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Von anderen lernen Ökumenische Weite – Interview mit Frère Alois aus Taizé Heimat für Grenzgänger – Ein spirituelles Zentrum auf evangelischer Grundlage Pro und Contra – Ist Kirche lernfähig? www.kirchefuermorgen.de Was Kirche für morgen heute bewegt 2.2009

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Von anderen lernen

Ökumenische Weite – Interview mit Frère Alois aus Taizé

Heimat für Grenzgänger – Ein spirituelles Zentrum auf evangelischer Grundlage

Pro und Contra – Ist Kirche lernfähig?

www.kirchefuermorgen.de

Was Kirche für morgen heute bewegt

2.2009

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Liebe Leserinnen und Leser, Lernen im Spannungsfeld von Anpassung und WiderstandVon anderen zu lernen ist notwendig und weiterführend. Dennoch bleiben wir oft gerne beim Alten und Bekannten. Wie Lernen vonein-ander sinnvoll funktionieren kann, zeigt Christoph Th. Scheilke.

Leicht ist es und schwer zugleich, von anderen zu lernen. Kinder brauchen an-dere Menschen um lernen zu können, zu-erst Eltern und Geschwister. Dann als Ju-gendliche benötigen sie Ideale und Vor-bilder – moderne Heilige à la Bonhoeff er, Martin Luther King, Mutter Teresa oder „local heroes“. Kinder wachsen am ande-ren. Sie müssen von anderen lernen. Menschenbildung geschieht dabei in einem ständigen Wechsel von Anpassung und Widerstand. Dieser Wechsel ist wich-tig. Nachahmen allein bringt auf Dauer nichts – wir müssen auch eigene Hand-lungsmöglichkeiten entwickeln, durch die wir uns abgrenzen.

Andersheit annehmen fällt schwerVom anderen zu lernen ist aber auch

schwer. Man muss ihn nämlich anders sein lassen. Mein Gegenüber immer nur an mich angleichen zu wollen, verringert die eigenen Lernmöglichkeiten. „Erst wenn der Einzelne den Anderen, in all seiner Anderheit, als sich, als den Men-schen erkennt und von da aus zum An-deren durchbricht, wird er, in seiner strengen und verwandelnden Begeg-nung, seine Einsamkeit durchbrochen haben.“(Martin Buber, Das Problem des Menschen, Heidelberg 1954, 163 f.)

Wie schwer es fällt, von anderen zu ler-nen, zeigen die letztjährigen Entwick-lungen im deutschen Schulwesen. Da gibt es schon seit langem hervorragend arbeitende Schulen. Durch den seit 2006 verliehenen Deutschen Schulpreis hat sich ein Netzwerk exzellenter Schulen ge-bildet. Trotzdem arbeitet die große Mehr-heit der Schulen meist vor sich hin. Das in der Vergangenheit gültige „Schema F“ macht’s leicht – da kann man ja angeblich nichts falsch machen. Man macht es eben wie die anderen. Das Problem jedoch ist: Keine Schule gleicht wirklich der anderen, jede ist einzigartig.

Schulen lernen voneinander, indem sie auf die Unterschiede Acht geben. Gleich-macherei auf der Ebene von Zielen oder Verfahren funktioniert hier nicht. Es gibt z.B. Best-practice-Beispiele dafür, dass individuellere Lernmethoden an Schulen gut funktionieren können. Unter altherge-brachten Bedingungen damit anzufangen ist aber nicht sehr sinnvoll. Wie genau es in der eigenen Einrichtung gehen könnte, muss jede Schule für sich herausfinden.Man muss den entscheidenden Grund, warum etwas woanders funktioniert, be-griffen haben und dann nach ähnlich Er-folg versprechenden Maßnahmen für die

„Wir können alles außer Hochdeutsch“… das ist die etwas ironisch ge-meinte Selbsteinschätzung in einer Werbekampagne für das Land Baden-Württemberg. Wie ist das mit unserer Kirche? – beson-ders unserer württembergischen evangelischen Landeskirche?Manchmal gewinnt man den Ein-

druck, dass die württembergisch-schwäbische Be-scheidenheit in der Kirche besonders oft gepaart mit einer Form von Selbstgenügsamkeit auftritt. „Mir brauchet nix“.

Wir können alles – zumindest besser als die ande-ren:• Da ist das Papier „Kirche der Freiheit“ eigentlich

nur für die nördlichen und östlichen Landeskir-chen geschrieben. Im Süden – da ist alles bes-ser.

• Da erlebt man Aufbrüche in und außerhalb unserer Landeskirche – aber wir wissen sehr schnell, wie theologisch fragwürdig manche Positionen sind, und deshalb können wir auch gleich das Kind mit dem Bade ausschütten.

• Da erleben wir, wie immer mehr Menschen – gera-de auch junge! – nach Gott fragen, aber in unserer Landeskirche keine Heimat finden – und dennoch ist das für uns kein Grund zu fragen: Was müssen wir an unserer Kirche verändern? „Von anderen ler-nen“ – das ist die einzige Chance den eigenen Ho-rizont zu erweitern! Fremdes sich zu Eigen ma-chen: genau so geschieht lernen. Indem wir Frem-des kategorisch ablehnen – bleiben wir bei dem, was wir schon immer waren.

• Wir nehmen wahr, wie es in anderen Ländern Auf-brüche innerhalb von Kirchen gibt – auch in der guten alten anglikanischen Kirche. Aber wie schnell sind wir dabei, das dann wieder abzutun mit den berühmten sechs Worten: „Das geht bei uns so nicht.“

Christsein besteht wesentlich darin, unterwegs zu sein, unterwegs sein wie das Volk Israel, unterwegs sein wie Jesus selbst mit seinen Jüngern – und dabei genau das zu tun, was man nur dann kann, wenn man unterwegs ist: Von anderen lernen.

Dieses Heft des Zitronenfalters will uns einladen, den Blick über unseren Horizont zu wagen und uns darauf einzulassen, dass wir – auch und gerade in Württemberg – von anderen lernen können.Vielleicht gibt es dann bald in unserer Kirche eine neue Formulierung:„Wir können alles … nämlich auch von anderen lernen! – So geht das auch bei uns!“

Besuchen Sie unsere Homepage

Es gibt sie noch, die regelmäßig erschei-nenden Zitronenspritzer auf unserer Homepage. Michael Josupeit macht sich dort Gedanken über Gott und die Welt. Aktuell schreibt er über den Sinn und Unsinn kirchlicher Feste und lässt, quasi als Sahnehäubchen, Hanns Dieter Hüsch zu Wort kommen mit originellen Segens-wünschen zum Pfi ngstfest und für die Zeit danach. Die Zitronenspritzer fi ndet man unter: www.kirchefuermorgen.de/330 und ...315.

Friedemann Stöffl er

Heftthema: Von anderen Lernen

Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 2

Lernen im Spannungsfeld von Anpassung und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 3

Taizé – ökumenischer Ort der Begegnung . . . . . . . . . Seite 5

Heimat für Grenzgänger - das „Spirituelle Zentrum St.Martin“ in München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 8

Pro + Contra

Ist Kirche lernfähig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 10

Bausteine

Auf der Suche nach dem Übernatürlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12

Von den Simpsons lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13

Gemeindeporträt

Landeskirchl. Gemeinschaft Verden / Aller –Gemeinde als Lebensraum und Hoff nungsort . . . . . . . . . . . . . . Seite 14

Bausteine

Von Migrationsgemeinden lernen . . . . . . . . . . . Seite 17

Kfm intern

Aus der Landessynode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 18 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 19

Zu guter Letzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20

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Von anderen lernenEditorial & Inhaltsverzeichnis

Mein Gegenüber

immer nur an

mich angleichen

zu wollen,

verringert die

eigenen Lern-

möglichkeiten

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eigene Situation suchen. Eine charisma-tische Schulleiterin wie beispielsweise Enja Riegel kann man nicht kopieren, aber Elemente ihrer Wiesbadener Schule gleichwohl in die eigene Situation über-tragen. Auch Schultypen wie die Jena-plan-Schulen unterscheiden sich we-sentlich voneinander, weil örtliche Be-dingungen, Einzugsgebiet, Kollegium, bildungspolitische Rahmensetzungen je verschieden sind.

Wahrnehmen, nachdenken, aneignenWas kann man also tun? Von anderen ler-nen beginnt mit dem Wahrnehmen. Im Blick auf verbesserten Schulunterricht empfi ehlt sich ein Besuch im Unterricht der Kollegin, des Kollegen. Man kann sich aber auch besuchen lassen. „Critical friends“ können

einen auf Stärken aufmerksam machen, die noch ausgebaut werden könnten. Konkrete Schritte muss man dann selbst gehen, sich etwas Erkanntes „zu eigen“ machen. Lernen ist ja nur in seltenen Fällen das Re-sultat von Belehrung. Sie geschieht durch Aneignung. Dabei hilft das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, mit Freunden und mit Gegnern. Man kann ja auch durch Widerspruch des anderen lernen!

