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ICH KANN DIE SYMPTOME MEINES BABYS VERSTEHEN UND DAMIT UMGEHEN-
KINDLICHE SIGNALE UND TYPISCHE KRANKHEITSBILDER IN DER SÄUGLINGS- UND KLEINKINDZEIT
10. Fachtag des Netzwerkes „Frühe Hilfen/ Kinderschutz Erfurt“ 25.04.2018 M. Kempter
Gliederung
◦ Zahlen
◦ Fallbeispiele – Regulationsstörungen/ kindliche Feinzeichen
◦ Fallbeispiele – Fütterstörungen
◦ Fallbeispiele – PTBS/ Deprivations-Misshandlungsstörung
◦ kleiner Exkurs Bindungstheorie und soziale Signale/ Feinfühligkeit
◦ Psychisch kranke Eltern
◦ Vorstellung Eltern-Kind-Psychosomatik
Zahlen 2016 ◦ Erwachsene zw.18 - 79 Jahre (alle Krankheitsschweregrade) ~ jeder vierte Mann (22,0 %)
und jede dritte Frau (33,3 %) zumindest zeitweilig voll ausgeprägte psychische Störung
◦ 1. Platz: Angst / 2. Platz: depressive Störungen
◦ neuer Höchststand: ~246 Ausfalltage je 100 Versicherte
◦ Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen in 20 Jahren mehr als verdreifacht
◦ Gesamtschau: mehr als 50% aller Fehltage auf 3 Krankheitsarten zurückführen:
1. Rückenleiden u. a. Muskel-Skelett-Erkrankungen (22%)
2. Psychische Erkrankungen (17%)
3. Erkältungen u. a. Krankheiten des Atmungssystems (15%)
(https://www.tagesspiegel.de/politik/krankheitsstand-in-deutschland-fehlzeiten-rekord-wegen-psychischer-leiden/19313458.html)
Psychische Störungen im frühen Kindesalter
◦ 14-25% aller Kleinkinder zeigen klinisch relevante psychische Störungen
◦ 9-12% haben schwere Störungen mit erheblicher Beeinträchtigung
◦ nur 11-25% der Kleinkinder mit Verhaltensstörungen werden tatsächlich
vorgestellt (Egger und Angold, 2006)
◦ 3,5 Mio. Kinder in Dtld. leben mit mind. 1 psych. kranken Elternteil
Häufige Manifestationsformen frühkindlicher Regulationsstörungen Papousek et al. Regulationsstörungen der frühen Kindheit 2004
Schlafstörungen 62,8%
Fütterstörungen 40,4%
Dysphorische Unruhe (mit motorischer Unruhe und
Spielunlust)
30,1 %
Exzessives Schreien 29,4%
Probleme der Schlaf-Wach-Regulation 25,8 %
Exzessives Trotzen (mit Grenzsetzungskonflikten) 20,3 %
Exzessives Klammern (mit Ängstlichkeit, sozialem Rückzug
und/ oder abnormen Trennungsreaktionen)
12,3 %
Aggressives/ oppositionelles Verhalten 6,8 %
Fallbeispiel
◦ 6 Wochen alter männlicher Säugling
◦ stillen nahezu stündlich, Schreiphasen bis zu 3 Std. am Stück, Schlafprobleme
◦ G1/ P1, Schwangerschaft nicht geplant
◦ KM gearbeitet bis 1 Woche vor Entbindungstermin
◦ viele Fragen und Unsicherheiten während der Schwangerschaft
◦ Spontan 41+4 SSW, protrahierter Geburtsverlauf, Schmerzen im Enddarmbereich
Fütter-Schlaf-Schreitagebuch
Kindliches Schreien
◦ 1.-3. LM tägl. schreien, oft später Nachmittag und Abend
◦ Zunahme Schreihäufigkeit bis 6. LW 2 oder mehr Stunden tgl.
