how long is now?

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Ausstellungsbegleiter zur Ausstellung "How long is now?" im Foto-Raum , Wien 9. Oktober bis 11. Dezember 2013 Zur Eröffnung spricht  Petra Noll

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How long is now?Michael Aschauer

Boris Becker

Stéphane Couturier

Stefanie Hilgarth

Anna Jermolaewa

Martin Klimas

Brigitte Kowanz

Edgar Leciejewski

Michael Michlmayr

Jeff Nixon

Stephan Reusse

Liddy Scheffknecht

Werner Schrödl

Jutta Strohmaier

Hiroshi Sugimoto

Martin Walde

Flora Watzal

Michael Wesely

Page 4: How long is now?

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VorwortVon Andra Spallart wurde ich eingeladen, eine Ausstellung im Foto-Raum in

Wien zu kuratieren. Ihr gilt mein besonderer Dank für dieses Vertrauen, zumal

es sich um die letzte Ausstellung in diesem für die Präsentation von Kunst

und speziell von Fotografie so hervorragend geeigneten Raum handelt. Am

Ende einer regen dreijährigen Ausstellungstätigkeit im Foto-Raum steht nun

mit How long is now? eines der wichtigsten Themen der Fotografie, die Zeit,

im Fokus. Hierzu habe ich Foto- und Videoarbeiten aus dem zeitgenössischen

Fundus der umfangreichen „Sammlung Spallart“ sowie von externen Künst-

lerinnen und Künstlern ausgewählt.

Der Titel How long is now? inkludiert die Schwierigkeit, das Phänomen Zeit

bzw. Dauer zu begreifen und darzustellen, obwohl es sich um eine grund-

legende Kategorie unserer Wahrnehmung und Realitätseinschätzung handelt:

Zeit ist sozusagen immer „vorhanden“ und von ganz spezieller Bedeutung

in einer von extrem beschleunigter Fortbewegung und Kommunikation bzw.

von einer Zeit-ist-Geld-Kultur geprägten Gesellschaft. „Was also ist die Zeit?“,

fragte schon Augustinus. „Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es,

wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es

nicht.“ Pragmatischer sah es Albert Einstein: „Zeit ist, was man an der Uhr

abliest.“

18 Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich mit der Frage nach der

Zeit, ihrer Bedeutung und Bestimmung, ihrem Wesen sowie ihren Darstel-

lungsmöglichkeiten und Wahrnehmungsfaktoren. Die Ausgangsbasis der

künstlerischen Auseinandersetzungen bilden zwei Gegenpole. Zum einen sind

das die von Menschen konstruierten – gleichzeitig Ordnung und Orientierung

schaffenden wie auch repressiven – Zeitsysteme und deren Apparaturen. Dem

gegenüber steht das offene Phänomen „Zeitgefühl“, die von jedem Individuum

auf unterschiedliche Weise mental erlebte Zeit.

Die Künstlerinnen und Künstler visualisieren Zeitabläufe, eine besondere

Herausforderung vor allem in der Fotografie, deren Wesen der eingefrorene

Moment ist. Sie gehen aber auch über diese Problemstellung hinaus: Durch

Inszenierung und/oder manuelle und digitale Bearbeitung werden Bilder, die

meist auf realen Situationen und Orten bzw. dokumentarischen Materialien

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basieren, so manipuliert, dass neue Zeit-Raum-Konstellationen zwischen

Realität und Fiktion entstehen. Zeit wird als inhomogene Größe entlarvt bzw.

in ihrer Relativität bestätigt.

Einige der Künstlerinnen und Künstler eröffnen durch den Einsatz spezieller

Verfahren und Fotoapparate wie beispielsweise Line-Scan-, Hochgeschwin-

digkeits- oder Wärmebildkameras der Auseinandersetzung mit Zeit neue

Wege, in Bezug auf die Darstellung von durch das menschliche Auge nicht

wahrnehmbarer Zeit.

Meditative, „zeitlose“, in die Abstraktion führende Arbeiten machen Zeit

fühlbar und eröffnen Gedanken an Ursprung und Endlichkeit der Existenz. Sie

machen darauf aufmerksam, dass wir, in unserem heutigen Zeitbewusstsein

gefangen, oft vergessen, dass Zeit nicht nur eine vom Menschen definierte

Größe, sondern vor allem eine „Dimension des natürlichen Universums“

(Norbert Elias) ist.