Chancen des GlaubenspluralismusUm noch einen anderen Bereich anzu-

sprechen: In einer religiös pluralen Ge-sellschaft lernt man die eigene Religi-onsausübung nicht nur durch Reflexion und Nachvollzug der eigenen Glaubens-grundlagen. Gerade durch die Begeg-nung mit denen, die eine andere Konfes-sion oder Religion leben – oder gar keine! – wird man der eigenen Beson-derheiten bewusst mit ihren Chancen, aber auch Grenzen. So erfahren wir durch eine solche Begegnung nicht nur Neues über andere, sondern auch über uns selbst. Die Versuche der beiden großen Kirchen, den Religionsunterricht in Form einer Konfessionellen Koopera-tion zu ermöglichen, in der zwei Lehr-kräfte unterschiedlicher Konfessionen eine begrenzte Zeit aus je ihren Per-spektiven unterrichten, sind Resultat solcher Einsichten.

Von Jesus glauben lernenGlauben zu lernen ist nicht möglich

ohne von anderen zu lernen. Ja, ohne den ganz Anderen – ohne Gott und sein Handeln an uns – ist Glauben uns gänz-lich verwehrt. Damit ist glauben lernen höchst intensives Lernen. Vom anderen, von Jesus glauben lernen heißt nachfol-gen. Ohne wenn und aber im Vertrauen auf die Rechtfertigung Gottes und im Bemühen um unsere Heiligung. „Mein Joch ist sanft und meine Last sei leicht,“ sagt Jesus. Von ihm zu lernen ist schwer und leicht zugleich.

Taizé – ökumenischer Ort der Begegnung

Taizé inspiriert jedes Jahr tausende Besucher aus aller Welt, ihren Glauben zu erneuern und zu vertiefen. Im Gespräch mit dem Prior Frère Alois versucht Thomas Hoff mann-Dieterich, das Geheimnis von Taizé näher zu ergründen. Frère Alois ist katholisch und kommt aus Deutschland.

Frère Alois, in den normalen Gottes-diensten der etablierten Kirchen spüren viele Menschen oft nur noch wenig von Gottes Gegenwart. Anders in Taizé. Schon nach ein bis zwei Tagen begin-nen entkirchlichte Menschen zu singen und zu beten. Wie erklären Sie sich sol-che Verhaltensänderungen?

Wir sind überrascht, wie sehr sich die Jugendlichen hier öffnen. Dies hängt auch damit zusammen, dass Frère Roger es gewagt hat, die Gebetsform und auch die Form des Kirchenraumes in Taizé zu verändern. Ich nenne ein Beispiel: Drei-mal am Tag lesen wir in der Kirche aus der Bibel. Wir können dazu aber ange-sichts der vielen Sprachen nicht dreimal am Tag eine Auslegung geben. Das ma-chen wir in den Bibelgruppen, außer-halb des Gottesdienstes, dort geschieht die Bibelarbeit mit Auslegung und an-schließendem Gespräch. In der Kirche hören wir einfach ein Bibelwort, und dann ist Stille. Damit wollen wir einen Zugang schaff en zur Mitte des Evangeli-

ums, Christus selbst, zu seinem Tod und seiner Auferstehung, und zu seiner Ge-genwart heute. Darauf soll unser Got-tesdienst ausgerichtet sein. Deshalb konzentrieren wir uns auf kurze Texte und die Stille vor Gott. Wir sind er-staunt, wie sehr Jugendliche das anneh-men. Viele Jugendliche sagen mir am Ende der Woche, die Stille sei für sie das Wichtigste gewesen. Das ist doch erstaunlich. Sie haben ein tiefes Bedürf-nis nach Stille und Einfachheit. Die Tat-sache, dass Jugendliche hier unter glei-chen Bedingungen leben – jemand aus Deutschland nicht anders als jemand aus Afrika – bewirkt, dass sie anders aufeinander zugehen. Sie hören ganz anders aufeinander. Die Einfachheit, die Stille – das sind ganz tiefe Bedürfnisse, die hier in Taizé geweckt werden.

Nach dem Abendgottesdienst bleiben viele Jugendliche in der Kirche, singen weiter oder suchen das Gespräch mit den Brüdern.

Dr. Christoph Th. Scheilke, Pfarrer, Direktor des Pädagogisch-Theologischen Zentrums der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Honorarprofessor der Uni Münster/Westf. sowie Lehrbeauftragter der Uni Tübingen.

Das Pädagogisch-Theologische Zen-trum Stuttgart (ptz) arbeitet im Auf-trag der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Es berät LehrerInnen und PfarrerIn-nen, die Religions- und Konfi rman-denunterricht erteilen und bietet religionspädagogische Fortbildungen für LehrerInnen sowie für Haupt- und Ehrenamtliche im Konfi rmandenun-terricht an. Das ptz verantwortet außerdem die Ausbildung von Vika-rInnen im Bereich Religionspädago-gik, wirkt mit an der Entwicklung von Lehrplänen und erstellt Unter-richtshilfen und Lehrmittel für evan-gelischen Religionsunterricht und den Konfi rmandenunterricht.Informationen über Fortbildungen und eine Menge Materialien zum Download fi nden sich auf der Home-page unter www.ptz-stuttgart.de.

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Von anderen lernen

Die Stille

war das

Wichtigste

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Ja, danach geschieht noch viel. Man-che sagen: Da fängt das eigentliche Gebet erst an. Damit haben jedoch die Jugendlichen begonnen, das war nicht unsere Idee. Wir beteten und sangen dreimal täglich eine dreiviertel Stunde und wandten uns dann wieder unserem Tagwerk zu. Die Jugendlichen aber sind einfach dageblieben. Daraufhin meinte Frère Roger, einige Brüder müssten ebenfalls bleiben und die Jugendlichen begleiten. Die Jugendlichen kommen zu uns zu persönlichen Gesprächen. Sie wollen mitteilen, was sie hier erleben, eine Sorge loswerden, eine Frage stellen oder einfach sagen, was sie freut. Nach dem Abendgebet können sie immer je-manden von uns ansprechen oder auch einen Augenblick lang mit jemandem beten. Darüber hinaus gibt es auch Ge-legenheit zur Beichte.

Das Abendmahl in Taizé

Ist das Abendmahl, das die Jugendli-chen empfangen, eigentlich ein katho-lisches oder ein evangelisches, oder ist es ein „Taizé-Abendmahl“?

Sicher kein „Taizé-Abendmahl“, denn dann wären wir ja eine neue Kirche. Das ist eine ganz schwierige Frage, für die wir im Grunde genommen keine Antwort haben. Wir wollen keine „Taizé-Lösung“. Wir ermutigen die Jugendlichen viel-mehr, in ihre Herkunftskirchen zurück-zukehren und dort Gebet und gemein-sames Teilen zu praktizieren. Wir ermu-tigen sie, ihre Wurzeln zu erkennen und von dort her die Ökumene zu entde-cken. Anfang der siebziger Jahre, als die ersten katholischen Brüder in die Com-munauté eintreten konnten, hat Frère Roger gesagt: „Wenn wir zusammen sind, wollen wir an einen Tisch gehen.“ Es tat sich mit Einverständnis der Bi-schofskonferenz in Frankreich die Mög-lichkeit auf, dass alle Brüder an einen Tisch gehen können. Deshalb wird am Ende jedes Morgengebets die Kommuni-on ausgeteilt. Es gibt außerdem jede Woche am Samstag eine oder mehrere Abendmahlsfeiern in den Heimatspra-

chen anwesender evangelischer Grup-pen. So oft orthodoxe Christen unter den Besuchern sind, halten sie Eucharis-tie nach ihrer Ordnung. Es ist wichtig, dass hier jeder verantwortlich handelt. Es kann nichts Zwangsläufiges geben. Deshalb teilen wir auch jeden Morgen gesegnetes Brot aus, ein Brauch, der aus den Ostkirchen kommt. Jugendliche stehen mit Brotkörben bereit. Auch ganz kleine Kinder und die mitunter beträcht-liche Zahl von Jugendlichen, die nicht getauft sind, können dieses gesegnete Brot nehmen. Aber auch alle anderen. Dies ist ein Zeichen der Gemeinschaft in Christus für alle, ein Zeichen, das die Trennung ein bisschen entschärft.

Ihr Vorgänger, Frère Roger, war ja ein Brückenbauer hin zur katholischen Kirche. Er konnte sogar die Türen zum Vatikan weit öff nen. Brüder von Taizé leben jedoch auch in Afrika oder La-teinamerika. Wäre es denkbar, dass die Brüder, die dort leben, die Türen auch zu den charismatischen und evange-likalen Pfi ngstgemeinden hin öff nen, etwa mit gemeinsamen Gottesdiensten und sozialen Projekten?

