ich hab nicht mehr als meine liebe

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Page 1: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Shannon Waverly

Julia 1125

5/2 1995

gescannt von Geisha0816 korrigiert von Joe

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1. KAPITEL Davon ging die Welt nicht unter. Sie brauchte nur tief Luft zu

holen und die Dinge überlegen zu betrachten. Es waren ja lediglich einige Dutzend Dekorationsspitzen für eine Hochzeit, Das Leben ging weiter.

Suzanna nahm den sich sträubenden Welpen auf, sperrte ihn in den Waschraum im rückwärtigen Teil des Ladens und kehrte in den engen Lagerraum zurück, wo ihr Neffe mit einer verräterischen Schokoladenspur am Kinn immer noch inmitten des Fetzenchaos saß.

"Und was hast du zu deiner Entschuldigung zu sagen, junger Mann?" Suzanna stemmte die Hände in die Hüften und blickte den Kleinen gespielt streng an.

"Tut mir leid, Tante Suzanna." Sie unterdrückte einen Seufzer. Mit seinen vier Jahren hielt

Timmy sie ganz schön auf Trab. "Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du nicht in diesen Raum darfst, schon gar nicht mit dem Hundebaby? Es dauert lange, diese Dekorationsspitzen anzufertigen, aber mir bleibt keine Zeit mehr. Die Hochzeit, für die ich sie liefern soll, ist morgen."

Tränen traten in Timmys große blaue Augen. Der Anblick ging Suzanna ans Herz. Seit dem Autounfall vor drei Monaten vertrat sie bei dem Jungen Elternstelle, doch wenn er sie so ansah, fiel es ihr schwer, konsequent zu bleiben.

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Sie kniete sich vor Timmy und nahm ihn bei den Schultern. "Ich weiß, dass du von jetzt ab besser auf Buddy aufpasst, damit so etwas nicht mehr passiert, okay?"

Der Junge nickte, aber seine Unterlippe zitterte leicht. "Fein. Und jetzt sammelst du die Fetzen auf und wirfst sie

dort in den Korb. Ich muss noch schnell Maries Gehaltsscheck ausschreiben, dann gibt's Mittagessen." Suzanna blickte auf die Uhr und hatte Gewissensbisse. Kein Wunder, dass Timmy sich auf die Suche nach etwas Essbarem gemacht hatte.

Der Junge spürte, dass die Krise überstanden war, und seufzte erleichtert auf. Suzanna schloss ihn gerührt in die Arme und küsste ihn auf die Wangen und das seidige braune Haar. Erst als er sich zu winden begann, wurde ihr bewusst, wie fest sie ihn an sich drückte.

"Entschuldige, Liebling." Lächelnd erhob sie sich, als das Telefon im Büro klingelte. "Oje! Auch das noch." Sie gab sich heiter, obwohl sie völlig geschafft war. Erst das undichte Rohr im dritten Stock, dann die Fleischlieferung, die zwei Stunden zu spät kam, und danach das Theater mit der Brautmutter, die nicht einsehen wollte, warum die Speisenauswahl des morgigen Hochzeitsessens so kurzfristig nicht mehr grundlegend geändert werden konnte. Und jetzt würde sie, Suzanna, mit dem mühsamen Neubasteln der Dekorationsspitzen auch noch bis spät in die Nacht zu tun haben,

"Könntest du bitte rangehen?" rief Marie. Sie war eine der beiden Teilzeitkräfte, die Suzanna beschäftigte. "Ich habe die Hände voller Teig."

"Mach ich. Und, Timmy, vergiss nicht, alles aufzulesen." Suzanna eilte über den Korridor in ihr Büro, das ähnlich wie das fensterlose Lager lediglich ein schmaler abgetrennter Raum war, in dem es jedoch einen alten Schreibtisch gab. Suzanna verzog das Gesicht, weil der eingesperrte Welpe mit herzzerreißendem Fiepen gegen seine Haft protestierte, und nahm atemlos den Hörer auf. "Fiesta Party-Service."

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"Könnte ich bitte mit Suzanna Keating sprechen?" meldete sich eine Männerstimme.

"Am Apparat." Suzanna klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und begann, die eingegangene Post auf dem Schreibtisch durchzusehen.

"Ich bin Logan Bradford, Miss Keating." Schlagartig wurde ihr klar, wer der Anrufer war, und die

Briefe in ihrer Hand entglitten ihren Fingern. "W... wer bitte?" "Logan Bradford. Harris' Bruder. Wir sind uns bei der

Beerdigung kurz begegnet." Suzanna sank auf den Bürostuhl, weil die Beine unter ihr

nachgaben. "Ja. Um ... was geht es?" "Ich muss Sie sprechen. Zufällig bin ich gerade geschäftlich

im Ort und könnte bei Ihnen vorbeikommen." Suzanna richtete sich kerzengerade auf. "Mr. Bradford, ich

wüsste nicht, was wir zu besprechen hätten." "Oh, sehr viel sogar." Sein Ton hatte etwas Aristokratisches

an sich, aber die Bradfords gehörten ja auch zum Geldadel New Englands.

"Entschuldigen Sie, dass ich mich seit der Beerdigung nicht gemeldet habe", fuhr Logan Bradford sachlich fort, "aber wir alle brauchten wohl einige Monate der Trauer und Besinnung. Inzwischen ist es aber höchste Zeit, dass wir uns sprechen, und zwar persönlich. Diese Angelegenheit lässt sich nicht telefonisch regeln."

Suzanna fuhr sich über die Stirn. "Tut mir leid, aber ich habe heute furchtbar viel zu tun und ..."

"Es dauert nicht lange. Ich rufe aus dem Wagen an und bin nur zwei Strassen von Ihnen entfernt."

Suzanna runzelte die Stirn. "Aber..." "Es ist wichtig, Miss Keating. In zwei Minuten bin ich bei

Ihnen." Damit war die Verbindung unterbrochen. Langsam legte

Suzanna den Hörer auf und spürte, wie ihr Herz klopfte.

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Logan Bradford wollte herkommen! Mechanisch wischte sie sich die feuchten Hände an der Schürze ab und überprüfte ihr Aussehen im Spiegel neben der Tür. Es war ein schwülheißer Augusttag, und Suzannas Gesicht war gerötet. Sie hatte sich am Morgen nicht die Mühe gemacht, Make-up aufzulegen, und ihr langes dunkles Haar nur in aller Eile zu einem Zopf geflochten. Unter der Schürze trug sie ein bequemes weißes T-Shirt und weite blaue Baumwollshorts.

Suzanna wandte sich vom Spiegel ab. Logan Bradford war auf dem Weg zu ihr. Der Mann, der sich geweigert hatte, seinen Bruder Harris auch nur im geringsten zu unterstützen, als sein Vater sich vor fünf Jahren von ihm losgesagt hatte. Schlimmer noch, Logan Bradford war sogar mit dem boshaften Alten einer Meinung gewesen, dass jemand, der so tief gesunken war, eine Frau wie Suzannas Schwester zu heiraten, enterbt werden müsse. Und ausgerechnet dieser Logan Bradford wollte mit ihr, Suzanna, reden.

Falls er kam, um die Hinterlassenschaft seines verstorbenen Bruders abzuholen, stand ihm eine herbe Enttäuschung bevor.

Harris hatte vor fünf Jahren nur seine Habe aus dem Studentenheim mitgebracht, und er war zu stolz gewesen, sich etwas von Zuhause zu holen. Stereoanlage, Uhr und Lederjacke hatte er bereits versetzt, als Suzanna ihm finanzielle Hilfe anbot. Obwohl auch sie über diese Heirat nicht sehr glücklich gewesen war, hatte sie es für selbstverständlich gehalten, dem Mann ihrer kleinen Schwester zu helfen.

Timmy kam aus dem Lagerraum geschlurft und zerrte den Korb mit den zerfetzten Papierspitzen hinter sich her

"Danke, Liebling." Bei seinem Anblick zog Suzannas Herz sich zusammen. Das Schicksal hatte ihrem kleinen Neffen grausam mitgespielt. Durch ein Autounglück hatte er an einem Nachmittag beide Elternteile verloren. Manchmal lauschte Suzanna auf das Lachen der beiden auf der Treppe, weil sie irgendwie immer noch nicht fassen konnte, dass sie tot waren.

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Der Schmerz über den Verlust wurde dann fast unerträglich. In diesen Momenten fragte sie sich unwillkürlich, was Timmy durchmachen mochte.

Suzannas einziger Trost war, dass sie ihrem Neffen schon immer sehr nahegestanden hatte. Da sie im selben Haus wohnten, war sie für ihn seit seiner Geburt nicht nur die Tante, sondern so etwas wie ein dritter Elternteil gewesen. Das machte dem Kleinen die Umstellung vielleicht etwas erträglicher.

Timmy hatte Suzanna über die letzten Monate hinweggeholfen. Claudias und Harris' Tod war für sie ein entsetzlicher Schlag gewesen, doch um Timmys willen hatte sie sich nach der Beerdigung zusammenreißen und mit der Erkenntnis abfinden müssen, dass das Leben weiterging. Jetzt war er Suzannas ein und alles, und die Sorge um sein Wohlergehen und seine Zukunft bestimmten ihr Denken. Nie hätte sie geglaubt, dass ein Kind dem Leben soviel Sinn und Ausrichtung geben könnte.

Suzanna nahm dem Jungen den Korb ab, stellte ihn auf den Schreibtisch und ging mit Timmy nach vorn. Marie, eine stämmige Witwe von sechzig Jahren, war damit beschäftigt, auf der Marmorplatte eines Ladentischs mitten im Raum Teig für eine Speckkuchenbestellung auszurollen. Auf dieser Arbeitsfläche hatten schon Suzannas Eltern fast dreißig Jahre lang Teig bearbeitet. An der rechten Wand summten die langen verglasten Kühltheken, in denen sich Salate und Aufschnitt aller Art befanden. Der würzige Duft von Würstchen mit Paprikaschoten, die auf einem blitzblanken Stahlherd schmorten, erfüllte den Laden. Zwei mit Sicherheitsglas ausgestattete Fenster gingen zur Strasse hinaus.

Seit siebenundzwanzig Jahren war dies Suzannas Welt - das Geschäft, die Strasse in der Bergwerksstadt im Südosten von Massachusetts, deren Blüte- und Glanzzeit mit der Verlagerung der Textilindustrie in den Süden längst der Vergangenheit angehörte. Während die meisten Freunde, mit denen Suzanna

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aufgewachsen war, in die Vororte gezogen waren, hatte sie ebenso standhaft am Ort ausgehalten wie die Granitwerke.

"Marie, könntest du Timmy heute das Mittagessen geben? Ich bekomme gleich Besuch."

Marie wischte sich die Hände an einem nassen Handtuch ab. "Also, dann komm mal her, junger Mann. Mal sehen, was wir in der Kühltheke haben. Ist dir nach Hummersalat?"

"Würstchen", erwiderte Timmy erwartungsvoll. "Würstchen!" Marie schüttelte lachend den Kopf. "Ich biete

dem Mann Hummer an, und er will Würstchen." Lächelnd sah Suzanna zu, wie der Junge wegging. Er schien

in den letzten Tagen aufgelebt zu sein und entwickelte sich besser, als sie zu hoffen gewagt hatte. Nachdem er in den ersten Monaten still und in sich gekehrt gewesen war, machte er das Bett inzwischen nicht mehr nass und weinte und bockte jetzt nicht öfter als andere Kinder seines Alters. Dennoch beobachtete Suzanna ihn aufmerksam.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Timmy beschäftigt war, eilte sie in ihre Wohnung im ersten Stock hinauf. Genaugenommen befanden die Ladenräume sich im Kellergeschoss, doch wegen der Hanglage des Hauses lag die Kellerfront auf der Höhe des Gehsteigs und der Strasse. Eine Seitenauffahrt führte zum eigentlichen Hauseingang und Suzannas Apartment hinauf.

Ihr blieb gerade noch Zeit, die Schürze abzunehmen, als sie vor dem Geschäft einen Wagen vorfahren hörte. Sie öffnete die Küchentür und trat auf die Zufahrt hinaus, auf der es stets nach Essen roch.

Suzanna atmete die schwüle Luft ein und überwand sich, auf die Strasse hinunterzublicken. Unterhalb der kurzen Granittreppe, die vom Gehsteig zu ihrem Hof hinaufführte, stand eine schwere schwarze Limousine. Ein Schauder überlief Suzanna, und sie hatte plötzlich das Gefühl drohenden Unheils.

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Der Motor wurde ausgeschaltet, und der Mann, den sie als Logan Bradford kennen gelernt hatte, stieg aus dem Wagen. Er straffte die breiten Schultern, knöpfte sein Jackett zu und unterzog das Gebäude einer langsamen, kritischen Musterung.

Suzanna wurde wütend. Natürlich wusste sie, dass ihr Haus es mit dem Anwesen der Bradfords am Mattashaum Harbor nicht aufnehmen konnte, doch niemand hätte behaupten können, sie hausten in einem Elendsquartier. Und Bradfords jüngerer Bruder hatte die kalte Atmosphäre seiner noblen Familienvilla bereitwillig gegen diese belebte Umgebung mit ihrem bunten Völkergemisch eingetauscht.

Logan Bradford betrachtete die Strasse mit ihren kleinen Geschäften ... dem Kolonialwarenladen, dem Minifischmarkt, dem Blumenladen. Dem Besucher aus der Welt des Reichtums entgingen auch nicht die Hinterhöfe mit den Wäscheleinen vor den Fenstern, den schmalen Gemüsebeeten und den Weinranken, aus deren Trauben die Bewohner ihren eigenen Wein herstellten. Bradfords Blick verweilte auf den Straßenfenstern mit den Plastikblumen und den Heiligenfiguren aus Gips, dem Herren-Sportklub, der nicht mehr als eine Kneipe war, den Rauchsäulen der Granitwerke weiter unten im Ort, in denen Suzannas Vorfahren für ihre Familien gearbeitet hatten.

Und dann bemerkte er Suzanna an der Gittertür, vor der sie mit verschränkten Armen stand. Schulterzuckend ging Logan Bradford auf die Treppe zu.

"Du lieber Himmel", flüsterte Suzanna und presste die Hand auf ihren Magen, der sich unwillkürlich verkrampfte.

Logan Bradford kam ihr größer vor, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er machte ihr jetzt fast Angst. Alles an ihm versinnbildlichte Reichtum und Macht, vom dunklen Maßanzug bis zu seinem unerbittlichen Gesichtsausdruck. Zielstrebig kam Logan auf Suzanna zu, und wieder fühlte sie sich leicht benommen, wie damals, bei der ersten Begegnung.

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Suzanna war sicher, dass er sich nicht mehr daran erinnerte. Sie hatte ihn nicht auf der Beerdigung kennen gelernt, sondern auf einer Party, für die Suzanna vor zwei Jahren einen Auftrag erhalten hatte. Damals hatte sie zum erstenmal eine Anzeige in die Zeitung gesetzt, und jemand aus einem der Vororte hatte ihren Service daraufhin für eine Cocktailparty bestellt...

"Dir ist doch wohl klar, wo das ist, Suzanna?" hatte Harris sie lachend gefragt.

Die angegebene Adresse sagte ihr nichts. "Ich rate dir nur eins, Schätzchen: Verdopple deine Preise." Das Haus der neuen Kundin war eine große viktorianische

Sommervilla in einem der exklusiven Vororte an der Atlantikküste. Freudige Erregung erfüllte Suzanna. Endlich hatte sie Gelegenheit, die Vielseitigkeit ihres Services unter Beweis zu stellen und Preise zu fordern, die dem Wert ihrer Arbeit entsprachen. Sie hatte Marie mitgenommen und dafür gesorgt, dass sie einheitliche schwarze Kleider trugen. So vorbereitet, fuhr sie mit dem Lieferwagen voller Horsd’oeuvres, die eines königlichen Empfangs würdig gewesen wären, zu der Villa.

Der Abend begann vielversprechend. Einige Gäste ließen sich sogar ihre Firmenkarte geben. Doch dann erschien dieser Fremde.

Suzanna trug gerade ein Tablett mit Kaviarblini ins Esszimmer, als sie ihn bemerkte. Er stand nebenan im Salon und unterhielt sich mit einigen Gästen. Beim Sprechen hob er den Kopf und begegnete Suzannas Blick, Er senkte die Lider ... sah jedoch sofort wieder auf, und in seinen Augen lag ein wachsamer, fast überraschter Ausdruck.

Suzanna blieb wie angewurzelt stehen und konnte sich nicht rühren. Seltsamerweise fiel ihr nicht auf, wie der Fremde gekleidet war, welche Farbe seine Augen hatten oder wie er das Haar trug. Sie wusste nur, dass sein Blick ihr durch und durch ging und so erregend auf sie wirkte, dass ihr schwindlig wurde.

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Der Augenblick schien eine Ewigkeit zu dauern. Irgendwann berührte eine zierliche Blondine neben dem Fremden seinen Arm, und der Bann war gebrochen. Sekundenlang rührte der Mann sich nicht, dann schüttelte er den Kopf leicht und setzte die Unterhaltung fort.

Suzanna stellte das Tablett ab und begann, benutzte Gläser und Teller einzusammeln. Doch auf einmal war alles anders. Sie fühlte sich benommen, und ihre Beine zitterten so, dass sie nicht wusste, wie sie den Rest des Abends durchstehen sollte.

Wann immer Suzanna sich mit dem Fremden im selben Raum befand, schweifte ihr Blick wie von einem Magneten angezogen zu dem Unbekannten, und sie beobachtete ihn verstohlen.

Wie die anderen Gäste war er ungezwungen gekleidet: hellbraunes Sporthemd mit aufgekrempelten Ärmeln, braune Hose, Segeltuchschuhe. Er hatte hohe Wangenknochen, glattes braunes Haar, das von der Sommersonne leicht gebleicht war, und seine Haut zeigte eine tiefe Bräune. Alles an ihm erschien Suzanna ansprechend und natürlich.

"Marie", flüsterte sie ihrer Vertrauten während einer Verschnaufpause durch die Küchendurchreiche zu, "was hältst du von dem Mann dort drüben?"

Marie trat ganz nahe heran. "Welchem?" "Dem umwerfenden Typ von ungefähr einem Meter

sechsundachtzig mit den aristokratischen Zügen und den Schlafzimmeraugen?"

"Wen meinst du genau?" "Er trägt das Haar etwas länger. Energisches Kinn, hohe

Stirn. Nein, der dort am Vitrinenschrank." "Ach der." Marie lächelte wissend. "Nett." "Sehr nett sogar." Einige Augenblicke begutachteten die beiden Frauen den

Fremden. Mit seiner blendenden athletischen Erscheinung fiel er sofort auf, fand Suzanna. Aber da war noch etwas anderes, das

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sie faszinierte, der Ausdruck in seinen ungewöhnlich klaren grauen Augen mit den schläfrig wirkenden Lidern. In diesen Augen lag ein Glimmen, das von einem inneren Feuer auszugehen schien.

"Weißt du", sinnierte Marie, "er sieht sogar reich aus. Wie machen diese Leute das nur? Ich me ine, er müsste sich das Haar schneiden lassen, seine Kleidung ist nun wirklich nichts Besonderes ..."

Suzanna verzichtete darauf einzuwenden, dass sein Hemd allein vermutlich mehr gekostet hatte, als Maries Kleid und Schuhe zusammen. "Das ist eine Sache der Einstellung, Marie. Der Mann weiß, dass er etwas darstellt." Unauffällig beobachtete Suzanna, wie er einen Schluck aus seinem Glas trank, sich unterhielt, lächelte. Alles an diesem Fremden wirkte selbstsicher und überlegen.

"Willst du versuchen, ihn dir zu angeln, Suzanna?" neckte Marie sie. "Oder hast du den für mich ausgesucht?"

Lachend arbeiteten sie weiter. Doch immer wieder sah Suzanna wie unter einem Zwang zu dem Fremden hinüber. Einige Male fing er ihren Blick auf, und sie hatte das Gefühl, dass er sie ansprechen würde, ehe die Party zu Ende ging.

Doch als Suzanna wieder einmal leere Gläser einsammelnd durch den Salon ging, hörte sie die Blondine, die mit dem Fremden gekommen zu sein schien, ihm durch den Raum etwas zurufen. Logan nannte sie ihn. Logan, Schatz ...

Zum zweitenmal an diesem Abend war Suzanna wie vom Donner gerührt. Logan? Der Name war ungewöhnlich, und dieses Haus, die Kreise, in denen dieser Mann sich bewegte ...

Klopfenden Herzens betrachtete Suzanna ihn genauer. Aber natürlich. Seine Augen waren von dem gleichen hellen Grau, die Brauen zeigten den gleichen kühnen Schwung, am Kinn das gleiche Grübchen ... Warum war ihr die Ähnlichkeit nicht schon eher aufgefallen?

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Suzanna flüchtete in die Küche. Das Herz schlug Suzanna bis zum Hals, und sie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Ihre interessierten Blicke, die Hoffnungen, die sie sich im stillen gemacht hatte ... hatten Harris' Bruder gegolten!

Nachdem sie sich so lange, wie es ging, in der Küche aufgehalten hatte, blieb Suzanna schließlich nichts anderes übrig, als in den Salon zurückzukehren. Bald merkte sie jedoch, dass sie nichts zu befürchten hatte. Logen Bradford sah sie kein einziges Mal mehr an. Sein Interesse an ihr war verflogen. Oder es hatte nie bestanden, und sie hatte sich alles nur eingebildet. Schließlich besaß sie nur einen kleinen Party-Service, während Logan Bradford Multimillionär war...

Wenig später verabschiedete er sich von der Gastgeberin und verließ mit der Blondine am Arm die Party.

Suzanna sollte Logan Bradford erst bei der Beerdigung wiedersehen. Nichts an seinem Verhalten deutete jedoch an, dass er sich an Suzanna erinnerte, und sie war froh darüber.

Das Begräbnis. Sie hatte nicht selbst in Mattashaum angerufen, sondern den

Geschäftsführer des Bestattungsunternehmens gebeten, Harris' Familie zu benachrichtigen. Schließlich gingen die Bradfords Suzanna nichts an, und nachdem diese Leute sich Claudia und ihrem Mann gegenüber so herzlos gezeigt hatten, sah Suzanna keinen Grund, Kontakt mit ihnen aufzunehmen.

Logan erschien allein in der Kirche und setzte sich Taktvollerweise nicht zu Claudias Familie. Auch auf den Friedhof ging er mit, doch während die Trauergäste sich unter einem Vordach versammelten, stand er allein im kalten Mairegen. Geschieht ihm recht, dachte Suzanna. Sie verachtete alles, was Logan Bradford verkörperte: Geld und Macht, Dünkel und Elitedenken. Am liebsten hätte sie den Mann zum Gehen aufgefordert. Aber das konnte sie natürlich nicht tun. So blickte sie nur gelegentlich unauffällig zu ihm hinüber, während er, die

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Hände in die Manteltaschen geschoben und mit nassem Haar, unter einer noch fast kahlen Eiche stand.

Er wartete, bis alle gegangen waren und nur noch Suzanna zurückblieb. Erst da trat er näher und stellte sich vor. Sein gefasstes Verhalten erstaunte sie. Sie selbst hatte seit drei Tagen geweint und war auch jetzt wieder in Tränen ausgebrochen.

"Mein Beileid zum Verlust Ihrer Schwester", sagte er und blickte gleichmütig, wie Suzanna fand, auf die beiden blumengeschmückten Särge.

Sie nahm seine Beileidsbezeugung nur stumm nickend zur Kenntnis.

"Wo ist ihr Sohn?" "Zu ..." Suzanna schnäuzte sich die Nase. "Zu Hause beim

Babysitter." "Aha." Logan Bradford schien das nicht wirklich zu

interessieren. "Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich hier bin."

Dies war nicht der Ort für Vorwürfe, aber der Schmerz saß zu tief, und Suzanna konnte nicht an sich halten. "Es würde mir weniger ausmachen, wenn Sie die beiden besucht hätten, als sie noch lebten."

Logan Bradford presste die Lippen zusammen. "Mein Bruder hat eine Entscheidung getroffen und musste mit den Folgen leben."

Suzanna verzog verächtlich die Lippen. Etwas so Herzloses hatte sie noch nie gehört. "Bravo, Mr. Bradford. Kein Wort des Zweifels oder Bedauerns bis zum bitteren Ende."

Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu. "Warum sind Sie überhaupt hergekommen?" fragte sie eisig. Logan Bradford antwortete eine ganze Weile nicht und

blickte ins Leere. "Wir haben in Mattashaum ein Familiengrab", sagte er endlich. "Mein Vater möchte, dass der Leichnam dorthin überführt wird."

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"Leichnam?" Suzanna war so wütend, dass ihre Tränen versiegten. "Bringen Sie es nicht einmal fertig, den Namen Ihres toten Bruders auszusprechen? Du meine Güte, das hat nichts mehr mit Stolz zu tun, das ist der Gipfel der Gefühllosigkeit." Angewidert schüttelte sie den Kopf. "Tut mir leid, Mr. Bradford. Harris wird hier bei meiner Schwester begraben, zu der er gehört."

Logan blickte zu den grauen Wolkenschwaden auf, und seine Züge wurden noch härter. "Wir werden ja sehen." Damit schlug er den Mantelkragen hoch und trat in den Nieselregen hinaus.

Am Grabe seines Bruders blieb Logan jedoch stehen und ließ den Blick nachdenklich über den Friedhof schweifen.

Suzanna beobachtete Logan eher neugierig als hasserfüllt. Und dann geschah es. Fast unmerklich hob er die Hand und fuhr sanft über das regennasse Sargholz, als streichelte er ein schlafendes Kind. "Gute Reise, Harry", sagte er leise. Dann holte er tief Luft und ging davon...

Und jetzt erstieg dieser Mann die Granittreppe zu Suzannas Haus und betrat die knarrenden Verandastufen. Vielleicht war er gekommen, um mit ihr über die Umbettung der sterblichen Überreste seines Bruders zu sprechen. Entschlossen warf Suzanna den Kopf zurück. Wenn Logan Bradford glaubte, sie umstimmen zu können, stand ihm eine Überraschung bevor.

Unter dem Verandavordach blieb er stehen und sah Suzanna kühl an.

"Was wollen Sie?" fragte sie ohne Umschweife. "Darf ich hereinkommen?" Sie war normalerweise stets höflich, doch jetzt schüttelte sie

energisch den Kopf. "Wenn das Gespräch, das Sie mit mir führen wollen, so kurz ist, wie Sie behaupten, können wir die Sache auch hier hinter uns bringen."

"Gut." Logan knöpfte sich das Jackett auf, das er eben erst geschlossen hatte, und schob die Hände in die Hosentaschen.

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"Ich bin hier, um mit Ihnen über das Kind meines Bruders zu reden."

Suzanna zuckte zusammen. "Timmy?" "Ja." "Timmy?" wiederholte sie verständnislos. "Weshalb?" "Nachdem Harris tot ist, werde ich die Vormundschaft für

den Jungen übernehmen." "Was werden Sie?" Suzanna lachte ungläubig, weil das nur

ein Scherz sein konnte. "Obwohl mein Vater und ich uns von Harris losgesagt haben,

fühle ich mich für seinen Sohn verantwortlich. Schließlich ist er ein Bradford."

Zorn packte Suzanna. "Ach ja, ich verstehe. Auf einmal ist er ein Bradford. Jetzt, da niemandem mehr damit geholfen ist."

Logan zog eine Braue hoch. "Im Gegenteil. Dem Jungen kann nichts Besseres passieren, als in den Schoss seiner Familie aufgenommen zu werden."

"Moment mal." Suzanna richtete sich kerzengerade auf. "Timmys Zuhause ist hier bei mir!" erklärte sie scharf. "Wie kommen Sie auf die Idee, ich würde Ihnen den Jungen überlassen?"

Logan Bradford sah sie kalt an. "Und wie kommen Sie auf die Idee, in dieser Angelegenheit ein Mitspracherecht zu haben?"

Suzanna lachte zynisch. "Wer glauben Sie wohl, hat seit dem Tod seiner Eltern für den Jungen gesorgt?"

"Mag sein. Aber soweit ich weiß, hat weder Harris noch Ihre Schwester ein Testament hinterlassen, in dem Sie als Vormund eingesetzt sind, oder?"

"Nein. Sie waren noch so jung, da sind sie gar nicht auf den Gedanken gekommen..."

"In diesem Fall übernehme ich als Onkel des Jungen die Vormundschaft. "

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Suzanna ballte die Hände zu Fäusten. "Wir scheinen uns immer noch nicht zu verstehen. Ich bin Timmys Vormund. Ich." Sie deutete mit dem Finger auf sich, um der Behauptung Nachdruck zu verleihen.

"Aber nicht juristisch", erwiderte Logan sachlich. "Ich hoffe, Sie sind vernünftig und führen sich nicht auf wie..."

"Vernünftig? Einen gerade erst zur Waise gewordenen vierjährigen Jungen in ein fremdes Haus mit fremden Menschen zu verpflanzen, das nennen Sie vernünftig, Mr. Bradford?"

"Ja", entgegnete er, ohne zu zögern. "Im Moment mögen wir einander fremd sein, aber Timmy ist jung und wird sich schnell an das neue Leben gewöhnen. Und dann genießt er alle Vorteile eines Bradford. Darüber müssten Sie doch glücklich sein."

Suzanna wurde bewusst, dass Logan es ernst meinte. Mit zitternder Hand fuhr sie sich über die Stirn. "Das ist doch nicht zu fassen! Ihre Familie hat Timmys Geburt nicht mal zur Kenntnis genommen. In den vier Jahren hat sich keiner von Ihnen auch nur im geringsten um ihn gekümmert. Und plötzlich wollen Sie sich als Vormund aufspielen und erwarten auch noch, dass ich glücklich darüber bin?" Suzannas Stimme bebte gefährlich. "Mr. Bradford, verlassen Sie auf der Stelle mein Grundstück, ehe ich die Polizei rufe."

In seinen hellen Augen blitzte es zornig auf, doch er erwiderte beherrscht: "Also gut. Genug davon." Einlenkend hob er die Hand, doch statt zu gehen, hockte er sich auf das Verandageländer und betrachtete Suzanna. "Also gut", wiederholte er schließlich. "Mein Vater und ich erkennen an, dass Sie in den vergangenen vier Monaten Zeit und Mühe für den Sohn meines Bruders aufgewendet haben. Dafür sind wir bereit, Ihnen eine Entschädigung zu zahlen. Sagen wir, zwanzigtausend Dollar?"

Suzanna konnte Logan nur fassungslos ansehen. "Sie wollen mich dafür bezahlen, dass ich mich um Timmy gekümmert habe?"

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"Richtig. Vorausgesetzt natürlich, Sie sind bereit, den Jungen ab jetzt meiner Obhut zu übergeben."

Vor Empörung konnte Suzanna nicht mehr an sich halten. "Was sind Sie doch für ein hochnäsiger, anmaßender, selbstgefälliger Mensch! Wofür halten Sie mich eigentlich?"

"Fünfundzwanzigtausend", sagte Logan ruhig. "Scheren sie sich zum Teufel!" Angewidert hob sie die

Hände. Logan stand auf. "Dreißigtausend. Mein letztes Angebot.

Höher gehe ich nicht." "Leute wie Sie denken, mit Geld sei alles zu machen, nicht

wahr?" Er musterte Suzanna erneut. "Okay, wie wär's, wenn Sie mir

verraten, wie viel Sie wollen... wie viel die Zeit, die Sie aufgewendet haben, wert ist?"

"Es geht hier nicht um Geld, Mr. Bradford, sondern um Liebe... etwas, das Sie offenbar nicht kennen. Haben Sie und Ihre Familie nichts dazu gelernt, als Sie versuchten, meine Schwester mit Geld loszuwerden?"

Suzanna sah, dass Logan blinzelte, und sie fragte sich, ob sie eine wunde Stelle getroffen hatte.

Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und wandte den Blick ab. Als er sich Suzanna wieder zuwandte, wirkte er gefasst. "Bei dieser Geschichte ging es immer um Geld, Miss Keating. Gleich vom ersten Tag an, als ihre Schwester und Harris sich kennen lernten."

"Was wollen Sie damit sagen?" Logan lächelte zynisch. "Glauben Sie wirklich, dass die

beiden zusammengeblieben wären, wenn Ihre Schwester meinen Bruder nicht mit der Schwangerschaft hereingelegt hätte?"

Einen Augenblick verschlug es Suzanna die Sprache. "Sie glauben, Claudia hätte es darauf angelegt, schwanger zu werden?"

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"Ich weiß es. Das ist ein uralter, beliebter Trick. Wenn das Kind nicht gewesen wäre, hätte Harry sie schon vor Jahren verlassen."

"Sie können doch nicht glauben, sie sei hinter seinem Geld hergewesen!"

"Jemand war es jedenfalls", betonte Logan. "Ich? Soll das heißen, Sie beschuldigen mich, es auf Harris'

Geld abgesehen zu haben?" Logan verzog nur abschätzig die Lippen. "Aber Harris hatte überhaupt kein Geld!" "Sicher. Und er hatte auch keine Aussicht, zu Geld zu

kommen, solange er sich so unreif aufführte. Aber für eine Außenstehende sah die Sache anders aus. Und nachdem diese Außenstehende ihn jahrelang durchgefüttert hatte, durfte sie doch wohl annehmen, dass er sich dafür großzügig erkenntlich zeigen würde, wenn er zu Geld kam ... sehr großzügig sogar."

Suzanna hielt sich den Kopf. "Ihre Unterstellung ist so lächerlich, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. All die Opfer, die ich gebracht habe, die vielen zusätzlichen Stunden, die ich gearbeitet habe ... Denken Sie wirklich, ich hätte Harris und Claudia unterstützt, weil ich mir davon einen Geldsegen erhoffte?"

"Sagen wir es so: Sie ließen eine vielversprechende Chance nicht ungenutzt verstreichen." Logan betrachtete Suzanna noch einmal von Kopf bis Fuß. "Wissen Sie, rückblickend auf die fünf Jahre würde ich sagen, am schwersten liegt mir im Magen, dass Sie die beiden die ganze Zeit über unterstützt haben. Wenn Sie es ihnen nicht so bequem gemacht hätten, hätten sie längst aufgegeben und sich getrennt. Durch Sie wurde es den beiden überhaupt erst möglich weiterzumachen. Deshalb mache ich Ihnen, Miss Keating, den Vorwurf, meinem Vater und mir Harris' letzte Lebensjahre gestohlen zu haben."

Suzanna traute ihren Ohren nicht. "Das ist unfair! Sie ganz allein sind schuld, dass es zwischen Ihnen und Ihrem Bruder

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zum Bruch kam. Machen Sie mich etwa auch für seinen Tod verantwortlich?" Sie hatte erwartet, dass Logan das verneinte, aber er tat es nicht.

Warnend entgegnete er: "Ich kann Ihnen nur sagen, dass es Ihnen nichts nützen wird, uns weiter unter Druck zu setzen."

"Wie bitte?" "Ich meine Timothy. Sie bekommen nicht mehr als die

Summe, die ich Ihnen geboten habe." "Gehen Sie!" Mit bebendem Finger deutete Suzanna auf die

geparkte Limousine. "Verschwinden Sie, und zwar sofort!" Logan runzelte die Stirn. "Wie ich sehe, lässt die Sache sich

nicht gütlich regeln. Ich hätte auf meine Anwälte hören und ihnen die Angelegenheit übergeben sollen. Tut mir leid, Miss Keating." Er drehte sich um, und ging die Stufen hinunter.

Suzanna war jetzt auf der Hut. Logan Bradford führte etwas im Schilde. "Warten Sie. Haben Sie die Absicht... vor Gericht zu gehen?" fragte sie stockend.

Er blieb auf dem Gehweg stehen und blickte gegen die Sonne anblinzelnd zu Suzanna auf. "Wegen Timmys Vormundschaft? Natürlich. Ich hatte gehofft, wir könnten uns in einem persönlichen Gespräch, ohne Rechtsstreit, einigen. Aber..." Logan zuckte die Schultern und schien die Wirkung seiner Drohung abzuwarten.

Suzanna ließ sich nicht einschüchtern. "Nun, Mr. Bradford, ich denke nicht daran, auf Timmy zu verzichten. Wenn es nicht anders geht, sehen wir uns vor Gericht wieder."

Logan nickte, um anzudeuten, dass er die Kriegserklärung angenommen hatte. Dann ging er zu seinem Wagen und fuhr davon.

Für Suzanna, die geglaubt hatte, mit beiden Beinen im Leben zu stehen, war die Welt plötzlich aus den Angeln geraten. Zitternd ließ sie sich auf die oberste Treppenstufe sinken und schlug die Hände vor das Gesicht. Sie hatte das beängstigende

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Gefühl, in Logan Bradford einen Gegner zu haben, dem sie nicht gewachsen war.

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2. KAPITEL Logan Bradford faltete seine Leinenserviette zu einem Fächer

und schwenkte ihn geistesabwesend. Hoch über der luftigen Veranda ertönte Möwengeschrei, das ihm so vertraut war wie sein Herzschlag. Träge hob Logan den Kopf und entdeckte einen Silberreiher, der sich von der Windströmung über die Dünen landeinwärts tragen ließ.

Logan kippte den Stuhl zurück und verfolgte den Flug des Vogels, bis er das Schilf erreichte und dem Blick entschwand. Seufzend wünschte Logan, er könnte auch dort draußen sein.

Aber das war nicht möglich. Sie mussten eine Lösung für ein wichtiges Problem finden, und wie gewöhnlich blieb alles an ihm hängen.

"Natürlich hat sie da ein entscheidendes Argument in der Hand", sagte Charlie Gibbons, der Logan am Tisch gegenübersaß, "und es wäre hirnverbrannt, es außer acht zu lassen." Charlie war seit über dreißig Jahren Anwalt der Familie.

"Und was wäre das für ein Argument?" Collin Bradford drückte seine Zigarette so heftig aus, dass Logan aufmerkte. So erregt hatte er seinen Vater seit Jahren nicht mehr erlebt.

"Sie ist die einzige, die sich um den Jungen gekümmert hat, Collin."

"Es interessiert mich nicht, wer sie ist. Er ist mein Enkel, ein Bradford." Verächtlich setzte Collin hinzu: "Auch wenn seine Erbmasse nicht ganz rein ist. Und ich dulde nicht, dass mein

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Enkel bei einer ungebildeten, mittellosen Person in einem Armutsviertel aufwächst ..."

"Denk an deinen Blutdruck, Collin", mahnte Logan. Als der Alte weiterpoltern wollte, setzte Logan hinzu: "Vater! Beruhige dich endlich. Es bringt uns auch nicht weiter, wenn du an die Decke gehst."

Wütend brummelte Collin Bradford etwas vor sich hin, doch dann lehnte er sich zurück.

"Wie sollen wir eurer Meinung nach also vorgehen?" wandte Logan sich an die beiden anderen Anwälte, die zu dieser Besprechung fast hundert Kilometer aus Boston angereist waren.

