griff Tom nach dem Feuerlöscher und ging los, um weitere Katastrophen zu verhindern. Mit Hilfe des Wagenhebers, den er aus dem Kofferraum des Sportwagens nahm, gelang es ihm, die verbeulte Motorhaube zu öffnen. Dann betätigte er den Feuerlöscher, und im Handumdrehen war der Motor unter einer dichten Schaumschicht verschwunden und rauchte nicht mehr. Als Nächstes mussten ein Abschleppwagen und ein Krankenwagen organisiert werden. Die Frau hatte nämlich Schmerzen und gehörte in ärztliche Behandlung. In diesem Moment fiel Tom ein, dass er ausgerechnet an diesem Tag kein Handy dabeihatte. Von einer Reisetasche abgesehen, hatte er sein gesamtes Gepäck, einschließlich Telefon, zurückgelassen. Beruflich brauchte er das Handy ständig, also hatte er beschlossen, während seines vierwöchigen Urlaubs völlig darauf zu verzichten, um einmal richtig auszuspannen. Und nun hätte er es dringend gebraucht! Er blickte sich suchend um. Weit und breit war kein Haus zu entdecken. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er seit vielen Kilometern nicht ein einziges Gebäude gesehen. In dieser Gegend wurde Viehzucht betrieben. Es gab riesige Weideflächen und nur wenig Einwohner. Um herauszufinden, wie weit es bis zur nächsten Stadt war, holte er eine Landkarte aus dem demolierten Sportwagen. Da der Regen die Karte sofort aufgeweicht hätte, beugte Tom sich wieder ins Auto und versuchte, die Karte dort zu lesen. Auch das war schwierig, denn das Regenwasser lief ihm nur so an den Armen entlang und tropfte aufs Papier. Schließlich fand er jedoch die Stelle, wo er ungefähr sein musste. Vor einer halben Stunde hatte er Kingston hinter sich gelassen und weit und breit keine Ansiedlung ausmachen können. Die nächste Stadt war Weatherby - etwa eine halbe Stunde Fahrtzeit entfernt. Ob er dort ein Krankenhaus mit Notaufnahme und Geburtshelfer finden würde, war allerdings die Frage. Plötzlich hörte er ein Winseln neben sich und blickte hinunter. Oje, die Hündin hatte er ganz vergessen! Ein Tierarzt musste also auch noch her! Tom überlegte, wie er das

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bewerkstelligen sollte - ohne Handy. „Entschuldige, Mädchen. Dich hätte ich beinah vergessen." Er bückte sich und hob das arme Tier hoch. Die Hündin zeigte keine Reaktion. Offensichtlich war ihr schon alles egal. Tom brachte sie zum Lieferwagen. „Hier haben Sie etwas Gesellschaft", sagte er zu der Frau. „Die Ärmste scheint auch Rückenschmerzen zu haben." Vorsichtig ließ er das Tier auf den Fahrersitz gleiten. Die Frau betrachtete die neue Fahrzeuginsassin. „Du meine Güte! Ist das etwa ...?"„Ja, ihretwegen ist es zu dem Unfall gekommen", sagte er missmutig. „Übrigens erwartet sie auch Nachwuchs. Hoffentlich sind ihre Welpen ebenso gut erzogen wie Ihre Zwillinge. Unterhaltet euch gut, aber untersteht euch, eure Babys zu bekommen. Ich versuche inzwischen, eine Lösung für unser kleines Problem zu finden. Sie haben nicht zufällig ein Handy dabei, oder?" „Nein. Hier draußen funktionieren die Dinger sowieso nicht. Aber ich habe Telefon im Haus." Sie betrachtete besorgt die Hündin neben sich. „Das arme Ding scheint halb verhungert zu sein." „Wie weit ist Ihr Haus von hier entfernt?" „Ungefähr eineinhalb Kilometer." Geistesabwesend kraulte sie die Hündin, die den Kopf auf ihr Knie legte und die Augen schloss. Die werdenden Mütter schienen einander zu trösten. „Also eineinhalb Kilometer?" hakte Tom nach. „Ja, höchstens. Wenn der Regen nachlässt, können wir zu Fuß gehen." „Wohl kaum. Jedenfalls nicht, wenn Sie eine Frühgeburt vermeiden wollen." Nach kurzem Nachdenken stimmte die Frau zu. Jetzt wurde er richtig unruhig. Sie musste ziemlich starke Rückenschmerzen haben. „Und was sollen wir nun tun?" fragte sie erschöpft. Die Hündin öffnete die Augen wieder, wandte den Kopf und sah ihn an. Genau wie die Frau. Offensichtlich vertrauten sie darauf, dass er eine Lösung fand. „Schon gut, ich denke ja nach", sagte er schnell und machte die Tür zu. „Nur einen Moment." Irgendetwas musste ihm doch einfallen! Verzweifelt strich er sich das feuchte schwarze Haar aus der Stirn und ging um den Lieferwagen herum. Nachdenklich betrachtete er die beiden ineinander verkeilten Wagen. Der Sportwagen hatte nur noch Schrottwert, aber der Lieferwagen war vielleicht noch zu retten. Tom bückte sich und überprüfte den Zustand der Räder und der Motoraufhängung. Das sieht ja ganz gut aus, dachte er und begann, den Sportwagen zurückzuschieben. Zehn Minuten später hatte er es geschafft. Der Sportwagen stand am Straßenrand, der Lieferwagen war bis auf einige Beulen und Kratzer und einen kaputten Vorderreifen intakt und fahrbereit - hoffentlich! Eineinhalb Kilometer würde er mit dem platten Vorderreifen fahren können. Es hatte wenig Sinn, ihn zu wechseln, denn die Aufhängung war auch beschädigt. Natürlich würde es eine ziemlich holprige Fahrt werden. Hoffentlich wirkte es sich nicht negativ auf die werdenden Mütter aus. Tom öffnete die Tür auf der Fahrerseite und hob die Hündin hoch. Dann stieg er ein, legte sie auf seinen Schoß und startete den Motor. Nach einigen Versuchen sprang dieser tatsächlich an, und der Lieferwagen holperte gen Süden. Bei dem Haus der Frau handelte es sich um eine wunderschön gelegene Farm abseits der Straße. Wie musste es hier erst im Sonnenschein aussehen! Trauerweiden säumten die aufgeweichte Auffahrt. Als Tom den Lieferwagen vor der Veranda parkte, hörte er, wie der Regen aufs Dach prasselte. Die vor dem Haus wachsenden Rosen verströmten einen lieblichen Duft. „Hier bin ich zu Hause", sagte die Frau, nachdem er gestoppt hatte. Tom musterte sie. Abgesehen von kurzen Richtungsangaben hatte sie kaum ein Wort gesagt. Man sah ihrem blassen Gesicht an, dass sie Schmerzen haben musste. „Wollen Sie mit hereinkommen?" erkundigte sie sich zögernd.

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Das war doch mal ein Angebot! Die Alternative wäre, im Lieferwagen zu bleiben, also stellte sich die Frage eigentlich gar nicht. Er betrachtete die Frau wieder und meinte, Angst in ihrer Miene zu lesen.„Keine Angst, ich bin kein Unhold", versicherte er schnell. „Sie können mich ruhighereinbitten. Ist jemand zu Hause? Ihr Mann vielleicht?"„Ich halte Sie gar nicht für einen Unhold", antwortete sie erschöpft. „Vielleicht ist mir auch schon alles egal. Zu stehlen gibt es sowieso nichts, und in meinem Zustand werden Sie sich wohl kaum an mir vergreifen." Sie rang sich ein Lächeln ab.Sie ist wirklich wundervoll, dachte Tom. Und wie mutig sie ist!„Ich wohne allein hier. Übrigens wird es Zeit, dass ich mich vorstelle. Ich heiße Rose. Rose Allen."Er erwiderte ihr Lächeln und schüttelte ihr die Hand. Ein süßes Ziehen machte sich bei ihm bemerkbar. Wirklich eine tolle Frau, überlegte er wieder. „Tom Bradley."„Und wer mag das sein?" fragte Rose und tätschelte der Hündin den Kopf. Das Tier schien zu schlafen. Es hatte sich während der kurzen Zeit nicht geregt.Erst jetzt bemerkte er das abgenutzte Lederhalsband mit dem Namensschild ausPlastik, das erstaunlich neu wirkte. Ohne die Hündin zu wecken, drehte er das Schild so, dass er die Aufschrift lesen konnte. „Darf ich vorstellen? Das ist Joghurt."„Joghurt? Man kann doch einen Bluthund nicht Joghurt nennen! Ob sie nur Joghurt frisst?"„Ich fürchte, sie frisst überhaupt nichts. Sie sieht halb verhungert aus."Rose lächelte und stieß die Beifahrertür auf. „Dann wollen wir mal sehen, ob wir etwas für sie haben. Wir könnten bestimmt alle etwas zu essen gebrauchen. Willkommen inmeinem Haus."Das Farmhaus war riesig. Tom, der Joghurt auf dem Arm trug, folgte Rose die breite Treppe hinauf in die Halle. Er hatte vorgeschlagen, das Tier auf der Veranda zu lassen, doch davon wollte Rose nichts hören.„Dies hier ist ein Farmhaus", sagte sie. „Wir sind an Hunde gewöhnt."Wir? Hunde? Merkwürdig, dachte er. Sie hat doch eben noch gesagt, sie lebt allein. Und Hunde waren auch nicht da. Jedenfalls war nirgends einer zu sehen.Rose hielt sich den Rücken, als sie ihn durch das Haus führte. Die Luft war etwasabgestanden. Rechts und links vom Korridor gingen Türen ab, mindestens zehn.Offensichtlich wurde dieser Teil des Hauses nicht benutzt.„Tut mir Leid, dass ich Sie durchs ganze Haus hetze." Rose lächelte entschuldigend. „Normalerweise parke ich hinterm Haus, aber ich fürchte, die Strecke hätte derLieferwagen in dem Zustand nicht mehr geschafft." Sie stieß eine Tür auf und bat ihn hinein.Hier wohnte sie also - in einer geräumigen Wohnküche mit alten Teppichen auf denSteinfliesen. Der große Raum wurde von einem Herd beheizt, den sie offensichtlichangelassen hatte, als sie weggefahren war. An dem Kieferntisch hätte eine halbe Armee Platz gefunden. In einer Ecke stand eine alte Sitzgruppe, die sehr gemütlich aussah.Ein fantastisches Zimmer, dachte Tom. Fasziniert betrachtete er die glänzenden, von der Decke hängenden Töpfe und blickte dann durch die Fensterfront auf der anderen Seite nach draußen. Hinter einer Pergola, an der sich Wein emporrankte, erstreckte sich die schier endlos wirkende Landschaft. Wenn man in diesem Zimmer war, konnte man den Rest des Hauses getrost vergessen.Rose hatte inzwischen einige Kissen vom Sofa genommen und vor den Herd gelegt. „Betten Sie das arme Tier bitte darauf", sagte sie mitfühlend. „Dann wird ihm sicher bald warm."Die Hündin sah sie mit ihren traurigen Augen dankbar an.„Ob die Geburt der Welpen wohl bald ansteht?" fragte Rose, die nach einem Handtuch gegriffen hatte und Joghurt abtrocknen wollte. Tom nahm ihr das Handtuch jedoch ab und begann, die Hündin abzureiben.„Wahrscheinlich steht sie sogar unmittelbar bevor", antwortete er, während er behutsam die Flanken abtrocknete. Wenn er ein Telefon hätte, würde er sofort einen Tierarzt herbestellen.

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Zuerst allerdings einen Arzt. Das hatte er ja völlig vergessen. Und er trocknete seelenruhig einen Hund ab.„Jetzt wollen wir uns aber erst mal um das Wichtigste kümmern", sagte er und stand auf.„Genau. Trockene Kleidung, Hundefutter und für uns eine Tasse Tee. Oder vielleicht mögen Sie lieber Bier?"Ein Bier könnte er jetzt gut vertragen, doch es wäre kaum vernünftig, jetzt Alkohol zu trinken. Er musste einen klaren Kopf behalten. Zuerst brauchte er ein Telefon.„Wir müssen Hilfe für Sie organisieren. Ihr Rücken ... Der Schmerz ..."„Ach, das ist schon viel besser geworden", behauptete Rose. Das nahm er ihr allerdings nicht ab.„Machen Sie es sich auf dem Sofa gemütlich", riet er. „Sagen Sie mir, wo das Telefon ist und wo ich ein Handtuch und trockene Sachen für Sie finde."„Ich mach das schon."„Kommt nicht infrage. Sie setzen sich jetzt hin und legen die Beine hoch. Wo ist dasTelefon?"„Aber ich muss gar nicht ..." Sie wollte nach dem Teekessel greifen, doch Tom kam ihr zuvor und füllte ihn mit Wasser.„Wenn Sie nicht tun, was ich sage, trage ich Sie zum Sofa. Wir wollen schließlich nicht, dass die Babys jetzt schon kommen. Jedenfalls erst, wenn Hilfe da ist."Rose sah ihn unsicher an, und er erwiderte ihren Blick mit finsterer Miene. Zum ersten Mal nahm sie sich die Zeit, ihn richtig zu betrachten. Er war sonnengebräunt, hatte markante Züge und schien keinen Widerspruch zu dulden. Offenbar war er es gewohnt, Anweisungen zu erteilen. Also gab sie klein bei. Er hatte ja Recht, die Beine taten ihr weh, vom Rücken ganz zu schweigen. „Jawohl", erwiderte sie daher und setzte sich gehorsam aufs Sofa.„Wo ist das Telefon?"Sie zeigte mit dem Finger auf die gegenüberliegende Wand, und Tom ging eilig darauf zu.„Wen wollen Sie denn anrufen?"„Ich bestelle einen Krankenwagen."„Ich will aber keinen Krankenwagen."„Sie werden nicht gefragt. Sie hatten einen Unfall, und wir müssen uns vergewissern, dass den Zwillingen nichts passiert ist. Oje, mir fällt gerade ein, dass Sicherheitsgurte beiSchwangeren Schaden anrichten können."Daran hatte sie offensichtlich auch schon gedacht. „Wenn es meinen Babys schlecht geht, dann verheimlichen sie es ziemlich gut. Vielen Dank, dass Sie sie fast zu Tode erschreckt haben. Sie strampeln, was das Zeug hält. Wollen Sie mal fühlen?"Tom sah sie fassungslos an, dann wich er erschrocken zurück. „Nein, lieber nicht."Rose lächelte. „Feigling."„Ja, stimmt." Er wandte sich wieder dem Telefon zu.„Jedenfalls kommt es nicht infrage, dass Sie einen Krankenwagen rufen."„Sie müssen aber untersucht werden."„Nein, ich ..." Sie verstummte, als sie seine Miene sah. Tom hatte den Hörer abgehoben und lauschte. Schüttelte den Kopf, lauschte wieder und drückte mehrmals auf die Gabel, bevor er wieder lauschte.Nichts! „Die Leitung ist tot." Er betrachtete das Telefon mit einem Blick, der Bände sprach.„So was Dummes", sagte Rose betont fröhlich. Dabei hatte sie sich inzwischen überlegt, dass es keine schlechte Idee wäre, sich untersuchen zu lassen. Nur alsVorsichtsmaßnahme. „Wahrscheinlich liegt es am Sturm. Jedenfalls können Sie jetzt keinen Krankenwagen rufen."„Nein, und auch keinen Mechaniker, der den Wagen in Ordnung bringt. Von einem Tierarzt ganz zu schweigen. Jetzt sind wir ganz auf uns gestellt. Es ist völlig unmöglich, mit dem lädierten Lieferwagen bis zur Stadt zu kommen."

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„Ja." Rose wurde ernst und hielt sich unbewusst wieder den Rücken. „Aber der Sturm lässt bestimmt bald nach, und die Telefonleitungen werden repariert."„Wo ist Ihre Familie? Wo ist Ihr Mann?"Sie sah ihn abweisend an. „Ich habe niemanden."Na wunderbar! Lebte sie denn wirklich ganz allein in diesem Riesenhaus? „Und wie weit ist es zu den Nachbarn?"„Die nächstgelegene Farm ist nicht bewohnt. Der Besitzer lebt im Ausland. Ein Telefon gibt es dort auch nicht. Im Norden schließt sich der Nationalpark an, und die nächste bewohnte Farm ist zehn Kilometer von hier entfernt. Selbst wenn wir bis dahin kommen, können wir noch immer nicht telefonieren. Wenn mein Telefon nicht funktioniert, geht es auf der Farm auch nicht."„Ist es angesichts der Tatsache, dass Sie Zwillinge erwarten, nicht etwas unvernünftig, im Umkreis von zehn Kilometern niemanden zu haben, der Ihnen helfen könnte?"Jetzt wurde sie ärgerlich! „Sie halten mich wohl für völlig dumm?" fragte sie wütend. „Ich nehme mir nächste Woche ein Zimmer in der Stadt, bis die Zwillinge kommen."„Das hilft uns jetzt natürlich ungemein."„Sie kommen ja noch nicht."„Nein." Tom atmete tief durch. Hoffentlich nicht!„Sie haben nicht zufälligerweise einen Ratgeber zur Hand, oder? Sie wissen schon, so etwas wie ,Gehirnchirurgie für Anfänger' oder ,Zwillinge für Angsthasen'."Nun musste sie lachen. „Ich habe tatsächlich ein Buch gekauft. Aber wir brauchen es nicht. Ich habe doch gesagt, die Babys kommen noch nicht."„Ihre vielleicht nicht." Er ging zum Herd und kniete sich neben die traurige Hündin. „Aber Joghurts."„Wann? Jetzt?"„Ich glaube schon. Sie rührt sich nicht. Wenn eine trächtige Hündin einen geeigneten Platz für die Geburt gefunden hat, bewegt sie sich nicht mehr von der Stelle. Und ich fühleMuskelkontraktionen. Wahrscheinlich ist dies ihr erster Wurf. Sie ist völlig verängstigt." In diesem Moment erschauerte die Hündin. Tom umfasste ihr Gesicht und sah ihr tief in die Augen. „Es wird alles gut, mein Mädchen. Hab keine Angst."„Woher wissen Sie das eigentlich alles?" erkundigte Rose sich neugierig.„Ich hatte als Kind einen Hund", antwortete er kurz angebunden, und sie merkte, dass er nicht darüber sprechen wollte.Sie sah ihn erstaunt an, denn plötzlich lächelte er. „Ich glaube, der erste kommt schon."„Ein Welpe?"„Das will ich hoffen. Wenn es ein Kätzchen ist, haben wir ein Problem. Wo ist das Buch?"„In dem Buch steht, wie man richtig atmet und nicht in Panik gerät", erklärte Rose atemlos. „Von Welpen, die sich als Kätzchen entpuppen, steht da nichts. Wir können es später lesen. Jetzt will ich zusehen." Er blickte auf, als sie aufstand und zu ihm kam. Sie kniete sich neben ihn.„Ich habe doch gesagt, dass Sie auf dem Sofa bleiben sollen."„Und die Geburt verpassen? Kommt nicht infrage."„Sie bekommen doch selbst bald Babys. Früher, als Sie möchten, wenn Sie soweitermachen."„In drei Wochen."„Rose..."„Nun passen Sie auf. Der Welpe kommt."Tatsächlich. Joghurt krümmte sich und winselte erschöpft. Noch ein Zittern, dann glitt der erste Welpe auf die hübschen Kissen.„Sie macht die Kissen schmutzig", meinte Tom leise. Dabei waren ihm die Kissen völlig gleichgültig. Gebannt betrachtete er den Welpen und reinigte die winzige Nase.Normalerweise machte die Mutter es selbst, doch Joghurt war zu erschöpft. Außerdem folgten jetzt die anderen kleinen Hunde.

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„Um die Kissen ist es nicht schade", erwiderte Rose, die nur Augen für das Hundebabyhatte. „Ist er nicht wunderschön? Was zählt da schon ein Kiss..." Sie verstummte, denn in diesem Moment kam der nächste Welpe.Tom brauchte zehn Sekunden, um die Nase des kleinen Tiers zu befreien, dann blickte er sich um.Rose saß auf dem Boden und stützte sich ab. Ihre Hände waren weiß. Schweißperlen waren ihr auf die Stirn getreten, und sie hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen.„O nein", flüsterte sie.„Nein", sagte er ausdruckslos. „Nein!"„Ich ... ich fürchte ..." Sie verstummte und sah ihn mutlos an. Tröstend nahm er ihre Hände.Rose hielt sie so fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen.„Sie kommen", flüsterte sie. „Meine Babys kommen."

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2. KAPITEL

Das häusliche Leben gehörte nun nicht gerade zu seinen Stärken, und der Umgang mit Babys schon gar nicht. Eigentlich hatte er, Tom, nie ein richtiges Familienleben gehabt. Seine Mutter war eine katastrophale Beziehung nach der nächsten eingegangen, Geschwister hatte er nicht, er selbst war auch nicht geplant gewesen, und seine Mutter hatte dafür gesorgt, dass ihr kein weiteres „Missgeschick" passierte. Der Hund, von dem er Rose erzählt hatte, hatte einem seiner „Stiefväter" gehört, von dem seine Mutter sich getrennt hatte, bevor die Welpen entwöhnt gewesen waren. Immer wieder hatte seine Mutter es mit der Ehe versucht. Die Männer waren eigentlich immer nett gewesen und hatten ihn gern gehabt. Doch er hatte bereits früh lernen müssen, nicht zu anhänglich zu werden, denn jedes Mal, wenn er angefangen hatte, den jeweiligen Ehemann gern zu haben, ließ seine Mutter sich wieder scheiden. Seit seiner Kindheit war er emotionalen Bindungen daher immer aus dem Weg gegangen. Deshalb hatte er auch wenig Ahnung von Hausarbeit, vom Kochen, von Hypotheken ... Und von Babys erst recht nicht. Er war bei der Geburt von Welpen dabei gewesen, aber das war etwas anderes, als wenn ein kleiner Mensch auf die Welt kam beziehungsweise zwei kleine Menschen! Tom saß auf dem Fußboden, hielt Rose die Hand und machte sich große Sorgen. Er hatte keine Ahnung, wie er die nächsten Stunden überstehen sollte - so ganz ohne Hilfe, denn selbst die nächsten Nachbarn waren zu weit entfernt. Wie hätte er sie ohne fahrtüchtigen Wagen überhaupt aufsuchen sollen? Denn im Lieferwagen würde er keine fünf Meter weit kommen, dann würde das Fahrzeug in dem aufgeweichten Boden einsinken. Außerdem konnte er Rose sowieso nicht allein lassen. Deshalb brauchte er gar nicht daran zu denken, die zehn Kilometer zur Nachbarfarm zu Fuß zurückzulegen. Er war also völlig auf sich gestellt! Daher machte er sich so große Sorgen. Schließlich hatte er überhaupt keine Erfahrung! Er hatte Angst! Rose hatte es zurück zum Sofa geschafft und atmete tief durch - so regelmäßig wie möglich. Es hatte keinen Zweck, jetzt selbst in Panik zu geraten. Dabei hätte sie allen Grund dazu gehabt! Sie war allein mit einer Bluthündin, die ihre Jungen zur Welt brachte, und einem völlig fremden Mann ... Wer ist er? Ich weiß überhaupt nichts von ihm, dachte sie besorgt.Über medizinische Kenntnisse verfügte er jedenfalls nicht. Sie hatte seinen ängstlichen Blick bemerkt. Außerdem kleidete Tom Bradley sich wie ein Mann, der sein Geld an der frischen Luft verdiente - Jeans, kurzärmeliges Khakihemd und Lederstiefel. Er hatte ein breites Kreuz und war sonnengebräunt. In den Augenwinkeln hatte er feine Falten. Von der Sonne? Oder waren es Lachfältchen? Vielleicht ist er Farmer, überlegte Rose. Mit den Welpen hat er sich jedenfalls recht geschickt angestellt. Vielleicht schaffte er es auch, ihr bei der Geburt der Zwillinge zu helfen. Sie hoffte es jedenfalls. Obwohl ihm deutlich anzusehen war, dass er am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Hoffentlich geht das gut, flehte sie inständig. Einer muss ja die Ruhe bewahren, und das bin natürlich wieder einmal ich, dachte sie dann. Das war nichts Neues. Wenn es darauf ankam, war sie immer auf sich allein gestellt. Wieso sollte es bei der Geburt ihrer Kinder anders sein? „Ich glaube, wir brauchen mehr Handtücher", sagte sie mit bebender Stimme. „Handtücher", wiederholte Tom verständnislos. „Klar." „Im Badezimmer sind welche. Dritte Tür rechts. Wir brauchen auch heißes Wasser. Setzen Sie bitte Wasser zum Kochen auf." „Wozu brauchen wir heißes Wasser?" Sie sah ihn starr an. „Wissen Sie das nicht?" „Nein."

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„Ich auch nicht", musste sie zugeben. „Allerdings habe ich es mal im Kino gesehen."Tom musterte sie ungläubig und wurde sich ihres Hilfe suchenden Blicks bewusst. Dasbrachte ihn zur Besinnung. Die arme Frau war auf ihn angewiesen, und er benahm sich wie ein aufgeregter Narr! Es wurde Zeit, sich zusammenzureißen!„Gut", meinte er, nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte.„Ich setze Wasser auf. Wir können später überlegen, wozu wir es brauchen. Wo ist das Buch?"„Welches Buch?"„,Zwillinge für Angsthasen'", antwortete er. „Ich brauche ein Handbuch."„Es steht auf dem Regal neben dem Ofen."Tom griff danach wie nach einem Rettungsring und begann, es durchzublättern.„Tom?"„Ich lese schnell das Buch durch. Unterhalten Sie sich so lange mit Joghurt."„Tom!" Als er den veränderten Tonfall hörte, sah er doch auf.„Ja?"„Könnten Sie beim Lesen bitte meine Hand halten?" fragte Rose flehend. „Bitte."Nun folgte die längste Nacht, die Tom Bradley je erlebt hatte. Jedenfalls kam es ihm so vor. Auch bei manchen Einsätzen hatte er das Gefühl gehabt, dass es nie Tag werden würde. Wenn ein Ölquellenfeuer sich partout nicht löschen lassen wollte oder Kollegen bei der Arbeit ums Leben gekommen waren, war ihm die Nacht auch endlos lang erschienen. Doch nichts ließ sich mit dieser hier vergleichen.„Zuerst müssen wir Sie abtrocknen", sagte Tom. Inzwischen war ihm klar geworden, dass die Babys noch eine Weile auf sich warten lassen würden. Die Wehen kamen jetzt im Abstand von zwei Minuten.„Ich habe noch etwas Zeit", keuchte Rose zwischen zwei Wehen.Er half ihr, das Kleid auszuziehen, und trocknete sie ab, bevor er ihr ein warmes Nachthemd über den Kopf zog.Vorerst hatten sie beide die Tatsache verdrängt, dass sie einander völlig fremd waren. Jetzt kam es nur darauf an, die Babys heil zur Welt zu bringen.Auch in dieser Situation hielt Tom Rose für die schönste Frau, die er je kennen gelernt hatte. Er wusste selbst nicht, was er davon halten sollte. Wahrscheinlich liegt es an dem Schlag, den ich auf den Kopf bekommen habe, dachte er verwundert, während ergleichzeitig versuchte, sich auf das Buch zu konzentrieren. Was er da las, hätte jedenanderen Mann in Panik versetzt.

Hausgeburten ...Keine Hausgeburten ohne medizinische Fachkräfte. Nicht empfehlenswert bei einer Mehrlingsgeburt. Bei Erstgebärenden kann nur davor gewarnt werden ...

In dem Stil ging es weiter. Eine große Hilfe war der Ratgeber also nicht gerade!Er konnte nur dafür sorgen, dass alles makellos sauber war, und auf das Beste hoffen. Was blieb ihm anderes übrig? Tom markierte die Seite, auf der beschrieben wurde, was während der Geburt zu beachten war, und klappte das Buch zu.„Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Bäuerinnen früher bis zur Geburt auf dem Feld gearbeitet haben. Dann haben sie ihr Kind in irgendeiner geschützten Ecke zur Welt gebracht, ihm einen Namen gegeben und die Arbeit fortgesetzt", erzählte er Rose betont fröhlich.„Wann früher? Haben wir überhaupt eine geschützte Ecke?" fragte sie vorsichtig.Tom lächelte. Sie war einfach wundervoll!„Hinter dem Sofa vielleicht?" schlug er vor. „Das wäre doch bestimmt ein passendes Plätzchen."„Auf dem Sofa wäre es wohl etwas bequemer." Sie zuckte zusammen, als eine neue Wehe

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kam. „Ich weiß gar nicht mehr, wie es ist, es sich bequem zu machen."„Vielleicht wären Sie im Schlafzimmer besser aufgehoben."„Kaum. Hier ist es angenehm warm, und Sie können sich gleichzeitig um Joghurt und mich kümmern."Plötzlich schien alles nur noch halb so schlimm zu sein, denn wenn es Joghurt gelang, einen Welpen nach dem anderen zur Welt zu bringen, warum sollte Rose dann mit ihren Zwillingen Probleme haben?Inzwischen waren sieben kleine schwarze Hunde auf den Sofakissen gelandet. Tom hatte alle Welpen von der Membrane befreit. Nun betrachtete er forschend die erschöpfte Mutter. Als er sicher war, dass es bei sieben Hundebabys bleiben würde, machte er Milch warm und gab sie Joghurt zu trinken. Sie soff, als würde ihr Leben davon abhängen, anschließend sah sie auf und leckte ihm dankbar die Hand. Nach einem Blick auf Rose winselte sie leise und schlief ein, umringt von ihren Welpen.„Ich glaube, sie wollte sich bei uns bedanken", sagte Rose ergriffen. Tränen schimmerten in ihren hübschen Augen. „O Tom!"Auch er war gerührt und musste schlucken. Verlegen wandte er sich ab.Und dann kam die nächste Wehe. Tom wusch sich so gründlich Hände und Arme, dass sich kein anständiger Krankheitskeim auch nur in seine Nähe gewagt hätte. Danach umfasste er Roses Hände. Die Geburt schien unmittelbar bevorzustehen.„Ich glaube, es geht los." Rose stöhnte und presste die Knie zusammen. Er half ihr, sich halb aufzurichten. „O Tom, ich kann es nicht mehr aufhalten. Ich muss jetzt pressen."Tom schluckte und warf einen schnellen Blick in den Ratgeber. „Pressen, Teil zwei", murmelte er und überflog den Text. „Gut, dann press! Hier steht, das ist in Ordnung." Dass er sie plötzlich duzte, war ihm gar nicht bewusst.„Ein Glück!" Sie sah ihn verzweifelt an. „Siehst du mal nach, ob das Telefon inzwischen wieder funktioniert?" bat sie.Das hatte er alle drei Minuten getan, nun war es sowieso zu spät, um Hilfe zu holen.„Sie kommen", brachte Rose hervor. „Ich bin noch nicht so weit, Tom."„Ich aber." Er versuchte, möglichst zuversichtlich zu klingen, und drückte ihr aufmunternd die Hände. „Ich habe alle wichtigen Passagen gelesen, die Schere ist sterilisiert, dieHandtücher sind angewärmt, und warmes Wasser haben wir auch."„Tom?"„Ja?"„Sei einfach still und halt mich fest." Sie hechelte und hechelte, als eine Wehe nach der anderen kam, in immer kürzeren Abständen.Zum Nachdenken blieb keine Zeit. Zum Angsthaben auch nicht.Fünf Minuten später wurde die kleine Jessie Allen geboren und schrie im Chor mit ihrer Mutter. Zwei Minuten später war auch Toby Allen auf der Welt.Tom war nun doch froh, dass er den Ratgeber griffbereit hatte. Genau wie es auf den Abbildungen dargestellt war, schnitt er die Nabelschnur durch, wickelte die Babys inangewärmte Handtücher und legte sie Rose an die Brust.Das wäre geschafft!Als Tom schließlich alles wieder in Ordnung gebracht hatte, dämmerte bereits der Morgen. Tom ging auf die Veranda hinaus und ließ den Blick übers Tal gleiten. Wie schön es hier war!Eine hügelige Landschaft mit saftigen Weiden, auf denen Kühe grasten, erstreckte sich bis zu einem Fluss, der in Mäandern in Richtung Meer verlief.Tom lächelte vor sich hin. Endlich konnte er sich entspannen. Es war kaum zu fassen, aber er hatte tatsächlich bei der Geburt von neun Babys geholfen! Unglaublich!Als er in die Wohnküche zurückkehrte, war Rose eingeschla fen. Sie hatte sich unter die Bettdecke gekuschelt und hielt in jedem Arm ein schlafendes Baby. Joghurt und ihre Welpen lagen auf den Sofakissen am Herd und schliefen ebenfalls.Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass das Telefon noch immer nicht funktionierte, beschloss er, sich auch etwas auszuruhen. Er legte sich einige Kissen auf dem Boden

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zurecht und streckte sich aus.Nur fünf Minuten ...Die Minuten wurden zu Stunden. Erst um die Mittagszeit wachte Tom wieder auf.„Tom?"Er war sofort hellwach, als Rose seinen Namen flüsterte, setzte sich auf und blickte sich um.Rose schien wie ausgewechselt. Sie wirkte sehr zufrieden mit sich und der Welt.„Was ist los?" fragte er leicht beunruhigt.„Nichts."Aha. Tom entspannte sich wieder. Dann vergewisserte er sich, dass es allen Babys gut ging. Jessie und Toby lagen friedlich bei ihrer Mutter. Joghurt schlief noch fest, imGegensatz zu ihren Jungen, die sich um die Zitzen balgten.Fünf, sechs, sieben - die Welpen waren alle da. Tom atmete erleichtert auf.„Du siehst ziemlich stolz aus", sagte Rose und lächelte, als er rot wurde.„Na ja..."„Du kannst auch stolz sein. Das war ausgezeichnete Arbeit."Er lächelte verlegen.„Tom?"„Ja?"„Es tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe, aber es gibt ein Problem."„Ein Problem?" Tom wurde ernst. Eigentlich konnte ihn nichts mehr erschüttern. Er hatte neun Babys auf die Welt geholfen. Dagegen verlor auch das größte Problem anBedeutung. „Ich gehe zur nächsten Farm und organisiere Hilfe. Eigentlich wollte ich das schon gestern Nacht tun, nur ..."„Ich brauche keine Ambulanz." Rose lächelte, als sie seine besorgte Miene sah. „Aber ich werde hier etwas nass."„Nass?" Tom musterte sie verständnislos.„Ich brauche zwei Windeln", erklärte sie entschuldigend. „Auf die Dauer reicht es wohl nicht, die Babys in Handtücher zu wickeln."„Windeln ... Du liebe Zeit!„Und ich würde mir gern zum Badezimmer helfen lassen." Sie verstummte unsicher.Rose bittet nicht gern um Hilfe, dachte Tom, dem erst jetzt bewusst wurde, wie tapfer sie sich während der Geburt gehalten hatte. Sie hatte überhaupt nicht gejammert. Dabei musste sie höllische Schmerzen gehabt haben. Nur zweimal hatte sie geschrien: bei jedem Baby einmal. Und den ganzen Morgen hatte sie sich nicht gerührt. Wie lange mochte sie schon wach sein? Und er hatte in aller Seelenruhe geschlafen! Er sah sie schuldbewusst an.„He, mach dir keine Gedanken, ich bin selbst gerade erst aufgewacht."„Okay, dann mal los. Auf gehts zum Badezimmer. Anschließend kümmern wir uns um die Windeln. Hoffentlich wird im Ratgeber auch erklärt, wie man Babys wickelt. Sonst sehe ich alt aus."Bei näherer Betrachtung erwies sich, dass die Zwillinge nicht nur gewickelt werdenmussten, sondern auch dringend ein Bad benötigten, sie waren nämlich noch völligverklebt.Tom, der die kleine Jessie vorsichtig aus dem Handtuch wickeln wollte, überlegte es sich anders, als er die Bescherung sah.„Das ist ja sehr unappetitlich", sagte er vorwurfsvoll.„Gar nicht wahr! Die Kleinen sind einfach himmlisch", protestierte Rose, ganz die stolze Mutter.„Wahrscheinlich findet Joghurt diese kleinen, blinden Würmer, die sie auf die Welt gebracht hat, auch himmlisch", antwortete er verdrießlich. „Also gut, dann baden wir die Zwillinge eben. Und du könntest sicher auch eine Dusche gebrauchen." Plötzlich strahlte er. „Jetzt weiß ich, wozu das warme Wasser gut ist!"