Diese Frage ist wichtig und stellt sich uns ganz konkret, zum Beispiel bei den Brüdern, die im Nord-Osten Brasiliens leben, in Bahia, in einem sehr armen Stadtviertel, wo die evangelikalen Ge-meinden sehr stark anwachsen. Die Brü-der suchen dort einen Dialog.

Bibeln für China

Da wir gerade bei der weltweiten Kir-che sind: Ich habe gelesen, dass Sie gerade eine Million Bibeln für China drucken lassen. Können Sie dazu noch einen Satz sagen?

In China ermutigen die Kirchenverant-wortlichen dazu, mehr in der Bibel zu lesen, insbesondere ermutigen sie die Jugendlichen und die Menschen, die sich auf die Taufe vorbereiten oder erst kürzlich getauft worden sind. Dieses Be-mühen wollen wir unterstützen und haben deshalb die Initiative ergriffen, vor Ort, in Nanjing, eine Million Bibeln drucken zu lassen, genauer gesagt 800.000 Neue Testamente und 200.000 Bibeln. Die Bi-beln dürfen nicht importiert werden, sondern müssen in China gedruckt wer-den. Die ersten 100.000 Exemplare wur-den nach Ostern ausgeliefert. Der Welt-bund der Bibelgesellschaften stellt das

benötigte Papier zur Verfügung. Die Christen in diesem großen Land sind für diese Unterstützung dankbar. So ein Projekt kann freilich nur gelingen, wenn uns viele Menschen, die dazu in der Lage sind, unterstützen. Der Druck eines Exemplars des Neuen Testaments kostet etwa 1,50 Euro, eine Bibelausgabe etwa 3 Euro. Leser des Zitronenfalters, die diese Aktion unterstützen möchten, können auf das unten genannte Konto einen Geldbetrag überweisen1.

Frère Alois, Sie haben während ihres Noviziats auch in Lyon Theologie stu-diert. Gab es eine Denkschule oder einen Theologen, der sie damals be-sonders fasziniert hat?

Unser Studium machen wir in Taizé selbst. Wir haben damals auch einige Vorlesungen in Lyon gehört. Vor allem die Geschichte der alten Kirche und die Kir-chenväter habe ich dort entdeckt. Es freu-te mich, als ich las, dass Bonhoeffer in Tegel ebenfalls die Kirchenväter studiert hat. Ich hatte immer großes Interesse an Dietrich Bonhoeffer. Die Parallelen zu Frère Roger, auch was die Suche nach einem gemeinsamen Leben angeht, sind erstaunlich. Obwohl sie völlig verschie-den waren und sich nie getroff en haben.

Wollten Sie eigentlich einmal Priester werden?

Nein, Priester gehören in die Kirchenge-mein den, wir sind eine Laiengemeinschaft.

Stuttgarter Wurzeln

Sie sind im Stuttgarter Osten aufgewach-sen. Was verbindet sie mit Stuttgart?

Vor allem meine Familie. Die Geschwis-ter leben immer noch in Stuttgart, und ich bin dort aufgewachsen. Ich habe un-zählige Kindheits- und Jugenderinne-rungen, die mich mit Stuttgart verbin-den. Deshalb freue ich mich ganz beson-ders, dass ich im Oktober dieses Jahres

wieder nach Stuttgart kommen kann. Am 10. Oktober halten wir in der Stifts-kirche und der Kathedrale St. Eberhard gleichzeitig ein Abendgebet,an dem auch Landesbischof Frank O. July und Diöze-sanbischof Gebhard Fürst gemeinsam teilnehmen.

Was ist das Anliegen bei dem Besuch in Stuttgart?

Wir haben zwei Anliegen: Dass wir uns mit allen, die an diesem Tag teilnehmen, die Frage stellen, was Glauben in unserer Welt heute bedeutet. Was bedeutet Ver-trauen auf Gott? Wie kann das unser Leben prägen? Der Glaube sollte ja nicht einfach eine Theorie sein, sondern soll unser Leben prägen, und da ist das Stich-wort Vertrauen für uns hier in Taizé sehr wichtig. Unser anderes Anliegen ist: Wie können wir aus diesem Vertrauen auf Gott heraus auch in unserer Gesellschaft Vertrauen schaffen? Das ist etwas ganz Dringendes: Vertrauen in die Zukunft, in einer Situation, in der die Zukunft nicht rosig aussieht. In der sich viele Jugendli-che fragen: Wie soll mein Leben weiterge-hen? Wir freuen uns darüber, dass schon viele ihre Bereitschaft bekundet haben, diesen Abend mit vorzubereiten!

Infos zu TaizéHomepage: www.taizé.frErfahrungen von Jugendlichen: www.jugendtreff en.infoFahrtmöglichkeiten nach Taizé: www.regenbogen-tourservice.de(wöchentlicher Pendelbusverkehr von März bis November ab Karlsruhe)

Taizé – Jugendtreff en in Stuttgart am Samstag, 10. Oktober 2009:Auf Einladung der beiden württembergischen Bischöfe kommen Frère Alois und einige andere Brüder nach Stuttgart.12.30 Uhr: Mittagsgebet in der Stiftskirche, anschl. MittagessenNachmittags: Verschiedene Angebote für Jugendliche ab 14 Jahren19.30 Uhr: Abendgebet in der Stiftskirche und in St. EberhardAktuelle Infos: www.ejus-online.de/termine/taize2009.html

1. Aus den Ländern der Eurozone: Opération Espérance, IBAN: FR76 30003 01212 00037260029 02, BIC–SWIFT: SOGEFRPP bei der Société Générale, CLUNY, Frankreich (Kosten lediglich in Höhe einer Inlands-Überweisung)

Wir ermutigen

die Jugend-

lichen, in ihren

Herkunftskirchen

Gebet und

gemeinsames

Teilen zu

praktizieren

Wie können

wir aus dem

Vertrauen auf

Gott heraus

auch in unserer

Gesellschaft

Vertrauen

schaff en?

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Heimat für Grenzgänger

Martin Schmid hat das „Spirituelle Zentrum St. Martin“ in Mün-chen besucht. Dort will man auf unkonventionellen Wegen Brücken zum christlichen Glauben bauen, ohne die eigene Identität aufzuge-ben. Der Leiter, Pfarrer Andreas Ebert, berichtet von seinen Erfahrungen.

dort nur mit Wasser gekocht wird – oder sie hatten irgend-wann Sehnsucht nach den eige-nen abendländischen und christli-chen Wurzeln. Das freilich bedeutet in der Regel nicht, dass sie einfach zu den traditionellen christlichen Formen und Formeln zurückkehren wollen. Sol-che Menschen bringen Erfahrungen mit. Die Frage ist, ob wir solche Erfahrungen wertschätzen oder abweisen.

Alte Gebetsformen neu entdecken

Man kann das am Beispiel der Medita-tion festmachen: In den westlichen christ-lichen Kirchen waren die Mystik und die sogenannten kontemplativen Formen des Gebets (schweigende Versenkung) weit-gehend in Vergessenheit geraten. Vor allem Missionare und katholische Ordens-leute waren es, die im ausgehenden 20. Jahrhundert in Fernost die dortigen Prak-tiken der Meditation und der spirituellen Körperarbeit – insbesondere Zen-Medita-tion und Yoga – kennen und schätzen lernten. Manche von ihnen begannen zu forschen, ob es im Christentum nicht Ähn-liches gibt – und sie wurden fündig. Vor allem in den orthodoxen Kirchen des christlichen Ostens gibt es einen spiritu-ellen Traditionsstrom, der bis ins frühe Mönchtum zurückreicht. Er nennt sich „Hesychasmus“ (von griechisch hesy-chia= Herzensruhe) und basiert auf der mantrischen Wiederholung des Jesusna-mens bzw. des Zöllnergebets „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich über mich“. Ein solches mantrisches Gebet ge-schieht in Verbindung mit Atmung, Herz-schlag, und manchmal auch unter Zuhilfe-nahme einer Gebetsschnur, wie es sie in den großen Religionen gibt – im west-lichen Christentum der „Rosenkranz“, neuerdings auch die lutherischen „Perlen des Glau bens“. Die vorurteilslose Begeg-nung mit dieser dem westlichen Christen-tum fremden Praxis führte in vielen Fäl-len dazu, dass die spirituell Suchenden ihre eigene Tradition neu und vertieft kennen lernten und dort verschüttete spi-rituelle Quellen wieder freilegten. Ähnliches gilt auch für das Körpergebet.