Geschäftig beugten sie sich vor, denn jetzt konnten sie Logans Aufmerksamkeit sicher sein. Oder zumindest glaubten sie das. Doch es fiel ihm an diesem Vormittag schwer, sich zu konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu Harris, durch den die Probleme, mit denen sie sich jetzt herumschlagen mussten, überhaupt erst entstanden waren. Harry war schon immer das schwarze Schaf der Familie gewesen.

Er hätte alles haben können, wenn er nur vernünftiger gewesen wäre und auf sie gehört hätte. Mit einundzwanzig war ein Mann viel zu jung zum Heiraten, erst recht, wenn er bei einer Scheidung so viel zu verlieren hatte.

Doch Harry hatte sich stets gegen seinen Vater aufgelehnt, und sie hätten sich denken können, dass er sich von der Heirat nicht abbringen lassen würde. Aufsässig war er schon immer gewesen. Logan dachte daran, wie Harry ein Jahr lang einfach nicht zur Schule gegangen war, weil er die Pazifikküste per Anhalter entlang zigeunern wollte. An die sinnlosen Dinge, die er sich gekauft hatte, von Motorrädern bis zu exotischen Papageien. Seinen Entschluss, Fotografie zu studieren, obwohl Collin für Betriebswirtschaft gewesen war. Harry hatte ziellos in den Tag hineingelebt. Grundsätzlich hatte er immer das Gegenteil von dem getan, was Collin und er, Logan, ihm rieten.

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Logan kippte den Sessel wieder vor und schlenderte zum anderen Ende der Veranda, wo er den Blick ungehindert schweifen lassen konnte , über das endlose blaue Meer im Süden und die kilometerlange Strand-, Wiesen- und Seenlandschaft bis zu den dichten grünen Wäldern im Norden. In der flirrenden Augusthitze lag Mattashaum mit seiner überwältigenden Schönheit vor Logan ausgebreitet. Hier war auch Harrys Zuhause gewesen, sein Erbe, das sich seit fast dreihundert Jahren im Besitz der Familie befand. Wie hatte er all das so einfach aufgeben können?

"Logan?" rief der Anwalt, der das Wort ergriffen hatte. Ohne sich umzudrehen, nickte Logan. "Ich höre. Weiter." Aber er hörte nicht sehr aufmerksam zu. Seine Gedanken

kehrten in die Vergangenheit zurück, zu den Drohungen und Auseinandersetzungen zwischen Harry und seinem Vater und den Auswirkungen dieser Aufregungen auf Collins Gesundheit. Wieder fragte Logan sich, was gewesen wäre, wenn er zwischen Collin und Harry von Anfang an vermittelt hätte. Doch er, Logan, war zu dieser Zeit geschäftlich in Kalifornien gewesen, wo er Windmühlen und ein Werk besichtigt hatte, nach dessen Vorbild er das eigene Unternehmen modernisieren wollte. Als er schließlich heimkam, hatten die Fronten zwischen Collin und Harry sich so verhärtet, dass keine Versöhnung mehr möglich war.

Logan hatte versucht, mit seinem Bruder zu reden, ihm klarzumachen, dass er den alten Herrn mit seiner Unnachgiebigkeit nicht zu weit treiben dürfe. Wenn er dieses Mädchen nicht aufgeben wolle, solle er aufhören, sich mit Collin herum zu streiten, und einfach einige Jahre verstreichen lassen, bis er sich an die Vorstellung gewöhnt hätte. In der Zwischenzeit solle Harry das College abschließen und einen Beruf ergreifen.

Aber Harry hatte nicht warten können. Er hatte dagegengehalten, es sei höchste Zeit, dass wenigstens einer in

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der Familie Rückgrat zeige. Diese Bemerkung wurmte Logan heute noch. Harry hatte sich nicht um Collins Drohungen geschert und das Mädchen geheiratet.

Nach dem Herzinfarkt seines Vaters hatte Logan darauf verzichtet, Harry zu benachrichtigen. Er war sicher gewesen, sein jüngerer Bruder würde des Mädchens und des ärmlichen Lebens bald überdrüssig sein und in den Schoss der Familie zurückkehren.

Doch dann war Suzanna Keating auf den Plan getreten und hatte alles getan, um dem jungen Ehepaar unter die Arme zu greifen. So waren aus Monaten Jahre geworden, und nun war es zu spät...

Logan seufzte und ließ die Schultern hängen. Ach, Harry, warum hast du das getan? dachte Logan und blickte zu der kreischenden Möwenschar über ihm auf. So viele harte Worte, so viele Schmerzen ... Du hättest diese Claudia schnell vergessen. Sicher, sie war ungewöhnlich hübsch gewesen, aber was du für sie empfunden hast, war doch nur eine Schwärmerei wie so viele andere zuvor...

Logan fühlte sich müde. Er vermisste seinen kleinen Bruder schrecklich und wünschte, sie hätten sich wenigstens noch versöhnt. Mehr als einmal war Logan drauf und dran gewesen, mit Harry Frieden zu schließen, aber letztlich hatte er es doch nicht getan. Und dann ... war Harry gestorben.

Logan schloss die Augen, um die Erinnerungen zu verdrängen. Reue und Selbstvorwürfe führten zu nichts. Es war passiert, und niemand konnte daran etwas ändern. Jetzt galt es, sich den Problemen der Gegenwart zu stellen. Er musste zusehen, dass er die Vormundschaft für Harrys Jungen erhielt. Und das schien schwieriger zu werden, als er sich vorgestellt hatte.

Collin hatte recht mit seiner Forderung, Der Junge gehörte hierher. Die Bradfords konnten tausendmal besser für Timmy sorgen als seine Tante, Außerdem würde es Collin gut tun,

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seinen Enkel um sich zu haben. Seit Harris' Tod war sein Vater sichtlich gealtert, und Logan befürchtete, es könnte zu einem zweiten Herzinfarkt kommen. Der Junge würde seinem Großvater neue Lebensfreude geben.

Eigentlich hatte Collin die Vormundschaft selbst übernehmen wollen, doch da er alt und krank war, war das ausgeschlossen. Daraufhin hatte er, Logan, sich dazu verpflichtet gefühlt. Aber das war auch ganz in seinem Sinn, denn so konnte er seinem alten Vater und seinem Bruder einen Dienst erweisen.

Logan hatte jedoch nicht ahnen können, in welchen Konflikt er sich damit brachte ... gegenüber der schönen grünäugigen Suzanna Keating, die ihm vom ersten Augenblick an den Seelenfrieden geraubt hatte. Die ältere Schwester der hübschen Claudia war eine Schönheit.

Das seidige braune Haar fiel ihr in weichen Wellen bis zur Taille. Suzannas Wimpern waren so dicht und lang, dass sie Schatten auf die Wangen warfen. Ihre Haut schimmerte samtig, die Züge waren edel geformt, und über der sanft geschwungenen Oberlippe befand sich ein kleines Muttermal. Alles an dieser jungen Frau war biegsam, anmutig und lang, der Hals, die Arme, die Beine, ja sogar die Taille und die Finger waren lang. Und wie sie ein T-Shirt ausfüllte...

"Logan?" Collins Stimme unterbrach Logans Träumereien. "Komm, setz dich wieder zu uns."

Er riss sich zusammen und drehte sich um. Die Blicke der vier Männer am Tisch waren auf ihn gerichtet, und er lächelte matt. "Wo waren wir?"

"Bei der Strategie", sagte Charlie Gibbons. "Findest du nicht, wir sollten herausstellen, was wir für den Jungen tun können ..."

"Und seine Tante nicht", warf der Anwalt neben ihm ein. "Ja, natürlich." Logan setzte sich wieder zu den Männern.

Wie konnte er sich nur in Tagträumereien verlieren! Suzanna Keating mochte eine Schönheit sein, aber was bedeutete das schon? Er kannte genug schöne Frauen. Außerdem durfte er

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nicht vergessen, wer sie war. "Ich stimme euren Vorschlägen voll zu, nur sollte Tom Miss Keating überprüfen, nicht du, Charlie. Im übrigen brauche ich eine genaue Aufstellung unserer Vorteile gegenüber Miss Keating."

Alle lächelten zufrieden. Ben, das neueste Mitglied des Anwaltteams, lachte sogar. "Mann, ich hoffe, sie weiß, auf was sie sich einlässt."

Tom setzte hinzu: "Sie hätte dein gestriges Angebot annehmen sollen."

Die Männer schüttelten ungläubig die Köpfe, nur Logan nicht. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er in die Ferne. Er hatte nicht gewusst, dass Collin Claudia vor fünf Jahren Geld geboten hatte, und es war Logan peinlich gewesen, von Suzanna bei der gleichen Kriegslist ertappt zu werden. Hochnäsiger, selbstgefälliger Mensch hatte sie ihn genannt. Doch statt wütend darüber zu sein, störte es ihn, dass sie eine so schlechte Meinung von ihm hatte. Logan wunderte sich über sich selbst. Normalerweise war es ihm gleichgültig, was andere von ihm hielten.

"Ich verstehe sie nicht", fuhr Ben fort. "Warum kämpft sie so beharrlich um das Sorgerecht für den Jungen, wo sie doch viel besser dran wäre, wenn sie auf ihn verzichtete? Schließlich ist sie ledig und lebt allein. Da müsste sie doch froh sein, die Verantwortung loszuwerden."

Collin zündete sich mit zittrigen Fingern eine neue Zigarette an, "Wahrscheinlich denkt sie, wir bieten ihr mehr, wenn sie hart bleibt. Oder aber sie erwartet, von uns Unterhaltszahlungen für den Jungen zubekommen."

"Du meinst, sie sei so oder so auf Geld aus?" fragte Ben. "Natürlich. Was sonst?" Logan nahm seinem Vater die Zigarette ab und druckte sie

aus. "Vielleicht hat sie sich ausgerechnet, dass Harris' drei Millionen Dollar immer noch auf der Bank liegen und seinem Sohn zustehen."

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Ben, der mit seiner Brille spielte, hob überrascht den Kopf. "Drei Millionen Dollar! Alle Achtung."

"Darauf kann sie warten, bis sie schwarz wird", sagte Collin. "Das Geld läuft unter meinem Namen, und ich werde es erst auf Timothy umschreiben lassen, wenn wir die Vormundschaft über ihn haben."

"Hier geht es aber nicht nur um Geld", mischte Logan sich energisch ein. "Wir wollen dem Jungen eine bestimmte Erziehung zukommen zu lassen. In unserer Familie wurde von jeher als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Geld mit Verantwortung verbunden ist und sinnvoll, nutzbringend und zukunftssicher ange legt werden muss, um Mattashaum zu erhalten. Von klein auf wurden wir angehalten, nichts zu verschwenden. Wir arbeiten schwer, haben ausgeprägte Wertvorstellungen, und wenn der Sohn meines Bruders wie ein Bradford denken lernen soll, muss er von einem Bradford erzogen werden."

Logan wurde bewusst, wie großspurig das klang. Dennoch war er überzeugt, dass sie richtig handelten. "Charlie, lass uns die Sache sofort ins Rollen bringen. Versuche, für nächste Woche einen Gerichtstermin zu bekommen."

Der Anwalt nickte. "Tu alles, was du für notwendig hältst. Wir müssen schnell

und wirksam zuschlagen, ehe Miss Keating zum Gegenzug ausholen kann."

Charlie stand auf. "Ich hänge mich gleich ans Telefon. Währenddessen kannst du Logan deine Idee mit der Hochzeit auseinandersetzen, Ben."

"Hochzeit?" fragte Logan argwöhnisch. "Unsere Aussichten, den Prozess zu gewinnen, sind auch so

schon gut", erklärte Ben. "Wir könnten jedoch einen zusätzlichen Trumpf ausspielen, indem wir behaupten, du seist verlobt und würdest bald heiraten."

Logan lachte schallend. "Bist du verrückt geworden?"

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Collin lächelte zum erstenmal seit langer Zeit. "Eine großartige Idee. Wir könnten Cecily ..."

"Cecily!" "Sicher. Ihr geht doch schon seit der Schulzeit miteinander." "Vater, wir sind befreundet, mehr ist da nicht." "Du bist jetzt zweiunddreißig, Logan, Da könntest du dich

langsam mit dem Gedanken anfreunden, ein, zwei Erben in die Welt zu setzen."

"Ja, sicher. Aber ganz bestimmt nicht mit Cecily Knight. Himmel, das Mädchen ist strohdumm."

"Mag sein. Aber das muss bei einer Ehefrau durchaus kein Nachteil sein", sagte Collin. Alle lachten. "Dieser Typ ist häuslich und treu."

Logan versuchte, nicht an seine Mutter zu denken, die das Haus vor vierundzwanzig Jahren verlassen hatte und keineswegs treu gewesen war. "Ich will kein Schosshündchen, Vater."

"Du könntest eine schlechtere Wahl treffen als Cecily. Sie hat eine beachtliche Ahnentafel."

Tom lächelte. "Und Geld?" Der Alte nickte. "Genug, um sicher sein zu können, dass sie

nicht auf unseres aus ist." Ben gab einen entsprechenden Witz zum besten. Wieder schweiften Logans Gedanken ab. Was suchte er bei

einer Frau? Unwillkürlich sah er Suzanna Keating vor sich, und er schüttelte den Kopf, als könne er die unsinnige Vorstellung damit verscheuchen. Sicher, er fand die junge Frau sehr attraktiv, aber sie hatten nicht das geringste gemeinsam, und eine Beziehung zu ihr wäre völlig undenkbar.

"Sieh mal, Logan, wir sagen ja nicht, dass du diese Cecily heiraten sollst", erklärte Ben. "Du brauchst einfach nur so zu tun, als wärt ihr verlobt. Seid ihr so gut befreundet, dass sie mitspielen würde?"

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Logan bejahte, obwohl er diesen Plan nicht gut fand. Cecily klammerte sowieso schon zu sehr, und Collin würde eine Ehe mit ihr voranzutreiben versuchen.

"Wir müssen sie sofort anrufen und ihr die Sachlage auseinandersetzen", riet Ben. "Glaubt mir, damit haben wir ein As im Ärmel."

Charlie kehrte vom Telefon zurück. "Stellt euch vor, wir bekommen schon für Freitag einen Gerichtstermin."

Die Tischrunde war begeistert. Logan sah seinen Vater an und bemerkte, dass er erneut

lächelte. Spontan drückte Logan Collins Hand. Ja, es würde dem alten Herrn gut tun, seinen Enkel hier zu haben. Sein Vater brauchte jemanden, der die Lücke füllte, die Harris hinterlassen hatte. Und auch für den Jungen war das die beste Lösung.

"Suzanna Keating?" Der Anwalt erhob sich und reichte ihr die Hand. Sie hatte den Namen seiner Kanzlei aus dem Branchenverzeichnis, weil sie noch nie einen Anwalt gebraucht hatte.

Suzanna erwiderte den Händedruck. "Danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen, Mr. Quinn."

Der Anwalt mochte Mitte Dreißig sein und hatte dichtes kurzes Haar und ein offenes Gesicht. "Gern geschehen. Und nennen Sie mich doch Ray. Bitte nehmen Sie Platz." Er setzte sich ebenfalls, nahm einen Block auf und überflog seine Notizen. "Hmm. Ein Vormundschaftsfall." Er blickte auf. "Am besten, wir fangen ganz von vorn an. Um wessen Kind geht es?"

Suzanna holte zitternd Luft. "Um den Jungen meiner Schwester. Er heißt Timothy Bradford und ist vier Jahre alt. Claudia, meine Schwester, und ihr Mann sind im Mai bei einem Autounfall ums Leben gekommen. "

Der Anwalt wurde ernst. "Mein Beileid, Miss Keating." Suzanna nickte gefasst. "Ich habe auf Timmy aufgepasst, wie

so oft, als ich die Nachricht von dem Unfall erhielt. Claudia und Harris wohnten in dem Apartment über mir. An dem Abend

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habe ich Timmys Sachen nach unten geholt und seitdem für ihn gesorgt. Und bis vor kurzem hatte ich geglaubt, er würde für immer bei mir bleiben."

"Hat Ihre Schwester ein Testament hinterlassen, in dem Sie als Vormund eingesetzt sind?"

"Nein." "Und Sie haben nichts unternommen, um die Vormundschaft

zu beantragen?" "Nein. Ich hatte vor, das eines Tages zu tun. Bisher wusste

ich ja nicht, wie dringend die Sache war." "Sind Sie die nächste Verwandte des Jungen?" Ja ... das heißt, es gibt da noch einen Onkel und einen

Großvater väterlicherseits." Suzanna öffnete ihre Handtasche und nahm die Unterlagen heraus, die sie am Vortag mit der Post erhalten hatte. "Der Onkel will vor Gericht gehen, um die Vormundschaft zu beanspruchen ... deshalb bin ich hier."

"Erzählen Sie mir mehr." Quinn lehnte sich in seinem Ledersessel zurück.

Zögernd begann Suzanna: "Harris stammt aus einer

wohlhabenden Familie ... die Bradfords in Mattashaum Harbor. Der Name dürfte Ihnen bekannt sein..."

"Ja, das ist er." "Meine Schwester lernte Harris während ihres ersten

Semesters an der Brown-Universität kennen. Claudia war sehr intelligent und erhielt mehrere Stipendien, sonst hätten wir uns das teure College nicht leisten können. Sie wohnte bei mir und pendelte, weil das am billigsten war."

"Sie wohnte bei Ihnen?" "Ja. Meine Eltern sind tot." "Hmm. Für eine Frau Ihres Alters haben Sie eine große

Verantwortung getragen." Quinn schwieg einen Moment. "Wie alt sind Sie?"

"Siebenundzwanzig."

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"Und ledig?" Suzanna war verunsichert. "Das macht doch wohl nichts,

oder?" "Es wäre natürlich günstiger, wenn Sie verheiratet wären.

Aber ich sehe da eigentlich keine Schwierigkeiten. Erzählen Sie weiter. Ihre Schwester und Harris lernten sich am College kennen ..."

"Ja. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dagegen wäre nichts zu sagen gewesen, aber sie wollten auch gleich heiraten. Ich habe versucht, die beiden davon abzubringen. Harris hatte noch ein Jahr bis zum Abschluss vor sich, und Claudia war erst achtzehn. Ehrlich gesagt, befürchtete ich, dass das nicht gut gehen könnte, weil sie aus gänzlich verschiedenen Kreisen kamen. Harris meinte jedoch, ihre Liebe sei allem gewachsen." Suzanna lächelte traurig. "Und er sah auch keinerlei finanzielle Probleme, weil er nach der Heirat weiter mit der Unterstützung seiner Familie rechnete. Er hatte jedoch nicht vorausgesehen, dass sein Vater sich querstellen würde", setzte Suzanna verbittert hinzu.

"Collin Bradford sah rot, als Harris meine Schwester nach Hause brachte, um sie seinem Vater vorzustellen. Für ihn war Claudia gesellschaftlich und finanziell untragbar, wie er sich vor ihr ausdrückte. Und dann warf er ihr vor, es auf Harris' Geld abgesehen zu haben. Er schwor, die Heirat mit allen Mitteln zu verhindern. Dann setzte er die beiden vor die Tür, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, Claudia näher kennen zulernen."

"Ein liebenswürdiger Herr", bemerkte der Anwalt trocken. "Die Güte in Person." Suzanna seufzte. "Später versuchte er,

Claudia mit Geld loszuwerden. Er bot ihr zwanzigtausend Dollar, wenn sie sich von Harris trennte." Unwillkürlich dachte Suzanna an Logan Bradford, der sie mit der gleichen Summe bestechen wollte.

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Ray Quinn räusperte sich. "Ihre Schwester hat das Geld aber offensichtlich nicht genommen."

"Nein, natürlich nicht. Da wechselte der Alte die Taktik und drohte, die Unterhaltszahlungen an seinen Sohn zu stoppen, seine Ansprüche aus dem Treuhandfonds zu streichen und Harris aus der Familie auszustoßen." Suzanna senkte den Blick. "Ich bewundere den Mut meines Schwagers. Er war damals erst einundzwanzig, und das Ganze muss ihn hart angekommen sein."

"Es zeigt aber auch, wie sehr er Ihre Schwester geliebt hat." Suzanna hob den Kopf und lächelte matt. "Ja, das hat er. Er

war bereit, alles für die Frau zu opfern, die er liebte." "Mm. Soviel leidenschaftliche Hingabe findet man

heutzutage selten." Suzanna blickte den Anwalt nachdenklich an. "Seltsam, dass

Sie es so sehen. Die meisten würden es Dummheit nennen. Harris verlor alles. Sein Vater hat nicht geblufft."

Quinn hatte aufmerksam zugehört. "Und wie hielten die beiden sich in dieser Situation über Wasser?"

"Nachdem sie geheiratet hatten, bot ich ihnen die Wohnung im zweiten Stock meines Hauses an."

"Sie besitzen ein eigenes Haus?" Suzanna nickte. "Ausgezeichnet. Erzählen Sie weiter. Das junge Paar zog also

zu Ihnen..." "Ja. Sie hatten ja sonst keine Bleibe. Harris jobbte als Kellner

und schaffte den Collageabschluss irgendwie." Das "irgendwie" war Suzannas Hilfe zu verdanken. Sie hatte das Paar mietfrei bei sich wohnen lassen, für Harris' Darlehen gebürgt und die Strom- und Wasserrechnungen bezahlt.

"Hat Claudia auch weiter studiert?" "Erst später. Sie wurde nämlich sofort schwanger." "Eine weitere finanzielle Belastung."

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"Ja, da haben Sie recht. Claudia war nicht mal krankenversichert." Suzanna schwieg einen Moment, ehe sie gestand: "Es war eine harte Zeit."

"Ich kann mir sogar gut vorstellen, für wen sie am härtesten war", betonte Quinn.

"Ach, das hat mir nichts weiter ausgemacht. Wirklich nicht. Es war schön für mich, mit zur Familie zu gehören. Und das Baby..." Suzannas Augen leuchteten, "Timmy war ein Goldschatz, der mir unendlich viel Freude machte. Als Claudia das Studium wiederaufnahm, habe ich mich um ihn gekümmert, wenn sie fort war."

"Das auch noch?" "Ich betreibe einen Party-Service und arbeite praktisch zu

Hause. Da war das kein Problem." Ray Quinn stützte das Kinn auf die Hand und schüttelte

ungläubig den Kopf. "Es steht also fest, dass Sie neben den Eltern die engste Bezugsperson des Jungen waren."

"Ja, seit seiner Geburt. Und das meine ich wörtlich. Ich war im Kreißsaal dabei, als er geboren wurde." "Tatsächlich?"

Strahlend nickte Suzanna. "Es war eine überwältigende Erfahrung."

Der Anwalt nahm einen Bleistift auf und tippte damit auf den Schreibtisch. "Erzählen Sie mir von dem Onkel. Von ihm haben Sie bisher nur erwähnt, dass er die Vormundschaft einklagen will."

Suzanna sah Logan wieder vor sich, wie er sie nachdenklich betrachtete und die Sonne auf sein markantes Gesicht fiel... Schnell rief sie sich zur Ordnung. "Er lebt bei seinem Vater in Mattashaum..."

"Sie leben dort zu zweit?" "Ja. Mit mehreren Angestellten. Harris' Mutter hat die

Familie verlassen, als die Jungen noch klein waren. Sie war jünger als ihr Mann und sehr viel... menschlicher. Harris sagte immer, sein Vater hatte sie mit seiner Kälte vertrieben. Ich

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glaube, sie hat wieder geheiratet und lebt in Texas. Jedenfalls gehört sie nicht mehr dazu."

"Ich verstehe. Welche Rolle spielte der Onkel im Leben Ihrer Schwester?"

"Dieselbe wie sein Vater. Die beiden sind vom gleichen Kaliber. Allerdings war Logan nicht in Mattashaum, als Harris Claudia seinem Vater vorstellte, so dass er am aller ersten Zusammenstoß nicht beteiligt war. Er lernte sie jedoch später kennen. Mehrmals besuchte er Harris, um ihm die Heirat auszureden. Es war eindeutig, dass Logan Bradford voll hinter seinem Vater stand. Anfangs konnte Harris das nicht begreifen, weil er sich mit seinem Bruder immer gut verstanden hatte, aber er hatte sich irgendwie verändert. Harris sagte, da Logan Mattashaum erben würde, wolle er sich mit seinem Vater nicht überwerfen. Jedenfalls hat Logan nach der Heirat nie mehr mit Harris gesprochen. Das hat ihm sehr weh getan."

Der Anwalt hatte mit wachsendem Interesse zugehört. "Hier ging es offenbar in erster Linie um Machtkämpfe."

"Genau!" pflichtete Suzanna ihm bei. "Das hat Harris auch immer gesagt. Sein Vater wolle die Menschen um sich herum beherrschen, besonders seine Familie. Das sei auch der eigentliche Grund, warum er Claudia ablehne ... weil sie mehr Macht über Harris besaß als er. Deshalb hat er Harris rausgeworfen, obwohl er wusste, dass er mittellos war, das Studium noch nicht abgeschlossen, kein Dach über dem Kopf und Frau und Kind zu ernähren hatte. Dem Vater ging es nur darum, seinen Sohn kaltblütig in die Knie zu zwingen." Suzanna senkte den Blick. "In so einer Atmosphäre aufzuwachsen, möchte ich Timmy ersparen."

Ray Quinn seufzte. "Und dieser Logan hatte bisher keinen Kontakt zu dem Jungen, sagen sie?"

"Nein. Er ist für Timmy ein völlig Fremder."

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Der Anwalt lehnte sich zurück. "Suzanna, das wird das reinste Zuckerlecken. Sie scheinen sich aber immer noch Sorgen zu machen."

Sie zögerte, ehe sie ihm das Schreiben reichte, das sie am Vortag mit der Post erhalten hatte.

Quinn überflog das Schriftstück, dann legte er es auf den Schreibtisch. "Die Bradfords gehen vor Gericht. Kein Grund zur Aufregung." Er bemerkte Suzannas furchtsamen Gesichtsausdruck und beugte sich mit verschränkten Armen vor.

"Okay, ich sage Ihnen, wie die Sache laufen wird. Am kommenden Freitag treffen wir uns mit Logan Bradford und seinem Anwalt im Amtszimmer des Richters, der einen von Ihnen beiden vorübergehend zum Vormund bestellen wird. Und er wird sich für Sie entscheiden, weil Sie die Person sind, die Timmy am nächsten steht und die ganze Zeit über für ihn gesorgt hat."

"Sind Sie sich dessen sicher?" "Ich kenne keinen Fall, bei dem anders entschieden wurde.

Es geht hier darum, was für das Kind das beste ist. Und genau deshalb dürfte die Verhandlung über die endgültige Vormundschaft ebenfalls zu Ihren Gunsten ausfallen."

"Und wann findet diese Verhandlung statt?" Quinn zuckte die Schultern. "Spätestens in einem Jahr,

wahrscheinlich aber eher. In der Zwischenzeit wird man über Sie und Bradford Erkundigungen einziehen."

"Und wer tut das?" Suzanna richtete sich auf. "Nun, ich nehme an, ein Sozialarbeiter oder ein Psychologe.

Diese Person wird vom Gericht bestimmt. Eine reine Routinesache."

"Und worüber wird diese Person Auskünfte einholen?" "Über Ihr Zuhause, Ihre Gewohnheiten, wie Sie zur

Kindererziehung stehen. Über viele Dinge. Aber keine Angst. Ich helfe Ihnen, sich darauf vorzubereiten. Bei der Schluss Verhandlung wird der Bericht des Ermittlungsbeauftragten als

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Beweis ... oder besser gesagt, als Teil der Beweisführung für Ihre Eignung als Vormund bewertet."

Suzanna holte tief Luft. "Und wer legt die restlichen Beweise vor?"

"Ich. Aber dazu kommen wir noch. Machen Sie sich keine Sorgen. Timmy bleibt bei Ihnen."

"Das hoffe ich. Nach allem, was er durchgemacht hat, würde er sonst schlimmen seelischen Schaden nehmen."

"Genau das werden wir dem Richter klarmachen. Gibt es sonst noch etwas?"

"Ihr Honorar. Was wird mich das Ganze kosten? Ich weiß, dass so etwas nicht billig ist."

Quinn nannte die Summe, und Suzanna schluckte. Das Honorar war angemessen, aber es war mehr, als sie verkraften konnte.

"Sie können in Raten bezahlen. Was halten Sie davon?" Sie nickte. "Das wäre es dann wohl." "Noch nicht ganz." Der Anwalt holte Formulare und ein

Diktiergerät aus der Schreibtischschublade. "Jetzt gehen wir das Ganze nochmals in allen Einzelheiten durch."

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3. KAPITEL Suzanna entschied sich für ein dunkelblaues Kleid mit einer

langen Jacke, dazu passende Pumps und eine Handtasche in der gleichen Farbe, um bei der Verhandlung einen vertrauenswürdigen Eindruck zu machen. Das lange Haar bürstete Suzanna zurück und hielt es im Nacken mit einer breiten Goldspange zusammen. Schlichte goldene Ohrringe und ein Hauch Make-up vervollständigten Suzannas Aussehen, mit dem sie hoffte, den Richter von ihrer Eignung als Vormund zu überzeugen.

"Sie sehen wunderbar aus", stellte Ray Quinn fest, als Suzanna sich mit ihm in seiner Kanzlei traf. "Die Leute werden Augen machen."

Doch als Suzanna neben ihm an dem langen Tisch im Amtszimmer des Richters saß, war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Sie warteten auf die Gegenpartei, und Suzannas Magen verkrampfte sich mit jeder Minute mehr.

Endlich erschien Logan Bradford mit seiner Truppe. Suzanna betrachtete ihn unauffällig. Sein braunes Haar war

sorgfältig gekämmt, und er trug einen Nadelstreifenanzug mit einer roten Krawatte. Als spürte Logan die Musterung, blickte er zu Suzanna herüber. Ein elektrisierendes Kribbeln überlief sie, und alles in ihr begann zu vibrieren. Das muss an der Aufregung liegen, sagte sie sich und blickte rasch weg.

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Logan folgten drei ernst dreinblickende Herren mit Aktenkoffern und eine außergewöhnlich attraktive Blondine im blauen Chanelkostüm, die Suzanna irgendwie bekannt vorkam. Den Schluss bildete ein älterer Herr, der Collin Bradford sein musste.

Er war ein großer hagerer Mann und hielt sich aufrecht, obwohl er am Stock ging. Selbst jetzt konnte es keinen Zweifel geben, dass Harris' Vater einmal fabelhaft ausgesehen hatte. Er trug einen gutgeschnittenen Anzug, sein weißes Haar war streng gescheitelt. Von dem Mann ging etwas Beherrschendes, Befehlsgewohntes aus, und um seinen Mund lag ein harter Zug.

Ohne zu zögern, nahm die Gruppe auf der anderen Seite des Tisches Platz: Logan beim Richter, der am Kopfende saß, neben Logan die hübsche Blondine, dann die drei Anwälte. Somit blieb der Stuhl am Fußende des Tisches für Collin Bradford frei. Nachdem er ihn eingenommen hatte, wechselten er und der Richter durchdringende Blicke. Suzanna fragte sich, ob hier ein stummer Machtkampf stattfand.

Aktenkoffer wurden geöffnet, Brillen zurechtgeschoben. Suzanna sank der Mut. Noch nie war sie sich so fehl am Platz vorgekommen.

Ray Quinn legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Sie blickte ihn an und versuchte zu lächeln, obwohl ihr immer mulmiger wurde. Harris hatte wiederholt gesagt, seine Familie sei erdrückend, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt habe. Die einzige Möglichkeit zu überleben, sei die Flucht. Jetzt verstand Suzanna, was ihr Schwager gemeint hatte.

Der Richter begrüßte die Runde und eröffnete die Sitzung. Ray Quinn trug Suzannas Anliegen großartig vor, wie sie fand. Er betonte, sie besitze ein eigenes Haus, in dem sie auch ihren Party-Service betreibe, so dass sie sich ständig um Timmy kümmern könne. Im dritten Stock des Hauses wohne eine junge Frau, die jederzeit als Babysitter einzuspringen bereit sei, wenn sie, Suzanna, Kunden beliefere.

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Am meisten beeindruckte sie jedoch, wie eindringlich der Anwalt dem Richter auseinander setzte, dass Timmy unbedingt bei ihr bleiben müsse. Er würde nicht wiedergutzumachenden seelischen Schaden nehmen, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen und zu Fremden verpflanzt würde. Nachdem Quinn geendet hatte, atmete Suzanna auf. Niemand hätte ihren Fall überzeugender vortragen können.

Doch dann wandte der Richter seine Aufmerksamkeit den Anwälten der Bradfords zu, und bereits nach einer Minute kehrte Suzannas Angst zurück.

Diese Leute waren Profithaie, obwohl sie sich würdevoll und sachlich gaben. Mit kalten Statistiken zerrissen sie die Welt in der Luft, in der Suzanna lebte. Sie wiesen auf die wachsende Kriminalität und die schlechte Schule in der Nachbarschaft hin, die Verschmutzung von Wasser und Luft, der das Kind ausgesetzt wäre, wenn es bei Suzanna bliebe. Sie legten Fotos ihres Hauses vor, das neu gestrichen werden müsste, wie sie selbst wusste, und schilderten ihre primitiven Lebensbedingungen. An Hand von Finanzaufstellungen versuchten sie zu beweisen, dass Suzanna sich finanziell übernommen habe, weil sie im Vorjahr ein Darlehen habe aufnehmen müssen. Sie eröffneten dem Richter, dass der Babysitter eine siebzehnjährige Drogensüchtige ohne Schulabschluss sei. Und schließlich kamen sie mit dem Einwand, Suzanna könne sich nicht genug um Timmy kümmern, weil der Party-Service ihr kaum Zeit für den Jungen lasse.

Suzanna war so außer sich, dass sie ihrem Zorn am liebsten lautstark Luft gemacht hätte. Dennoch warf sie Logan Bradford nur einen wütenden Blick zu und erklärte mühsam beherrscht: "So liegen die Dinge keineswegs."

Alle wandten sich ihr zu, doch Suzanna sprach zu dem Mann, der die Anwälte bestellt und mit diesen Lügen beauftragt hatte. "Nichts von dem, was hier behauptet wurde, stimmt. Alles sind

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nur Halbwahrheiten oder Lügen, die mit Statistiken oder juristischen Spitzfindigkeiten verbrämt wurden. Zum Beispiel die Behauptungen über den Zustand meines Hauses. Es entspricht allen Sicherheitserfordernissen für Verkabelung, Feuermelder und Sicherheitsschlösser. Das einzige, was überholt werden muss, sind die Wasserleitungen, und die dürften ja wohl keine Gefahr darstellen. Was Timmys Unterricht betrifft, so habe ich vor, den Jungen in die Gemeindeschule zu schicken ..." Logan Bradford zog ungläubig eine Braue hoch, doch seine hochnäsige Art brachte Suzanna erst recht in Fahrt.

"Und die Siebzehnjährige ohne Schulabschluss, wie behauptet wurde, besucht die Abendschule, um die mittlere Reife nachzuholen. Sie ist auch nicht drogensüchtig, sondern wurde ein einziges Mal mit einer Marihuana Zigarette erwischt. Nachdem sie vor dem Schulleiter erscheinen musste, hat sie das Zeug nie mehr angerührt."

"Suzanna", warnte ihr Anwalt leise und legte ihr die Hand auf den Arm, doch sie konnte die boshaften Verleumdungen einfach nicht stillschweigend hinnehmen.

"Und noch eins", fuhr sie unbeirrt fort. "Das Darlehen habe ich aufgenommen, um Harris zu helfen, sein eigenes Fotostudio aufzumachen, und nicht, weil ich meine Rechnungen nicht bezahlen konnte."

Suzanna sah, dass Logan blinzelte, und einen kurzen Augenblick glaubte sie, so etwas wie eine Gefühlsregung in seinen Augen zu erkennen. War es Überraschung? Gewissensbisse? Doch als er entgegnete: "Wir wissen beide, warum Sie sich so ins Zeug gelegt haben, um meinem Bruder zu helfen, nicht wahr?" wusste Suzanna, dass sie sich geirrt hatte.

"Mr. Bradford, Miss Keating", mahnte der Richter. "Wir sind hier nicht zusammengekommen, um persönliche Streitigkeiten auszutragen. Könnten wir wieder zur Sache kommen?"

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Quitin entschuldigte sich für Suzannas Ausbruch, gab jedoch zu bedenken, die Gegenpartei hätte seine Mandantin unfair angegriffen. Zu ihrer Überraschung gab der Richter ihm recht.

Nun ergingen Logans Anwälte sich in Schilderungen des Lebens, das das Kind bei Logan Bradford erwarte: Eine Luxusvilla mit zwanzig Räumen auf einem dreihundert Morgen großen Privatgrundstück am Meer, eine Kinderschwester, die sich ausschließlich um den Jungen kümmern würde, Personal, Pferde, Boote und Schiffe, Unterricht an einer exklusiven privaten Tagesschule. Dann fuhren sie mit noch schwereren Geschützen auf: lebenslange finanzielle Sicherheit für den Jungen in Form eines Treuhandkontos über drei Millionen Dollar, die Liebe eines Großvaters, und am allerwichtigsten: Logan Bradford. In ihm würde Timmy den Vaterersatz, den männlichen Einfluss finden, den ein Junge nun einmal brauche. Mehr noch, da Logan mit Cecily Knight, der Dame neben ihm, verlobt sei und sie bald heiraten werde, könne er dem Jungen in Kürze auch die Geborgenheit und Wärme eines Familienlebens bieten.

Suzanna hob den Kopf. Logan Bradford war verlobt? Sie wusste selbst nicht, warum ihr plötzlich schwer ums Herz wurde,

Er sah sie kurz an, blickte weg, sah sie wieder an. Seine Miene verriet Selbstsicherheit, doch Suzanna bemerkte, dass seine Ohrspitzen sich leicht röteten. Neugierig betrachtete sie die junge Frau an seiner Seite, die die Hand vertraulich auf seinen Arm gelegt hatte. Natürlich. Es war dieselbe Blondine, mit der Logan vor zweieinhalb Jahren die Party besucht hatte.

Suzanna versuchte sich einzureden, dass sie so enttäuscht war, weil die unerwartete Enthüllung Logan einen entscheidenden Vorteil verschaffte. Es kostete Suzanna Mühe, dem ältesten Bradford-Anwalt wieder zuzuhören, der die Schlussbegründung vortrug.

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In mitfühlenden, fast entschuldigenden Worten räumte er ein, der Junge könne unter der Trennung anfangs möglicherweise leiden. "Doch langfristig gesehen, werden die Vorteile den vorübergehenden Kummer weit überwiegen. Timothy ist jung und wird sich bald an das neue Leben gewöhnt haben."