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Die nächste halbe Stunde entbehrte nicht einer gewissen Komik. Rose duschte, während Tom vor der Badezimmertür Wache hielt, falls ihr plötzlich schwindlig werden sollte. Es ging alles gut, und schließlich half er ihr zurück in die Wohnküche.Dann wurden die Babys gebadet. Rose hatte extra eine Plastikwanne für sie gekauft. Nachdem Tom Rose wieder unter die - frische - Bettdecke verfrachtet hatte, stellte er die Wanne auf den Fußboden und holte Babysachen aus dem Kinderzimmer. Er breitete alles generalstabsmäßig aus.„Zwei angewärmte Handtücher, Babyseife, warmes Wasser, zwei Jogginganzüge. Alles da."„Das sind doch keine Jogginganzüge." Sie schüttelte lachend den Kopf.„So sehen sie aber aus." Er hielt einen kleinen gelben Anzug hoch. „Ein einteiliger Jogginganzug. Das ist ja ein scheußliches Gelb. Hast du die Farbe ausgesucht?"„Die Anzüge waren billig", erklärte sie trotzig.„Das glaube ich gern." Tom schüttelte sich. „Willst du aus den Kindern Langstreckenläufer machen?"„Nein."„Na ja, wahrscheinlich sollen sie Farmer werden. Du hättest Wachsjacken und Gummi­stiefel für sie kaufen sollen. He, was ist los?" fragte er beunruhigt, als er bemerkte, dass sie aufgehört hatte zu lächeln.„Gar nichts", antwortete sie kurz angebunden und rang sich wieder ein Lächeln ab. „Es fehlt noch was."„Was denn? Ich habe doch alles beisammen."„Nein, hast du nicht. Hier." Rose reichte ihm das erste Baby, bevor er widersprechen konnte. „Halt sie gut fest", bat sie.Das wollte er gern tun, nur war das leichter gesagt als getan. „Ich dachte, du würdest selbst..."„Klar, ich würde die Zwillinge gern selbst baden, aber ich bin so erschöpft vom Duschen." Sie lächelte entschuldigend.Ach so. Dann blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Eigentlich war er kein Feigling. Doch die winzige Jessie aus dem Handtuch zu wickeln und herauszuheben erforderte eine gehörige Portion Mut. Als Tom sie vorsichtig ins Wasser gleiten ließ, schlug sie die Augen auf. Und was für Augen! Das gleiche Graublau wie bei ihrer Mutter. Jessie sah ihn an, als könnte sie ihr Glück nicht fassen, warmes Wasser um sich zu spüren.„Es gefällt ihr", sagte er fasziniert und bewegte die Kleine vorsichtig hin und her. „Das macht ihr richtig Spaß."„Tatsächlich." Rose beugte sich vor und seifte das Baby behutsam ein. „O Tom, sie ist wundervoll."Stimmt, dachte er. Genau wie ihre Mutter.Anschließend konzentrierte er sich wieder auf seine Aufgabe. Die kleine Jessie ließ sich ohne Gegenwehr abtrocknen und anziehen. Sie lag im angewärmten Handtuch und genoss es, behutsam abgetrocknet zu werden. Er richtete sich genau nach Roses Anweisungen, als er die Windel befestigte und den Anzug darüber zog.„Das ist ja ein Kinderspiel", erklärte er selbstbewusst, wickelte die Kleine in eine Wolldecke und reichte sie Rose.Rose knöpfte sich das Nachthemd auf und legte ihre Tochter an die Brust. Jessie schmiegte sich an, und im nächsten Moment hatte der winzige rosafarbene Mund schon gefunden, was er gesucht hatte, und sie begann zu trinken.Tränen schimmerten in ihren Augen, als Rose aufblickte. Tom schluckte ergriffen.„Woher weiß sie, was sie tun muss?" fragte er erstaunt. „Ist sie nicht klug?"„Ja." Auch sie schluckte. „Das ist sie."„He, Rose, nun wein doch nicht", bat er und streichelte zärtlich ihr Gesicht. „Du darfst nicht weinen."„Das tue ich doch gar nicht."

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„Das sehe ich."„Ich bin nur so glücklich."„Ja, das sieht man auch." Tom war ergriffen. Er erkannte sich kaum wieder. Normalerweise zeigte er keine Gefühle. So etwas konnte er sich in seinem Beruf nicht leisten.Und irgendwo war der Vater dieser Babys ...„Ich werde jetzt Toby baden." Tom beugte sich über Rose, um nach dem Bündel in ihrem Arm zu greifen. Das war ein großer Fehler, denn als er sich vorbeugte, atmete er einen betörenden Duft ein. Es roch nach Seife, schläfrigem Baby und nach etwas Wunderbarem.Und das war Rose.Tom riss sich verzweifelt zusammen, nahm Toby hoch und begann, ihn aus dem Handtuch zu wickeln. Im nächsten Moment war es vorbei mit der friedlichen Atmosphäre.Toby war ausgesprochen beleidigt, als er gebadet werden sollte. Er ballte die kleinen Hände zu Fäusten, verzog wütend das Gesicht und begann lauthals zu schreien.Rose betrachtete die Szene mit einem zufriedenen Lächeln. Als Toby schließlich fertig gebadet war, war Tom mindestens genauso nass wie das Baby. Und sein Gesicht war ebenso gerötet. Schließlich reichte er ihr den schreienden Jungen. Erst als er die Brust gefunden hatte, kehrte wieder Frieden ein.Von der anderen Seite der Küche war leises Winseln zu vernehmen. Tom drehte sich um und sah, dass Joghurt aufgestanden war. Die Welpen protestierten.„Wahrscheinlich muss sie mal raus", sagte Rose verständnisvoll und entschuldigendzugleich.Tom seufzte. Wie gern hätte er sich einen Moment ausgeruht und ein Bier getrunken! Das hätte jetzt gut getan. Stattdessen brachte er Joghurt nach draußen. Inzwischen schien die Sonne, und ein Regenbogen hatte sich am Horizont gebildet.Joghurt schnüffelte interessiert herum.Was soll nur mit ihr passieren? überlegte Tom. Ob Rose sie behalten würde? Vielleicht. Sie hatte ja ein gutes Herz. Andererseits könnte er versuchen, Joghurts Besitzer ausfindig zu machen. Oder er überließ es dem Tierheim. Aber dort würde man sie vielleichteinschläfern. Nein, das kam nicht infrage!Die Hündin kam gerade die Verandatreppe hinauf und rieb sich zutraulich an seinem Bein. Als Tom sich hinhockte und sie kurz an sich drückte, leckte sie ihm das Gesicht.„Häng dich bloß nicht an mich", meinte er. „Sei nett zu der Lady. Vielleicht behält sie dich.Sowie ich Hilfe organisiert habe, verschwinde ich."Joghurt sah ihn traurig an, als wollte sie sagen, er sollte es sich lieber noch einmal überlegen.„Kommt nicht infrage! Ich sollte eigentlich schon längst in Hawaii sein und Urlaub machen."Als er hörte, wie ihr Magen knurrte, lachte Tom. „Also gut, vor dem Urlaub besorge ich dir noch etwas zu fressen. Schließlich musst du ja deine Familie ernähren. Und Rose und ich könnten auch einen Bissen vertragen."Also kehrte Tom in die Küche zurück und inspizierte den Kühlschrank. Dabei wurde ihm zum ersten Mal bewusst, wie arm Rose sein musste. Er war schockiert.Tom fand Nudeln und Zutaten, um eine Soße zu machen, etwas haltbare Milch, aber kein Fleisch. Nicht einmal in der Tiefkühltruhe fand sich Fleisch.Ihm fiel ein, dass Rose aus der Stadt gekommen war, als er mit ihr zusammengestoßen war. Wahrscheinlich hatte sie eingekauft, und die Lebensmittel waren noch im Wagen.Also ging er hinaus. Und was trieb er auf? Noch mehr Nudelpakete und billiges Gemüse und haltbare Milch.Das war wohl kaum die geeignete Ernährung für stillende Mütter - von ihm ganzabgesehen. Jetzt knurrte auch sein Magen.Tom ging ins Haus und probierte noch einmal das Telefon aus. Nichts! Er seufzte.„Was ist los?" Rose, die noch immer stillte, sah fragend auf. „Funktioniert das Telefon noch immer nicht?"

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„Nein."„Wenn du so dringend fortmusst, dann kannst du ja zu den Nachbarn gehen. Vielleicht fährt Joan dich in die Stadt. Gegen angemessene Bezahlung."„Sie ist wohl die perfekte Nachbarin, oder?"„Kaum. Sie mag mich nicht." Sie biss sich auf die Lippe. „Vielleicht hat sie sogar Grund dazu."„Ach ja?"„Ich bin auch nicht gerade die ideale Nachbarin. Aber wenn du wirklich fort musst..."Er wollte fort. Die Situation überforderte ihn allmählich. Er wollte sich hier gar nicht erst häuslich einrichten. Allerdings gab es noch einiges zu regeln, bevor er verschwindenkonnte. „Zuerst muss ich dafür sorgen, dass du in die Klinik kommst."„Nein."„Wieso nicht?" Tom sah sie verblüfft an.„Ich will nicht in die Klinik", sagte Rose leise und betrachtete die schlafenden Zwillinge. „Natürlich war die Hausgeburt nicht geplant, aber da jetzt alles vorbei ist und alles gut gegangen ist, kann ich jetzt auch hier bleiben, zumal ich überhaupt nicht krankenversichert bin. Außerdem muss ich die Tiere versorgen."„Das geht nicht. Du kannst nicht hier bleiben."„Wieso nicht? Dies ist immerhin mein Zuhause."„Und wer hilft dir?"„Ich schaffe das schon allein."„Klar. Du konntest ja nicht einmal die Babys baden."„Das war nur heute, weil ich noch so schwach bin. Aber morgen..."„Klar, morgen bist du wieder fit und kannst vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung auf dem Hof arbeiten", bemerkte Tom ironisch.„Ich werde mich schon nicht übernehmen."„Gibt es denn niemanden, der dir ohne Bezahlung helfen würde?" fragte er ungläubig.„Nein", antwortete Rose abweisend.„Dann musst du in die Klinik", meinte er sanft. „Du musst untersucht werden. Außerdem kannst du dich dort ausruhen und dich aufpäppeln lassen."„Und wer kümmert sich um Joghurt?" erkundigte sie sich herausfordernd.Tom senkte den Blick. „Sie kommt ins Tierheim. Und die Welpen werden in gute Hände abgegeben."„Kommt nicht infrage. Sie ist genauso erschöpft wie ich."„Du bist also erschöpft?" Als sie nicht antwortete, fügte er bittend hinzu: „Rose ..."„Ich bleibe hier."„Du musst wenigstens untersucht werden. Und die Babys auch. Du hattest nicht einmal eine Hebamme. Nur mich." Nach kurzem Überlegen fuhr er fort: „Also gut, hör zu! Ich habe einen Plan. Du musst dich wenigstens von einem Arzt untersuchen lassen. Und wenn ich dich persönlich in die Praxis tragen muss."„Also gut", antwortete Rose resigniert. „Aber Dr. Connor kann einen Hausbesuch bei mir machen."Das klang schon besser. „Und wann?" Vielleicht würde es dem Arzt gelingen, sie zur Vernunft zu bringen. „Ich mache mich sofort auf den Weg, um Hilfe zu holen."„Das ist überhaupt nicht nötig. Sowie das Telefon wieder funktioniert, rufe ich in der Praxis an."„Wir."„Bitte?"„Wir rufen an."„Wieso? Was willst du damit sagen?"„Ich bin zwar Junggeselle und habe keine Ahnung von Babys, aber ich bleibe hier, bis dieser Dr. Connor dich untersucht hat."„Du meinst...?"

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Bildete er es sich nur ein, oder war sie wirklich erleichtert? Wahrscheinlich hatte sie insgeheim schreckliche Angst, dass er sie allein lassen könnte.„Ich ... Das ist doch nicht nötig", wehrte Rose ab.„Was soll ich denn sonst tun?" fragte er. „Mein Auto ist ein Schrotthaufen. Bevor ich keinen Ersatzwagen habe, komme ich hier sowieso nicht weg." Sie musste ja nichtwissen, dass es sich um einen Mietwagen mit Vollkaskoversicherung handelte. Ein Anruf würde genügen, um Ersatz zu beschaffen.„Das stimmt allerdings", erwiderte sie erleichtert. „Und an dem Unfall warst du schuld."„Nein, Joghurt."„Du musst ja irgendwo wohnen, bis der Wagen repariert ist."Das konnte eine Weile dauern. „Ach, da wir gerade von Joghurt sprechen ... Ich glaube, sie hat Hunger. Ich übrigens auch. Und du siehst auch aus, als könntest du einen Bissen vertragen."

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3. KAPITEL

Als schließlich jeder seinen Hunger gestillt hatte, war die Sonne bereits fast untergegangen. Wo ist nur die Zeit geblieben? überlegte Tom, als er die Veranda betrat. Vielleicht sollte er sich jetzt auf den Weg zur nächsten Farm machen, um den Arzt zu verständigen.Joghurt war an seiner Seite. Offensichtlich brauchte sie eine Pause von ihrenMutterpflichten. Eng an seine Beine geschmiegt, stand sie neben ihm, als er den Blick übers Tal gleiten ließ. Hungrig hatte sie eine große Portion Nudeln vertilgt. Nachdenklichbetrachtete er die große Hündin. Eigentlich brauchte sie Fleisch. Wer mochte nur auf die Idee gekommen sein, sie Joghurt zu nennen?„Du bist doch keine Vegetarierin, altes Mädchen, oder?" fragte er zärtlich, und sie rieb sich an seinen Beinen und sah ihn mit einem so treuen Blick an, dass ihm das Herz schwer wurde.Eigentlich sollte ich sie sofort ins Tierheim bringen, dachte Tom. Ein treues Tier konnte er nun gar nicht gebrauchen, schließlich würde er selbst so bald wie möglich wieder seinerWege gehen.Als er sie geistesabwesend hinter den Ohren kraulte, schmiegte Joghurt sich noch enger an ihn. Verflixt!„Du kannst nicht mit nach Hawaii kommen", erklärte er. „Ich bin ein Globetrotter, Herzchen. Eine Hündin und ihre sieben Welpen passen nicht ins Bild."Joghurt winselte leise und rieb sich an seiner Hand.Tom seufzte. Das war ja wirklich verrückt! „Auf Hawaii würde es dir nicht gefallen."Sie wedelte mit dem Schwanz.„Ich bin Feuerwehrmann. Es ist ständig heiß, staubig und gefährlich. Außerdem gibt es keine Schutzanzüge für Bluthunde."Joghurt wedelte noch mehr mit dem Schwanz.„Ich habe Nein gesagt!"Wenn Hunde seufzen konnten, dann seufzte sie. Nach einem traurigen Blick drehte sie sich um und ging wieder ihren Mutterpflichten nach. Er hatte ein richtig schlechtesGewissen. Aber er konnte Joghurt und ihre Jungen doch wirklich nicht mit auf seine Reisen um die Welt nehmen, oder? Unmöglich!Als er in die Wohnküche zurückkehrte, wollte Rose gerade aufstehen.Was hat sie denn jetzt vor? überlegte er. Die Zwillinge waren gestillt worden und schliefen fest in ihren Stubenwagen, die er aus dem Kinderzimmer geholt hatte. Im Augenblick brauchten die Babys ihre Mutter nicht.Vielleicht will Rose ins Badezimmer, dachte er. Doch wieso hatte sie so einenentschlossenen Gesichtsausdruck aufgesetzt?„Hast du was vor?" fragte er freundlich.„Ich will mich anziehen."„Aha." Er nickte höflich. „Erwartest du Besuch?"„Nein, aber ..."„Aber was?"„Ich will mal nach den Kühen sehen", meinte sie zaghaft. „Es hat geregnet, und manchmal bleiben sie im Schlamm stecken. Unten am Damm."„Und du willst sie mit bloßen Händen herausziehen."„Nein. Normalerweise nehme ich den Lieferwagen, nur das geht wohl heute nicht. Na ja, und ob ich die Kraft habe, zu graben, bis die Tiere sich selbst befreien können, weiß ich auch nicht."„Was schlägst du also vor?" Tom ahnte, was auf ihn zukam.„Ich nehme das Gewehr. Wenn ich sie nicht retten kann, dann werde ich sie erschießen. Sie sollen nicht leiden."„Hältst du es nicht für ...?" Er überlegte genau, wie er sich möglichst diplomatisch ausdrücken konnte, und betrachtete ihre nackten Füße auf dem abgetretenen Teppich. „... für vernünftiger, um Hilfe zu bitten? Beispielsweise könntest du mich fragen."

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„Du hast schon so viel getan." „Ich habe deinen Lieferwagen angefahren und dadurch vielleicht die vorzeitige Geburt der Zwillinge verschuldet. Wahrscheinlich ist diese ganze verfahrene Situation ganz allein meine Schuld." Rose atmete tief durch. „Meine aber auch. Vielleicht könntest du so nett sein, die Babys im Auge zu behalten, während ich draußen nach dem Rechten sehe?" „Nein, Rose", widersprach er leise und nahm sie auf den Arm. Einen Moment lang hielt er sie so an sich gepresst, dann ließ er sie behutsam aufs Sofa gleiten und strich ihr zärtlich übers Haar. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er sich natürlich um das Vieh kümmern würde. Für Rose würde er alles tun! „Du bleibst, wo du bist, Rose Allen", sagte er rau. „Pass schön auf die neun Winzlinge auf. Eigentlich wollte ich zur Nachbarfarm gehen und den Arzt benachrichtigen, aber ich kann mich auch zuerst um die Rindviecher kümmern." Es war fast eine Erleichterung, das Haus zu verlassen und körperlich zu arbeiten. Inzwischen hatte es fast aufgehört zu regnen, es nieselte nur noch leicht. Die Abendluft war warm, kein Lüftchen regte sich. Auf dem Weg zu den Kühen überlegte Tom, wo Roses Familie stecken mochte. Wieso war niemand bei ihr? Es gab so viele unbeantwortete Fragen. Im nächsten Moment stieß Tom auf die erste Kuh. Sie steckte auf der Südseite des Hauses bis zu den Flanken im Schlamm. Etwas weiter längs saß das zweite Tier fest. Wenn man die Rinder ihrem Schicksal überließe, würden sie so lange kämpfen, bis sie entweder völlig im Schlamm versunken waren oder vor Erschöpfung eingingen. Er betrachtete die Tiere und überlegte, wie er sie am besten aus ihrer misslichen Lage befreien konnte. Da ihm nichts Besseres einfiel, schwang er den mitgebrachten Spaten von der Schulter und begann zu graben. Was blieb ihm anderes übrig? Eine Winde stand ihm leider nicht zur Verfügung. Zwei Stunden später stützte Tom sich erschöpft auf den Spaten und betrachtete sein Werk. Die Kühe waren frei und sahen ihn vertrauensvoll an. Er stöhnte. Selbst die Kühe waren auf ihn angewiesen! „Ihr dummen Rindviecher!" schimpfte er. „Passt nächstes Mal besser auf, wohin ihr trottet." Doch die Tiere blickten ihn nur verständnislos an. Warum sollten wir? schienen sie zu fragen. Wir haben doch den guten alten Tom. Der gräbt uns schon wieder aus. Tom wandte ihnen den Rücken zu und machte sich auf den Weg zum letzten Damm. Glücklicherweise saß dort nur eine Kuh fest. Gegen zehn Uhr hatte er auch dieses Tier befreit und machte sich - erschöpft und schmutzig und mit Blasen an den Händen - auf den Rückweg zum Haus. Rose war noch auf! Dabei sollte sie sich doch ausruhen! Die große Wohnküche war blitzblank und aufgeräumt. Das fiel ihm sofort auf, als er den Raum betrat. Joghurt lag mit ihren Welpen auf sauberen Kissen, und die Babysachen für die Zwillinge lagen alle ordentlich sortiert in Reichweite. Die Babys schliefen friedlich in ihren Stubenwagen, und auf dem Herd köchelte etwas köstlich Duftendes. „Nudelsauce", erklärte Rose entschuldigend, als sie seinen anerkennenden Blick auffing. „Riecht wunderbar. Ganz anders als das Zeug, das ich heute Mittag gekocht habe." „Ich habe frische Kräuter aus dem Garten verwendet." Sie lächelte, weil er sie erstaunt ansah. Während seiner Abwesenheit hatte sie sich umgezogen und trug jetzt Jeans und ein Herrenhemd, allerdings noch immer keine Schuhe. Ihr Teint war frisch, und ihre Augen wirkten sehr groß. Sie sah jung und verletzlich aus und wunderschön. „Wie alt bist du eigentlich?" fragte Tom unvermittelt. Rose lachte. „Sechsundzwanzig, aber ich fühle mich wie vierzig." „Dabei könnte man dich für höchstens sechzehn halten", sagte er. Sie verzog das Gesicht. „Dafür habe ich schon zu viel erlebt. Wie geht es übrigens den Kühen?" „Sie sind alle wieder im Trockenen."

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„Wie viele musstest du ausgraben?"„Drei."„Mehr nicht?" Rose lächelte amüsiert. „Was hast du denn so lange gemacht?" Sie lachte, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich mache nur Spaß", behauptete sie mit ihrer hübschen Stimme. „Ehrlich. Ich finde dich einfach wundervoll. Ich kann dir gar nicht sagen, wie wundervoll. So, nun aber Abmarsch unter die Dusche. Anschließend gibt es Abendessen."„Aber ich habe gar keine ..." Er sah an sich hinunter. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie verschmutzt seine Kleidung war. Und seine Sachen waren noch im Auto!„Hier", sagte sie triumphierend und zeigte auf eine Reisetasche.Das war ja seine Reisetasche! „Wie ...?"„Die Polizei hat sie gebracht", erklärte Rose lächelnd.Dieses Lächeln ... Ihm wurde ganz anders.„Während du dich mit den Kühen vergnügt hast, habe ich mich mit den Polizistenunterhalten."„Das gibt es nicht."„Doch, mein Lieber. Willst du nun hören, was passiert ist, oder nicht?"„Sicher ... gern", antwortete er zögernd.„Jemand hat den verbeulten Wagen gemeldet. Er steht zwar nicht im Weg, aberbesonders gut macht er sich auch nicht gerade auf der Landstraße. Die Polizisten sind also hingefahren, um sich ein Bild zu machen. Jedenfalls sind sie zu dem Schluss gekommen, dass der Fahrer sich zu Fuß auf den Weg gemacht haben muss, um Hilfe zu holen. So sind sie bei mir gelandet."„Hast du sie gebeten, den Arzt zu rufen?" sprach Tom sofort den wichtigsten Punkt an.„Ja. Aber ich habe auch gesagt, es wäre nicht so dringend."„Was hast du?"„Das stimmt doch. Den Zwillingen und mir geht es gut. Der Arzt kommt morgen. Und dein Wagen wird zur Werkstatt in der Stadt gebracht. Übrigens habe ich auch erfahren, dass mein Telefon morgen früh wieder funktionieren soll. Ach ja, und du möchtest bitte morgen auf der Wache anrufen und deine Personalien durchgeben."„Hast du ihm die denn nicht gegeben?"„Nein, ich habe nur gesagt, dass wir befreundet sind." Rose wurde ernst. „Wenn ich das nicht getan hätte, hätte er vielleicht darauf bestanden ..."„Dass ich verschwinde. Ja, das kann ich gut verstehen."„Aber du bleibst doch, oder? Wenigstens heute Nacht. Der Arzt kann dich morgen mit in die Stadt nehmen", fügte sie leise hinzu.Tom wusste genau, was sie dachte. Zärtlich sah er sie an. „Ja, ich bleibe, Rose", antwortete er beruhigend. „Heute Nacht und morgen sicher auch noch."„Ach, morgen kannst du mich ruhig allein lassen. Ich komme schon zurecht."„Klar. Das glaube ich dir aufs Wort, genau wie ich glaube, dass Joghurt Vegetarierin ist."Nach dem Abendessen war Rose so erschöpft, dass sie die Augen kaum noch offen halten konnte. Tom, der beobachtete, wie sie die Gabel schließlich auf den Teller legte, wusste genau, dass sie sich nur zusammengerissen hatte, damit er glaubte, es mit einemunabhängigen Energiebündel zu tun zu haben. Doch die Wahrheit sah anders aus.Unabhängig war sie vielleicht, aber um ihre Energie war es - zumindest augenblicklich ­nicht gut bestellt.Rose schob den Stuhl zurück und wollte den Teller hochheben. Als sie aufstand, schwankte sie und musste sich an der Tischkante festhalten.Offensichtlich war sie genauso schwach wie Joghurts Welpen. Tom war sofort bei ihr, hielt sie fest und hob sie hoch. Das wurde ja schon fast zur Gewohnheit, und es gefiel ihm!„Ab ins Bett", sagte er.„Ich kann..."„Nein", widersprach er energisch. „Gib endlich zu, dass du nicht Superwoman bist, Rose."

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„Aber ich muss doch ... Morgen ..." „Ich bleibe morgen auch noch hier", versprach er. Das hatte er sich bei der Rettung der Kühe vorgenommen. Er konnte Rose doch nicht sich selbst überlassen. Sie war völlig überfordert. „Aber du bist hier nicht zu Hause. Ich weiß nicht einmal, wer du bist." „Ich weihe dich in meinen Lebenslauf ein, wenn du willst. Übrigens habe ich zur Zeit Urlaub. Was spricht dagegen, dass ich meine Ferien hier verbringe? Ich muss sowieso irgendwo warten, bis der Sportwagen repariert ist", flunkerte er. „Das kann Wochen dauern." „So lange kannst du nicht hier bleiben." „Dann sieh zu, dass du jemanden findest, der dir hilft." „Ich kann nicht... Ich habe niemanden ..." „Es gibt niemanden, der dir helfen könnte?" Tom schüttelte bekümmert den Kopf. „Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, Rose, aber ich glaube dir mal. Und jetzt musst du ins Bett." Er trug sie zur Tür. „Ich bleibe lieber hier", wandte sie verzweifelt ein. „Ich schla fe mit..." „Mit mir?" Er lächelte. „Nein, so gut kenne ich dich nicht. Vergangene Nacht hast du auf dem Sofa geschlafen und ich auf dem Fußboden. Ich habe mir vorhin das Haus angesehen. Schräg gegenüber ist ein gemütliches Schlafzimmer, das du ganz offensichtlich bisher benutzt hast." Es war nur ein kleines Zimmer, zu klein für eine Mutter mit Zwillingen. Die anderen Zimmer standen alle leer. „Heute Nacht schläfst du im Schlafzimmer, und ich nehme das Sofa." „Aber die Babys ..." „Ich kümmere mich um die Kleinen", sagte er und sah ihr in die Augen, unter denen dunkle Ringe lagen. Rose musste einmal richtig ausschlafen, und im Wohnzimmer war es kaum möglich. Jedenfalls nicht, solange dort zwei Säuglinge, sieben Welpen und eine Bluthündin nächtigten. „Ich bringe dir die Babys, wenn sie Hunger haben. Das Windelwechseln übernehme ich." „Du tust was...?" .„Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde'", witzelte er und schwieg. Größere Liebe? Warum habe ich das nur gesagt? überlegte Tom. Er wusste doch nicht einmal, was Liebe war, denn er hatte sie nie erfahren. „Ich bin eben der geborene Märtyrer", fügte er betont fröhlich hinzu. Es war einfach wundervoll, Rose im Arm zu halten. Darüber wollte er jetzt allerdings lieber nicht so genau nachdenken. „Genieß es einfach, dich mal verwöhnen zu lassen. Was ist schon dabei, Windeln zu wechseln? Ich bin schon mit ganz anderen Katastrophen fertig geworden und dann verschwunden. Du brauchst also keine Angst zu haben, dass ich für den Rest meines Lebens den Märtyrer spielen werde. Ehrenwort." „Wirklich?" fragte sie schläfrig. „Wirklich", antwortete er und konnte kaum der Versuchung widerstehen, sie zu küssen. Doch er war ja schließlich vernünftig! Daher ließ er Rose aufs Bett gleiten, zog sie aus, streifte ihr das Nachthemd über und deckte sie sorgsam zu, als sie sich ausgestreckt hatte. Im nächsten Moment schlief sie bereits. Tom konnte sich von ihrem Anblick einfach nicht losreißen. Wie jung Rose aussah, wie verletzlich! Sein Beschützerinstinkt war erwacht. Er wollte für sie sorgen. Gleichzeitig war er wütend auf denjenigen, der sie in dieses Schlamassel gebracht hatte, in dem sie offensichtlich steckte. Wo war der Vater der Zwillinge? Warum kümmerte er sich nicht um Rose? Wie kam der Mann dazu, sie in dieser Situation allein zu lassen? Schließlich kehrte Tom aufgewühlt in die Küche zurück und drehte mit Joghurt eine Runde im Garten auf der Rückseite des Hauses. Danach setzte er sich aufs Sofa und ließ den Blick über die kleine Schar in seiner Obhut gleiten. Es wäre gut gewesen, selbst etwas zu

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schlafen, doch er war nicht müde, nur verwirrt.Die Babys schliefen alle. Eigentlich ein sehr beruhigender Anblick und ein sehr schöner. Tom konnte sich kaum satt sehen. Wann würde er je wieder so ein Bild vor Augen haben?Er streckte sich auf dem Sofa aus und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Dem Sofa haftete Roses Duft an.Rose ...Eigentlich sollte er schon längst auf Hawaii sein. Allerdings hatte die Insel für ihn plötzlich ihren Reiz verloren. Er blieb lieber hier. Außerdem hatte er von Anfang an keinen Urlaub machen wollen. Seiner Meinung nach wäre es besser gewesen, gleich wieder zu arbeiten. Dann hätte er den Albtraum vielleicht bald überwunden.Tom dachte an das letzte Feuer, zu dessen Bekämpfung er eingesetzt gewesen war. Der Lärm, der Rauch und schließlich die Katastrophe - das Entsetzen und die Albträume.„Mach mal Urlaub", hatte sein Boss ihm geraten. Als er sich geweigert hatte, hatte Charlie ihn bei den Schultern gepackt und geschüttelt. „Zehn Jahre sind in unserem Beruf eine lange Zeit", hatte er gesagt. „Du musst mal Abstand gewinnen, Tom. Mit einem zerrütteten Nervenkostüm bist du für mich nutzlos."„Meine Nerven sind in Ordnung."„Das glaubst auch nur du. Mach Strandurlaub, und überleg mal, was du in den nächsten zehn Jahren gern tun würdest. Und wenn du wiederkommst und mir zu verstehen gibst, dass du genug von diesem Job hast, dann werde ich sehr erleichtert sein. Es ist dir sicher schon aufgefallen, dass ich mich nicht mehr selbst an den Löscharbeiten beteilige. Ich habe genug Ölquellenfeuer gelöscht. Seit ich Frau und Kinder habe, habe ich gelernt zu delegieren. Du solltest es auch lernen. Zehn Jahre an vorderster Front sind genug."Charlie hatte ihn vor die Alternative gestellt, entweder Urlaub zu machen oder an die Luft gesetzt zu werden. Also hatte er, Tom, sich gefügt, und nun war er hier. Dabei würde er viel lieber arbeiten. Oder etwa nicht?Doch, redete er sich ein. Auf Dauer würde er in dieser Umgebung verrückt werden.Vielleicht war es Roses Mann auch so gegangen, und er war deshalb verschwunden. Aber eigentlich konnte es nicht sein. Er würde Rose doch wenigstens Unterhaltüberweisen, oder? Allerdings schien sie kein Geld zu haben. Irgendwie war das alles sehr seltsam!Als Tom plötzlich ein leises Winseln hörte, sah er auf. Joghurt streckte sich und stand auf. Ihre verschlafenen Jungen protestierten leise, waren aber gleich darauf wieder still.Joghurt kam auf ihn zu.„Musst du raus, altes Mädchen?" fragte Tom. Doch sie stupste ihn nur an und schmiegte den Kopf an sein Gesicht.Er wusste genau, was sie wollte: Zuneigung.„Tut mir Leid, bei mir bist du an der falschen Adresse", behauptete er. Sie gab allerdings nicht nach und stupste ihn erneut an.Seufzend rückte er etwas zur Seite und machte ihr auf dem Sofa Platz. Joghurt sprang hinauf und leckte ihm das Gesicht, bevor sie sich hinlegte und an ihn schmiegte.„He, du musst für deinen Nachwuchs da sein, Joghurt."Sie blickte ihn nur vorwurfsvoll an und machte es sich gemütlich, entschlossen, auch an sich zu denken.Na gut. „Aber nur einen Moment", sagte Tom und kraulte sie hinter den Ohren. „Nur einen Moment. Das kann schließlich nicht die ganze Nacht so gehen!"Ihm fielen die Augen zu. Kurz darauf schlief er fest.Toby weckte ihn um drei Uhr. Schlaftrunken stand Tom auf und wechselte die Windel, und da er gerade dabei war, auch die des anderen Zwillings. Dann brachte er die beiden Rose zum Stillen. Anschließend legte er sie in ihre Stubenwagen zurück.Inzwischen hatte Joghurt sich wieder zu ihren Welpen gelegt. Auch Tom streckte sich wieder aus und schlief sofort ein. Um sieben Uhr agierte Toby dann erneut als Wecker.Dieses Mal lief nicht alles wie am Schnürchen. Joghurt musste hinaus, die Welpen

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protestierten, die Windeln wollten nicht so, wie er wollte, und Tom hatte den Eindruck, dass er an diesem Morgen zwei linke Hände hatte.Schließlich waren die Babys doch gewickelt, und er brachte sie zu Rose, bevor er duschte. Anschließend machte er Tee und Toast und servierte ihr das Frühstück ans Bett.Sie war gerade fertig mit dem Stillen. Die Babys lagen friedlich neben ihr, und sie hatte rosige Wangen und sah sehr hübsch aus. Sogar die Ringe unter den Augen waren nicht mehr ganz so dunkel, wie Tom entzückt feststellte. Dann hatte die Mühe sich ja gelohnt.„Toast?" fragte Rose erstaunt, als sie das Frühstückstablett bemerkte. „Ich kann doch nicht im Bett frühstücken."„Wenn Joghurt das kann, wirst du es wohl auch können", widersprach Tom. „Sie hatte nichts dagegen."„Ich aber, ich wollte nämlich gerade aufstehen."„Kommt nicht infrage. Du bleibst heute im Bett."„So weit kommt das noch."„Dann wenigstens so lange, bis der Arzt dich untersucht hat."„Ich habe gestern schon den ganzen Tag im Bett gelegen."„Nein, auf dem Sofa."„Das ist doch dasselbe."„Egal, jedenfalls bleibst du, wo du bist. Keine Widerrede", verkündete Tom fröhlich und reichte ihr das Tablett. „Soll ich die Zwillinge mit in die Küche nehmen?"„Nein." Rose stellte sich das Frühstückstablett auf den Schoß und betrachtete dieschlafenden Babys. „Ich würde sie gern hier bei mir behalten." Sie lächelte so wehmütig, dass er leise lachen musste.„Klar, schon in Ordnung. Ich wollte sie dir nicht wegnehmen."„Nein."Der Tonfall gefiel ihm gar nicht. Tom musterte Rose und setzte sich auf die Bettkante. Beinah wäre der Tee dadurch übergeschwappt.„Besteht die Gefahr, dass jemand dir die Kinder wegnimmt?" erkundigte Tom sich besorgt.„Ich... Nein."„Ganz sicher scheinst du aber nicht zu sein."„Sie können nicht ... Das Gericht ... Ich meine, ich bin doch ihre Mutter."„Solange du die Kinder nicht misshandelst, wird dir kein Gericht der Welt Toby und Jess wegnehmen." Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Wenn man bedenkt, was Toby vorhin in seiner Windel hatte, ist es höchst unwahrscheinlich, dass überhaupt jemand scharf darauf ist, die Babys zu nehmen."Rose blieb ernst. „Meine Schwiegereltern wollen die Babys haben."„Deine Schwiegereltern?"„Die Eltern meines Mannes."„Ach so." Tom dachte nach. „Aber irgendwie verstehe ich das nicht", musste er zugeben.Sie trank einen Schluck Tee und biss vom Toast ab. Dann trank sie noch einen Schluck Tee. Den Blick hielt sie gesenkt.„Willst du dem guten Onkel Tom nicht sagen, was los ist?" Er bemühte sich, möglichst onkelhaft zu wirken. Doch eigentlich war er froh, nicht ihr Onkel zu sein, denn sie war so unbeschreiblich anziehend.„Es ist aber keine besonders hübsche Geschichte."„Der Windelinhalt deines Sohnes war auch nicht hübsch, und ich hab's überlebt. Übrigens habe ich die Windel vergraben. Also heraus mit der Sprache."Rose sah ihn erstaunt an. „Es sind keine Wegwerfwindeln."„Doch. Ich habe sie ja weggeworfen beziehungsweise vergraben. Du hättest mal sehen sollen, wie schnell ich geschaufelt habe. Von jetzt an kannst du auch Häuptling ,Rasender Spaten' zu mir sagen."Sie lachte amüsiert, wurde allerdings gleich wieder ernst.„Also, wie ist es? Erzählst du mir die Geschichte nun?"