◦ erste Lebenswochen körperliche Bedürfnisse (Hunger, Durst, heiß o. kalt etc.), Bedürfnis
nach Schutz/ Nähe, Schreien = anhaltend
◦ 3.-8. LM Kommunikation v. diff. Bedürfnissen (Protest, Frustration, Traurigkeit, Angst, Panik),
Schreien = kürzer, Kind wartet auf Reaktion d. Betreuungsperson
◦ Reagiert Bezugsperson prompt und unmittelbar Kind Bedürfnisse effektiv kommunizieren
Hilferufe werden gehört Vertrauen in Umwelt
kindliche Stresszeichen
◦ starr werden (Muskulatur)/ Überstreckung
◦ Anspannung
◦ flache Atmung
◦ Vermeidung von Blickkontakt
◦ „leerer Blick“
◦ Schluckauf
◦ Zunge heraus strecken
◦ marmorierte Haut
◦ Fäusteln/ bizarre Fingerstellungen
◦ hektische Bewegungen
◦ quengeln
◦ Weinen/ Schreien
◦ erbrechen/ Spucken/ beissen
◦ „floppy“
Erregungszustand
◦ Schlaf-/ Wach- und Übergangszustand
◦ wacher Aufmerksamkeitszustand
Körper eher ruhig u. entspannt, Augen strahlen Aufmerksamkeit aus offen f.
Interaktion mit d. Umwelt u.
aufnahmebereit
◦ Bewegungen ruckartiger, unkoordinierter Belastung
◦ quengeln = Übergangszustand zum
Weinen o. schreien, nicht mehr
ansprechbar
◦ Wache Phasen mit Exploration
Erholungsphasen
Regulationsstörung - Exzessives Schreien (Boleten, Möhler und v. Gontard; Psychische Störungen im Säuglings- und Kleinkindalter)
Definition: Exzessives Schreien = anfallsartiges, unstillbares Schreien, welches oft mit
erhöhtem Muskeltonus und Problemen der Schlaf-Wach-Regulation verbunden ist.
„Dreier-Regel“ nach Morris Wessel:
Schreien über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen an mindestens drei Tagen pro
Woche mehr als drei Stunden pro Tag
- subjektiv erlebte Belastung der Säuglinge und Eltern
- Wachphasen erhöhte Schreckhaftigkeit, quengeln, starke Irritabilität, reizoffen,
Unfähigkeit abzuschalten und selbst zu beruhigen
geruchs-, geräusch-, berührungs- und lageempfindlich
- Pseudobalance durch Stimulation (Fön-, Staubsauger-App)
Trias der frühkindlichen Regulationsstörungen
◦ Kindliche Verhaltensauffälligkeit
◦ Elterliches Überforderungs- und Erschöpfungssyndrom
◦ gestörte Eltern-Kind-Interaktion
Teufelskreis
Regulationsstörung exz. Schreien/ Schlafstörung/ Fütterstörung
https://www.babycenter.de/thread/226683/schwierige-
babys---was-kann-helfen-?startIndex=10
Fallbeispiele Schlafstörungen
◦ 14 Monate altes Mädchen
◦ KM 2. Kind KV 1. Kind
◦ müde, trauriger Blick
◦ quengelig
◦ scheu
◦ wenig Exploration
◦ anhänglich
◦ Tagesmutter versucht
◦ noch nicht selbständig gegessen
◦ 12 Monate alter Junge
◦ 1. Kind beider KE
◦ tagsüber gut drauf
◦ gesteigertes Explorationsverhalten
◦ bringt andere zum Lachen
◦ quirlig
◦ perzentilenflüchtiges Gewicht
◦ 4 Mahlzeiten
◦ Betreuung durch KM
Schlafstörungen ◦ erst ab Alter von 12 Monaten
diagnostizierbar, Persistenz von
mindestens 4 Wochen
Einschlafstörungen
◦ verlängerte Dauer bis zum
Einschlafen oder der Notwendigkeit
der Anwesenheit der Eltern
Durchschlafstörungen
◦ elterliche Interventionen nach
nächtlichem Aufwachen und/ oder
Weiterschlafen im elterlichen Bett
Christian Krogh – Schlafende Mutter
mit Kind
Fallbeispiele Fütterstörungen
◦ 8 Wochen alter Säugling
◦ 2. Kind d. KM, 1. Kind d. KV
◦ FG 35. SSW, angeborenen Herzfehler, Z.n. OP
◦ Trinkschwäche, Sonde
◦ zu Beginn der Trinkmahlzeit gut getrunken, nach kurzer Zeit aufgehört
◦ KM Borderline-PS
◦ 1. Kind der KM in FU nachdem KM mit diesem Kind 2 Jahre in Mutter-Kind-Einrichtung verbracht hatte
◦ geplant erneut Mutter-Kind-Einrichtung
Fütterstörung im Zusammenhang mit einer medizinischen Erkrankung
◦ Nahrungsverweigerung, inadäquate Nahrungsaufnahme
◦ Beginn in jedem Alter
◦ Kind ist zunächst zur normalen Nahrungsaufnahme bereit
◦ im Verlauf des Fütterns Zeichen von Distress (z.B. GÖR, Herzerkrankung,
Atemwegserkrankung...)