Der Richter nahm die Brille ab und rieb sich die müden Augen. "Lassen Sie mich Ihnen zunächst versichern, dass meine Entscheidung nur von vorübergehender Gültigkeit ist. Sie ist mir nicht leicht gefallen, und ich habe ernstlich mit mir gerungen. Ich empfinde mit dem Kind, das erst kürzlich zur Waise wurde, und möchte nochmals betonen, dass ich nur das Beste für den Jungen im Sinn habe." Er faltete die Hände auf dem Tisch und holte tief Luft.

Suzanna schloss die Augen und betete. "Miss Keating, Sie haben offensichtlich eine entscheidende

Rolle in Timothys Leben gespielt und sich liebevoll und großherzig um ihn gekümmert."

Suzanna schöpfte Hoffnung. "Aber ich muss auch berücksichtigen, dass Sie durch Ihr

Geschäft stark in Anspruch genommen werden, dass Sie in einer Gegend wohnen, die für den Jungen nicht gerade ideal ist, und in angespannten finanziellen Verhältnissen leben. Aus diesen Überlegungen heraus und angesichts der umfangreichen Fürsorge, des gesicherten Lebens, das Mr. Bradford dem Jungen zweifellos bieten kann, sehe ich mich gezwungen, Ihnen die Vormundschaft fürs erste abzusprechen und sie Mr. Bradford zu übertragen."

Suzanna saß einen Moment wie versteinert da, dann presste sie die Finger an die Brust, weil sie das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen.

Die Gegenpartei nahm den Entscheid gelassen auf. Die Leute waren es gewöhnt, zu gewinnen. Das war ihr Job.

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Suzanna spürte, dass Logan sie beobachtete. Sicher genoss er seinen Triumph. Sie senkte den Kopf und verdeckte die Augen mit zitternden Fingern.

"In Anbetracht der engen seelischen Beziehung zwischen Miss Keating und dem Kind", fuhr der Richter fort, "spreche ich ihr jedoch das Recht zu, es jederzeit zu besuchen."

"Nein!" ertönte eine tiefe Stimme vom anderen Ende des Tisches. Suzanna fuhr zusammen und wandte sich wie die anderen Collin Bradford zu, der zornig aufgesprungen war. "Das dulde ich nicht!" "Wie meinen Sie das?" fragte der Richter, "Setzen Sie sich, Mr. Bradford." Zu Logan sagte er ruhig: "Sie haben von Mr. Quinn gehört, wie wichtig der ungetrübte Kontakt eines Kindes zu seiner gewohnten Bezugsperson für sein seelisches Wohlergehen ist. Ich kann Sie daher nur bitten, bestehende Familienstreitigkeiten beiseite zu lassen und einander entgegenzukommen. Es geht hier um ein Kind, ein überaus empfindsames menschliches Wesen. Verstehen Sie, wie ich das meine?"

Widerstrebend nickte Logan. "Deshalb möchte ich", der Richter legte die Handflächen auf

den Tisch, "dass Miss Keating den Jungen zu seinem neuen Zuhause begleitet und bei ihm bleibt, bis sie sich überzeugt hat, dass er sich in der neuen Umgebung wohl fühlt. Im übrigen sollte sie ihn, so oft es geht, besuchen. Möglichst jeden Tag. Notfalls auch ganztägig."

Suzanna sah, wie Collin Bradfords Gesicht sich vor Zorn rötete.

Ihr Hauptaugenmerk galt jedoch Logan. Seine Miene blieb ausdruckslos, doch die zusammengepressten Lippen und sein rasches Atmen verrieten, dass der richterliche Beschluss ihm ebenso gegen den Strich ging wie seinem Vater.

"Euer Ehren." Suzannas Stimme klang brüchig. "Wann muss Timmy zu Mr. Bradford?"

Der Richter sah sie mitfühlend an. "So bald wie möglich."

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"Ich hole ihn übermorgen ab", sagte Logan. Suzanna wollte aufbegehren, dass Sonntag zu früh sei, doch

der Richter nickte bereits zustimmend und erklärte, die Parteien würden benachrichtigt, sobald der Termin für die Hauptverhandlung feststehe. Damit verließ er den Raum.

Alle standen auf, Suzanna auf wackligen Beinen. Ray Quinn nahm ihren Arm. "Ich verstehe nicht, wie es dazu

kommen konnte." Er wirkte sichtlich betroffen. "Es tut mir ehrlich leid, Suzanna."

Sie schüttelte den Kopf. "Sie können nichts dafür. Logan Bradfords Geld hat gewonnen. Und leider hatte der, den die Sache am meisten betraf, kein Mitspracherecht."

Eine eiskalte Hand schien sich um Suzannas Herz zu legen. Timmy. Wie sollte sie ihm klarmachen, was geschehen war? Sie nahm die Handtasche und wandte sich zum Gehen.

"Was soll ich nur tun, Ray?" flüsterte Suzanna verloren. "Ich kann ohne Timmy nicht leben. Er ist ein Teil von mir."

Der Anwalt blieb stehen und legte ihr beruhigend den Arm um die Schultern. "Nicht den Mut verlieren. Es wird alles gut. Vergessen Sie nicht, dass dies nur eine vorübergehende Regelung ist. Und ich verspreche Ihnen, dass wir die Hauptverhandlung gewinnen werden."

Doch das war kein Trost für Suzanna. Bis dahin würde Timmy seelische Wunden davongetragen haben, die unter Umständen nie ganz verheilten. Es sei denn ...

"An so etwas dürfen Sie nicht einmal denken." Quinn hielt sie auf Armeslänge von sich und blickte Suzanna eindringlich an.

Sie tat so, als würde sie nicht verstehen. "An was?" "Mit Timmy fortzugehen und unterzutauchen. Das wäre

Kindesentführung und strafbar, Suzanna." Sie senkte den Kopf, und zwei Tränen tropften auf den

Fußboden. "Was soll ich denn sonst tun?"

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"Dem Rat des Richters folgen. Beugen Sie sich dem Entscheid, und machen Sie Timmy den Übergang so leicht wie möglich. Wenn Sie sich aufregen, tut der Junge es auch. Geben Sie sich so, als würde ihm etwas Tolles bevorstehen, dann wird er sich darauf freuen."

"Das kann ich nicht. Es ist schrecklich .. . eine Katastrophe!" "Tun Sie's aus Liebe zu Timmy, Suzanna." "Aber damit würde ich gegen meine Interessen handeln.

Wenn er anfängt, sich bei den Bradfords wohl zu fühlen, bekomme ich ihn nicht mehr zurück."

Der Anwalt zögerte. "Das Risiko müssen wir eingehen, Suzanna. Etwas anderes kann ich Ihnen leider nicht sagen." Sanft führte er sie zum Ausgang.

Doch ehe sie den Saal verließ, drehte sie sich noch einmal um. Logan Bradford und seine Truppe hielten zielstrebig auf dieselbe Tür zu. Suzanna begegnete seinem Blick. Das ist ein himmelschreiendes Unrecht! hätte sie Logan am liebsten zugerufen. Wenn Sie wüssten, was Sie Timmy und mir antun!

Doch er ging an ihr vorbei, und die Worte erstarben ihr auf den Lippen.

Logan joggte den Pfad zum Meer entlang. Nach der Rückkehr vom Gericht hatte er sich sofort

umgezogen und trug jetzt T-Shirt, Shorts und bequeme Turnschuhe. In stetigem Tempo lief er über den Kies und genoss den Wind, der ihm um die Ohren wehte.

"Wo willst du hin?" hatte Collin brummig gefragt. "Schließlich hast du Cecily mitgebracht."

"Nein, das habe ich nicht. Du hast sie eingeladen. Also unterhalte dich auch gefälligst mit ihr. Am besten, du holst auch gleich noch deinen alten Golfkumpel Drummond Slade herüber." Logan war nur selten so patzig, schon gar nicht zu seinem Vater, aber er fühlte sich unerklärlich gereizt.

Doch das würde sich wieder geben. Er musste sich beim Joggen nur ordentlich verausgaben. Eins, zwei, eins, zwei. Nur

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nicht darüber nachdenken, wieso ausgerechnet Drummond Slade der Richter war. Einfach nur laufen. Eins, zwei...

Logan erreichte das Ende des Kiespfads und lief über den weichen Sand. Dabei spannten sich die Muskeln seiner langen durchtrainierten Beine unter der erhöhten Kraftanstrengung, Keuchend erreichte er die Dünen und blieb stehen. Er beugte den Oberkörper vor und stemmte die Hände in die Hüften, um wieder zu Atem zu kommen.

So rasch war Logan beim Joggen noch nie erschöpft gewesen, aber das lag wohl an den Belastungen der Vormundschaftsverhandlung.

Langsam richtete er sich auf und setzte den Weg am Ufer entlang im Spazierschritt fort. Der Vormittag war höchst unerfreulich verlaufen, aber das war erst der Anfang. Voller Unbehagen dachte Logan an die Hauptverhandlung, die nach Ansicht seiner Anwälte wie am Schnürchen laufen würde.

"Mist!" Wütend versetzte er einem trockenen Seetanghaufen einen Tritt. Es passte Logan ganz und gar nicht, sich mit dieser Sache befassen zu müssen. Er hatte gehofft, nach kurzem Auftritt als Sieger aus der Verhandlung hervorzugehen und dann nach Hause zu fahren. Doch er hatte nicht mit der Wirkung gerechnet, die Suzanna Keating auf ihn haben würde.

Wie sie ihn angesehen hatte, ehe sie den Verhandlungssaal verließ - ... der Blick hatte Schuldgefühle in ihm geweckt.

Sie hatte nichts von Harris' drei Millionen Dollar gewusst, dessen war Logan sich jetzt fast sicher. Ihre Überraschung bei der Erwähnung der Summe war echt gewesen. Schlimmer noch, Logan hatte das beschämende Gefühl, dass ihr das Geld gleichgültig war, obwohl Collin das Gegenteil behauptete.

Und was diese Suzanna alles getan hatte, um Harris zu helfen ... Von vielem hatte Logan überhaupt nichts gewusst. Bei der Vorstellung, wie viele Opfer Suzanna gebracht haben musste, um Harris zu unterstützen, überkamen Logan Gewissensbisse.

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Sie schien tatsächlich zu den wenigen zu gehören, die aus Großherzigkeit handelten, ein Wesenszug, der Collin fremd war. Deshalb beharrte er darauf, Suzanna Keating sei auf etwas aus.

Auf den Jungen. Nur auf den Jungen. Sie wollte ihn behalten und kämpfte um ihn, darauf hätte Logan jetzt schwören können.

Er blieb stehen und wischte sich mit dem Hemdzipfel über die Stirn. Die Richtung, die seine Gedanken genommen hatten, gefiel ihm nicht. Suzanna Keating war ihr Gegner, das durfte er nicht vergessen. Vielleicht war sie eine ausgezeichnete Schauspielerin und durchaus nicht so selbstlos, wie sie erschien ... Logan ging weiter.

Eigentlich hatte sie bei der Verhandlung keine Chance gehabt. Suzannas Anwalt war ein Einheimischer ... kein ebenbürtiger Gegner für seine mit allen Wassern gewaschene Starmannschaft aus Boston. Es war fast mitleiderregend gewesen, das Ganze mit anzusehen.

Am Ufer blieb Logan stehen und blickte auf die endlosen, in der Sonne glitzernden Wellen hinaus. Versonnen lächelte er, Suzanna hatte trotz allem tapfer gekämpft und sich nicht einschüchtern lassen. Selbst jetzt noch sah er das zornige Blitzen in ihren großen grünen Augen vor sich, hörte, wie sie sich energisch verteidigte. Wirklich bewundernswert, musste er sich eingestehen. Sie verdiente es nicht, sang- und klanglos zu verlieren.

Eine Welle spülte an den Strand, und Logans Schuhe und Strümpfe wurden nass. Er achtete nicht darauf. Irgendwie kam er sich plötzlich hinterhältig und schmutzig vor. Ohne sich um seine Kleidung zu kümmern, watete er in die Brandung, um zu schwimmen. Danach würde er sich besser fühlen, die Dinge wieder im richtigen Blickwinkel sehen und zur Tagesordnung übergehen.

Logan streifte die Turnschuhe ab und schleuderte sie ans Ufer, dann tauchte er unter einer hohen Welle durch. Doch während er ins Tiefe kraulte, sah er Suzannas verzweifeltes

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Gesicht vor sich und begann sich zu fragen, ob Meerwellen seine Schuldgefühle wirklich fortschwemmen konnten.

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4. KAPITEL Suzanna war dabei, das Geschirr vom Mittagessen

wegzustellen, als sie auf der Zufahrt Schritte hörte. Unwillkürlich straffte sie sich und blickte auf die Uhr. Logan hatte am Vortag angerufen und mitgeteilt, er komme gegen zwei. Jetzt war es Punkt zwei.

Suzanna strich sich die Locken aus der Stirn, die sich aus ihrem Nackenzopf gelöst hatten. Vermutlich sah sie so trostlos aus, wie sie sich fühlte. Sie hatte zwei schlaflose Nächte hinter sich und tagsüber ihre ganze Kraft gebraucht, um sich vor Timmy nicht anmerken zu lassen, wie ihr zumute war.

Es klingelte an der Haustür, und wieder übermannten Suzanna Zorn und Verzweiflung. Wie hatte der Richter eine solche Entscheidung treffen können?

Die Klingel ging erneut. "Ich komme ja schon." Suzanna eilte zur Tür und fürchtete sich vor dem, was ihr jetzt bevorstand. Sie würde sich den Wünschen des Richters fügen. Vor Timmy würde sie sich heiter geben, um ihn nicht zu beunruhigen, doch ihr Ziel würde sie niemals aus den Augen verlieren. Sie würde den Jungen zurückbekommen.

Suzanna öffnete die Tür und zwang sich, Logan Bradford anzusehen. Statt des förmlichen Nadelstreifenanzugs trug er heute ein blaues Baumwollhemd, Jeans und Turnschuhe und wirkte nicht mehr ganz so bedrohlich.

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Suzanna senkte den Blick. "Bitte, kommen Sie herein", sagte sie gefasst und führte Logan m die Küche.

"Ist Timothy fertig?" "Noch nicht ganz. Er hält Mittagsschlaf." Logan presste die Lippen zusammen. "Ich hatte Ihnen doch

gesagt, dass ich ihn um zwei abhole." "Timmy ist kein Paket, das man sich einfach unter den Arm

klemmt." Suzanna dachte an ihren Vorsatz, sich friedfertig zu zeigen "Setzen Sie sich, Mr. Bradford", sagte sie einlenkend. "Es wird Zeit, dass wir miteinander sprechen, und da wir gerade allein sind..."

Logan sah Suzanna argwöhnisch an. "Bitte", wiederholte sie und rückte zwei Stühle zurecht. Ohne Suzanna aus den Augen zu lassen, nahm er Platz. Sie presste die feuchten Handflächen auf die Schenkel und

blickte auf die Tischplatte, weil sie nicht wusste, wie sie anfangen sollte. Schließlich gab sie sich einen Ruck

"Ich ... fürchte, Timmy fängt schon jetzt an seelische Störungen zu zeigen..."

"Was, zum Teufel, haben Sie ihm denn erzählt?" "Sprechen Sie leise. Ich versuche, mich mit Ihnen zu

unterhalten, statt zu streiten. Das haben wir, glaube ich, schon zur Genüge getan."

Logan runzelte die Stirn, doch zu Suzannas Verblüffung nickte er. "Da gebe ich Ihnen recht. Was meinen Sie mit ‚seelischen Störungen'?"

"Timmy hat in den letzten beiden Nächten sehr schlecht geschlafen. Glauben Sie mir, ich habe mir größte Mühe gegeben, ihm die Sache möglichst begeistert zu schildern, damit er sich nicht aufregt. Ich habe ihm gesagt, er würde bei Ihnen so etwas wie Ferien am Meer machen, und so getan, als ob ich Sie kenne und ... mag."

Suzanna blickte fort, weil sie Logans durchdringenden Blick nicht ertragen konnte. "Ja, ich habe ihm versprochen, dass er bei

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Ihnen viel Spaß haben wird. Trotzdem ist Timmy verwirrt und unruhig. Aber ist das ein Wunder? Er ist ja noch so klein. Zwar zeigt er keine offenen Trotz- oder Abwehrreaktionen, er ist ein tapferer kleiner Bursche und macht vieles mit sich selbst ab, aber er schläft schlecht. Deshalb hält er jetzt Mittagsschlaf. Er war müde."

Logan betrachtete Suzanna. "Er scheint nicht der einzige zu sein, der nicht schlafen kann."

Sie zuckte die Schultern. "Das liegt an der Situation." "Ihr Verhaltensumschwung überrascht mich", gestand Logan. "Sie irren sich, wenn Sie glauben, ich würde den Kampf

aufgeben. Ich habe mich damit abgefunden, dass mein Neffe heute abgeholt wird, denn gegen den Richterbeschluss bin ich machtlos. Aber ich werde nie aufhören, um Timmy zu kämpfen. Niemals!"

Sie blickten sich stumm an, dann trat ein weicher Ausdruck in Logans Augen. "Sie können nicht gewinnen", sagte er fast mitfühlend.

"Ich werde niemals aufgeben, solange ich lebe", beharrte Suzanna.

Logan sah sie nachdenklich an. "Ich wünschte, Sie würden anders denken."

"Wie könnte ich? Es ist ein Unrecht, Timmy zu verpflanzen." Suzanna wunderte sich, dass sie so gefasst sprechen konnte.

"Logan?" Sie sah ihn an, und ihr Herz pochte heftig. Das war das erste Mal, dass sie ihn beim Vornamen nannte, aber sie musste eine Brücke zu Logan finden. Sie bemerkte seine erstaunte Reaktion und fuhr beherzt fort: "Es wird noch mehr kommen. Timmys Schlafstörungen sind erst der Anfang. Darauf sollte ich Sie besser vorbereiten."

Logan lehnte sich zurück. "Sie halten nicht viel von mir, nicht wahr?" fragte er vorsichtig.

"So könnte man es nennen."

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"Das finde ich schade." Auch ihm schien daran zu liegen, weitere Zusammenstösse zu vermeiden. "Bitte sagen Sie mir offen, was Sie an mir stört."

Suzanna richtete sich gerade auf. "Sehr vieles." "Zum Beispiel?" "Ihr Verhalten meiner Schwester gegenüber." Logan kniff die Augen zusammen. "Wie habe ich mich denn

verhalten?" "Ach, kommen Sie! Sie haben sie als gesellschaftlich und

finanziell untragbar bezeichnet und versucht, sie zu kaufen, als sei sie auf Geld aus gewesen. Wegen Claudia haben Sie Harris enterbt."

"Ich?" "Ja. Das war das gemeinste, beleidigendste Verhalten, von

dem ich je gehört habe." "Ich soll das alles getan haben?" "Nun ja ..." Suzanna rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.

"Genaugenommen war es Ihr Vater, aber Sie haben sich voll auf seine Seite gestellt, was auf das gleiche hinausläuft. Sie waren gegen Harris' Heirat, weil Claudia aus dem Arbeitermilieu stammte. Bei uns nennt man das Snobismus."

Logan lachte hart auf. "Moment mal! Ich habe niemanden gesellschaftlich oder finanziell untragbar genannt, höchstens vielleicht Harris. Und das auch nur, weil er viel zu jung und unreif für die Ehe war. Werfen Sie mir also nicht vor, ein Snob zu sein."

"Sie waren gegen die Heirat, weil Sie die beiden für zu jung hielten?"

"Natürlich!" Mit unsicheren Fingern fuhr Suzanna sich über die Stirn.

Auch sie war hauptsächlich deswegen gegen die Heirat gewesen. Fragen stürmten auf sie ein, die sie Logan gern gestellt hätte.

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In diesem Augenblick spähte Timmy scheu durch den Bogengang herein, der die Küche mit dem Esszimmer verband. Logan blickte fragend von einem zum anderen.

Suzanna lächelte. "Komm her, Timmy, mein Liebling. Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben. Ich möchte, dass du ... deinen Onkel Logan jetzt kennen lernst."

Widerstrebend schob das Kind sich in die Küche, ohne Logan aus den Augen zu lassen.

Suzanna saß angespannt da und fragte sich, wie er die Situation handhaben würde. Er hatte ein liebloses Zuhause gehabt, und aus Kindern, die in einer solchen Atmosphäre aufwuchsen, wurden häufig gefühlskalte Erwachsene. Unauffällig verfolgte Suzanna, wie Logan zögerte, dann kniete er sich hin, als der Junge näher kam.

"Hallo, Tim." Logan fühlte sich in seiner Rolle sichtlich unwohl.

Das Kind blieb einen halben Meter vor ihm stehen, steckte den Daumen in den Mund und nuckelte heftig daran. Keiner von beiden sprach oder rührte sich von der Stelle. Gespannt beobachtete Suzanna, wie die beiden sich mit Blicken abzutasten versuchten.

Timmy ähnelte seinem Vater stark. Er hatte das gleiche Kinngrübchen, die gleichen sanften grauen Augen, das musste auch Logan auffallen. Doch auch bei ihm war die Ähnlichkeit mit seinem Bruder so ausgeprägt, dass der Junge den Fremden erstaunt anstarrte.

Endlich hob Timmy vorsichtig die Hand und berührte Logans Wange, seine Brauen, das dunkle Haar. Plötzlich verzog er schmerzlich die Lippen.

Suzannas Kehle war plötzlich wie zugeschnürt, und ihre Augen brannten. Am liebsten hätte sie Timmy in die Arme genommen und ihn gewiegt, bis er seinen Kummer überwunden hatte, aber sie spürte, dass sie sich jetzt nicht einmischen durfte. Stumm betete sie, dass Logan sich richtig verhielt.

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Etwas Tiefgreifendes, Entscheidendes ging in dem Jungen vor, während er Logans Gesicht musterte und mit den Fingerspitzen das Rätsel dieser seltsam vertrauten Züge zu erforschen versuchte.

Logan verzog keine Miene, doch seine Brauen zuckten leicht, und in seinen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck. Dann hob Logan die Hand und legte sie Timmy sanft auf den Kopf. "Hallo, Tim", sagte er noch einmal.

Der Kleine blickte zu Suzanna auf, und seine Unterlippe zitterte. Irgendwie musste er gefühlsmäßig entschieden haben, dass die äußere Ähnlichkeit dieses Mannes mit seinem Vater nicht genügte und Logan trotz allem ein Fremder war.

Auch er sah Suzanna an und schien nicht zu wissen, was er sagen konnte. Er wirkte so hilflos, dass er ihr fast leid tat.

Sie kniete sich ebenfalls zu dem Kind, so dass sie sich auf gleicher Höhe befanden, und lächelte aufmunternd. "Ist das nicht toll, Timmy? Das ist der Bruder deines Daddys. Als kleine Jungen haben sie zusammen gespielt und im selben Haus gewohnt..."

Das beeindruckte Timmy jedoch keineswegs. "Buddy will hier bleiben" , sagte er und rückte näher an Suzanna heran.

Logan runzelte die Stirn. "Buddy?" fragte er den Jungen. Timmy zwängte sich hinter Suzannas Rücken und beäugte

Logan schweigend über ihre Schulter. "Buddy ist Timmys Hundebaby, nicht wahr, Timmy?" Der Junge presste das Kinn auf Suzannas Schulter, antwortete

jedoch auch diesmal nicht. Unvermittelt stand Logan auf. "Vielleicht sollten wir das

später fortsetzen." Suzanna warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. "Wenn Sie

ihm etwas mehr Zeit gelassen hätten, wäre er bestimmt aufgetaut. Manche Dinge lassen sich nun mal nicht übers Knie brechen."

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Logan fuhr sich nervös durch das Haar. "Okay. Wo ist denn dein Hundebaby, Tim?"

Timmys Miene hellte sich auf. "Im Bad." "So? Dann gehen wir es uns mal anschauen." Logan lächelte,

und seine Züge wirkten auf einmal viel weicher, fand Suzanna. Timmy rannte voraus und öffnete die Badezimmertür. "Erzähl Onkel Logan mal, was Buddy heute morgen getan

hat, Timmy", schlug Suzanna vor. Er kniete sich hin und drückte den Welpen an sich, der

freudig mit dem Schwanz wedelte. "Uuh. Er hat wieder einen See auf den Boden gemacht."

"Du meine Güte", seufzte Logan, der zu Suzanna gekommen war. "Was ist denn das?"

"Was meinen Sie mit das?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

"Was für eine Rasse?" "Ein Cockerspaniel." Logan verzog das Gesicht. "Und wo haben Sie diesen...

Cockerspaniel gekauft?" Suzanna warf den Kopf zurück. "Wir haben ihn über die

Tierhilfe bekommen." Als Logan die Brauen hochzog, setzte sie hinzu: "Na gut er ist ein Mischling. Aber was macht das schon? Diese Tiere sind viel klüger als reinrassige Hunde."

Logan lehnte sich an den Türrahmen. "Soll das bedeuten, dass dieser Mischling mitkommt?"

"Ja." "In Mattashaum haben wir schon jede Menge Hunde." "So? Dann haben Sie jetzt einen mehr. Das meine ich ernst.

Ohne Buddy verlässt Timmy das Haus nicht." Logan brummelte etwas, aber Suzanna bemerkte trotzdem

deutlich, dass er schwach lächelte. "Ich muss für Timmy noch einige Sachen packen", erklärte

sie. "Sie können mir dabei helfen. Du auch, Timmy. Nimm Buddy mit."

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Suzanna ging ins Kinderzimmer voraus. Nachdem sie einen kleinen Hocker vor die Kommode geschoben hatte, fragte sie Timmy: "Was brauchst du aus dieser Schublade?"

Der Junge kletterte auf den Hocker und spähte in den Kasten. "Hosen?"

"Okay. Such dir welche aus." Suzanna wollte Timmy an dem Umzug möglichst aktiv beteiligen. Er sollte auf keinen Fall das Gefühl haben, dazu gezwungen zu werden.

Logan zählte die bereits gepackten Taschen. "Muss das alles wirklich mit? Das Kindermädchen kann ihm doch neue Kleidung kaufen."

"Ja, das muss mit", betonte Suzanna. Das Kind brauchte in der fremden Umgebung möglichst viele vertraute Dinge um sich.

Logan begann, gereizt hin und her zu gehen. "Hier, Sie können sich nützlich machen. Tragen Sie diese

Tasche schon mal zu Ihrem Wagen runter." Als Logan zurückkehrte, war Suzanna fast fertig. "Nur noch

ein paar Dinge." Sie ging an den Schrank. "Logan, könnten Sie Buddy bitte in seinen Tragebehälter setzen?" Suzanna ging ein halbes Dutzend Schuhe durch und sortierte die noch tragbaren von den zu klein gewordenen aus. Als sie sich umdrehte, war sie darauf gefasst, Logan mit dem braunen Fellknäuel beschäftigt zu sehen.

Statt dessen bemerkte sie zu ihrer Überraschung, dass er das gerahmte Foto von Harris und Claudia auf Timmys Nachttisch betrachtete. Logan stand reglos da und schien nicht einmal zu atmen. Langsam nahm er das Bild auf, und Suzanna sah, dass seine Hand leicht zitterte.

In diesem Moment konnte sie ihn nicht mehr hassen. Unvermittelt drehte Logan sich um und merkte, dass Suzanna

ihn beobachtete. Sein eben noch weicher Gesichtsausdruck wurde hart. Er nahm ein Stofftier und Timmys Pyjama vom Bett auf. "Gehen die Sachen hier auch mit?" fragte er schroff.

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"Ja." Suzanna wandte sich ab und unterdrückte ein Lächeln. Um halb vier war alles in Logans Wagen verstaut; Spielzeug,

Kleidung und der Behälter mit dem aufgeregten Welpen. Logan gurtete Timmy vorn auf dem Mittelsitz an, als Suzanna einfiel, dass sie ihren Teil des Hauses nicht abgeschlossen hatte. "Könnten Sie bitte einen Augenblick warten?" Sie schwenkte die Hausschlüssel, und Logan nickte.

Suzanna eilte nach oben und versuchte, nicht an die Bedeutung der bevorstehenden Fahrt zu denken.

Als sie vor der Tür stand und abschließen wollte, überkam Suzanna die Verzweiflung mit solcher Macht, dass sie sich wie gelähmt fühlte. "Ach, Claudia, ich kann doch nichts dagegen tun", flüsterte sie erstickt.

Suzanna hatte geglaubt, allein zu sein, und zuckte zusammen, als Logan sich hinter ihr räusperte. Hastig blinzelte sie gegen die Tränen an und versuchte, den Schlüssel ins Schloss zu schieben.

"Lassen Sie mich das machen." Logan nahm ihr das Schlüsselbund ab und verschloss die Tür, dann blickte er Suzanna eindringlich an. "Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird alles gut werden."

Sie war sicher, dass er das nur so dahinsagte, um den kritischen Punkt zu überbrücken. Doch aufgewühlt, wie sie war, lösten die Worte etwas in ihr aus. Obwohl sie von ihrem Widersacher kamen, hatten sie eine so tiefgreifende Wirkung auf Suzanna, dass sie die Fassung verlor und das Gesicht schluchzend an Logans Brust legte. In diesem Moment der Verzweiflung und Einsamkeit brauchte sie einfach jemanden, und Logan war da.

Er rührte sich nicht und atmete nur ganz flach. Vermutlich war auch ihm das Widersinnige der Situation bewusst. Doch als Suzanna zitternd Luft holte, spürte sie seine Hand an ihrem Haar, erst so leicht, dass sie es fast nicht gemerkt hätte, dann sanft streichelnd.

"Ssch", sagte er leise.

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Verwirrt hob sie den Kopf und löste sich aus Logans Armen. "Verzeihen Sie", flüsterte sie und versuchte, sich wieder zu fangen. "Das hätte mir nicht passieren dürfen, aber ich bin völlig fertig vor Angst und Sorge. Bitte, versprechen Sie mir, gut auf Timmy aufzupassen?"

Logan presste die Lippen zusammen und blickte zur Seite. "Natürlich. Der Junge wird es sehr gut bei uns haben."

Suzanna gab sich mit der Antwort zufrieden. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Sie verließen das Viertel und fuhren über die Autobahn nach Süden. Bald blieb die Stadt mit ihren Granitwerken, Kirchturmspitzen und nackten Betonklötzen zurück, und die modernen Einkaufsbezirke des Randgebiets tauchten auf. Schließlich wurde die Autobahn nur noch von Wald gesäumt. Danach folgte ein auseinandergezogener Vorort, dessen Häuser sich größtenteils hinter Hecken verbargen.

Logan hatte das Radio eingeschaltet und unterhielt sich mit Suzanna über die Nachrichten, während Timmy zwischen ihnen saß und mit großen Augen staunend nach rechts und links blickte.

Ein Schild zeigte die Ausfahrt zum nächsten Ort an, und Suzanna wurde unruhig. Sie wusste, dass dies das Küstenstädtchen war, zu dem Mattashaum gehörte. Und tatsächlich verließ Logan hier die Autobahn.

Die schmale Landstrasse, über die sie im Schein der Nachmittagssonne fuhren, wand sich zwischen Feldern und Waldstreifen hindurch, an einem Mühlenteich vorbei, auf dem sich Enten tummelten, danach mitten durch ein Dorf, in dem die Zeit stillzustehen schien. Nach einem Sportfeld, auf dem vier Jungen Baseball spielten, bog Logan in eine andere lange Strasse ein.

Suzanna blickte auf die Uhr. Sie waren bereits fünfunddreißig Minuten unterwegs.

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Dann hatten sie unvermittelt den Eingang zum Anwesen vor sich, zwei etwa eineinhalb Meter hohe Granitsäulen mit den gemeißelten Inschriften "Mattashaum" und "Harbor". Kein Tor versperrte den Weg. Am Straßenrand befand sich ein ganz gewöhnlicher Landbriefkasten. Alter Kolonialadel hatte es nicht nötig, andere zu beeindrucken.

Die Zufahrt war schmal und schlängelte sich durch dichten Wald. Suzanna blickte mit wachsender Neugier aus dem Fenster. Harris hatte nicht viel von Mattashaum erzählt und von seinem Zuhause nur als zugigem Mausoleum am Meer gesprochen. Noch konnte Suzanna weder das Haus noch das Meer ausmachen.

Dennoch spürte sie, dass sie sich der Küste näherten. Der Baumbestand wurde spärlicher, und die Luft war salzhaltig und feucht.

Nach etwa eineinhalb Kilometern hörte der Wald ganz auf, und vor ihnen öffnete sich eine neue Welt. Suzanna blickte sich überrascht um, als Logan am Ende der gepflasterten Strasse anhielt. In einiger Entfernung vor ihnen lag der schönste Strand, den Suzanna je gesehen hatte.

Sie blinzelte gegen die Sonne an und ließ den Blick über die weite Landschaft schweifen. Der Strand bestand aus einer zehn bis zwölf Kilometer breiten Bucht, deren Landzungen mit mächtigen viktorianischen Sommerhäusern besiedelt waren. Suzanna überlegte, dass die Party, die sie vor zweieinhalb Jahren beliefert hatte, in einer dieser Villen stattgefunden haben musste. Aber natürlich war sie damals über eine andere Strasse gekommen.

Suzanna betrachtete die nähere Umgebung, die grasüberwachsenen Dünen, die Seegraswiesen, die Büsche und Seen.

"Nun, was halten Sie davon?" fragte Logan stolz. "Ich bin überwältigt", gestand Suzanna. "Aber sagen Sie, wo

genau liegt denn nun Mattashaum?"

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Logan nahm die Hände vom Lenkrad und lächelte. "Das alles hier gehört dazu."

Sie riss die Augen auf. "Heiliger..." Timmy schälte sich aus dem Sicherheitsgurt und kniete sich

auf den Kitz. "Heiliger", ahmte er Suzanna nach. "Als die Gegend ursprünglich besiedelt wurde, war es

ziemlich einfach, Land zu erwerben. Und Boden direkt am Meer wie der hier war fast nutzlos. Wir besaßen jedoch mehr als genug bebaubares Land und verdienten ein Vermögen mit der Rinderzucht. Später, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, stellten wir uns auf Milchvieh um. Das ganze Gebiet hier", Logan deutete auf Wiesen zur Rechten, "war damals Weideland."

Logan fuhr weiter und bog nach links in eine Auffahrt ein. "Und das hier", verkündete er, "ist das Haus." Im Gegensatz zu den verwitterten, zederngedeckten

Sommerhäusern auf den Landzungen, war Bradford House mit weißgestrichenem Holz verschalt und hatte schwarze Fensterladen. Der Familiensitz war in schlichtem klassischem Stil gehalten, ohne verspielte Türmchen, Giebel oder Verzierungen.

"Das Haupthaus wurde 1710 gebaut", erklärte Logan. "Von hier aus sehen wir den Vorderteil. Im Laufe der Jahre wurde jedoch viel angebaut."

Auf einer kleinen Anhöhe erhob sich Bradford House mit zwei doppelgeschossigen, rechtwinklig angeschlossenen Seitenflügeln. Mächtige Ahornbäume warfen Schatten auf die weitläufigen Rasenflächen, und zwei große Fliederbüsche säumten den Haupteingang wie stumme Wächter.

Logan brachte den Wagen vor dem Eingang zum Stehen, und alle stiegen aus. Es herrschte Windstille, und die warme Luft war erfüllt vom Zirpen der Zikaden. Dank der erhöhten Lage hatte man vom Haus aus einen noch eindrucksvolleren Blick

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über den Strand. Suzanna legte schützend die Hand vor die Augen und sah sich um. Von hier oben gab es so viel zu sehen.

Doch dann sank Suzanna das Herz. Die Bradfords besaßen ein kleines Paradies, und alles, was sie dagegen zu setzen hatte, waren ihre Liebe und ein dreistöckiges Mietshaus. Wenn sie Timmy zurückgewinnen wollte, stand ihr der Kampf ihres Lebens bevor.

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5. KAPITEL Logan nahm die Sonnenbrille ab, als sie das Haus betraten.

Im Inneren war es selbst im Sommer stets angenehm kühl. Die grünen Leinenvorhänge waren zugezogen, so dass das Auge sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen musste.

"Tante Sue, wo bist du?" flüsterte Timmy. "Hier, Schatz." Suzanna legte ihm die Hände auf die

Schultern. "Ich sehe auch nichts", gestand sie. "Das passiert, wenn man

aus der Sonne in ein Haus kommt." Logan beobachtete Suzanna und unterdrückte ein Lächeln.

Sie war wunderschön und so liebenswert verletzlich und einfühlsam ...

Er wunderte sich über sich selbst. Wieso hatte er auf einmal das Bedürfnis, sie und den Jungen zu beschützen? Verständlich, dass das Kind diese Regung in ihm auslöste, aber Suzanna ...

"Sie ist also doch gekommen", ertönte Collins Stimme aus dem Halbdunkel am Ende der Eingangshalle.

Logan legte eine Hand auf Timmys Kopf, die andere auf Suzannas Schulter. "Hallo, Collin. Natürlich ist sie gekommen. Das wusstest du doch auch." Logan sprach gelassen, obwohl er sich darüber mit seinem Vater den ganzen Vormittag gestritten hatte. Collin fand, ein glatter Bruch sei das beste für den Jungen, doch Logan war dagegen, sich über die richterliche Anordnung

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hinwegzusetzen. Sie durften nichts tun, das die Zuerkennung der endgültigen Vormundschaft gefährden konnte.

Der Ausdruck in Timmys Gesicht ließ Logans Herz rascher schlagen. Er hatte den Schock der ersten Begegnung mit dem Jungen, der Harris so unglaublich ähnlich sah, immer noch nicht überwunden. Bisher war der Kleine für Logan nur eine Verantwortung gewesen, die er zu übernehmen bereit war, ein Fall, den es zu gewinnen galt, eine Art Geschenk für Collin. Plötzlich verstand Logan, was Richter Slade mit der Mahnung gemeint hatte, es gehe hier um ein empfindsames menschliches Wesen. Logan konnte es kaum erwarten, Collin den Jungen vorzustellen.

Hoch aufgerichtet, am Stock gehend, kam der Alte näher. Einige Schritte vor Suzanna blieb er stehen und stützte sich mit beiden Händen auf den Stockknauf. Gespannt wartete Logan, wie sein Vater auf Timmy reagieren würde, doch Collin blickte fest auf Suzanna.

"Ich weiß nicht, warum Sie mitgekommen sind, Missy", sagte er in eisigem Ton. "Sie werden hier nicht benötigt."

Logan spürte, wie Suzanna sich versteifte. "Und ich bin hier auch nicht erwünscht", erwiderte sie. "Trotzdem bleibe ich, bis ich mich vergewissert habe, dass Timmy sich hier wohl fühlt."

Logan bewunderte ihren Schneid. Unter dem harten Blick seines Vaters waren ihm als Junge oft genug die Knie weich geworden, doch Suzanna sah Collin unbeirrt an.