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„Ich kenne dich doch gar nicht richtig." Rose musterte ihn skeptisch. Impulsiv nahm Tom ihr den Becher ab und stellte ihn auf den Nachttisch, dann umfasste er mit beidenHänden ihre Hand.„Okay, wir kennen uns kaum", stimmte er zu. „Und du brauchst einen Freund. Warum kann ich nicht dein Freund sein? Nur vorübergehend."„Ich..."„Wo ist dein Mann, Rose? Wo ist der Vater deiner Babys?"Sie atmete tief ein und schloss die Augen.„Er ist tot."„Oh." Mehr fiel ihm dazu nicht ein. „Das tut mir Leid."„Es braucht dir nicht Leid zu tun."„Rose..."„Ich habe ihn gehasst", sagte Rose so leise, dass er Mühe hatte, ihre Worte zu verstehen. Sie befreite sich aus seinem Griff. „Ich will nicht... Er war ..."Rose lehnte sich zurück und sah starr vor sich hin.„Ich will dir mal was sagen", erklärte Tom sehr überlegt. „So eine Geschichte kann man nur erzählen, wenn man etwas im Magen hat. Eine Scheibe Toast reicht nicht. Ich gehe jetzt in die Küche und mache mehr Toast für uns. Und Tee. Und wenn wir beide jeder vier Stück Toast gegessen haben, dann erzählst du mir die Geschichte."

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4. KAPITEL

Rose begann erst zu erzählen, als sie fast alle Toastscheiben aufgegessen hatten. Je mehr Tom hörte, desto lieber wäre es ihm gewesen, wenn er Rose nicht gebeten hätte, ihn ins Vertrauen zu ziehen. Normalerweise interessierten ihn die Lebensgeschichten anderer Menschen nicht, doch hier ging es um sie. Und alles, was sie betraf, ging auch ihn etwas an. Das war ihm inzwischen bewusst geworden. Allerdings verstand er noch nicht, warum er so empfand. Jedenfalls hörte er genau zu. „Dies ist meine Farm", begann Rose zögernd. Er nickte aufmunternd. „Und dieses Schlafzimmer war früher mein Kinderzimmer." So sieht es auch heute noch aus, dachte er und betrachtete die rosafarbenen Vorhänge. „Die Farm gehörte also schon deinen Eltern?" fragte er. „Ja. Es ist eine gute Farm." Ihr Tonfall war seltsam ausdruckslos, als würde sie nicht ihre eigene Geschichte, sondern die eines anderen Menschen erzählen. „Und sie ist eigentlich recht rentabel. Ich bin Einzelkind. Meine Eltern haben ziemlich lange auf mich warten müssen. Dad starb, als ich sechzehn war. Danach haben meine Mutter und ich die Farm geleitet. Wir konnten es uns sogar leisten, zwei Männer zu beschäftigen. Vor zwei Jahren ist dann auch meine Mutter gestorben." „Das tut mir sehr Leid." „Danke, aber es war eine Erlösung für sie. Sie war froh, wieder bei Dad sein zu können." „Und dann?" Rose zuckte die Schultern. „Nichts. Mir war zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst gewesen, wie abgeschnitten wir von allem waren. Als meine Mutter krank wurde, habe ich sie gepflegt. Ich war Tag und Nacht bei ihr. Ich hatte also die Farm, meine Mutter und sonst nichts. Nach ihrem Tod ist der Verwalter, den wir eingestellt hatten, ins Ausland gegangen. Also musste ich einen Ersatz finden. Ich kannte den Mann kaum. Die ganze Zeit habe ich schwer gearbeitet und um meine Mutter getrauert. Ich hatte kaum Umgang mit Leuten meines Alters." „Und?" „Und daher war ich eine leichte Beute", erklärte sie verbittert. „Eine kleine Närrin, die sich in den erstbesten gut aussehenden Mann verliebte." „Den du dann geheiratet hast." „Ja. Chris war dreißig und der verwöhnte jüngste Spross eines wohlhabenden Viehzüchters aus dem Norden. Er war charmant und stets gut gelaunt, und er brachte mich zum Lachen. Genau was ich damals brauchte. Außerdem schien er eigenes Vermögen zu haben. Jedenfalls hat er mich vom Fleck weg geheiratet, und wir haben hier auf der Farm gewohnt. Das war ja durchaus sinnvoll, denn sein älterer Bruder sollte einmal den Familienbetrieb erben, und Chris war auch Landwirt aus Leidenschaft. Zumindest hat er das behauptet." „Aber das stimmte nicht." „Er hat mich belogen." Rose atmete tief durch. „Chris war der größte Lügner, der mir je begegnet ist. Er steckte bis zum Hals in Schulden - Spielschulden. Seinen Job als Hauptverwalter eines Viehzüchters hatte er verloren, und das Geld, das er von seinen Eltern bekam, verspielte er, bis sie ihm den Hahn zudrehten. Er war völlig verschuldet, und seine Gläubiger wurden langsam ungeduldig. Sie drohten ihm." „Du hast doch bestimmt..." „Ich habe nichts gemerkt. Liebe macht offensichtlich tatsächlich blind. Ich habe sehr an der Farm gehangen, an den Pferden, den Rindern. Chris bot an, sich um die Geschäfte zu kümmern. Ich habe ihm blind vertraut und Dokumente unterschrieben, die er mir vorgelegt hat, ohne sie zu lesen. Später habe ich dann herausgefunden, dass ich damit für seine Schulden gebürgt habe. Seine wahre Absicht kam schließlich ans Tageslicht. Er hatte mich nur geheiratet, um an die Farm zu kommen. Wenn ich die Farm verkauft hätte, wäre er seine

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Schulden auf einen Schlag los gewesen." „Aber du..." „Ich hätte vor dem Nichts gestanden." Tom atmete tief durch. Das war ja wirklich eine grässliche Geschichte. „Und weiter?" fragte er schließlich. Jetzt wollte er auch den Rest hören. „Vielleicht hätte ich die Farm ja sogar verkauft", sagte Rose bedrückt. „Es war alles so ein Durcheinander. Daher bin ich zu meinem Anwalt gegangen. Er hat gesagt, es würde außer­ordentlich schwierig sein, einigermaßen heil aus der Sache herauszukommen. Ich war drauf und dran, zu verkaufen, nur um die Schulden und Chris loszuwerden. Aber dann ..." Sie verzog das Gesicht. „Dann habe ich gemerkt, dass ich schwanger bin." „O Rose!" „Genau. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich steckte bis zum Hals in Schulden, war mit einem notorischen Spieler verheiratet und konnte nicht vor und nicht zurück. Und die Farm wollte ich auch nicht mehr aufgeben, denn schließlich ist sie jetzt seit vier Generationen im Besitz der Familie. Meine Urgroßeltern haben dieses Land schon bewirtschaftet. Und ich konnte meine Kinder nicht um ihr Erbe bringen. Ich musste ihnen wenigstens etwas geben, wenn ich ihnen schon ihren Vater vorenthalte." „Hat er dich denn nicht geliebt?" „Er hat mich geheiratet, um an die Farm zu kommen", erklärte sie heiser. „Am Abend desselben Tages, an dem ich erfahren hatte, dass ich schwanger war, kam eine Frau, die zu Chris wollte. Sie warf ihm vor, er hätte sein Eheversprechen gebrochen. Das war, als wir bereits verheiratet waren." „Er scheint ein ziemlicher Mistkerl gewesen zu sein." „Das kannst du laut sagen", antwortete Rose. „Hast du ihn noch am selben Abend vor die Tür gesetzt?" fragte Tom. „Nein. Ich war so wütend und fühlte mich so erniedrigt. Ausgerechnet an dem Tag, als ich gemerkt habe, dass ich schwanger war, kam diese Frau. Das hat mich so aufgebracht, dass ich beschlossen habe zu kämpfen. Noch am selben Abend bin ich wieder zu meinem Anwalt gefahren - Mr. Lett ist ein alter Freund meines Vaters -, und wir haben die ganze Nacht versucht, eine Lösung zu finden." „Er hat dir geholfen." „Ja, ich habe ihm alles erzählt. Das einzig Gute an meiner Situation war, dass die Farm auf dem Papier noch immer mir gehörte. Da ich aber auch hoch verschuldet war, konnte ich sie nicht behalten. Allerdings war ich viel zu wütend, um sie Chris' Gläubigern auf dem Silbertablett zu servieren. Also habe ich sie meinen Kindern überschrieben. Mr. Lett hat einen Treuhandfonds für die Kinder eingerichtet. Die Farm gehört nicht mehr mir, sondern den Zwillingen. Am selben Abend habe ich die Scheidung von Chris eingereicht und Konkurs angemeldet. Anschließend bin ich nach Hause gefahren, um Chris die Neuigkeiten zu berichten." „Sehr angetan war er sicher nicht", bemerkte Tom. „Das ist ziemlich diplomatisch ausgedrückt." „Dabei wolltest du doch nur für seine Kinder versorgen." „So hat er das natürlich nicht gesehen. Er wollte keine Kinder. Sie wären ihm nur im Weg, hat er gesagt. Jedenfalls hat er sich betrunken und geschrien, es würde keine Kinder geben. Dann hat er mich verprügelt." „Rose!" „Vielleicht wäre sein Plan sogar aufgegangen, wenn Mr. Lett nicht vorbeigekommen wäre. Er hatte sich Sorgen um mich gemacht und wollte sich vergewissern, dass alles in Ordnung wäre. Jedenfalls kam er genau im richtigen Moment. Chris machte sich aus dem Staub, und ich wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Zuerst sah es so aus, als würde ich die Zwillinge tatsächlich verlieren. Und Chris kam bei einem Autounfall ums Leben. Bis heute weiß ich nicht, ob es Selbstmord war oder ob einer seiner Gläubiger dahinter steckte. Vielleicht war Chris auch einfach nur zu betrunken zum Fahren. Was soll's. Er ist

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tot, und damit hat es sich."„Das ist ja eine entsetzliche Geschichte!"„Ja, nicht?" Rose rang sich ein Lächeln ab. „Aber das Beste kommt noch. Seine Eltern machen mich für alles verantwortlich. Sie hassen mich. Natürlich wissen sie, was für ein Mensch Chris war. Aber für sie ist es wohl einfacher, mir die Schuld zu geben, nicht ihrem verstorbenen Sohn. Sie haben angeboten, die Zwillinge zu nehmen. Eigentlich haben sie es mir sogar angedroht. Sie haben behauptet, ich könnte sowieso nicht für sie sorgen, weil ich mittellos bin. Und die Nachbarn ... Chris hat sich von ihnen allen Geld geliehen, und jetzt werfen sie mir vor, dass ich die Farm behalten habe, statt sie zu verkaufen, damit sie ihr Geld zurückbekommen. Aber ich sehe nicht ein, dass ich ihnen Geld geben soll, das ich mir nicht geliehen habe. Wie komme ich überhaupt dazu?"„Ganz ruhig, Rose, es ist ja alles in Ordnung."„Nichts ist in Ordnung", stieß sie hervor. „Ich weiß, dass ich die Schulden zurückzahlen muss. Aber das braucht Zeit. Jedenfalls werde ich die Farm nicht verkaufen. Das darf ich auch gar nicht, schließlich gehört sie jetzt den Zwillingen." Sie sah ihn flehend an. „Ich habe noch niemandem davon erzählt. Du musst mir versprechen, Tom, dass du ..." Ihr versagte die Stimme.„Rose." Tom konnte nicht anders. Impulsiv zog er sie tröstend an sich. Es war einwunderbares Gefühl, sie im Arm zu halten, schier überwältigend.„Das Leben kann manchmal sehr ungerecht sein, Rose, aber irgendwie geht es immer weiter." Zärtlich strich er ihr übers Haar. Rose schluchzte einmal auf und lehnte sich zurück.„Du hast Recht", gab sie zu.„Brauchst du ein Taschentuch?"„Nein, ich weine ja gar nicht."„Das sehe ich."„Eigentlich weine ich nie."„Das ist bestimmt die typische Depression nach der Geburt", sagte er freundlich. „Du darfst zehn Minuten weinen."„Zehn Minuten?"„Fünf für jedes Baby."„Wer sagt das?"„Dr. Tom Bradley in seinem Handbuch für junge Mütter. Er rät auch, schmutzige Windeln zu vergraben."Rose verschluckte sich fast vor Lachen. „Du bist verrückt."„Klar, und du bist pleite. Und wir haben zu viel gefrühstückt. Irgendjemand muss jetzt abwaschen, und die Sonne geht auf. Alles klar, Rose Allen?"„Alles klar." Tränen schimmerten in ihren Augen, aber sie lächelte. „Darf ich beim Abwasch helfen?"„Kommt nicht infrage. Das erledigt der Tom-Bradley-Haushaltsdienst. Er ist brandneu und einmalig. Sie sollten sich von ihm verwöhnen lassen, Madam. Ruhen Sie sich aus, und freuen Sie sich an Ihren Babys. Und hoffen Sie, dass sie einigermaßen wohlgeraten."„Warum sollten sie das nicht tun?"„Weil sie schon vor ihrer Geburt Farmbesitzer gewesen sind und völlig verzogen werden. Was willst du ihnen zu ihrem ersten Geburtstag schenken? Den Mond?"Tom ging schnell hinaus, und ihr herzliches Lachen klang ihm in den Ohren. Es war ihm lieber, schnell in die Küche zu verschwinden. Viel länger hätte er dem Impuls nicht widerstehen können, Rose wieder an sich zu ziehen.

Tom ist wirklich ein verrückter Kerl, dachte Rose, lehnte sich entspannt ans Kopfkissen und sah lächelnd aus dem Fenster. Es war ein herrlicher Tag. Friedlich graste das Vieh im Sonnenschein auf der Weide. Die Babys schliefen fest. Dank Tom war die Welt für sie an diesem Tag in Ordnung. Was hätte ich nur ohne ihn getan? überlegte Rose.

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So genau wollte sie es gar nicht wissen. Seit sie Tom begegnet war, konnte sie wieder lachen. Abends kehrte sie nicht in eine verlassene Küche zurück, jetzt herrschte richtig Leben im Haus mit den Zwillingen, einer Bluthündin, ihren sieben Welpen und einem wunderbaren Mann, der beim Abwaschen alberne Schlager vor sich hin pfiff.Eigentlich müsste ich ihn fortschicken, dächte Rose. Schließlich kannte sie ihn gar nicht. Und sie war schon einmal auf einen Schurken hereingefallen. Tom ist kein Schurke, sagte ihre innere Stimme.Nein, Tom war nett und aufrichtig. Das spürte sie. Aber er war noch viel mehr. Rose sah verzückt vor sich hin und schnupperte an der Hand, die er vorhin gehalten hatte. Sie duftete noch nach ihm. Oder nach Babypuder.Rose lächelte, als sie sich erinnerte, wie er sich am Vorabend mit dem Spaten auf der Schulter auf den Weg gemacht hatte, die Kühe zu befreien. Er war wirklich ein ganzer Kerl!Ein richtiger Held. Sie kuschelte sich unter die Bettdecke und machte die Augen zu. Es war ein herrliches Gefühl, sich im warmen Bett auszustrecken und sich von einem liebevollen Mann verwöhnen zu lassen.

„Ich hätte größte Lust, diesem Kerl eine zu verpassen, nur leider ist er schon tot", sagte Tom zu Joghurt, als er das Frühstücksgeschirr abwusch. „Kannst du das verstehen?"Die Hündin sah ihn an.„Und dem Idioten, der dich Joghurt genannt hat, würde ich auch gern die Meinung sagen."Joghurt ließ den Kopf hängen. Ihre Miene verriet Zustimmung, Verzweiflung und Sehnsucht und war wirklich sehenswert.„Mit Toast allein gibst du dich nicht zufrieden, oder?" fragte Tom.Joghurt hob den Kopf und wedelte zaghaft mit dem Schwanz. Aha, ich bin wohl auf der richtigen Fährte, dachte er. „Im Kühlschrank sind Eier."Sie wedelte stärker mit dem Schwanz.„He, das ist ja einfach." Er lachte und zog die Kühlschranktür auf. „Okay, ich verrühre Eier mit Milch für dich. Das hätte mir auch eher einfallen können! Jetzt müssen wir nur noch die Lady glücklich machen." Er wurde ernst, denn er wusste, dass dies ein schwierigeres Unterfangen sein würde.Der Arzt traf am späten Nachmittag ein. Kurz zuvor hatte auch das Telefon wiederfunktioniert. Tom hatte morgens kurz nach den Kühen gesehen und sich dann auf die Hausarbeit gestürzt. Er kam sich bereits vor wie die perfekte Hausfrau, ihm fehlten nur noch Schürze und Lockenwickler. Den ganzen Tag hatte er gefegt, Wäsche gewaschen, Windeln gewechselt und alles getan, was eine gute Hausfrau ausmachte. Jetzt bat er den Arzt herein.Der ältere Mann war ziemlich brüsk und kam gleich zur Sache. „Wer, um alles in der Welt, sind denn Sie?" fragte er, als er das Haus betrat.„Tom Bradley", antwortete Tom, der einen möglichst respektablen Eindruck zu erwecken versuchte.„Sind Sie mit Rose befreundet?"„Nun ...ja."Der Arzt musterte ihn von oben bis unten und rang sich schließlich ein Lächeln ab. „Das freut mich", sagte er bärbeißig. „Das Mädchen kann Freunde gebrauchen. Besonders jetzt, aber die Leute hier in der Gegend schneiden Rose. Und alles wegen ihres verflixten Ehemanns. Bleiben Sie länger?"„Ich ..." Tom wurde unter dem starren Blick des Arztes ungemütlich zu Mute. „Das weiß ich noch nicht genau."„Wenigstens bis sie wieder bei Kräften ist", meinte der Arzt aufmunternd.„Nun..."„Guter Junge." Der Arzt klopfte ihm herzlich auf die Schulter, dann machte er sich auf den Weg zu Rose. Er wusste sofort, wo sie war, denn Toby hatte angefangen zu weinen. Offensichtlich fand er, es wäre an der Zeit für seine Nachmittagsmahlzeit.

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Tom widmete sich wieder der Hausarbeit, bis der Arzt schließlich zurückkehrte, um ihn zu holen.„Es sind gesunde Babys", sagte er. „Und die Mutter hat auch alles gut überstanden. Das haben Sie gut gemacht, junger Mann."„Ich habe gar nichts getan", behauptete Tom verlegen. „Ich habe sie nur aufgefangen."„Das war genau richtig. Und Rose hat mir erzählt, wie beruhigend Sie auf sie eingewirkt haben, damit sie keine Angst bekommt. Das war die Hauptsache." Der Arzt verstaute die Instrumente in seinem Koffer. „So. Bei den Kleinen muss noch ein Bluttest durchgeführt werden. Das wird bei allen Neugeborenen gemacht. Aber das hat Zeit bis zur nächsten Woche. Kräftige Lungen haben sie beide. Es besteht also kein Grund zur Besorgnis."„Ich kann doch aufstehen, oder?" fragte Rose. „Tom hat es mir verboten", fügte sievorwurfsvoll hinzu.„Das war sehr vernünftig von ihm. Aber Sie brauchen nicht im Bett zu bleiben."„Siehst du", sagte sie triumphierend zu Tom.„Solange Sie nicht arbeiten", setzte der Arzt hinzu. „In den nächsten zehn Tagen dürfen Sie nichts Schweres heben. Nur ein Baby zur Zeit. Und anschließend müssen Sie auch noch vorsichtig sein."„Aber..."„Bilden Sie sich nur nicht ein, Sie könnten Heuballen schleppen, Rose Allen. Ein halber Ballen wäre schon zu schwer." Er sah sie streng an.„Ich würde ja ..."„Sie füttern die Tiere doch mit der Hand, oder?" Der Arzt hatte sich Tom zugewandt. „Das ist hier so üblich."„Mit der Hand?" Tom sah ihn verständnislos an.„Ja, natürlich", erwiderte Rose verzweifelt. „Allerdings habe ich es während dervergangenen beiden Tage versäumt. Aber das ist nicht so schlimm. Nur ..."„Ich wusste gar nicht, dass wir von Hand füttern", warf Tom zögernd ein. „Warum hast du nichts gesagt, Rose?"„Ich, nicht wir."„Wir!" Er funkelte sie wütend an. „Sei ruhig, Rose, oder ich weigere mich, weiter Windeln zu wechseln."„,Wechseln' ist gut. Du vergräbst sie ja, sobald sie voll sind!" Sie musterte ihn entrüstet. „Wie viele haben wir überhaupt noch?"„Genug."„Das wage ich zu bezweifeln."„Wir haben genug. Stell dir vor, ich habe in einem Schrank stapelweise Handtüchergefunden. Und eine Schere habe ich auch entdeckt. Wir könnten die Zehntausend mitWindeln versorgen. Wen interessiert schon die Speisung mit Brot und Fischen?"Rose lachte, und der alte Arzt lächelte vergnügt und schüttelte ihm herzlich die Hand. „Wie ich sehe, ist Rose bei Ihnen in guten Händen. Gut gemacht, mein Junge. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen. Aber wenn Sie dafür sorgen, dass sie ruhig ist..."„Sie streitet ständig mit mir", beklagte Tom sich. „Das ist bestimmt nicht gut für sie. Vielleicht könnten Sie Rose überreden, nachgiebiger zu sein."„Nachgiebig? Rose Allen?" Der Arzt lachte herzlich. „Das wäre gleichbedeutend mit ,krank'. Und das wollen wir doch nicht, oder?"„Nein." Tom seufzte und betrachtete Rose lächelnd. „Das wollen wir wirklich nicht."Sie erwiderte sein Lächeln. Als der Arzt es sah, verabschiedete er sich schnell.„Und jetzt möchte ich wissen, was es mit dem Füttern mit der Hand auf sich hat", sagte Tom, als der Arzt verschwunden war. „Ach, das ist nicht so wichtig. Du kannst nicht..."„Ich kann", widersprach Tom sofort. „Dafür bin ich schließlich hier."Rose ließ sich in die Kissen sinken und sah ihn verblüfft an. Dieser Mann war wirklich unglaublich! Und sie wusste noch immer nichts über ihn. „Ich glaube, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, mir etwas über dich zu erzählen", meinte sie zögernd.

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„Was denn?" Er blickte sie unsicher an. „Eigentlich muss ich jetzt Joghurt ausführen."„Hast du eine Bank ausgeraubt?"„Nein."„Es würde mir nichts ausmachen. Weißt du, ich bin dir sehr, sehr dankbar. Es wäre mir egal, wenn du ein bisschen kriminell wärst, solange du nicht gewalttätig bist."„Das ist aber sehr nett von dir." Tom lächelte amüsiert.„Wenn ich nun den einen oder anderen Scheck gefälscht hätte..."„Das könnte ich dir verzeihen."„Oder wenn ich alte Ladys um ihre Ersparnisse gebracht hätte?"„Damit hätte ich Probleme. Vielleicht würde ich dich nicht der Polizei ausliefern, aber ich würde dich bitten, mein Haus zu verlassen. "„Und die Polizei dann auf meine Fährte setzen?"„Ich würde sie in die falsche Richtung schicken."„Und wenn ich einem Komplizen die Beute abgenommen hätte?"Rose war sich ganz sicher, dass dieser Mann mit den wunderschönen frech blitzenden Augen eine ehrliche Haut war. Dafür hätte sie sogar die Hand ins Feuer gelegt.„Wahrscheinlich hat er es nicht anders verdient", sagte sie. „Teilst du die Beute mit mir?"Tom lachte laut. „Das würde dich aber zum Mittäter machen."„Vermutlich. Ist es behaglich im Gefängnis?"„Meinst du, das müsste ich auf Grund meiner langjährigen Erfahrung hinter Gitternwissen?"Jetzt lachte sie. Als er lächelte und aus dem Zimmer gehen wollte, hielt sie ihn fest.Die Berührung ging Tom durch und durch.„Bitte, Tom, erzähl es mir."„Was denn?" fragte er rau.„Erzähl mir, wovor du davonläufst?"„Das tue ich gar nicht."„Doch", widersprach Rose behutsam. „Ich sehe es dir an. Irgendetwas ist da."„Der Komplize, mit dem ich die Bank ausgeraubt habe, ist hinter mir her", behauptete er neckend, aber sie ging nicht darauf ein.„Das ist es nicht."„Okay, ich bin vor meiner Frau und den zehn Kindern auf der Flucht. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Jeden Tag die Sesamstraße und ..."„Ich glaube, die Sesamstraße gefällt dir sogar sehr gut."„Stimmt. Allerdings kann es einem auch mal zu viel werden."„Wer ist Oskar?"„Oskar?"„Ja." Sie hielt ihn fest, als er sich losmachen wollte, und sah ihn forschend an. „Oskar."„Jeder weiß, wer Oskar ist", behauptete Tom überheblich.„Der Frosch?"„Genau. Oskar, der Frosch."„Aha." Rose lächelte schalkhaft. „Das habe ich mir doch gedacht. Du hast so viel Ahnung von der Sesamstraße wie davon, Vieh zu füttern. Das war mir sofort klar, als ich die Windeln gesehen habe."„Wieso? Was ist denn mit den Windeln?" fragte er beleidigt. Zur Erklärung hob sie diekleine Jessie hoch, wickelte sie aus der Wolldecke und hielt sie ihm entgegen. Diedurchweichte Windel ging auf und fiel aufs Bett.„Sehr professionell." Rose zwinkerte ihm zu. „Nicht, dass ich mich beschweren will."„Das würde ich dir auch nicht raten."„Oder du verschwindest beleidigt?"„Genau."„Und wohin, wenn ich fragen darf?" Sie befestigte die Windel wieder, wickelte Jessie in die Decke und legte sie neben sich.

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„Zu meinem ursprünglichen Ziel."„Und das wäre?"„Hawaii."„Und was wolltest du auf Hawaii?"„Urlaub machen. Ist das Verhör bald zu Ende?"„Nein. Erst wenn ich genauso viel von dir weiß wie du von mir. Du hast meinetwegen also das Flugzeug verpasst."„Nein, daran war ich selbst schuld." Tom mied ihren Blick. Diese Frau schienhellseherische Fähigkeiten zu haben. „Ich habe den Unfall verursacht."„Wegen Joghurt. Das war nicht deine Schuld. Wirst du auf Hawaii von Freundenerwartet?"„Nein."„Du bist also ein Einzelgänger."„Genau."„Wie ich. Und womit verdienst du deinen Lebensunterhalt, Tom Bradley?"„Ich lösche Ölquellenbrände."Rose blickte ihn verblüfft an. „Du machst Witze."„Nein."„Du willst also sagen ..." Sie überlegte kurz. „Wie viele Ölquellen brennen denn gerade hier zu Lande?"„Hier in Australien?"„Ja."Tom lächelte. „Wahrscheinlich gar keine. Ich arbeite überall auf der Welt."„Aha. Du nimmst deinen Feuerlöscher und fliegst los."„So ungefähr."Darüber musste sie erst einmal nachdenken. Forschend betrachtete Rose ihn. Er schien die Wahrheit zu sagen. „Ist das nicht ziemlich gefährlich?" fragte sie dann.Tom nickte. „Manchmal schon. Der Job besteht zu neunzig Prozent aus Routine, die restlichen zehn haben es allerdings in sich."„Und warum machst du Urlaub?"„Jeder muss sich mal ausruhen."„Männer wie du haben doch ständig Bereitschaft", meinte sie dann. „Solange keineÖlquelle brennt, hast du frei. Wieso hast du eigentlich kein Handy dabei?"Verflixt, ihr konnte man wirklich nichts vormachen! „Ich musste mal ausspannen."„Irgendetwas ist also passiert."„Es passiert immer etwas."Doch so leicht ließ sie sich nicht abspeisen. Sie spürte, dass etwas Schreckliches vorgefallen sein musste. „Möchtest du darüber reden?"Tom schüttelte den Kopf. „Nein."„Ich habe dir von meinem Trauma erzählt."„Meins würde dir auch nicht gefallen", antwortete er mürrisch.Rose lehnte sich zurück, ließ ihn jedoch keine Sekunde aus den Augen. „Wenn ich es recht verstehe, habe ich also einen Abenteurer vor mir, der genug von Abenteuern hat."„Mein Boss hat mir befohlen ..."„So schlimm ist es also?"„He, Rose."„Schon gut." Sie hob die Hände. „Nur noch eine Frage."Er stöhnte. „Ja?"„Du arbeitest in der ganzen Welt, oder?"„Ja."„Was tust du dann ausgerechnet hier? Hier gibt es weit und breit keine einzige Ölquelle."Man konnte ihr wirklich nichts vormachen! Tom seufzte. „Ich habe meine Mutter besucht."„Aber du bist nicht lange geblieben."