Und es sind auch der Humor und die Poesie, mit denen das Thema Zeit auf

erfrischend unkonventionelle Weise verhandelt wird.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Künstlerinnen und Künstlern sowie bei

Andra Spallart, Marie-Therese Hochwartner, Monika Ottwald und Christoph

Fuchs für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung.

Petra Noll

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In den Meereslandschaften des Projekts 7 C-Days von Michael Aschauer geht

es nicht um Landschaft als Motiv, sondern um den Versuch einer Visualisie-

rung von Zeitabläufen im fotografischen Bild. Aschauers Arbeit basiert auf

systematischen, konzeptuellen Versuchsanordnungen mit dem Medium der

digitalen Fotografie. Verwendet hat er eine speziell konstruierte Line-Scan-

Kamera, die er auf dem Berg „Oros Harasson“ (Berg, der die Richtung des

Lichts einschreibt) auf der griechischen Insel Syros fix montiert und exakt

nach der Linie zu dem Punkt, an dem die Sonne zur Wintersonnwende im Meer

versinkt, ausgerichtet hat. 7 C-Days ist eine Langzeitaufnahme über sieben

Tage (15. bis 21. November 2007, jeweils von 6 bis 18 Uhr, also von Sonnenauf-

bis Sonnenuntergang) eines einzigen Punktes am Horizont, ein scheinbar

endloses Panorama einer Meereslandschaft. Das historische, unter anderem

für Panoramafotos eingesetzte analoge Slitscan-Verfahren (der Film wird an

einem Schlitz, engl. slit, vorbeigezogen und durch diesen hindurch belichtet)

wurde von Aschauer digital eingesetzt. Aus jedem Einzelbild – ursprünglich

Bilder einer Video kamera, also 25 Bilder pro Sekunde – wurde jeweils nur eine

Pixelspalte aufgezeichnet und automatisch zu einem Bild montiert.

Realisiert wurde diese Arbeit als Künstlerbuch sowie in Form von aus-

schnitthaften Einzelbildern. Im Künstlerbuch sind auf jeder der 72 Seiten

jeweils zehn Minuten der einzelnen Tage, zur gleichen Tageszeit, zu einem Bild

montiert. Das Buch repräsentiert die gesamten sieben Tage, die Entwicklung

von Dunkelheit über zahlreiche Tagesfarben wieder zurück zur Dunkelheit.

Bei den Bildern in Ausstellung und Katalog handelt es sich um zehnminütige

Ausschnitte, die jeweils einer Buchseite entsprechen. Was wir vor uns haben,

ist eine konstruierte, illusionistische Landschaft, die die Diskussion um die

Relativität von Zeit entfacht.

7 C-Days #37 – #39, 2008

3 C-Prints (Diasec), je 37 * 50 cm

Geboren 1977 in Steyr, lebt und arbeitet in Wien

http://m.ash.to

Michael Aschauer

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Ohne Titel 1434, 1997

C-Print (Diasec), 200 * 160 cm

Boris BeckerGeboren 1961 in Köln (DE), lebt und arbeitet ebendort

www.boris-becker.com

Obwohl es sich um eine präzise fotografierte reale Landschaft handelt,

vermittelt uns das großformatige Bild Ohne Titel 1434 ein Gefühl von Ort- und

Zeitlosigkeit. Alle Orientierungsmerkmale sind getilgt: Weder eine Horizontlinie

noch Personen, Dinge oder der Titel, der nur eine Seriennummer ist, geben

einen Bezugsrahmen. Das Wo-Wann-Was ist hier nicht relevant. Ohne weißen

Rand – grenzenlos – wird das Bild freigestellt auf der Fläche präsentiert, ein

detailgetreuer, tiefenscharfer Ausschnitt aus der Realität, der dennoch weit

entfernt davon ist, diese abzubilden. Durch diese Abstraktion ist das Bild

autonom geworden und somit offen für Fragestellungen zur Repräsentati-

onsfähigkeit bzw. Bildinformation von fotografischen Bildern.

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Brasilia, boucles, échangeur, 2007–2008

HD-Video, 4:40 min., Loop

Geboren 1957 in Neuilly-sur-Seine (FR), lebt und arbeitet in Paris (FR)

www.stephanecouturier.fr

Stéphane Couturier

Stéphane Couturiers großformatige fotografische Tableaus sowie seine

filmischen Arbeiten, angesiedelt zwischen Dokumentation und Fiktion, sind

Analysen des sich ständig im Wandel befindlichen urbanen Raumes. In den

Fotografien und Videos des Werkkomplexes Melting Point werden jeweils

zwei Ebenen miteinander vermischt. In dem dazugehörigen Video Brasilia,

boucles, échangeur befinden wir uns an einem Verkehrsknotenpunkt einer

Schnellstraße der Stadt Brasilia. Couturier hat für diese Arbeit zwei dokumen-

tarische Videos übereinandergelagert und damit neue Konstellationen von

Raum und Zeit geschaffen. Durch den Loop wird Zeit ins Unendliche gedehnt.