Schulterzuckend wandte er sich dem Kind zu. "Nun, dann sehen wir uns den Kleinen mal an. Ist das unser Timmy?" Ehe Logan ahnte, was Collin vorhatte, hob er den Stock und versetzte dem Jungen damit einen Stoss gegen das Bein.

Logan war sicher, dass sein Vater das Kind nur leicht berührt hatte, doch es stieß einen kleinen Schrei aus, sprang hinter Suzanna und versteckte sich hinter ihrem Rock.

"Ein ängstlicher kleiner Junge", stellte Collin fest und stützte sich wieder auf den Stock.

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Logan konnte sich vor Entsetzen nicht rühren und war um so erstaunter, als Suzanna sich zu dem Jungen kniete und ruhig sagte: "Schon gut, Timmy Das ist nur dein Großvater. Du erinnerst dich doch an deinen Daddy, nicht wahr? Das hier ist sein Vater."

Bei dem Hinweis auf Harris fühlte Logans Kehle sich plötzlich wie zugeschnürt an Er sah seinen Vater an und suchte bei ihm nach einer Gefühlsreaktion, aber Collins Miene zeigte keine Regung.

Timmy sah mit großen feuchtschimmernden Augen zu seinem Großvater auf.

"Sag guten Tag", drängte Suzanna sanft. Vorsichtig trat der Junge einen Schritt vor, dann noch einen.

Collin neigte den Kopf leicht und begrüßte das Kind auf seine barsche Art: "Hallo, Timothy."

Prompt flüchtete der Junge zu Suzanna zurück und legte die Arme um sie.

Logan unterdrückte einen Seufzer. Unterwegs war Timmy richtig aufgetaut und hatte sogar einige Male gelacht. Die Begegnung mit Collin machte alles wieder zunichte.

Aber nun, man durfte nicht zuviel erwarten. Bei Fremden verhielten manche Kinder sich nun mal scheu. Das würde sich schon noch geben.

"Darf ich mir Timmys Zimmer ansehen?" fragte Suzanna. Collin winkte herrisch ab. "Ich wüsste nicht, warum." "Ja, natürlich." Logan warf seinem Vater einen scharfen

Blick zu. "Aber erst sollten wir Buddy wohl besser aus dem Wagen lassen."

Timmy belohnte Logan mit einem seligen Lächeln. Collin folgte ihnen nach draußen. Als der Welpe vom

Rücksitz sprang, unterdrückte Logan ein Lächeln. Auf dem Anwesen gab es bereits fünf Hunde, alles reinrassige Retriever oder Collies.

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Collin lief puterrot an. "Logan, sorg dafür, dass der Köter morgen früh sofort zum Tierarzt gebracht und geimpft und entflöht wird. Bis dahin darf er auf keinen Fall zu den anderen Hunden in den Zwinger."

"Buddy hat keine Flöhe", erklärte Suzanna. "Die nötigen Impfungen hat er bereits erhalten, und dass er in den Zwinger gesperrt wird, kommt nicht in Frage!" Statt zu Collin, sprach Suzanna zu Logan.

Er zögerte kurz. "Timmy hängt sehr an dem Hund", erklärte er seinem Vater. "Er wurde bei Miss Keating in der Wohnung gehalten, und der Junge hat sich daran gewöhnt, dass das Tier bei ihm schläft."

Collin sah seinen Sohn an, als zweifelte er an seinem Verstand. Hunde durften bei ihm grundsätzlich nicht ins Haus, und schon gar nicht ins Bett. "Darüber reden wir später", entschied er.

Timmy tollte bereits mit Buddy auf dem Rasen herum. "Sehen Sie?" Collin deutete auf den Jungen, "Er fühlt sich

hier wie zu Hause. Ich rufe den Fahrer, der Sie zurückbringt." Logan mischte sich ein. "Collin, ich glaube, Miss Keating

möchte erst das Kindermädchen kennen lernen und sich hier umsehen ... du weißt schon, um sich zu vergewissern, dass Timothy bei uns gut aufgehoben ist."

Sein Vater tat, als hätte er sich verhört. " Sie zweifelt, dass der Junge es hier gut hat?"

Logan beherrschte sich nur mit Mühe. "Sie hat das Recht, sich davon zu überzeugen."

"Also gut", versetzte Collin kurz angebunden. "Fangen wir hier draußen an."

Aufgebracht und im Eiltempo führte Collin Suzanna auf dem Anwesen herum. Manchmal musste sie fast rennen, um mit ihm Schritt halten zu können. Logan gab es auf, seinen Vater bremsen zu wollen, und gab sich damit zufrieden, Timmy auf den Schultern herumzutragen.

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Collin führte sie um den Swimmingpool, durch die Gartenanlagen und in die Garage. Er zeigte Suzanna das Segelboot im Trockendock und die Scheunen, die früher zur Farm gehört hatten.

Als sie zu den Ställen kamen, war Logan wütend. Collin jedoch triumphierte, weil er Suzanna bewiesen hatte, was er Timmy alles bieten konnte, und sie nicht.

Logan hatte gehofft, die Begegnung zwischen Großvater und Enkel würde der Beginn eines Heilungsprozesses sein, doch Collin hatte daraus einen Wettkampf gemacht, bei dem Timmy der Preis war.

"Timothy, gefällt dir das Pony hier?" fragte Collin schroff und näherte sich einer Box. "Es gehört dir. Ich habe es extra für dich gekauft. Komm her, mein Sohn."

Logan, der etwas abseits stand, fuhr sich nervös mit der Hand über den Hals, wusste jedoch nicht, wie er auf seinen Vater einwirken könnte. Aus dem Augenwinkel bemerkte Logan, dass Suzanna ihn alarmiert ansah. Warum wandte sie sich nur ständig an ihn, als sei er ihr Verbündeter?

Timmy näherte sich dem Pony sehr vorsichtig. "Aber das Kind ist doch erst vier!" gab Suzanna zu bedenken. Collin lächelte verächtlich. "Miss Keating, mit vier ritt sein

Vater bereits wie ein Jockey." Logan unterdrückte eine Verwünschung. Ja, Harris war

geritten, aber er hatte es gehasst. Das Pony wieherte, und Timmy sprang erschrocken zurück.

Er drehte sich um und wollte zu Suzanna stürzen, doch Collin packte ihn und hielt ihn auf Armeslänge von sich ab.

"Was? Ein Bradford und Angst vor einem Pferd! Höchste Zeit, dass wir den Jungen übernommen haben, Logan."

Timmy wand sich unter dem Griff seines Großvaters und sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.

Suzanna war wütend. "Lassen Sie ihn los!" forderte sie. "Sofort!"

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Mit einem abschätzigen Laut gab Collin nach. Suzanna breitete die Arme aus, doch statt sich zu ihr zu flüchten, rannte Timmy zu Buddy und barg das Gesicht in seinem Fell. Logan sah Suzannas verletzten Gesichtsausdruck, und seltsamerweise fühlte er mit ihr.

"Können wir zum Haus zurückkehren?" wandte sie sich beschwörend an Logan. "All das ... ist zuviel auf einmal für Timmy. Vielleicht sollten wir uns jetzt erst mal sein Zimmer ansehen und seine Sachen auspacken."

Collin lächelte zufrieden. "Aber natürlich." In der Eingangshalle erklärte er, er würde jetzt seinen

gewohnten Mittagsschlaf halten. Collin verstand seinen Vater nicht. Seit Wochen hatte er nur davon gesprochen, den Jungen heimzuholen, und jetzt zog er sich zurück ...

"Wo ist das Kindermädchen, das wir eingestellt haben?" fragte Logan. "Miss Keating möchte es sicher kennen lernen."

Collin druckste herum. Schließlich sagte er: "Sie kommt erst morgen. Es ist etwas dazwischengekommen. Ich muss mich jetzt wirklich hinlegen. Wir sehen uns beim Abendessen." Auf der Treppe blieb er stehen und sagte zu Suzanna: "Wenn ich aufstehe, sind Sie sicher schon fort, da sollte ich mich besser gleich verabschieden." Damit ging er weiter.

Logan sah seinem Vater ungläubig nach, dann blickte er von Suzanna zu Timmy. Mit dieser Entwicklung der Dinge hatte er nicht gerechnet.

Dennoch beschloss er, sich nicht entmutigen zu lassen. Das war Timmys erster Tag im Bradford House, und vermutlich der kritischste. Der Junge würde sich sicher bald eingelebt haben. Und auch Collin musste sich an die neue Situation erst gewöhnen.

"Kommen Sie, Miss Keating. Ich zeige Ihnen Timmys Zimmer."

Suzanna folgte Logan nach oben. Sie hasste ihn, hasste Collin und alles in diesem Haus mit seiner düsteren, bedrückenden,

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durch und durch männlichen, von Leder und Messing bestimmten Atmosphäre. An der Treppenwand hingen Gemälde von Fuchsjagden und würdevollen Ahnen, die hochnäsig auf Suzanna herabblickten, als sie die Stufen hinaufging.

"Das ist dein Zimmer, Timmy", erklärte Logan und öffnete eine Tür am Ende des Ganges. "Es gehörte früher deinem Vater."

Timmy spähte argwöhnisch in den Raum. Er war geschmackvoll möbliert, doch wie das übrige Haus nicht kindgerecht eingerichtet. Suzanna ließ den Blick schweigend über dunkle antike Möbel, jägergrüne Tapeten und Schottenstoffe schweifen, und sie fühlte sich immer beklommener.

"Und mein Zimmer ist gleich nebenan, Tim. Hinter dieser Verbindungstür. Da sind wir ganz unter uns. Wie findest du das?"

"Okay", erwiderte Timmy unsicher. "Wollen wir dein Spielzeug zuerst auspacken?" Er nickte nur. Es dauerte keine Stunde, und sie hatten seine

Sachen in Schubladen, Schränken und Regalen verstaut. Suzanna fiel auf, dass das gerahmte Foto von Harris und Claudia auch hier auf dem Nachttisch stand.

Suzanna war dabei, Timmys Lieblingsstofftiere auf dem Bett anzuordnen, als eine Stimme über Gegensprechanlage verkündete, das Abendessen sei fertig.

"Das ist unsere Haushälterin, Mrs. Travis", sagte Logan zu Suzanna. "Ich mache Sie unten mit ihr bekannt."

Suzanna zögerte. "Wurde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich noch eine Zeitlang bleibe?"

"Aber nein. Nehmen Sie die Bemerkung meines Vaters nicht ernst. Wir... ich hatte damit gerechnet, dass Sie bleiben."

Suzanna ging darauf nicht ein. "Logan?" Es fiel ihr nicht leicht, die Bitte zu äußern. "Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten."

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"Nur zu." "Bitte denken Sie daran, dass Sie Timmys Vormund sind."

Suzanna fing seinen fragenden Blick auf und setzte hinzu: "Und nicht Collin."

Logan antwortete nicht sofort. "Wir wollen Mrs. Travis nicht warten lassen", sagte er dann.

Die Abendmahlzeit war eine Katastrophe. Die steife Atmosphäre im Esszimmer wirkte erdrückend auf Suzanna, und sie brachte kaum einen Bissen hinunter. Collins barsche Art machte alles noch schlimmer. Der arme Timmy war so verstört, dass er die meiste Zeit unter dem Tisch verbrachte.

Buddy setzte allem die Krone auf, indem er einen Bach auf den kostbaren Perserteppich machte.

"Mrs. Travis!" Collins Stimme bebte vor Zorn. Die freundliche Wirtschafterin erschien an der Tür. "Ja, Mr.

Bradford?" "Schaffen Sie den Köter raus und sperren Sie ihn in den

Zwinger. Sofort!" Timmy tauchte entsetzt unter dem Tisch auf. "Nein! Bringen

sie Buddy nicht fort!" Tränen traten dem Jungen in die Augen. Die Haushälterin blickte verunsichert von Collin zu dem

Kind. "Weg mit dem Köter!" befahl Collin. Suzanna sah Logan hilfesuchend an, doch er wandte sich ab.

In diesem Haus hatte sie keinen Verbündeten, erkannte sie. "Es ist besser so, Timmy", sagte sie gefasst. "Solange Buddy noch nicht stubenrein ist, gehört er wirklich nicht ins Haus. Aber du kannst beruhigt sein. Draußen lernt er die anderen Hunde kennen und kann sich mit ihnen anfreunden."

"Hm." Das Kind nahm die Gabel auf, schob das Essen jedoch nur noch auf dem Teller herum.

Wenig später brachten Suzanna und Logan den Jungen in sein Zimmer hinauf. Sie setzte sich zu Timmy auf das Bett und strich ihm beruhigend über das braune Haar, bis die Müdigkeit

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ihn übermannte. Erst nachdem der Kleine eingeschlafen war, sah Suzanna Logan an, der auf der anderen Seite des Bettes saß. "Ich komme morgen, so bald es geht, wieder", sagte sie. "Am Vormittag habe ich im Geschäft noch Verschiedenes zu tun."

"Lassen Sie sich Zeit. Das Kindermädchen ist ja da... und ich auch." Logan seufzte resigniert. "Ich fahre morgen nicht ins Büro."

Irgendwie hatte Suzanna nicht erwartet, dass er arbeitete. Zögernd stand sie auf. "Sie lassen die Verbindungstür offen, nicht wahr?" bat sie.

"Ja. Und ich werde Mrs. Travis anweisen, Timmy morgen zum Frühstück Pfannkuchen zu backen."

"Mit Erdbeersirup, falls sie welchen hat. Und wenn Timmy das Bett nass macht..."

"Keine Sorge, für ihn wird bestens gesorgt." Suzanna nickte und verließ hastig den Raum, weil sie Angst

hatte, in Tränen auszubrechen. Timmy wird es gut gehen, versuchte Suzanna sich

einzureden, als der Mann der Haushälterin sie in der Dunkelheit nach Hause fuhr. Der Junge schlief in dem mächtigen antiken Schlittenbett seines Vaters in einem luxuriösen großen Haus am Meer. Er hatte ein Kindermädchen, ein Pony ...

Suzanna schlug die Hände vor das Gesicht und unterdrückte einen Schluchzer. Timmy hatte alles, was man mit Geld kaufen konnte. Nur keine Liebe.

Kurz nach zwei erwachte Logan. Er lag ganz still und lauschte, aber das einzige Geräusch, das er ausmachen konnte, war das unablässige Rauschen des Meeres in der Ferne. Doch da war es wieder... ein leises, ersticktes Schluchzen.

Logan schaltete die Nachttischlampe ein, stand auf und ging zur Verbindungstür.

"Was hast du denn, Kumpel?" Logan setzte sich zu Timmy aufs Bett, der sich unter der Decke verkrochen hatte. Als Logan die Hand auf den kleinen warmen Hügel legte, stellte er fest,

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dass der Junge zitterte. "He, es ist doch alles gut. Ich bin da." Das Kind rollte sich noch mehr zusammen. Logans Nähe schien es keineswegs zu beruhigen. Es vermisste Suzanna, das war Logan klar.

Erzog die Decke behutsam zurück und nahm Timmy auf den Schoss. Das Haar und der Pyjama des Kindes waren verschwitzt. Du meine Güte, dachte Logan, wie lange mochte der Kleine schon in der Dunkelheit geweint haben?

"Hast du schlecht geträumt?" Logan streichelte Timmys Arm. "Das tue ich manchmal auch. Aber das hat nichts zu bedeuten. Träume sind ja nicht wirklich."

Timmy blickte sich teilnahmslos im Zimmer um. Bis jetzt hatte Logan dem Raum weiter keine Beachtung geschenkt. Er unterschied sich krass von Timmys bisherigem farbenfrohem Kinderzimmer mit dem Rennwagenbett, den lustigen Mobilen und Zeichentrickfiguren.

Logan nahm Timmy auf den Arm und trug ihn wiegend im Zimmer herum. "Schon gut, Timmy", redete er beruhigend auf das Kind ein. "Es ist ja gut. Ich bin bei dir und gehe nicht fort."

Nachdem Logan einige Minuten auf und ab gegangen war und sanft zu dem Kleinen gesprochen hatte, begann er, sich zu entspannen, und kuschelte sich an Logans Schulter. Schließlich murmelte Timmy etwas, doch Logan hatte verstanden, was der Junge wollte.

"Buddy? Aber der ist doch unten im Zwinger bei seinen neuen Freunden. Vermutlich schläft er fest und träumt von einem großen Napf voll Hundekuchen."

"Aber er fürchtet sich." Timmy hob den Kopf und sah Logan mit seinen unwiderstehlichen blauen Augen an. "Er mag nicht allein schlafen und weint dann."

Logan runzelte die Stirn. "So? Also, dann müssen wir ihn wohl schleunigst nach oben holen, damit er sich beruhigt, meinst du nicht auch?"

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Das zaghaft erleichterte Glucksen des Kindes brachte eine Saite in Logan zum Schwingen. Mit Timmy auf dem Arm huschte Logan geräuschlos nach unten und verließ das Haus.

Die Hunde im Zwinger begannen zu winseln, als Logan sich näherte, und er schaltete das Licht ein. Sofort verstummten die Tiere und wedelten mit den Schwänzen.

"Dort ist Buddy!" Timmys Augen leuchteten. Logan schloss den Zwinger auf und nahm, Timmy auf einem

Arm, mit dem anderen Buddy auf. Der Welpe zappelte aufgeregt und leckte alles, was in Zungenreichweite war, einschließlich Logans Kinn. Logan lachte amüsiert.

So lautlos, wie sie das Haus verlassen hatten, betraten sie es wieder. Ehe sie nach oben zurückkehrten, unternahmen sie einen Abstecher in die Küche, um sich mit Milch und Plätzchen einzudecken. Logan holte ein Märchenbuch aus Timmys Zimmer, und sie machten es sich zu dritt in Logans Bett bequem. Mit leiser, beruhigender Stimme las er dem Kind mit dem Welpen in seinem Arm eine Erzählung vor. Nach einer Weile entspannten sich die beiden, und ihr Atem wurde flacher.

Als Logan sie forschend betrachtete, waren Kind und Hund eingeschlafen. Lächelnd legte Logan das Buch beiseite, ließ sich behutsam auf das Kissen zurücksinken und schloss die Augen.

Wie oft war Harris früher zu Logan ins Bett gekrochen, wenn er sich fürchtete oder einsam fühlte. Jetzt wiederholte die Geschichte sich.

Logan beugte sich über Timmy und küsste ihn liebevoll auf das Haar. Es war falsch gewesen, den Jungen so unvorbereitet herzuholen. Doch nachdem es nun einmal geschehen war, würde er, Logan, dafür sorgen, dass Suzanna möglichst viel Zeit in Mattashaum verbrachte, um dem Kind das Einleben zu erleichtern. Die Vorstellung gefiel Logan.

Er musste jedoch vorsichtig vorgehen. Suzanna würde misstrauisch werden, wenn er plötzlich den roten Teppich ausrollte. Auf keinen Fall durfte sie merken, dass Timmy

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Eingewöhnungsschwierigkeiten hatte, sonst würde sie das vor Gericht ausspielen.

Natürlich gab es da noch die Möglichkeit, Timmy aufzugeben, aber das konnte Logan jetzt einfach nicht mehr, nachdem er den Kleinen kennen gelernt hatte. Er hatte es versäumt, Harris zu helfen. Jetzt konnte er versuchen, das an seinem Sohn wiedergutzumachen.

Logan zog den Arm vorsichtig unter dem warmen schlafenden Bündel hervor und schaltete das Licht aus. Es dauerte jedoch noch eine Weile, ehe auch er Schlaf fand.

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6. KAPITEL Am nächsten Nachmittag fuhr Suzanna mit ihrem klapprigen,

acht Jahre alten Lieferwagen über die Privatzufahrt der Bradfords und stellte fest, dass sie neue Stossdämpfer brauchte. Doch das berührte sie im Moment nicht. Ihr einziger Gedanke galt Timmy.

Sie hatte morgens schon vor acht angerufen, weil sie sich voller Sorge fragte, wie das Kind die Nacht überstanden haben mochte.

Logan hatte Suzanna versichert, es gehe dem Jungen bestens. Er habe wie ein Bär geschlafen, vertilge gerade einen Berg Pfannkuchen mit Erdbeersirup und freue sich darauf, mit dem Kindermädchen zu spielen, das kurz zuvor angekommen sei. Außerdem seien Arbeiter dabei, die Einzelteile einer Schaukel auszuladen. Timmy sei voll beschäftigt. Suzanna brauche sich also nicht zu beeilen.

Resigniert hatte sie den Hörer aufgelegt. Vielleicht hatten die Bradfords doch recht. Timmy war jung und würde sich rasch einleben.

Darüber hätte Suzanna froh sein müssen, aber sie war es nicht. Sie vermisste den Jungen schrecklich. Zum Glück hatte sie am Vormittag mit den Vorbereitungen für verschiedene Aufträge so vie l zu tun gehabt, dass sie gar nicht zum Nachdenken gekommen war.

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Sie erreichte das Ende der Pflasterstrasse und bog in die Auffahrt von Bradford House ein.

Mrs. Travis öffnete Suzanna die Tür. Die Wirtschafterin war eine sympathische Frau mit sanften Augen und einem warmherzigen Lächeln.

"Ihr Neffe ist mit seinem Onkel und dem Kindermädchen hinten. Kommen Sie mit durchs Haus, das ist der kürzeste Weg."

"Man erwartet mich doch?" fragte Suzanna. "O ja." Die Wirtschafterin ging voraus, und Suzanna folgte

ihr durch den Salon. Mrs. Travis hielt ihr die Terrassentür auf.

"Nur Mut", flüsterte sie Suzanna zu, als sie auf den Innenhof hinaustrat.

In einiger Entfernung, im Schatten eines mächtigen Ahornbaums, saß Timmy. Er wirkte blass und müde und streichelte lustlos den neben ihm liegenden Welpen.

Timmy ging es also durchaus nicht so blendend, wie Logan behauptet hatte.

Einige Schritte links von Timmy saß eine kräftige dunkelhaarige Frau um die Vierzig in einem Korbsessel und blätterte in einer Zeitschrift. Seitlich rechts von Timmy saß Logan und las ein Buch. Auf dem Tisch neben ihm standen eine Vase mit Wiesenblumen und eine Limonadenkaraffe. Das Ganze wirkte wie eine sorgfältig inszenierte Sommeridylle.

Wie auf ein Stichwort hoben alle drei den Kopf. "Tante Sue!" Timmy sprang auf und stürmte ihr entgegen. Bewegt schloss sie ihn in die Arme. "Hallo, Liebling", sagte

sie erstickt. Timmy sah Suzanna vorwurfsvoll an. "Wo warst du?" "Ich... " Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, und

flüsterte nur: "Ich hab' dich lieb, mein Schatz." Sie setzte den Jungen ab und nahm ihn bei der Hand. Logan

und das Kindermädchen waren aufgestanden und musterten Suzanna. Sie hatte ihr Haar zuruckgebunden und trug ein

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schlichtes pinkfarbenes Hemdblusenkleid. Was gab es da also zu sehen?

"Guten Tag", begrüßte sie die beiden. "Miss Keating." Logan nickte und machte die beiden Frauen

miteinander bekannt. "Das ist Trudi Barrows, Timmys Kindermädchen. "Trudi, Suzanna Keating, Timmys Tante."

Normalerweise beurteilte sie Menschen nicht nach dem Aussehen, aber die Frau gefiel Suzanna nicht. Alles an dem Kindermädchen war groß und derb, die Zähne, die Ohren, das Kinn, und die hervorquellenden Augen wirkten fast beängstigend. Suzanna riss sich zusammen und begrüßte Trudi mit einem kurzen Lächeln.

"Setzen Sie sich." Logan deutete auf den Korbsessel neben seinem. "Möchten Sie ein Glas Limonade?"

"Nein, danke." Nachdem alle Platz genommen hatten, breitete sich

unbehagliches Schweigen aus. Suzanna überlegte, wie sie sich mit Timmy auf höfliche Weise zurückziehen könnte. Sie wollte hier nicht herumsitzen, sondern einige Stunden mit ihrem Neffen allein sein, mit ihm Spazieren gehen oder irgendwo mit ihm spielen.

Doch dann hielt Suzanna es für besser, Timmy zu zeigen, dass sie diese Leute nett fand, damit er Zutrauen zu ihnen fasste.

Das Kind kletterte auf ihren Schoss und steckte sich prompt den Daumen in den Mund.

Sie wandte sich Trudi Barrows zu. "Haben sie eigentlich von jeher als Kindermädchen gearbeitet?"

"O ja. "Die Frau lächelte und entblößte dabei ihr Pferdegebiss. "Seit meinem neunzehnten Lebensjahr. Ich bin schon viel rumgekommen ... San Francisco, New York, Miami. Eines Tages will ich auch nach Europa, das habe ich mir vorgenommen."

Suzanna legte das Kinn auf Timmys Kopf, "Haben Sie nie den Wunsch gehabt, selbst Kinder zu haben?"

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"Du liebe Zeit, dann müsste ich ja meine Arbeit aufgeben!" Die Frau lachte so dröhnend, dass Buddy den Kopf hob,

"Trudi kann wunderbar mit Kindern umgehen", versicherte Logan. "Sie hat erstklassige Empfehlungen. Tim wird es hier sehr gut haben. Haben Sie seine neue Schaukel übrigens schon gesehen?"

Suzanna entging nicht, dass Logan das Thema gewechselt hatte.

"Ist sie das dort drüben?" "Ja. Ist sie nicht irre?" Das war sie wirklich. Auf dem sonnigen Rasen stand eine

Holzkonstruktion, die eher wie ein abstraktes Kunstgebilde aussah. Bei genauerem Hinsehen entdeckte Suzanna unter den verschiedenen Ebenen, Leitern, Seilen und Rutschen tatsächlich ein Ding, das einer Schaukel ähnelte Suzanna musste an ihren kleinen eingezäunten Hof denken, in dem es nur einen schlichten Sandkasten gab.

"Komm, Timmy." Trudi stand auf und reichte ihm die Hand. "Lass uns deiner Tante zeigen, dass du bis ganz oben klettern kannst. Nun komm schon", forderte sie, als der Kleine sich nicht rührte.

"Geh, mein Schatz", ermutigte Suzanna ihn und warf dem Kindermädchen einen kühlen Blick zu.

Widerstrebend glitt Timmy von ihrem Schoss, und Trudi nahm ihn bei der Hand. "Er ist schon ein bisschen müde, weil wir den ganzen Vormittag gespielt haben."

Suzanna betrachtete die gestärkte Tracht der Frau. Falls Timmy gespielt hatte, dann bestimmt nicht mit ihr

"Juhu!" rief Trudi mit ihrer dröhnenden Stimme und stieß die Schaukel an. "Juhu!"

Timmy presste die Lippen zusammen, machte jedoch keine Anstalten, seine Künste vorzuführen.

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Das Kindermädchen hielt die Schaukel an und forderte den Jungen auf, es mit der Rutsche und danach mit der Strickleiter zu versuchen.

Gehorsam arbeitete das Kind sich durch die verschiedenen komplizierten Vorrichtungen hindurch. Trudi klatschte Beifall "War das nicht ein toller Spaß?"

Timmy erkannte, dass seine Parade Vorstellung beendet war, schob den Daumen wieder in den Mund und kehrte schleunigst auf Suzannas Schoss zurück.

"Und war es nicht nett von Onkel Logan, dir die Schaukel zu kaufen?" tönte es barsch vom Innenhof.

Timmy verkrampfte sich und saß stocksteif da. Suzanna drehte sich um und sah Collin mit Cecily Knight herankommen, der Blondine, mit der Logan verlobt war. Verzweiflung überkam Suzanna. Timmy schien den Tränen nahe zu sein. Er wirkte müde, unglücklich und verwirrt. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg.

Sie blickte Logan an, obwohl sie selbst nicht wusste, warum sie sich von ihm Hilfe erhoffte. Während das Kindermädchen Timmy seine Kunststücke hatte vorführen lassen, hatte Logan angespannt dagesessen und nervös die Daumen gedreht. Jetzt hielt er die Hände still und rührte sich nicht, nur sein Blick schweifte von einem zum anderen. Suzanna hatte das Gefühl, neben einer sich aufladenden Gewitterwolke zu sitzen.

Cecily Knight schwebte heran und beugte sich übertrieben lächelnd über Timmy. Er presste sich an Suzanna, um sich der Fremden zu entziehen, aber Cecily schaffte es dennoch, ihm einen Lippenstiftkuss auf die Wange zu drücken.

"Ist der Kleine nicht süß, Logan." Die Blondine schlug entzückt die Hände zusammen.

Sein Lächeln fiel etwas verkrampft aus. Cecily, in weißer Tenniskleidung und mit Schirmmütze,

beugte sich über Suzanna und legte ihr mitfühlend die Hand auf den Arm. "Und Sie sind Suzanna." Sie sprach sanft, und in ihren

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blauen Augen lag ein Ausdruck von Besorgnis und Anteilnahme. "Ich weiß, dass Sie eine schwere Zeit durchmachen, aber ich verspreche Ihnen, Timmy eine gute Mutter zu sein. Ich bin sehr kinderlieb. Logan auch. Sie können sicher sein, dass Timmy in einer glücklichen Familie aufwächst."

Timmys Haltung war zunehmend starrer geworden, und Suzanna kämpfte gegen das Bedürfnis an, ihn einfach zum Lieferwagen zu tragen und mit ihm davonzufahren. Hielt die Frau den Jungen für taub? Sie musste doch merken, was sie anrichtete, wenn sie als völlig Fremde davon sprach, seine Mutter zu werden

"Tante Sue, wir gehen heim, okay?" Timmys Stimme zitterte gefährlich.

Suzanna zog ihn fester in die Arme und strich ihm beruhigend über den Kopf. Richterbeschluss hin oder her, es musste eine Möglichkeit geben, Timmy hier herauszuholen.

Logan stand auf und entfernte sich einige Schritte. Mit dem Rücken zu den anderen blieb er stehen und stemmte die Hände in die Hüften.

"Logan, komm, setz dich zu Cecily und erzähle Miss Keating von der Fahrt nach Disney World, die ihr zu dritt machen wollt." Collin gab sich umgänglich, doch der harte Unterton war nicht zu überhören.

Logan drehte sich um, und zu Suzannas Überraschung funkelten seine Augen zornig. Er atmete ein paar Mal tief durch, als beherrschte er sich nur noch mit Mühe. "Suzanna?"

Sie zuckte leicht zusammen. Bisher hatte er sie noch nie beim Vornamen angesprochen. "Ja?"

"Ich glaube, Timmy würde gern einen Spaziergang zum Strand machen. Was halten Sie davon?"

"Logan, bitte setz dich doch und ..." "Ich möchte nicht sitzen, Vater." Logan sprach respektvoll,

aber bestimmt ohne den Blick von Suzanna abzuwenden.

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Ihr Herz pochte heftig. "Ja. Ja, ich glaube, ein Spaziergang wird ihm Spaß machen."

Gereizt seufzend stand Trudi auf. "Ich gehe mir nur schnell eine Jacke holen ..."

"Nein." Logan winkte ab. "Sie waren den ganzen Tag auf den Beinen. Machen Sie jetzt mal Pause." Er wandte sich Cecily und seinem Vater zu und schlug scharf vor: "Wie war's, wenn ihr alle eine Pause einlegt?"

Keiner sagte ein Wort. Logan hob Timmy von Suzannas Schoss und nahm ihn auf

den Arm, die andere Hand reichte er Suzanna Sekunden vergingen. Dann ergriff sie langsam, fast tastend, Logans Hand. Sie fühlte sich warm und kraftvoll an. Als seine Finger sich um ihre schlössen, durchströmte sie ein seltsames Gefühl der Sicherheit. Aber da war noch etwas. Es war, als hätten sie mit dieser Geste ihre Partnerschaft besiegelt.

Schweigend gingen sie über den Kiespfad davon. Sie wussten, dass sie beobachtet wurden, und verlangsamten den Schritt erst, als sie Bradford House weit hinter sich zurückgelassen hatten. Bei den Dünen angekommen, blieb Logan stehen und setzte Timmy im Sand ab. Sofort forderte der Welpe, der mitgetrottet war, das Kind mit übermütigen Sprüngen zum Spielen auf.

"Danke", sagte Suzanna leise. Logan sah sie nicht an. "Wofür?" "Sie wissen schon, was ich meine." Er fuhr sich durch das windzerzauste Haar. "Hören Sie,

Suzanna, ich habe diese Leute angefahren, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich auf Ihrer Seite bin."

"Nein, natürlich nicht. Das ist mir klar. Sie haben nur getan, was für Timmy das beste war."

"Richtig."

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"Dafür habe ich mich bedankt. Ich weiß Ihr Eingreifen zu würdigen. Der Junge hat sich in der Situation ganz und gar nicht wohl gefühlt."

Logan blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne. "Ist das ein Wunder?"

Suzanna traute ihren Ohren nicht. "Wie bitte?" "Haben Sie sich denn wohl gefühlt? Ich mich nicht!" Sie betrachtete Logans markantes Profil und unterdrückte ein

Lächeln. "Vielleicht sollte man ihnen zugute halten, dass sie unsicher

waren und sich zu sehr bemüht haben. Kommen Sie, gehen wir weiter", schlug Logan vor.

Etwas gelöster ging Suzanna neben ihm den sandigen Hügelpfad hinauf. Timmy, der sich sichtlich wohler fühlte, zwängte sich zwischen die beiden Erwachsenen und ergriff ihre Hände.

"Wie sind Sie denn an diese Trudi Barrows gekommen?" fragte Suzanna.

"Sie meinen die Walküre?" Suzanna musste lachen, und auch Logan lächelte amüsiert. "Genau. Was für Zeugnisse hat sie eigentlich?" "Keine Ahnung, Sie ist nicht das Kindermädchen, das ich

eingestellt habe. Das andere hat den Posten in letzter Minute abgelehnt. Ich vermute, die Frau ist mit meinem Vater aneinandergeraten. Da tauchte die Walküre hier als Ersatz auf."

Suzanna wurde ernst. "Die vielen neuen Gesichter, die fremde Umgebung sind eine schwere Belastung für das Kind."

"Ja, das ist mir inzwischen auch klar", gestand Logan. In diesem Augenblick blieb Timmy mit dem Turnschuh im

Sand stecken und stolperte. Suzanna und Logan, die ihn an den Händen hielten, zogen ihn gleichzeitig hoch und schwenkten ihn durch die Luft. Der Kleine gluckste vergnügt. Als er landete, wiederholten sie die Kapriole noch einige Male.

Page 83: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Suzanna sah Logan an und lächelte. Sein Gesicht zeigte einen weichen Ausdruck. Rasch blickten sie fort.

"Hat Cecily nichts dagegen, dass Sie sie zurücklassen und mit mir spazieren gehen? "

Logan schien seine Verlobte vergessen zu haben. "Ach, Cecily. Nein, sie hat nichts dagegen."

"Aber sie kam doch anscheinend, um mit Ihnen Tennis zu spielen. Waren Sie verabredet?"

Logan sah geradeaus. "Nein. Das ist schon in Ordnung." Eine merkwürdige Beziehung, dachte Suzanna. Bei Cecilys

Erscheinen hatte Logan überhaupt nicht reagiert, Suzanna behielt ihre Meinung für sich und blickte sich um.

"Ein herrlicher Tag." Über ihnen glitten Seevögel mit ausgebreiteten Schwingen über den blauen Sommerhimmel. Suzanna atmete die würzige Salzluft tief ein und lauschte dem Rauschen der Brandung. Ein Gefühl der Freiheit erfüllte Suzanna plötzlich, für das sie keine Erklärung fand.

Logan folgte ihrem Blick. "Ja, das kann man wohl sagen." Sie hatten die Dünen überquert, und unter ihnen breitete sich

der Strand aus. Timmy riss sich los und rannte mit Buddy voraus.

"Laufen Sie gut in den Dingern?" Logan streifte sich die Segeltuchschuhe ab,

Suzanna betrachtete ihre weißen Ballerinas. "Sie sind voller Sand." Kurz entschlossen zog sie sie aus. "Ah, das ist besser." Sie grub die Zehen in den warmen Sand und sah Logan lächelnd an. Diesmal hielten ihre Blicke sich fest. Suzannas Herz tat einen verrückten Sprung. Langsam, zögernd, brachen sie den Blickkontakt.

"Schade, dass wir nichts dabei haben", sagte Suzanna mit unsicherer Stimme, als sie auf das Wasser zugingen, "Kein Badezeug, kein Sonnenöl, nicht mal ein Handtuch."

Logan spähte zu einer Landzunge hinüber. "Vielleicht nächstes Mal."

Page 84: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Nächstes Mal? dachte Suzanna. An der Flutlinie, wo Seetang und Muschelstücke trockneten,

zog Logan Timmy geduldig Turnschuhe und Socken aus, Suzanna fiel auf, wie vertrauensvoll der Junge sich seinem Onkel gegenüber verhielt, während er den anderen in Bradford House misstrauisch begegnete.

"Wie ich Timmy kenne, sollten wir ihm auch die Shorts ausziehen." Suzanna setzte sich im Schneidersitz in den Sand, um Logan zu helfen.

"So? Du willst also schwimmen gehen, Tim?" Logan krempelte sich die Beine seiner Khakihose hoch.

"Schwimmen!" jubelte der Junge und hüpfte übermütig herum.

Logan lachte gelöst, und wieder machte Suzannas Herz einen Satz.

Hastig stand sie auf und strich sich den Rock glatt. Sie musste die Dinge realistisch sehen. Logan Bradford war ihr Gegner, der ihr Timmy wegnehmen wollte, und es wäre töricht, sich von seinem Lachen hinreißen zu lassen. Außerdem war er verlobt.

Langsam wanderten sie über den feuchten Sand zum Wasserrand. Timmy blieb steif stehen, weil ihm das Wasser, das schäumend heranschoss und seine Füße umspülte, nicht ganz geheuer erschien. Nachdem die Brandung ihn ein paar Mal umbraust hatte, entdeckte der Junge, dass seine Füße eingesunken und verschwunden waren, und stieß einen kleinen ängstlichen Schrei aus.

Lachend hob Logan Timmy auf, watete mit ihm ins Wasser und schwenkte ihn wie eine Glocke hin und her. Erleichtert und erstaunt hörte Suzanna ihn jedes Mal aufjauchzen, wenn seine Füße die Wellen streiften. Logan tauchte die Beine des Kleinen bis zu den Knöcheln, dann bis zu den Schenkeln in die Fluten. Schließlich kehrte Logan mit dem vor Begeisterung krähenden Kind ans Ufer zurück.

Page 85: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

"Gehen wir ein Stück am Strand entlang?" schlug er vor. Wieder wurde Suzanna seltsam warm ums Herz. Logan war

auf einmal ein ganz anderer. Von seiner harten, kühlen Art war nichts mehr zu spüren, und selbst seine grauen Augen hatten einen weichen Glanz. Es fiel Suzanna zunehmend schwerer, ihn nicht zu mögen.