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„Immerhin über Nacht." Und das war genau eine Nacht zu viel, fügte er in Gedanken hinzu.„Du verstehst dich also nicht mit ihr?"„Dein Fragekontingent ist erschöpft", sagte er vorwurfsvoll.„Du hast Recht. Okay, Ende der Fragestunde. Aber ich denke ..."„Was? Du denkst zu viel!"„Das hat mir der Arzt nicht verboten." Rose lächelte humorvoll. „Ich glaube, ich brauche kein schlechtes Gewissen mehr zu haben."„Wie meinst du das?"„Na ja, ich habe den Eindruck, dass du mich genauso brauchst wie ich dich, Tom Bradley. Für die kommenden zwei Wochen sind wir füreinander bestimmt."Wahrscheinlich hat Rose Recht, dachte Tom, als er zwei Tage später schon wieder eine Kuh aus dem Schlamm befreien musste. Das Rindvieh trottete jeden Tag auf dem gleichen Weg zum Wasserloch und blieb unweigerlich stecken. Zwei Wochen Kühe ausgraben, Heuballen wuchten und Babys und Welpen versorgen, und er würde wie neugeboren sein.Auf alle Fälle schlief er wesentlich besser als seit vielen Jahren. Wenn er abends ins Bett ging, fielen ihm sofort die Augen zu. Jede Nacht rappelte Joghurt sich auf, um ihm alsGutenachtkuss das Gesicht zu lecken.Alle waren liebevoll und zärtlich zu ihm. Da konnte man sich nur noch in den Schlaf flüchten!Auch die Albträume hatten aufgehört. Bevor sie ihn quälen konnten, wurde Tom vomWeinen der Zwillinge geweckt, die nach ihrer Nachtmahlzeit verlangten. Er brachte sie zu Rose und sah beim Stillen zu. Nur um sie zu necken oder einen Zwilling zu liebkosen, während der andere noch gestillt wurde.Es war eine wundervolle Zeit, nach der er süchtig werden könnte. Aber er durfte nicht vergessen, dass er ein Einzelgänger war.

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5. KAPITEL

Fünf Tage lang waren sie absolut ungestört. Selbst Joghurt erholte sich zusehends. Sie wurde immer friedfertiger und nahm an Gewicht zu. Die Welpen wurden auch immer wohlgenährter. Zwar waren sie noch blind, wurden jedoch mit jedem Tagunternehmungslustiger. Bei den Bedürfnissen der Zwillinge stellte sich eine gewisseRoutine ein, an die Tom und Rose sich hielten.Inzwischen gingen die Vorräte langsam zur Neige. Außerdem wurde es etwas eintönig, jeden Tag Nudeln zu essen. Er hätte eigentlich schon längst den Abschleppdienstbeauftragen sollen, den Lieferwagen abzuschleppen und zu reparieren, aber Tom schob das Telefongespräch von einem Tag auf den nächsten. Das Leben auf der Farm gefiel ihm, er wollte nicht, dass die Idylle gestört wurde.Als am frühen Freitagnachmittag plötzlich jemand an die Verandatür klopfte, öffnete Tom erstaunt und sah sich einer Frau mittleren Alters gegenüber, die einen entschlossenen Gesichtsausdruck hatte und ihm eine große Auflaufform hinhielt, allerdings eherwiderstrebend.„Das ist für Rose - wegen der Babys."„Kommen Sie doch herein. Sie können ihr das gern selbst überreichen", antwortete Tom freundlich und hielt ihr die Tür auf.„Nein." Das klang sehr kurz angebunden.„Warum nicht?"Die Frau schüttelte unwillig den Kopf. „Dr. Connor hat gesagt, es wäre gemein von uns, Rose zu ignorieren und sie mit den Zwillingen allein zu lassen. Aber sie ist ja gar nicht allein. Sie sind bei ihr, und das reicht. Ich hätte mir denken können, dass sie einen neuen Mann hat. Am liebsten würde ich den Eintopf wieder mitnehmen. " Sie wollte wieder gehen, aber er hielt sie fest und musterte sie verächtlich.„Das sollten Sie mir näher erklären", sagte er trügerisch ruhig. Wer ihn kannte, hätte bei dem Tonfall wahrscheinlich schleunigst die Flucht ergriffen.Die Frau blickte ihn ärgerlich an. „Ich hätte nicht kommen sollen."„Jetzt sind Sie aber hier, und nun müssen Sie mir auch erzählen, was los ist." Tom führte sie wieder auf die Veranda und machte die Tür hinter sich zu. Er wollte vermeiden, dass Rose etwas von dem Gespräch mitbekam.„ Sie können nicht..."„Ich kann", widersprach er und funkelte sie zornig an.Sie sah ihn an wie ein verschrecktes Kaninchen.Wofür hält sie mich eigentlich? überlegte Tom amüsiert. Er musste zugeben, dass der Eintopf köstlich duftete ... Doch dazu später. Zunächst wollte er hören, was die Frau zu sagen hatte. „Hier passieren Dinge, die ich einfach nicht verstehe. Vielleicht können Sie mich aufklären", fügte er hinzu.„Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Wenn Rose einen neuen Mann hat..."„Ich bin nicht Roses Mann", entgegnete er und warf einen besorgten Blick auf das geöffnete Fenster hinter sich. Rose durfte nichts von diesem Gespräch hören. „Nur ein guter Freund. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen hier im Tal sie sehr unfair behandelt haben."„Wenn hier jemand unfair behandelt worden ist, dann sind das wir!" Die Frau funkelte ihn entrüstet an und wollte gehen.Tom nahm ihr die Auflaufform ab und stellte sie auf die Treppe. Dann zwang er die Frau, sich zu setzen. „Erzählen Sie mal."„Was soll ich Ihnen erzählen?" fragte sie wütend.„Warum Sie so wütend auf Rose sind."„Das müssen Sie doch wissen!"„Ich weiß nur, was Rose mir erzählt hat." Er lächelte ihr aufmunternd zu. Sein Lächeln war so unwiderstehlich, dass sie es erwidern musste, ob sie wollte oder nicht.„Hat Sie Ihnen wirklich nichts erzählt?" erkundigte sie sich.

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„Nein, kein Wort." „Dann seien Sie lieber auf der Hut." „Wovor?" „Sie ist eine Betrügerin und schuldet allen Leuten im Tal Geld", behauptete die Frau. „Die Allens sind immer reiche Leute gewesen. Dies hier ist eine der größten Farmen in der ganzen Gegend. Roses Familie hat einen ausgezeichneten Ruf. Als Rose uns bat zu investieren, haben wir keine Bedenken gehabt." „Einen Moment mal", warf Tom ein. „Rose hat Sie gebeten zu investieren?" „Nicht direkt, aber ihr netter junger Ehemann hat gesagt, sie hätte das alles organisiert. Sie wollte, dass wir alle an einem Programm zur künstlichen Tierbesamung teilnehmen, und zwar als Verbund. Auf diese Weise könnten wir viel Geld sparen. Also haben wir uns zusammengetan und viele tausend Dollar für den Samenimport aufgebracht. Und das haben wir jetzt davon." „Was haben Sie davon?" hakte er nach. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Gar nichts", erklärte die Frau wütend. „Nicht eine einzige Kuh ist trächtig geworden. Die Importeure haben nämlich absolut nichts von dem Geld gesehen. Als wir schließlich wissen wollten, wieso nichts passiert, hat Chris erzählt, dass sie ihn hinausgeworfen und das Geld im Ausland investiert hat. Aus lauter Scham hat er Selbstmord begangen. Die Polizei hat ihn verfolgt, weil sie absurde Anschuldigungen gegen ihn vorgebracht hat. Jedenfalls war er so verzweifelt, dass er gegen einen Baum gefahren ist. Jetzt hat sie die Farm, und sie hat es so gedreht, dass sie nicht verkaufen muss. Ich möchte wetten, dass sie ein Vermögen auf ausländischen Konten angehäuft hat. Langsam frage ich mich wirklich, wieso ich ihr überhaupt den Eintopf gebracht habe. Eigentlich nur wegen der Babys. Die können ja nichts dafür, und Chris ist schließlich ihr Vater. Er war so ein netter Junge. Vielleicht hätte er sich gewünscht, dass wir uns um die Kinder kümmern - jedenfalls bis seine Eltern sie zu sich holen." Tom drückte sie wieder auf den Stuhl, als sie aufstehen wollte. „Ich muss wieder los", protestierte sie. „Sie bleiben sitzen", befahl er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. „Ich möchte wissen, woher Sie das alles haben. Wer hat beispielsweise behauptet, dass Rose das alles organisiert hat?" „Chris natürlich! Ihr armer Ehemann. Sie hat sich das ausgedacht, und er war der Betrogene. Nach seinem Tod haben wir alle Briefe mit kleinen Geldsummen und dem Versprechen erhalten, sie würde alles zurückzahlen, sobald es ihr möglich wäre. Verglichen mit den Summen, die sie uns schuldet, waren die Beträge einfach lächerlich. Und dann haben Chris' Eltern - übrigens ganz reizende Leute - uns erzählt, was passiert ist. Sie hat ihn als Lockvogel eingesetzt. Er durfte die Dreckarbeit machen, ohne zu wissen, was wirklich lief, und sie hat das Geld eingesteckt." „Wie heißen Sie?" fragte Tom so unvermittelt, dass die Frau erschrak. „Joan. Joan Mitchell." „Blicken Sie sich einmal hier um", sagte er eindringlich. „Was sehen Sie?" Sie gehorchte. „Ich sehe nichts. Was soll ich denn sehen?" „Teure Autos vielleicht? Pferde? Stabile Zäune? Neue landwirtschaftliche Geräte? Irgendetwas, was teuer aussieht?" Es gab nichts dergleichen. Natürlich nicht! Vor dem Haus bot Roses Lieferwagen ein Bild des Jammers, die Auffahrt war voller Schlaglöcher, die ganze Farm war zwar sehr idyllisch gelegen, wirkte jedoch ziemlich vernachlässigt. „Das versteckt sie alles", behauptete die Frau stur, „Es gibt hier hervorragende Pferdeställe", sagte Tom behutsam. „Man sieht sofort, dass bis vor kurzem noch viele Pferde auf der Farm gewesen sein müssen." „Die Allens hatten schon immer Pferde! Rose konnte reiten, bevor sie Laufen gelernt hat. Sie ist eine richtige Pferdenärrin." „Jetzt hat sie keine Pferde mehr", bemerkte er traurig. „Auf der ganzen Farm gibt es

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nicht ein einziges Pferd. Das einzige Fahrzeug ist der Lieferwagen vor der Tür. In welchem Zustand er sich befindet, ist Ihnen sicher nicht entgangen. Im Haus sind nur zwei Zimmer möbliert, die restlichen Möbel sind verkauft worden. Rose ernährt sich von Eiern und Nudeln, und die Babys tragen die billigsten Strampelanzüge, die sie finden konnte." Die Frau sah ihn ungläubig an. „Ich glaube Ihnen kein Wort." „Das sollten Sie aber", antwortete er schroff. „Wo ist denn das ganze Geld geblieben?" „Das hat der charmante junge Mann verspielt, bevor er gestorben ist", erklärte Tom, der beschlossen hatte, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sie sollte die Wahrheit ruhig wissen. Je eher, desto besser für Rose. „Er hat sich nicht umgebracht, weil er sich geschämt hat, sondern weil er seine Frau verprügelt hat, bis zum Hals in Schulden steckte und sowohl die Polizei als auch die Gläubiger hinter ihm her waren. Er hatte hohe Spielschulden, bevor er Rose geheiratet hat. Er hat sie nur geheiratet, damit er sie zwingen konnte, die Farm zu verkaufen. Vom Erlös hätte er seine Schulden bezahlen können. Rose hat alles verkauft, nur die Farm nicht. Die hat sie ihren Kindern überschrieben. Sie wird jetzt treuhänderisch verwaltet und kann nicht verkauft werden." „Das glaube ich einfach nicht", brachte die Frau hervor. „Nein?" Zum ersten Mal wirkte sie nun doch unsicher und sah Tom starr an, der ihrem Blick gelassen begegnete. „Und der Lieferwagen ist alles, was ihr geblieben ist?" fragte sie dann leise. „Genau." „Sie hat nie ein Wort gesagt." „Was hätte sie denn sagen sollen? Dass ihr Mann sie nach Strich und Faden belogen und betrogen hat? Wären Sie damit hausieren gegangen?" „Seine Eltern haben doch gesagt, sie wäre schuld. Und dass sie nicht in der Lage wäre, die Kinder großzuziehen." „Das ist ja das Schlimme. Erst zieht man sie bis aufs Hemd aus, und dann versucht man auch noch, ihr die Babys wegzunehmen", erklärte Tom schonungslos. „Und die Nachbarn halten sie für eine Betrügerin. Das Leben hat ihr ziemlich übel mitgespielt, finden Sie nicht auch?" „Du liebe Zeit!" Die Frau ließ fassungslos den Blick über die Farm gleiten. „Sie hat nie etwas verlauten lassen." „Nein." In ihren Augen lag ein skeptischer Ausdruck. „Sind Sie auch sicher?" „Hundertprozentig." „Aber Dr. Connor muss es gewusst haben. Er hat gesagt, wir sollen zunächst die Tatsa­chen herausfinden, bevor wir über Rose richten. Und wir dachten... Also, Chris' Eltern haben uns erzählt, dass ..." „Und Sie haben ihnen geglaubt. Ich kann Ihnen nicht einmal einen Vorwurf daraus machen. Sie waren verzweifelt über den Tod ihres Sohnes und haben einen Schuldigen gesucht." „Aber sie ist fortgegangen. Nicht einmal zur Beerdigung ist sie gekommen." Genau das haben die Leute Rose am meisten übel genommen, dachte er. Ein charmanter junger Mann war ums Leben gekommen. Man hatte den Nachbarn Geld geschuldet, die Eltern waren verzweifelt in ihrem Schmerz über den Verlust des Sohnes, und Rose war nicht da gewesen, um sich zu rechtfertigen. Wahrscheinlich wäre sie auch zu stolz gewesen, um einzugestehen, was ihr Ehemann ihr angetan hatte. „Sie konnte nicht zur Beerdigung kommen, weil sie im Krankenhaus lag", erklärte Tom der fassungslosen Frau. „Er hatte sie verprügelt. Als er herausfand, dass Rose die Farm seinen ungeborenen Kindern überschrieben hatte, versuchte er, sie loszuwerden. Als das misslang, nahm er sich das Leben, weil er keinen anderen Ausweg mehr sah. Aber wie

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sollte Rose Ihnen danach gegenübertreten? Sie war ja selbst völlig am Ende."

„Was hast du ihr erzählt?" Rose setzte sich abrupt auf. „Dazu hattest du kein Recht, Tom Bradley."„Nein. Aber der Arzt und der Rechtsanwalt sind an ihre Schweigepflicht gebunden, ich nicht. Es passt mir nicht, dass dich hier jeder für eine Betrügerin hält. Deshalb habe ich ihr gesagt, wie es wirklich gewesen ist."„Du hast ihr alles erzählt?"„Alles. Und nun würde sie dich gern sehen."„Nein, Tom. Das stehe ich nicht durch", jammerte sie. „Seit Chris gestorben ist, war niemand mehr hier. Wie kann ich ihnen jetzt gegenübertreten?"„Sie wartet auf der Veranda", sagte Tom behutsam und umfasste sanft ihre Schultern. „Irgendwann musst du wieder unter Menschen gehen, dies ist ein Anfang. Tu es dir und den Babys zuliebe, Rose, Liebes."Er hat mich Liebes genannt, dachte sie verträumt. Zuletzt hatte ihr Vater dieses Kosewort benutzt. „Tom ..." Ihr versagte die Stimme.„Mach den Anfang, Rose." Tom lächelte ihr aufmunternd zu. Das half. Rose, Liebes ... „Sie hat versprochen, drei Stunden hier zu bleiben", fügte er hinzu.„Drei Stunden!"„Genau. Und sie leiht mir ihren Wagen."„Aber ... wohin willst du denn?"„Was meinst du wohl?" Er spannte sie noch etwas auf die Folter, bevor er lächelnd antwortete: „Einkaufen fahren natürlich! Was dachtest du denn?"„Rose?" Zögernd betrat die Frau die Küche, als fürchtete sie, mit einer Pistolenkugel begrüßt zu werden.Joan Mitchell war Roses direkte Nachbarin und eine alte Freundin ihrer verstorbenen Mutter. Doch das lag einige Zeit zurück. Inzwischen hatte Chris ihre Familie um mehrere tausend Dollar erleichtert.„Mrs. Mitchell!" Rose wollte aufstehen, aber die ältere Frau kam schnell näher.Offensichtlich hatte sie ihre Furcht überwunden.„Ach, du armes Kind! Bitte bleib liegen. Ist es denn wahr?" Joan Mitchell blieb stehen und sah sich um. Ihrem scharfen Blick entging nichts. „O Rose! All die schönenAntiquitäten deiner Mutter! Das Service auf der Anrichte. Der schöne Schaukelstuhl ­alles fort! Du hast alles verkauft." Sie brach in Tränen aus und zog Rose an sich. „Ach Rose, wir sind so grausam zu dir gewesen. Und ich habe gehört, dass du so hübsche Babys bekommen hast. Zwillinge, hat der Doktor erzählt. Ein Junge und ein Mädchen. Und ich habe nicht einmal Geschenke für die beiden mitgebracht."„Dafür aber einen Eintopf." Tom war hinter ihr aufgetaucht und zwinkerte Roseaufmunternd zu, als sie ihn über die fassungslose Frau hinweg anblickte. „Wie ich sehe, bist du in guten Händen, Rose. Bye, Ladys, ich bin zum Abendessen zurück. Der Eintopf enthält keine Nudeln, oder, Joan?"„Nein, aber ..."„Dann ist ja gut", antwortete er fröhlich. „Ich bin ganz bestimmt zum Abendessenzurück."

Normalerweise drückte er sich vor dem Einkaufen. Er besorgte für sich nur das Nötigste und war froh, wenn das erledigt war. Nun konnte er es allerdings kaum erwarten, endlich in die Stadt zu kommen.Zunächst fuhr er zu der Autowerkstatt, in die man seinen demolierten Sportwagen gebracht hatte, schüttelte bekümmert den Kopf, führte einige Telefongespräche und organisierte einen neuen Mietwagen, oder besser gesagt, einen Lieferwagen. Damitwürde auch das Füttern der Tiere auf der Farm wesentlich einfacher werden.Und dann kaufte er nach Herzenslust ein. Im Supermarkt war der erste Einkaufswagen im

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Handumdrehen gefüllt. Er stellte ihn an der Kasse ab und griff nach einem leeren Wagen.„Ich bin gleich wieder da", rief er dem Mädchen an der Kasse fröhlich zu. Nachdem er auch noch einen dritten Einkaufswagen voll gepackt hatte, bezahlte er und verstaute die Sachen in Joans Wagen.Inzwischen war es vier Uhr geworden. Also hatte er noch eine Stunde Zeit, um weitere Einkäufe zu erledigen. Fröhlich schwenkte er seine Kreditkarte.„Wer ist denn nun eigentlich dieser Tom?" fragte Joan Mitchell. Sie zeigte sich von ihrer besten Seite, um zu überspielen, dass sie sich acht Monate lang nicht um Rosegekümmert hatte.„Ein Freund."„Ein Freund der Familie oder dein Freund?"„Es gibt ja nur noch die Zwillinge und mich. Also würde ich sagen, ein Freund der Familie."„Aber deine Eltern haben ihn schon gekannt?"„Er ist erst seit kurzem hier", antwortete Rose ausweichend.„Ist er verheiratet?"„Ich ... Nein." Rose war sich ziemlich sicher, dass er nicht verheiratet war. Kinder hatte erjedenfalls ganz bestimmt nicht.„Das ist schön, Kind."Rose sah sie erschrocken an. „He, zwischen uns ist nichts."„Willst du damit behaupten, er wäre nicht verrückt nach dir?"„Natürlich!"„Aha." Joan lächelte wissend. „Was nicht ist, kann ja noch werden."„Ich habe genug von der Ehe, Joan. Gebranntes Kind scheut das Feuer."„Ach, nur weil du einmal an den Falschen geraten bist, musst du doch nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, Rose. Mein Bob ist jedenfalls ein wunderbarer Ehemann."Rose dachte an Bob Mitchell und lächelte amüsiert. Er war klein, untersetzt, kahlköpfig und stand völlig unter Joans Pantoffel.Aber seine Frau hielt ihn für wunderbar. Eigentlich beneidenswert! „Soso."„Und dieses Lächeln ..." Joan seufzte verzückt. Natürlich meinte sie Toms Lächeln. Sie liebte Bob, aber das hieß noch lange nicht, dass sie nicht auch gern mal einen anderen Mann ansah. „Wenn ich in deinem Alter wäre, und so ein Mann würde sich für mich interessieren ..."„Joan!"„Sei nicht eigensinnig, Kind. Der Mann ist ein Geschenk des Himmels. Und die Zwillinge brauchen einen Vater."„Sie hatten einen Vater", erwiderte Rose traurig.„Der war eine Niete. Such einen neuen Vater für sie. Oder noch besser: Rühr dich nicht vom Fleck, und lass den Dingen ihren Lauf."„Er interessiert sich überhaupt nicht für mich."„Unsinn, Liebes. Ich werde Bob mal bitten, ihn nach seinen Absichten zu fragen."„Unterstehen Sie sich, Joan!"„Deine Eltern sind tot, Rose. Jemand muss sich ja um dich kümmern."„Das macht Tom schon." Wie aus der Pistole geschossen kam diese Antwort. Rose biss sich auf die Lippe, und Joan lächelte strahlend.„Genau das wollte ich hören, Liebes", behauptete sie fröhlich.

Bei einsetzender Abenddämmerung kehrte Tom zurück. Joan hatte gerade begonnen,unruhig zu werden, weil sie fürchtete, nicht rechtzeitig nach Hause zu kommen, um für ihren geliebten Bob das Abendessen zuzubereiten. Nun wäre sie allerdings gern noch geblieben, um zu sehen, was in all den Paketen war, die Tom mitgebracht hatte. Doch er hatte jemanden beauftragt, ihm mit dem gemieteten Lieferwagen zu folgen, so dass Joan den Fahrer schnell zurück in die Stadt fahren konnte.

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„Das ist das Mindeste, was Sie tun können", sagte Tom lächelnd, als sie sich beschwerte, dass die Fahrt mindestens eine halbe Stunde dauern würde. „Sie haben Rose abscheulich behandelt. Heute Nachmittag müssen Sie dafür Buße tun."Seinem charmanten Lächeln konnte sie einfach nicht widerstehen. „Schon gut. Passen Sie auf Rose auf", meinte sie, als er sie zu ihrem Wagen begleitete.„Darüber machen Sie sich mal keine Sorgen." Er hielt ihr höflich die Tür auf und winkte ihr nach, als sie losfuhr.„Essen!"Rose stand am Küchentisch und sah staunend zu, wie Tom eine Tasche voller Lebensmittel nach der anderen ins Haus brachte. Es war einfach unglaublich!„Allerdings ist das Essen. Darauf kannst du wetten."„Aber wir brauchen..."„O doch! Wir brauchen das alles."„Ich kann mir das nicht leisten, Tom."„Aber ich."„Warum tust du das?" Hilflos ließ sie den Blick über die unendlich vielen Tüten gleiten. „Du brauchst jetzt auch gar nicht mehr hier zu bleiben, Tom. Ich habe meine Nachbarn, und du hast schon so viel für mich getan."„Ich bleibe hier, bis mein Wagen repariert ist", antwortete er.„Du wolltest in den Urlaub fliegen."„Stimmt. Das kann ich später immer noch. Ich hänge sehr an meinem kleinen Auto."„Wirklich?"„Wirklich."Obwohl das alles für sie keinen Sinn ergab, beschloss Rose, keine weiteren Fragen zu stellen. Und sie würde Tom auch nicht wegschicken.Was hatte Joan gesagt? „Wenn ich in deinem Alter wäre, und so ein Mann würde sich für mich interessieren ..."Rose errötete und wandte sich verlegen ab. Das war ja lächerlich. Wahrscheinlich bildete sie sich schon sonst was ein, weil sie acht Monate lang völlig isoliert gelebt hatte und nun diesen wunderbaren, temperamentvollen Mann im Haus hatte, der sie zum Lachen brachte und die Welt in einem helleren Licht erscheinen ließ.Wenn er sich verabschiedete, würde ihr alles wieder dunkel und trostlos vorkommen, das wusste sie schon jetzt. Daher war sie nur zu gern bereit, Tom noch länger zu beherbergen.Das Abendessen war einfach wunderbar. „Es ist ein Geburtstagsdiner", sagte Tom, als er den Tisch deckte. „Wir feiern den Geburtstag der Zwillinge."„Aber der liegt schon eine Woche zurück."„Haben wir vor einer Woche ein Festessen veranstaltet? Kaum, ich erinnere mich nur an Nudeln, Nudeln, Nudeln."„Du hast Recht", musste Rose lachend zugeben.„Siehst du? So, nun setz dich hin, sei ruhig und genieß es."„Du willst doch wohl nicht etwa kochen", protestierte sie.„Wieso nicht? Du wirst schon sehen."Als Vorspeise reichte er Joans Eintopf, als Hauptgang Steak und Salat, und zum Nachtisch gab es Erdbeeren und anschließend Kaffee und Rumtrüffel.Für Rose war es das wunderbarste Festmahl, das sie je genossen hatte - besonders nachdem sie sich monatelang von Nudeln ernährt hatte!Auch Joghurt ließ es sich schmecken. Zuerst blickte sie nur müde auf, als Tom ihr den Napf brachte. Doch dann schnupperte sie aufgeregt. Er hatte ihr das größte Rumpsteak der Welt gekauft. Sie stand so schnell auf, dass die Welpen, die sie gerade säugte, auf die Kissen fielen und protestierten.„Es gibt Wichtigeres im Leben als junge Welpen, oder, Joghurt?" Tom beobachtete lächelnd, wie sie sich über das Fleisch hermachte. „Wir sollten ihr einen anderen Namen geben", sagte er zu Rose.

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Joghurt sah auf und betrachtete ihn liebevoll, dann widmete sie sich wieder dem Steak.„Was willst du mit ihr anfangen, wenn ich wieder fort bin?" fragte er.„Ich..." Auf diese Frage war Rose nicht vorbereitet gewesen. Sie stellte ihre leere Kaffeetasse ab und betrachtete geistesabwesend den Bodensatz. „Sie kann gern bleiben."„Wo sind eigentlich deine Hofhunde?"„Ich hatte nur einen. Polly. Als Chris mich damals verprügelt hat, hat sie versucht, mich zu beschützen."Mehr wollte er gar nicht hören. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.„Und jetzt hast du acht Hofhunde", meinte Tom betont fröhlich, als er das benutzte Geschirr zum Spülbecken trug. „Sie müssen natürlich ausgebildet werden."„Ich weiß nicht..."„Vielleicht sind sie wie geschaffen für den Job. Überleg doch mal! Acht Bluthunde! Sie könnten beispielsweise deine Kühe finden, wenn sie wahrscheinlich auch nicht wissen, was sie mit den Rindviechern anstellen sollen." Er lachte über ihren verblüfften Blick. Dann hob er einen großen Karton auf. Noch immer standen überall Pakete herum. „So, nun wollen wir doch mal sehen, was wir in all diesen Paketen finden."„Was, um alles in der Welt...?"Tom hörte gar nicht zu und begann, den ersten Karton zu öffnen. „Ach, sieh mal an, das ist ja der Laptop, den ich vorhin gekauft habe. Ohne Computer halte ich es nämlich nirgends lange aus", erklärte er der staunenden Rose. „Einen Internet-Provider habe ich auch schon ausfindig gemacht. Wir brauchen nur noch eine Telefonleitung, und wir sind drin."Zunächst machte Toby sich jedoch bemerkbar.„Hunger kann er eigentlich nicht haben", sagte Rose, die fasziniert den Computer betrachtete, bevor sie aufstand, um nach ihrem Sohn zu sehen. „Ich habe ihn erst vor zwei Stunden gestillt."„Er braucht geistige Nahrung." Tom hob Toby aus dem Stubenwagen und setzte ihn sich aufs Knie. „Wetten, dass er sich für Computer interessiert? So, mein Kleiner, dies ist jetzt deine Welt. Zuerst wollen wir mal sehen, was wir im Internet über Bluthunde finden können."Hätte irgendjemand ihr, Rose, vor zwei Wochen erzählt, sie würde mal mit einem Fremden durchs Internet surfen, während ihr kleiner Sohn auf dessen Schoß läge, dann hätte sie diese Person für verrückt erklärt.„Bluthunde scheinen als Hofhunde nicht besonders geeignet zu sein", erklärte Tom schließlich, nachdem er mindestens dreißig interessante Einträge über Bluthunde gefunden hatte. „Was hier steht, ist aber wirklich eklig." Er schüttelte sich angewidert. „Angeblich sabbernBluthunde."Rose wandte sich zu Joghurt um. „Das kann gar nicht sein."„Doch, hier steht es ja. Es wird auch behauptet, der Speichel würde so hart werden, dass man der NASA den Vorschlag gemacht hätte, ihn als Klebstoff für Platten am Spaceshuttle zu verwenden."„Joghurt sabbert jedenfalls nicht."„Vielleicht tut sie es, wenn sie glücklich ist. Hier steht auch, dass ein glücklicher Bluthund mit einem Schwanzwedeln das ganze Geschirr von einem Sofatisch fegen kann. Joghurt wedeltkaum mit dem Schwanz."„Dabei hat sie gerade ein wunderbares Rumpsteak gefressen. Das müsste sie eigentlich glücklich gemacht haben", meinte Rose.„Vielleicht ist sie deprimiert."„Wahrscheinlich war sie es schon, als wir sie gefunden haben." Sie sah Tom verstohlen von der Seite an. Hatte er bemerkt, dass sie „wir" gesagt hatte? Offenbar nicht. Vermutlich kam es ihm ganz natürlich vor, wenn sie das Wort benutzte,„Meinst du, es würde sie aufmuntern, wenn sie jeden Tag Rumpsteak bekäme?" fragte er.„So weit kommt es noch! Vielleicht hast du so viel Geld, ich jedenfalls kann mir das nicht leisten."„Die Kosten für Joghurt und ihren Nachwuchs übernehme ich, Rose, damit das von

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Anfang an klar ist. Ich bin dafür verantwortlich, dass Joghurt jetzt hier ist, also zahle ich auch weiterhin Unterhalt für sie. Du hast schon genug Verantwortung zu tragen."„Aber Joghurt wäre sogar nützlich für mich. Du hast selbst gesagt, wir könnten sie zum Hofhund ausbilden." Verflixt, jetzt habe ich schon wieder „wir" gesagt, dachte sie.Tom ging allerdings auch dieses Mal nicht darauf ein. „Daraus wird wahrscheinlich nichts. Hier steht nämlich, dass Bluthunde nicht besonders schlau sind. Wenn sie Witterung aufgenommen haben, gehen sie ihr nach, ohne auf etwas anderes zu achten. Bluthunde sind schon gegen Bäume, geparkte Autos, sogar fahrende Autos geprallt. Ein Bluthund, der nicht angeleint ist, ist bald ein toter Bluthund, steht hier."„Hör nicht auf ihn, Joghurt", sagte Rose erschrocken. Die Hündin hatte gerade den letzten Bissen Fleisch hinuntergeschluckt und sah fragend auf. Dann kam sie zum Tisch herüber und legte ihren großen Kopf auf ihren Schoß. „Du machst dich bestimmt nützlich, oder, Schatz? Du könntest Kühe aufspüren, die sich verlaufen haben."„Du hast doch Zäune", bemerkte Tom trocken. „Wie viele Kühe verlaufen sich im Jahr?"„Im Nebel..."„Und wie oft haben wir hier Nebel?"Jetzt hatte er selbst „wir" gesagt! „Einmal, vielleicht auch zweimal im Jahr."„Und wir haben acht Bluthunde. Bisschen übertrieben, oder? Es ist wohl keine so gute Idee, sie alle zu behalten."„Aber wohin sollen wir denn mit ihnen?" Rose seufzte. „Vielleicht können wir die Welpen verkaufen."„Meinst du, irgendjemand interessiert sich für diese kleinen Maulwürfe?"„Sie werden bestimmt mal ganz niedlich."„Jetzt aber mal im Ernst, Rose."„Ich will nicht mehr darüber diskutieren. Die Bluthunde bleiben hier", antwortete sie bestimmt.Diese Entscheidung machte ihm das Leben noch schwerer. Wie sollte er es übers Herzbringen, Rose, die Zwillinge und Joghurt mit ihren sieben Welpen zu verlassen?Doch irgendwann müsste er es tun. Was blieb denn als Alternative? Tom senkte den Blick. Toby sah ihn mit seinen großen blauen Augen vertrauensvoll an.„Joan hat erzählt, du hättest ihr nach Chris' Tod Geld geschickt", sagte Tom leise.„Als ich die Möbel verkauft habe, habe ich so viel wie möglich bezahlt, um den Schuldenberg wenigstens etwas abzutragen. Und das Geld, das die Farm einbringt, gebe ich auch gleich weiter."„Du willst allen Ernstes Chris' Schulden abbezahlen?"„Nur die, die er nach unserer Hochzeit gemacht hat und die ich mitzuverantworten habe, weil die Leute das Geld nur meines guten Namens wegen gegeben haben. Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie weniger Vertrauen gehabt und Fragen gestellt hätten."„Du wirst bis ans Ende deiner Tage arm sein."Rose blickte ihn stolz an. „Besser, als ein Leben lang verschuldet zu sein. Und wir haben ja noch immer die Farm."„Du meinst, die Kinder haben die Farm. Und du musst schuften, um sie für sie in Schuss zu halten."„Das macht mir nichts aus."„Mir aber."Sie funkelten sich an. Rose senkte den Blick zuerst, hob Toby hoch und drückte ihn zärtlich an sich. „Er wird bald Hunger haben."Tom betrachtete sie nur schweigend. Er hatte verstanden, dass sie nicht über das Thema Schulden reden wollte. Kurz darauf sagte er fröhlich: „Aber zuerst wird gebadet. Hier ist meine nächste Überraschung."„Noch eine Überraschung?"„Ich habe Geschenke für die Babys gekauft", erklärte er strahlend. „Meine allererstenBabysachen. Mal sehen, wie du sie findest." Er nahm ihr Toby wieder ab und trug ihn zu den Kartons, die er neben der Tür aufgestapelt hatte. Komm, wir wecken deine große

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Schwester, und dann sehen wir uns gemeinsam an, was Onkel Tom euch mitgebracht hat."Onkel Tom hatte ganze Arbeit geleistet! Allein durch seine Einkäufe hatte die Stadt einen Wirtschaftsaufschwung erfahren. Rose saß auf dem Fußböden, in einem Meer von Baby­sachen und Geschenkpapier, und war völlig sprachlos.Tom hatte alles doppelt gekauft: zwei Teddys, zwei Kreisel, zwei Rasseln. Und zweiNachtlichter mit Sternen und Monden auf dunklem Hintergrund.Sogar zwei Babysitze hatte er besorgt. „Die bringen wir im Lieferwagen an, sowie errepariert ist. Dann kannst du mit den Babys spazieren fahren oder sie mit zur Weide nehmen, wenn du nach den Kühen siehst."„Tom!"„Und sieh mal hier!" Aufgeregt wickelte er das nächste Geschenk aus. Zum Vorschein kam ein Stapel Babykleidung - weiche rosafarbene und hellblaue Strampelanzüge, winzigeSchuhe und Ausfahrjäckchen, Hemdchen und sogar Kaschmirumhänge. Was konnte ein Baby sich mehr erträumen?Tom legte die Babys auf die Kaschmirumhänge und sah Rose fragend an. „Was meinst du?"Sie war noch immer sprachlos. Vorsichtig hob sie ein Kleidungsstück nach dem anderen hoch und betrachtete es, ohne auch nur ein Wort zu sagen.„Gefallen dir die Sachen nicht?" fragte er schließlich besorgt.„Ich ..." Rose schluchzte einmal kurz auf und suchte nach einem Taschentuch. Dann putzte sie sich die Nase und blickte ihn über das Taschentuch hinweg an. „Doch, aber ..."„Rose ..." Er stieg über den Berg von Babysachen und Geschenkpapier und zog sieimpulsiv an sich. Sie schmiegte sich an ihn, das Taschentuch noch immer an der Nase, und schluchzte wieder. Richtig weinen tat sie nicht. Sie war wirklich eine wundervolle Frau!„Rose." Noch nie hatte er eine Frau so im Arm gehalten, noch nie so tief empfunden. Zärtlich hielt er sie an sich gedrückt, während sie mit den Tränen kämpfte. Am liebsten hätte er Rose nie wieder losgelassen!Das war ja verrückt! Er war ein Abenteurer, der immer wieder eine neue berufliche Herausforderung brauchte. Ein ums andere Mal sagte er sich das, gleichzeitig presste er sie immer fester an sich.Schließlich hatte Rose sich wieder gefangen. Tom fand in der Hosentasche noch ein altes Taschentuch, das er ihr reichte. Dann schob er sie etwas von sich fort und sah ihr in die Augen.Rose putzte sich die Nase, betrachtete das - alles andere als frische - Taschentuch und fragte lachend: „Du willst es doch nicht etwa wiederhaben?"„Ich werde es vergraben", antwortete er großmütig. „Inzwischen habe ich Übung darin."Sie lachte herzlich und war schon wieder den Tränen nahe. „O Tom."Ihm wurde schwindlig. Wie sie seinen Namen aussprach! Er schwebte im siebten Himmel.„Rose."„Ich kann das alles nicht annehmen", meinte sie schließlich und sah ihn an. Tom hielt sie noch immer im Arm, und sie blickten einander tief in die Augen. „Das musst du doch einsehen."„Warum kannst du es nicht annehmen?"„Weil ich dich kaum kenne."„Du kennst mich sehr wohl", widersprach er beleidigt. „Ich bin doch Tom."Ja, das war er - ihr wundervoller Tom. Ihr guter Geist aus der Wunderlampe. Den gab es allerdings nur im Märchen und nicht im wirklichen Leben.Rose ließ den Blick zu ihren Zwillingen gleiten, die vergnügt inmitten der vielenGeschenke lagen und schon vieles von ihrer Umgebung wahrnahmen. Eine ganz neue Welt erschloss sich ihnen, jedoch nicht ihrer Mutter. Rose wusste, dass die Realität hart war.„Wenn du wüsstest, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, all diese Sachen zu kaufen", flüsterte sie. „Wie jede Mutter möchte ich für meine Kinder nur das Beste haben. Aber das kann ich mir nicht leisten."