Wir bleiben im Ungewissen bezüglich der Länge der Fahrt bzw. des Videos: Es

könnte endlos so weitergehen … Damit werden im Video eher Stimmungen –

von meditativ bis beängstigend – als eine Geschichte mit Anfang und Ende

vermittelt. Durch die Verwendung von dokumentarischem Material wird trotz

der Montage ein realistischer Bezug zur Situation an diesem speziellen Ort

geschaffen: „Ähnlich wie in einem Videospiel wird der Betrachter auf den

Parcours einer Endlosschleife gebracht, von dem aus es unmöglich erscheint

zu entfliehen – trotz Spiegelungen von Öffnungen durch Bilder eines zweiten

überlagerten Video-Bands. […] Der Knotenpunkt, diese architektonische

Gegebenheit, die ein höchstmögliches Verkehrsaufkommen bewältigen soll,

wird auf diese Weise zu einem Raum labyrinthischer und absurder Einfriedun-

gen, dessen bedrückender Charakter durch sich ständig wiederholende und

obsessive Musik verstärkt wird […].“ (Jean-Christian Fleury)

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Serie 01 (Bild 1), 2009

C-Print mit Tipp-Ex bearbeitet, 14 * 9 cm

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Serie 01: 08 10 09 0749, 08 10 09 0756, 08 10 09 0802, 08 10 09 0807 …

Serie 02: 08 10 09 1202, 08 10 09 11215, 08 10 09 1225 …

Serie 03: 09 10 09 0650, 09 10 09 0715, 09 10 09 0732 …

Serie 04: 05 10 09 1645, 05 10 091 709, 05 10 09 1723, 05 10 09 1745 …

243 C-Prints mit Tipp-Ex bearbeitet, 2009, je 14 * 9 cm

Geboren 1982 in Graz, lebt und arbeitet in Wien

www.stefaniehilgarth.net

Stefanie Hilgarth

Bei dieser konzeptuellen Arbeit, die im Jahr 2009 während verschiedener

Zugfahrten auf drei Pendler strecken in der Steiermark entstanden ist und die

insgesamt 243 bearbeitete Fotografien umfasst, die in Serien – jeweils eine

Fahrt repräsentierend – angeordnet sind, handelt es sich um eine Raum-Zeit-

Studie. Bei jedem Halt des Zuges an einem Bahnhof hat Stefanie Hilgarth zu

verschiedenen Zeiten – die zunächst unverständliche Zahlenreihe der Titel

verweist jeweils auf Tag, Monat, Jahr und Uhrzeit eines Stopps – von einer

nahezu immer gleichen Ausgangsposition mit einer Handykamera ein Foto

des Außenraums aus dem Zugfenster hinaus aufgenommen. Bedingt durch

die unterschiedliche Helligkeit des Tageslichts – sie hat sich den durch die

Stopps der Züge vorbestimmten Zeiten bewusst untergeordnet – entstanden

mehr oder weniger starke Reflexionen, die den Innenraum des Zuges mit

dem Außenraum überlagerten. Diese Überlagerungen hat Hilgarth mit der

Korrekturflüssigkeit Tipp-Ex auf den Fotos weggestrichen. Durch ihre manuell

durchgeführten ‚Korrekturen‘ „scheint eine Multiplizierung der Zwischen-

räume, die erst durch die serielle Anordnung der Fotos als dynamische

Bewegung wahrgenommen werden kann, zu entstehen. Es wird sozusagen nur

der Raum gezeigt, der abseits des Geschehens im Zugabteil liegt. Alles andere

verschwindet hinter einer matten weißen Oberfläche, die sich zwangsweise

als grafisches Element in den Vordergrund drängt.“ (Stefanie Hilgarth)