Vor fünf Jahren hat die evangelisch-lu-therische Landeskirche in Bayern das Hinterhof-Gemeindezentrum St. Martin, eine Dépendance der großen St. Lukas-kirche im angesagten Münchner Glocken-bachviertel, in ein „Spirituelles Zentrum“ umgewidmet. Der Anlass dafür war der Rückzug der Landeskirche aus dem „Haus der Stille – Schloss Altenburg“, einer Me-ditationsstätte außerhalb von München. Die Gründe dafür waren finanzielle und „ideologische“. Die Spiritualität Schloss Altenburgs erschien vielen kirchlichen In-sidern als zu synkretistisch: Bogenschie-ßen, Yoga, Tai Chi, Zen-Meditation, scha-manische Riten neben ignatianischen Ex-erzitien und christlicher Kontemplation – der Mix kam manchen Kritikern zu beliebig vor. Die christliche oder gar lutherische Identität schien in Gefahr.

BrückenbauerSt. Martin ist der Versuch, aus einer

klaren christlichen Mitte heraus suchende Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche anzusprechen, ohne sich dabei ständig abzugrenzen. Wer eine eigene Identität hat, muss die Begegnung oder Überfremdung nicht fürchten, kann öku-menisch und sogar interreligiös lernen und anderen Traditionen und Wegen mit Respekt begegnen. Das freilich ist eine Gratwanderung, die dazu führt, dass den einen St. Martin zu christlich ist, den an-deren zu offen. Aber wir sind der Mei-nung: Solange es Kritik von beiden Seiten gibt, müssen wir irgendetwas richtig ma-chen. Wer Brücken baut, muss damit rechnen, dass man von beiden Seiten auf diesen Brücken herumtrampelt.

Die Rückkehr der SuchendenViel erfreulicher ist aber die Tatsache,

dass diese zugleich klare und dennoch offene Haltung auch anziehend wirkt. Zum typischen Klientel des Spirituellen Zentrums zählen Menschen, die von der Kirche entfremdet waren, aber dennoch spirituell gesucht haben, z.B. im Bud-dhismus oder in indischen Aschrams. Sie haben jedoch gemerkt, dass auch

Obwohl die Bibel ein durch und durch lebens-

bejahendes Buch ist, mit vielen Hinweisen auf die

Körpersprache (Psalm 84,3: „Mein Leib und Seele freuen

sich in Gott“), hat sich das ge-stische Beten wenig entwickelt.

Die Begegnung mit östlichen Religionen hat bei uns als Prote-stanten das Bewusstsein verän-dert und uns Mut gemacht, beim Beten auch einmal zu knien oder die Hände zu öffnen, anstatt sie vor dem Bauch zu falten.

Evangelische Freiheit In St. Martin erleben wir, dass es

Menschen gut tut, sich mit Leib und Seele auf Gott einzulassen. Medita-

tiver Tanz, kontemplatives Sitzen in der Stille, Tai Chi, die Wiederbelebung alter Rituale wie das Aschenkreuz am Aschermittwoch, oder auch Segnung und Salbung unterstützen einen ganz-heitlichen Glauben, der nicht im Kopf bleibt. Wir sind dankbar für die Begeg-nung mit anderen Konfessionen und Re-ligionen, die uns einladen, unseren spi-rituellen Horizont zu erweitern, ohne unsere Identität aufzugeben. Wir als Evangelische haben zu diesem Dialog eine Menge beizutragen: unsere Liebe zur Bibel, unser Bemühen, Glaubensin-halte auch dem Verstand zugänglich zu machen, die Wertschätzung des Einzel-nen und seines Weges und all das, was – richtig verstanden – „evangelische Freiheit“ heißt. Sie befähigt uns aus der Mitte heraus, die Jesus Christus heißt, alles zu prüfen und das Gute zu behalten. Oder wie Paulus an anderer Stelle sagt: „Alles ist euer – ihr aber seid Christi“.

Andreas Ebert, Pfarrer und Leiter des Spirituellen Zentrums St.Martin am Glockenbach in München (Autor, u.a. „Das Enneagramm“)Weitere Hinweise unter www.stmartin-muenchen.de

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„Gib mir ein bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint“ singt die Band Sil-bermond – selbst in der jungen Generation wächst das Bedürfnis nach dem „Fels in der Brandung“. Kommt das nicht wie gerufen für die Evangelische Kirche? „Unsere Evangelische Kir-che: gestern, heute – und dieselbe auch in Ewig-keit.“ Genau hier lauert der Sündenfall, das „Sein wollen wie Gott“. Eine solche Kirche mag neue Bedürfnisse moderner Gesellschaften er-füllen, aber nicht ihre Berufung.

„Wenn unser Herr Jesus Christus sagt ‚Tut Buße’, will er, dass unser ganzes Leben Buße ist.“ Die erste These Luthers gilt auch der Kir-che. Buße meint ja: Umdenken, herausgerufen sein aus den Sachzwängen der Welt, Neuorien-tierung auf das Reich Gottes hin. Ist die Evan-gelische Kirche eine „Veränderungs-Agentur“, die sich immer neu auf Gott und die Menschen ausrichtet – flexibel, visionsorientiert, dyna-misch?

Kirche, so wie sie ist, als konsistoriales Sys-tem mit Beamten, gleicht am ehesten der Schu-le und der öff entlichen Verwaltung. Wer dort in den 1990er Jahren „neue Steuerung“ erlebte, wer Schulrektoren heute stöhnen hört über Ver-änderungsdruck, kann bei Kirchens nur Ge-mächlichkeit und Dornröschen-Schlaf diagnosti-zieren. Projekte wie „Notwendiger Wandel“ zei-gen schon im Namen, wie Wandel gesehen wird.

Hoff entlich! Zumindest ist sie auf einem Weg, ich meine: in vieler Hinsicht auch auf einem guten – und das schon seit 500 Jahren. Die Re-formation zeugt von ihrer Fähigkeit, auf das Evangelium zu hören und immer neu zu fragen, wie Gemeinde heute leben und Verkündigung aussehen soll.

Was hat sich allein in den letzten fünfzig Jah-ren verändert? Neue Gottesdienstformen sind entstanden, ungezählt viele neue Lieder wur-den gedichtet und komponiert, Musikstile haben sich verändert, die Zahl der Gruppen, Kreise, Projekte und Aktionen (und auch die der Gemeindehäuser!) hat sich massiv vermehrt, Eh-renamtliche und gewählte Gremien wirken an der Leitung der Kirche viel stärker mit als früher. Auch die Entstehung von Kirche für morgen ist ein lebendiger Erweis kirchlicher Lernfähigkeit. Wobei ein qualifi ziertes Lernen immer auch den Blick dafür schärft, was noch alles zu lernen wäre.

Im Projekt „Wachsende Kirche“ wollen wir das Finden neuer Wege unterstützen und Modelle multiplizieren. Aktionen wie „ChurchNight“ wer-den gefördert. Neue Gemeindeformen werden zurzeit initiiert, diskutiert und probiert. Und trotzdem: Es bleibt weiter viel zu lernen und zu tun. Warum? Einfach deshalb, weil sich Men-schen verändern und Gesellschaft wandelt. Und als Kirche müssen und wollen wir darauf reagie-ren. Ich komme aus einer aktiven Jugend arbeit.

Ist Kirche lernfähig?

Nicht nur die Menschen in der Kirche, sondern die Evangelische Kirche als Organi-sation? Wir haben zwei Insider gefragt, die es wissen müssen. Ihre Einschätzung hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können. Ulrich Mack, Prälat in Stuttgart, und Reinhold Krebs, Landesreferent im ejw, beziehen eindeutig Position im Blick auf die Lernfähigkeit der Evangelischen Kirche.

Auch die deutsche Bildung hielt sich für spit-ze, bis sie lernte – PISA sei Dank – wirklich in den Spiegel zu sehen. Der PISA-Schock steht der Kirche erst noch bevor. Zu gern lebt man noch in Illusionen. So zählt man an vier Sonn-tagen die Gottesdienst-Besucher, darunter Hei-ligabend und Erntedank. Und Bischöfe weisen gern darauf hin, dass in den deutschen Gottes-diensten sonntags mehr Menschen seien als samstags in den Bundesliga-Stadien. Ist es in-telligent zu beteuern: In unseren 16.000 Veran-staltungen sind mehr als in euren neun? Dage-gen müsste man mal die Realität sonntäglicher Innenstadtkirchen in einer Fotoserie dokumen-tieren. Als Kirche für morgen 2003 Zahlen über die Altersstruktur der Besucher veröffentlichte, wurde uns „Alters-Rassismus“ vorgeworfen. Lieber nicht so genau hinschauen.

Hesekiel 37 erzählt, wie der Prophet auf ein Feld voller Knochen geführt wird. Erst dort, in der Stunde schonungsloser Wahrnehmung, in der eigenen Hilflosigkeit, empfängt er das Ver-heißungswort, dass der Geist des Lebens neu wehen wird. Anders wird es mit unserer Kirche auch nicht sein.