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„Doch, das kannst du, Rose." Tom sah sie zärtlich an. „Du kannst die Sachen nicht zurückgeben. Es sind meine Geschenke an die Babys."„Ich muss sie aber zurückgeben."„Warum?"„Weil ich sowieso schon viel zu tief in deiner Schuld stehe."„Du hast vergessen, wer deinen Wagen angefahren hat", sagte er leise. „Ich bin auch daran schuld, dass die Zwillinge zu früh zur Welt gekommen sind."„Ich hatte schon Wehen, bevor wir zusammengestoßen sind", behauptete sie. „Dich trifft überhaupt keine Schuld. Du hast doch kein schlechtes Gewissen, oder?"Nein, das hatte er nicht. Ihr war bei dem Unfall nichts passiert. Er war fast froh über den Zusammenstoß, denn wäre der Unfall nicht gewesen, wäre Rose allein nach Hause gefahren und hätte die Zwillinge womöglich ohne jede Hilfe zur Welt bringen müssen.Schuldig fühlte er sich also nicht, aber ein gewisses Verantwortungsgefühl konnte er nicht leugnen.„Was meinst du wohl, wie ich mir vorkäme, wenn ich meine Babys in Samt, Seide und Kaschmir gewickelt durch die Stadt tragen würde, während ich gleichzeitig allen Leuten hier in der Gegend Geld schulde?"„Du schuldest niemandem etwas. Die Schulden hat Chris gemacht. Joan wird dafür sorgen, dass bald jeder Bescheid weiß."„Ich war mit ihm verheiratet, also bin ich mitverantwortlich. Die Leute haben Chris vertraut, weil er mein Mann war."„Also bestrafst du deine Kinder." Das war nicht fair, das wusste er selbst. Es fiel ihm schwer, hart zu bleiben, doch er wollte, dass Rose zur Vernunft kam. „Du willst den Kindern meine Geschenke vorenthalten."„Sie werden es schon überleben."Tom betrachtete sie lange. Sie war so hübsch und so stolz, nur noch etwas blass und erschöpft. „Bitte, Rose", bat er. „Lass mir den Spaß. Ich kann es mir nun wirklich leisten, mal etwas Geld auszugeben."Das stimmte. In seinem Beruf verdiente man viel Geld, hatte allerdings nie Zeit, esauszugeben. Er hatte alles investiert und könnte sich sofort als reicher Mann zur Ruhe setzen, wenn er wollte.„Ich will das alles nicht", behauptete sie widerspenstig.„Erwartest du wirklich von mir, dass ich dich deiner Armut überlasse?"Rose wusste, dass es ihn sehr verletzen würde, was sie ihm jetzt zu sagen hatte. Doch Tom ließ ihr ja keine Wahl. „Du hast nichts mit uns zu tun, Tom. Gar nichts. Du warst einfach wundervoll und ganz unglaublich, und du hast uns schon so viel gegeben. Uns allen - den Zwillingen, Joghurt und mir. Aber jetzt ist es genug." Sie atmete tief durch. „Vielleicht solltest du nun lieber wieder deiner Wege gehen."Meiner Wege gehen? Tom sah sie fassungslos an. Es war ganz still im Raum. Man hörte nur das leise Knistern des Geschenkpapiers, auf dem Toby lag, als er sich bewegte.Wahrscheinlich hat sie Recht, dachte Tom schließlich. Was hätte er ihr noch geben können? Nichts.Außer ...Ja genau, das war es doch! Zumindest war es einen Versuch wert.Jessie begann, leise zu wimmern. Er hob sie sofort hoch und beruhigte sie. „Pst", sagte er. „Ich möchte deine Mum etwas fragen."„Was denn?" Rose fing an aufzuräumen, damit sie Tom nicht in die Augen sehen musste.„Leg das weg, Rose", bat er.„Warum?"„Ich habe eine wunderbare Idee." Er lächelte aufmunternd. „Aber meine Ideen sind ja alle wunderbar. Diese ist allerdings die absolute Krönung."„Und was soll das sein?" Sofort fühlte sie sich wieder magisch von seinem Blickangezogen.

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Tom zögerte, er wurde ernst.Rose runzelte die Stirn. „Was ist denn, Tom?"„Vielleicht bin ich ja verrückt, aber ich glaube, es könnte mit uns funktionieren."„Was denn?"„Sag mal, Rose, was hältst du davon, mich zu heiraten?" meinte er langsam.

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6. KAPITEL

Was hältst du davon, mich zu heiraten? Die Worte hingen noch im Raum. Für Rose schienen sie etwas Bedrohliches zu haben, denn sie hatte entsetzt das Gesicht verzogen.„He, Rose, was machst du denn für ein Gesicht?" fragte Tom schnell und wollte ihre Hand umfassen. „Es geht doch nur ums Heiraten."Doch sie wich zurück, als hätte sie sich die Finger verbrannt. „Nur ums Heiraten? Soll das ein Witz sein?"„Nein, das ist kein Witz."„Doch, ganz bestimmt." Sie atmete tief durch. „Ich kenne dich doch erst seit sechs Tagen. Und ich weiß so gut wie nichts von dir."Er lächelte und sah sie aufmerksam an. „Was möchtest du denn gern wissen? Ich bin dreiunddreißig Jahre alt und war noch nie verheiratet. Ich bin ein ganz normalveranlagter Typ, der jeden Tag die Socken wechselt, gern mal ein Bier trinkt und nicht schnarcht. Spinat würde ich nicht einmal essen, wenn ich dafür bezahlt würde. Ach ja, und ich habe in nur sechs Tagen gelernt, wie man Windeln wechselt und Kühe ausgräbt. Gut, oder? Was willst du sonst noch wissen?"Rose rang sich ein Lächeln ab, das jedoch sofort wieder verschwunden war. „Du weißt genau, dass ich etwas anderes meine."„Was denn zum Beispiel?"Sie atmete tief durch. „Zum Beispiel, warum ein Mann mit halbwegs gesundemMenschenverstand ausgerechnet jemanden wie mich heiraten will."Diesem Chris scheint es wirklich gelungen zu sein, ihr Selbstbewusstsein auf denNullpunkt zu drücken, dachte Tom. Der Mann hatte sie nur geheiratet, um an die Farm zu kommen, und das würde sie nicht so schnell vergessen. Sie hatte das Gefühl, dass sie nichts wert war.„Warum sollte ich dich denn nicht heiraten wollen?" fragte Tom leise.„Weil du mich nicht kennst."„Da möchte ich dir widersprechen. Ich habe dich unter widrigsten Umständen kennen gelernt, Rose. Dabei ist mir bewusst geworden, wie unendlich mutig du bist. Ganzabgesehen davon bist du die schönste Frau, dich ich ..."„Willst du etwa behaupten, du hast dich in mich verliebt?"Diese Frage war nicht so leicht zu beantworten. Tom verzog nachdenklich das Gesicht. Liebe? Nein, Liebe war es wohl nicht. Er war gar nicht in der Lage, jemanden zu lieben. Dazu war er viel zu oft verletzt worden. „Das vielleicht nicht", antwortete er daher ehrlich.„Und warum, um alles in der Welt, willst du mich dann heiraten?"Gute Frage. Er wusste es ja selbst nicht so genau. Zum Glück waren die Zwillinge ruhig. Er brauchte Zeit und Ruhe zum Nachdenken.Rose ließ ihm Zeit. Sie blickte ihn zwar an, drängte ihn allerdings nicht.„Es wäre besser für dich, verheiratet zu sein", behauptete er schließlich.Rose musterte ihn erstaunt. „Ist das der einzige Grund? Dann tut es mir Leid, ich heirate doch nicht, weil du etwas Wohltätiges tun willst."„Nein, so habe ich es auch nicht gemeint." Es fiel ihm schwer, sich über seine Gefühle klar zu werden. Irgendwie fand er alles schrecklich verwirrend. Er war es gewohnt, klarstrukturierte Pläne zu verfolgen. Und genauso einen Plan brauchte er jetzt.„Es wäre auch in meinem Interesse zu heiraten", behauptete Tom nach einigem Nachdenken und wollte Rose gerade die Gründe erklären, als Jess sich meldete. Sie hatte Hunger, genau wie ihr Bruder.Tom stöhnte resigniert. „Wir unterhalten uns weiter, wenn du die Babys gestillt hast."„Aber..."Ich möchte noch einmal alles überdenken." Er trug beide Babys zur Badewanne. „Damit ich keinen Fehler mache."

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Rose sah ihn neugierig von der Seite an, sagte aber nichts.In der nächsten halben Stunde waren sie völlig damit beschäftigt, die Babys zu baden und zu wickeln. Anschließend stillte Rose die Zwillinge. In der Zwischenzeit hatte Tom sich genauüberlegt, wie er sie überreden wollte, ihn zu heiraten. Zunächst musste er allerdings dierichtige Atmosphäre schaffen.„Ich mache uns eine schöne heiße Tasse Kakao", sagte er, nachdem sie die Babys in die Stubenwagen gelegt hatte. „Und wir essen Tim Tarn."„Was ist denn Tim Tarn?"„Ich komme nur regelmäßig zurück nach Australien, weil es hier Tim Tarn gibt." Er riss ein Paket Kekse auf, steckte sich einen Keks in den Mund und ließ ihn sich schmecken. „Und natürlich, um meine Mutter zu besuchen", fügte er eilig mit vollem Mund hinzu. „Setz dich hin, Rose. Die Badesachen können wir nachher wegräumen."Sie gehorchte und musterte ihn misstrauisch. „Du fängst doch nicht wieder vom Heiraten an, oder?"„Du siehst mich an, als wäre bei mir eine Schraube locker."„So ist es ja auch. Du bist völlig verrückt."„Aber auch nett?" fragte er hoffnungsvoll.Rose lächelte. „Das allerdings auch. Aber Tom, bitte vergiss diese Idee. Es würde alles verderben, wenn wir heiraten wurden."„Was würde es verderben?"„Unsere gemeinsame Zeit hier." Sie griff nach einem Tim Tarn und biss hinein, merkte allerdings gar nicht, was sie da aß.So eine Verschwendung, dachte Tom belustigt und versteckte die Kekspackung. „Lass das!"„Was?"„Die Kekse essen, ohne sie richtig zu würdigen. Pass auf, ich zeig dir mal, wie man einen Tim Tarn essen muss." Er zog einen weiteren Keks aus der Packung und biss dieSchokoladenenden ab. Dann tauchte er den restlichen Keks in den Kakao und saugte die heiße Schokolade daraus.Rose wollte sich ausschütten vor Lachen, als sie seinen verzückten Gesichtsausdruck sah.Tom leckte sich die Lippen und lächelte jungenhaft.„Jetzt du."„Nein, ich ..."Er reichte ihr einen Keks. „Ich bestehe darauf. Wirklich. Ich habe zwanzig Pakete gekauft. Es ist also genug Übungsmaterial da."„Zwanzig Pakete! Du musst verrückt sein." Doch sie gehorchte, biss die Keksenden ab, tauchte den Rest in den Kakao und schlürfte.Du meine Güte!„Wunderbar, oder?" fragte Tom, als sie den Keks aufgegessen hatte.„Ich ... Ja." Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.Vom Heiraten zum Kekseessen - der Mann musste verrückt sein!Tom nahm ihr den Kakaobecher aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch. „Siehst du, das Leben ist voller schöner Überraschungen, Rose", sagte er sanft und umfasste zärtlich ihre Hände. „Du musst nur etwas riskieren."„Das tue ich ja."„Nein. Du hast verlernt, das Leben zu genießen."„Aber wieso ...?"Er überhörte ihren Einwurf. „Das Viehfutter geht zur Neige, Rose", meinte er imPlauderton. „Joan hat mir erzählt, dass du das Heu nur teilweise eingefahren hast. Alle Leute fragen sich, wieso."„Weil ich schwanger war und es nicht allein geschafft habe. Eine Hilfskraft konnte ich mir aber nicht leisten."„Ich weiß. Und was nun? Es dauert mindestens zwei Monate, bevor wieder genug wächst. Was willst du dem Vieh inzwischen zu fressen geben? Wahrscheinlich wirst du einige Tiere

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verkaufen müssen, damit du für die anderen Futter kaufen kannst."„Ja, aber ..."„Und dann brauchst du neue Rinder. Wovon willst du die bezahlen?"„Na ja ..." Rose biss sich auf die Lippe. „Wenn das Futter aufgebraucht ist, muss ich das Vieh verkaufen, die Farm verpachten und in die Stadt ziehen."„Und wann willst du zurückkommen?"„Wenn die Zwillinge älter sind."„Du meinst, wenn sie erwachsen sind", sagte er unverblümt. Er hielt noch immer ihre Hände umfasst, doch sie schien es gar nicht wahrzunehmen. „Wenn du in die Stadt ziehst, musst du Miete zahlen, Rose. Die Gläubiger werden dir jeden Cent abnehmen. Und du hängst doch so an der Farm."„Ja, schon, aber ..."„Heirate mich, und ich sorge dafür, dass du hier bleiben kannst."Sie wollte sich erschrocken aus seinem Griff befreien, doch Tom hielt sie weiterhin fest. „Hör zu, Rose! Ich habe mehr als genug Geld, das ich in die Farm investieren kann. Und es würde mir große Freude machen, sie aufblühen zu sehen."„Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht auf Wohltätigkeit stehe", antwortete sie und wollte ihre Hände wegziehen.„Mit Wohltätigkeit hat das überhaupt nichts zu tun. Ich mache ja keine Spende. Deshalb bitte ich dich, mich zu heiraten. Ich möchte eine Gegenleistung."„Und was?"„Dich."Rose sah ihn verblüfft an. „Tom!"„Ich behaupte nicht, dass ich mich in dich verliebt habe", versicherte er schnell. Über diese Möglichkeit wollte er nicht einmal nachdenken. „Ich bin kein Mann für so etwas. Aber ich möchte ..."Tom atmete tief durch und blickte sich um. Die Küche war warm und gemütlich. Die Zwillinge schlummerten glücklich und zufrieden in ihren Stubenwagen. Joghurt schlief am Herd, umgeben von ihren Welpen. Überall auf dem Boden lag Geschenkpapier. Vielleicht wirkte die Küche dadurch noch behaglicher. „Ich möchte dies", fügte er hinzu.„Was?"Er zuckte die Schultern, ließ Roses Hände los und machte eine ausholende Geste. „Dies alles. So etwas habe ich nie gehabt."„Ich weiß nicht, wovon du sprichst."„Meine Mutter ist nie lange an einem Ort geblieben", erklärte Tom leise. „Sie ist von einem Freund zum nächsten gezogen. Ich habe nie ein richtiges Zuhause gehabt. Und ich werde nervös, wenn ich länger als einige Wochen mit einer Frau an einem Ort bin. Ich muss dann weiterziehen. Aber dies ... ein Zuhause ..."„Du meinst, dies ist ein Zuhause ohne Verpflichtungen?" fragte Rose.Wieder zuckte er die Schultern. „Ich habe nachgedacht, Rose. Die meisten Kollegen auf den Bohrinseln haben zu Hause Frau und Kinder, denen sie regelmäßig das Gehalt überweisen und die sie besuchen, sooft sie können. Ich lasse mein Geld auf der Bank, und wenn ich Urlaub habe, weiß ich nicht, wohin ich soll. Selbst Luxushotels werden mit der Zeit langweilig. Die Atmosphäre ist unpersönlich, kühl, und alles ist irgendwie so sinnlos. Und deshalb dachte ich ..."„Du könntest dich zu mir ins Bett legen, wenn du Urlaub hast?" erkundigte sie sich schroffer als beabsichtigt.„So habe ich das nicht gesagt." Er lächelte verlegen. „Vielleicht gehört das eines Tages auch dazu, wenn du dich erst einmal von der Geburt der Zwillinge erholt hast und es auch gern möchtest. Wenn wir es beide möchten. Aber wenn nicht, werde ich das auch überleben."Rose sah ihn ungläubig an. „Sag mal, Tom, was für eine Art Ehe möchtest du eigentlich?"Nun hatte er mindestens eine Stunde darüber nachgedacht und war sich immer noch nicht ganz darüber im Klaren, was er wollte.

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„Ich möchte nur etwas haben, was ich Zuhause nennen kann und worauf ich mich freuen kann, wenn ich arbeite."Sie versuchte, sich in ihn hineinzuversetzen, um ihn besser zu verstehen. „Du löschst brennende Ölquellen. Habe ich das richtig verstanden?" fragte sie langsam.„Ja."„Und kürzlich ist etwas passiert, und deshalb möchtest du jetzt ein Zuhause?"„Nein."„Doch, Tom. Das sehe ich dir an. Warum solltest du sonst plötzlich so versessen darauf sein, Frau und Kinder zu haben?"„Ich will doch gar nicht..." Tom verstummte und wandte den Blick ab.„Was willst du dann?"„Ich will es mir nur vorstellen können", beteuerte er. „Du hast Recht, meine Arbeit istgefährlich. Ständig diese Dämpfe - Schwefeldioxid, Arsen, Blei, Kupfer -, und immer muss man auf eine Explosion gefasst sein. Wenn du Brände bekämpfst, bei denen Temperaturen bis zu viertausend Grad entstehen und der Sand so heiß wird, dass er zu flüssigem Glas wird, dann bewegst du dich immer am Rand einer Katastrophe."„Na prima", bemerkte sie leise. „Windeln wechseln ist dagegen natürlich ein Kinderspiel."„Das glaubst auch nur du", antwortete er mit finsterer Miene.Rose lächelte, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Was ist nun also passiert?"„Ich will nicht..."„Wenn du es mir nicht erzählst, brauchen wir uns gar nicht weiter zu unterhalten. Ich gehe ins Bett. Und ..." Sie funkelte ihn herausfordernd an. „... die Tim Tams nehme ich mit."„Nein, Madam", rief er gespielt entsetzt. „Nicht die Tim Tams! Bitte nicht!"Sie lachte kurz. „Schon gut, aber ich lasse sie nur hier, wenn du mir sagst, was passiert ist. Was hat dich so aus dem Gleichgewicht gebracht?"„Ich glaube nicht, dass du das wirklich hören möchtest", erwiderte er schroff.Rose nahm seine Hände. „Tom! Sag mir jetzt die Wahrheit."Er saß in der Falle.Als er etwa eine Minute lang schwieg, dachte sie schon, er würde sich erneut weigern, doch dann senkte er den Blick und betrachtete ihre Hände. Sie waren so viel kleiner als seine und so rau. Sie arbeitet viel zu hart, dachte er.An seiner Wange pochte ein Muskel. Das war das einzige Zeichen für Toms inneren Kampf.„Tom?" ermunterte Rose ihn leise.Und da erzählte er es ihr. „Er war mein bester Freund", begann Tom und seufzte schwer. „Marty Helder. Wir haben viele Jahre gemeinsam gearbeitet. Man nannte uns nur das unbesiegbare Paar, und unter uns Höllenkämpfern ist das ein ziemlich großes Kompliment."„Höllenkämpfer?"„So werden Spezialisten für Ölquellenbrände genannt."„Aha." Rose schluckte. „Und was ist mit Marty passiert?"Er sah auf. Was er in ihrem Blick las, hätte ihn fast zu Grunde gerichtet. Dabei hatte er sich bisher so zusammengerissen. Seit dem Zeitpunkt, als er den Bereich abgesperrt hatte, wo Marty lag. Er hatte gewusst, dass Marty tot war. Wie hätte jemand dieses Inferno überleben können? Aber den Bereich abzusperren, sich umzudrehen und wegzugehen - auf die Explosion zu warten ...Tom konnte nicht mehr weitererzählen. Das Erlebte war zu furchtbar gewesen.Allerdings war es auch gar nicht nötig, denn Rose ahnte, was passiert sein musste. Zärtlich streichelte sie sein Gesicht. „Ich kann es mir vorstellen, du brauchst nichts mehr zu sagen."Als er ihre unendlich tröstende Berührung spürte, erschauerte er. Nein, er brauchte nichts mehr zu sagen.Tom sah auf, und sie las das Entsetzen in seinem Blick, als er die schreckliche Szene noch einmal durchlebte.„Marty war wie ich", fuhr er schließlich leise fort. „Er hatte auch keine Familie. Und das war

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gut so, denn was hätte sie beerdigen sollen? Es war nichts mehr von ihm übrig. DasVermögen, dass Marty verdient hat, erbt ein Cousin von ihm, den er überhaupt nicht kannte." Er atmete tief durch. „Ich möchte, dass ihr mein Geld erbt - du, die Zwillinge und Joghurt."„Falls es dir darum geht, uns alles zu vererben, wenn du gegrillt wirst, dann ..."„So war das nicht gemeint."„Wie dann?"„Es wäre nur leichter für mich, dich hier zu wissen. Zu wissen, dass mein Gehaltsscheck irgendwo landet und nützlich ist. Ich möchte mir gern einbilden, für etwas Sinnvolles zu arbeiten."„Für ein Zuhause."„Es wäre nicht mein Zuhause", widersprach er schroff. „Ich habe kein Zuhause, dazu bin ich nicht der Typ. Aber ich könnte euch jedes Jahr hier besuchen, die Kühe füttern, Windeln wechseln und mit den Hunden spielen."Seine Stimme klang so wehmütig, dass Rose ihn erstaunt betrachtete. „Wenn du das wirklich möchtest, Tom ..."„Nein, jedenfalls nicht für immer. Nur ab und zu mal." Tom befreite sich aus ihrem Griff, stand auf und ging zum Fenster. Starr blickte er hinaus.Rose, die ihm ansah, wie angespannt er war, ging zu ihm hinüber und berührte ihn leicht an der Schulter. Tom zuckte zusammen. Er weiß nicht, wogegen er eigentlich ankämpft, dachte sie. Sie verstand es auch nicht.„Lass es gut sein, Tom", meinte sie leise. „Es ist spät geworden, du bist bestimmt müde. Wir reden morgen früh weiter. Lass uns jetzt ins Bett gehen."„Ich muss noch nach den Kühen sehen."„Das erledige ich."„Aber..."„Wir haben jetzt einen Lieferwagen", erinnerte sie ihn. „Es dauert höchstens zwanzig Minuten, bis ich wieder da bin. Ich würde gern selbst einmal nach dem Rechten sehen. Seit der Geburt der Zwillinge war ich überhaupt nicht mehr bei meinen Kühen. Du bleibst hier und kümmerst dich um deine neun Babys."„Rose..."„Du schaffst das schon, Tom Bradley. Zwanzig Minuten hältst du sicher durch. Ich möchte nur etwas frische Luft schnappen." Dann verließ sie das Haus.An diesem Abend saßen keine Kühe fest, wie Rose erleichtert feststellte. Sie fuhr zum ersten Wasserloch, dann zum zweiten, wo sie den Lieferwagen parkte und nachdenklich die im Mondlicht glitzernde Wasserfläche betrachtete. Alles war so verwirrend. Tom wollte sie heiraten. Ein Höllenkämpfer, der die Ehe als Trost für seine geschundene Seele ansah, denn er wusste, dass in seinem Beruf jeder Tag der letzte sein konnte.So einen Mann sollte sie heiraten? Immerhin handelte es sich um Tom. Er hatte das hinreißendste Lächeln der Welt, war groß, stark und dabei unendlich lieb und zärtlich. Man brauchte ihn nur zu beobachten, wenn er sich um die Zwillinge kümmerte. Und ihre, Roses, Hormone spielten völlig verrückt. Das konnte nicht allein auf die Geburtzurückzuführen sein, oder?Aber heiraten konnte sie ihn nicht, denn das würde bedeuten, ihn zu verlieren. Er würde wieder unterwegs sein und Ölquellenbrände bekämpfen. Und sie würde nicht einmalwissen, ob er überhaupt noch am Leben war.Ich würde verrückt werden, dachte Rose und beschloss, die Entscheidung hinauszuzögern. Seufzend startete sie den Motor und wollte sich gerade auf die Rückfahrt zum Hausmachen, als sie am anderen Ende der Weide eine Kuh liegen sah.Was war denn da los? Sie wollte doch nicht etwa kalben? Der Termin dafür war erst in einigen Monaten!Rose fuhr hinüber und betrachtete die Kuh aus der Nähe. Es war eine Färse, und sie war zu klein, um bereits in diesem Jahr zu kalben. Deshalb hatte sie sie von der Herde - und dem

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Zuchtbullen - getrennt.Aber irgendwie war es doch passiert!„Dieser verflixte Bulle!" Rose wusste genau, wann es geschehen sein musste. Ferdinand, der Bulle, war eines Nachmittags ausgerissen. Sie hatte ihn schließlich an einer Lücke im Zaun gefunden - völlig unschuldig, als könnte er kein Wässerchen trüben.„Armes Mädchen", sagte sie zu der jungen Kuh. „Ich habe nicht einmal bemerkt, dass du trächtig bist." Prüfend strich sie ihr über die Flanke. Die Kuh rollte verängstigt mit den Augen.Als Rose den aufgewühlten Boden sah, wusste sie, dass die Kuh sich schon seit einiger Zeit quälen musste. „Halt aus, mein Mädchen. Ich hole nur schnell die Kalbketten."„Wohin willst du?"Rose erschrak. Sie wollte gerade die Geburtshelferwerkzeuge aus dem alten Lieferwagen holen und hatte gar nicht gehört, dass Tom aufgetaucht war. Als er jetzt ihre Schulter umfasste, erschrak sie noch mehr. „Musst du mich so zu Tode ängstigen, Tom?" fragte sie ärgerlich.„Tut mir Leid, das war nicht beabsichtigt. Was haben wir vor?"„Ich hole die Kalbketten", erklärte sie.„Ach, wir helfen einem Kalb auf die Welt?"„Ich."„Wir." Er nahm ihr die Ketten aus der Hand und sah sie energisch an. „Du weißt genau, dass du nichts Schweres heben darfst."„Das hat der Arzt nicht so gemeint."„Natürlich hat er das, sonst hätte er es wohl kaum gesagt. Du hebst jedenfalls überhaupt nichts! Wo ist die Kuh, Rose?"„Du kannst das nicht, Tom. Schließlich hast du überhaupt keine Erfahrung."„Immerhin habe ich Zwillinge auf die Welt gebracht", antwortete er gespielt beleidigt. „Nicht zu vergessen Siebenlinge. Wie viele Geburtshelfer können das von sich behaupten? So ein Kalb ist dagegen das reinste Kinderspiel."„Kaum, Tom." Rose strich sich die Locken aus der Stirn. „Die Kuh ist zu jung zum Kalben, und das Kalb ist ziemlich groß."„Dann sag mir, was zu tun ist."„Das geht nicht, ich muss mich selbst darum kümmern."„Kommt nicht infrage!"„Anders geht es nicht."„Dann komm mit, und sag mir, was ich tun soll."Sie blickte unsicher zum Haus hinüber. „Und was wird aus den Zwillingen?"„Hast du vergessen, dass ich Babysitze gekauft habe?" erkundigte Tom sich stolz. „Jetzt holen wir, was wir brauchen, und dann fahren du und ich und Jessie und Toby zumEinsatz. Damit kenne ich mich aus."„Tom..."„Wir verschwenden nur Zeit, Rose", sagte er sanft. „Auf gehts."Die Geburt zog sich lange hin. Jeder andere Mann hätte die Kuh wahrscheinlich längst aus ihrer Misere befreit und ihr Leben und das des Kalbs beendet. Doch Tom war aus anderem Holz geschnitzt. Rose gab ihm genaue Anweisungen.Sie hatten Seife und Wasser mitgebracht und alles eingeschmiert. Dann hatten sie die Ketten befestigt und warteten. Nach jeder Wehe zog Tom mit aller Kraft an den Ketten. Rose saß zwischen ihm und den Zwillingen, die friedlich in ihren Babysitzen schliefen, und beobachtete ihn.Er konzentrierte sich voll und ganz auf seine Aufgabe. Die junge Kuh war so klein und das Kalb so groß. „Können wir nicht den Tierarzt rufen?" fragte er schließlich.Rose schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn bezahlt, aber leider hatte ich Chris gebeten, die Schecks aufzugeben. Er hat es nicht getan, also schulde ich dem Tierarzt noch immer Geld. Er kommt bestimmt nicht."

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„Dann müssen wir da allein durch."„So sieht es aus."Tom strich der Kuh beruhigend über die Flanke. „Keine Panik, Mädchen. Lass dir Zeit, wir sind ja bei dir."Rose schluckte. „Wir sind ja bei dir", hatte er gesagt. Die ganze Zeit war sie allein gewesen, und nun war Tom da. Tom wollte sie heiraten. Es war zwar verrückt, doch sie musste Ja sagen. Sonst würde sie ihn vielleicht nie wieder sehen. Und das war unvorstellbar.„Es hat sich bewegt", rief er plötzlich aufgeregt und wandtesich halb um. Im nächsten Moment konzentrierte er sich bereits wieder auf das Kalb. Als die nächste Wehe kam, zog er mit aller Kraft an den Ketten. Seine Arme waren weiß vor Anstrengung. Der Einsatz war erfolgreich, denn im nächsten Augenblick glitt das Kälbchen heraus, und Tom verlor das Gleichgewicht und landete unsanft im Gras.Das Kalb lebte. Rose lachte begeistert und beugte sich vor, um die Atemwege zu befreien. Tom kam ihr allerdings zuvor.„He, das ist mein Job! Ich bin der Geburtshelfer", protestierte er. Stolz hob er die hübsche kleine Färse auf und trug sie zu ihrer erschöpften Mutter, damit diese sie annehmen konnte. Er fühlte sich einfach wunderbar.Rose lehnte sich zurück und nahm die Szene in sich auf. Ihre kleinste Kuh erholte sich zusehends von der anstrengenden Geburt und beschnupperte ihr gesundes Kälbchen, bevor sie es zaghaft abzulecken begann. Tom, der stolz lächelte.Selbst wenn ich ihn nur eine Woche im Jahr bei mir habe, dachte sie. Selbst wenn er stirbt, und ich bin nicht bei ihm ...Rose machte vorübergehend die Augen zu. Dann wusste sie, was zu tun war. Als Tom auf sie zukam, sie hochzog und stürmisch umarmte, schmiegte sie sich an ihn, hob den Kopf und begann, ihn zu küssen.Dieser KUSS sollte ihr Leben verändern. Es war kein kameradschaftlicher KUSS, sondern einer, mit dem sie Tom zu verstehen gab, dass sie ihn wollte. Er sollte ganz allein ihr gehören.Die Berührung ihrer Lippen traf sie beide wie ein Schock. Heiße Wogen des Verlangens durchfluteten sie. Und das erschütterte sie beide bis ins Mark.Für Rose kam das alles zu plötzlich. Sie war noch nicht wieder bereit, einem Mann ihr Herz zu öffnen. Doch ihre Gefühle überwältigten sie einfach. Sie empfand tiefe Freude, in den Armen dieses Mannes zu liegen, mit dem sie gemeinsam durchs Leben gehen wollte.Und Tom?Er hatte noch nie so etwas Überwältigendes, Berauschendes erlebt. Ihre Lippen, ihre Berührungen, wie wunderbar Rose schmeckte, wie zärtlich sie sich an ihn schmiegte, voller Sehnsucht ...Als er sich schließlich von ihr löste, sah er ihr benommen und schockiert in die Augen. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Es war fast, als würde sie zu ihm gehören. Er konnte es nicht so schnell begreifen, und das machte ihm Angst.Aber ihr Lächeln ...Vertrauensvoll legte sie die Hände in seine und sah zu ihm auf. „Also gut, Tom Bradley", flüsterte sie dann mit bebender Stimme. „Mein Höllenkämpfer. Mein ausgezeichneter Geburtshelfer..."„Ja?" fragte er unsicher. Er hätte sie am liebsten wieder an sich gezogen undleidenschaftlich geküsst. Doch er traute sich nicht, weil er nicht sicher war, ob er je wieder aufhören könnte, sie zu küssen.„Ich heirate dich", sagte Rose. „Was du zu geben bereit ist, ist zwar nicht annähernd genug, aber ich lasse mich trotzdem darauf ein. Ich will dich heiraten. Wann du willst. Du musst mir nur deine Bedingungen nennen."