◦ mangelnde Gewichtszunahme o. Gewicht
◦ medizinische Behandlung bessert Fütterprobleme
Posttraumatische Fütterstörung
◦ akut einsetzende, schwere und anhaltende Nahrungsverweigerung
◦ Beginn in jedem Alter
◦ ein o. mehrere Trauma/ta oral bzw. GIT
◦ Verweigerung der Flaschenfütterung im Wachzustand (trinken im
Halbschlaf/ Schlaf möglich) oder
◦ Verweigerung fester Nahrung, Akzeptanz Flasche/ Flüssiges/ Püriertes,
oder
◦ Verweigerung jeglicher Nahrungsaufnahme über den Mund
◦ Erinnerung an Trauma bewirkt Stress antizipierten Stress, Widerstand
◦ Gedeih- und Entwicklungsstörung!!!
http://www.familie.de/gesundheit/ursachen-fuetterstoerung-546828.html
Fallbeispiel ◦ 5 Monate alter Säugling
◦ stationär bei Infekt der oberen Luftwege
◦ KM nicht als Begleitperson mitaufgenommen
◦ „der ist pflegeleicht“
◦ „ich hab Termine“
◦ sehr ruhig, schläft viel
◦ Gewicht unzureichend, hager, angegebene tgl. Trinkmenge zu wenig
◦ wenig Mimik, ausdrucksloser Gesichtsausdruck
◦ durchlässiger Blick
◦ Stirn gerunzelt, schlaffer Tonus
Fütterstörung mit unzureichender Eltern-Säuglings-Reziprozität
◦ im ersten Lebensjahr (oft zufällig festgestellt bei Kinderarztkontakt)
◦ in Füttersituation Mangel an entwicklungsangemessenen Signalen sozialer
Reziprozität (Blickkontakt, Lächeln, Plappern...) ggü. der primären
Bezugsperson
◦ signifikantes Wachstumdefizit
◦ primäre Bezugsperson ist sich der Fütter- und Wachstumsproblemen nicht
bewusst/ verleugnet diese
◦ Wachsumsdefizit und Mangel an Reziprozität ≠ ausschließlich auf
körperliche o. tiefgreifende Entwicklungsstörung zurückzuführen
Fallbeispiel
◦ 10 Wochen alter Säugling
◦ seit Geburt an Trinkschwierigkeiten
◦ Stillhütchen, abpumpen, verschiedene Flaschennahrungen...
◦ mangelhafte Gewichtszunahme
◦ GG normal
◦ schreit viel, schwer zu beruhigen
◦ verliert Brust, unruhig, zappelt während des stillens weinen
◦ kurze Schlafphasen
◦ sehr häufiges trinken (z.T. 18-mal tgl.)
◦ privater Stress in der Schwangerschaft (Hausbau...)
Fütterstörung mit Beeinträchtigung der homöostatischen Regulation ◦ Beginn i. d. ersten Lebensmonaten
◦ kein ruhiger Wachzustand (Schwierigkeiten i. d. Zustandsregulation)
◦ mangelnde Gewichtszunahme o. Gewicht
◦ keine körperliche Krankheit
unregelmäßiges dysfunktionales Füttern,
inadäquate Nahrungsaufnahme
Follow-up-Studie Canivet/ Jakobsson und Hagander 2000 Vierjährige häufiger Wutanfälle, Mahlzeiten seltener genossen, Magenschmerzen
Zwart u.Kollegen 2007 Säuglinge mit „Drei-Monatskoliken“ 71% Fütterprobleme, Prozentsatz von kompl. Schwangerschaften (z.B. vorz. WT, Forceps, fötalen Stress in Kolikgruppe dtl. erhöht
Mary Cassatt
Fallbeispiel ◦ 8 Monate alter Säugling
◦ seit Beginn der Breikost Fütterschwierigkeiten
◦ würgt, verweigert jegliche Breie, grimassiert
◦ akzeptiert nur die Brust
◦ Nuckel und Flasche abgelehnt
◦ mangelhafte Gewichtszunahme
◦ lange versucht schwanger zu werden
◦ Späte Erstpara
◦ KM unsicher, ängstlich jedoch nach außen hin fröhlich
◦ bek. Depression
◦ zusätzliche Überempfindlichkeiten: Hände klebrig o.ä., Abneigung Haare waschen, barfuß auf Gras/ Sand laufen, bestimmte Kleidungsstücke, Gerüche, Geräusche .....