Suzanna und Logan hatten Timmy wieder in die Mitte genommen, als sie zu einem Strandabschnitt kamen, an dem schwärzliche Felsblöcke aus dem Wasser ragten und den unteren Teil des Strandes unzugänglich machten. Logan kauerte sich vor einem Gesteinsbrocken nieder und rief: "Komm her, Tim. Ich zeige dir etwas." Er hob ein Büschel Tang auf, unter dem sich eine bläulichschwarze Weichtierkolonie befand.

Neugierig kam Timmy zu seinem Onkel. "Was ist das?" "Das sind Muscheln, Tim." "Muskeln!" Der Junge klopfte sich kichernd auf den

Oberarm, "Doch nicht die, Dummerchen." Logan gab dem Jungen

einen sanften Kniestüber, und wieder staunte Suzanna, wie gut die beiden sich verstanden.

"Und die kleinen runden Burschen dort, das sind Meerschnecken." Logan zog eine vom Gestein ab und klopfte auf die Schale. "Das ist ihr Haus. Und hier ... siehst du die kleine runde Schuppe, Tim?"

Suzanna beugte sich ebenfalls vor, "Da wohnt Mr. Schnecke. Hinter dieser Tür." "Kommt er raus, wenn wir klopfen?" Zum erstenmal seit

Tagen schien Timmy wieder ganz der alte zu sein ... wissbegierig, glücklich und lebhaft.

"Leider nein, Tim." Lachend legte Logan die Schnecke zurück, hob Timmy auf und trat zwischen die Felsen. "Ich zeige dir noch etwas." Logan blickte zurück, um sich zu vergewissern, dass Suzanna ihnen folgte. Sie tat es.

Page 86: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Den Jungen auf die Knie nehmend, setzte Logan sich auf einen Felsbrocken und blickte auf einen schalenförmig gewölbten Stein, in dem sich Wasser angesammelt hatte. Logans Hose war nass und sandig und klebte ihm an den muskulösen Beinen. Suzanna blickte an sich herunter und stellte fest, dass ihr Rock nicht viel besser aussah, aber das kümmerte sie nicht.

"Siehst du die kleinen Viecher, Tim?" Logan deutete auf das Wasser, "Das sind Rankenfußkrebse."

"Wo? In der Pfütze?" "Ja. Wir nennen diese Pfützen Ebbetümpel." Suzanna zog die Brauen hoch. Das hatte sie auch nicht

gewusst. "Schau genau hin, Tim." Das Kind beugte sich über den Tümpel. Suzanna folgte

seinem Beispiel, dabei löste der Wind einige ihrer Haarsträhnen. Logan verhielt sich ganz still, und Suzanna spürte, dass er ihr Spiegelbild im Wasser betrachtete.

Endlich räusperte er sich. "Siehst du, wie sie sich bewegen, Tim?"

"Ja", sagte Suzanna staunend. Logan blickte lächelnd zu ihr auf. "Die Krebse sind kleine

Tiere, Tim, und sie essen." "Essen?" wiederholte der Junge. "Ja. Im Wasser sind winzige Nahrungsteilchen, die wir nicht

sehen können." Minutenlang beobachtete Timmy die Krebse, die im warmen

Wasser auf Beutejagd gingen. Unwillkürlich betrachtete Suzanna Logan, der ganz in seinem Element zu sein schien. Sein glattes dunkles Haar glänzte in der Sonne, und die kraftvollen gebräunten Arme und Beine verrieten, dass er viel Zeit im Freien verbrachte.

Suzanna wurde bewusst, dass er sie ebenfalls ansah. Verlegen raffte sie ihren Rock zusammen und stand auf. "Was hältst du davon, weiterzugehen, Timmy?"

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Logan pfiff nach dem Welpen, der im Dünengras interessante Spuren beschnüffelte, und sie setzten ihren Weg fort.

Weiter unten am Strand kamen sie an einen Bach, der von einem ruhigen, landeinwärts gelegenen See zum Meer führte. Sie folgten dem Wasserlauf ein kurzes Stück, bis sie zu einer Stelle kamen, an der der Wind feinen Sand angehäuft hatte. Logan und Suzanna setzten sich, während Timmy mit dem Hund in den flachen Bach watete.

"Hier kann ihm nichts passieren", sagte Logan. "Und hier bekommt er viel zu sehen. Millionen Fische, Winkerkrabben ..."

Suzanna legte die Hand schützend vor die Augen. "Was steht dort drauf?" Sie deutete auf zwei Schilder auf der anderen Seite des Baches.

"Dass die Gegend unter Naturschutz steht. Hier nisten Seeschwalben und Regenpfeifer und andere aussterbende Arten."

"Tatsächlich?" Suzanna horchte interessiert auf. "Spazieren viele Leute auf Ihrem Strand herum?"

"Genug. Sie kommen von den Landzungen herüber." "Halten Sie sich an die Hinweise auf den Schildern?" Logan seufzte. "Die meisten schon, aber natürlich gibt es

immer einige, die alles zerstören. Bis vor drei Jahren war der Strand für die Öffentlichkeit freigegeben. Da gab es hier Badewärter, Strandkabinen und was so alles dazugehört."

"Das wusste ich nicht." Suzanna entdeckte immer neue Seiten an Logan.

"Die Sperrung des Strandes war problematisch, aber es ging nicht anders." Logan blickte zu einem schneeweißen Vogel auf, der sich vom Wind tragen ließ.

Mit eindringlichen Worten berichtete Logan Suzanna von den Schalentieren im See, den Fischadlertürmen und Schutzzäunen, die er errichtet hatte. Gebannt hörte sie zu. Logan war offensichtlich ein überzeugter Umweltschützer. Er hing sehr an

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Mattashaum und fühlte sich für das Land und alles, was dazugehörte, verantwortlich.

"Wem gehört die Hütte dort drüben?" "Welche?" Logan legte sich zurück und verschränkte die

Arme unter dem Kopf. "Der sommerhausähnliche Bau am Hang bei der Windmühle

auf der anderen Seeseite." Logan schloss die Augen und antwortete nicht sofort. Timmy kehrte vom Bach zurück und setzte sich gähnend

zwischen die beiden Erwachsenen. "Das Sommerhaus ... gehört mir. Ich wohne dort gelegentlich

", erklärte Logan, "Eigentlich habe ich es nur gebaut, um die Windmühle auszuprobieren. Alternativformen der Energiegewinnung haben mich schon immer interessiert. Ich ... besitze ein Werk, in dem ich Windmühlen baue."

"Wirklich?" Bewundernswert, dachte Suzanna. "Steht das Sommerhaus die übrige Zeit leer?"

Unvermittelt stand Logan auf. "Tim sieht müde aus, und es wird Zeit fürs Abendessen."

Suzanna hätte Logan gern weitere Fragen gestellt, aber er hob Timmy auf die Schultern, und sie machten sich auf den Heimweg.

Als sie das Haus erreichten, hatte Timmy die Wange auf Logans Kopf gebettet und schlief.

"Er scheint erschöpft zu sein." Suzanna strich dem Kleinen zärtlich über den Kopf. Sie standen auf dem verlassenen Innenhof, auf dem ihr Nachmittagsabenteuer begonnen hatte.

"Ich glaube, ich wecke ihn nicht auf und bringe ihn gleich ins Bett", schlug Logan vor. "Was meinen Sie?"

Suzanna runzelte die Stirn. "Ich weiß nicht, ob er dann durchschläft."

Logan wünschte, er hätte den Ausflug noch etwas verlängert. Draußen am Strand war Suzanna so gelöst gewesen.

"Logan?"

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Er mochte es, wenn sie ihn beim Vornamen nannte. "Ja?" "Würde es Ihnen sehr viel ausmachen... wenn ich Timmy

heute über Nacht mit nach Hause nehme?" Genau das hatte Logan befürchtet. Am liebsten hätte er ihre

Stirnfalte geglättet und sie zum Lächeln gebracht. Suzanna war wunderschön, wenn sie lächelte. Doch er rührte sich nicht und sah sie ernst an.

"Ich ... halte das nicht für gut, Suzanna." Sie senkte den Blick. "Ich weiß genau, dass Timmy

aufwachen wird, aber ich kann nicht länger bleiben, so gern ich es tun würde. Ich habe heute noch einige Stunden zu arbeiten." Sie rang mit sich, und die Furche zwischen ihren Augen wurde noch tiefer.

Suzanna hatte es bestimmt nicht leicht... das Geschäft, das Haus, die Mieter... Logan hob sanft ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. "Mit Timmy geht alles in Ordnung, das verspreche ich Ihnen."

Hatte er etwas Falsches gesagt? Plötzlich rollte eine Träne über ihre Wange.

"Sie überlassen ihn ... niemand anderem?" Logan wusste, dass Suzanna das Kindermädchen und Collin,

vielleicht sogar Cecily meinte. "Ich bleibe bei ihm und überlasse ihn niemandem."

Suzanna trat einen Schritt zurück. "Ich glaube Ihnen. Bitte enttäuschen Sie mich nicht."

Timmy auf den Schultern, begleitete Logan sie zum Lieferwagen. "Kommen Sie morgen wieder? Es ist nicht unbedingt nötig ... falls Sie die Arbeit nicht schaffen."

"Ich komme." Suzanna kletterte in den Wagen und warf Timmy einen schmerzlichen Blick zu.

"Vertrauen Sie mir, Suzanna. Ich passe gut auf ihn auf." Sie nickte stumm und fuhr davon, ehe die Tränen sie

übermannten.

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7. KAPITEL Benommen erwachte Suzanna und tastete nach dem Telefon

auf dem Nachttisch. "Hallo?" "Suzanna?" "Logan?" Sie war plötzlich hellwach, und ihr Herz schlug

schneller. "Tut mir leid, dass ich Sie so früh störe . .." Suzanna blickte auf den Wecker. Viertel nach acht. "Nein,

nein, normalerweise bin ich längst auf. Ist etwas nicht in Ordnung?"

"Im Gegenteil." Logan schien bester Stimmung zu sein. "Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie Timmy und mich heute nicht in Bradford House antreffen. Sie kommen ihn doch besuchen, nicht wahr?"

"Natürlich. Gleich nach dem Mittagessen." "Gut. Fahren Sie wie gewohnt über die Zufahrt. Nach etwa

einem Drittel des Weges sehen Sie links eine schmale Seitenstrasse. In die biegen Sie ein. Am Ende der Strasse warten wir auf Sie."

Suzanna strich sich das lange Haar zurück. Ehe sie etwas sagen konnte, erklärte Logan: "Ich bin in Eile. Bis später. Ach, und vergessen Sie Ihr Badezeug nicht."

Damit war die Verbindung unterbrochen. Suzanna ließ sich zurücksinken und wusste nur, dass sie es kaum erwarten konnte, nach Mattashaum zu fahren.

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Es war schon fast eins, als Suzanna an die Abzweigung kam, von der Logan gesprochen hatte. Die schmale ungepflasterte Strasse führte etwa eineinhalb Kilometer durch den Wald, dann wurde der Baumwuchs spärlicher und durch Marschland ersetzt.

Wenig später fuhr Suzanna am Ufer eines breiten Sees entlang. Sie verlangsamte das Tempo. Im Süden konnte sie das Meer ausmachen, im Westen, auf der anderen Seite des Sees, war das Dach des Hauptflügels von Bradford House zwischen den Bäumen zu erkennen.

"Das ist doch...!" Suzanna fuhr schneller. Sie hatte richtig vermutet. Es dauerte nicht lange, und ein Sommerhaus wurde sichtbar... dasselbe, das sie am Vortag von dem Bach aus bemerkt hatte.

Nach der klassischen Bauweise des Familiensitzes überraschte es Suzanna, dass Logan für sein Sommerhaus einen modernen Stil gewählt hatte. Dennoch wirkte es einladend und gemütlich. Auf den breiten Terrassenflächen luden leise klingelnde Windglöckchen, Töpfe mit Geranien und bequeme Gartensessel zum Ausruhen ein.

Vor dem Haus gab es einen kleinen, von Büschen umgebenen Rasen, von dem ein Pfad durchs Unterholz zum See hinunterführte. Dort entdeckte Suzanna Logan und Timmy in einem an Land gezogenen Holzruderboot. Logan musste das Zuschlagen der Wagentür gehört haben, denn er stand auf und winkte Suzanna zu.

"Wir sind hier unten!" Er trug locker sitzende braune Shorts, sonst nichts. Beim Anblick seines gebräunten durchtrainierten Körpers hielt Suzanna unwillkürlich den Atem an.

Logan ist mit einer anderen verlobt! ermahnte Suzanna sich. Sie verspürte ein schmerzliches Ziehen in der Brust, als er ihr aus dem Ruderboot entgegenlächelte.

"Tante Sue!" jubelte Timmy. "Stell dir vor, ich und Onkel Logan essen heute im Boot!"

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Jetzt ist er also schon Onkel Logan. Suzanna wusste nicht, ob sie darüber betrübt oder froh sein sollte.

"Im Boot? Na, das ist ja toll! Was gibt's denn Schönes?" "Sandwiches mit Wurst und Pflaumen." Suzanna staunte. Sonst mochte Timmy Pflaumen nicht. "Kann ich Ihnen an Bord helfen?" Logan stand auf. "Danke." Suzanna reichte ihm ihre Badetasche und ergriff

seine dargebotene Hand, obwohl sie ohne Hilfe leichter an Bord geklettert wäre. Die Berührung elektrisierte sie.

Sie ließ sich nichts anmerken und setzte sich zu Timmy nach hinten.

"Möchten sie ein Sandwich?" bot Logan ihr an, der rückwärts auf der Mittelbank saß, so dass Suzanna seine muskulöse Brust bewundern konnte.

Sie riss sich zusammen, weil ihr bewusst wurde, dass Logan sie beobachtete. "Nein, danke. Ich habe schon gegessen."

"Nun, dann werde ich hier erst mal aufräumen ..." Er nahm eine Leinentasche und verstaute Butterbrotpapier, Plastikbecher und eine Isolierkanne darin. "Hätten Sie Lust, mit auf den See hinauszurudern".

Suzanna lachte nervös. "Ist das Ding denn sicher?" ,,Ziemlich. Das Wasser ist nicht sehr tief. Schlimmstenfalls

bleiben wir bei Ebbe im Schlamm stecken." Logan ließ den Blick über Suzannas offenes Haar, das gelbe T-Shirt und die weiße Shorts schweifen, die ihre langen Be ine sehen ließen.

Verwirrt sah sie an sich herunter, dabei fiel ihr Haar in seidigen Wellen nach vorn. "Bin ich richtig angezogen? Ich habe einen Badeanzug drunter..."

"Wunderbar." Logan pfiff, und Buddy trottete schwänz wedelnd aus dem Schilf herbei.

"Komm, mein Junge", lockte Logan, und der Welpe sprang ins Boot, Suzanna blickte auf und wunderte sich, wie schnell der Hund Logan anerkannt hatte.

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Logan legte dem Timmy eine Schwimmweste an, dann sprang er aus dem Boot und schob es ins Wasser. Im Nu war er wieder drinnen, setzte sich und bediente die schweren Holzruder. Mit kraftvollen Schlägen steuerte er das Boot auf das bläulichschimmernde Wasser hinaus. Er saß Suzanna und Timmy gegenüber, der vor Aufregung kerzengerade dasaß.

Suzanna warf Logan einen forschenden Blick zu. "Ist gestern Abend alles glattgegangen?"

"Bestens", versicherte Logan. "Timmy hat wie ein Stein geschlafen."

Der Junge horchte auf. "Ich und Onkel Logan haben dort drüben geschlafen." Er stand auf und deutete auf das Sommerhaus oberhalb des Ufers.

"Tatsächlich?" Suzanna zog das Kind wieder auf die Bank herunter. "Ihr wart gestern Abend also gar nicht in Grandpas Haus?"

"Nein. Ich habe unten geschlafen, und Logan oben." "Es ist ein Etagenbett." Logan blickte in die Ferne. "Ich

wollte heute frühzeitig an Ort und Stelle sein. Es gibt hier einiges für mich zu tun."

"Und was ist mit der Walküre?" Logan verzog keine Miene. "Ach ... ihr wurde eine Stelle

angeboten, die sie nicht ablehnen konnte. In Brüssel." "Aha." Suzanna unterdrückte ein Lächeln. Damit hatte Logan

Timmy zuliebe ein großes Zugeständnis gemacht. Aufgeregt wandte der Junge sich ihr zu. "Ich bin heute

morgen mit Onkel Logan zur Arbeit gegangen!" Suzanna sah ihn erstaunt an. "Ich habe gesehen, wie sie ... Wind ... mü .. ." "Windmühlen", half Logan ihm weiter. "Wie sie Windmühlen machen", fuhr Timmy begeistert fort.

"Und mit ner Windmühle muss man keine Lekzitat bezahlen."

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Suzanna nickte. "Ich verstehe. Wenn man eine Windmühle hat, bekommt man die Elektrizität kostenlos, meinst du das?"

"Ja." Timmy bewegte sich heftig auf der harten Bank. "Und Onkel Logan sagt, alle sollten eine haben ... und dann ..." Den Rest hatte der Junge offenbar vergessen, denn er rutschte zum Bootsrand und zog die Finger durch das Wasser.

Es hätte Suzanna gegen den Strich gehen müssen, dass Logan so rasch zum Helden ihres Neffen aufgestiegen war, doch da sie sah, wie erstaunlich das Kind aufgelebt war, freute sie sich mit ihm.

"Danke, Logan", sagte sie leise. Er holte die Ruder ein und ließ das Boot treiben. "Wofür?" "Harris hat Timmy manchmal ins Atelier mitgenommen, weil

er es toll fand, mit seinem Dad zu arbeiten." Logans Miene wurde starr. "So?" Es schien ihm immer noch

schwerzufallen, über seinen Bruder zu sprechen. Aufgeregt rief Timmy: "Seht mal! Ein großer Fisch!" Suzanna erhaschte gerade noch einen Blick auf einen dunklen

davon schiessenden Schatten. "Der sah wirklich groß aus." "Genau die richtige Größe fürs Abendbrot", bemerkte Logan.

"Was meinst du, Tim, wollen wir ein bisschen fürs Essen angeln?"

"Wir haben doch gar keine Angelruten dabei", gab Suzanna zu bedenken.

"Das nicht, aber ein Netz." Neugierig sahen sie zu, wie Logan ein Stück von Timmys

Sandwich ins Netz legte und es vorsichtig ins Wasser hinunterließ. Wenige Minuten später hatten sie einen Fisch gefangen.

"Unglaublich!" rief Suzanna erstaunt aus. "Füllen Sie den Eimer mit Wasser." Sie tat es, und Logan

setzte den zappelnden Fisch hinein. "Nicht übel. Das dürfte ein Zweipfünder sein", stellte Logan zufrieden fest. "Wollen wir's noch mal versuchen?"

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Als Suzanna nur die Schultern zuckte, fügte er hinzu: "Sie bleiben doch zum Essen, nicht wahr?"

Sie wäre tatsächlich gern geblieben, und das nicht nur wegen Timmy.

"Natürlich bleiben Sie", entschied Logan. "Tim hat den ganzen Tag davon gesprochen."

Suzanna gab nur zu gern nach. Logan fing einen zweiten Fisch und schlug vor, einige

Venusmuscheln zu sammeln. "Was wollen wir kochen? Fischeintopf? Muschelsuppe?"

Suzanna lief das Wasser im Mund zusammen. Was für ein Luxus, frischen Fisch direkt vor der Haustür zu haben? "Muschelsuppe wäre lecker. Ach was, ich koche uns auch noch einen Fischeintopf."

"O nein", widersprach Logan. "Fischeintopf ist meine Spezialität."

Suzanna holte eine Bürste aus ihrer Strandtasche und flocht sich rasch einen Nackenzopf, während Logan auf eine Insel mitten im See zuruderte. Logan erzählte, er habe sie als Junge Elefantenfelsen getauft und dort oft gezeltet. An einem Ende reckte sich ein einsamer Baum in den Himmel und wirkte wie ein Gegenpol zu dem mächtigen Felsbrocken auf der anderen Seite. Nachdem Logan das Boot ans Ufer gezogen hatte, stiegen Suzanna und Timmy aus.

"Tim, behalte die Turnschuhe an", riet Logan. "Sie auch, Suzanna. Im und am See gibt es überall zerbrochene Muscheln. Im Sommerhaus habe ich eine Waschmaschine mit Trockenschleuder, in die wir die nassen Sachen stecken können, während wir zu Abend essen."

Suzanna zog Timmy das Hemd aus, dann streifte sie ihre Kleidung ebenfalls ab, unter der sie einen knappsitzenden, am Rücken tief und an den Beinen bis zur Taille ausgeschnittenen

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Einteiler trug. Als Suzanna aufblickte, stellte sie fest, dass Logan sie mit unverhohlener Bewunderung betrachtete.

Er schien sich ertappt zu fühlen, denn er wandte sich ab und rannte ins Wasser. Suzanna tat es ihm nach.

"Was muss ich tun?" fragte sie. "Ich bin es gewöhnt, die Muscheln vom Lieferwagen zu bekommen."

"Verwöhntes Stadtkind." Logans Augen funkelten vergnügt. "Tasten Sie einfach herum, bis Sie auf etwas Hartes treffen. Zwar könnte das auch ein Stein sein ..." Er fuhr mit der Hand durch das Wasser, "oder auch nicht. "Auf seiner Handfläche lag eine etwa acht Zentimeter große Venusmuschel. "Die ist zu groß für die Fischsuppe, dafür brauchen wir kleine. Aber wir können diese hier für den Fischeintopf zerteilen. He, Tim, bleib bei uns, ja?"

"Okay", erwiderte der Junge prustend, der Buddys Hundegepaddel nachahmte.

Logan ließ einen Plastikeimer zwischen sich und Suzanna auf dem Wasser schwimmen und reichte ihr einen kleinen Rechen. Sie wollte untertauchen, doch Logan hielt sie zurück. "Warten Sie."

"Was ist?" Logan watete zum Boot und kehrte mit einer Tube

Sonnencreme zurück. "Drehen Sie sich um." Suzanna verkrampfte sich. "Ach, es geht auch so", wehrte sie

ab. "Seien Sie nicht leichtsinnig. Sie sind noch ganz blass. Wenn

Sie sich nicht schützen, haben Sie heute Abend einen Sonnenbrand." Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, begann Logan, Suzannas Rücken einzucremen.

Sie saß ganz still und genoss die Berührungen, die ihr erregende Schauer über den Körper jagten.

"So, das müsste genügen." Logan gab ihr einen liebevollen Klaps auf den Rücken.

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Suzanna öffnete die Augen. Du liebe Güte, was war nur mit ihr los? "Danke." Rasch begann sie mit der Muschelsuche.

"He, Tim, möchtest du's auch versuchen?" Logan beugte sich über den Jungen und zeigte ihm, wie er den Rechen handhaben musste.

Kurz darauf hielt Timmy triumphierend eine Muschel hoch. Innerhalb einer halben Stunde hatten sie mehr als genug

Zutaten für das Abendessen gefunden. Logan stellte den Eimer ins Boot und führte Suzanna und Timmy auf der kleinen Insel herum. Er zeigte ihnen seinen Lieblingszeltplatz und die Stelle, an der er seine Anfangsbuchstaben in den Felsen geritzt hatte. Lange saßen sie dort und unterhielten sich, dabei tranken sie erfrischende Limonade aus der Isolierkanne.

Logan erzählte von Mattashaum, von indianischen Kunstgegenständen, die er im Wald gefunden hatte, und der Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten auf seinem Land. Suzanna hörte gebannt zu, und ein tiefer Friede und ein nie gekanntes Glücksgefühl breiteten sich in ihr aus. Dabei befand sie sich in Gesellschaft eines Mannes, den sie eigentlich nicht mögen durfte. Doch auf dieser kleinen Insel, wo es nichts Störendes gab, schienen Hass und gerichtliche Auseinandersetzungen in eine andere Welt zu gehören.

"Lassen Sie mich ein Ruder übernehmen, Logan", schlug Suzanna vor, als sie zum Boot zurückkehrten. "Ich bin noch nie gerudert, aber es sieht gar nicht so schwer aus."

"Gegen Hilfe habe ich nichts." Logan rückte zur Seite, um Suzanna Platz zumachen.

Nachdem sie sich jedoch einige Minuten abgeplagt hatte, beklagte sie sich keuchend: "Das ist ja Schwerstarbeit."

Logan lachte erheitert, und wieder musste Suzanna sich eingestehen, dass sie ihn überaus liebenswert fand.

Obwohl das Ruder schwer war, lernte Suzanna rasch, es richtig zu handhaben. Bald hatten sie und Logan ihre Bewegungen harmonisch aufeinander abgestimmt. Suzanna

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fühlte sich wunderbar lebendig und glücklich ... trotz des Schlamms in den Turnschuhen.

..Ein herrlicher Tag", seufzte sie verträumt. Logan blickte lächelnd zum tiefblauen Himmel auf. "Mm. Ich

liebe den September. Da ist das Wasser noch vom Sommer warm, die Luft so klar. Leider bedeutet das auch, dass der Herbst im Anrücken ist."

"Dadurch werden die Tage noch kostbarer", betonte Suzanna. "Man erlebt sie bewusster, weil man weiß, dass sie schnell vorbei sind."

Logans Lächeln verschwand. "Ja", sagte er nur. Er denkt an seinen Bruder, dachte Suzanna. "Erzählen Sie

mir von gestern Abend", bat sie. "Wie kam es, dass ihr beiden Männer im Sommerhaus gelandet seid?"

Tatsächlich gelang es ihr damit, Logan aus seiner trüben Stimmung zu reißen, und er berichtete.

Wie Suzanna vorausgesagt hatte, war Timmy nach drei Stunden aufgewacht. Daraufhin hatten sie in der Küche etwas gegessen, einige Sachen zusammengepackt und waren zum Sommerhaus gefahren.

"Wollen Sie heute auch wieder hier übernachten?" fragte Suzanna.

"Ja." Sie lächelte. Timmy war bei Logan eigentlich ganz gut

aufgehoben. Als Logan das Boot schließlich unterhalb des Sommerhauses

an Land zog, beugte er sich vor, um das Ruder aus der Halterung zu heben Dabei drückte sein Schenkel gegen Suzanna. Ein Schauer überlief sie, und sie wagte nicht, Logan anzusehen, aber sie rückte auch nicht fort, Er tat es ebenfalls nicht. Es war, als prüften sie etwas, dessen sie sich noch nicht ganz sicher waren.

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Suzanna blickte auf den schlammigen Boden des Bootes und fragte sich, warum sie sich zu diesem Mann so stark hingezogen fühlte, obwohl sie wusste, dass er verlobt war.

Sie hob den Kopf und bemerkte, dass Logan sie betrachtete. In seinen Augen lag ein bewundernder, fast sinnlicher Ausdruck, und ihr wurde warm ums Herz.

Verlegen standen sie auf und betätigten sich. Sie sicherten das Boot, luden den Fang aus, packten die Sachen zusammen und stapften zu dritt über den Pfad zum Sommerhaus hinauf.

Dort angekommen, duschten sie, Suzanna zuerst, dann Logan und Timmy. Die feuchten Sachen wurden in die Waschmaschine gesteckt, dann schaltete Logan die Stereoanlage ein, und sanfte Musik erklang. Wahrend Timmy auf dem Esszimmerteppich Schlösser aus Bauklötzen baute, bereiteten Suzanna und Logan nebenan in der Küche das Abendessen zu.

"Das Kochen war einfacher, als ich gedacht hatte", gestand er bei Tisch.

Suzanna faltete ihre Serviette auseinander. "Sie haben Übung darin, das merkt man."

"Ein wenig." "Ich würde sagen, sehr viel sogar." Suzanna füllte Timmys

Teller. "Sie wohnen hier, nicht wahr?" "Wie kommen Sie auf die Idee?" Logan schien ganz damit

beschäftigt zu sein, ein Brötchen mit Butter zu bestreichen. "Das sehe ich an den vielen Büchern, den persönlichen

Gegenständen und der Kleidung, die Sie hier haben. Alles im Haus trägt Ihren Stempel."

"Ich übernachte hier gelegentlich, das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Mm, der Fischeintopf schmeckt köstlich."

Suzanna nickte und ging auf den Themawechsel ein. Logan schien sich über sein Privatleben nicht äußern zu wollen, und sie wollte nicht aufdringlich erscheinen.

"Mir gefällt es hier", verriet sie.

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Wie das Wohnzimmer und die Küche, hatte das Esszimmer Glaswände und war nach Süden ausgerichtet. Vom Esstisch bot sich ein weiter Blick über den See, die Wiesen und Dünen, hinter denen das Meer glitzerte. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein atemberaubendes Farbenmeer.

"Mir gefällt es auch. Ich habe das Haus selbst entworfen." Logan berichtete von der Baufirma, die er gegründet und laufend erweitert hatte. Suzanna hörte ihm zu und betrachtete sein markantes Gesicht. Wann hatten sie aufgehört Feinde zu sein? Die zwei Tage, die sie miteinander verbracht hatten, kamen ihr wie zwei Monate vor. Und dieses gemeinsame Abendessen war einfach traumhaft...

Suzanna verspürte einen Stich im Herzen, und plötzlich beneidete sie Cecily, die bald Logans Frau sein würde.

"Haben Sie schon einen Termin für die Hochzeit festgesetzt?" fragte Suzanna und malte mit dem Daumen ein Muster auf die Tischdecke.

Die Frage schien Logan zu überraschen, "Nein." Er runzelte die Stirn. "Wir sind noch nicht lange verlobt."

"Werden Sie nach der Hochzeit hier wohnen?" Logan fuhr sich mit der Hand durch das Haar. "Das weiß ich

noch nicht." Beide schwiegen. "Und was ist mit Ihnen?" fragte er schließlich. "Sind Sie ... in festen Händen?"

Warum wollte er das wissen? Suzanna schüttelte den Kopf, so dass ihr feuchtes Haar den Duft von Logans Shampoo verströmte. "In den letzten Jahren hatte ich nicht viel Zeit für Verabredungen, und schon gar nicht für eine feste Beziehung."

Seltsamerweise hellte Logans Miene sich auf. Doch die Spannung zwischen ihnen blieb und wurde so stark, dass Suzanna das Gefühl hatte, kaum noch atmen zu können.

Unvermittelt stand sie auf. "Nun muss ich aber wirklich gehen. Ich helfe Ihnen noch den Tisch abzuräumen..."

Timmy, der im Sitzen eingenickt war, hob müde den Kopf. "Wohin gehst du?"

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"Es wird Zeit, dass ich zurückfahre, mein Schatz. Morgen komme ich wieder."

"Nein!" Der Junge sprang auf und legte die Arme um Suzannas Beine. "Nein! Du musst bleiben!"

"Aber ich komme doch zurück, Timmy" Das Kind brach in Tränen aus. "Bleib! Du musst bleiben!",

schluchzt es. Suzanna strich ihm zärtlich über das Haar. "Liebling, ich

komme gleich morgen früh wieder. Du wirst kaum merken, dass ich fort war."

"Nein! Ich werde auch ganz doll artig sein und lasse Buddy nichts mehr zerfetzen." Timmy klammerte sich verzweifelt an Suzanna und weinte bitterlich.

"Meine Güte!" Suzanna war selbst den Tränen nah und blickte Logan an. Mit dieser Entwicklung der Dinge hatte sie nicht gerechnet. Sie kniete sich zu dem Jungen und zog ihn an sich.

"Du warst nicht unartig, Timmy. Ich gehe nicht, weil Buddy die Spitzen zerfetzt hat. Du bist ein unglaublich lieber, braver Junge."

Suzanna blickte zu Logan auf, dessen Umrisse sich gegen den dämmrigen Abendhimmel abzeichneten. "Wir haben ein Problem", sagte sie seufzend.

Logan machte eine resignierte Handbewegung. "Das glaube ich auch."

"Kann ich Timmy mit nach Hause nehmen? Nur heute nacht?"

Logan drehte sich um und blickte aus dem Fenster. "Sie könnten doch hier bleiben. Ich halte das für eine bessere Lösung."

Timmys Schluchzen ließ etwas nach, und er spitzte die Ohren.

"Hier bleiben?" Suzanna war verunsichert. "Ich?" "Ja. Das Haus hat drei Schlafzimmer."

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"Aber..." "Kein Aber. Die Nächte sind am schlimmsten für Tim. Wenn

Sie morgen früh gehen, um sich ums Geschäft zu kümmern, wird er das besser verkraften. Bleiben Sie, Suzanna." Logan sprach leise, aber eindringlich.

Suzanna löste Timmys Arme von ihrem Hals und hielt das Kind etwas von sich ab. "Nun, was hältst du davon, Liebling? Soll ich hier schlafen?"

Timmys Lippen zitterten noch leicht, und er nickte nur. Suzanna gab ihm einen Kuss, dann richtete sie sich auf.

"Also gut, Logan. Sie haben einen zweiten Gast."

Page 103: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

8. KAPITEL Logan ging auf die Redwoodterrasse hinaus. Die silberne

Sichel des Mondes stand über dem im Dunkeln glitzernden Meer, und irgendwo in der Nähe trillerte ein Rotkehlchen sein fröhliches Lied. Es war ein traumschöner Abend, doch Logan war das Herz schwer. Müde setzte er sich auf die oberste Terrassenstufe und schlug die Hände vors Gesicht.

Als er Timmys Schluchzen, die Angst in seinen Augen miterlebt hatte, war es um ihn geschehen gewesen. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Und wie viel schlimmer würde es noch werden?

Er hatte alles versucht, um Timmy Sicherheit und Geborgenheit zu bieten, doch offenbar war das nicht genug. Suzanna musste dem Jungen mehr bedeuten als alles andere. Logan presste die Handballen gegen die Augen und hatte das Gefühl, versagt zu haben.

Hinter ihm wurde die Terrassentür leise geöffnet. Er ließ die Hände sinken, drehte sich jedoch nicht um.

"Schläft er?" Aus dem Augenwinkel sah Logan Suzannas nackte Füße auf der Stufe neben sich.

Timmy hatte erst geglaubt, dass Suzanna über Nacht blieb, nachdem sie ihre Handtasche in seinem Zimmer auf das obere Bett gelegt und sich für die Nacht umgezogen hatte. Und da sie nichts mitgebracht hatte, hatte Logan ihr ein T-Shirt und einen Morgenmantel geliehen.

Page 104: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

"Ja", erwiderte Suzanna. "Timmy war weg, sobald sein Kopf das Kissen berührte."

Logan blickte auf. "Wirklich?" Suzanna setzte sich zu ihm, dabei glitt der Morgenmantel

auseinander, so dass ihre langen schlanken Beine sichtbar wurden. Sie ist wunderschön, dachte Logan. Das Haar fiel ihr offen über die Schultern, und ihre Haut hatte durch dem Nachmittag auf dem See eine frische Farbe bekommen.

"Aber ja. Nach dem aufregenden Tag war er völlig erschöpft."

"Tut mir leid", sagte Logan leise. Sie schwiegen und blickten in die Nacht hinaus. "Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen", sagte Suzanna.

"Für Timmy war es ein herrlicher Tag voller Abenteuer." Ihre Reaktion überraschte Logan. Vielleicht konnte er mit ihr

doch über die Dinge reden, die ihn bedrückten. "Wie soll ich mir Timmys Tränenausbruch, die plötzliche Angst und Panik erklären, Suzanna? Er war den ganzen Tag über doch so glücklich und ausgelassen."

Sie sah Logan forschend an. "Sie machen sich also wirklich Sorgen um ihn?"

"Natürlich. Sie nicht?" "Ich habe mit Timmy schon viel Schlimmeres erlebt." Logan konnte sich nicht vorstellen, was noch schlimmer sein

könnte. "Sie hatten es nicht leicht, nicht wahr?" Suzannas Schweigen sprach Bände. Mitfühlend drückte er ihre Hand. "Sie müssen mir glauben,

dass ich Tim nur in bester Absicht zu mir geholt habe." "So verrückt es klingt, ich glaube Ihnen. Sie sind anständiger,

als ich angenommen hatte, und waren der Meinung, richtig zu handeln. Nachdem Sie jetzt miterlebt haben, was los ist, hoffe ich, dass Sie versuchen, Ihren Fehler wiedergutzumachen."

Logan kniff die Augen zusammen. "Und wie sollte ich das tun?"

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"Indem Sie den Kampf um die Vormundschaft einstellen und Timmy mir überlassen, weil er zu mir gehört."

"Sie geben nicht auf, wie?" "Nein." Unvermittelt stand Logan auf. "Nun, ich auch nicht." Er ging

zum Ende der Terrasse und blickte finster über den See. In der Ferne schimmerten schwach die Lichter von Bradford House.

"Hören Sie, Suzanna, ich möchte mich mit Ihnen nicht streiten." Logan fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Ihm lag daran, dass sie ihn verstand, und das wunderte ihn. Bisher hatte er sich nie die Mühe gemacht, sich jemandem zu erklären.

"Ich hielt es aus verschiedenen Gründen für richtig, Timmy zu uns zu holen. Und so denke ich auch jetzt noch." Die Vorstellung, das Kind in den engen Hinterhof in ein Leben in Armut zurückkehren zu lassen, war Logan unerträglich. Aber wie konnte er Suzanna das begreiflich machen, ohne sie zu beleidigen?

Er hörte sie aufstehen und drehte sich um. Fasziniert sah er zu, wie sie langsam auf ihn zukam, dabei streifte sie mit den Fingern versonnen die Windglöckchen. Und plötzlich gefiel Logan der Gedanke an ihre Rückkehr in die Stadt ebenso wenig.

"Und?" Suzanna lehnte sich etwas von Logan entfernt ans Geländer. "Was sind das für Gründe?"

Er schüttelte den Kopf, als könne er sich damit von der wachsenden Zuneigung zu ihr befreien. "Sie meinen außer denen, die wir vor Gericht vorgetragen haben? Nun, ich war zum Beispiel sicher, dass es Collin gut tun würde, seinen Enkel um sich zu haben."

Suzanna lächelte verächtlich. "Im Ernst. Seit Harrys Tod ist mein Vater sichtlich gealtert,

und ich dachte..." "Timmy würde wie eine Verjüngungskur auf ihn wirken?" "Ja." "Dass ich nicht lache!" Suzanna wandte sich ab.

Page 106: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Logan ergriff ihren Arm und drehte sie zu sich herum. "Ich weiß, dass Sie nicht viel von meinem Vater halten " Er war sich nicht sicher, ob er mit ihr über Familienangelegenheiten sprechen sollte, aber wenn sie seine Liebe zu seinem Vater begreifen sollte, musste sie auch Collin verstehen.

"Vermutlich wissen Sie nicht, dass er sich über Harrys Fortgehen so aufgeregt hat, dass er einen Herzinfarkt bekam und fast gestorben wäre, Suzanna." Logan beobachtete sie.

Auf ihrem schönen Gesicht lag ein Ausdruck von Bestürzung. "Das wusste ich nicht. Du meine Güte, und Harris auch nicht."