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7. KAPITEL

Es dauerte vier Wochen, bis alle Hochzeitsvorbereitungen getroffen waren. In dieser Zeit durchlebte Tom die ganze Skala der Gefühle. Einerseits wollte er jeden Tag mit seiner neuen Familie genießen und sie lieben, wie er noch nie zuvor in seinem Leben zu lieben in der Lage gewesen war. Andererseits wäre er am liebsten zum anderen Ende der Welt verschwunden, weil ihm dies alles Angst machte. Am Hochzeitsmorgen sah er noch einmal nach der Herde und fütterte die Tiere. Es war eine gute Idee gewesen, aus dem Haus zu gehen, denn irgendwie hatte er sich dort plötzlich beengt gefühlt. „Sie sind ein Glückspilz", hatten die Nachbarn zu ihm gesagt und ihm herzlich auf die Schulter geklopft. „Rose ist ein nettes Mädchen, und ihr passt prima zueinander." Dem konnte er nur zustimmen, wenn er auch fürchtete, nicht unbedingt zum Ehemann zu taugen. Ein Mann gehörte an die Seite seiner Frau, doch er, Tom, hatte immer noch Bindungsängste. Außerdem hatte er Angst davor, dass Rose und die Zwillinge zu sehr von ihm abhängig werden könnten. Das wäre ein echtes Problem, denn er würde sie nur enttäuschen, wenn er sie verließ, um wieder seinem Beruf nachzugehen. Das würde er nämlich tun, gerade weil er Angst vor einer festen Bindung hatte. Und ausgerechnet ich will heiraten, dachte Tom und schüttelte den Kopf. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Am liebsten wäre er noch vor der Trauung davongelaufen. Er konnte sich doch nicht für den Rest seines Lebens an Rose binden, oder? Immerhin liebte er sie. Aber würde er es auch in fünfzig Jahren noch tun? Die Vorstellung, so lange mit einem Menschen zusammen zu sein, war irgendwie beunruhigend.Diese Ängste hatte er seiner Mutter zu verdanken. Wenn er sich gerade irgendwo heimisch gefühlt hatte, war sie mit ihm wieder weggezogen. Vielleicht könnte er seine Bindungsangst überwinden, da er die Ursache dafür erkannt hatte. Tom schüttelte abwägend den Kopf und begann, für die Herde Heuballen vom Traktor zu laden. Die Tiere sahen viel gesünder und kräftiger aus, seit er vor vier Wochen gutes Futter für sie besorgt hatte. Auch die kleine Kuh, der er bei der Geburt ihres Kalbs geholfen hatte, war jetzt fast so groß wie die anderen. Das Kälbchen war immer in ihrer Nähe. Wenn er das nächste Mal nach Hause käme, würde er sie wohl kaum von den anderen unterscheiden können. Bis dahin würde viel Zeit vergehen. Bei dem Gedanken, wieder richtig im Einsatz zu sein, wurde ihm gleich wohler. Er könnte jederzeit seine Sachen packen, fortgehen und alle emotionalen Bindungen kappen. „Ich brauche diese Farm nicht", sagte er zu seiner Lieblingskuh, als er sie fütterte. „Und ich habe getan, was ich konnte." Das stimmte. Er hatte die Zäune repariert und teilweise ersetzt. Die Auffahrt war wie neu, und er hatte begonnen, das Haus zu streichen. Es sah bereits viel besser aus. Vom Lieferwagen ertönte ein tiefes Bellen. Tom sah auf und entdeckte Joghurt, die ihm gefolgt war und nun auf die Ladefläche gehoben werden wollte. Die Welpen waren inzwischen fünf Wochen alt, und Joghurt musste sich ab und zu von ihren Mutterpflichten erholen. „Du musst Sam hinterherlaufen, wenn ich fort bin", riet er, als er sie hochhob. Er hatte Sam Baxter eingestellt, damit jemand sich um die Farm kümmerte, wenn er fort war. Es war gar nicht so einfach gewesen, einen geeigneten Mann zu finden. Tom hatte mit zwölf Bewerbern gesprochen, bevor er sich für den ruhigen, tüchtigen Sam entschieden hatte, der etwa Mitte fünfzig war. „Sam ist aber nur für die Arbeit auf der Farm zuständig", sagte er nun zu Joghurt. „Windeln wechseln muss Rose allein. Sie wird das auch ohne mich schaffen. Ich muss fort, sonst werde ich noch verrückt."

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„Du siehst bildhübsch aus, Rose", erklärte Joan Mitchell mit Tränen der Rührung in den Augen und zupfte an den Rosenknospen herum, die sie an einem Band durch Rose Lockengezogen hatte. „Deine Mutter wäre so stolz auf dich."„Sie würde sich wahrscheinlich darüber freuen, dass ich endlich vernünftig geworden bin", antwortete Rose und strich das apricotfarbene Seidenkleid glatt, das Tom ihr gekauft hatte. Ständig gab er wahre Unsummen für sie, die Zwillinge und die Farm aus.„Bitte mach eine Liste von allen Gläubigern", hatte er sie aufgefordert. Als sie sich weigern wollte, hatte er sie streng angesehen, „Es kommt nicht in Frage, dass meine Frauverschuldet ist. Das ist wohl das Mindeste, was ich für meine Familie tun kann."Hat er wirklich „meine Familie" gesagt? überlegte Rose, die glaubte, sich verhört zu haben. Sie wurde einfach nicht schlau aus Tom. An manchen Tagen war er geradezu entzückt bei der Vorstellung, endlich eine eigene Familie zu haben, dann wieder gab es Situationen, in denen er kühl und abweisend - fast verängstigt - reagierte.Sowie sie ihm nahe kam, wich er zurück. Er hatte Angst vor zu viel Nähe. An Liebesspiele war überhaupt nicht zu denken. Seit dem KUSS vor vier Wochen war es zu keinen weiterenZärtlichkeiten gekommen. Manchmal genügte ein Lächeln von ihr, schon ergriff er die Flucht.Wahrscheinlich will er mir einfach Zeit geben, damit ich mich von der Geburt der Zwillinge erhole, dachte Rose. Er hat wohl Angst davor, mir weh zu tun. Doch sie wusste, dass mehr dahinter steckte, nämlich seine unglückliche Kindheit. Er war zu oft verletzt worden, wenn seine Mutter ihn immer wieder aus der „Familie" herausgerissen hatte, zu der er gerade Vertrauen gefasst hatte. Tom war immer wieder entwurzelt worden, wie sollte er sich da plötzlich irgendwo auf Dauer heimisch fühlen? Das war wohl zu viel verlangt.„Er ist so ein netter Junge", sage Joan aufmunternd, als sie ihren ernsten Gesichtsausdruck sah. „Bei Tom brauchst du bestimmt keine Angst zu haben, dass er... Ich meine ... na, du weißt schon."„Du meinst, er ist anders als Chris?"„Ganz bestimmt. Mein Bob hat sich lange mit ihm unterhalten. Abgesehen von dem gefährlichen Beruf, den er ausübt, ist er ein sehr vernünftiger junger Mann."Ein größeres Kompliment kann es gar nicht geben, dachte Rose belustigt und sah aus dem Fenster.Tom kam gerade auf den Hof gefahren. Joghurt schaukelte auf der Ladefläche. Da ist er, dachte Rose. Mein zukünftiger Ehemann, meine große Liebe.Das darf er nicht wissen, sonst läuft er mir jetzt schon weg, überlegte sie.Vor der Trauung fand die Taufe der Zwillinge statt. Da der Pfarrer schon einmal da wäre, könnte das auch gleich erledigt werden, hatte Rose vorgeschlagen, und Tom hattezugestimmt.Rose nannte dem Geistlichen die Namen der Babys: Jessica Margaret Allen und Tobias Thomas Allen.Tom horchte auf und blickte sie fragend an. Sie strahlte und zwinkerte ihm zu.Die gesamte Nachbarschaft hatte sich auf der Farm eingefunden - etwa zwanzig Leute. Sie würden sich während seiner Abwesenheit um Rose kümmern, das wusste er. Jetzt wohnten sie der Taufe bei, da konnte er doch nicht hingehen und rufen: „Ich will aber nicht, dass der Kleine Thomas heißt!"Tobias Thomas.Rose hatte ihm Papiere zur Unterschrift vorgelegt. „Wenn du mich heiraten willst, dann musst du auch die Kinder adoptieren", hatte sie gesagt.Es würde zwei bis drei Monate dauern, bevor die Adoption rechtsgültig wäre, und dann würde aus „Tobias Thomas Allen" „Tobias Thomas Bradley" werden.In diesem Moment wäre Tom am liebsten vor der Verantwortung weggelaufen, doch die Taufe war beendet, Joan hatte Rose die Babys abgenommen, und nun stand die Trauung bevor.Jetzt nahm Rose seine Hand.Der Pfarrer betrachtete die beiden Menschen, die den Bund fürs Leben schließen

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wollten. Ein schönes Paar, dachte er, wie füreinander geschaffen. Die Braut war bildhübsch und wirkte etwas unsicher. Dabei war es schon ihre zweite Ehe. Und der Bräutigam machte nicht nur im Smoking eine ausgezeichnete Figur. Das wusste Pater Hendrick, denn er hatte schon verschiedentlich mit dem jungen Mann gesprochen, um ihn und die hübsche Braut auf die Ehe vorzubereiten. Es würde ihm Freude machen, diese beiden Menschen zu trauen. „Im Angesicht Gottes sind wir zusammengekommen, um diesen Mann und diese Frau in den heiligen Stand der Ehe ..." begann er. Rose drückte Tom die Hand und sah ihn ernst an. Noch kannst du es dir anders überlegen, besagte ihr Blick. Nein, das kam nicht infrage. Sie war so wunderbar, und er tat dies alles nur für sie. Für Rose und die Kinder. Mit mir hat das nichts zu tun, redete er sich ein, als er den Blick wieder auf den Geistlichen richtete. Ich bin weiterhin unabhängig. Und doch ... „Mit diesem Ring nehme ich dich zum Mann", erklärte Rose gerade leise. „Ich will dich lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet." Die Welt schien stillzustehen. Lieben und ehren... Tom sah ihr in die Augen und las tiefe Liebe darin. So viel zu seinem Plan, eine Vernunftehe zu führen ... Es war eine wunderbare Hochzeitsfeier. Die Nachbarn vergnügten sich alle sehr. Bob hatte seine Fiedel mitgebracht, Marg, eine andere Nachbarin, ihr Keyboard. Sie spielten munter auf, und die Hochzeitsgäste tanzten bis in die Nacht hinein. Rose hatte eigentlich auf eine Feier verzichten wollen. Die Nachbarn, die noch immer ein schlechtes Gewissen hatten, weil sie sie lange unfair behandelt hatten, hatten allerdings alles organisiert. Jeder hatte Geschenke mitgebracht und schmackhafte Gerichte zum Festessen beigesteuert. Selbst Joghurt und ihre Welpen hatten sich herausgeputzt. Rose hatte ihnen bunte Halsbänder umgebunden. „Meinst du, sie behalten sie um, weil sie spüren, dass dies ein wichtiges Fest ist, oder weil sie dumm sind?" fragte sie. Tom lachte und nahm einige Welpen auf den Arm. „Wie kannst du ihnen Dummheit unterstellen? So eine Unverschämtheit! Hört nicht auf sie, Jungs!" Sie zappelten auf seinem Arm und versuchten, ihm liebevoll das Gesicht zu lecken. Schnell setzte er sie wieder ab. Er würde die niedlichen Hundebabys sehr vermissen, wenn er fort war. Tom ließ den Blick durch den überfüllten Raum gleiten. Die Nachbarn waren alle so nett zu ihm und seiner Familie - und zu seiner Frau. Sie ist nur auf dem Papier meine Frau, dachte er. Und so sollte es auch bleiben. Er atmete tief durch, griff sich Joan, als sie an ihm vorbeigehen wollte, und tanzte temperamentvoll mit ihr durchs Zimmer. Kurz vor Mittemacht bat Bob um Gehör. „Jetzt spielen wir den Brautwalzer", rief er. „Ein langsamer Tanz fürs Brautpaar, und dann verabschieden wir uns alle und überlassen die beiden ihrem Glück." Beifall ertönte, einige Frauen bekamen vor Rührung feuchte Augen, und Tom blieb nichts anderes übrig, als mit Rose zu tanzen. Genau das hatte er den ganzen Abend über vermieden. Rose schmiegte sich zärtlich an ihn. Sie sah erschöpft aus. Es war ein langer Tag für sie gewesen. Die Zwillinge hatten sie um fünf Uhr früh geweckt, seitdem war sie auf den Beinen und hatte während der vergangenen Stunden keinen Tanz ausgelassen. „Du solltest längst im Bett sein", bemerkte Tom besorgt, als sie zu tanzen begannen. Sie passten perfekt zusammen. „Bringst du mich ins Bett?" flüsterte Rose und brachte ihn mit der Frage fast aus dem Takt. Er musste sich verhört haben. Oder? Tom nahm sich vor, sich ganz auf den Tanz zu konzentrieren. Das war allerdings leichter

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gesagt als getan mit Rose im Arm. Sie duftete so verführerisch, fühlte sich wunderbar an - ihm wurde heiß vor Sehnsucht.Sie tanzten miteinander, als wären sie füreinander geschaffen. Die Nachbarn sahen gerührt zu und hielten sie für das ideale Paar.Nur noch einige Tage, dachte Tom, der verzweifelt versuchte, unbeteiligt zu bleiben. Bald ist alles vorbei. Ich habe Frau und Kinder, aber ich werde woanders sein - allein.

„Wie wär's mit einer Tasse Kaffee?"Rose hatte gerade Toby gestillt und in seinen Stubenwagen gelegt und wandte sich ihm zu. Jessie war bereits versorgt und schlief fest. Tom hatte Gläser gestapelt, die am nächsten Tag von der Leihfirma abgeholt werden sollten. Er hatte gewartet, bis ...Eigentlich wusste er selbst nicht, worauf er gewartet hatte.„Lass doch die Gläser", sagte Rose leise. „Die können warten."„Ich würde das lieber noch schnell erledigen." Tom hielt den Blick abgewandt. Er konnte sich nur mit Mühe zusammenreißen. Seine Nerven waren angespannt. Rose trug noch immer ihr Hochzeitskleid. Die obersten Knöpfe hatte sie geöffnet, damit sie die Babysbequem stillen konnte. Es sah unglaublich verführerisch aus.Noch immer trug sie Rosenknospen im Haar. Barfuß ging sie jetzt durch die Küche. Der Anblick ihrer nackten Zehen, die unter dem Hochzeitskleid hervorlugten, war aufregend.Nein!„Es ist unsere Hochzeitsnacht, Tom." Sie kam zu ihm und nahm ihm die Gläser aus der Hand.„Ich..." Tom atmete tief durch. Es war unendlich schwer, ihr zu widerstehen. Rose war einfach wunderbar. „Und du solltest längst im Bett sein", meinte er rau.„Ich weiß." Sie schmiegte sich an ihn und legte ihm die Arme um den Nacken. „Ich gehe aber nur, wenn du mich ins Bett bringst."„Ich..." Er wollte zurückweichen, doch sie hinderte ihn daran.„Sag mal, Tom, wovor hast du eigentlich Angst?"„Ich habe keine Angst."„Du bist mutig genug, um gefährliche Ölquellenbrände zu löschen, aber du hast Angst, dich zu verlieben."„Mich zu verlieben?"„Ich liebe dich, Tom Bradley", erklärte sie. „Schlicht und ergreifend. Ich hätte nie gedacht, dass ich es je wieder sagen würde. Nach der Erfahrung mit Chris... Ich dachte, ich würde ihn lieben, aber jetzt weiß ich, dass ich mich getäuscht habe. Ich war viel zu jung, um zu wissen, was Liebe ist. Aber was ich für dich empfinde, ist überwältigend tiefe Liebe. Und du behandelst mich, als wäre ich das gefährlichste Feuer der Welt."„Ich habe dir doch erklärt, dass ich mich nicht binden kann, Rose", erwiderte Tom und schob sie energisch von sich.„Und doch möchtest du es gern." Ihr entging nichts. „Du begehrst mich."„Nein."„Warum nicht, Tom?"„Ach, das ist doch unwichtig." Er wandte sich um und sah in die dunkle Nacht hinaus. „Ich kann mich nicht binden, Rose. Du wirst eines Tages gehen."Schweigen. Schließlich fragte Rose leise: „Und wohin werde ich gehen, Tom Bradley?"„Keine Ahnung. Aber es wird passieren."„Nein."„Verstehst du es denn nicht?" erkundigte er sich ärgerlich und drehte sich heftig zu ihr um. „Ich bin einfach nicht für langfristige Beziehungen geschaffen. Ich habe so viele wunderbare Menschen kennen gelernt. Meine Mutter hatte sehr nette Freunde, viele von ihnen hatten schon Familie. Sie haben mich gern gehabt, sogar geliebt. Aber immer war es irgendwann zu Ende."„Daran war allein deine Mutter schuld", antwortete sie gelassen. „Aber dieses Mal kannst du

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selbst entscheiden. Du ganz allein."Tom sah sie an. „Nein, das habe ich versucht. Selbst Marty ..."„Marty ist gestorben", meinte sie leise. „Daran kann ich leider nichts ändern. Aber du hast deine Familie hier, wir lieben dich alle so sehr. Selbst wenn ich sterben würde, hättest du immer noch Jess und Toby und Joghurt und sieben Welpen und ganz viel Liebe. Wir warten nur darauf, dass du uns auch ein wenig lieb hast."„Rose."Rose kam zu ihm und umfasste zärtlich sein Gesicht. „Du wirst geliebt, Tom Bradley", sagte sie leise an seinem Mund. „Du gehörst zu uns, und wenn du das tausendmal bestreitest. Du hast gekämpft und gekämpft, aber diesen Kampf hast du verloren. Du kannst dich also ebenso gut ergeben. Du hast mich geheiratet. Ich bin jetzt Rose Bradley, deine Frau. Ich bin die Hälfte eines Ganzen. Ich habe dir ewige Liebe und Treue geschworen. Und ich habe keine Lust, nur eine Scheinehe zu führen. Ich will etwas davon haben, verheiratet zu sein."„Ich kann das nicht, Rose", entgegnete er und stöhnte. Doch sie lächelte nur und küsste ihn unendlich zärtlich.„Willst du damit behaupten, dass du mich nicht willst?"„Nein. Ja, aber ... Ach Rose..."„Okay, dann bring mich jetzt ins Bett."„Ich kann nicht..."„Wenn du befürchtest, dass mein Bett zu klein ist, dann kann ich dich beruhigen." Sie lachte. „Komm, ich möchte dir dein Hochzeitsgeschenk zeigen."Im nächsten Moment zog sie ihn schon mit sich und führte ihn aus der Küche. Jeder Widerstand war zwecklos.„Wohin...?"„Das wirst du gleich sehen. Lass dich überraschen."Der Weg führte zum vorderen Teil des Hauses, zu einem Zimmer, in dem bis zum Vortag kein einziges Möbelstück gestanden hatte. Rose öffnete schwungvoll die Tür und knipste das Licht an.Fassungslos ließ Tom den Blick durchs Zimmer gleiten. Mitten im Raum stand ein riesiges Himmelbett, das über und über mit altmodischen Bettdecken und Kissen in weißen Leinenbezügen bedeckt war. Wie einladend es aussah ...„Wo kommt das denn plötzlich her?" fragte er, als er die Sprache wiedergefunden hatte.„Ich habe es heute Morgen bringen lassen, als du die Herde gefüttert hast. Es ist das Bett meiner Eltern. Eigentlich stand es zum Verkauf im Antiquitätenladen in der Stadt. Aber niemand wollte es haben. Wahrscheinlich ist es den Leuten zu groß. Das finde ich allerdings überhaupt nicht. Jedenfalls habe ich Bob Mitchell gebeten, es zurückzubringen."„Rose." Er konnte kaum sprechen, weil er gegen etwas kämpfte, was er nicht einmal verstand. Und er verlor.„Chris und ich haben in einem Wasserbett geschlafen", erklärte sie leise. „Ich war mir sicher, dass dir dieses Bett gefallen würde."„Nein. Ich kann nicht."„Doch, du kannst."„Versuchst du etwa, mich zu verführen, Rose Allen?" brachte er hervor.Rose lachte leise. „Rose Allen gibt es nicht mehr. Aber Rose Bradley, Tom Bradleys Frau, hat gewisse Pläne."„Rose..."„Begehrst du mich wirklich nicht?" fragte sie verführerisch, schmiegte sich an ihn und begann, ihn zu küssen - zuerst ganz zärtlich, dann immer leidenschaftlicher.„Ich kann nicht."„Du kannst", widersprach sie und begann, die restlichen Knöpfe ihres Hochzeitskleidsaufzuknöpfen. Dabei ließ sie ihn keine Sekunde lang aus den Augen. Er wurde schwach.Ich muss sofort verschwinden, dachte Tom, war sich jedoch bewusst, dass es dazu zu spät war.

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Das Kleid glitt von ihren Schultern. Rose hakte den BH auf, und dieser glitt zu Boden. Die ganze Zeit sah sie ihn an. „Ich will dich, Tom Bradley", sagte sie, heiser vor Verlangen. „Ich habe dich vom ersten Augenblick an begehrt. Ich liebe dich, und du bist mein Mann. Bitte leg mich jetzt in unser Hochzeitsbett." „Ich muss fort, Rose." Tom versuchte, den Blick von ihr abzuwenden. „Du weißt, dass ich nicht bleiben kann." „Ja, ich weiß, dass du im Ausland arbeitest. Aber nicht heute Nacht. Heute Nacht bleibst du bei mir. Heute Nacht gehörst du mir." Im nächsten Moment glitt das Kleid zu Boden, und sie stand vor ihm - nur mit einem Spitzenslip bekleidet, den sie nun auch abstreifte. „Nimm mich, Tom", bat sie leise. „Bitte ..." Das gab den Ausschlag. Wie sollte er ihr eine Bitte abschlagen? Er konnte sich doch nicht einfach umdrehen und verschwinden! Tom machte die Augen zu, und sie kam zu ihm und schmiegte sich an ihn. „Nun?" „Bist du auch ganz sicher, Rose?" Er stöhnte wieder. Mit seiner Selbstbeherrschung war es vorbei. „Du weißt, dass ich fortgehen werde. Ich kann nicht für immer bleiben. Und ich möchte dir nicht wehtun." „Heute Nacht bleibst du bei mir, Tom", flüsterte sie. „Nur heute Nacht. Du bist mein Mann. Ich bin so lange allein gewesen, ich sehne mich so sehr nach dir. Ich brauche dich so sehr. Bitte liebe mich, Tom. Mein lieber Tom." Er sah sie an und konnte ihr nicht länger widerstehen. Kein Mann hätte ihr widerstehen können. Und sie war seine Frau. Seine Liebe. Tom stöhnte erneut auf und hob Rose hoch. Wie wunderschön sie war! Das große Bett wartete auf sie. Es war ein Hochzeitsbett, und es wollte von dem jungen Brautpaar eingeweiht werden. Tom Bradley gab jeden Widerstand auf. Im nächsten Moment lag er mit seiner Frau im Bett und küsste sie, bis sie den Verstand zu verlieren glaubte. Wie lange hatte sie auf diesen Moment gewartet! Endlich wurde ihr tiefes Verlangen von diesem wunderbaren Mann gestillt. Von ihrem Tom.

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8. KAPITEL

Rose wachte vor der Morgendämmerung auf. Im anderen Zimmer meldete sich einer der Zwillinge. Wie wunderbar, dachte sie. Ich habe sechs Stunden geschlafen. Mehr oder weniger. Eine Stunde, vielleicht auch länger, hatten Tom und sie sich geliebt. Sie lag an ihn geschmiegt. Er hielt sie umfangen. Es war ein wunderbares Gefühl, ihn so nahe zu spüren. Und wie gut er duftete! Er fühlte sich einfach fantastisch an. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Rose das Gefühl, dass sie wirklich geliebt und begehrt wurde. Um ihrer selbst willen. Tom war ein ausgezeichneter, fantasievoller Liebhaber ­zärtlich und stark, geduldig und fordernd zugleich. Er wollte, dass sie beide auf ihre Kosten kamen. Es war wunderschön gewesen. Zuerst hatte Rose gefürchtet, nach der Geburt vielleicht Schmerzen bei der Liebe zu haben, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Mit Tom eins zu werden war das Schönste, was sie je erlebt hatte. Sie waren wie füreinander geschaffen. Wieder meldete Toby sich. Rose mochte allerdings noch nicht aufstehen. Sie schmiegte sich an ihren Mann, und er zog sie im Schlaf enger an sich und küsste sie zärtlich aufs Haar. „Schön", murmelte Tom. „Bleib hier." Und dann war er schon wieder eingeschlafen. Ich soll bleiben, dachte Rose hingerissen. Das waren ganz neue Töne! Leider konnte sie seiner Bitte in diesem Moment nicht nachkommen, denn die Zwillinge wollten gestillt werden. Die Liebe musste noch einen Moment warten. Aber nur einen ganz kleinen! Rose drehte sich in seinem Arm um, küsste Tom zärtlich auf die Nasenspitze und stand trotz seines schlaftrunkenen Protests auf. Dann holte sie die Zwillinge aus dem Neben­zimmer, in das er am Vorabend die Stubenwagen geschoben hatte, und ging barfuß in die Küche. Als er sich bewusst geworden war, dass er die Nacht nicht in der Küche verbringen würde, hatte er sich kurz von ihr gelöst - für etwa dreißig Sekunden -, um die Babys ins Nebenzimmer zu bringen. „Wenn ich nicht ein Auge auf die Kleinen habe, dann landen die Welpen noch in den Stubenwagen und die Babys im Hundekorb", hatte er erklärt. Typisch Tom, dachte Rose hingerissen. Er ist so unglaublich umsichtig. Wie viele Männer schliefen mit ihrer Frau und dachten dann kurz vorm Einschlafen an das Wohlergehen der Babys? „Vor dem Einschlafen" stimmte nicht ganz, denn es war zwischen zwei Liebesspielen gewesen. Ihr Tom! Ihr lieber, lieber Tom! „Er muss bei uns bleiben", sagte sie zu Toby, als sie ihn aus dem Stubenwagen hob. „Mal sehen, wie wir das erreichen können. Er ist dein Daddy, mehr, als Chris es je hätte sein können. Er liebt dich. Er liebt uns." Auch wenn er dachte, er wäre nicht fähig zu lieben. „So ein Unsinn", fuhr sie so laut fort, dass Joghurt erschrocken aufsah. „Er kann lieben, er hat nur Angst, verletzt zu werden oder uns zu verletzen." Aber das befürchtete er mittlerweile nicht mehr, oder? Tom wachte auf, als Rose auf Zehenspitzen aus dem Zimmer ging. Zunächst blieb er reglos liegen und genoss das warme Bett, das noch nach ihr duftete. Rose ... Sie war zwar nicht die erste Frau, mit der er geschlafen hatte, doch mit ihr war es anders gewesen als mit den anderen. Fast schien es, als wären sie füreinander bestimmt. Rose war die wundervollste Frau, die ihm je begegnet war. Ob ich bleiben kann? überlegte er. Vielleicht. Tom drehte sich auf den Rücken und rekelte sich. Entspannt lauschte er den morgendlichen Geräuschen. In der Nähe des Hauses begrüßte eine Kuh den Morgen mit leisem Muhen. Etwas weiter entfernt krähte ein Hahn. Rose ging in der Küche hin und her und versorgte die Zwillinge. Dabei sprach sie leise zu ihnen und den Hunden. Es war alles ... perfekt.

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Ähnliches hatte er allerdings auch zuvor schon empfunden. Vielleicht nicht ganz so perfekt, dachte Tom. Aber immerhin. Er hatte schon einmal auf einer Farm gewohnt. Sie hatte seinem dritten oder vierten Stiefvater gehört. Er hatte sehr an dem Mann gehangen, der ihm das Angeln beigebracht und ihm alles über das Farmleben erzählt hatte, was er wusste. Er, Tom, war sechs, vielleicht auch sieben und sehr glücklich gewesen. Endlich hatte seine Mutter den Richtigen gefunden, glaubte er.Zu Weihnachten bekam er ein Pony. Es hieß Blacky und gehörte ihm ganz allein. Das sagte Henry jedenfalls. Er war der neue Partner seiner Mutte r. „Das ist mein Weihnachts­geschenk für dich, Tom", erklärte er. „Behandele sie gut. Ich bin gespannt, ob ein guter Reiter aus dir wird."Am Abend schlief Tom glücklich ein. Doch am nächsten Morgen kam das böse Erwachen.Seine Mutter hatte mal wieder ihre Sachen gepackt. „Ich bin nun mal keine Hausfrau", antwortete sie kurz angebunden, als er sie fragte, was denn los wäre. „Ich gehöre keinem Mann. Ich fühle mich hier eingeengt, und wenn er sich einbildet, mich kaufen zu können, nur weil er nett zu dir ist..."Henry hatte keine Chance. Ehe Tom wusste, wie ihm geschah, war seine Mutter bereits mit ihm unterwegs. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich von Blacky zu verabschieden.Vielleicht bin ich genau wie meine Mutter, überlegte Tom traurig. Wie kann ich hier auf der Farm bleiben, wenn ich mich auch eingeengt fühle?Doch an diesem Morgen fühlte er sich einfach wunderbar. Wenn das nur so bleibt, dachte er auf dem Weg ins Badezimmer.Unter der Dusche führte er Selbstgespräche . „Und wenn sie sich nun von mir abhängig macht? Sie liebt mich, sie ist verletzlich. Ich lasse es zu, dass sie sich an mich hängt, und dann fühle ich mich eingeengt. Genau wie meine Mutter ... Vielleicht aber auch nicht. Und wenn doch? Dann verschwinde lieber sofort."Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er alles für Rose getan hatte, was er sichvorgenommen hatte. Er hatte sie geheiratet, damit sie finanziell abgesichert war. Von Zeit zu Zeit würde er sie besuchen. Das wird ihnen kaum genügen, überlegte er. Schon gar nicht Rose, besonders nicht nach der überwältigenden Liebesnacht.Das hätte nie passieren dürfen, dachte er, wirklich sehr dumm von mir. Nun haben wir die Bescherung. Rose liebt mich. Es wäre grausam, sie einfach so zu verlassen.Aber es muss sein. Wenn ich jetzt nicht gehe, komme ich nie von ihr los.

Rose sah ihn nur verständnislos an, als Tom versuchte, ihr seine Gefühle zu erklären. Er erzählte ihr sogar von Blacky.„Du musst also nicht fort, um irgendwo einen Brand zu löschen", sagte sie nachdenklich, trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und sah verletzt auf. „Es gibt keinen Grund."„Ich habe es dir doch gerade erklärt."„Du hast zu mir gesagt, du heiratest mich und verlässt mich. Aber nur, wenn du irgendwo einen Einsatz hast. Wenn ich dich richtig verstanden habe, liegt im Moment nichts an."„Ich rufe Charlie an, meinen Boss ..."„Du meinst, er wird schon irgendwo einen Einsatz für dich finden?"„Nein, aber ..."„Dann sagst du ihm also, du wartest in einem Motel auf seinen Anruf - einsatzbereit und den Feuerlöscher zur Hand."Tom rang sich ein Lächeln ab. „So ungefähr", gab er zu. „Ich kann nicht hier bleiben, Rose."„Und warum nicht?"Er atmete tief durch. „Weil ich das Gefühl habe, dass ich mich in dich verliebe."So, jetzt war es heraus. Allerdings konnte es nicht stimmen! Ein Tom Bradley verliebte sich doch nicht!Rose ahnte nicht einmal etwas von seinem inneren Konflikt. „Ist das so ein Verbrechen?" fragte sie und sah ihm tief in die Augen. Sie trug noch das durchsichtige

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Spitzennachthemd, das sie sich für die Hochzeitsnacht gekauft hatte - oder besser gesagt, für den Morgen danach. Denn in der Nacht war sie nicht dazu gekommen, esüberzustreifen ...„Ich würde dir nur wehtun, Rose."„Wenn du jetzt gehst, dann tust du mir weh", antwortete sie langsam.„Ich habe dir nie etwas versprochen."„Doch, du hast mich vergangene Nacht in den Armen gehalten und mich geliebt."„Das tut mir bereits Leid", meinte er ärgerlich. „Ich wollte, dass unsere Ehe nur auf dem Papier besteht."„Hatte deine Mutter auch Angst vor Bindungen?" erkundigte sich Rose, die nichts unversucht lassen wollte, um Tom zu halten. „Hat sie dich deshalb ständig aufs Neue entwurzelt?"„Ich weiß es nicht."„Es geht dir gar nicht darum, mir nicht wehzutun, sondern darum, dass du feige bist. Du hast Angst, zuzugeben, dass du mich brauchst."„Rose!"„Wir brauchen einander, Tom. Jetzt kennen wir uns schon länger als fünf Wochen. Mir war aber schon nach fünf Minuten bewusst, dass ich dich liebe. Ich begehre dich, du bist mein Mann. So, nun weißt du alles. Wenn du dich jetzt in irgendeinem Motelzimmer verkriechst..."„Ich verkrieche mich doch nicht."„Und ob!" Sie funkelte ihn wütend an. „Du versteckst dich vor der Wahrheit. Von mir aus kannst du gehen, aber mein Ehemann bleibst du trotzdem. Wir lieben dich, dein Platz ist hier, bei uns. Bei deiner Familie, in deinem Zuhause."„Rose."Rose wandte sich ab, damit er ihre Tränen nicht sah. Als Tom sie wieder zu sichherumdrehen wollte, riss sie sich wütend los. „Geh doch, verschwinde!" sagte sie, bitter enttäuscht. „Verkriech dich, und genieß deine Einsamkeit."„Ich..."„Tom!" Sie wirbelte herum und sah ihn flehend an. „Ich kann damit nicht umgehen", fügte sie mit versagender Stimme hinzu. „Bitte geh. Feige kannst du auch woanders sein."„Ich bin kein ..."„Feigling?" Rose hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Doch, das bist du. Du magst ja Höllenfeuer löschen, Kindern auf die Welt helfen und Windeln wechseln, aber vor der wichtigsten Sache der Welt läufst du davon! Vor der Liebe."