Sensorische Nahrungsverweigerung
◦ Verweigerung best. Nahrungsmittel aufgrund Geschmack, Konsistenz, Geruch, Temperatur
◦ Beginn bei Einführung neuer o. andersartiger Speisen
◦ Ablehnung (Verziehen des Gesichtes, ausspucken, würgen, erbrechen, Weigerung den Mund zu öffnen...)
◦ probiert nur widerwillig unbekannte neue Speisen
◦ isst problemlos bevorzugte Nahrungsmittel
◦ Ernährungsdefizite (Vitamine, Eisen...)
◦ i.d.R. kein Wachstumsdefizit, Übergewicht möglich
◦ verzögerte Entwicklung der Mundmotorik möglich
◦ ab Vorschulalter Angst vor Mahlzeiten und Vermeidung sozialer Essenssituationen
◦ kein orales Trauma unmittelbar vor Erkrankungsbeginn
◦ keine Allergie etc.
https://www.swissmom.ch/baby/praktisches/beikost/wenn-babys-den-brei-verweigern/
Fallbeispiel ◦ kleine Prinzessin
◦ Nachzügler
◦ KV Montage, KM unter der Woche alleine mit Patientin
◦ sehr wählerisch, sehr geringe Nahrungsaufnahme
◦ habe keinen Hunger
◦ zu dünn
◦ aufgeweckt, fröhlich, vielseitig
◦ Dickkopf
◦ KM schwach, im Verlauf depressive Erkrankung dtl.
◦ Machtkämpfe
◦ Essen v.a. Süßes als Belohnung
Infantile Anorexie
◦ keine angemessene Nahrungsmenge
◦ Beginn meist während Übergangsphase (Füttern mit Löffel, selbständiges
Essen) zwischen 6. LM und 3. LJ
◦ selten Hungersignale, kaum Interesse am Essen
◦ großes Interesse an Exploration und Interaktion (lieber spielen, herumlaufen,
reden...)
◦ Wachstums-/ Gewichtsdefizit
◦ kein orales Trauma unmittelbar vorhergehend
◦ keine zugrundeliegende körperliche Erkrankung
Fütterstörungen
DC0-5:
◦ Fütterstörung mit Beeinträchtigung der homöostatischen
Regulation
◦ Fütterstörung mit unzureichender Eltern-Säuglings-Reziprozität
◦ infantile Anorexie
◦ Sensorische Nahrungsverweigerung
◦ posttraumatische Fütterstörung
◦ Fütterstörung im Zusammen mit einer medizinischen
Erkrankung
ICD10:
◦ Fütterstörung im frühen Kindesalter (F98.2)
Paula Modersohn-Becker
Vorboten späterer Verhaltensauffälligkeiten (Papousek M, Schieche M, Wurmser H, Regulationsstörungen der frühen Kindheit-Frühe Risiken und Hilfen im Entwicklungskontext der Eltern-Kind-Beziehungen 2015)
◦ Persistieren des exzessiven Schreiens > ersten 3 Lebensmonate
◦ mehrere Regulationsbereiche betroffen
◦ hohe psychosoziale Belastungsfaktoren
◦ Belastung/ Störung der Eltern-Kind-Beziehung
◦ fortbestehende Paarkonflikte
◦ psychische Erkrankung eines Elternteiles
Fallbeispiele ◦ 3 Jahre altes Mädchen
◦ Wutausbrüche, zunehmende Trennungsängstlichkeit
◦ benötigt neuerdings KM zum Einschlafen, bis dahin keine Schlafschwierigkeiten
◦ impulsiv, motorisch unruhig, bleibt nicht lange bei einer Sache
◦ akzeptiert keine Grenzen
◦ SVV (Kopfanschlagen)
◦ gewaltsame Übergriffe durch LG der KM auf KM miterlebt
◦ körperliche Kindesmisshandlung
◦ KM Crystalabusus, Borderline PS
◦ GG P7, GL P5, 3. LW „blau im Bett liegend“ Heimmonitor
◦ blass, Augenringe, gescannt, aufgepasst auf jüngere Schwester, anhänglich, gestresst, dominierend
◦ im Kontakt mit Erwachsenen unsicher, ängstlich, misstrauisch
◦ „wie weg“
◦ 3 Monate alter Säugling
◦ KM Crystalabusus, Borderline PS
◦ massivste Streitigkeiten zw. KE