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Good Times, Bad Times (Triptychon), 2007

digitale C-Prints auf Aluminium, je 20 * 27 cm

Geboren 1970 in St. Petersburg (RU), lebt und arbeitet in Wien

www.jermolaewa.com

Anna Jermolaewa

Mit subtilem Humor reflektiert Anna Jermolaewa in dem Triptychon Good

Times, Bad Times unsere Zeiteinteilung und -messung, einen Grundwert der

menschlichen Existenz. Die Fotoarbeit versteht sich – innerhalb von Jermo-

laewas Interesse an der Untersuchung gesellschaftlicher Strukturen – als

Metapher für die Relativität von Werten und Systemen respektive für die

Willkürlichkeit und Künstlichkeit unseres Zeitsystems, das neben praktischen

Vorteilen auch repressive Auswirkungen haben kann. Für ihre Arbeiten sucht

sie nie das Spektakuläre, vielmehr ist sie in der Welt des Alltäglichen, der klei-

nen Dinge und Situationen zu Hause. Der Mensch als Akteur und Individuum

tritt visuell in ihren Arbeiten zurück, Jermolaewas Protagonisten sind Puppen,

Spielzeugfiguren und Tiere, wie hier die Tauben, für die es auf den waagerecht

stehenden Zeigern einer Uhr deutlich gemütlicher ist als auf den senkrechten –

drei in der Realität entdeckte und voller Symbolik steckende Bilder!

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Ohne Titel, 2006

Inkjet-Print, 64 * 46 cm

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Ohne Titel, 2006

Inkjet-Print, 147 * 203 cm

Geboren 1971 in Singen (DE), lebt in Düsseldorf (DE)

www.martin-klimas.de

Martin Klimas

Martin Klimas untersucht das Verhältnis von Zeit, Schönheit und Zerstörung.

Er fotografiert Dinge auf dem Weg ihrer Transformation von der Ganzheit

zum Zerfall und erreicht somit die Gleichzeitigkeit zweier konträrer Zustände

in einem fotografischen Bild. Um dieses kurze, temporäre Ereignis zwischen

Ruhe und Bewegung, Schönheit und Chaos für das Auge sichtbar zu machen,

verwendet der Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft eine Hoch-

geschwindigkeitskamera. „7000stel Sekunden sind das Kürzeste, was man

aufnehmen kann. In diesem Rahmen bewege ich mich, in dieser kurzen Scheibe

der Zeit finde ich meine Bilder.“ 1 So beschießt er beispielsweise – in präzise

konstruierten Sets – Porzellan-Blumenvasen an der Basis mit Stahlkugeln

und hält sie im Moment vor ihrem gänzlichen Zerfall fest. Im Moment der

Ablichtung ist das jeweilige Objekt teils unverletzt, teils bereits zersprungen,

also immer noch erkennbar. Eine weitere Variante ist, dass er – wie bei den

Kung-Fu-Kämpfern – Porzellanfiguren aus drei Metern Höhe in die Tiefe wirft.

Das Geräusch des Aufpralls setzt den Auslösemechanismus der Hochgeschwin-

digkeitskamera in Gang. „Schön war natürlich, dass diese Kung-Fu-Figuren

interagiert haben, dass sie in dem Moment zum Leben erwacht sind und dann

auch noch gegeneinander gekämpft haben. Das war natürlich ein wunderbarer

Moment der Vitalität, …“ 2

1 und 2 Martin Klimas in youtube 13.7.2012

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Rund um die Uhr, 1996/2010

Neon, Spiegel, 60 * 60 * 60 cm

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Lichtgeschwindigkeit sek/4m, 1989/2007

Neon, Chromstahl, 25 * 400 * 16 cm

Geboren 1957 in Wien, lebt und arbeitet ebendort

www.kowanz.com

Brigitte Kowanz

Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet.(Paul Cézanne, 1906)

Innerhalb ihrer Auseinandersetzung mit Qualität, Erscheinung und Darstellung

von Licht ist auch Zeit ein zentrales Thema im Werk von Brigitte Kowanz. Für

die Visualisierung von Zeit durch (künstliches) Licht hat sie unterschiedliche

formale Lösungen gefunden. Die hier präsentierten Arbeiten entlarven das

menschliche Zeitmesssystem als willkürliche Größe: die Fotoserie Kalender ,

basierend auf Objekten aus übereinandergelagerten Neonziffern, bei denen

abwechselnd alle Ziffern beleuchtet werden oder nur ein Tag, sowie das

Uhrenobjekt Rund um die Uhr – ein Kubus aus Zweiwegspiegeln, in dem die

12 Buchstaben des Titels (entsprechend der Anzahl der Stunden auf der Uhr)

wie beim Ziffernblatt im Kreis angeordnet sind und sich scheinbar unendlich

im Kubus spiegeln.