"Ich hielt es für besser, ihm nichts davon zu sagen, weil..." Logan zog es vor, den Grund für sich zu behalten.

"Jetzt verstehe ich, warum Sie wütend auf Ihren Bruder waren." Suzanna blickte Logan an, als würde sie ihn zum erstenmal sehen. "Aber Sie machen den armen Harris doch hoffentlich nicht für den Herzinfarkt seines Vaters verantwortlich? Ihr Vater ist leicht erregbar, und ich habe ihn sogar rauchen sehen."

Logan seufzte. Es stimmte ja. Collin rauchte, obwohl der Arzt es ihm verboten hatte. Sein Vater hatte schon immer getan, was er wollte, und sich von niemandem etwas sagen lassen.

"Nein, ich mache Harry nicht für den schlechten Gesundheitszustand unseres Vaters verantwortlich. Aber mit seinem Verhalten hat Harry natürlich auch nicht zu einer Besserung beigetragen. Er war starrsinnig und aufsässig ... Aber ich bin vom Thema abgekommen. Ich wollte Ihnen sagen, dass mein Vater ein vielschichtigerer Mensch ist, als Sie denken. So gefühllos, wie er sich gibt, ist er nicht. Er mag seine Fehler haben, aber wer hat die nicht? Es gibt mehrere Gründe, warum er so geworden ist."

"Zum Beispiel?" "Sein Vater hat Selbstmord verübt." Suzanna war schockiert. "Selbstmord?"

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"Eines Tages stieg er in seinen Düsenberg und fuhr auf einer gewundenen Landstrasse mit hundertvierzig Sachen gegen einen Baum. Natürlich konnte niemand beweisen, dass mein Großvater sich das Leben nehmen wollte, aber..."

"War das während der Wirtschaftskrise? Hatte er an der Börse viel Geld verloren?"

Logan schüttelte den Kopf. "Dafür war er ein zu schlauer Fuchs. Nein, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, erfuhr er im Alter von zweiundvierzig, dass er an einer unheilbaren Krankheit litt. Und als stolzer Mann konnte er den Gedanken nicht ertragen, ein Pflegefall zu werden und seiner Familie zur Last zu fallen."

"Wie alt war Collin damals?" "Elf." "Wie schrecklich!" Suzanna war betroffen. "Ja, es war schrecklich. Und es war auch schrecklich für

Collin, als seine Frau ihn wegen eines anderen Mannes verließ." Suzannas Miene wurde eisig. "So, wie ich es gehört habe, hat

Collin Ihre Mutter vertrieben. Sie konnte seine Gefühlskälte nicht mehr ertragen. "

Logan ging einige Schritte auf und ab und schien einen inneren Kampf auszufechten. "Wenn es um meine Mutter ging, hat Harry seinen Vater unerbittlich in Grund und Boden verdammt." Er seufzte. "Gehen wir ins Haus. Ich könnte etwas zu trinken vertragen."

Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück, wo Logan zwei Gläser Kognak einschenkte und Suzanna neben sich auf dem Sofa Platz nehmen ließ.

"Harry war erst zwei, als meine Mutter uns verließ, viel zu jung, um ihre Beweggründe zu verstehen."

"Aber Sie verstanden sie?" Erinnerungen stürmten auf Logan ein, und seine Kehle fühlte

sich wie zugeschnürt an ... Erinnerungen an trostlose Tage, an denen niemand sich um ihn und Harry gekümmert hatte, an

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dunkle Nächte voller Einsamkeit und Angst. "Nein", erwiderte er traurig, "ich verstand

ihr Verhalten auch nicht. Jedenfalls nicht ganz. Das tue ich auch heute noch nicht. Man kann anderen nicht ins Herz sehen Vieles ist undurchschaubar oder so mit anderen Dingen verwoben, dass man die wahren Zusammenhange nicht erkennen kann. Deshalb versuche ich, niemandem die Schuld zu geben."

Logan sah, dass Suzanna die Stirn runzelte und mit ihren langen schlanken Fingern den Morgenmantel glatt strich. "Wollen Sie damit sagen, dass der Tod von Collins Vater und das Fortgehen von Collins Frau etwas miteinander zu tun haben?"

Nachdenklich nickte Logan. "Collin hat sich über den Tod seines Vaters nie wirklich geäußert... über persönliche Dinge spricht Collin nicht. Aber ich glaube, der Verlust hat ihn zutiefst getroffen und sich auf sein weiteres Leben ausgewirkt. Als Elfjähriger musste er das als Verlassenwerden, als Liebesverweigerung empfinden. Dafür spricht auch, dass er erst spät geheiratet hat. Als ich geboren wurde, war er bereits vierzig."

"Hm. Harris sagte, sein Vater hätte nur geheiratet, um Kinder zu haben. Erben", setzte Suzanna hinzu.

"Schon möglich. Trotzdem glaube ich, dass Collin meine Mutter geliebt hat. Nein, ich weiß es sogar. Er war am Boden zerstört, als sie ihn verließ, und auch als Harris fortging. Aber Collin war unfähig, Gefühle zu zeigen. Das kann er auch heute noch nicht." Logan zuckte die Schultern. "Man könnte hier anführen, dass mein Vater aus einer Familie stammt, in der Gefühlsbezeugungen verpönt waren. Oder er hatte Angst, sich noch einmal an einen Menschen zu hängen und jemanden so zu lieben wie seinen Vater. Vielleicht gibt es dafür sogar eine ganz einfache Erklärung. Collin ist zweiundsiebzig, Männer seiner

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Generation wurden nun mal so erzogen, Empfindungen nicht zu zeigen. Das durften nur die Frauen."

Logan trank seinen Kognak aus und ließ sich gelöst in die Polster zurücksinken. Erfühlte sich gut, aber da war noch etwas, das er bisher nicht gekannt hatte . . ein Gefühl der Nähe, der Zusammengehörigkeit.

Er betrachtete Suzannas feine Züge, die vom Lampenlicht sanft angestrahlt wurden, und blickte in ihre rauchgrünen Augen. Warum ausgerechnet sie? fragte er sich. Wie kam es, dass er bei ihr seine gewohnte Zurückhaltung aufgab und das Bedürfnis verspürte, sich ihr anzuvertrauen?

"Sie meinen, der Selbstmord Ihres Großvaters, das Fortgehen seiner Frau und seines Sohnes hätten Collin so tief getroffen, dass er daraus bewusst oder unbewusst den Schluss gezogen hat, er könne niemandem trauen?"

"Dass es besser ist, niemanden zu lieben", verbesserte Logan Suzanna "Collin hat die Erfahrung gemacht, dass er die Menschen, die er liebt, nicht halten kann."

"Aha." In Suzannas Augen blitzte es auf. "Das erklärt auch, warum er glaubt, andere mit Geld beherrschen zu können."

"Genau." Logan legte den Arm auf die Rückenlehne des Sofas und betrachtete Suzanna erneut. Sie war nicht nur schön, sondern auch klug und verständnisvoll, und er genoss es, sich mit ihr zu unterhalten.

"Eine Frage: Hatte Ihre Mutter damals eigentlich eine Beziehung zu einem anderen Mann?"

Logan schenkte sich Kognak nach und blickte lange in die bernsteinfarbene Flüssigkeit, ehe er einen Schluck trank. "Ja. Das hat sie auch nicht abgestritten."

"Hm." Suzanna lehnte sich nachdenklich zurück. Logan überlegte, ob er ihr verraten sollte, dass Collin seine

Frau tatsächlich mit seiner kalten Wesensart vertrieben hatte. Eines Nachts hatte Logan mit angehört, wie seine Mutter Collin um Verzeihung bat. Bis zu diesem Moment hatte Logan zu

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seinem Vater gehalten, doch seitdem war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher gewesen.

Collin hätte seiner Frau verzeihen, einen neuen Anfang vorschlagen können. Doch jemandem, der ihm weh getan hatte, vertraute Collin nie mehr. Und obwohl er durch seine Unbeugsamkeit maßlos gelitten hatte und seine Frau vor ihrer Wiederheirat viele Jahre verstreichen ließ, war er hart und unversöhnlich geblieben.

"Also, ich weiß nicht." Suzanna machte ein zweifelndes Gesicht.

"Was wissen Sie nicht?" "Ob Collin wirklich der nette, einfühlsame Mensch ist, als

den Sie ihn mir schmackhaft machen wollen. Ich finde es grausam, dass er Harris vor eine solche Wahl gestellt hat."

"Von nett und einfühlsam war nicht die Rede, Suzanna. Ich sagte vielschichtig. Es gab viele Gründe, warum Collin so und nicht anders handeln musste, möglicherweise sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein. Doch im Grunde genommen lauft alles darauf hinaus, dass er an seiner Familie hängt und das Bedürfnis hat, von ihr geliebt und nicht verlassen zu werden."

Suzanna berührte mitfühlend Logans Arm. Seufzend schüttelte Logan den Kopf. "Aber natürlich kann

ich mich auch irren. Es ist nicht leicht, andere zu verstehen, und noch schwerer, sie zu beurteilen. Deshalb versuche ich es gar nicht erst und bemühe mich, älteren Leuten gegenüber tolerant zu sein. Sie haben viel hinter sich und tragen so viel Gepäck mit sich herum, dass es vermessen wäre, sich zum Richter über sie aufzuspielen."

Logan spürte, dass der Druck auf seinem Arm stärker wurde, und sah Suzanna an. Und plötzlich rückte alles andere in den Hintergrund, und Logan war nur noch von dem übermächtigen Verlangen erfüllt, sie zu küssen.

Suzanna wurde bewusst, dass ihre Hand auf Logans Arm lag. Rasch zog sie sie zurück und blickte ins Freie.

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Sie zweifelte immer noch an Logans Erklärungen für Collins Verhalten, doch eins war ihr jetzt klar: Logan war ein Mann, in den sie sich verlieben könnte. Und wenn sie nicht aufpasste, würde genau das geschehen.

Er sah sie an, und in seinen Augen lag ein Ausdruck, der ihr heiße Schauer durch den Körper jagte.

Wie in Trance ließ Suzanna zu, dass Logan sie sanft an sich zog, dann berührten seine warmen Lippen ihre, und alles in ihr begann zu glühen. Unwillkürlich schloss sie die Augen, als der Druck seines Mundes sich verstärkte.

Der Kuss war wunderbar und berauschend. Als Logan sich schließlich von ihr löste, war sie völlig durcheinander.

"Nun", flüsterte er und lächelte schwach, "Jetzt wissen wir's." Suzanna fiel das Sprechen schwer. "W ... was wissen wir?" "Warum wir uns seit zwei Jahren so stark zueinander

hingezogen fühlen." "Zwei...?" flüsterte Suzanna. "Ja. Seit der Party auf der Landzunge, die du beliefert hast." Suzannas Wangen brannten. "Du wusstest, dass ich das war?" In Logans Augen lag ein warmer Glanz. "O ja. Natürlich

nicht gleich. Ich erfuhr es erst, als ich Barbara nach dir fragte." "Barbara?" "Die Gastgeberin. Wusstest du, wer ich war?" "Nein. Das hörte ich erst kurz bevor du gingst." "Sobald mir klar war, wer mich den ganzen Abend so

fasziniert hatte, hielt ich es für besser, zu gehen." Logan berührte Suzannas Wange mit dem Finger, dann ließ er ihn langsam zu ihren Lippen gleiten. "Barbara hat mich gerade noch davor bewahrt, mich zum Narren zu machen."

Suzanna schwieg und dachte daran, wie entsetzlich ihr zumute gewesen war, als sie entdeckte, wer Logan war. Plötzlich fiel ihr ein, mit wem er die Party verlassen hatte.

Cecily!

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Suzanna holte tief Luft und rückte vorsicht ig von Logan ab. "Schade, dass Barbara eben nicht hier war, um uns auch diesmal vor einer Dummheit zu bewahren", bemerkte sie.

Als Logan die Stirn runzelte, sprang Suzanna auf und eilte in ihr Zimmer, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sehen sollte.

Am nächsten Morgen wurde Suzanna von aromatischem Kaffeeduft geweckt. Sie öffnete die Augen und stellte befremdet fest, dass die Decke sich nur wenige Zentimeter über ihr befand. Doch dann fiel Suzanna wieder ein, wo sie lag, im oberen Teil des Etagenbetts in Logans Haus. Träge rollte sie sich auf die Seite, um nachzusehen, ob Timmy unter ihr noch schlief.

"Oh!" Sie zuckte zusammen, als sie statt dessen Logan vor sich hatte.

"Entschuldigung. Ich wollte dich nicht erschrecken." Er trug lediglich eine auf den Hüften sitzende Pyjamahose und reichte Suzanna einen Becher.

"Für mich? Danke." Sie richtete sich nur halb auf, um sich den Kopf nicht an der Decke zu stoßen, und probierte den Kaffee. Er schmeckte köstlich. "Ist Timmy schon auf?"

"Aber ja. Er frühstückt in der Küche. Wir dachten, wir lassen dich noch ein bisschen schlafen."

"Wie geht es ihm?" "Er ist fröhlich und ausgeruht. Der Junge ist wie verwandelt." Suzanna trank einen weiteren Schluck Kaffee und spürte,

dass Logan sie beobachtete. Sie wusste, dass sie beide an den vergangenen Abend und den Kuss dachten, der ein zartes Band zwischen ihnen geknüpft hatte.

Unvermittelt reichte sie Logan den Becher zurück. "Im Bett zu frühstücken, bin ich nicht gewöhnt. Ich stehe auf." Beim Runterklettern musste sie aufpassen, dass ihr das T-Shirt nicht über die Schenkel hinaufrutschte. Sobald sie Boden unter den Füssen hatte, hüllte sie sich in Logans Morgenmantel.

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Sie wollte an Logan vorbeihuschen, doch er zog sie sanft an sich. "Warte, Suzanna." Die Berührung seiner warmen nackten Brust ließ sie erschauern. Suzanna wusste, dass sie sich ihm hätte entziehen müssen, doch sie konnte es nicht. Erst nach einigen Augenblicken lösten sie sich langsam voneinander,

"Was ist?" Sie senkte den Blick, "Wegen gestern Abend ..." Beide seufzten. "Es war ein Fehler", erklärte Logan. "Ja, da gebe ich dir recht." "Ich weiß selbst nicht, wie es dazu kommen konnte." "Neugier. Das hast du doch selbst gesagt." Er ging darauf ein. "Ja, natürlich. Wir fühlten uns zueinander

hingezogen ..." "Eine rein körperliche Reaktion, mehr war da nicht." "Richtig. Und einen Moment..." Logan sprach nicht weiter, Suzanna wich seinem Blick aus. "Seelische Erschöpfung.

Nach Timmys Ausbruch waren wir beide geschafft und ..." "Und suchten beieinander Trost." "Ja, Trost." "Du meinst also auch, dass die Sache damit erledigt ist?"

Logan spielte mit der Schnur seiner Pyjamahose, "Voll und ganz." "Und Cecily braucht davon nichts zu wissen ...?" "Von mir erfährt sie kein Wort." Logan atmete auf. "Gut. Und wir werden uns beide weiter

gemeinsam um Timmy kümmern?" Suzanna nahm den Becher auf und trank einen Schluck,

"Natürlich tun wir das. Um Timmys willen bleibt uns gar nichts anderes übrig."

Nachdenklich nickte Logan. "Gut. Dann wäre dieses ... Problem erledigt?"

"Was für ein Problem?"

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Er lächelte. "Gehen wir frühstücken. Ich habe mit dir noch etwas zu besprechen."

Suzanna versuchte sich einzureden, dass der Zwischenfall damit tatsächlich abgetan sei. Doch als sie Logan aus dem Schlafzimmer folgte, wurde ihr bewusst, dass sie zwar viel geredet hatten, doch keiner von beiden bedauert hatte, dass es zu dem Kuss gekommen war.

"Tante Sue! Du bist wach!" Timmy strahlte sie vom Küchentisch aus an.

"Ja, die Welt hat mich wieder. Guten Morgen, mein Schatz." Suzanna küsste ihn auf die Wange und unterdrückte ein Lächeln. Timmy trug grüne Shorts, ein blaugelb gestreiftes Hemd und rote Socken.

"Hast du deine Kleidung heute selbst ausgesucht?" "Ja. Ganz allein." Suzanna und Logan sahen sich an. Er machte ein so

komisches Gesicht, dass sie lachen musste. "Ich lege Timmy normalerweise einige zueinanderpassende

Stücke zur Auswahl hin und lasse ihn dann entscheiden", erwiderte Suzanna leise und setzte sich an den Tisch.

Logan zwinkerte ihr zu. "Beim nächsten Mal werde ich das beherzigen." Er stellte zwei weitere Schüsseln auf den Tisch und reichte ihr das Paket mit den Frühstücksflocken. Die Sonne schien durch die hohe Glaswand herein und warf goldene Streifen auf seine nackte Brust und das unrasierte Kinn.

Suzanna versuchte, nicht hinzusehen, aber Logans Anblick war einfach herzerwärmend. "Also, was wolltest du besprechen?" fragte sie, nachdem sie ihn einige Male verstohlen gemustert hatte.

"Unseren Tagesablauf", erwiderte er. Timmy rutschte vom Stuhl und nahm eine Tasche mit

Spielzeugautos auf. "Kann ich nach draußen gehen?" "Klar, Partner", antwortete Logan. "Aber bleib hinten, wo wir

dich sehen können, ja?"

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"Okay. Komm, Buddy." Sobald der Junge gegangen war, schlug Logan vor: "Ich

finde, wir sollten feste Zeiten vereinbaren, zu denen jeder von uns bei Timmy ist. So eine Art Stundenplan, bei dem unsere Arbeit berücksichtigt wird. Wir könnten uns abwechseln, so dass Timmy nicht mit mir ins Werk gehen muss."

"Du meinst, während du fort bist, sollte ich hier bei ihm sein?"

"Genau. Und ich passe auf ihn auf, während du arbeitest." "Klingt vernünftig." Suzanna senkte den Blick, um sich ihre

Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Bei dieser Einteilung würde sie Logan kaum noch sehen.

Er legte den Löffel nieder. "Was ist los?" "Nichts." "Raus mit der Sprache", beharrte Logan. Suzanna sagte das erstbeste, das ihr einfiel, "Du magst es dir

leisten können, halbtags zuarbeiten, aber ich komme ja so schon kaum ..." Sie verstummte. Auf keinen Fall durfte sie Logan gestehen, dass sie finanzielle Probleme hatte.

Langsam hob sie den Kopf. "Was passt dir besser, vormittags oder nachmittags?"

"Vormittags. Wenn ich um acht zur Arbeit fahre, kann ich um halb eins hier sein. Auf diese Weise könntest du um eins, halb zwei in deinem Geschäft sein. Ist dir das recht?"

"Ich kann mich darauf einstellen." "Gut. Ich überlasse es dir, wann du wieder herkommst, ob

zum Abendessen oder später..." "Du möchtest, dass ich wiederkomme?" fragte Suzanna

ungläubig. "Nun ... ja. Timmy hat so friedlich geschlafen, während du

hier warst, dass ich diese Lösung für die beste halte." Suzannas Herz klopfte stürmisch. "Für wie lange?" "Das weiß ich noch nicht. Bis Timmy sich eingelebt hat."

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Sie fuhr sich über die Stirn. Jetzt saß sie in der Patsche, denn sie hatte vorgehabt, die fehlende Arbeitszeit abends nachzuholen. "Und was wird Collin dazu sagen?"

"Das ist unwichtig." Suzanna warf Logan einen zweifelnden Blick zu. "Und da wir gerade bei meinem Vater sind, ich möchte, dass

Timmy ihn jeden Tag besucht. Was hältst du davon?" Suzanna zögerte, doch dann sagte sie sich, dass Collin

Timmys Großvater war. "Und wie lange sollen diese Besuche dauern?"

"Nicht zu lange. Es geht nur darum, dass Collin und der Junge sich allmählich kennen lernen."

"Einverstanden. Aber was ist mit Cecily? Wird sie sich damit abfinden, dass ich hier übernachte?"

Logan trank einen Schluck Kaffee und sah Suzanna nicht an. "Wie meinst du das?"

"Nun ja ... wird meine Anwesenheit hier im Haus euch nicht stören, wenn ihr miteinander schlafen wollt..." Suzannas Wangen brannten.

Logan lächelte. "Cecily und ich kommen schon klar." "Wirklich? Seit ich Timmy hier besuche, bist du nicht mehr

mit ihr ausgegangen, und ich habe dich auch nicht mit ihr telefonieren hören. "

"Ich habe mit ihr gesprochen", erwiderte Logan geistesabwesend. "Du störst uns nicht."

"Also gut... wenn du dir deiner Sache sicher bist, übernachte ich hier. Um Timmys willen."

"Fein." Logan lächelte. "Können wir jetzt über das reden, was dich bedrückt?"

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9. KAPITEL Suzanna saß stocksteif da. "Ich weiß nicht, was du meinst." "Seit ich dir vorschlug, hier zu schlafen, hast du eine dicke

Sorgenfalte auf der Stirn." Logan massierte die Stelle sanft, bis Suzanna wohlig seufzte.

"Ist es wegen uns?" Er lehnte sich zurück. "Hast du Angst, dass sich das, was gestern Abend war, wiederholen könnte?"

Suzanna schüttelte den Kopf, obwohl sie genau das befürchtete.

"Dann machst du dir Sorgen wegen deines Geschäfts, nicht wahr?"

Unwillkürlich versteifte sie sich. Logan kannte sie erstaunlich gut.

"Dachte ich mir's doch. Erzähl mir von deinem Party-Service."

"Was möchtest du wissen?" "Wie er läuft. Wer was tut." Suzanna war auf der Hut. "Ich wüsste nicht, wieso ..." "Tu mir den Gefallen. Es reizt mich, Probleme zu lösen." "Ich habe keine Probleme." "Nein? Warum versuchst du, mir etwas vorzumachen?" Einen Moment kämpfte Suzanna mit sich, dann gab sie nach.

"Also gut, wenn du es wirklich hören willst..." Zögernd begann sie, Logan ihre Situation zu schildern.

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Doch bald schien er genug gehört zu haben. "Die Lösung liegt doch auf der Hand", erklärte er. "Du musst unternehmerisch denken lernen."

"Unternehmerisch?" Suzanna lächelte nachsichtig. "Mein lieber Logan, mein Minibetrieb ist nicht General Motors."

"Mit der Größe hat das nichts zu tun. Das Prinzip gilt für jedes Unternehmen. "

Suzanna schüttelte energisch den Kopf. So einfach lagen die Dinge nicht.

"Im Ernst. Warum tust du alles selbst? Warum musst du Köchin, Putzfrau und Buchhalterin in einem sein?"

"So haben meine Eltern es auch gehandhabt." "Kein Wunder, dass du dich halbtot arbeitest." "Meine Arbeit macht mir Freude", widersprach Suzanna. "So? Dann verrate mir doch, was dir daran Freude macht." "Dass ich mein eigener Herr bin, mir die Arbeitszeit selbst

einteilen kann ..." Suzanna wusste nicht weiter und spielte nervös mit dem Gürtel des Bademantels. Genaugenommen war sie noch nie Herr ihrer Arbeit und Zeit gewesen. Der Party-Service hatte ihr stets unerbittlich diktiert, was wann zu tun war.

"Das ist ein Vorteil des Selbständigseins. Aber was gefällt dir an deiner Arbeit?"

Suzanna fühlte sich in die Enge getrieben. "Ich kann damit meinen Lebensunterhalt bestreiten." Sie stand auf und begann, den Frühstückstisch abzuräumen. "Ich bin dankbar, dass ich sie habe."

Logan erhob sich ebenfalls und half ihr. "Damit hast du meine Frage noch nicht beantwortet."

Langsam stellte Suzanna das Geschirr in die Spüle und schloss die Augen. "Du willst die Wahrheit hören? Also gut. Ich weiß nicht, was mir Freude macht. Wenn du schuftest, um zu überleben, fragst du dich nicht, ob die Arbeit dir Spaß macht oder nicht. Du setzt einfach einen Fuß vor den anderen und tust, was zu tun ist. Hätte ich nicht so gehandelt, säße ich längst auf

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der Straße. Und dann ..." Sie blickte zu Timmy, der zufrieden auf der sonnigen Terrasse spielte, und seufzte. "Vergiss es. Im Moment bin ich wohl einfach zu erschöpft, um Freude an irgend etwas zu haben."

Logan stellte die Milch weg und kam näher. "Das hatte ich gemeint. Kannst du nicht ein, zwei Hilfen einstellen, die dir die groben Arbeiten abnehmen?"

Verbittert lachte Suzanna, "Und woher soll ich das Geld für diese Leute nehmen?"

"Indem du deinen Kundenkreis vergrößerst. Durch Werbung. Denk dir neue Partygags und Menüs aus. Sei das Hirn der Firma, nicht der Zugochse, Suzanna." Logan hob lächelnd ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. "Die Planung könntest du sogar hier erledigen, während du bei Timmy bist."

Suzanna schwieg unschlüssig, doch die Idee gefiel ihr. "Denk drüber nach", riet Logan. "Es liegt nur an dir, die

Firma neu zuorganisieren." Er sah Suzanna in die Augen, und wieder knisterte es

zwischen ihnen. Sie musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um den Blickkontakt zu brechen und den Tisch weiter abzuräumen.

"Ich werd's mir durch den Kopf gehen lassen", versprach sie. Nachdem Logan ins Werk gefahren war, rief Suzanna Marie

an und erklärte ihr, was an diesem Vormittag im Laden zu erledigen war. Danach zog Suzanna ihr frischgewaschenes T-Shirt und die Shorts vom Vortag an und räumte den Raum auf, in dem sie mit Timmy geschlafen hatte.

Als sie an Logans halbgeöffneter Zimmertür vorbeikam, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen und ging hinein. Der große Raum war sonnig und in hellen Blau-, Creme- und Grautönen gehalten. Er wurde von einem mächtigen Erkerbett zwischen zwei Fenstern beherrscht, das Logan bereits gemacht hatte. Versonnen strich Suzanna über die weiche graublaue Tagesdecke und versuchte, sich Logan in dem Bett vorzustellen.

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Suzanna ging langsam weiter und blieb vor der Bücherwand stehen, in der sich Bände über Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aneinander reihten. Erstaunt stellte sie fest, dass zwei ganze Regale klassische Werke in griechischer und lateinischer Sprache enthielten.

Schließlich schlenderte sie ins angrenzende Bad, in dem es immer noch nach Logans würzigem Rasierwasser roch. Gedankenverloren strich sie mit dem Finger über den Walnussgriff des Rasierpinsels und atmete den Seifengeruch ein, den das flauschige Frotteehandtuch verströmte.

Auf dem Fensterbrett stand ein Kassetten Spieler. Spontan schaltete Suzanna ihn ein, und Nat King Coles samtigweiche Stimme erklang.

Im Gang ertönten Schritte. Suzanna fühlte sich ertappt und schaltete den Rekorder rasch aus.

Doch es war nicht Logan, der zurückgekehrt war, sondern Timmy. Suzanna kam sich wie ein Eindringling vor und ließ das Band zurücklaufen, dann verließ sie eiligst den Raum, um mit ihrem Neffen zu spielen.

Am folgenden Nachmittag erhielt Suzanna einen Anruf von ihrem Anwalt.

"Wie geht es Ihnen, Suzanna?" fragte Ray Quinn. "Wo waren Sie nur?"

Sie ließ sich auf den Bürostuhl sinken und berichtete. "Was haben Sie getan?" "Ich habe die Nächte in einem Sommerhaus verbracht, das zu

Mattashaum gehört." In der Leitung blieb es still. "Lassen Sie mich Ihnen das erklären." Suzanna unterrichtete

Ray in groben Zügen über die jüngsten Ereignisse. Um die Dinge nicht zu komplizieren, verschwieg sie dabei jedoch, wie gut sie sich inzwischen mit Logan verstand.

Sie dachte an den harmonischen Abend, den sie mit ihm und Timmy verbracht hatte. Erwartungsvoll war sie zum

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Sommerhaus hinausgefahren und hatte als Nachtisch Schwarzwälder Kirschkuchen mitgebracht. Danach waren sie am Meerufer entlanggeschlendert, hatten im Windschatten einer Düne gesessen und Logans Erzählungen von seinen Kolonialvorfahren gelauscht, bis die Sterne am Himmel funkelten ...

Ray atmete tief durch. "Sehr merkwürdig", sagte er. "Seien Sie vorsichtig, Suzanna."

"Natürlich." "Ich rufe an, weil Ihre erste Vorladung beim

Untersuchungsbeauftragten für Montag in zwei Wochen angesetzt ist."

Die Mitteilung traf Suzanna wie eine kalte Dusche. Der Kampf um die Vormundschaft ging weiter.

"Es wäre gut, wenn Sie möglichst bald zu mir in die Kanzlei kommen könnten", fuhr Ray fort. "Ich möchte Sie auf die Fragen vorbereiten, die man Ihnen vermutlich stellen wird. Außerdem müssen wir Ihr Finanzprofil aufpolieren."

"Finanzprofil?" "Ihre finanzielle Lage. Wir müssen nach Möglichkeiten

suchen, Ihr Einkommen zu erhöhen oder es zumindest auf dem Papier ein wenig höher erscheinen zu lassen."

Suzanna wurde mulmig. "Und an was hatten Sie da gedacht?" "Nun, ich frage mich, ob Sie Ihren Leuten die Miete nicht

heraufsetzen können." Ehe Suzanna etwas erwidern konnte, fuhr der Anwalt fort: "Außerdem wäre es gut, wenn Sie Ihre Firma insgesamt vergrößern und auch auf einer anspruchsvolleren Ebene ansiedeln könnten."

"Ich ... das versuche ich gerade. Logan ..." "Wunderbar. Sie können mir die Einzelheiten erzählen, wenn

Sie hier vorbei schauen." Ray zögerte einen Moment, ehe er hinzufügte: "Ich hätte da noch einen Vorschlag. Was halten Sie von einem netten kleinen Haus in einem der Vororte?"

Suzanna war verblüfft. "Aber ..."

Page 122: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

"Sie brauchen ja nicht wirklich umzuziehen. Wichtig ist nur, dass es so aussieht, als ob. Die superreichen Bradfords trumpfen mit dem Lebensstil auf, den sie dem Jungen bieten können. Also müssen wir dem etwas Überzeugendes entgegensetzen, sonst sind wir vor Gericht in einer schwächeren Position."

Suzanna fuhr sich seufzend über die Stirn. "Das ist mir klar." "Okay. Uns bleibt also noch einiges zu tun." Resigniert schlug Suzanna ihren Kalender auf, und sie

einigten sich auf einen Termin. "Kopf hoch, Suzanna. Wir fangen gerade erst zu kämpfen

an." Sicher, aber die Bradfords auch, dachte sie düster. Obwohl der Kampf weiterging, verbrachten Suzanna und

Logan die Woche in bestem Einvernehmen. Das lag wohl auch daran, dass keiner das kritische Thema ansprach. Die vereinbarte Schichtwechselregelung ließ sich erstaunlich gut an, und Timmy blühte auf.

Seit dem katastrophalen Nachmittag auf dem Innenhof mit Logans Vater, Cecily und dem Kindermädchen war Suzanna Collin nicht mehr begegnet. Sie wusste jedoch, dass das mit dem friedlichen Zusammenleben vorbei sein würde, falls der Alte erfuhr, dass sie in Logans Sommerhaus schlief. Jedes Mal, wenn sie zum Bradford House fuhr, befürchtete Suzanna, Collins Wagen in die Quere zu kommen.

Am Wochenende ging es im Laden so hektisch zu, dass Suzanna nicht zum Sommerhaus hinausfahren konnte. Um so gerührter war sie, als Logan am Sonntag mit Timmy bei ihr hereinschaute. Ihre Freude hielt jedoch nicht lange an, denn Logan erklärte, er sei auf dem Weg zu einem Strandpicknick bei Cecily.

"Nimmst du Timmy mit?" "Natürlich." Suzanna rührte den Gemüsesalat so heftig um, dass die

Karotten zu zerfallen drohten.

Page 123: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Logan lehnte an der Theke und beobachtete Suzanna. "Timmy hat sich wunderbar an mich gewöhnt, und er scheint seinen Großvater gern zu besuchen. Da dachte ich, es sei an der Zeit, dass er und Cecily sich ebenfalls näherkommen. Was meinst du?"

Verbiestert schüttete Suzanna den Salat in einen großen Kunststoffbehälter und schlug den Deckel mit solcher Kraft zu, dass er einen Sprung bekam. "Er ist doch erst seit einer Woche bei dir. Du darfst ihm nicht zuviel auf einmal zumuten."

"Also gut. Ich nehme Timmy nicht mit zu Cecily." Suzanna war erleichtert ... bis Logan hinzufügte: "Was hält st

du davon, die Wirtschafterin meines Vaters heute Abend als Babysitter einzuspannen? Wie du richtig bemerkt hast, sind Cecily und ich in letzter Zeit nicht mehr ausgegangen. Wir möchten nach dem Picknick ins Kino gehen."

Suzanna schob den Salat in die Kühltheke und warf die Tür krachend zu.

"Timmy scheint sich mit Mrs. Travis angefreundet zu haben", fuhr Logan fort "Wenn wir meinen Vater besuchen, hockt er jedes Mal endlos bei ihr."

"Dann lass sie babysitten", sagte Suzanna schnippisch. "Warum fragst du mich überhaupt?"

Logan betrachtete sie forschend. "Was hast du auf einmal." Suzanna stützte sich auf die Spüle und rief sich zur Ordnung.

Sicher, sie hatte eine ganze Woche bei Logan gewohnt, ohne dass Cecily aufgetaucht war, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie aus Logans Leben verschwunden war. Die beiden waren verlobt und würden heiraten. Das hatte sie, Suzanna, von vornherein gewusst.

"Was soll ich denn haben? Geht ins Kino und lass Mrs. Travis babysitten. Ich mag sie auch", erwiderte Suzanna einlenkend. "Und, Logan? Danke, dass du mich vorher gefragt hast."

Page 124: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Während der zweiten Woche in Logans Sommerhaus tat Suzanna alles, um die Vormundschaft für Timmy zu erhalten. Sie erweiterte das Angebot ihres Party-Services, schaltete stilvolle Anzeigen in verschiedenen Zeitungen und stellte eine zweite Halbtagskraft ein, weil ihre Kundschaft schlagartig wuchs.

Außerdem ging Suzanna zu einem Immobilienmakler und gab vor, ein Einfamilienhaus in einem Vorort zu suchen. Gleichzeitig bot sie Harris' Fotostudio zum Verkauf an. Mit dem Erlös würde sie die Hypothek ablösen, die sie für Harris auf ihr Haus aufgenommen hatte.

Tags darauf sprach Suzanna bei ihrem Anwalt vor, der ihr eintrichterte, was sie dem Untersuchungsbeauftragten sagen und nicht sagen durfte.

Sie war entschlossen, Timmy zurückzugewinnen, koste es, was es wolle. Alles andere war unwichtig.

Am Montag brachte Logan ein leichtes Aluminiumkanu von Bradford House herüber, mit dem Suzanna auf dem See herumpaddeln konnte. Abends ließ Logan sich von ihr und Timmy zum Elefantenfelsen hinüberrudern, wo sie ein Lagerfeuer anzündeten und türkischen Honig rösteten

Am Dienstag fuhr Logan nicht ins Werk. Zu dritt zogen sie los und pflückten Blaubeeren, die sie mittags zu Blaubeereis verarbeiteten, zu dem sie heiße Waffeln aßen.

Am Mittwoch holten Logan und Timmy Suzanna im Geschäft ab, und sie fuhren zum Vergnügungspark. Dort hatten sie so viel Spaß, dass Suzanna sich eingestehen musste, seit Jahren nicht mehr so unbeschwert gelacht zu haben. Auch Logan war wie verwandelt und zeigte sich von einer jungenhaft sorglosen Seite, die Suzanna faszinierte.

Dennoch fiel ihr auf, dass er sich zurückhielt. Er rief Cecily jeden Abend an, wenn Suzanna sich in Hörweite befand, und verabschiedete sich jedes Mal mit einem geflüsterten: "Ich liebe

Page 125: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

dich" Zweimal fuhr er Cecily sogar besuchen. Suzanna litt Höllenqualen.

Am Samstagabend saß sie todunglücklich und von Eifersucht gequält in der Küche, nachdem Logan fortgefahren war, um mit Cecily eine Party zu besuchen. Als vor dem Haus ein Wagen hielt, fuhr Suzanna zusammen und lauschte. Eine Wagentür wurde zugeschlagen, gleich darauf klopfte es an der Küchentür.

"Hallo", rief eine helle weibliche Stimme. "Logan?" Rasch machte Suzanna den Gürtel ihres Bademantels zu, den

sie über das Nachthemd gestreift hatte. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Suzannas Verwirrung wuchs, als Cecily den Kopf zur Tür hereinsteckte.

"Logan?" Sie entdeckte Suzanna und blieb einen Moment wie versteinert stehen, dann stieß sie die Tür weit auf. "Was machen Sie denn hier?"

Langsam stand Suzanna auf. "Das gleiche könnte ich Sie fragen."

"Ihnen bin ich keine Erklärung schuldig", erwiderte die Blondine von oben herab. "Ich bin Logans Verlobte. Wo ist er?"

Suzanna überlegte blitzschnell. Irgend etwas stimmte hier nicht. "Ausgegangen", entgegnete sie knapp.

"Und was tun Sie hier?" "Babysitten." Cecily musterte Suzannas Aufzug. "Das nehme ich Ihnen

nicht ab. Sie wären die letzte, die Logan als Babysitter einstellen würde."

"Er hat mich nicht eingestellt, sondern wir sind übereingekommen ..."

"Haben Sie sich hier eingeschlichen?" Cecilys Miene wurde noch feindseliger. "Sie haben es wohl auf Logan abgesehen. Genügt es nicht, dass Ihre Schwester ..."

"Ich sagte Ihnen doch schon, dass ich hier babysitte."

Page 126: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

"Im Pyjama?" Cecily lachte. "Ich weiß zwar nicht, was für ein Spielchen Sie treiben, Miss Keating, aber ich rate Ihnen, sofort zu verschwinden. "

"Mein Spielchen, Miss Knight, ist einfach nur, Timmy beim Einleben zu helfen. Logan wird Ihnen doch sicher erzählt haben, dass der Junge vorige Woche in Tränen ausgebrochen ist, als ich gehen wollte."

Cecily schwieg. "Deshalb hat Logan mich gebeten, fürs erste hier zu

übernachten. Aber als seine Verlobte dürften Sie das ja wohl wissen", setzte Suzanna hinzu. "So etwas Wichtiges wird er doch bestimmt mit Ihnen besprochen haben."

Cecily versuchte sich aus der Affäre zu ziehen. "Ja ... natürlich hat er das", sagte sie stockend, doch Suzanna merkte, dass Logan seiner Verlobten kein Wort gesagt hatte.