PRO„Was Lernfähigkeit angeht,

ist die Evangelische Kirche auf einem guten Weg.“

„Was Lernfähigkeit angeht, ist die

Evangelische Kirche auf keinem guten Weg.“

Ulrich Mack, Prälat in Stuttgart

Reinhold Krebs, Landesreferent im ejw und Vorstandsmitglied von Kirche für morgen

Pro & Contra

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ABENTEUER AUSLAND200 Organisationen bieten 12monatige Praktika als „Freiwilligen-dienste“ an. Junge Menschen zwischen 18 und 28 Jahren können entwicklungspolitische Erfahrungen sammeln und vielseitig neue Perspektiven gewinnen. Nähere Infos unter www.weltwaerts.de. Eine Zusammenstellung kirchlicher Angebote fi ndet sich unter www.kirchefuermorgen.de/zitronenfalter.

Da haben wir gelernt, dass jede Generation neu fragen muss: Was ist jetzt dran? Wie erreichen wir Jugendliche in ihren Lebenswelten?

„Ecclesia semper reformanda“ – Kirche muss immer wieder reformiert, erneuert und gestaltet werden. Erst in der Ewigkeit hat sie ausgelernt. Wobei ich verstehe, dass manches heute nötige Lernen vielen Christen viel zu langsam ge-schieht oder wegen zu viel Verkrustungen gar nicht. Viel wichtiger ist für mich aber die Frage: Was und vor allem von wem lernen wir? „Lernt von mir“, sagt Jesus (Mt 11,29). Lernfähig bleibt unsere Kirche dann, wenn wir hörbereit auf sein Wort, off en für seinen Heiligen Geist und sensi-bel für die Situation der Menschen sind. Klar – es gibt in unserer Kirche viele Gründe zu jam-mern. Aber es gibt einen Grund, mutig zu glau-ben, gelassen zu vertrauen, intelligent das Evangelium weiterzugeben und fröhlich mit an-zupacken: Jesus Christus selbst. Mit ihm sind wir auf einem guten Weg.

Neulich führten die Vereinten Nationen eine Umfrage bei ihren Mitgliedstaaten durch. Die Frage lautete: „Bitte sagen Sie uns Ihre ehrliche Meinung zu einer Lösung der Nahrungsmittelknappheit im Rest der Welt.“ Das Ergebnis war ein kompletter Reinfall. In Afrika wussten die Menschen nicht, was „Nahrungsmittel“ bedeutet. In Westeuropa wussten sie nicht, was „Knappheit“ bedeutet. In Osteuropa wussten sie nicht, was „Meinung“ bedeutet. Im Nahen Osten wussten sie nicht, was „Lösung“ bedeutet. In Südamerika wussten sie nicht, was „Bitte“ bedeutet. Und in den Vereinigten Staaten wusste keiner, was „Rest der Welt“ bedeutet.

&CONTRA

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In Deutschland verfolgen ein bis zwei Millionen Zuschauer täglich das Leben der Simpsons, die Mehrheit der Zu-schauer ist zwischen 14 und 49 Jahre alt. In England hat sich sogar der Primas der anglikanischen Kirche, Erzbischof Rowan Williams, als Fan der Serie geou-tet – auch deshalb, weil die Simpsons regelmäßig in die Kirche gehen. Marge ist die praktizierende Christin in der Fa-milie, wogegen ihr Ehemann Homer dem Glauben gegenüber völlig gleichgültig ist – er kann sich nicht einmal den Namen seiner Ortsgemeinde merken.

Bekannter als Billy GrahamDer Pfarrer der Simpsons, Lovejoy, ist

ein nüchterner Realist. Trotz seines klin-genden Namens strahlt er meist wenig Freude oder Liebe aus. Seine Predigten sind langweilig, und das weiß er auch. In Krisensituationen der Familie erweist er sich jedoch als geduldiger Seelsorger. Nur selten ist seine Geduld erschöpft, meist dann, wenn der Nachbar der Simp-sons anruft, der überreligiöse Ned Flanders. Ned: „Herr Pfarrer, ich glaube, ich begehre meine Frau!“ Trotz seines k leinen rel igiösen Schadens wird Flanders als vorbildlicher Nachbar und treu sorgender Vater dargestellt.

Auf der Suche nach dem Übernatürlichen

Spirituell Suchende samt ihren Erfahrungen ernst nehmen und dabei die eigene Glaubenserfahrung ins Spiel bringen – geht das? Christoph Schneider startete dazu die Projektgruppe „Natürlich Übernatürlich“.

Ned Flanders, der nette evangelikale Nachbar von nebenan, versäumt keinen Gottesdienst. Er hat sogar immer eine Notfallpredigt dabei, falls Lovejoy ver-hindert sein sollte. Bei Umfragen nach der bekanntesten und populärsten christlichen Persönlichkeit der Gegen-wart wird Ned Flanders regelmäßig auf einem der ersten Plätze genannt. Wur-den bisher die Frommen von Comedy-Autoren als Heuchler dargestellt, trifft dies auf Flanders keineswegs zu. Müsste man zwischen Ned und Homer als Nach-bar wählen, würde sich jeder normal denkende Mensch für den freundlichen Flanders entscheiden.

Kann man von den Simpsons lernen?

Die Antwort lautet: Ja – und das sogar in zweifacher Weise: Zum Einen ganz praktisch. Die anglika-nische Kirche hat einen Glaubenskurs für Jugendliche entwickelt, der auf ein-zelnen Folgen der Serie aufbaut, in denen religiöse Themen vorkommen. Ähnliche Kurse gibt es auch in den USA. In den Kursen treffen sich gläubige und ungläubige Fans der Serie, um über reli-giöse Themen – wie etwa die Gebet-spraxis der Familie Simpson – ins Ge-spräch zu kommen.

Man kann aber auch von den Simp-sons lernen, indem man Anteile von Homer, Flanders oder Love-joy bei sich selber ent-deckt. Die real exi-stierende Gemein-de Jesu Christi ist eben noch keine perfekte Gemein-de. Humor lockert auf, und Humor er-hellt auch manches. Es kann unheimlich erheiternd wirken, wenn man sich nicht immer allzu ernst neh-men muss.

Von den Simpsons lernen

Kennen Sie Familie Simpson? Homer Simpson, der Vater, ist ein Vielfraß, der seine Arbeitszeit als Kontrolleur in einem Kernkraftwerk verträumt. Seine zupackende Ehefrau Marge versorgt die Kinder: Maggie, das Baby, Lisa, die hochbegabte Toch-ter, und Bart, den hyperaktiven Strolch.

„Jede Suche, jede heilige Frage ist als leises Gottesahnen zu würdigen!“ (Bru-dereck, 2007, S. 28). Unter diesem Motto stand unser Experiment „Natürlich Über-natürlich“. Wir wollten als überzeugte Christen andere einladen zur Suche nach dem Übernatürlichen, voneinander und miteinander aus den Erfahrungen ler-nen. Gemeinsame Übungen wie z.B. Me-ditationen halfen uns dabei, auf natür-liche Weise dem Übernatürlichen Raum zu geben und Gott zu begegnen.

Lässt sich jemand darauf ein?Unser Leben besteht aus mehr als na-

türlichen, also rational erklärbaren Din-gen. Eine Freundin, Katharina, und ich hatten das Gefühl, dass andere Men-schen in unserem studentischen Umfeld das ähnlich sahen. Warum also nicht zu-sammen mit anderen nach dem Überna-türlichen, nach Gott suchen?

Wir verfassten Einladungen und luden Menschen aus unserem Bekanntenkreis ein, von denen wir hofften, dass sie auch Lust auf die Suche nach dem Über-natürlichen hätten. Tatsächlich, eine Hand voll Leute ließ sich auf unser Ex-periment ein. Wichtig war uns, eine lo-ckere und entkrampfte Atmosphäre bei den Treffen zu schaffen. Sich einander ohne Vorurteile zu begegnen, ehrlich miteinander umzugehen, so dass nie-mand verletzt wird, das waren wichtige Elemente von „Natürlich Übernatürlich“.

Drei mal sechs Treff enZwischen Dezember 2007 und Januar

2009 fanden innerhalb von „Natürlich Übernatürlich“ drei so genannte Sea-sons statt. Jede war auf sechs Treffen ausgelegt. Zu jeder Season wurde neu eingeladen, allerdings blieben viele, so-fern sie dies wollten, bei der nächsten Runde dabei.

Beim ersten Treff en tauschten wir uns über Spiritualität und das Übernatür-liche aus. Wer glaubt was? Wer prakti-ziert welche Übungen? Katharina und ich erzählten von der christlichen Spirituali-tät – von unseren Gebeten und unserem Leben mit Gott.

Natürlich waren wir besonders ge-spannt, ob wir als Gruppe zueinander finden würden. Im Nachhinein stellten wir fest, dass wir so etwas wie eine „ge-segnete Atmosphäre“ erlebten.

Bei den folgenden Treff en sammelten wir Erfahrungen auf der Suche nach Gott durch verschiedene Übungen und refl ek-tierten unsere Erlebnisse.