◦ Trinkschwäche
◦ wenig Mimik, ausdrucksloser
Gesichtsausdruck
◦ durchlässiger Blick
◦ Stirn gerunzelt, schlaffer Tonus
◦ fixiert nicht, Blick abgewendet
◦ motorische Entwicklungsverzögerung
Posttraumatische Belastungsstörung
◦ Erleben eines Traumas mit erheblicher Bedrohung für das Kind oder für einen Angehörigen
◦ Reinszenierungen wie posttraumatisches Spiel, wiederholte aufdrängende Erinnerungen, Alpträume
◦ körperliche (Herzrasen, Schwitzen, Zittern, Bauschmerzen, Atemnot) und dissoziative Symptome
◦ Abstumpfung, verstärkter sozialer Rückzug, eingeschränktes Spannweite des aff. Ausdrucks,
◦ reduziertes Interesse o. Teilnahme an Aktivitäten (Spiel, soziale Interaktionen, Alltagsabläufe)
◦ Verlust von erworbenen Fähigkeiten
◦ Vermeidung
◦ Einschlafschwierigkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz, überstarke Schreckreaktion, gesteigerte Irritabilität, Ärger, Aufregung, Wutausbrüche, aggressives Verhalten und Trennungsängste
Deprivations-/ Misshandlungsstörung
1. emotional zurückhaltendes, gehemmtes Muster:
◦ eingeschränkte Suche nach Trost und Beistand bei Kummer und Belastung
◦ minimale Antwort auf Trost
◦ eingeschränkte positive Affektäußerungen
◦ gesteigerte Irritabilität, Trauer oder Angst
◦ eingeschränkte zwischenmenschliche Gegenseitigkeit in Interaktionen
2. wahlloses und enthemmtes Muster:
◦ distanzloses Verhalten gegenüber Fremden
◦ Explorationsverhalten ohne Rückversicherung
◦ Mischtypen möglich, Ausschluss von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen
Bindungstheorie
◦ angeborenes Bedürfnis, enge und von intensiven Gefühlen geprägte
Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen
◦ Bindung bei Gefahr etc. Schutz/ Beruhigung durch Bezugsperson
◦ Bindungsverhalten z.B. Lächeln, Schreien, Festklammern, Zur-Mutter-
Krabben, Suchen der Bezugsperson usw. = genetisch vorgeprägt
◦ Bindungssuchendes Verhalten Erkundungsverhalten
◦ verschiedene Bindungsmuster
Soziale Signale
aufmerksame Wachheit/ Interesse für Stimulation oder Interaktion
- Blickkontaktaufnahme
- lächeln
- positive Vokalisation
- Artikulationsbewegungen des Mundes
- angemessene Erregung
- Entgegenstrecken der Ärmchen/ checking back
- manuelles oder orales Untersuchen von Gegenständen
Desinteresse/ Erschöpfung bzw. Sättigung
- mangelnde Blickzuwendung
- Abwendung des Blickes neutralen oder verdriesslichen Gesichtsausdruck
- fehlende Vokalisation
- Schlaffheit oder Entspannung
Videos 100 Signale, Liga für das Kind, Youtube
Still face experiment, Edward Tronick
Feinfühligkeit ◦ Befinden des Kindes frühzeitig
wahrnehmen
◦ Signale richtig deuten
◦ angemessen reagieren
◦ zeitlich richtig reagieren/ Responsivität
◦ intuitives elterliches Verhalten
◦ Affektspiegelung
◦ Mentalisierung
Good enough mother ◦ disruption and repair
◦ 30% fit und match reicht für gesunde Entwicklung
◦ „Harmonisierungszwang“ viele Eltern glauben die erste Zeit
muss harmonisch sein
https://www.google.de/search?client=firefox-b&dcr=0&biw=1536&bih=752&tbm=isch&sa=1&ei=b2PWWqqSLMbfwAKb_qOwBg&q=wochenbett+mutter+kind&oq=wochenbett+mutter+kind&gs_l=psy-ab.3...30052.33972.0.34154.14.12.2.0.0.0.84.800.12.12.0....0...1c.1.64.psy-ab..0.4.214...0i7i30k1j0i8i7i30k1j0i24k1.0.WiwPsBtkxkM#imgrc=m2pPGawjHqhn-M:
DC:0-3R - Achse II- Beziehungsachse
Beziehungsstörung
◦ überinvolvierte Beziehungsstörung
◦ Unterinvolvierte Beziehungsstörung
◦ Ängstlich/angespannte Beziehungsstörung
◦ Ärgerlich/ablehnende Beziehungsstörung
◦ Gemischte Beziehungsstörung
◦ Verbal misshandelnde Beziehungsstörung
◦ Körperlich misshandelnde Beziehungsstörung
◦ Sexuell misshandelnde Beziehungsstörung
Beziehung zur primären Bezugsperson
◦ Misshandelnd
◦ Akut gefährdend
◦ Schwer gestört
◦ Gestört
◦ Dysfunktional
◦ Gestresst
◦ Unausgewogen
◦ Etwas unausgewogen
◦ Adaptiert (ausgewogen)
◦ Gut adaptiert (ausgewogen)
Kinder psychisch kranker Eltern Lenz E, Wiegand-Grefe S, Kinder psychisch kranker Eltern, Hogrefe Verlag 2017
◦ etwa viermal höheres Erkrankungsrisiko bei den Kindern
◦ meist affektive Störungen bei den Eltern
◦ höchstes Risiko bei Eltern mit Persönlichkeitsstörungen und
Suchterkrankungen
◦ > 3 Mio. Kinder in Dtld.
Egon Schiele
Subjektive Belastungen der Kinder psychisch kranker Eltern Lenz E, Wiegand-Grefe S, Kinder psychisch kranker Eltern, Hogrefe Verlag 2017
◦ Schuldgefühle, Ängste, Wut
◦ elterliche Erkrankung destabilisiert das gesamte Familiensystem
◦ Kinder = genaue Beobachter ihrer erkrankten Eltern
◦ Klinikeinweisungen = traumat. Ereignisse
◦ Tabuisierung verhindert offene Auseinandersetzung und Ressourcenmobilisierung
◦ Loyalitäts- und Schamgefühle
◦ weder innerer noch äußerer Freiraum
◦ Familiärer Alltag Zusammenbruch vertrauter Strukturen und Routinen
◦ Generationengrenzen in der Familie verwischen
◦ Eltern signalisieren ggü. dem Kind Bedürftigkeit
Mutter und Kind ll - Egon Schiele
Psychisch kranke Eltern
◦ elterliche Krankheitsverarbeitung beeinflusst kindliche Entwicklung
◦ signifikante Defizite in der Eltern-Kind-Interaktion (keine stabile Bindung,
mangelnde Responsivität, passives Verhalten, begrenzte
Ausdrucksfähigkeit, emotionale Nicht-Erreichbarkeit, Mangel an positiver
emotionaler Zuwendung, negativ-feindseliges Interaktionsverhalten)
◦ Beeinträchtigung der Erziehungskompetenzen (Beziehungsfähigkeit,
Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zur Grenzsetzung, Förderfähigkeit,
Vorbildfähigkeit, Alltagsengagement)
◦ verminderte Belastbarkeit
◦ konflikthafte elterliche Beziehungen
◦ Unsicherheiten im Erziehungsverhalten/ Selbstzweifel
◦ erhöhtes Gefährdungspotenzial für das Kindeswohl
Otto Dix
Jean-Auguste-Dominique Ingres
Lenz E, Wiegand-Grefe S, Kinder psychisch kranker Eltern, Hogrefe Verlag 2017
Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdung
Merkmale der Eltern
◦ leichte Auslösbarkeit intensiver
negativer Gefühle
◦ erhöhte Ängstlichkeit, emotionale
Verstimmung, Unglücklichsein
◦ hohe Impulsivität, herabgesetzte
Frustrationstoleranz
◦ vermeidender Bewältigungsstil,
geringe Planungsfähigkeit
Merkmale der Eltern-Kind-Interaktion
◦ altersunangemessene Erwartungen im Hinblick auf Fähigkeiten und Selbständigkeit des Kindes
◦ eingeschränktes Einfühlungsvermögen in Bedürfnisse des Kindes