„Momentan ist nichts los."„Was soll das heißen?" fragte Tom aufgebracht. „Irgendwo muss es doch Arbeit für mich geben."„Nein. In Mexiko brennt zwar ein kleines Feuer, aber ..."„Gut, dann schick mich nach Mexiko."„Steve ist schon da."„Ha!"„Steve ist ein guter Mann. Nur weil er fünf Jahre jünger ist als du, muss er ja nichtschlechter sein. Du kannst stolz auf ihn sein. Schließlich hast du ihn ausgebildet."„Ja, aber ..."„Das ist überhaupt die Idee", sagte Charlie. „Du hast deine Erfahrungen gemacht, nun konzentrierst du dich darauf, sie weiterzugeben. Ausbildung und Einsatzplanung, darum kümmerst du dich jetzt, bevor dich das Glück verlässt."„Ich brauche ein Feuer, Charlie."„Was erwartest du von mir? Soll ich eine Ölquelle bombardieren, damit du deinerPyromanie frönen kannst?" Charlie seufzte. „Komm nach Houston, ich habe hier einen Bürojob für dich."„So weit kommt es noch!"Charlie lachte. In seiner Stimme schwang aber auch Besorgnis mit. „Was hast du

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eigentlich im Urlaub gemacht? Dich mit Bier und Frauen amüsiert, oder?"„Nur mit einer." Verflixt, das hatte er eigentlich für sich behalten wollen! Als Charlie erstaunt schwieg, wusste Tom gleich, dass er einen Fehler gemacht hatte.„Nur mit einer?" hakte Charlie schließlich nach. Er war wie Joghurt, wenn sie eineWitterung aufgenommen hatte. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet er das größteBrandbekämpfungsunternehmen der Welt leitete, das sich auf Ölquellenbrände spezialisiert hatte. Er war hochintelligent. „Das klingt interessant", fügte er hinzu, als Tom nichts sagte. „Willst du Onkel Charlie nicht von ihr erzählen?"„Nein."„Soso!" Charlie pfiff durchs Telefon. Tom wusste genau, wie er jetzt aussah: Ohren gespitzt und die Augen zusammengekniffen. Charlie wollte alles über sein Team wissen. „Name?"„Rose, aber ..."„Ach, meine Maddie heißt mit zweitem Vornamen auch Rose", meinte Charlie erfreut. „Denkst du ans Heiraten?"„Nein", antwortete Tom abweisend. „Ich habe schon geheiratet."„Das ist ja ein Ding!" Charlie war verblüfft.„Wir haben Zwillinge bekommen."„Innerhalb von gut fünf Wochen?"„Ich bin eben schnell", erklärte Tom stolz. „Zuerst kamen die Siebenlinge, dann Zwillinge. Aber nun kenne ich das und muss da heraus."„Du machst Witze." Man hörte Charlie die Enttäuschung an. „Jetzt hätte ich dir fastgeglaubt."„Dann gib mir einen Job."„Es gibt gar keine Rose, oder?"„Gib mir einen Job, Charlie."Charlie seufzte. „Du hast ja dein Handy. Ich werde sehen, was sich machen lässt. Wenn du dich unbedingt selbst in die Luft jagen willst, von mir aus. Aber es wäre dir zu wünschen, wenn du wirklich bald eine Rose finden würdest, falls du noch keine hast."Ich brauche sie nicht, dachte Tom finster, als er den Hörer auflegte. Ich bin gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.Und nun wollte er das Strandleben genießen, das eine oder andere Bier trinken, schönen Frauen nachsehen und... Eigentlich gab es nur eine schöne Frau auf der Welt für ihn: Rose.Hoffentlich ruft Charlie bald an, überlegte Tom. Ich werde sonst noch verrückt!Denn es war doch verrückt, dass er am liebsten alles liegen und stehen lassen und zu Rose zurückfahren wollte.Schließlich rief Rose ihn zuerst an - nicht Charlie.Für den Notfall hatte er ihr die Handynummer gegeben. „Falls etwas mit den Zwillingen ist oder so..." hatte er gesagt, als er sie aufgeschrieben hatte. Er hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass Rose tatsächlich davon Gebrauch machen würde.Jetzt kehrte er gerade von seinem Frühsport zurück - er schwamm jeden Morgen ausgiebig im.Meer - und sah, dass er eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter seines Handys hatte.Charlie hat sich gemeldet, dachte Tom. Endlich! Er konnte die Wiedergabetaste gar nicht schnell genug betätigen. Als er dann nicht Charlies sonore Stimme hörte, sondern Roses, erschrak er.„Tom, wir haben hier ein echtes Problem. Bitte ruf mich an."Innerhalb von zwei Sekunden hatte er die Nummer gewählt. War den Zwillingen etwas passiert? Standen die Gerichtsvollzieher vor der Tür? Hatte jemand eingebrochen?Vielleicht war ein Feuer ausgebrochen. Wieso ging sie nicht ans Telefon?Tom wurde immer unruhiger. Nachdem Rose sich schließlich gemeldet hatte, hörte man deutlich seine Anspannung, als er fragte: „Rose?"„He, Tom, beruhige dich wieder!"„Die Zwillinge ..."

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„Denen geht es gut."„Du...?"„Mir geht es auch gut. Wo bist du gerade?"„In Sydney. Manly Beach."„Oh." Sie atmete erleichtert auf. „Ich hatte schon befürchtet, dass du schon im Ausland bist."Das wäre jedenfalls besser gewesen! Vielleicht hätte er Charlies Bürojob in den USA doch annehmen sollen. Zumindest wäre er dann mehr als nur einige Autostunden von ihrentfernt gewesen. „Nein, ich bin noch in Australien", antwortete er kurz angebunden. „Was ist denn nun eigentlich passiert?"„Ich sollte dich damit wohl wirklich nicht belasten, aber ... es geht um Joghurt."„Was ist mit ihr?"„Sie hat nichts mehr gefressen, seit du fort bist. Sie sitzt nur herum und trauert. Wenn ich die Welpen nicht entwöhnt hätte, wäre sie wahrscheinlich schon tot. Sie ist völligentkräftet."Joghurt schien zu verhungern. Aber ... sie ist doch nur ein Hund, dachte Tom. „Ich fürchte, da werde ich auch keine große Hilfe sein", meinte er schließlich.Rose seufzte. „Nein, wahrscheinlich nicht."„Warst du mit ihr schon beim Tierarzt?"„Natürlich."„Was hat er gesagt?"„Dass sie deprimiert ist und wahrscheinlich jemandem nachtrauert, den sie sehr geliebt hat. Ihr Zustand hatte sich etwas gebessert, als du dich um sie gekümmert hast, aber dann hast du sie auch verlassen."Das darf nicht wahr sein! dachte Tom. Da mache ich mir große Sorgen, und nun erfahre ich, dass nur der Hund deprimiert ist. Allerdings ging es um Joghurt. „Hast du ihr Steak zu fressen gegeben?" erkundigte er sich. „Wir können es uns leisten, du brauchst ihr nicht dieses Trockenzeug zu geben."„Selbstverständlich hat sie Steak bekommen. Es macht mir nichts aus, dein Geld für deinen Hund auszugeben", antwortete Rose beleidigt.„Sie ist nicht mein Hund."„Wem gehört sie dann?"„Dir", sagte er großmütig.Sie seufzte. „So einfach ist das leider nicht, Tom. Gefühle kann man nicht abschalten. Du lässt Geld für Steaks da und verschwindest!"„Das habe ich ..."„Joghurt verzehrt sich nach dir. Der Tierarzt befürchtet, dass sie stirbt, wenn sie nicht bald aufgemuntert wird."„Du machst Witze!"„Kaum, dazu ist die Sache viel zu ernst", entgegnete sie wütend. „Joghurt hat den Kopf auf meine bloßen Füße gelegt und sieht mich mit ihren großen feuchten Augen an, während ich mit dir telefoniere. Soll ich dir ein Video schicken, damit du dich von ihrem Zustand überzeugen kannst?"„Nein."„Sie ist dein Hund, Tom. Du hast sie gerettet und hergebracht. Komm zurück, und kümmer dich um sie."„Das geht nicht."„Gut, dann möchte ich dein Einverständnis, sie einschläfern zu lassen. Sag was, TomBradley! Ich denke nämlich nicht daran, zuzusehen, wie die arme Joghurt sich zu Tode hungert, nur weil du so egoistisch bist!" Wütend legte Rose den Hörer auf.Bin ich wirklich egoistisch? überlegte Tom. Er hatte Rose geheiratet und dafür gesorgt, dass sie und die Kinder schuldenfrei waren. Das war doch großzügig, oder?Nein, selbst das war egoistisch gewesen. Er hätte es nicht ertragen können, sie einsam,

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verletzlich und mit einem Schuldenberg zurückzulassen. Sie war so liebenswert und begehrenswert. Sie hatte ihn geheiratet und gewollt, dass er bei ihr blieb. Und er hatte ihr den Rücken gekehrt, weil er Angst vor ihren und seinen Gefühlen hatte. Ich bin wie meine Mutter, dachte Tom verbittert. Wenn er es zuließ, dass Rose und die Kinder sich gefühlsmäßig an ihn banden, wenn die Zwillinge ihn als ihren Vater betrachteten... Bei dieser Vorstellung hatte er sich auf der Farm eingeengt gefühlt. Deshalb war er fortgegangen. Nach fünf Wochen! Aber es war wunderbar gewesen, Rose zu lieben. Anschließend hatte er sich nicht eingeengt gefühlt. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung für ihn. Tom stand auf und ging auf und ab, um sich zu beruhigen. Irgendwie musste er seine Klaustrophobie in den Griff bekommen. Vorher konnte er sich auf der Farm nicht blicken lassen, denn dann bestand erneut die Gefahr, dass er wieder in Panik geriet und Rose und die Kinder fluchtartig verließ. Und Joghurt. Joghurt, die magersüchtige Bluthündin! Sie ist ja nur ein streunender Hund, sagte er sich, um sein Gewissen zu beruhigen. Dann fiel ihm allerdings etwas auf. Joghurt war alles andere als eine Streunerin! Sie war ein reinrassiger Bluthund. Mitten in der Nacht war sie aufgestanden, zu ihm aufs Sofa gesprungen und hatte ihm das Gesicht geleckt, während er schlief. Eine Bluthündin mit traurigen Augen, die ihn begleitet hatte, als er die Kühe fütterte. Sie hatte ihn hingebungsvoll angesehen. Ich muss etwas tun, dachte Tom. Ich kann Joghurt nicht zu Grunde gehen lassen! Sie liebt mich. Oder? Nein, nicht mich, jemanden, den sie früher gekannt hat. Ich bin nur ein Ersatz. Das war es! Er setzte sich aufs Hotelbett und begann, einen Plan auszuarbeiten. So viele Bluthunde namens Joghurt konnte es in Australien nicht geben. Rose und er hatten zwar schon eine Zeitungsanzeige geschaltet, auf die sich niemand gemeldet hatte, doch er nahm sich vor, es noch einmal zu versuchen. „Wahrscheinlich ist sie ausgesetzt worden", hatte Rose damals gesagt. Eigentlich waren sie beide froh gewesen, dass niemand auf die Anzeige reagiert hatte, denn sie wollten Joghurt gern behalten. Deshalb hatten sie auch nichts mehr unternommen, um Joghurts Vorbesitzer zu finden. Allerdings hatte die Situation sich inzwischen geändert. Wer hält sich einen Hund wie Joghurt und setzt ihn dann aus? überlegte Tom. Jedenfalls musste der ehemalige Besitzer das Tier geliebt haben oder mit jemandem zusammen gewesen sein, der Joghurt geliebt hatte. Wenn man diese Person finden könnte ... Aber wie? Vielleicht mit Geld, dachte Tom. Wahrscheinlich würde er vorübergehend auf die Farm zurückkehren müssen, um Joghurt zu retten. Aber das würde er auch überstehen. Vor einer Woche war er verschwunden. Im Leben der kleinen Zwillinge war eine Woche eine lange Zeit. Ob sie schon lächeln konnten? Würden sie das Lächeln ihrer Mutter haben? Verflixt! fluchte er im Stillen, stand auf und begann, seine Reisetasche zu packen. Dabei redete er sich ein, dass er nur zur Farm zurückkehrte, um Joghurt zu retten, aus keinem anderen Grund! „Er kommt."

Rose legte den Hörer auf und umfasste Joghurts großen Kopf. „Und wenn nicht, dann müssen wir eben allein zurechtkommen, Joghurt, mein Mädchen. Wir schaffen es auch ohne Männer. Das wäre ja gelacht." Joghurt sah sie traurig an. „Aus dir wird nie eine Feministin", sagte Rose vorwurfsvoll. „Wie kommst du dazu, einem Mann nachzuweinen? Wir Frauen haben so viel erreicht..." Bluthundfrauen offenbar nicht. Rose seufzte, stand auf und schnitt ein kleines Steak für Joghurt. Doch die Hündin seufzte nur und verschmähte das Fleisch. „Das ist wirklich zu dumm", schimpfte Rose. „Wieso trauerst du Tom Bradley nach? So toll ist er nun auch wieder nicht."

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Sie wusste selbst, dass sie sich und Joghurt mit der Behauptung etwas vormachte.

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9. KAPITEL

In den drei Tagen, die Tom für die Rückfahrt zur Farm benötigte, betätigte er sich als gerissener Detektiv. Auf eine neue Anzeige, die er aufgegeben hatte, meldeten sich die unterschiedlichsten Menschen, mit denen er sprach.Und dann lernte er einen Hund kennen. Dieses Tier schien fast so deprimiert zu sein wie Joghurt.„Sie bringt mich um", sagte er zu dem mit Flohbissen übersäten, abgemagerten Hund, als er ihn in den neuen kleinen Mietwagen schob und die letzte Etappe zur Farm zurücklegte.Doch er war sich seiner Sache ziemlich sicher. Trotzdem verlangsamte er das Tempo immer mehr, je näher die Farm rückte. Vor der Abbiegung, die zum Haus führte, hielt er an und sah sich um. Langsam nahm alles Gestalt an. Vor seiner Abreise hatte er begonnen, das Haus zu streichen. Diese Arbeit war jetzt abgeschlossen. Das Haus war kaum wiederzuerkennen. Zwischen den hohen Bäumen hindurch schimmerte es hell undeinladend. Sehr einladend.„Ich bin nur zu Besuch hier", erklärte er dem Hund an seiner Seite. „Im Gegensatz zu dir. Du kannst hoffentlich bleiben. Wenigstens so lange, bis wir jemanden gefunden haben, der sich gut um dich kümmert. Mit etwas Glück ..."Der Hund sah auf, als hätte er das Wort Glück noch nie gehört.„Nun lächel doch mal", schlug Tom vor. „Sie mag es, wenn man lächelt."Und sie hatte das schönste Lächeln der Welt...Jetzt konzentrier dich auf deinen Job, Tom Bradley, sagte er zu sich selbst. Dieser Job bestand darin, den Hund abzuliefern und schnell wieder zu verschwinden.Du bist doch ihr Mann, meldete sich seine innere Stimme.„Nur auf dem Papier", behauptete Tom. „Aber ich besuche sie von Zeit zu Zeit."Der Hund sah ihn an, als wäre er verrückt.Na ja, wahrscheinlich bin ich das auch, dachte Tom.Es dauerte eine Weile, bis Rose die Tür öffnete, nachdem er geklopft hatte. Tom hörte einen der Zwillinge weinen und wäre am liebsten sofort ins Haus marschiert, um nach demRechten zu sehen, widerstand dem Impuls jedoch. „Ich bin nur zu Besuch", flüsterte er dem Hund zu und rang sich ein Begrüßungslächeln ab, das ausdrücken sollte: Ich bin nur auf einen Sprung hier.Als Rose schließlich an die Tür kam, strahlte er übers ganze Gesicht.Seih Lächeln verschwand. Sie wieder zu sehen war unendlich schmerzvoll. Es war einfach unglaublich!Rose trug Jeans und ein überdimensionales Männerhemd. Sie war barfuß, hatte sichoffensichtlich gerade die Haare gewaschen und wirkte unbeschreiblich sexy. Als sie ihn erstaunt und erfreut anlächelte, hätte er sie am liebsten an sich gezogen.Doch irgendwie gelang es ihm, sich zurückzuhalten. Er sah sie nur an.Auch Rose war nun ernst geworden. In ihren Augen spiegelte sich Schmerz. „Tom."Dieses einzige Wort war wie eine Liebkosung. Sie standen sich reglos gegenüber und blickten einander nur an.Der Hund bewegte sich zuerst. Rastlos drängte er sich an Toms Bein. Fassungslosbetrachtete Rose das Tier.„Noch ein Bluthund", sagte sie ausdruckslos.„Ich habe ihn dir mitgebracht."Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.„Er heißt Boris", erklärte Tom hilfsbereit.„Aha. Sag mal, ist das ein Tick von dir, durchs Land zu ziehen, streunende Bluthundeaufzulesen und sie bei mir abzuliefern?"„Soll ich es dir erklären?"„Das wäre vielleicht keine schlechte Idee."„Ich könnte hereinkommen", schlug er vor. Rose nickte, machte Platz und ließ ihn eintreten.

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„Natürlich. Du weißt ja, dass die Farm dir gehört."„Ich habe sie nur von den Zwillingen gepachtet." Sie hatten den Vertrag abgeschlossen, damit Rose und die Kinder abgesichert waren. Niemand konnte ihnen ihr Zuhausewegnehmen, und er zahlte für die Ausbildung der Zwillinge Geld in einen Treuhandfonds ein.„Ja, ich weiß. Dann komm herein in dein gepachtetes Haus. Möchtest du in deinerEigenschaft als Pächter vielleicht mal nach dem Rechten sehen?"„Rose!"„Nun komm schon!" Sie sah ihn wütend an, als er zögernd stehen blieb.Schließlich machte Tom die Küchentür auf. Auf diesen Moment schien Boris nur gewartet zu haben. Er drängte sich an ihm vorbei und blieb mitten in der Küche stehen. Joghurt, die am Herd lag, sah apathisch auf.Und dann geschah etwas ganz Außergewöhnliches.Zuerst erblickte Joghurt Tom. Sie hatte seine Stimme erkannt und begann, langsam mit dem Schwanz zu wedeln, als sie unsicher aufstand.Und dann entdeckte sie Boris.Einen Augenblick lang blieb sie reglos stehen. Sie zitterte am ganzen Körper und versuchte zu erfassen, wer da vor ihr stand. Lange sah sie ihn nur starr an. Dann machte Boris Bluthund zaghaft einen Schritt auf sie zu.Plötzlich kam Leben in Joghurt. Sie schoss aus dem Hundekorb, als hätte dieser Feuer gefangen. Mit einem gewaltigen Sprung setzte sie nach vorn, die Ohren angelegt, und winselte einmal schrill auf. Zehn Zentimeter vor Boris blieb sie stehen.Anschließend herrschte wieder gespannte Stille.Beide Hunde standen sich reglos gegenüber und betrachteten sich prüfend. Schließlichbeugte Joghurt sich vor und schnüffelte, genau wie Boris.Und plötzlich verwandelten die traurigen, apathischen Bluthunde sich in fröhliche, aufgeregt bellende Wesen, die sich aufeinander stürzten, beschnüffelten, leckten und offensichtlich gar nicht genug voneinander bekommen konnten. Sie benahmen sich wie tapsige Welpen.Tom und Rose betrachteten das Schauspiel erstaunt. Sie waren froh, vorübergehend von ihren eigenen Problemen abgelenkt zu sein.„Sieh dir mal Joghurts Schwanz an", sagte Rose fasziniert. „Sieh doch nur!"Der Schwanz wirbelte wie die Rotoren eines Hubschraubers, die Ohren flatterten Joghurt um den Kopf, und Speichel flog durch die Küche.„Igitt, meine frisch gestrichenen Wände", sagte Rose entsetzt. „Ich glaube nicht..."„Ich aber." Tom lachte. „Aber ich finde, die beiden sollten ihr Wiedersehen jetzt lieberdraußen weiterfeiern." Er zog die beiden großen Tiere an den Halsbändern auf die Veranda. Die Wiedersehensfreude kannte keine Grenzen. Die beiden Hunde sprangen von derVeranda und rasten übermütig ums Haus.„Ich werde den Eindruck nicht los, dass diese beiden Hunde sich irgendwo schon einmal begegnet sind", meinte Rose vorsichtig, als die Tiere das Haus zum dritten Mal umrundeten.Wieder lachte Tom. „Wie kommst du nur darauf?"Rose verschluckte sich fast vor Lachen, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Willst du mir nicht endlich erzählen, was dahinter steckt?"Er sah sie an. Sie war einfach überwältigend. Trotzdem musste er versuchen, sich unbeteiligt zu geben, aus reinem Selbstschutz und weil er sie nicht verletzen wollte, wenn er wieder die Flucht ergriff.„Joghurt heißt in Wirklichkeit gar nicht Joghurt", erklärte er und wandte schnell den Blick ab.„Nein?"„Sie heißt T-Bone."„Das ist nicht dein Ernst."„Doch."„Du erzählst mir das nicht, um mich zu überreden, noch einen Bluthund aufzunehmen, oder?"

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„Das würde ich niemals tun." „Und trotzdem hast du noch einen mitgebracht." „Eigentlich wollte ich das gar nicht." „Aha. Jedenfalls haben wir nun einen Hund namens Boris und einen, der bis jetzt Joghurt hieß, von dem wir aber inzwischen wissen, dass sein eigentlicher Name T-Bone ist. Alles klar, Tom." „Ich ..." Es war so schwer, sich auf die Hunde zu konzentrieren, wenn er viel lieber Rose in den Arm genommen hätte. „Ja?" Tom atmete tief durch und riss sich zusammen. „Die Hunde haben einer alten Dame in Kingston gehört", erzählte er. „Sie hat ihnen diese Namen gegeben. Boris und T-Bone haben übrigens einen untadeligen Stammbaum. Die alte Lady hing sehr an ihnen und gab ihre ganze Rente für Hundefutter aus. Leider wurde sie mit der Zeit so gebrechlich, dass sie sich nicht mehr selbst um die Hunde kümmern konnte. Sie gab einem Mädchen aus der Nachbarschaft Geld dafür, dass es jeden Nachmittag einen Spaziergang mit ihnen machte. Als sie dann einen Herzinfarkt erlitt, bat sie Melissa, die Hunde zu sich zu nehmen." „Melissa?" „Sie ist arbeitslos und nicht besonders helle. Jedenfalls hat sie mit Marihuana rauchenden Veganern in einer Wohngemeinschaft gehaust und nur ab und zu durch Gelegenheits­arbeiten etwas Geld verdient. Sie ist nicht besonders intelligent, hat aber ein Herz aus Gold. Jedenfalls hat sie Boris und T-Bone bei sich aufgenommen, obwohl sie es sich überhaupt nicht leisten konnte. Dann ist die alte Dame gestorben." „Ach so", sagte Rose und betrachtete die Hunde, die sich inzwischen vor der Veranda niedergelassen hatten und einander beschnüffelten. „Und dann?" fragte sie schließlich, als Tom wieder schwieg. „T-Bone wurde in Joghurt umbenannt. Schließlich lebte sie nun mit streng vegetarisch lebenden Menschen zusammen. Die Hunde bekamen auch kein Fleisch mehr zu fressen, sondern Nudeln. Irgendwann ging den Typen auf, dass man mit reinrassigen Bluthunden Geld verdienen kann. Jedenfalls beschlossen sie, Nachwuchs zu züchten. Geld für den Tierarzt war natürlich nicht da, aber Joghurt... T-Bone ... wurde trotzdem trächtig." „Und dann?" „Dann hat Melissa einen neuen Freund gefunden und ist zu ihm gezogen. Da er Hunde nicht mag, hat sie T-Bone und Boris bei den Veganern gelassen. Offensichtlich haben die überhaupt nicht gemerkt, dass die beiden langsam verhungerten. Schließlich war T-Bone so verzweifelt, dass sie weggelaufen ist. Wahrscheinlich in der Hoffnung, einen Platz zu finden, wo man sich um sie und die Welpen kümmern würde." „Und dann sind wir auf der Bildfläche erschienen?" „Genau. Unsere erste Anzeige hat offenbar keiner gelesen. In der Zwischenzeit hat Melissa jedoch Gewissensbisse bekommen. Jedenfalls ist sie zur Wohngemeinschaft gegangen, um zu sehen, wie es den Hunden geht. Es war nur noch Boris da. Ihr neuer Freund ist ein recht netter Kerl. Er mag zwar keine Hunde, aber verhungern lassen möchte er sie auch nicht. Also hat er sich bereit erklärt, Boris bei sich aufzunehmen und anzufangen, nach T-Bone zu suchen. Er war es auch, der meine neue Anzeige gelesen und mich angerufen hat." „Ach." Rose blickte ihn erstaunt an. „Dann will Melissa T-Bone vielleicht wiederhaben?" „Dann wärst du sie wenigstens los", gab Tom zu bedenken. „Sie ist immerhin eine ziemliche Last für dich, mit all den Welpen. Das ist wirklich eine große Verantwortung." „Ich bin ja nicht diejenige, die vor der Verantwortung wegläuft", erwiderte sie. „Nun sag schon, will diese Melissa T-Bone wiederhaben?" „Nein." „Bin ich froh!" Sie atmete erleichtert auf. „Und was ist mit Boris? Darf ich ihn behalten?" „Willst du das wirklich?" „Natürlich! Die beiden dürfen nie wieder getrennt werden. Sie lieben einander!"

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„Ich dachte, ich könnte vielleicht ein gutes Zuhause für sie finden", meinte Tom. „Immerhin haben sie einen hervorragenden Stammbaum." „Du willst sie doch nicht etwa verkaufen?" Rose musterte ihn empört. „Für Geld?" „Nein." Er seufzte und sah sie an. Das war ein Fehler. Also wandte Tom den Blick schnell wieder ab. „Ich wollte dir nur nicht noch mehr aufbürden." „Du hast mir noch lange nicht genug aufgebürdet." „Was soll das denn nun wieder heißen?" Als wüsste er das nicht ganz genau! Diese Frage hätte er sich sparen können. Tom atmete tief durch und blickte um sich. Die Hunde lagen ihnen zu Füßen, aus dem Haus ertönte das Scharren kleiner Pfoten. Die Welpen wollten zu ihrer Mutter! Und einer der Zwillinge gab lustige Laute in seinem Stubenwagen von sich. Er, Tom, fühlte sich wie zu Hause. Aber das durfte nicht sein! Aus dem Glucksen wurde ein Wimmern. „Toby hat Hunger", erklärte Rose und betrachtete ihre nackten Zehen. „Komm mit ins Haus. Ich setze Wasser auf, dann kannst du uns Tee machen, während ich die Babys stille. Natürlich nur, wenn du Zeit hast. Vielleicht musst du ja zum Abendessen wieder im Hotel sein oder hast etwas anderes Wichtiges vor." „Rose!" Ohne ihn weiter zu beachten, ging sie würdevoll zur Küchentür und öffnete sie. In diesem Augenblick war es mit der würdevollen Haltung vorbei. Sieben wohlgenährte Welpen flogen ihr entgegen, schmiegten sich an ihre Beine und waren begeistert, dass sie nun endlich auch an dem Spaß teilhaben konnten, den ihre Eltern offensichtlich hatten. Rose stieg über die Kleinen hinweg, die im nächsten Moment bereits die Stufen hinunterkugelten und zu T-Bone liefen. Daran war ja nichts auszusetzen, und sie hätte beruhigt ins Haus gehen können, doch leider war es einem der Welpen nicht gelungen, seinen Geschwistern zu folgen. Er war an ihren Beinen hochgesprungen, zurückgetaumelt, gegen eines seiner Geschwister geprallt und zur Seite gerutscht. Ausgerechnet dort befand sich eine Spalte in der Treppe, durch die er prompt gefallen war. Herzzerreißendes Winseln ertönte, als der Kleine sich vom ersten Schock erholt hatte. Rose fluchte leise. „Diese Welpen bringen mich noch um", sagte sie wie nebenbei. „Wir hätten sie Störenfried eins bis sieben nennen sollen. Was machen wir denn jetzt?" Sie kniete sich auf die unterste Stufe und versuchte, den kleinen Hund im Dunkeln zu erspähen, konnte ihn allerdings nur winseln hören. „Er kommt nicht wieder heraus." Sie ahnte Schlimmes. „Die Spalten in den unteren Stufen sind nicht breit genug, dort kommt er nicht hindurch. Er ist durch die oberste Stufe gefallen und kann nicht wieder hochklettern." T-Bone kam herüber, stupste sie an, steckte die Schnauze in die Spalte und jaulte besorgt. Tut bitte etwas, sollte das wohl heißen. „Mach dir keine Sorgen, Joghurt ... ich meine T-Bone." Rose stand auf und klopfte sich den Staub von den Jeans. „Erinnerst du dich, dass ich behauptet habe, wir kämen auch ohne Männer aus? Ich habe mich geirrt. Du brauchst einen Mann zu deinem Glück, und ich brauche einen, um deinen Welpen wieder ans Tageslicht zu holen. Tom Bradley!" Tom zuckte zusammen. „Ja, Madam?" „Befrei den Welpen!" befahl sie. „Ich muss die Zwillinge stillen und Steaks für zwei ausgehungerte Hunde schneiden. Das ist Frauenarbeit. Du bist derjenige, der die Welt retten will. Das ist Männersache. Du kannst mit der Rettung des Welpen anfangen." „Jawohl, Madam." Er war noch etwas benommen vom Anblick ihres verführerischen Pos, den sie ihm entgegengestreckt hatte, als sie sich hingekniet hatte, um nach dem Welpen zu sehen. Sogar der kleine Schmutzfleck auf ihrer Wange war sexy ... Genau genommen war Rose von Kopf bis Fuß zum Anbeißen. Außerdem war die heimelige Atmosphäre schier überwältigend. Rose war allerdings überhaupt nicht überwältigt. „Sofort", fügte sie drohend hinzu und verschwand im Haus. „T-Bone, dein Herrchen ist wieder da und rettet dein Baby. Retten ist sein Beruf, also überlassen wir ihm diese Aufgabe hier."