Wir trafen uns zum Beispiel, um ge-meinsame Zeiten der Ruhe zu haben, um in der Stille Gott zu erleben. Die Ex-erzitien des Ignatius von Loyola beglei-teten uns dabei auf unserer Suche. Durch Meditations- und Wahrnehmungs-spaziergänge wollten wir Gott in der Schöpfung erkennen. Ein besonderes Highlight für mich war das gemeinsame Abendmahl in einem Park in Mannheim, wo wir das Brot miteinander teilten.

Statements von Teilnehmenden „Natürlich Übernatürlich“ war für je-

den ein bisschen anders, wie diese Zi-tate zeigen:„Natürlich Übernatürlich“ war für mich ...• eine tolle Möglichkeit, Menschen un-

terschiedlichen religiösen Hinter-grunds kennen zu lernen und mich mit ihnen über den Glauben auszutau-schen.

• eine Oase im Alltag, in der ich einfach zur Ruhe kommen konnte, meine Seele baumeln lassen konnte und dabei noch ehrliche und gute Gemeinschaft leben konnte.

• eine Brücke aus dem stressigen und hektischen Alltag in eine tiefere Welt einer spirituellen Zufriedenheit.

• ein Geschenk, ein Ausgleich für den Alltag, eine Oase. Hier konnte ich mich und die anderen noch mal ganz neu kennen lernen, zum Beispiel „ohne Worte".

• eine Kraftquelle im Alltag und das Er-leben von Gottes Wirklichkeit.

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Literatur:Brudereck, Christina

(2007): Weht denn

auch der Zeitgeist, wo Gott will?,

S. 25-31, in Faix, Tobias und

Weißenborn, Thomas [Hg.] (2007):

Zeitgeist, Kultur und Evangelium in der Post-

moderne, Verlag der Francke

Buchhandlung GmbH, Marburg.

Christoph Schneider, Calw, Dipl. Sozialpädagoge/Sozialarbeiter (FH), Referent beim Evang. Jugend-werk in Württemberg und der Jugendkirche Choy in Althengstett (www.churchofyouth.de)

Thomas Hoff mann-Dieterich lacht gerne über die Witze der Simp-sons, der erfolgreichsten Animationsserie der Welt.

Bausteine Bausteine

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digen strahlen. Das Leben in dieser Zeit soll als gottgeschenkte einmalige Chance entdeckt und gelebt werden können.

Tun: Erst jetzt kommt die Frage nach der konkreten Umsetzung. In entsprechend gestalteten Gottesdiensten, Gruppen und Angeboten sollen Sein und Bewir-ken konkretisiert werden.

Focus AlltagAlle Gruppen und Veranstaltungen

sollen so sein, dass jederzeit jeder dazu kommen kann. Darum feiern wir keine Gästegottesdienste. Jeder Gottesdienst ist gästetauglich. Darum halten wir keine missionarischen Sammelveranstaltun-gen, sondern Glaubenskurse, die nah an der Gemeindewirklichkeit sind nach dem Prinzip: „What you see is what you get“ („Was du hier siehst, ist auch das, was du hier später vorfi ndest“). Den immen-sen Kraftaufwand für Sonderveranstal-tungen sparen wir uns. Alle Kraft fließt bei uns in die Alltagsqualität. Wir bauen kontinuierlich an einem stehenden Kon-zept von Gemeinde, das nicht von Pro-jekten und Einzelaktionen lebt.

Beziehungen bauen, Heimat schaff en

Jedes Mitglied der LKG und jeder re-gelmäßige Besucher soll die Möglichkeit haben, zu einer tragfähigen Kleingruppe zu gehören. Darum hat unsere relativ kleine Gemeinschaft mit knapp 100 Mit-gliedern 14 Hauskreise. Der Schwer-punkt der Hauskreise liegt nicht auf Bi-belarbeit, sondern auf dem persönlichen Austausch, dem Gebet füreinander und der gegenseitigen Begleitung. Natürlich

ist Bibelarbeit Bestandteil der Haus-kreisabende, aber es handelt sich nicht um kleine Bibelstunden. Die Teilnehmer-zahl sollte einstellig bleiben. Durch diese Struktur ist das Zugehörigkeitsge-fühl nicht von Predigerbesuchen abhän-gig, sondern von der Gemeinschaft der Menschen untereinander. Das „funktio-niert“ natürlich unterschiedlich gut, aber es wird angestrebt und gefördert. Wir können nur in Kleingruppen ein wirk-liches Zuhause anbieten.

Angebote zwischen Distanz und Nähe

Ein Foyer ist der Vorraum vor dem ei-gentlichen Haupthaus, ein zwangloser Treffpunkt zum Reinschnuppern. Im Großen und Ganzen sehe ich vier Foyers in unserer Gemeinde: Musik/Kultur, Essen, Sport/Hobby, Hilfe. Der Alpha-kurs ist nicht unbedingt der erste Ein-stieg für Neue. Verschiedene unverbind-liche Foyers bilden Vertrauen. Zum Bei-spiel unsere Gemeindemusikschule Con-Takte. 2007 ist sie gestartet. Über 140 SchülerInnen nehmen inzwischen ihre Angebote wahr. Die Lehrenden unter-richten nicht nur Musik, sondern haben auch ein Auge auf die Befi ndlichkeit der Schüler und Eltern. Gespräche zwischen Tür und Angel schaffen schon hier Be-ziehungen. Als kleiner Zwischenschritt werden ab Sommer 2009 monatliche Krabbelgottesdienste für Eltern und Kleinkinder angeboten. Einmal monat-lich feiern wir unseren Gottesdienst statt um 18 Uhr um 10:30 Uhr. Die Kin-der haben während dieser Zeit eine Spielstraße und ein Bibelabenteuerland. Im Anschluss gibt es ein gemeinsames Mittagessen, bei dem auf ganz unge-

Es gibt kein Konzept oder Rezept, das einfach nur befolgt werden müsste, damit Menschen heute zum Glauben finden. Aber es gibt Wege zu ihnen und mit ihnen. Beziehungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Bei uns strömen nicht Massen, aber es kommen durchaus jedes Jahr Menschen zum Glauben und finden bleibend Heimat in unserer Landeskirch-lichen Gemeinschaft (LKG) in Verden an der Aller. Wie und wodurch das bei uns ge schieht, wird verständlich von unserem Konzept her. Es ist von ein paar Grund-entscheidungen geprägt, die alle Bereiche der Gemeindearbeit durchziehen.

Wir verstehen uns als GemeindeDas Doppelkonstrukt, in dem Men-

schen in der LKG wie in einer Kirchenge-meinde zu Hause sind, ist für die aller-meisten Menschen unserer Region eine zeitliche und emotionale Überforderung. Vor allem als missionarische Gemein-schaft erleben wir das, was dem Gänse-küken passiert, wenn es aus dem Ei schlüpft: Wen es als erstes sieht, den betrachtet es als seine Mutter. Wer bei uns zum Glauben findet, sieht uns als seine Gemeinde.

Ein doppelter Blick über den Tellerrand: Nach Norden und in eine Gemeinde, die aus der Gemeinschaftstradition kommt. Gerd Voß berichtet, wie bei ihnen Räume entstanden sind, in denen Menschen Freundschaft erleben, Hilfe erfahren und schrittweise Gott näher kommen können.

Gemeinde – Lebensraum und Hoff nungsort

Wir sind integraler Bestandteil der Evangelischen Kirche, und unsere Mit-glieder sind auch Kirchenmitglieder. Ka-sualien werden von der Landeskirche oder gemeinsam mit uns durchgeführt. Soziologisch und theologisch gesehen sind wir eine Gemeinde. Die lokale Kirche betrachtet dies mit großem Wohlwollen.

Dreischritt: Sein, Bewirken, TunSein: Wir fragen nicht zuerst nach dem, was man so alles machen kann und wel-che Ideen uns begeistern. In einem Leit-bildprozess haben wir geklärt, was wir als Gemeinde nach biblischen Maßstäben sind. Was bedeutet es seinsmäßig, eine Gemeinschaft von Christen zu sein?Daraus erwuchs unser Leitsatz: Unsere Gemeinde ist ein Zuhause, in dem Menschen Hoff nung fi nden und das Le ben, für das sie von Gott geschaffen sind.

Bewirken: Welche Wirkung soll unser Sosein haben? Das ergibt sich logisch aus dem Leitsatz: Das Zuhause ist von Be-ziehungen geprägt. Es sollen also trag-fähige Beziehungen entstehen. Die Hoff -nung soll aus unserem Sein und Verkün-

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zwungene Weise Kontakte entstehen. So kommt es irgendwann zu dem Punkt, an dem eine Einladung zum Glaubens-kurs logisch und folgerichtig erscheint.