Und plötzlich wusste Suzanna, was hier nicht stimmte. Was an Logans Beziehung zu dieser Frau so merkwürdig war. Am liebsten hätte sie Cecily zur Rede gestellt, aber das wäre unklug gewesen. Nein, es war besser, damit bis zur Hauptverhandlung zu warten und den Drahtzieher dieses Täuschungsmanövers anzuprangern.

"Denken Sie bloß nicht, Sie könnten sich hier auf die Dauer einnisten", erklärte Cecily hasserfüllt. "Ich werde Logan noch heute Abend bitten, diese Babysitterregelung abzubrechen."

Suzanna rückte einen Küchenstuhl zurecht. "Warum setzen Sie sich dann nicht und warten, bis er kommt? Das dürfte in einigen Stunden der Fall sein. Er ist zu einer Verabredung gefahren."

Zufrieden sah Suzanna, wie Cecilys Züge sich verzerrten. "Ver... abredung?" "Ja. Mit Ihnen. Schade. Sie müssen sich verpasst haben." Cecily wurde blass. "Diesen Tag werden Sie noch

verwünschen!" Sie hob drohend die Faust, dann stürmte sie aus dem Haus.

Page 127: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Suzanna wartete im dunklen Wohnzimmer, als Logan heimkehrte. "Wie war der Abend?" fragte sie, ehe er das Licht einschalten konnte.

Er zuckte zusammen. Die Sache fing an, Suzanna Spaß zu machen. "Nett. Warum sitzt du hier im Dunkeln?" "Oh, das tue ich ganz und gar nicht. Mir ist ein Licht

aufgegangen, wie es heller kaum sein könnte ... endlich!" Suzanna sah Logans verständnislose Reaktion und fragte: "Und wie geht es Cecily?"

"Gut. Bestens." Suzanna hatte genug. Sie stand auf und stellte sich wie ein

Racheengel vor Logan hin. "Tu nicht so scheinheilig! Du lügst wie gedruckt! Cecily war hier." Als Suzanna Logans Verblüffung sah, fuhr sie höhnisch fort. "Ja, du hast richtig gehört. Hier. Du kannst deine lächerliche Scharade also aufgeben. Ich bin dir auf die Schliche gekommen, mein lieber Logan. Das Spiel ist aus."

Statt sich jedoch zerknirscht zu zeigen, verschränkte er die Arme vor der Brust und lächelte belustigt. "Sieh dich doch mal an."

"Nein, sieh du mich an! Ich bin höllisch wütend, Logan!" Immer noch lächelnd, lockerte er seine Krawatte. "Das bist

du nicht zufällig, weil du höllisch eifersüchtig warst und jetzt plötzlich feststellen musst, dass du umsonst gelitten hast?"

"Du bildest dir zuviel ein, mein Lieber... ich war nicht eifersüchtig. Die bloße Vorstellung ist lachhaft!"

"Also gut, was hast du dann?" Er begann, die Hemdknöpfe zu öffnen. "Weshalb bist du so wütend? Weil Cecily und ich nicht verlobt sind?"

"Das weißt du nicht?" empörte Suzanna sich. "Du hast vor dem Richter gelogen!"

Page 128: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

Logan kratzte sich den Kopf, doch er lächelte weiter. "Die Idee mit der Verlobung stammt von meinen Anwälten, nicht von mir. Ich habe ihnen gleich gesagt, dass das nichts bringt."

"Du bist ein hinterhältiger Betrüger!" Suzanna kam mit geballten Händen auf Logan zu und versetzte ihm einen Faustschlag auf den Arm.

"He, das tut weh." "Wunderbar." Suzanna boxte ihn erneut. "Du hast viel

Schlimmeres verdient. Mit dieser Lüge hast du den Richter auf deine Seite gezogen. Damit hast du es geschafft, mir Timmy wegzunehmen."

Logan hielt sich den Arm. "Bist du fertig?" "Nein!" Suzannas Unterlippe zitterte. "Wie konntest du so ein

schmutziges Spiel treiben?" "Ich gewinne nun mal gern." Logans Augen funkelten

vergnügt. "Wie kannst du einen so schwerwiegenden Betrug komisch

finden?" "Nicht den Betrug, Suzanna. Der tut mir ehrlich leid." Logan

wurde ernst. "Ich bin einfach nur erleichtert, dass das Theaterspielen ein Ende hat."

"Das glaube ich dir gern! Jetzt kannst du aufhören, Cecily ständig anzurufen und vor mir den Verliebten zu spielen."

"Ja. Das war wirklich lästig. Ich bin froh, dass du nun über alles Bescheid weißt."

"Noch lange nicht alles! Du hast mir noch mehr vorgemacht." Logan legte den Kopf schief und sah Suzanna fasziniert an.

"Zum Beispiel?" Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf. "Du hast Cecily

überhaupt nicht angerufen, Logan. Kamst du dir nicht dämlich vor mit deinem Gesäusel: ,Wie war dein Tennismatch, Liebling?', während dein Anrufbeantworter im Werk herunterleierte: ,Bradford Energy Systems bedankt sich für Ihren Anruf. Wir sind nach Büroschluss leider nicht erreichbar,

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wenn Sie jedoch Ihren Namen und ihre Telefonnummer hinterlassen würden...'"

Logan brach in schallendes Gelächter aus. "Wie hast du das herausgefunden?"

"Das war ein Kinderspiel. Nachdem Cecily gegangen war, fiel mir ein, dass du sie gegen Abend angerufen hattest. Und da das das letzte Gespräch auf dem Apparat gewesen war, habe ich einfach die Wiederholtaste gedrückt, und prompt kam; ,Bradford Energy Systems bedankt sich für Ihren Anruf...'"

Logan schüttelte lächelnd den Kopf. "Du bist unglaublich, Suzanna."

"Nein, ich bin wütend." "Und ich bin nicht verlobt." Logan blickte sie eindringlich an. "Das weiß ich!" Doch er sah sie weiter so seltsam an, und sie wurde unruhig.

Als er einen Schritt auf sie zuging, wich sie instinktiv zurück. "Verstehst du denn nicht, Suzanna? Ich bin frei und kann es

dir endlich sagen." Logan kam näher. Suzanna hielt seinem Blick wie hypnotisiert stand, während

sie sich klopfenden Herzens weiter rückwärts tastete, bis sie die Wand im Rücken spürte. "Warum wiederholst du das?"

"Weil es so schön klingt." Logan blieb vor Suzanna stehen und stemmte die Hände rechts und links von ihr so gegen die Wand, dass Suzanna gefangen war. "Und weißt du, was das Beste daran ist, nicht verlobt zu sein?"

Sie schüttelte stumm den Kopf. "Das Beste daran ist, dass ich keine Gewissensbisse zu haben

brauche, wenn ich das tue." Logan legte die Arme um sie und zog sie langsam an sich. Als ihre Körper sich berührten, hielt Suzanna unwillkürlich den Atem an.

"Oder das." Er berührte ihre Stirn, die Lider, die Wange mit den Lippen. Suzanna war wie in Trance, als er ihren Mund fand. "Oder das." Er bedeckte ihre Lippen mit seinen.

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Logans zärtlicher Kuss brachte Suzannas letzten Widerstand zum Schmelzen, und alles um sie herum versank. Verlangend legte sie die Arme um Logans Nacken und erwiderte den Kuss. Logan zog sie enger an sich, dann küsste er sie so leidenschaftlich, dass ihr schwindlig wurde.

Als er schließlich den Kopf hob, atmete er schwer. "Suzanna, Suzanna." Er drückte sie an sich und legte das Kinn auf ihr Haar. "Wenn du wüsstest, wie schwer diese Woche für mich war. Du warst hier, aber ich durfte dich nicht berühren, denn wenn ich es tat, musstest du glauben, ich hinterginge Cecily."

Suzanna presste sich zitternd an Logan. Sie wollte ihm gestehen, dass sie ebenso unglücklich gewesen war, doch die aufsteigende Furcht verdrängte das Glücksgefühl. "Was tun wir nur?" flüsterte sie.

Sanft strich er ihr über das Haar. "Wir komplizieren gerade die Dinge unglaublich, würde ich sagen." Erhob Suzannas Kinn und sah ihr lange in die Augen.

Sie schmiegte sich enger an ihn, um seine Körperwärme, seinen Herzschlag zu spüren, und wünschte, der Augenblick ginge nie zu Ende. Doch die Wirklichkeit forderte ihr Recht.

"Dir ist doch wohl klar, dass das eine unmögliche Situation ist", flüsterte Suzanna.

Nachdenklich hielt Logan sie etwas von sich ab. "Ja." Suzanna sank der Mut. Das war nicht die Antwort, die sie

erhofft hatte. "Ich glaube, es ist besser, wir gehen jetzt schlafen", schlug er

vor und wandte sich ab. "Ja, das ist es wohl." "Bis morgen, Suzanna", sagte Logan leise, aber sie flüchtete

bereits aus dem Raum.

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10. KAPITEL Am folgenden Nachmittag rief Collin an und bat Logan, nach

Bradford Haus herüberzukommen, um sich Unterlagen ihrer Anwälte anzusehen.

"Hat das nicht bis morgen Zeit?" Logan beobachtete Suzanna und Timmy, die unten am Seeufer Rohrkolben für einen Strauss pflückten. Es war ein windstiller, schwülheißer Tag, und Logan wollte ihn mit den beiden genießen.

"Ich fürchte, nein", erwiderte Collin. "Es ist wichtig. Logan seufzte resigniert. "Also gut. Ich komme rüber." "Fein. Ach, und bring den Jungen mit. Ich möchte ihm etwas

zeigen." Es widerstrebte Logan, Timmys und Suzannas Erkundungen

zu stören, aber Collin war in letzter Zeit richtig aufgelebt, wie Logan erfreut feststellte.

Er traf seinen Vater in Arbeitszimmer mit einem Jagdgewehr auf den Knien an, das er seit Jahren nicht mehr benutzt hatte. Der Gewehrschrank stand offen, und Logan nahm spontan die 22er Remington heraus, mit der Collin ihm als Kind das Schiessen beigebracht hatte.

"Was tust du da, Grandpa?" Immer noch etwas scheu, näherte Timmy sich seinem Großvater.

"Ich reinige und öle mein Gewehr." Bei dem Wort "Gewehr" riss der Junge die Augen auf. "Und

was ... tust du damit?"

Page 132: Ich hab nicht mehr als meine Liebe

"Jagen, Timothy. Fasane, Hasen, Waldhühner. Und Enten natürlich." Collin hob das Gewehr ans Auge und tat so, als ziele er auf ein Stück Wild. "Wenn du brav bist, nehme ich dich eines Tages mit auf die Jagd. Würde dir das Spaß machen?"

Timmy grub die Spitze seines Turnschuhs in den Perserteppich und schien mit sich zu kämpfen.

Logan mischte sich ein. "Meine Güte, Collin, er ist doch erst..."

"Ja, ich weiß, dass er vier ist." Collin lachte leise. "Ich meinte ja auch nicht in dieser Saison."

Logan war sich nicht sicher, ob er sich überhaupt wünschte, dass Timmy an der Jagd teilnahm. Doch er freute sich, dass sein Vater wieder Zukunftspläne schmiedete.

"Wo sind die Unterlagen, die ich mir ansehen soll?" "Auf dem Schreibtisch." Collin hatte ein Fotoalbum

aufgeklappt und zeigte seinem Enkel Aufnahmen von früher, auf denen er als kraftvoller Mann mit seinen beiden Söhnen auf der Jagd zu sehen war.

Logan brauchte nur einen Blick auf die Papiere zu werfen, um festzustellen, dass es sich um Routinesachen handelte. Er warf die Unterlagen auf den Schreibtisch zurück. "Tim, würdest du Grandpa und mich bitte ein paar Minuten allein lassen? Geh zu Mrs. Travis in die Küche und sieh mal nach, was es zum Abendessen gibt, ja?"

Sobald der Junge verschwunden war, sagte Logan: "Warum hast du mich wirklich kommen lassen, Collin?"

Der warme Glanz in den Augen seines Vaters verschwand. "Cecily rief mich heute morgen an. Ich wusste, dass Miss Keating vormittags bei dir im Sommerhaus ist, aber jetzt höre ich von Cecily, dass die Frau dort auch übernachtet. Stimmt das?"

Logan hielt Collins Blick stand. "Ja." "Das sagst du so einfach?" "Ja."

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Collin schleuderte das Album zur Seite. "Hast du den Verstand verloren?"

"Himmel, Collin, warum regst du dich darüber auf?" "Ich will sie hier nicht haben! Sie erinnert mich an ihre

habgierige Schwester und an das, was sie unserer Familie angetan hat." Collin stand auf und ging erregt auf und ab. "Es ist nicht gut für Timothy, Miss Keating um sich zu haben. Sie bringt den Jungen nur durcheinander und entfremdet ihn uns."

So hatte Logan noch vor zwei Wochen auch gedacht. Doch inzwischen hatte er ein ganz anderes Bild von Suzanna. Jetzt kannte er sie und Timmy soviel besser und wusste, dass sie den Jungen wie eine Mutter liebte. Aber das konnte Collin natürlich nicht verstehen.

"Du ahnst ja nicht, wie sehr sie Timmy geholfen hat, sich bei mir einzuleben."

Collin gab einen verächtlichen Laut von sich. "Bestimmt nicht aus Uneigennützigkeit. Sie weiß, dass Timmy einmal drei Millionen Dollar erbt."

Logan zwang sich zur Ruhe. "Hör zu, Vater, so ist Suzanna überhaupt nicht, das weiß ich inzwischen genau. Wenn morgen der Gerichtstermin wäre, würde ich aussagen, dass sie zu Timmy gehört. Ich habe erkannt, dass wir ihr den Jungen lassen müssen."

Collin blieb stehen und wurde rot vor Zorn. "Ich denke nicht daran!"

"Aber eine Trennung von ihr würde deinen Enkel seelisch völlig aus dem Gleichgewicht bringen."

Collin kniff die Augen zusammen. "Wenn er einen Mutterersatz braucht, sollte er mehr Zeit mit Cecily verbringen."

"Ich wusste, dass du mir mit ihr kommst." Logan beherrschte sich nur noch mit Mühe.

"Und? Was ist mit Cecily? Ihr seid verlobt." Logan warf seinem Vater einen gereizten Blick zu.

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"Also gut, wir haben diese Verlobung nur vorgeschützt, aber früher oder später wäre es sowieso dazu gekommen. Wir wissen beide, dass ihr ein Paar seid, du und Cecily."

"Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Vater, aber Cecily und ich sind kein Paar. Wir sind miteinander fertig."

Collin atmete so heftig, dass Logan unruhig wurde. "Was meinst du mit fertig?"

"Es ist aus. Vorbei. Suzanna hat zwei und zwei zusammengezählt, aber das ist auch nicht verwunderlich. Ich bin ein schlechter Lügner." Logan lächelte schwach. "Und sie ist eine sehr scharfsinnige Frau."

"Sie weiß Bescheid?" Collin blieb am Couchtisch stehen und griff mit zitternden Fingern nach einem goldenen Zigarettenetui.

"Ja." Mit zwei Schritten war Logan bei seinem Vater und nahm ihm die Zigaretten weg. "Setz dich, Collin." Er drückte den alten Mann in einen Sessel. "Beruhige dich."

"Ich will mich nicht beruhigen. Ist dir klar, was für eine Waffe die Frau jetzt gegen uns in der Hand hat?"

"Suzanna würde sie niemals benutzen. Das ist nicht ihre Art." Collin blickte auf. "Zum Teufel mit dir, Logan! Du hast dich

von ihr einwickeln lassen." Stumm setzte Logan sich auf die Armlehne und legte Collin

die Hand auf die Schulter. "Ach, mein Sohn, was ist nur plötzlich in dich gefahren?"

sagte Collin traurig. Logan widerstand der Versuchung, seinem Vater von der

aufkeimenden Beziehung zu Suzanna zu erzählen. "Du legst in diese Sache zuviel hinein", erwiderte er.

Collin tätschelte Logans Knie. "Eine Ehe mit dieser Frau wäre ein Unding, mein Sohn. Euch trennen Welten. Ihr habt nichts gemeinsam. Das weißt du selbst."

Nachdenklich wandte Logan den Blick ab. "Sicher, ich kann verstehen, dass du mit ihr schlafen

möchtest", fuhr Collin fort. "Ich war schließlich auch mal jung,

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und sie ist eine Frau, die einem Mann den Kopf verdrehen kann. Aber du musst deinen klaren Verstand behalten. Sie ist nichts für dich."

Die Besorgnis seines Vaters rührte Logan. "Eine Liebesbeziehung ist in deinem Fall besonders

gefährlich", fuhr Collin fort. "Wer weiß, vielleicht legt diese Frau es bewusst drauf an, dich in sich verliebt zu machen, damit du vor Gericht nachgibst."

Logan dachte über diese Möglichkeit nach, und ihm wurde das Herz schwer.

"Sei auf der Hut", warnte Collin. "Vor allem jetzt." Er lächelte väterlich. "Frauen mögen wundervolle Geschöpfe sein, aber trauen kann man keiner."

Logan stand auf und trat ans Fenster. Draußen schoben sich dicke schwarzgraue Wolken vor die Nachmittagssonne. Die Stimmung entsprach seiner Gemütsverfassung.

"Zwischen Suzanna und mir ist nichts." "Dann sag ihr, dass sie nicht jeden Tag kommen soll. Lass sie

nicht mehr über Nacht bleiben." Logan fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Collin hatte

recht. Suzanna schlief weiter im Sommerhaus, obwohl das eigentlich nicht mehr nötig war. "Ja", versprach er.

"Gut." Collin nickte. "Ich wusste, dass ich wie immer auf dich zählen kann, Logan."

Suzanna schob das Kanu ins Wasser und sprang ins Boot. In der feuchten Hitze klebte ihr das T-Shirt auf der Haut, und sie überlegte, dass sie es sich besser mit einem Glas Eistee auf der Terrasse hätte gemütlich machen sollen.

Doch sie war entschlossen, zum Abendessen einen Fischeintopf auf den Tisch zu bringen. Logan hatte von einer Bouillabaisse geschwärmt, die er in Frankreich gegessen hatte, und Suzanna wollte ihn damit am Abend überraschen.

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Auf der Elefantenfelseninsel zog Suzanna das Kanu ans Ufer und watete mit Rechen und Eimer zu der Muschelbank, an der sie vor zwei Wochen reiche Beute gemacht hatten.

Sie blieb stehen und blickte über den bleigrauen See zu Logans Haus hinüber. Noch nie hatte sie sich zu einem Mann so hingezogen gefühlt. Sie brauchte nur daran zu denken, wie er sie am Abend zuvor geküsst hatte, und ihr wurde heiß.

Doch dann lächelte sie traurig. Ihr war der Mann ihres Lebens begegnet, aber sie musste sich damit begnügen, von ihm zu träumen.

Eine feste Beziehung zwischen ihr und Logan war unmöglich. Zuviel stand zwischen ihnen. Familienfeindseligkeiten, die unterschiedliche Herkunft, der Kampf um die Vormundschaft...

Suzanna riss sich aus ihren trüben Gedanken. Sie stand knietief im Wasser und blickte sich um. Die Sonne war verschwunden, und die Landschaft hatte sich in lähmendes Grau gehüllt. Wind kam auf und trieb eine Vogelschar ostwärts. Die Äste der Bäume bogen sich unter der scharfen Brise, die die Blätter peitschte.

Suzanna wandte sich nach Westen, wo Bradford House lag, und hielt den Atem an. Eine dunkle Wolkenwand, aus der der aufkommende Sturm graue Schleier fetzte, warf unheilverkündende Schatten über die Landzunge und trieb direkt auf Suzanna zu. Ein greller Blitz zuckte vom Himmel und tauchte die Landschaft in ein unheimliches Licht.

Logan fuhr langsam die Strasse zum Sommerhaus entlang und hielt schließlich an, um in Ruhe nachdenken zu können.

Timmy hatte gebeten, bei Mrs. Travis bleiben zu dürfen, die seine geliebten Schokoladenmandelsplitter backte, und Collin war mit weiteren Erinnerungsalben aus der Truhe angerückt.

Logan legte die Arme auf das Lenkrad und stützte den Kopf auf die Hände. Es würde nicht leicht sein, seine Beziehung zu Suzanna abkühlen zu lassen. Bei dem bloßen Gedanken war ihm

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weh ums Herz. Doch Collin hatte recht. Logan seufzte schwer. Er hatte etwas angefangen, das nicht gut gehen konnte, und musste sich zurückziehen, ehe die Dinge zu kompliziert wurden.

Nicht, dass er glaubte, Suzanna hätte ihm bewusst etwas vorgespielt, wie Collin behauptete. Das traute Logan ihr jetzt nicht mehr zu. Eher das Gegenteil machte ihm Sorgen, die Aufrichtigkeit und Stärke ihrer Gefühle füreinander.

Aber wie sollte es weitergehen? Er war nicht der Typ, der eine Beziehung auf die leichte Schulter nahm. Aber war er bereit, für das, was ihn mit Suzanna verband, mit allen Konsequenzen einzustehen? Kaum. Eine solche Entscheidung würde so verheerende Schwierigkeiten mit sich bringen, dass er den Gedanken nicht einmal zu Ende denken mochte.

Ein gleißender Blitz riss Logan aus seinen Grübeleien. Er spähte zwischen den windgepeitschten Ästen der Bäume zum Himmel, Sekunden später folgte drohendes Donnerrollen. Im Wetterbericht war eine Kaltfront angekündigt worden, die die drückende Schwüle ablösen sollte. Die ersten dicken Regentropfen prasselten gegen die Windschutzscheibe, als Logan weiterfuhr.

Suzanna drückte sich an den Schiefer am Fuß des Elefantenfelsens, während über ihr ohrenbetäubendes Krachen ertönte. So ein Gewitter hatte sie noch nie erlebt. Zum Glück war Timmy bei Logan, so dass dem Jungen dieser Alptraum erspart blieb.

Um sich selbst hatte sie keine Angst. Suzanna hatte sofort erkannt, dass das Aluminiumkanu als natürlicher Elektrizitätsleiter den Blitz auf sich ziehen würde. Sie hatte das Boot aus dem See gezogen und hielt sich so weit wie möglich von dem einzigen Baum auf der Insel fern.

Das Donnergetöse war beängstigend, und die Blitze zuckten jetzt in so rascher Folge auf, dass der Himmel in Flammen zu stehen schien. Suzanna lag flach auf der windgeschützten Seite des mächtigen Felsens und fühlte sich verhältnismäßig sicher.

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Der kalte Regen kühlte die Luft jedoch stark ab, und sie fröstelte.

Nach einem neuen beängstigenden Donnerschlag setzte sie sich auf, legte den Kopf auf die verschränkten Arme und blinzelte durch die dichten Regenschwaden zum Sommerhaus auf der Anhöhe hinüber. Was gäbe sie darum, jetzt am warmen Kaminfeuer zu sitzen und Tee zu trinken ...

Plötzlich richtete Suzanna sich ganz auf. Sie traute ihren Augen nicht. Das alte Holzruderboot war auf dem Wasser, und Logan ruderte wie ein Besessener auf sie zu.

"Um Himmels willen, Logan! Wie kannst du nur!" flüsterte Suzanna entsetzt. Ihr wurde bewusst, dass Brandgeruch in der Luft lag und in der Ferne Sirenen heulten. Starr vor Angst, verfolgte Suzanna, wie Logan das Boot mit kraftvollen Schlägen über das Wasser trieb, während ringsum todbringende Blitze zuckten.

Suzanna presste die Faust vor den Mund, um nicht zu schreien. Beeil dich, Logan! Bitte beeil dich! flehte sie im stillen.

Endlich erreichte das Boot den Strand. "Logan!" Sie sprang schluchzend auf. "Suzanna!" Er stieg aus dem Boot, rannte zu ihr und drückte

sie so fest an sich, dass sie kaum noch atmen konnte. "Schnell, hier herunter!" keuchte sie. Sie warfen sich in den nassen Sand. Suzanna lag mit dem

Rücken zum Felsen, und Logan schützte sie mit seinem warmen Körper.

"Alles in Ordnung?" Er strich sich das triefende Haar zurück und betrachtete Suzannas Züge.

"Bestens. Aber du ... Ach, Logan, es ist ein Wunder, dass dich kein Blitz getroffen hat." Suzanna schmiegte sich enger an ihn und barg das Gesicht an seinem Hals. "Dir muss doch klargewesen sein, in welche Gefahr du dich geben hast."

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"Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Als ich ins Haus kam und merkte, dass du nicht da warst, war ich wie von Sinnen, Suzanna." Logan bedeckte ihre Wange, die Schläfe, das Ohr mit kleinen Küssen. "Und dann entdeckte ich dich mit dem Feldstecher hier, reglos auf dem Boden liegend, und da dachte ich ..."Er sprach nicht weiter und küsste sie erneut. "Da wusste ich nur noch, dass ich zu dir musste."

"Ach, Logan", Suzanna lachte unter Tränen, "ich weiß, was man bei Gewitter beachten muss, und war vorsichtig. Aber du ... Bitte sei nie mehr so leichtsinnig!" Sie fuhr mit den Fingern durch sein nasses Haar und tastete über seinen Nacken und den Rücken, als müsse sie sich vergewissern, dass Logan nichts geschehen war. Ich wüsste nicht, wie ich weiterleben sollte, wenn dir etwas zugestoßen wäre, fügte sie im stillen hinzu.

Logan sah ihr in die Augen, als wolle er bis in ihre Seele blicken. Ob er darin auch ihre Liebe lesen konnte? Suzanna wusste jetzt, dass sie ihn liebte. Das hatte sie erkannt, als sie ihn durch den Sturm auf sich zurudern sah.

"Dann darfst du dich nie mehr in solche Gefahr begeben, Suzanna" , bat er ernst, "sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als dich wieder zu retten ... immer wieder, Suzanna." Er berührte ihren Mund mit seinem und küsste sie zärtlich, wie um ein Versprechen zu besiegeln. Doch als er den Kopf hob, sah sie das Begehren in Logans Augen.

Auch sie sehnte sich nach ihm. Kühn legte sie die Arme um seinen Nacken und zog Logan wieder an sich. Diesmal küssten sie sich voller Verlangen und konnten nicht genug voneinander bekommen. Als Suzanna ungestüm die Arme zurückwarf, glitt Logan über sie und verflocht die Finger mit ihren.

"Du ahnst ja nicht, was du mit mir machst, Suzanna", flüsterte er an ihren Lippen.

"O doch, das weiß ich", hauchte sie. "So etwas habe ich noch nie erlebt." Erbebend schloss sie die Augen, als er die Konturen ihres Mundes mit der Zungenspitze erkundete.

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"Ich auch nicht." Aufstöhnend suchte Logan ihre Lippen erneut.

Es dauerte einige Minuten, ehe Suzanna wieder sprechen konnte.

"Aber du bist älter und erfahrener, Logan. Du musst doch schon viele Frauen ..." Verwirrt verstummte sie.

Logan sah sie beschwörend an. "So, wie bei dir, war es noch nie."

"Es macht mir Angst", flüsterte Suzanna. "Du brauchst keine Angst haben." Logan zog sie enger an

sich und wiegte sie sanft. An diesem Nachmittag entdeckten Logan und Suzanna eine

Leidenschaft, die so wild und unbezähmbar war wie der Sturm, der sie umtoste. Doch irgendwie schaffte Logan es, sich zu beherrschen. Er wollte nicht, dass Suzanna einen kalten, nassen Strand als den Ort in Erinnerung behielt, an dem sie sich zum erstenmal geliebt hatten. Wenn sie diesen entscheidenden Schritt taten, musste alles vollkommen sein.

Nachdem das Gewitter abgeklungen war, ruderte Logan sie zum Sommerhaus zurück. Vom Osten her, von Cape Cod, war noch schwaches Donnerrollen zu hören, doch von Westen her drängten sich Sonnenstrahlen unter der dünner werdenden Wolkendecke hindurch. Die Luft war frisch und trocken und kündete das Nahen des Herbstes an.

Während der Rückkehr sprachen Logan und Suzanna nur wenig, aber sie lächelten sich immer wieder glücklich zu. Sie vergaßen, dass sie nass und voller Sand waren. Am Ufer angekommen, umarmten und küssten sie sich und stiegen eng umschlungen den Weg zum Sommerhaus hinauf.

Doch als sie munter und lachend die Terrassentür aufschoben und Collin am Küchentisch erblickten, holte die Wirklichkeit sie unbarmherzig ein.

"Collin!" Logan nahm den Arm von Suzannas Schultern. "Was tust du hier?"

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Sein Vater stand langsam auf und blickte eisig von einem zum anderen. "Timmy hatte Angst vor dem Unwetter und wollte unbedingt hierhin zurück."

Beunruhigt trat Suzanna vor. "Geht es ihm gut? Wo ist er?" Collin sah sie verächtlich an. "Es geht ihm gut. Er spielt in

seinem Zimmer." Mit anklagender Miene wandte er sich Logan zu. "Und wie geht es euch beiden?"

Logan ging instinktiv näher zu Suzanna hin und legte ihr den Arm wieder um die Schultern. Er sah, dass Collin ihn dabei genau beobachtete, und stellte erstaunt fest, dass ihm das absolut gleichgültig war. "Bestens", erwiderte er und berichtete in knappen Wörter, was

geschehen war. Collin stand reglos da, und nichts in seinen Zügen verriet,

was er fühlte und dachte. Logan war auf einen Zornesausbruch gefasst gewesen und sehr überrascht, als sein Vater ging, ohne eine böse Bemerkung zu machen.

"Nun", Logan blickte dem davonfahrenden Wagen benommen nach und wusste nicht, was er sagen sollte, als er sich langsam wieder Suzanna zuwandte.

"Er hat uns gesehen, Logan. Wenn nicht auf der Insel, dann zumindest bei der Rückkehr."

"Zweifellos." Logan drehte sich schwach lächelnd zu Suzanna uni. "Weißt du was? Das Ganze könnte besser laufen, als ich dachte."

"Vielleicht." Suzanna schmiegte sich an Logan. Sie war sicher, dass der Kampf jetzt erst richtig begann.

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11. KAPITEL Es folgten zwei Tage voller Glück und ungetrübter

Harmonie. Suzanna und Logan wechselten sich nach wie vor bei Timmy ab, und sie schlief weiter im Sommerhaus. Alles war wie vorher ... und doch anders. Die Spannung zwischen Logan und Suzanna wuchs, und die Nächte, die sie unter demselben Dach, doch getrennt verbrachten, waren immer schwerer zu ertragen. Die Küsse und Umarmungen, zu denen es immer wieder kam, fachten die schwelende Glut noch weiter an.

Suzanna musste sich eingestehen, dass sie die Situation genoss. Sie liebte Logan, und obwohl sie nie darüber sprachen, spürte sie, dass er ihre Gefühle erwiderte. Sie hatten die Schwelle zu einem neuen Verhältnis zueinander überschrit ten, und Suzanna ging wie auf Wolken.

Wenn sie sich jedoch allein im Sommerhaus aufhielt, wie am dritten Tag nach dem Gewitter, überkam sie das ungute Gefühl, dass diese verliebt verklarte Zeit die Ruhe vor dem Sturm war. Von Collin hatten sie seit seinem unerwarteten Besuch nichts mehr gehört, aber vergessen hatten sie ihn nicht.

Suzanna goss gerade die Geranien auf der sonnigen Südterrasse, als die Geräusche eines herannahenden Wagens sie aufmerken ließen. Langsam stellte sie die Gießkanne ab und trocknete sich die Hände am Hemdzipfel ab, während sie zur Treppe ging. Suzannas Neugier verwandelte sich in Beklemmung, als sie den Besucher erkannte.

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"Mr. Bradford ..." Klopfenden Herzens verfolgte sie, wie er auf den Gehstock gestützt den Weg zum Haus heraufkam. "Möchten sie Logan sprechen?" Suzanna war mulmig zumute. Allem fühlte sie sich dem Alten gegenüber seltsam schutzlos.

Er kniff die Augen zusammen und sah sie nur an, dabei packte er den Knauf des Stocks mit beiden Händen. Suzanna war froh, dass Timmy in seinem Zimmer war und sich im Fernsehen einen Kinderfilm ansah.

Endlich sagte Collin: "Ich muss mit Ihnen reden." "Möchten Sie sich setzen?" Wieder sprach er erst nach einigen Augenblicken. "Sie halten

sich wohl für sehr schlau, Miss Keating?" "Wie bitte?" "Sie haben sich auf überaus raffinierte Weise in das Leben

meines Sohnes eingeschlichen." Suzannas Kehle war plötzlich wie zugeschnürt an, und sie

brachte keinen Ton hervor. "Aber nun, Missy, ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen,

dass Ihre Rechnung nicht aufgeht." Suzanna hatte sich so gewünscht, mit Logan für immer

glücklich sein zu können, obwohl sie von Anfang an geahnt hatte, dass das ein Wunschtraum bleiben musste. Collin verfolgte sie weiter mit seinem Hass, und er verlangte von seiner Familie blinden Gehorsam.

Tapfer sagte Suzanna: "Ich gebe zu, dass Logan und ich einander sehr nahegekommen sind. Mr. Bradford. Aber das hatte ich nicht vorhersehen können und schon gar nicht beabsichtigt."

"Beleidigen Sie mich nicht mit Ihren Lügen. Ich weiß, was Sie vorhaben. Sie glauben, wenn sie meinen Sohn bezirzen, bekämen Sie den Jungen, und zwar kampflos." Collin lachte abschätzig. "Eins muss ich Ihnen lassen. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so zielstrebig aufs Ganze gehen."

Suzanna war verwirrt. "Was meinen Sie damit?"

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"Geld, Miss Keating. Der Stoff, um den die Welt sich dreht. Ich hatte Sie unterschätzt, als ich annahm, Sie würden sich mit den drei Millionen des Jungen begnügen. Aber nein, das reicht Ihnen noch längst nicht. Sie wollen alles."

Jetzt war Suzanna klar, worauf Collin hinauswollte. Mühsam an sich haltend, erwiderte sie. "Sie denken, ich sei auf Logans Geld aus?"

"Auf seins und das des Jungen, Miss Keating. Aber finden Sie nicht, dass das Spielchen langsam fad wird?"

Wieder verstand Suzanna nicht, was der Alte meinte. Seine Miene wurde hart. "Ihre Schwester dachte, mit einer

geschickt angesteuerten Heirat hätte sie ausgesorgt, nicht wahr? Aber damit hat's leider nicht geklappt. Und auch Sie werden eine herbe Enttäuschung erleben. Sie sollten sich lieber damit abfinden, dass Sie mit Ihren hochfliegenden Plänen ebenfalls eine Bauchlandung machen."

"Ich habe überhaupt nichts geplant und es auch auf niemandes Geld abgesehen", versuchte Suzanna sich zu verteidigen. "Das einzige, was ich wollte ..."

Collin fiel ihr scharf ins Wort. "Die Bradfords lassen sich nicht ausnutzen, verstanden?"

Es tat weh, dass er so eine schlechte Meinung von ihr hatte, denn er war immerhin Logans Vater. Doch jetzt erkannte Suzanna, dass nichts ihn beschwichtigen würde, ganz gle ich, was sie sagte.

"Worauf wollen Sie hinaus, Mr. Bradford?" fragte sie beherrscht.

"Ich möchte, dass Sie aus unserem Leben verschwinden ... für immer. Verlassen Sie auf der Stelle dieses Haus und hören Sie auf, Logan nachzulaufen."

"Aber mir wurde das Besuchsrecht zugesprochen. Ich habe die offizielle Erlaubnis des Richters, meinen Neffen zu besuchen."

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"Das interessiert mich nicht. Dieses Haus gehört zu Mattashaum, und ich will Sie hier nicht haben. Mehr noch, ich verlange, dass Sie die Vormundschaftsklage fallen lassen."

"Ich soll die ... Sie befehlen mir ..." Suzanna fehlten die Worte.

"Sie haben gehört, was ich sagte. Ich will, dass Sie jeden Kontakt zu meinem Sohn und meinem Enkel abbrechen."

Eine eiskalte Hand schien sich um Suzannas Herz zu legen. "Hier geht es nicht nur um Sie und mich!" protestierte sie. "Sie haben kein Recht, so etwas zu verlangen."

"Ich habe jedes Recht", prahlte Collin. "Und wenn ich mich Ihren unerhörten Forderungen nicht

beuge und um Timmy kämpfe?" Collin lächelte zynisch. "Dann sollten Sie sich darauf

vorbereiten, dass Sie alles verlieren, was Sie besitzen, Missy." Suzanna fiel das Atmen schwer, und sie konnte den Alten nur

ungläubig ansehen. "Denken Sie darüber nach und wägen Sie ab, welche Folgen

Sie heraufbeschwören, wenn Sie uneinsichtig bleiben. Erstens werden Sie den Prozess verlieren, soviel steht jetzt schon fest. Zweitens werden Sie nicht nur auf Timmy verzichten müssen, sondern auch tausende Dollar Schulden haben. Vor Gericht zu gehen ist ein teurer Spaß, und ich habe die Absicht, das Verfahren so lange wie möglich in die Länge zu ziehen." Aus Collins Stimme sprach der blanke Hass. "Und sollte man Ihnen den Jungen aus irgendeinem Grund doch zusprechen, garantiere ich Ihnen, dass das für Sie ein trauriger Sieg sein wird."

Suzanna überlief ein Schauder, "Wie kann der Sieg traurig sein, wenn ich Timmy bekomme?"

Collin beugte sich vor. "Wenn Sie die Vormundschaft für meinen Enkel erhalten, sieht der Junge keinen Pfennig von seinem Geld."

Die Drohung entsetzte Suzanna. "Sie würden dem Jungen sein rechtmäßiges Erbe vorenthalten?"

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"Ohne mit der Wimper zu zucken, das versichere ich Ihnen." Kopfschüttelnd sagte Suzanna: "Das passt zu Ihnen. Aber Sie

scheinen nicht zu begreifen, Mr. Bradford. Timmys Geld ist mir gleichgültig, solange ich ihn nur bekomme."

"Und was, meinen Sie, wird der Junge später sagen, wenn er ohne einen Cent dasteht, Miss Keating?" Collin schien sie mit seinem Blick durchbohren zu wollen. "Glauben Sie wirklich, dass Sie drei Millionen Dollar wert sind?"

Verunsichert erwiderte Suzanna: "Aber dafür gebe ich Timmy meine Liebe, meine Fürsorge..."

"Ist ihre liebevolle Fürsorge so kostbar und einzigartig, dass sie die Armut wert ist, die sie Timothy zumuten? Sind Sie so von sich überzeugt, so egoistisch?"

Suzanna blickte auf das Meer hinaus und überlegte. Vielleicht hatte Collin recht. Vielleicht war es selbstsüchtig von ihr, zu unterstellen, dass Timmy ohne sie nicht auskam. Sie musste an sein Wohl denken und das tun, was das Beste für ihn war. Wenn Logan doch hier wäre, dachte sie verzweifelt.