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Er schaffte es nicht. Nachdem er eine halbe Stunde lang hin und her überlegt hatte, wie er den Welpen befreien sollte, war Tom noch immer ratlos. Das Haus hatte sich während der vergangenen hundert Jahre immer tiefer auf die Baumstümpfe gesenkt, auf die man es damals gesetzt hatte. Zwischen Fußboden und Untergrund gab es einen Abstand von vielleicht zwanzig Zentimetern. Das war zu eng für ihn. Er hatte es versucht und nach dem Welpen gerufen. Doch der kleine Hund dachte gar nicht daran, den Platz zu verlassen, auf den etwas Tageslicht durch die Spalte fiel. Tom stand auf, klopfte sich den Staub ab und inspizierte die Stufen. Sie waren aus dicken Mahagonibohlen und für die Ewigkeit gebaut. Da kam er auch nicht durch. An den Seiten der Treppe und an der Frontseite der Veranda sah es ähnlich aus. Erschwerend kam hinzu, dass Wein sich emporrankte, seit mindestens hundert Jahren. Den durfte er auch nicht zerstören. Wirklich tolle Aussichten! Der Welpe hörte nicht auf zu jaulen. „Hast du ihn immer noch nicht befreit?" fragte Rose aus der Küche, und Tom verzog wütend das Gesicht. Es blieb ihm nur noch eine einzige Möglichkeit. Mit finsterer Miene machte er sich auf den Weg zum Geräteschuppen. Nachdem Rose einige Zeit später die Zwillinge versorgt hatte, kam sie mit einem Glas Limonade und einem Krug Bier wieder heraus und blieb verblüfft an der Küchentür stehen. Auf ihrer schönen alten Veranda klaffte ein Loch! Tom hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als den Fußboden der Veranda hochzunehmen. Ein halbes Dutzend Bretter lag auf einer Seite. Das Loch war gerade groß genug für ihn. Sie lächelte verstohlen. „Ich habe sehr an meiner Veranda gehangen", sagte sie wie nebenbei und sah hinunter in das dunkle Loch. Als direkt unter ihr jemand fluchte, erschrak sie so sehr, dass sie Bier aus dem Krug verschüttete. Nach unheilschwangerem Schweigen ertönte ein noch wütenderes Fluchen. „Hast du den Verstand verloren? Was fällt dir ein, mich nass zu spritzen?" Rose, die sich das Lachen verkneifen musste, ließ den Blick über die Veranda gleiten oder das, was davon übrig war. Tom hatte die Fußbodenbretter an der Seite der Veranda hochgehoben, denn wenn er es direkt vor der Tür getan hätte, wäre sie durch das Loch gefallen. Dann war er durch die Öffnung gestiegen und in die Richtung gekrochen, wo der Welpe sein musste. Jedenfalls befand Tom sich jetzt unmittelbar unter der Treppe, auf deren oberster Stufe sie stand. Das verschüttete Bier war durch die Spalten zwischen den alten Brettern gelaufen - direkt auf ihn. „Ich dachte, ein Bier wäre dir vielleicht lieber als Tee", sagte sie und versuchte verzweifelt, ernst zu bleiben. „Aber nicht im Nacken", antwortete er empört. „Ich wusste doch nicht, wo du bist oder wo dein Nacken ist." „Und da dachtest du, du schüttest einfach mal Bier durch die Ritzen, irgendein Tropfen würde schon meinen Mund treffen, oder?" „Na ja, du kennst dich schließlich mit gefährlichen Situationen aus. Ich war überzeugt, dass du schnell deinen Mund aufmachen würdest, um das Bier aufzufangen." Es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen. Die unheilschwangere Stille wurde nur vom Jaulen des Welpen und dem zufriedenen Glucksen der Zwillinge unterbrochen. Schließlich fragte Tom: „Sag mal, wie alt bist du eigentlich?" „Siebenundzwanzig. Ich hatte Geburtstag, als du fort warst." Das brachte ihn wieder zum Schweigen. Jetzt hatte er auch noch ihren Geburtstag versäumt! „Warum willst du das wissen?" Verflixt, sie war immer noch genau über ihm! Ihre Nähe brachte ihn fast um den Verstand. Irgendwie muss ich versuchen, gelassen zu bleiben, nahm Tom sich vor. „Weil es ein Wunder ist, dass dich noch niemand geteert und gefedert hat", stieß er hervor. „Rose,

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was soll ich tun? Dieser dumme Welpe weicht immer weiter zurück, statt zu mir zukommen."„Sag ihm, du hast Bier", schlug Rose vor, und er verschluckte sich fast.„Tolle Idee. Komm her, Kleiner. Komm zu mir, und probier Tante Roses Bier."„Du klingst wütend", sagte sie friedfertig.„Gar nicht wahr."„Doch, du klingst, als würdest du versuchen, nicht wütend zu klingen. Babys haben eine Antenne dafür. Sie sind unglaublich empfindlich."„Aha."„Du musst deiner Stimme einen einschmeichelnden Ton verleihen. Mütterlich eben."„Möchtest du nicht herunterkommen und das selbst übernehmen?" erkundigte er sich finster.Rose lächelte amüsiert. „Kommt nicht infrage. Ich könnte mich schmutzig machen."„Das wäre allerdings entsetzlich!"„Warte mal, ich habe eine Idee", sagte sie plötzlich aufgeregt.Tom verzog das Gesicht. Noch immer tropfte ihm Bier in den Nacken. „Nein."„Doch, es funktioniert bestimmt."Im nächsten Moment hatte sie T-Bone durch die Öffnung geschoben. „Nein, du bleibst hier", rief sie entsetzt. Doch es war bereits zu spät. Boris war T-Bone gefolgt, bevor Rose ihn hatte zurückhalten können.Jemand heulte unter dem Haus, und es war kein Hund! Tom lag unter zwei großenBluthunden begraben, und dann ...„Nein", riefen Rose und Tom gleichzeitig. Allerdings reagierten sie wieder nicht schnell genug. Im nächsten Moment landeten sechs Welpen auf ihm - einer nach dem anderen.Rose konnte sich das Lachen kaum verkneifen. „O Tom", keuchte sie, „es tut mir schrecklich Leid."„Das hört man dir aber nicht an", antwortete er vorwurfsvoll. „Nun hilf mir doch endlich."„Du..."„Ich bin unter all diesen Hunden begraben. Ich leide unter Platzangst. Oh, was für ein Albtraum!"Das klang tatsächlich ernst. Ihr verging das Lachen. Litt Tom wirklich unter Platzangst? Sie legte sich auf den Bauch und blickte angestrengt durch die Öffnung. Außer einem Paar Hundeschwänzen und -ohren konnte sie nichts sehen. „Tom?"„Hilf mir, Rose! Bitte!"Er schien wirklich Angst zu haben. Besorgt beugte sie sich weiter vor. Im nächsten Moment wurde sie gepackt und in das dunkle Loch gezogen. Sie schrie entsetzt auf. „Nein!"Tom duldete allerdings keinen Widerspruch. Ehe sie sich's versah, lag sie mit ihm im Staub, umgeben von zwei großen und sieben kleinen begeisterten Bluthunden.„Nein, Tom, du bist gemein. Hör sofort auf, mich zu lecken!"„Das tue ich doch gar nicht", entgegnete er beleidigt. „Was du gleich wieder denkst."„Ich wollte nicht..."„Aber eigentlich ist das gar keine so schlechte Idee."„Nein, Tom!" Rose spürte, wie ihr jemand mit großer, feuchter Zunge das Gesicht ableckte, und konnte sich kaum halten vor Lachen.„Das war ich nicht", behauptete Tom. „Ich lecke viel raffinierter. Soll ich es dir zeigen?"„Nein!"„Die Hunde lecken mir überall das Bier ab, Rose. Da darf ich wohl auch mal...?"„Du hast mich belogen", sagte sie vorwurfsvoll und schob einen Hundekopf beiseite. „Du gemeiner Kerl!"„Ich habe nicht gelogen." Er hielt sie noch immer an sich gedrückt. Seine Nähe weckte starkes Verlangen in ihr.„Ich dachte, du hättest Angst."„Hatte ich auch. Das hätte jeder, der mit einem Rudel wilder Hunde unter einer Veranda

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begraben ist."„Wilde Hunde? Haha! Unerzogen, ja, das gebe ich gern zu. Geh weg, Boris! Jetzt ist es aber genug! Am liebsten würde ich die Bretter zurücklegen und euch alle da unten einsperren."„Wenn das nötig ist, um mich hier festzuhalten", meinte Tom. Und plötzlich wurde die Sache ernst.„Was hast du gesagt?" fragte Rose schließlich.„Na ja..."„Soll das heißen, du bleibst hier, wenn ich dich einsperre?"„Rose ..."„Warte einen Moment", bat sie und hielt ihm den Mund zu. „Rühr dich nicht von der Stelle." Sie löste sich aus seiner Umarmung, kroch zurück durch den Staub, stand auf und sah aus der Öffnung. Dann zog sie ein Brett nach dem anderen an denursprünglichen Platz, bis das Loch wieder verschlossen war. Anschließend kroch sie zu Tom zurück.„So", meinte sie außer Atem. „Jetzt bist du eingesperrt. Mein Gefangener. Mein Ehemann." Zärtlich umfasste sie sein Gesicht. „Ich war so unglücklich, als du fortgegangen bist, Tom. Und ich glaube, du warst es auch."„Nein."„Ich liebe dich so sehr", erklärte sie zärtlich. „Willst du mir wirklich weismachen, du wärst in dem albernen Hotelzimmer glücklicher als hier, bei mir, bei deiner Familie?"„Nein, aber ..."„Aber was, Tom?"„Es wird wehtun, wenn es zu Ende ist."„Gut, das kann ich akzeptieren. Nur muss es ja nicht zu Ende gehen. Und es tut jetzt weh, und zwar unerträglich. Am schlimmsten ist allerdings, dass du völlig ohne Grund gegangen bist, Tom. Ich würde verstehen, dass du fortmusst, wenn du einen Auftrag hast. Aber nicht, wenn du verschwindest, falls du eventuell einen Auftrag erhalten könntest oder weil du fürchtest, Platzangst zu bekommen."„Rose."„Riskier es einfach, bei uns zu bleiben, Tom. Gib uns eine Chance", bat sie. Noch immer hielt sie zärtlich sein Gesicht umfasst.Die Hunde schienen den Ernst der Situation gespürt zu haben und hatten aufgehört zu toben. Die Welpen waren mit sich selbst beschäftigt, Boris und T-Bone lagen links und rechts von Tom und Rose und schienen gespannt zuzuhören.„Sei einfach ganz du selbst. Lass es zu, uns zu lieben. Dass wir dich lieben, weißt du ja. Und ich verspreche, dich nicht festzuhalten, wenn du wirklich fortmusst. Du sollst auch wis­sen, dass wir immer für dich da sind, wenn du zurückkommst. Hab uns nur ein wenig lieb."„Rose!" Das kam aus tiefstem Herzen. Rose war so liebenswert, so wunderbar, so unendlich süß und sexy. Wie konnte er ihr widerstehen?„Bleib bei mir Tom", bat sie leise und begann, ihn zu küssen. Sie sehnte sich so sehr nach seiner Liebe.Tom stöhnte leise vor Sehnsucht. Er kann mir nicht widerstehen, jubelte sie insgeheim und schmiegte sich enger an ihn. „Mein liebster Tom", flüsterte sie an seinem Mund.Und dann bedurfte es keiner Worte mehr. Er zog sie fest an sich, und dann nahmen die Dinge ihren Lauf.Boris und T-Bone rollten mit den Augen und konzentrierten sich aufeinander. DieseMenschen waren langweilig.Und das blieben sie eine ganze Weile.Geraume Zeit später lösten sich die beiden Menschen voneinander und lachten, als ihnen bewusst wurde, dass die Welpen neugierig geworden waren und sie abzulecken begannen.Lachend standen Tom und Rose auf, schoben die Bretter beiseite und krabbelten ans Tageslicht - sie zuerst, dann reichte er ihr einen Hund nach dem anderen. Auch den

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Welpen, dem sie dies alles zu verdanken hatten.„Das sind sieben Welpen, ihre Eltern und zwei Erwachsene", sagte Rose, als Tom schließlich neben ihr stand. „So, jetzt müssen wir aber schnell die Bretter zurücklegen, bevor noch etwas passiert."„Sehr wohl, Madam", antwortete er, und sie lachte amüsiert.„Das gefällt mir - ein netter, gehorsamer Ehemann", sagte sie und verschwand im Haus, bevor er ihr eine passende Antwort geben konnte.Wenig später war die Arbeit erledigt, und auch Tom betrat die Küche. Rose hatteinzwischen geduscht und sich saubere Sachen angezogen.„Dein Daddy sieht ja schrecklich aus, Jessica", sagte sie lächelnd zu ihrer Tochter, die sie auf dem Schoss hielt. „Erkennst du ihn überhaupt wieder?"Tom lachte und kam näher. Seine Tochter! „Hallo, Jessie." Er lächelte ihr zärtlich zu und war völlig überwältigt, als das kleine Gesicht des Babys sich ebenfalls zu einem Lächeln verzog. Sein Herz schien Purzelbäume zu schlagen. Wie sehr er Rose und die Babys liebte!„Lächeln sie inzwischen beide?" fragte er schließlich, als er sich etwas gefasst hatte.„Nein, Toby lässt sich noch Zeit. Er hat dich wohl zu sehr vermisst. Wie ist es, Tom? Bleibst du nun bei uns, oder verschanzt du dich wieder in einem Hotelzimmer?" Atemlos wartete Rose auf seine Antwort.„Ich könnte es nicht ertragen, euch wieder zu verlassen. Ich bleibe, solange ich kann."„Bis es irgendwo brennt?"„Es ist mein Job, Brände zu löschen, Rose."„Ich weiß." Insgeheim überlegte sie, wie sie ihn dazu überreden könnte, Landwirt zu werden. Doch sie behielt ihre Gedanken für sich, weil sie ihn nicht überfordern wollte. Er hatte sich gerade erst dazu durchgerungen, bei ihr zu bleiben. Alles andere würde sich nach und nach ergeben. „Das ist völlig in Ordnung, Tom", fügte sie daher hinzu. „Bleib bei uns, bis die Welt dich braucht. Aber wir brauchen dich mehr. Du liebst uns, und wir lieben dich."Als sie später nackt im Bett lagen und sich aneinander schmiegten, hoffte Tom, dass noch sehr viel Zeit vergehen würde, bis man ihn für einen Einsatz anfordern würde.

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10. KAPITEL

Ihnen waren genau zehn Tage vergönnt. Dann rief Charlie an. Rose war mit den Zwillingen zur Vorsorgeuntersuchung in die Stadt gefahren. Tom war allein zu Hause und meldete sich bereits nach dem ersten Klingeln.„Wartest du immer noch im Hotelzimmer auf meinen Anruf?" fragte Charlie.„Was ist los, Charlie?" erkundigte Tom sich beunruhigt, als er den angespannten Tonfall seines Chefs bemerkte.„Steve hat Probleme. Eine von den drei Ölquellen da unten brennt jetzt seit zwei Wochen. Wir wissen nicht, wie das Feuer ausgebrochen ist. Aber als wir es fast unter Kontrolle hatten, brach das nächste Feuer aus. Es sieht nach Sabotage aus."„Aha." Tom verzog das Gesicht. Das war so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren konnte. Man musste nicht nur den Brand bekämpfen, sondern auch ständig nach dem Feind Ausschau halten, der es darauf abgesehen hatte, einem den Job so schwer wie möglich zu machen.„Zwei Wachleute sind erschossen worden", sagte Charlie ernst. „Dort unten herrschtabsolutes Chaos. Steve ist mit der Bekämpfung des ursprünglichen Brands beschäftigt und wird Tag und Nacht von Leibwächtern geschützt. Jeder kennt ihn, und er schwebt ständig in Lebensgefahr. Jedenfalls hat er Verstärkung angefordert. Joanne hat sich bereit erklärt, ihm zu helfen, aber sie ist so unbeherrscht. Natürlich brennt sie darauf, zum Einsatz zu fliegen. Sie macht ihre Sache ja eigentlich auch gut, aber mir wäre es lieber, wenn du die Leitung dort unten übernehmen würdest. Du kannst natürlich ablehnen, Tom. Schließlich hast du schon genug geleistet. Aber du hattest ja gesagt, dass du .."„Ja, das stimmt schon."Charlie horchte sofort auf. „Hast du inzwischen Zweifel bekommen, mein Junge?"Tom ließ langsam den Blick durch die Küche gleiten. Ob er Zweifel hatte? Ja, allerdings! Nachdenklich betrachtete er die Babysachen und die Welpen. Draußen koppelte Sam den Pflug an den Traktor. Er, Tom, hatte sich nämlich vorgenommen, die Südweide umzu­pflügen, und sich schon sehr auf die Arbeit gefreut. Es hätte ihm sicher Spaß gemacht, den Tag auf dem Traktor zu verbringen, begleitet von neun Hunden, und abends zu seiner Familie zurückzukehren.Andererseits kam es auch nicht infrage, dass jemand anders seinen Job alsBrandbekämpfer übernahm. Nur noch dieses eine Mal, nahm Tom sich vor. Einmal noch wollte er seine Unabhängigkeit beweisen, dann würde er Farmer werden.„Natürlich musst du sofort losfliegen", sagte Rose tapfer, als sie mit den Babys nach Hause kam und Tom ihr von Charlies Anruf erzählt hatte.Er hatte allerdings genau gesehen, wie blass sie geworden war. „Es könnte aber einen Monat dauern, bis ich wieder da bin", gab er zu bedenken.„Du versprichst doch, dass du zurückkommst, oder?" fragte sie ängstlich.Tom zog sie tröstend an sich. „Natürlich komme ich zurück."„Der Job ist wohl ziemlich gefährlich", meinte sie leise. „Marty ist ums Leben gekommen. Ach, sag es mir lieber nicht. Ich will es gar nicht wissen."„Ich bin Experte auf meinem Gebiet."„War Marty das denn nicht?"Schweigen. Er spürte, wie groß ihre Angst um ihn sein musste. Vielleicht...Nein, dieser eine Job musste noch sein, bevor er sich ganz Rose und seiner kleinen Familie widmete.„Ich muss gehen, Rose", sagte Tom leise und küsste sie aufs Haar.„Warum? Weil Charlie dich braucht, oder weil du dir etwas beweisen willst?"Die Antwort darauf wussten sie beide, deshalb war es auch unnötig, sie in Worte zu fassen.„Toby hat noch nicht gelächelt", bemerkte Rose. „Jetzt wirst du sein erstes Lächeln verpassen."

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„Könntest du ihn fotografieren, wenn es so weit ist?"„Klar." Sie schluckte und rang sich ein Lächeln ab. „Ich mache ganz viele Fotos, um jeden noch so kleinen Fortschritt für dich festzuhalten."„Und du behältst die Welpen, solange ich fort bin?"„Sie werden mir noch die Haare vom Kopf fressen", protestierte sie.„Aber ich möchte mir mögliche Käufer gern selbst ansehen", behauptete Tom, der den Tränen ebenso nahe war wie sie. Er bückte sich und hob einen der tapsigen Welpen hoch, der ihm begeistert übers Gesicht leckte. „Die Kleinen sollen alle ein gutes Zuhause bekommen."„Okay, aber in vier Wochen musst du wirklich wieder hier sein."„Versprochen." Länger würde er es sowieso nicht ohne sie aushalten.„Gut, dann zieh los, und komm so schnell wie möglich zurück zu deiner Familie, TomBradley!"

„Wir legen gerade Wasserleitungen. Bis Sonnabend haben wir genug Wasserdruck, damit du anfangen kannst. Joanne ist schon vor Ort und organisiert Bulldozer, damit alles vom Brandherd wegtransportiert werden kann, sowie es abgekühlt ist."„Gibt es Probleme mit der Ausrüstung?" fragte Tom.Charlie sah ihn von der Seite an. Irgendetwas stimmte nicht mit Tom. Aber was? „Nein, wir setzen alles ein, was wir zur Verfügung haben. Glücklicherweise ist das Feuer in Mexiko, dahin können wir unsere Ausrüstung relativ problemlos transportieren. Bei dem Brand auf Sumatra damals war das schon schwieriger. Steve hatte das Feuer übrigens fast unter Kontrolle und wollte einen der ,Weihnachtsbäume' einsetzen. Leider hatte der Saboteur ihn mit Plastiksprengstoff versehen. Was dann passiert ist, kannst du dir ja vorstellen. Steve hat fürchterlich getobt."Die sogenannten Weihnachtsbäume waren Ventile, die über den Ölleitungen angebracht wurden, wenn der Brand eingedämmt war, und nach und nach zugedreht wurden, bis sie dicht waren, damit das Feuer keinen Sauerstoff mehr hatte und erlosch.„Ich kann mir denken, wie ihm zu Mute sein muss", erwiderte Tom.„Ja. Pass auf dich auf, Tom. Wenn Saboteure am Werk sind, ist es besonders gefährlich."„Ich sehe mich schon vor."Charlie betrachtete ihn forschend. „Irgendwie siehst du anders aus. Willst du mir etwas sagen?"„Nein." Er, Tom, konnte ihm in dieser Situation doch nicht von Rose und den Zwillingen erzählen.„Also gut. Wie gesagt, pass auf dich auf, und lass dir von Joanne helfen."„Klar. So, jetzt muss ich aber los, Charlie, sonst verpasse ich meinen Flieger."Charlie sah seinem besten Mann nach. Irgendwas stimmt nicht mit ihm, dachte er und schüttelte besorgt den Kopf.Während der kommenden Tage wurde Charlie immer unruhiger. Die Berichte aus Mexiko klangen nicht gut. Die Flammen des Feuers, das Tom bekämpfte, schlugen hundertzwanzig Meter hoch in die Luft. Der dadurch verursachte Schaden für die Umwelt versetzte nicht nur die mexikanische Regierung in Panik, sondern auch die Weltgesundheitsorganisation.Dabei sah zunächst alles ganz einfach aus. Tom wollte die Umgebung des Feuers mit Wasser abkühlen, damit er an den eigentlichen Brandherd herankam undPlastiksprengstoff legen konnte. Durch die Explosion würde dem Feuer der Sauerstoff genommen werden, und es würde erlöschen. Unter dem Schutz der Wasserkanonen wollte er dann den Weihnachtsbaum einsetzen.Es war eine höchst gefährliche Operation. Charlie gefiel die ganze Sache überhaupt nicht, zumal die Saboteure noch immer nicht gefasst waren. Außerdem machte er sich Sorgen um Tom.„Er hat sich verändert", sagte er einige Tage später zu seiner Frau. Es war der Vorabend des Tages, an dem Tom den Sprengstoff zünden wollte, um die Flammen zu ersticken.

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„Meinst du, es könnte eine Frau dahinter stecken? Er hat so etwas angedeutet, aber ich dachte, er wollte mich nur an der Nase herumführen."„Es wäre an der Zeit, dass er eine Frau findet", erwiderte Maddie, die sehr angetan von der Vorstellung war.„Ach, er hat nur Spaß gemacht. Stell dir vor, er hat sogar behauptet, er wäre verheiratet und hätte Zwillinge."„Bist du sicher, dass er dich foppen wollte?" fragte Maddie.„Klar. Wie soll er innerhalb von sechs Wochen heiraten und Zwillinge bekommen?"„Na ja, das ist wohl wahr. Hast du dir mal seine Notfallkarte angesehen?"Vor jedem Einsatz mussten Charlies Mitarbeiter die so genannte Notfallkarte auf den neusten Stand bringen. Darauf war auch vermerkt, wer im Notfall verständigt werden sollte.„Ich sehe morgen nach", versprach Charlie.„Gut, und nun hör auf, dir Sorgen zu machen. Tom passt schon auf sich auf."

„Das gibt es doch gar nicht!" Verblüfft betrachtete Charlie am nächsten Tag TomsNotfallkarte. Unter der Rubrik „nächster Angehöriger" stand nicht mehr der Name von Toms Mutter, sondern „Rose Marie Bradley, Ehefrau". Ein Umschlag mit der Aufschrift „Mein letzter Wille" war der Karte beigeheftet. Charlie öffnete ihn und las, dass Tom alles seiner „geliebten Frau Rose und meinen beiden Kindern Jessica Margaret und TobiasThomas" hinterließ.„Er ist verheiratet und hat Kinder", stieß Charlie entsetzt hervor. „Und ich Idiot schicke ihn zu diesem Einsatz!" Er wollte gerade zum Hörer greifen, als das Telefon zu läuten begann.Alles war wie am Schnürchen gelaufen, von einigen Komplikationen abgesehen. Aber es handelte sich ja auch um ein Großfeuer. Tom wurde von einem ausgezeichneten Team unterstützt. Joanne war mit den Abläufen so gut vertraut, dass sie jedes Mal alles bereits vorbereitet hatte, wenn er eine Anordnung gab.Tom war sehr froh darüber, denn nun konnte er sich darauf verlassen, dass Charlies Team auch ohne ihn gute Arbeit leisten würde. Inzwischen hatte er sich tatsächlich dazudurchgerungen, seinen gefährlichen Job an den Nagel zu hängen. Erst seit er Rose kannte, war ihm bewusst geworden, wie riskant seine Arbeit war. Es waren gewaltige Kräfte am Werk. Wenn etwas schief ging, war man geliefert. Und dann all die giftigen Dämpfe, derSchmutz, die schier unerträgliche Hitze ...Er brauchte diesen Job nicht mehr, um sein inhaltsloses Leben auszufüllen. Durch Rose und die Zwillinge hatte sein Leben einen Sinn bekommen. Inzwischen wusste er, wohin er gehörte. Nach diesem Einsatz könnte er vielleicht die Nachbarfarm kaufen undbewirtschaften. Darauf freute er sich schon.„Alles bereit, Boss?"„Ja." Tom blickte auf seine Armbanduhr. Noch zwei Minuten bis zur Explosion. Die Kräne standen bereit, die riesigen Pumpen würden innerhalb von Minuten mit Hochdruck Tonnen von Wasser auf die Brandstelle spritzen, um sie für den Einsatz des „Weihnachtsbaums" ausreichend hinunterzukühlen.„Los!"Im nächsten Moment bebte die Erde unter ihnen von der Erschütterung der Explosion.„Es hat funktioniert!" Joanne kam als Erste hinter dem Wall hervor, den sie angelegt hatten, um sich vor der Explosion zu schützen. Sie war vierzig Jahre alt, drahtig, erfahren und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Sie brannte darauf, sich in diesem riskanten Job zu beweisen. „Das Feuer ist aus. Ich kümmere mich um den Rest."„Warte, Jo", rief Tom alarmiert. Dies wollte genau überlegt sein. Normalerweise machte das Team sich sofort an die Arbeit, sowie das Feuer gelöscht war, aber die Situation hier war vertrackter. Immerhin hatten sie es mit Saboteuren zu tun.Doch Joanne ließ sich nicht aufhalten. Sie saß bereits im ersten Jeep und befestigte die Schutzmaske. „Wo bleibst du denn, Tom?"Tom spürte, dass von irgendwoher Gefahr drohte. Er griff nach seinem Fernglas und suchte

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den Horizont nach etwas Verdächtigem ab. Das Team hatte die Umgebung meilenweit abgesperrt, und trotzdem ...Oben auf der nächstgelegenen Anhöhe blitzte ein Fernglas auf.„Warte, Jo", schrie er und stürzte auf den Jeep zu. Gleichzeitig betätigte er das Funkgerät. „Welche Frequenz hat Jo? Verflixt, sie hat ihr Funkgerät ausgeschaltet!" Er wusste genau, was passieren würde. Im Laufen drehte er sich um und rief dem Rest des Teams zu: „Bleibt hinter dem Schutzwall! Die Sicherheitsleute suchen den Südhang ab. Da oben ist jemand, der uns beobachtet."Im nächsten Moment saß er im zweiten Jeep und folgte Joanne in halsbrecherischem Tempo, um sie zurückzuholen. Fast hätte er es geschafft.Aber nur fast.

„Mrs. Bradley?"Als sie die angespannte ältere Männerstimme am Telefon hörte, wusste Rose sofortBescheid.„Ist etwas mit Tom? So reden Sie doch!"„Er lebt." Charlie war dem Zusammenbruch nahe.Das war immerhin etwas, aber aufatmen konnte sie wohl noch nicht. „Er ist also verletzt?" fragte sie ängstlich.„Ja."„Wie ist es passiert?"„Sabotage. Wir hatten den gesamten Bereich abgesperrt, und trotzdem ist es denSaboteuren gelungen, das Gebiet zwischen Feuer und unserem Schutzwall zu verminen. Sowie wir uns nach der kontrollierten Explosion in die Jeeps gesetzt hatten, um zum Brandherd zu fahren und den Weihnachtsbaum anzubringen, haben die gemeinen Kerle die Minen gezündet."„Aber ... aber Tom ..." Rose war wie erstarrt. „Er war ... O nein!"„Es ist nur halb so schlimm", sagte Charlie schnell. Jedenfalls hoffte er es. „Es gab nur zwei Verletzte. Joanne, die sich zuerst in Marsch gesetzt hatte, ist mit blauen Flecken davongekommen. Tom ist von Splittern getroffen worden und hat einen Schädelbruch. Momentan ist er noch bewusstlos, und die Ärzte können nicht viel sagen."„Wo ...? Ich komme sofort." Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und ließ sich zu Boden gleiten. „Wo ist er?"„Wenn Sie mir sagen, wo Sie sind, lasse ich Sie innerhalb der nächsten Stunde abholen. In Sydney wartet ein Privatjet. Wir bringen Sie direkt zu Tom."„Die Zwillinge ... Ich muss die Zwillinge mitnehmen."„Hat er tatsächlich Zwillinge?"„Ich... Ja."„Wie alt?"„Zwei Monate."„Das ist ja ein Ding." Charlie erholte sich schnell von seinem Schock. „Dann bringen Sie die Zwillinge eben mit. Tom braucht jetzt seine Familie."

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11. KAPITEL

„Joan?"„Ja, Liebes?" Selbst um drei Uhr morgens war Joan Mitchell voll da, wenn es darauf ankam.„Ich fliege nach Mexiko. Könntest du dich um die Hunde kümmern? Sam kommt erst morgen früh wieder."„Du meine Güte!" Joan versuchte, ihren schlafenden Mann wachzurütteln. „Bob, wach auf! Wir müssen Rose helfen."Wie gut, dass ich wieder Kontakt zu meinen Nachbarn habe, dachte Rose. Das hatte sie nur Tom zu verdanken.„Ist Tom etwas passiert?" fragte Joan.„Er ist verletzt." Rose schluchzte. „Ich muss sofort zu ihm, Joan."„Schon gut, Kindchen. Was ist mit den Zwillingen?"„Ich nehme sie mit. Tom braucht seine Familie um sich."„Mrs. Bradley?" Die dunkle Limousine war so lautlos eingetroffen, dass Rose die Ankunft nicht bemerkt hatte. Ein livrierter Chauffeur wartete höflich vor der Tür.„Ja." Sie war inzwischen angezogen und hatte einige Sachen gepackt.Der Mann lächelte väterlich. „Ich würde Ihnen gern helfen und habe mir eine Liste von Babyartikeln faxen lassen, die Sie vielleicht einpacken sollten. Wir gehen sie schnell durch, damit wir auch nichts vergessen. Übrigens erwartet uns eine ausgebildeteTagesmutter am Flugzeug. Sie wird Sie und die Zwillinge begleiten." Er verstummte überrascht, als einer der sieben Welpen neugierig angesprungen kam. „Diese ..."„Sie bleiben hier. Wenn ich sie auch zu gern mitnehmen würde", sagte Rose traurig.„Mal sehen, was sich machen lässt."

„Rose?"Rose stand oben auf der Gangway des Privatjets und blinzelteim gleißenden mexikanischen Sonnenschein.Die australische Tagesmutter hatten sie in Los Angeles zurückgelassen, damit sie nachAustralien zurückkehren konnte. Zwei junge amerikanische Kolleginnen waren an Bord gekommen, um sich um die Zwillinge zu kümmern.Ein Bär von einem Mann erklomm die Gangway. „Mrs. Bradley ... Rose. Ich bin Charlie Patterson, Toms Boss. Sein Zustand ist unverändert."Rose atmete auf. Wenigstens lebte Tom noch. „Was sagen die Ärzte?" fragte sie gefasst.„Er hatte eine Gehirnblutung und musste operiert werden, aber die besten Spezialisten kümmern sich um ihn und tun alles, was in ihrer Macht steht. Jetzt können wir nurabwarten."„Ja."„Das ist Maddie, meine Frau."Eine ältere Lady wartete am Fuß der Gangway und nahm sie herzlich in den Arm. „Ach, meine Liebe. Ich musste einfach mitkommen. Unser Tom ... Dass wir uns unter diesen Umständen kennen lernen müssen ... Er hat uns nichts gesagt. Und er hat Zwillinge."„Ich ... Sie sind nicht von ihm", sagte Rose traurig. „Ich war Witwe, als wir uns kennen gelernt haben."„Ach so." Das ergab einen Sinn. „Das mag sein, Kindchen", fügte Maddie hinzu. „Aber Charlie hat einen Brief von Tom gefunden, in dem es heißt: ,Meiner geliebten Frau und meinen Kindern Jessica und Tobias'."Rose sah sie fassungslos an und brach in Tränen aus.Rose weinte drei Tage lang, dann hatte sie den Schock überwunden und machte sich ans Organisieren. So etwas hatte man in dem kleinen mexikanischen Krankenhaus noch nicht erlebt.Charlie hatte Tom eigentlich zu einer Spezialklinik in den USA fliegen lassen wollen, doch

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der Chirurg hatte den Transport untersagt. Also musste Charlie sich darauf beschränken, alle erdenklichen Spezialisten und Spezialgeräte einfliegen zu lassen.„Wenn Sie meinen Mitarbeiter wieder auf die Beine bringen, können Sie die Gerätebehalten", versprach er der Krankenhausverwaltung. „Und eine großzügige Spendebekommen Sie obendrein.."Mit Geld und komplizierten Geräten war allerdings nichts auszurichten. Tom brauchte nur Zeit.Sie konnten wirklich nur warten und hoffen.„Tom..."Drei endlos lange Tage saß Rose an seinem Bett und hielt ihm die Hand, damit Tom spürte, dass sie ihm Wärme und Kraft gab.„Tom, bitte, bitte ..."Als Tom die Augen aufschlug, war er von Hunden umgeben. Überall waren Hunde und dazwischen Babys. So viele Hunde hatte er noch nie gesehen. Träumte er?Nein, das tat er nicht, und Rose hatte sein Blinzeln gesehen. Sie hatte es sich doch nicht etwa eingebildet?„Tom?"Ein Augenlid zuckte. Sie hatte sich also nicht getäuscht!„Tom!"Als er die Augen wieder aufschlug, legte Rose den Kopf auf seine Brust und betete inständig, dass ihr Tom wieder völlig gesund werden würde.„Warum?" fragte Tom heiser. Seiner Stimme war anzuhören, dass er einige Tage nicht gesprochen hatte. „Warum sind hier überall Hunde?"Rose blickte entzückt auf. Ihr Tom war wieder da! Sie konnte ihr Glück kaum fassen.„Das sind deine Welpen. Und deine Babys. Erkennst du sie nicht?"„Meine..."Rose zeigte auf die Wände, an denen Fotografien in Postergröße hingen, die siebenWelpen aus allen erdenklichen Kameraeinstellungen zeigten. Sie war den Tränen nahe vor Rührung. „Wir haben ihnen Namen gegeben."„Wir?"„Jess und Toby und ich. Wir haben uns nämlich gedacht, dass du sie nie verkaufen würdest. Der da ist Ferdinand, das sind Lester, Gerty, Clyde und Billy. Sophie ist die mit den großen Augen, und Fatso ist durch die Treppe gefallen."„Fatso?" fragte Tom.„Kein sehr netter Name, ich weiß." Rose nahm zärtlich seine Hand und sah ihn liebevoll an. „ Aber uns fiel nichts Besseres ein."„Er soll Charlie heißen. Nach einem Bekannten von mir", verlangte Tom.Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Tom war wieder ganz der Alte. Vor Erleichterung brach sie in Tränen aus.Kurz darauf ging die Tür auf, und Maddie kam mit den Zwillingen ins Krankenzimmer. „Der Arzt hat mir erzählt, dass du wach bist, Tom", sagte sie, beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Wange. „Hier, der Kleine möchte seinen Daddy sehen." Sie hielt ihm Toby entgegen.Tom sah in die wundervollen Augen des Babys, und dieses erwiderte konzentriert seinen Blick.„Tobias Thomas Bradley." Tom schüttelte ihm die kleine Hand und lächelte.Und was geschah? Toby erwiderte das Lächeln!

Es war die größte Party, die je in dieser Gegend gegeben worden war. Alle warengekommen, auch Toms Kollegen - Charlie und Maddie, Joanne und Steve und all dieanderen. Sie alle hatten sich auf der Farm eingefunden, um die Taufe einer gewissenMadeleine Rose Bradley zu feiern. Das Baby war zwei Wochen alt und Jessies und Tobys Schwester.Das Licht der Welt hatte sie zu Hause erblickt, nach Wehen, die nur zwanzig Minuten

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gedauert hatten. Gut, dass der Vater bereits ein erfahrener Geburtshelfer war.„Sie ist unser zehntes Baby", sagte Rose und sah strahlend zu Tom auf. „Kann das Leben noch schöner sein?"„Lass dich überraschen, Liebste", antwortete Tom, der auf jedem Arm einen Zwilling trug und von neun Hunden umgeben war, die ihn förmlich anbeteten. „Mit dir an meiner Seite kann das Leben nur schön sein und immer schöner werden."

-ENDE­