Die Teilnehmenden des Alphakurses gehen in der Regel große Schritte im Glauben. Manche beginnen ein Leben als Christ, andere kommen zwar weiter, aber sie brauchen noch Zeit. Aber fast alle sind noch nicht so weit, z.B. ab jetzt einen Hauskreis zu besuchen. Das wäre zu schnell zu viel gewollt. Nach dem neunwöchigen Alphakurs wird darum ein Betakurs angeboten: „Dem Glauben weiter auf der Spur“. Die Themen des Alphakurses werden darin praktischer vertieft und ergänzt. Danach bilden sich aus dieser fast halbjährlichen Kursge-meinschaft Hauskreise. Oder man spricht sich ab, welchen Kreis man in kleinen Grüppchen besuchen wird. Dort setzt sich das geistliche Wachstum dann wei-ter fort.

Einander helfenDie Seelsorge nimmt breiten Raum

ein. Einerseits durch ein stehendes Seel-sorgeteam, andererseits dadurch, dass wir versuchen, mehr und mehr eine seel-sorgerliche Gemeinde zu werden. Unge-fähr 80% aller Menschen, mit denen wir es zu tun haben, haben wirkliche Lasten zu tragen. Beziehungsprobleme und Überlastungssymptome sind sehr häu-fig. Im Alphakurs zeigt sich die Bedeu-tung von Seelsorge besonders stark. Menschen sind es kaum gewohnt, eine Atmosphäre echten Interesses zu erle-ben. Wenn die ersten Schwellenängste dem Vertrauen gewichen sind, kommen viele Teilnehmende zu einzelnen Mitar-beitern mit einem Anliegen oder der Bitte um ein Gespräch. Es gab bisher keinen einzigen Kurs, wo nicht mehrfach Tränen geflossen wären – und das bei

Menschen, die nach außen hin nicht be-lastet wirken. Eine offene, freundliche und menschliche Atmosphäre ist für die gesamte Gemeinde wichtig. Das Signal: „Hier darfst du schwach sein, ich bin’s auch“ ist wichtig für die Öffnung der Herzen auch für Jesus, dessen Reprä-sentanten wir sind, ob wir es wollen oder nicht. Hier liegt für mich ein we-sentlicher Schlüssel in der gesamten in-neren Einstellung zu Evangelisation und Gemeindebau. Wenn ich missionarisch tätig bin, weil mir die leeren Stühle im Gemeindehaus mehr wehtun als die Not der Menschen, dann spüren sie das sehr bald. Ich bin dann gar nicht in der Lage, mich so auf sie einzulassen, wie sie es brauchen. Unser Team „Hilfe zum Leben“ ist für Menschen im „Foyer“ ein echtes Glaubenszeugnis: Ehrenamtliche Hilfe bei der Autoreparatur, Haushaltshilfe in familiären Problemphasen, Babysitting-dienst, Beratung in wirtschaftlichen Fra-gen usw. Gerade im Zeitalter der Allein-erziehenden ist Zeit- und Geldnot ein echtes Thema. Der Ansatz zum Glauben, die Grundfrage, mit der Menschen an Gott herantreten, ist heute nicht mehr Schuld und Vergebung, sondern Kraft und Hoff nung. Da liegt nach unserer Er-fahrung der Anknüpfungspunkt, darum braucht missionarischer Gemeindeauf-bau heute mehr als Worte. Er geschieht durch die Hände und durch die zuwen-dende Liebe – dann wird man uns viel-leicht auch zuhören.

Glauben lernen durch MitmachenZuletzt: Ich nehme wahr, dass hier in

Verden mindestens 30% der Menschen durch Worte kaum erreicht werden. Sie kommen allein durch Worte nicht zum Glauben, und sie wachsen nicht geist-lich durch Gespräche und Bibelarbeiten. Sie brauchen nur ein Minimum an Glau-bensinformation – die so genannten Ba-sics. Der Rest geschieht, während sie selbst aktiv werden. Eine riesige Gruppe von Menschen wächst geistlich, indem sie etwas tut, das anderen hilft und gut tut. Menschen wollen etwas bewirken, sie finden Sinn und Hoffnung nicht in Gedanken, sondern im Tun. Die Möglich-keiten dazu wollen wir in Zukunft stär-ker eröff nen.

Von Migrationsgemeinden lernen

„Glaube ist ein Fest“ – das ist vielen Gottesdiensten so genannter Gemeinden ande-rer Sprache und Herkunft abzuspüren. Markus Häfele hat sich für Sie umgesehen.

Munter klappern die Stöckelschuhe von Filomena (alle Namen geändert) über das Kopfsteinpflaster. Die Brasilia-nerin geht mit ihrem schwäbischen Mann Michael etwas zögernd auf die Stuttgarter Schlosskirche zu, wo es fast monatlich einen zweisprachigen Gottes-dienst in Deutsch und Portugiesisch gibt. Die Unsicherheit weicht gleich, als sie das Gemeindeglied Rosirene an der Kirchentüre strahlend willkommen heißt. Beim Eingangslied „Cantai ao Senhor“ weicht der letzte Rest Unsicherheit. „Vor und nach dem Amen wird hier Gemein-schaft gefeiert“ schwärmen sie.

Davon ist auch Doris begeistert, die ursprünglich gar keinen Draht zu Glau-ben oder Kirche hatte. Sie kam zunächst vor allem, um ihre Portugiesischkennt-nisse zu praktizieren. Ganz unkompli-ziert kommt man miteinander in Kontakt und inzwischen merkt sie, dass sie durch die Gottesdienste auch offen für den Glauben geworden ist.

Damit Gemeinschaft wächstZu fast 30 Gemeinden anderer Spra-

che und Herkunft pfl egt unsere Landes-kirche aktiv Kontakt. Gemeinsam planen sie den „Tag der weltweiten Kirche“, der seit 2006 am Pfingstmontag in und um die Stiftskirche in Stuttgart stattfindet. Es sind Anglikaner, Orthodoxe, orienta-lisch-orthodoxe Christen und Evangeli-sche aus anderen Ländern.

Machen doch auch Sie einmal einen Besuch in einer Migrationsgemeinde in Ihrer Nähe und lassen Sie sich von ihrer missionarischen Kraft inspirieren. Viel-leicht verunsichern Sie Elemente des Gottesdienstes zunächst auch. Mir haben

Christen, die als Migranten hier leben, schon mehrfach die Augen geöffnet für unentdeckte Schätze der Bibel, und so wird meine „deutsche Bibellesebrille“ etwas zurechtgerückt. Es gibt viel von-einander und miteinander zu lernen.

Wie wäre es mit einem Kooperati-onsprojekt?

… mit einer gemeinsamen Altpapier-sammlung der Jugendarbeit oder einem gemeinsam vorbereiteten Jugendgottes-dienst? Oder ein Mitarbeiter der Migrati-onsgemeinde berichtet bei Ihrem Män-nervesper darüber, wie er Globalisierung erlebt hat.

Mit offenen Augen und Ohren dürfte es auch in Ihrem Umfeld nicht schwer sein, auf Migranten zu stoßen, die Chris-ten sind. Bereichernde Begegnungen, in denen der Geist von Pfingsten weht, wünscht Ihnen Markus Häfele.

Eine Selbstvorstellung und aktuelle Adressliste der Gemeinden anderer Spra-che und Herkunft fi nden Sie unter: www.elk-wue.de/arbeitsfelder/oekumene-und-religionen/gemeinden-anderer-sprache-und-herkunft/

Gerd Voß ist Prediger in der Landes-kirchlichen Gemeinschaft in Verden an der Aller. Bis 2001 war er Jugend-referent in Reutlingen und bei den ersten Anfängen von Kirche für morgen mit dabei.

Markus Häfele arbeitet beim Dienst für Mission, Ökumene und Entwick-lung unserer Landeskirche und koor-diniert die Ökumenisch-internatio-nale Arbeit des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg. Seit er

mit seiner Familie sieben Jahre im Sudan gelebt hat, lässt ihn weltweite Kirche nicht mehr los.

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Sag bloß, und bei mir in der ev. Landeskirche

wirkte er eher wie Clausthaler alkoholfrei.

Kerstin Leuz fasst zusammen.

Kirchliche Präsenz in SchulenZur Debatte um die Schulpolitik for-

dert Kirche für morgen, dass die Evange-lische Landeskirche verstärkt eigene Mo-delle entwickelt und evangelische Schu-len mit eigenem Profil für alle Bildungs-gänge entstehen können. Jugendarbeit und Kirchengemeinden sollen sich aktiv in die Gestaltung von Ganztagesschule einbringen. Schüler/innen aus unter-schiedlichen Milieus müssen wahrge-nommen werden und eine Chance auf Bildung bekommen.