Logan. Hoffnung keimte in Suzanna auf. Collin malte ihr Dinge aus,

die Logan niemals zulassen würde. In den letzten Wochen waren sie einander so nahegekommen ...

"Ich wünschte, Sie hätten mich so kennen gelernt wie Logan", sagte sie. "Er und ich haben einen Großteil der Probleme gelöst, die vor Gericht bestanden. Sie sprechen von Streitigkeiten, die längst ausgeräumt sind." Suzanna wrang die Hände und wollte Collin gestehen, dass sie seinen Sohn liebte, doch der feindselige Ausdruck in den grauen Augen des Alten verriet ihr, dass sie bereits zuviel gesagt hatte.

"Lassen Sie meinen Sohn in Ruhe! Das ist meine letzte Warnung. Verschwinden Sie aus seinem Leben und lassen Sie sich bei uns nie mehr blicken!"

Suzanna und Collin sahen sich an und fochten einen stummen Kampf aus, Keiner von beiden senkte den Blick.

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"Und wenn ich es nicht tue?" Suzanna wollte heraushören, wie weit Collin zu gehen bereit war.

"Wenn Sie es nicht tun, Miss Keating, und falls mein Sohn aus irgendeinem Grund töricht genug sein sollte, es wie sein Bruder zu machen ..." Collin schwieg und spielte seinen größten Trumpf aus, "wird Logan Mattashaum niemals von mir erben, das schwöre ich Ihnen."

Suzanna spürte, dass alles Blut aus ihrem Gesicht wich. "Das können Sie unmöglich ernst meinen."

"Nein? Und mit Mattashaum meine ich nicht nur das Anwesen, sondern auch alle Kapitalanlagen und Firmenbeteiligungen, die mir gehören, und da handelt sich um beträchtliche Werte."

Die Kapitalanlagen und Firmenbeteiligungen beeindruckten Suzanna nicht, aber dass Logan Mattashaum verlieren sollte . .. "Das Anwesen ist seit drei Jahrhunderten im Besitz Ihrer Familie", gab sie zu bedenken. "Wem würden sie es vererben, wenn nicht Logan?"

"Ich würde es an eine Baugesellschaft verkaufen und das Geld einer wohltätigen Vereinigung stiften. Seit Jahren rennen mir die Baufirmen die Bude ein."

"Aber Logan hängt an Mattashaum, an seiner Geschichte, seinen Umweltschutzprojekten." Suzanna war zum Weinen. "Verstehen Sie denn nicht? Mattashaum ist sein Leben, die Quelle, aus der er Kraft schöpft. Wie können Sie auch nur erwägen, es an eine Baugesellschaft zu verkaufen? Das würde Ihren Sohn umbringen."

Collins Miene zeigte einen zufriedenen Ausdruck. "Freut mich, dass sie begriffen haben, Miss Keating. End lich."

Nachdem Collin gegangen war, blieb Suzanna minutenlang wie gelähmt auf der Terrasse stehen. Seine Drohungen entsetzten sie, denn sie wusste, dass er die Macht besaß, sie wahrzumachen. Er hatte Logan die Leitung Mattashaums und seiner Firmenbeteiligungen übertragen, ihm seinen Besitz

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jedoch nicht überschrieben. Suzanna zweifelte nicht, dass Collin Ernst machen würde. Das hatte er schon einmal getan ... bei seinem anderen Sohn und dem Mädchen, das so vermessen gewesen war, diesen Sohn zu lieben. Auch diesmal würde Collin Sieger bleiben.

Suzanna blickte verloren über die Landschaft, die sie lieben gelernt hatte, doch jetzt bemerkte sie ihre Schönheit nicht.

Collin stellte Logan vor die gleiche Entscheidung wie vor fünf Jahren Harris. Doch diesmal kam Suzanna die Lage noch verzweifelter vor, denn es stand soviel mehr auf dem Spiel.

Was würde Logan tun? fragte Suzanna sich. War es möglich, dass er sich einfach über Collins Ultimatum hinwegsetzte? Rasch verbannte sie den Gedanken wieder. Sie würde keinen Seelenfrieden mehr finden, wenn Logan Mattashaum ihretwegen verlor.

Aber die Gefahr bestand sowieso nicht. Er würde nicht so töricht wie Harris sein, für die Frau, die er liebte, alles aufzugeben, Logan war älter, klüger, und er hing maßlos an Mattashaum. Im übrigen hatte er nie von Liebe gesprochen. Das an sich sagte bereits alles.

Suzanna ging ins Haus, doch Collins Abschiedsworte verfolgten sie. Jetzt lag alles ausschließlich in ihrer Hand, hatte er ihr zu verstehen gegeben. Und plötzlich begriff Suzanna. Logan brauchte von dem Ultimatum nichts zu erfahren, hatte Collin ihr sagen wollen. Er überließ es ihr, seinem Sohn die schmerzliche Wahl zu ersparen.

Ja, das war die einzig mögliche Lösung, entschied Suzanna. Logan liebte und achtete seinen Vater und tat alles, um sein Verhalten zu entschuldigen. Es war besser, Logan nicht wissen zu lassen, wie bösartig Collin sein konnte . .. selbst seinem inzwischen einzigen Sohn gegenüber. Eine so grausame Enttäuschung hatte Logan nicht verdient, der sich stets loyal hinter seinen Vater gestellt hatte.

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Suzanna zitterte am ganzen Körper. Sie würde gehen. Das war die einzig tragbare Lösung. Sie würde die Vormundschaftsklage zurückziehen und nicht mehr ins Sommerhaus kommen. Am schwersten würde es sein, Logan zu überzeugen, dass sie diese Entscheidung freiwillig getroffen hatte und voll hinter ihr stand. Im selben Augenblick wusste Suzanna, dass sie es nicht schaffen würde, Logan ihren Entschluss persönlich mitzuteilen.

Ein Brief. Ja, das war wohl das Beste. Im Wohnzimmerschreibtisch fand Suzanna eine Schachtel

mit Schreibpapier. Sie setzte sich, nahm einen Federhalter und begann zu schreiben.

In zuversichtlichem Ton erklärte sie, sie gebe den Kampf um Timmy auf, weil sie erkannt habe, dass Logan ihm ein guter Vater sein würde. Sie gestand ihm zu, dass er besser für Timmy sorgen könne als sie, und räumte ein, Timmy sei glücklich bei ihm und habe sich bei ihm bestens eingelebt. Zum Schluss erwähnte sie, sie liebe ihre Freiheit und wolle ihre Kräfte nun voll auf ihr Geschäft konzentrieren, eventuell auch ein wenig reisen.

Nur in einem Punkt beugte Suzanna sich Collin nicht. Sie brachte es einfach nicht übers Herz, sich ganz aus Timmys Leben zurückzuziehen. Sich von Logan und dem Sommerhaus fernzuhalten würde ihr schwer genug fallen, aber Timmy sollte auf keinen Fall in dem Glauben heranwachsen, sie hätte ihn verlassen. In einer Nachschrift erklärte Suzanna, ihr Anwalt werde sich mit Logan in Verbindung setzen und Zeiten aushandeln, zu denen sie Timmy sehen könne. Das würde Collin zwar nicht gefallen, aber in dieser Sache war Suzanna nicht bereit nachzugeben.

Als sie fertig war, steckte sie den Brief in einen Umschlag, klebte ihn zu und lehnte ihn an eine Schale auf dem Küchentisch, wo Logan ihn nicht übersehen konnte. Dann rief Suzanna in Bradford House an. Zu ihrer Erleichterung nahm die

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Wirtschafterin ab. Als Suzanna ihr mitteilte, sie müsse dringend fort, erbot Mrs. Travis sich wie erwartet sofort herüberzukommen und auf jeden Fall solange bei Timmy zu bleiben, bis Logan heimkomme.

Nachdem auch das erledigt war, ging Suzanna durch das Haus und sammelte ihre Sachen ein. Dabei versuchte sie, möglichst nicht über das Geschehene nachzudenken, weil der Schmerz sonst unerträglich geworden wäre.

Schließlich blieb Suzanna nur noch eins zu tun übrig. Einen Augenblick wartete sie an der offenen Tür zu Timmys Zimmer und sah zu, wieder Junge mit dem Welpen auf dem Teppich herumtollte, obwohl der Kinderfilm im Fernsehen noch lief.

"Tim?" Suzanna kam näher und stellte den Fernseher leiser. Der Junge setzte sich lachend auf und fuhr sich mit den

Fingern durch das zerzauste Haar. "Tim, ich muss heute zeitig in die Stadt zurück." Es fiel

Suzanna schwer, die nächsten Worte auszusprechen. "Und ich werde heute nacht auch nicht hier schlafen können."

Timmy blinzelte und verarbeitete die Mitteilung. "Okay", erwiderte er fröhlich und angelte nach einem roten Ball, den Buddy unter das Bett gestoßen hatte.

"Ich komme aber bald wieder." Das Kind lächelte vertrauensvoll. "Ich weiß", sagte Timmy. Suzanna hatte das Gefühl, ihr müsse das Herz brechen. In diesem Moment wurde die Kuchentür geöffnet, und Mrs.

Travis meldete sich. Suzanna blinzelte die Tränen fort und richtete sich auf. Es war Zeit, zu gehen.

Während der ganzen Fahrt vom Werk nach Hause pfiff Logan gutgelaunt vor sich hin. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er sich das letzte Mal so lebendig und beschwingt gefühlt hatte. Die Umsätze waren gestiegen, der Herbst, seine liebste Jahreszeit, stand vor der Tür, und, was am schönsten war, zu Hause warteten die beiden Menschen auf ihn, die er liebte.

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Etwas zu stürmisch lenkte er den Wagen über die Auffahrt und bremste scharf vor der Haustür. Beim Gedanken, Suzanna gleich zu sehen, lächelte er erwartungsvoll. Er liebte ihren Mund, ihre rauchgrünen Augen, ihr ansteckendes Lachen, ihr lebenssprühendes Wesen ...

Plötzlich verschwand Logans Lächeln. Suzannas Lieferwagen war nicht da, und an seiner Stelle stand Mrs. Travis' blauer Chevrolet. Logan versuchte sich einzureden, dass das kein Grund zur Beunruhigung sei, dennoch nahm er die Stufen in einem Satz.

"Suzanna?" Ein ungutes Gefühl überkam ihn, noch ehe er den Umschlag auf denn Tisch entdeckte.

"Miss Keating ist fort", sagte Mrs. Travis, die ihm durch das Wohnzimmer entgegenkam. "Ich weiß zwar nicht, warum sie weggefahren ist, aber dort drüben hat sie Ihnen eine Nachricht hinterlassen, Mr. Bradford."

Fassungslos überflog er den Brief. Was sollte das? Warum wollte Suzanna die Vormundschaftsklage zurückziehen? Timmy bedeutete ihr mehr als ihr Leben. "Das ergibt keinen Sinn", sagte Logan leise vor sich hin.

Er las die Zeilen noch einmal, dann ging er ans Fenster und blickte starr hinaus. Schuldgefühle überkamen ihn. Er hatte längst mit Suzanna reden, ihr sagen sollen, dass er die Absicht hatte, auf eine gerichtliche Auseinandersetzung zu verzichten, um sich mit ihr auf einen Kompromiss zu einigen. Warum hatte er sich die ganze Zeit über um eine Erklärung herumgedrückt, als erwarte er, Suzanna könne Gedanken lesen?

"Verflixt!" Logan stürzte zum Telefon, um sie anzurufen, doch auf einmal hielt er inne. Er verstand nicht, weshalb sie so plötzlich gegangen war. Sie wäre blind, wenn sie nicht gemerkt hätte, was sie ihm bedeutete, dass seine ganze Einstellung sich geändert hatte. Aber Suzanna war nicht blind.

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Nein, etwas anderes musste aufgetaucht sein, das sie zu diesem seltsamen Verhalten bewogen hatte. Etwas . . oder jemand.

In Rekordgeschwindigkeit erreichte Logan Bradford House. "Collin!" Zielstrebig schritt er den dämmrigen Korridor

entlang. "Was soll der Lärm?" rief der Alte aus dem Esszimmer. Logan betrat den Raum, dabei ließ er im Vorbeigehen Rollos

hochschnellen. Collin saß am Kopfende des langen Mahagonitisches und sah

Logan erstaunt an. Grußlos zog Logan einen Stuhl hervor und setzte sich. "Ich

will eine Erklärung", forderte er. Betont langsam ließ Collin den Suppenlöffel sinken. "Eine

Erklärung? Wofür?" "Für das hier." Logan warf seinem Vater Suzannas Brief über

den Tisch zu. Collin blickte von dem Brief zu Logan, dann wieder auf den

Brief. Um seine Lippen spielte ein schwaches Lächeln. "So, so." Das Lächeln vertiefte sich. "Ich muss sagen, es tut gut, endlich mal wieder eine Runde zu gewinnen."

Logan ließ die Faust so heftig auf den Tisch krachen, dass Collins Suppe überschwappte. "Und was für eine Runde hast du gewonnen, Vater? Los, raus mit der Sprache. Ich will es wissen."

Gelassen wischte Collin sich den Mund mit der Serviette ab und legte sie neben die Suppenschale. "Den Kampf um den Jungen natürlich. Deswegen haben wir uns doch auf den Wettstreit mit Suzanna Keating eingelassen, oder etwa nicht?"

"Nein, Vater. Aber bei dir weiß man ja nie, woran man ist." Entrüstet stand Collin auf. "Würdest du mir bitte erklären,

was du damit meinst?" Logan überlegte. Vielleicht war es Zeit, jemand sagte Collin

einmal gehörig die Meinung. Doch dann verzichtete Logan

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darauf. Was würde er damit erreichen, außer dem alten Herrn weh zu tun?

"Warum hast du Suzanna vertrieben?" fragte Logan statt dessen.

"Ich? Ich habe gar nichts getan." "Womit, Vater? Geld kann es nicht gewesen sein, denn auf

eine so plumpe Bestechung würde Suzanna nicht hereinfallen." "Ach, lass die Sache ruhen." Collin machte eine abwehrende

Handbewegung und begann hin und her zu gehen. "Freu dich doch, dass sie den Kampf aufgegeben hat und gegangen ist. Jetzt wird unser Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen."

Logan presste die Handflächen auf die Schenkel und wählte seine nächsten Worte sehr vorsichtig. "Ich habe eine Neuigkeit für dich, Collin. Ich denke nicht daran zuzulassen, dass Suzanna aus meinem Leben verschwindet."

Unvermittelt blieb Collin stehen. "Was soll das heißen?" "Ich fürchte, dein zweiter Sohn hat sich ebenfalls in ein

Keating-Mädchen verliebt. Ich liebe Suzanna. Ja, ich liebe sie, und bis eben wusste ich noch nicht, was daraus werden soll. Ich war zu sehr damit beschäftigt, für uns alle einen Weg zu finden, für Suzanna, dich und mich, und uns alle glücklich zu manchen. Vielen Dank, dass du mir geholfen hast, meine Gedanken zu ordnen und endlich eine Entscheidung zu treffen."

Collin tastete nach seinem Stuhl und setzte sich unsicher. "Was willst du damit sagen, mein Sohn?"

"Gratuliere mir. Vater. Ich werde heiraten ... wenn Suzanna mich haben will, heißt das." Er sah, dass Collins Gesicht sich rötete und ein zorniges Funkeln in seine Augen trat.

"Was habe ich nur getan, um mit zwei solchen Söhnen bestraft zu werden? Man heiratet nicht aus Liebe. Hast du das mit deinen zweiunddreißig Jahren immer noch nicht begriffen? Hast du nicht gesehen, was mit Harry passiert ist? Liebe macht blind. Sie raubt einem Mann das Urteilsvermögen und führt ihn ins Verderben."

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Jetzt konnte Logan nicht mehr an sich halten. "Das musst du ja wohl wissen."

Diesen Schlag unter die Gürtellinie nahm Collin tief durchatmend hin. "Ja, ich weiß es. Deshalb kann ich nicht zulassen, dass du den gleichen Fehler begehst." Er beugte sich vor und streckte beschwörend die Hand aus. "Deshalb musst du dir eine Frau aus deinen Kreisen suchen, Logan. Eine, bei der du sicher sein kannst, dass sie dich nicht des Geldes wegen heiratet."

Aufgebracht trommelte Logan mit den Fingern auf die Tischplatte. "Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich Cecily nicht liebe?"

"Das ist gut. Wenn du sie nicht liebst, kann sie dir auch nicht auf der Nase herumtanzen. Genau das versuche ich dir ja klarzumachen. Leute wie wir müssen die Vernunft sprechen lassen, wenn sie ans Heiraten denken. Romantische Liebe mag für den einfachen Mann auf der Strasse in Ordnung sein, für uns gelten andere Maßstäbe. Bei uns würde eine solche Gefühlsduselei nur Schaden anrichten."

Gern hätte Logan geglaubt, dass Collin nur aus Sorge um sein Wohlergehen so sprach, doch er kannte seinen Vater zu gut.

"Beantworte mir eine Frage." Logan faltete die Hände und legte sie langsam auf den Tisch. "Was ist, wenn ich deinen Rat nicht annehme? Wenn ich mich weiter mit Suzanna treffe?"

Collin sah ihn starr an, und einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann begann sich ein Lächeln auf seinem Gesicht auszubreiten, das Logan einen Schauder über den Rücken jagte.

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12. KAPITEL Das Zimmer, in dem Suzanna erwachte, kam ihr seltsam

fremd vor. Dabei war es erst zwei Wochen her, seit sie hier zum letzten Mal übernachtet hatte. Doch inzwischen fühlte sie sich an einem anderen Ort heimisch ... in dem Haus, in dem sie sich gewünscht hätte, den Rest ihres Lebens zu verbringen.

Ihr Apartment kam Suzanna doppelt fremd vor, weil jetzt kein Welpe mehr bellte, um hinausgelassen zu werden, keine lebhafte Kinderstimme mehr durch die Räume schallte. Nichts war mehr wie früher.

Suzanna versuchte sich einzureden, dass das Alleinleben auch seine Vorteile hätte. Sie kleidete sich an und aß, ohne gestört zu werden, und staunte, wie rasch ihr die Arbeit von der Hand ging, nachdem sie sich nicht mehr um das Kind zu kümmern brauchte. Ihr Tag verlief sehr viel weniger hektisch, weil sie nicht länger bemüht sein musste, die Arbeit von acht Stunden in vier zu erledigen, um mittags zum Sommerhaus hinausfahren zu können.

Ja, allein und ohne die Verantwortung für ein Kind war sie viel besser dran, sagte Suzanna sich zum xten Mal. Sie hatte so lange für andere gesorgt, dass sie fast verlernt hatte, nur für sich dazusein.

Suzanna bezweifelte nicht, dass es auch Timmy besser ging. Logan hatte ihrem Neffen nur das Beste zu bieten, eine

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erstklassige Erziehung, ein schönes Zuhause, ein väterliches Vorbild, Charakterstärke und bleibende Werte.

Und dann waren da natürlich auch noch Timmys drei Millionen Dollar. Im Vergleich zu dem vielen Geld, das dem Jungen einmal gehören würde, wog Suzannas Liebe und Fürsorge nur gering. Mit dem Vermögen im Hintergrund würde er später ein Leben ganz nach seinen Vorstellungen führen können, versuchte Suzanna, sich zu beruhigen. Und von Logan empfing der Kleine ebensoviel Liebe wie von ihr.

Auch für Logan war es das Beste, dass sie aus seinem Leben verschwunden war. So würde er irgendwann Mattashaum erben, das ihm zustand. Er würde eine andere Frau finden, die besser zu ihm passte, eine Frau, die er lieben und heiraten konnte ... und die auch Collins Segen hatte.

Suzanna fuhr sich müde über die Augen. Mit der Lösung, die sie gewählt hatte, war allen gedient.

Doch Timmy und Logan fehlten Suzanna schon jetzt schrecklich, erkannte sie, als sie am Abend nach getaner Arbeit die Treppe zu ihrem stillen Apartment hinaufging. Würde das Bewusstsein, richtig gehandelt zu haben, ihr je über die schmerzliche innere Leere hinweghelfen?

Suzanna betrat die Küche und öffnete eine Dose Suppe, um sie heiß zu machen. Beim Essen las sie die Zeitung, doch ihre Gedanken schweiften unweigerlich zu Logan. Was mag er gerade tun? fragte sie sich unglücklich. Ob er auch an sie dachte?

Wahrscheinlich nicht. Über vierundzwanzig Stunden waren verstrichen, seit Suzanna ihm den Brief auf dem Küchentisch hinterlassen hatte, doch Logan hatte nicht einmal angerufen. Es berührte ihn also offenbar nicht weiter, dass sie gegangen war.

Schritte auf der Seitentreppe rissen Suzanna aus ihren düsteren Überlegungen. Gleich darauf klingelte es an der Tür. Neugierig ging Suzanna ans Fenster, um zu sehen, wer sie unangemeldet besuchen kam.

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Als sie erkannte, wer auf der Veranda stand, begann ihr Herz schneller zu schlagen, und die widersprüchlichsten Gefühle stürmten auf sie ein.

"Kommt rein." Suzanna ließ Logan und Timmy in die Küche. Buddy folgte den beiden schwänz wedelnd.

"Hallo, mein Schatz." Suzanna zog Timmy in die Arme, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.

"Tante Sue! Du drückst mich zu fest", sagte der Junge und kicherte.

"Entschuldige." Sie gab ihn frei und richtete sich auf. Endlich fand sie auch den Mut, sich Logan zuzuwenden. Sekundenlang sahen sie sich stumm in die Augen. Suzanna waren die Stunden der Trennung wie eine Ewigkeit vorgekommen, und sie konnte den Blick nicht von ihm lösen.

Logan trug eine Sporthose und ein Hemd, das er selbst gebügelt zu haben schien. Er war frisch rasiert, hatte sich jedoch an drei Stellen geschnitten, und sein immer noch leicht feuchtes Haar war zerzaust. Dennoch war er der aufregendste Mann, der Suzanna je begegnet war, und sie hätte sich am liebsten in seine Arme geworfen.

Doch davon ließ Suzanna sich nichts anmerken. "Hallo, Logan", begrüßte sie ihn und fragte sich, warum er gekommen war.

Er nickte. "Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir eine Weile bleiben?"

"Natürlich nicht. Setzt euch. Habt ihr schon gegessen?" Logan zuckte die Schultern. "Wir haben erst spät Mittag

gemacht." "Ich kann etwas aus dem Laden heraufholen", erbot Suzanna

sich. "Marie hat eine Lasagne mehr gemacht." Logan lächelte, erst schwach, dann strahlte er. "Klingt super." Beschwingt stellte Suzanna ihre fade Suppe beiseite und

erhitzte im Mikrowellenherd eine herzhafte Mahlzeit, während

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ihre beiden Männer den Tisch deckten. Eine Flasche Wein wurde geöffnet, und sie setzten sich an den Tisch.

"Und was führt euch her?" Suzanna wusste, dass die Frage sich erübrigte. Logan kam natürlich wegen ihres Briefes. Er war dankbar, Timmy ohne langwierigen Kampf bekommen zu haben. Jetzt wollte Logan mit ihr vermutlich die Besuchsregelung besprechen.

"Ich möchte dich um einen Gefallen bitten." Er legte die Gabel nieder und trank langsam einen Schluck Wein.

Suzannas Neugier regte sich. "Schieß los." "Hast du ein Apartment zu vermieten?" Das war das letzte, was sie erwartet hatte. "Nein. Warum

fragst du?" "Nun..." Logan rieb sich das Kinn und wandte den Blick an.

"Timmy und ich sind auf Wohnungssuche." Er sprach gelassen, doch als er sich Suzanna wieder zuwandte, sah sie den resignierten Ausdruck in seinen Augen und begriff.

Sie wagte kaum zu atmen. Gebannt sahen sie sich an, und zwischen ihnen fand ein stummes Frage- und Antwortspiel statt.

Logan brach als erster den Blickkontakt. "Wir sprechen später darüber, einverstanden?"

Suzanna nickte nur, weil sie zu durcheinander war, um sprechen zu können.

Bis Timmy in seinem gewohnten Zimmer im Bett lag, hatte Suzanna das Gefühl, jeden Moment aus einem wunderbaren Traum aufzuwachen.

Als sie und Logan endlich allein waren und im Wohnzimmer auf dem Sofa saßen, fragte sie vorsichtig: "Was ist denn passiert?"

In der nächsten halben Stunde berichtete Logan, was geschehen war. Wie er den Brief gefunden hatte. Von seiner Auseinandersetzung mit Collin und dem Ultimatum seines Vaters.

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"Anfangs war ich außer mir, dass er es bei mir mit derartigen Taktiken versucht", gestand Logan. "Schließlich hatte ich oft genug miterlebt, wie er mit anderen umsprang. Aber bisher war ich immer der Meinung gewesen, wir verstünden uns und hingen aneinander. Jetzt ist mir jedoch klargeworden, dass du recht hast. In Wirklichkeit ist Collin nur ein herrschsüchtiger alter Mann, der andere in die Knie zwingen will."

"Das tut mir leid. Ich wollte nicht recht haben. Wirklich nicht."

Logan schenkte Wein nach und setzte sich so zurück, dass sein Arm auf der Sofalehne lag und Suzannas Schultern berührte. "Nachdem mein erster Zorn verraucht war, versuchte ich, Collin ins Gewissen zu reden, ihn dazu zu bringen, sich endlich objektiv zu sehen. Ich sagte ihm, er verhalte sich so, weil die Menschen, die er liebte, ihn verlassen hätten . .. erst sein Vater, dann seine Frau, später Harris. Er solle wissen, dass ich ihn verstünde, denn letztlich wolle er wie jeder andere geliebt werden. Er müsse jedoch erkennen, dass er mit seinem Verhalten genau das Gegenteil erreiche und andere mit finanziellen Drohungen und Bestechung nicht an sich binden könne."

Logan sah Suzanna an und küsste sie zärtlich. Sie schmiegte sich an ihn und strich mit den Fingerspitzen über das Hemd, unter dem sie seinen Herzschlag spüren konnte.

"Ich habe Collin so taktvoll wie möglich begreiflich zu machen versucht, dass er sich mit seiner Starrköpfigkeit selbst das Leben vergällt", fuhr Logan fort. "Es ist sein größter Fehler, sich in etwas zu verrennen und keinen Deut nachzugeben. Damit macht er sich nur unnötig das Leben schwer und leidet. Er steht sich mit seinem törichten Stolz selbst im Weg."

Logan fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. "Alles das wollte ich ihm gestern bewusst machen, aber da war ich so außer mir, dass ich unterlassen habe, ihm das Ganze taktvoll beizubringen. Ich habe ihm gesagt, er hätte seine Ehe retten

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können, wenn er sich nicht so unversöhnlich gezeigt hätte. Und auch mit Harris Heirat hätte er sich abfinden müssen. Du meine Güte, wir haben uns um die besten fünf Jahre in Harris Leben gebracht! Und warum? Weil wir nicht zugeben wollten, dass wir möglicherweise unrecht hatten."

Suzanna hob den Kopf und blickte Logan an. "Wir?" "Ja, wir. Es ist unentschuldbar, dass ich Harry nicht

unterstützt, ihn nicht einmal besucht und seine Frau näher kennen gelernt habe. Wenn sie auch nur ein bisschen wie du war ..." Logan verstummte, und in seine Augen trat ein schmerzlicher Ausdruck, "Ich hätte ihnen das Leben so viel leichter machen können, Suzanna. Und ich wäre dagewesen, als Timmy geboren wurde."

Sie richtete sich auf und nahm sein Gesicht in beide Hände. "Bitte hör auf mit den Selbstvorwürfen. Es war nicht deine Schuld. Collin hat den Bruch herbeigeführt. Und Harris mit seinem Dickschädel hat die Situation auch nicht gerade entschärft."

Logan schüttelte den Kopf und sah Suzanna unglücklich an. "Ich habe sehr an ihm gehangen."

Sanft strich sie Logan über das Haar. "Das weiß ich." "Er war so ein intelligenter, liebenswerter Junge, obwohl er

uns mit seinen haarsträubenden Ideen manchmal ganz schön auf die Palme gebracht hat."

"Auch davon habe ich gehört." "Aber er war so warmherzig, so lebenshungrig." "Falls es dich tröstet, Logan, Harris hat nie aufgehört, dich zu

bewundern. Und zu lieben", setzte Suzanna hinzu, "Sicher, eine Weile war er wütend. Wenn er jedoch später von dir sprach, dann immer voller Liebe."

"Danke." Logan schluckte krampfhaft. Suzanna küsste ihn auf die Stirn. "Um auf Collin

zurückzukommen, sicher ist das meiste von dem, was du gesagt hast, bei ihm auf taube Ohren gestoßen."

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"Das meiste? Alles." "Das ist wohl normal. Von einem gewissen Alter an fällt es

einem offenbar schwer, sich selbst objektiv zu sehen, besonders wenn man kritisiert wird."

"Ja, da muss ich dir recht geben, Suzanna. Im Alter ändert man sich nicht mehr. Gestern musste ich erfahren, dass Collin bei mir genauso unerbittlich ist wie bei allen anderen. Und warum?" Logan lehnte sich zurück und presste die Lippen zusammen. "Warum hat der alte Narr seinen einzigen Sohn und seinen Enkel vertrieben? Weil er eine absolute Garantie haben will, geliebt zu werden. Deshalb ist mir der Entschluss zu gehen auch so schwergefallen. Nicht, weil ich Mattashaum verliere, sondern weil ich an Collin hänge und der alte Starrkopf das nicht mal weiß."

Suzanna litt mit Logan. Sie zog ihn an sich und legte die Arme um seine Taille. Minutenlang hielten sie sich umfangen und sprachen kein Wort.

Als Suzanna nach einer Weile spürte, dass Logan sich besser fühlte, stand sie auf und zog ihn auf die Füße. "Wie war's mit einer Tasse Kaffee?"

"Klingt gut." Logan folgte Suzanna in die Küche, wo sie zwei Tassen einschenkte und ihm eine reichte.

"Und jetzt bist du hier." Suzanna lehnte sich an die Anrichte und blickte Logan unsicher an.

"Ja, ich bin hier", erwiderte er lächelnd. "Ebenso obdachlos wie Harris vor fünf Jahren." Er stellte die Tasse ab, legte den Arm um Suzanna und zog sie an sich. "Und genauso wahnsinnig verliebt."

"Verliebt?" wiederholte Suzanna ungläubig. Logan nickte, und seine Augen leuchteten. "Bis über beide

Ohren. Und deshalb ..." Er holte ein kleines blaues Samtetui aus der Hosentasche und öffnete es.

Fassungslos blickte Suzanna auf einen großen Diamant-Verlobungsring. Logan wollte ihn aus dem Samtbett

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herausnehmen, doch sie legte rasch die Hand darüber. Logans Absicht machte sie sehr glücklich, aber das durfte sie nicht zulassen.

"Nein. Bitte nicht." Als er verständnislos reagierte, fügte sie hinzu: "Du musst nach Mattashaum zurückkehren. Was ihr beide, du und Timmy, meinetwegen aufgeben müsstet, bin ich nicht wert. Sieh mich doch an. Schau dich um. Nimm Vernunft an und denke nach."

"Das habe ich getan!" In Logans Augen trat ein warmer Glanz. "Und ich war noch nie so sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, Suzanna." Mit dem Handrücken streichelte er ihre Wange. "Erst die Liebe gibt dem Leben einen Sinn. Das müsstest du doch auch wissen, denn du hast es mich gelehrt."

Logan nahm den Ring aus dem Etui und ergriff Suzannas linke Hand. "Ich liebe dich und kann mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Willst du meine Frau werden, Suzanna?"

Sie hielt sich an Logan fest, weil ihr vor Glück schwindlig wurde. Ihn heiraten? Gemeinsam mit ihm durchs Leben gehen? Sie öffnete die Lippen, brachte jedoch keinen Ton hervor.

Logan schien ihr Schweigen falsch zu verstehen, denn er fuhr rasch fort: "Ehe du antwortest, sollte ich dir sagen, dass es uns auch ohne Mattashaum recht gut gehen wird. Bradford Energy Systems ist ein blühendes Unternehmen und wächst ständig weiter." Er lächelte. "Im Laufe der Jahre habe ich geschickt geplant und investiert. Jetzt trägt die Saat reiche Früchte."

"Mein Party-Service hat sich auch beachtlich vergrößert." Suzanna lächelte wissend, weil sie vermutete, dass Logan ihr mehrere neue Kunden geschickt hatte.

"Na, bitte. Es wird uns also bestens gehen." In Logans Blick lag seine ganze Liebe. "Wie lautet deine Antwort also?" fragte er hoffnungsvoll.

Suzanna lächelte. "Glaubst du wirklich, meine Entscheidung hinge von deiner Finanzlage ab?"

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"Nun, ich ... nein, aber..." "Ja", antwortete Suzanna schlicht. Logan schwieg und sah sie verunsichert an. "Was, ja?" "Ja. Okay." Suzanna lachte hilflos. "Lass uns heiraten." "Du meinst es ernst?" Tränen des Glücks traten Suzanna in die Augen. "Von

ganzem Herzen." Logan atmete auf. Mit unsicheren Händen streifte er ihr den

Ring über den Finger und zog ihre Hand an die Lippen. "Du machst mich zum glücklichsten Mann der Welt", sagte

er leise. Im nächsten Moment lag Suzanna in seinen Armen, und sie küssten sich leidenschaftlich.

Die Hochzeitsvorbereitungen erfüllten die nächsten Tage mit freudiger Erwartung. Logan und Suzanna hatten sich für eine Trauung im kleinen Kreis in der Kapelle von Suzannas Gemeindekirche und einen anschließenden bescheidenen Empfang im Bürgersaal entschieden. Marie, die selbst drei Töchter verheiratet hatte, machte sich mit wahrem Feuereifer an die Planung heran.

Timmy war so aufgeregt, dass er abends kaum einschlafen konnte.

"Werden wir wirklich alle drei im selben Haus wohnen?" fragte er immer wieder, und jedes Mal konnten Suzanna und Logan ihm strahlend versichern, sie seien jetzt eine Familie, und nichts und niemand könne sie mehr trennen.

Eines Abends, zwei Tage vor der Hochzeit, schaute Suzanna von den Glöckchen auf, die sie mit Pfefferminz füllte und in Tüll hüllte, und bemerkte, dass Logan stirnrunzelnd ins Leere blickte. Die Reisekataloge, in denen er geblättert hatte, lagen vergessen auf dem Couchtisch.

"Logan?" Er hob den Kopf. "Ja?" Suzanna zögerte. "Du siehst so nachdenklich aus. Bereust du

die Entscheidung?"

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"Himmel, nein." Logan biss die Zähne zusammen. "Ich musste nur gerade an meinen Vater denken. Wie schön wäre es, wenn er an unserem Glück teilhaben könnte."

Suzanna zupfte ein Tüllglöckchen zurecht. "Ja, es ist traurig, dass er sich selbst um diese Freude bringt. Er ist allein in Bradford House und scheint nicht sehr ..." Sie brauchte Logan nicht zu sagen, dass Collin alt und krank war und vermutlich nicht mehr lange zu leben hatte.

"Logan, ich ... habe ihm eine Einladung geschickt", gestand Suzanna.

Logan schwieg. "Du bist mir deswegen doch hoffentlich nicht böse?" Er lächelte belustigt. "Ich habe ihm auch eine geschickt." Beide lachten. "Aber da ist noch etwas anderes." Suzanna setzte sich zu

Logan. "Ich habe ein paar persönliche Zeilen angefügt." Wieder sah er sie jungenhaft lächelnd an. "Und was hast du

ihm mitgeteilt? Wenn du es mir verrätst, sage ich dir auch, was ich dazu geschrieben habe."

"Ach, Logan." Lachend kuschelte Suzanna sich an ihn. "Es war nicht viel. Nur, dass Liebe wie ein Lichtstrahl ist, den man auf einen Spiegel richtet." Ihre Wangen wurden heiß. "Und: Je mehr Liebe man gibt, um so mehr erhält man zurück."

Logan nickte. "Ich habe ihn an die Eiche erinnert, die den Sturm nicht übersteht, weil sie sich nicht beugt. Armer Collin."

"Armer Collin", gab Suzanna Logan recht. "Mein Spiegel und deine Eiche sollen ihm dasselbe sagen."

Sie lächelten beide, doch dann wurde Logan plötzlich ernst. "Trotzdem wird Collin nicht kommen. An dem Tag, an dem

wir die entscheidende Auseinandersetzung hatten, habe ich alle Register gezogen, aber es half nichts. Da wird er auf zwei Einladungen mit verschlüsselten Botschaften auch nicht reagieren, Suzanna."

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Sie ergriff seine Hände und drückte sie zuversichtlich. "Vielleicht nicht heute oder nächste Woche oder nächsten Monat, aber irgendwann werden wir Collin umstimmen. Gemeinsam schaffen wir alles."

Logan zog sie an sich. "Du bist wunderbar, weißt du das?" Suzanna schmiegte sich an ihn. "Ich bin so unglaublich

glücklich, Logan." Flüsternd fügte sie hinzu: "Manchmal bekomme ich es richtig mit der Angst zu tun, weil ich denke, soviel Glück kann nicht von Dauer sein."

Er strich ihr beruhigend über das Haar. "Es wird von Dauer sein, das verspreche ich dir. Dies ist erst der Anfang, mein Liebling." Logan besiegelte sein Versprechen mit einem Kuss.

Suzanna wurde bewusst, dass das Küchentelefon klingelte. Dann hörten sie leichte Schritte auf den Fliesen.

"Timmy geht an den Apparat", flüsterte Suzanna. Widerstrebend gab Logan sie frei. "He, Partner." Der Junge hüpfte ins Wohnzimmer, gefolgt vom

schwänzwedelnden Buddy. Lächelnd sah Suzanna zu, wie Timmy sich auf Logans

Schoss setzte. "Du bist jetzt wirklich schon ein großer Junge, der Telefonanrufe allein entgegennimmt", lobte sie und tätschelte den Arm des Kleinen. "Oder hast du wieder aufgelegt?"

"Nee." Timmy legte den Arm um Buddy und machte es sich mit seinem Spielgefährten zwischen seinen neuen Eltern bequem.

"Hast du gesagt, du würdest mich an den Apparat holen?" "Ja." "Gut gemacht." Suzanna wollte aufstehen, aber Logan hielt

sie zurück. "Bleib sitzen, Liebling, ich gehe ran. Du warst den ganzen

Tag auf den Beinen und hast schwer gearbeitet. Hast du gefragt, wer der Anrufer ist, Timmy?"

"Ja."

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Als Logan Timmy fragend anblickte, fügte der Junge hinzu: "Es ist Grandpa."

Wie vom Donner gerührt sahen Suzanna und Logan sich einen Augenblick an, dann stürzten sie zum Telefon.

- ENDE -