◦ überdurchschnittlich ausgeprägte Belastungsgefühle durch das Kind
◦ überdurchschnittlich ausgeprägte Gefühle der Hilflosigkeit in der Erziehung und des Verlustes durch das Kind
◦ Störungen der Emotionsregulation bei den Eltern
◦ feindselige Erklärungsmuster für Problemverhalten/ negativ verzerrtes Bild des Kindes
◦ überdurchschnittlich ausgeprägte Zustimmung zu harschen Formen der Bestrafung, Unterschätzung negativer Auswirkungen kindeswohlgefährdender Verhaltensweisen
◦ eingeschränkte Fähigkeit oder Bereitschaft, eigene Bedürfnisse zugunsten kindlicher zurückzustellen
Lenz E, Wiegand-Grefe S, Kinder psychisch kranker Eltern, Hogrefe Verlag 2017
Nicht von schlechten Eltern
Diagnostik ◦ Ausführliche Anamnese, klinische Untersuchung
◦ Fragebögen, Checklisten,
◦ Symptomtagebücher (Fütter-, Schlaf- und Schreiprotokoll)
◦ Verhaltensbeobachtung (wickeln, füttern, spielen)
◦ Entwicklungsstand/ -tests
◦ Interaktionsbeobachtung
◦ Beurteilung der Eltern-Kind-Beziehung
◦ Beurteilung der psychosozialen Umwelt
◦ organische Diagnostik (z.B. muskuloskelettal)
'Mutter und Kind' von Mary Cassatt
Therapie ◦ Mutter-Kind-Interaktion (Signale d. Kindes, Förderung der Mentalisierung, positive Interaktionen,
Lausanner Trilogspiel, Wait watch & wonder)
◦ Einzelpsychotherapie ab 2./3. Lebensjahr spieltherapeutisch/ verhaltenstherapeutisch orientiert
◦ Elterngespräche (Psychoedukation, Mentalisierung...)
◦ entwicklungspsychologische Beratung
◦ Mütter-Achtsamkeit
◦ Morgenrunden (Wochenziel, Humor...)
◦ Logopädie
◦ Heilpädagogik
◦ Ergotherapie (Einzel, Mutter-Kind, Entspannung für Mütter)
◦ Physiotherapie (Einzel, Mutter-Kind)
◦ Beschäftigungstherapie
◦ Alltagserprobung
◦ Sozialdienst
◦ Kooperation mit der Erwachsenenpsychiatrie/ -psychosomatik
Sicher gebundene Kinder...
◦ adäquateres Sozialverhalten
◦ mehr Phantasie und positive Affekte beim freien Spiel
◦ größere und längere Aufmerksamkeit
◦ höheres Selbstwertgefühl
◦ offener und aufgeschlossener für neue Sozialkontakte
◦ neurophysiologischen Einfluss
◦ weniger depressive Symptome
Literatur ◦ Bolten M, Möhler E, von Gontard A, Psychische Störungen im Säuglings- und
Kleinkindalter, Hogrefe Verlag 2013
◦ Chatoor I, Fütterstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern, Klett Cotta 2016
◦ Cierpka M, Frühe Kindheit 0-3 Jahre, Springer Verlag 2014
◦ Cierpka M Hrsg., Regulationsstörungen, Springer Verlag 2015
◦ Döpfner M, Petermann F, Diagnostik psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter, Hogrefe Verlag 2012
◦ von Gontard A, Säuglings- und Kleinkindpsychiatrie, Kohlhammer 2010
◦ Hänggi Y, Schweinberger K, Perrez M, Feinfühligkeitstraining für Eltern, Huber Verlag 2011
◦ Hüther G, Krens I, Das Geheimnis der ersten neun Monate, Beltz Verlag 2013
◦ Kashtan I, Von Herzen Eltern sein, Junfermann Verlag 2014
◦ Lenz E, Wiegand-Grefe S, Kinder psychisch kranker Eltern, Hogrefe Verlag 2017
◦ Papoušek M, Schieche M, Wurmser H, Regulationsstörungen der frühen Kindheit, Hans Huber Verlag 2015
◦ Ziegenhain U, Gebauer S, Ziesel B, Künster AK, Fegert JM, Lernprogramm Baby-Lesen, Hippokrates Verlag 2016
Joaquin Sorolla y Bastida