Evangelische Europa-SynodeMarkus Brenner fordert in einer Presse-

erklärung die Einführung einer europä-ischen Evangelischen Synode. Brenner hofft dabei auf eine europaweite Bear-beitung sozialpolitischer Fragestel-lungen. Themen wie die Verfolgung von Christen, Abtreibung, das ökumenische Miteinander, Verlierer der Globalisierung und Bewahrung der Schöpfung müssen besprochen werden. Geplant ist eine Be-gegnung mit Synodalen der evange-lischen Kirchen in Europa.

Geschäftsordnung verändernDie Gruppierung Off ene Kirche fordert

die Einführung eines Fraktionsstatus der Gesprächskreise, d.h. Anträge sollen künftig unabhängig von der Zahl der Un-terzeichnenden von Gesprächskreisen eingebracht werden können. Dafür spricht, dass gruppierungseigene Anlie-gen kompromissloser eingebracht wer-den und Debatten profilierter geführt werden können. Der Gesprächskreis übergreifende Ausstausch erfolgt dage-gen erst in den Ausschüssen. Außerdem wurde vorgeschlagen, dass man bereits mit fünf Synodalen ein Gesprächskreis sein kann. Der Antrag wurde an den Rechtsausschuss verwiesen. Grundsätz-lich stellt sich die Frage, ob Synodale „Vertreter/innen aller Kirchengenossen“ oder „Vertreter/innen eines Gesprächs-kreises“ sind.

Was die sieben Zitronen beschäftigt ... Gerüche aus der Landessynode

Kerstin Leuz, Landessynodale, arbeitet als Bezirksjugendreferentin & Religionslehrerin in Oedheim

IMPRESSUMDer Zitronenfalter wird herausgegeben von Kirche für morgen e.V., Am Auchtberg 1, 72202 NagoldFon: 0700-36693669 Fax: [email protected]

Erscheinungsweise3 x jährlich. Bestellung (auch weitere Exemplare) bei der Geschäftsstelle. Die Zusendung ist kostenlos.

BankverbindungEKK Stuttgart, BLZ 520 604 10, Konto 419 435Wir danken allen, die durch ihre Spende die kostenlose Weitergabe des Zitronenfalters ermöglichen.

RedaktionsteamMarc Stippich, Grunbach (sti) (ViSdP), Claudia Bieneck, Malmsheim (cb), Pina Gräber-Haag, Gronau (pg), Markus Haag, Gronau (mh), Tabea Hieber, Markgröningen (th), Thomas Hofmann-Dieterich, Haigerloch (thd), Cornelia Kohler, Ostfi ldern (ck) Werner Lindner, Winnenden (wl), Johannes Stahl, Eschenbach (js).

Layout: AlberDESIGN, FilderstadtDruck: Druck + Medien Zipperlen GmbH, DornstadtVersand: Tobias und Magdalene Zipperlen, WeissachRedaktionsadresse: [email protected] und über die GeschäftsstelleAnzeigenpreisliste: [email protected]: 07195-979759

Bildnachweis Titel: Fotolia (Tony)

kfm intern

Kristina Büchle, Reinhold Krebs, Marc Nagel (Hg.)Junge GemeindenExperiment oder Zukunftsmodell?ca. 160 Seiten, kartoniert14,95 €

Die Entstehung von Jugendgemeinden ist eine faszinierende Entwicklung. Junge Men-schen fi nden Gelegenheiten, Formen und Orte, wie sie gemeinsam am Evangelium teil-haben, Gottesdienst feiern und sich in einer Gemeinde versammeln können. Erfahrungen von sechs Jugendgemeinden geben Einblick. Beiträge von Dr. Hempelmann, Jürgen Baron, Reinhold Krebs u.a. erläutern die Geschichte von Jugendgemeinden, theologische Hinter-gründe, englische und europäische Einfl üsse.

ejw-service gmbhHaeberlinstraße 1–370563 Stuttgart-VaihingenTel.: 07 11 / 97 81 - 410Fax: 07 11 / 97 81 - [email protected]

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Unser Tipp

Von den Anonymen Christaholikern lernen?

Anonyme Christaholiker(ACh) sind ein Verein von Menschen

die gemeinsam versuchen ihre Abhängigkeit vom christlichen

Glauben zu überwinden.

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3)Hat nicht schon ein großer Philosoph festgestellt, dass

Religion das Opium des Volkes ist?

Opium? Nein das ist nicht wahr. Bei mir in der charismatischen

Freikirche wirkte der Glaube eher wie

Kokain.

Neulich auf einem Schulungstreff en

der ACh:

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Zu guter Letzt

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Tierisch ernst – was wir von Pinguinen lernen könnenPinguine wackeln, wanken und watscheln, aber sie fallen nicht um. Wenn Menschen beim Gehen derart wackelten, würde das zwangsläufi g geschehen. Dennoch laufen Pin-guine weite Strecken bis zu ihren Nestern, z.B. ca. 100

km vom Südpolarmeer in die innere Antarktis hi-

nein. Amerikanische Forscher studieren derzeit ihre Fortbewe-gungsstrategie, um gebrechlichen

Menschen oder solchen mit Fuß-verletzungen Hilfestellungen

geben zu können.Für die Wissenschaftler ist

das Thema „Was Men-schen von Tieren lernen

können“ ein weites Feld. Vielleicht ein Wink, uns selbst mit unserer Denk- und Lebensweise nicht so tierisch ernst zu nehmen, sondern Horizonterwei-terndes auch bei uns unzulänglich scheinenden Men-schen (und Tieren!) zu entdecken. (sti)

Wenn Kirche Feuer fängt ...

Herausfordernde Impulse beim Forum von Kirche für morgen

Hörenswert! Dr. Wolfgang Bittner referierte vor 250 Besuchern beim diesjährigen Fo-rum im Bernhäuser Forst. Der Be auf-tragte für Spiritualität in der Kirche von Berlin-Brandenburg forderte eine Umorientierung von der Betreuungs-kirche zur Beteiligungskirche:

Die lebendige Kirche der Zukunft lebt von der Heiligkeit Gottes und nicht von der Aktivität der Men-schen.Gibt es in meiner Gemeinde Orte, Frei-Räume, wo ich Gott genießen kann und Impulse für mein Leben von ihm empfange? Kirche lebt da-von, dass es Fenster gibt, durch die man hinaussehen kann in die Welt Gottes.

Die lebendige Kirche der Zukunft entsteht aus dem Hören und nicht aus unserem Reden.Zwingli sagt: Kirche ist die, die sein Wort hört. Ein Hörereignis ist Aus-gangspunkt des Glaubens: „Der Glaube kommt aus dem Hören“. (Römer 10,17) Es geht darum, Gottesdienste zu feiern, die dem Hören Raum geben. Kirche muss Räume eröff nen, wo sich dieses Hören erleben lässt.

Die lebendige Kirche der Zukunft lebt von der Beteiligung der Ge-meindeglieder und nicht von ihrer Betreuung.Was in der Gemeinde nicht durch Gemeindeglieder geschieht, ge-schieht in Wirklichkeit nicht. Die Würde und Lebenskompetenz der Gemeindeglieder muss geachtet werden. Begründet ist dies in Christus, der uns als der Heilige begegnet, als der Redende und als der Regieren-de, der uns die Würde gibt und zu-gesteht, uns an der lebendigen Kir-che der Zukunft aktiv zu beteiligen.

Nach einer Mitschrift von Michael Josupeit. Mehr unter:www.kirchefuermorgen.de/213.

Zum Thema „Kirche lebt aus dem Hören“

ist dieses Jahr von W. Bittner erschienen:

Hören in der Stille.

Praxis meditativer Gottesdienste,

Vandenhoeck & Ruprecht, 16.90 €

Und nach dem Sommer…… kann man noch mal Kräfte sammeln, sich ausrichten, Ideen aus-tauschen beim Oasentag von Kirche für morgen: 11./12.9.09 in Edelweiler. Nähere Infos unter: www.kirchefuermorgen.de/Oase

Lust auf Aktivurlaub mit Horizonterweiterung?Hier noch zwei Urlaubstipps des ejw für junge Erwachsene mit der Option, einheimischen Christen zu begegnen und dabei Neues zu erfahren:

8.08. – 22.08.09: Aufbaulager für junge und junggebliebene Erwachsene in PolenEine gesunde Mischung aus Arbeitseinsatz in einer evang. Ge-meinde in Kattowitz und Urlaub in Schlesien, unweit von Krakau, Kosten: 333 Euro, Nichtverdienende 265 Euro

22.08. – 5.09.09: Aufbaulager in Portugal am Atlantikstrand für junge Erwachsene, 18 – 26 Jahre, Morgens Arbeitseinsatz in einem Ge-meindezentrum, nachmittags Badeurlaub oder Ausfl üge u.a. nach Porto und Lissabon, Kosten: 544 €, Nichtverdienende 449 €, Nähe-res unter: www.ejwue.de/urlaub-und-reisen/urlaub_55.htm bzw. …urlaub_41.htm