Mit der Serie Lichtgeschwindigkeit stellt sich Kowanz der Herausforderung,

vom Menschen nicht wahrnehmbare Zeit darzustellen. Dabei legt sie physi-

kalische Messgrößen zugrunde: „Weil Licht u. a. selbst ein Geschwindigkeits-

system ist und seine eigene Geschwindigkeit eine maßstäbliche Konstante

für naturwissenschaftliche Berechnungen darstellt, bilden Licht und Zeit

prinzipiell ein komplexes Beziehungsgeflecht wechselweiser Bestimmungen.“

(Brigitte Kowanz) Die Arbeit Lichtgeschwindigkeit sek/4m besteht aus einer

vier Meter langen, zunächst paradox wirkenden Abfolge von 16 Neonziffern.

Durch das Komma nach der ersten 0 offenbart sich aber, dass die Reihe

eine Zahl darstellt; durch den Titel wird zudem klar, dass es sich um die Zeit,

gemessen in Sekunden, handelt, die das (künstliche) Licht benötigt, um eine

Strecke von vier Metern (es gibt mehrere Versionen unterschiedlicher Länge)

zurückzulegen. Obwohl eine fest definierte Größe, lässt Lichtgeschwindigkeit

sich nicht, so vermittelt es uns diese Arbeit nicht ohne Augenzwinkern,

nachempfindbar darstellen.

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Plate 365. Motion study photograph Movements, Male, Head-spring,

a flying pigeon interfering. Eadweard Muybridge. 1887, (Blatt 1 und 12), 2007

12 Blätter, Inkjet-Prints, je 40 * 50 cm

Geboren 1977 in Berlin (DE), lebt in Leipzig (DE)

www.edgarl.de

Edgar Leciejewski

„[…] Leciejewskis künstlerische Arbeit untersucht die verschiedenen sozialen

und wissenschaftlichen Gebrauchsweisen der Fotografie. Sie ist ein experi-

mentell-analytischer Versuch, dem Medium der Fotografie die zeitgenössisch

relevanten Fragestellungen zu entlocken. Neben inhaltlichen Themen und der

Reflexion der eigenen Arbeitsweisen sowie Arbeitsmittel interessiert es ihn,

die Dimension von Zeit in die fotografische Arbeit einfließen zu lassen. Seine

Arbeiten sind Speicher oder Vorratskammern von Zeit, die es ermöglichen,

den Akt des Sehens und Erfahrens zu verlangsamen […]“. 1 Die hier gezeigte

Arbeit hat sich Leciejewski von Eadweard Muybridge’s Bewegungsstudie

Plate Number 365. Head-spring, a flying pigeon interfering (1887), einem

radschlagenden Mann, in dessen Aktionsfeld eine Taube fliegt, angeeignet.

Die Aneignung besteht in der Verwendung eines Scans der originalen Arbeit,

in die bewusst nur minimal eingegriffen wurde: Während sich auf der Platte

von Muybridge die Seitenansichten des Körpers zusammen oben und die Front-

ansichten unten befinden, hat Leciejewski die jeweils zueinander gehörenden

Paare – die beiden Bilder sind jeweils im gleichen Moment entstanden, worauf

eine kleine Nummer auf den Blättern verweist – leicht vergrößert auf ein Blatt

gebracht. Hiermit wird der filmische Ablauf stärker hervorgehoben. Seine

Arbeit hat er nach der originalen Plattennummerierung Plate 365 benannt. Die

Bedeutung von Zeit im Jahreskreislauf wird hier eindrücklich thematisiert. 365

ist nicht nur die Nummer der Platte, sondern auch die Anzahl der Tage eines

Jahres. Zwölf Monate hat das Jahr und es gibt zwölf Bilder unterschiedlicher

Etappen des Radschlagens. Zudem ist das Radschlagen als poetische Metapher

für den ewig wiederkehrenden Jahreskreislauf zu verstehen.

1 Robert Renger-Patzsch, „Im Reich der Kamera“, in: Voluptuous, 2011

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Escalator I, 2011

C-Print, 80 * 80 cm

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Passage #1 und Passage #2, 2012

C-Prints, je 47 * 180 cm

Geboren 1965 in Wien, lebt und arbeitet ebendort

www.michaelmichlmayr.at

Michael Michlmayr

Die Auseinandersetzung mit Realitätsstrukturen sowie mit dem Wahrheits-

gehalt fotografischer Bilder führen Michael Michlmayr zu Arbeiten, die die

Basiskategorien von Wahrnehmung – Zeit und Raum – neu zur Disposition

stellen. Er fotografiert beispielsweise Menschen auf einem belebten Platz

oder auf einer Rolltreppe zeitversetzt mit einer fix montierten Kamera und

fügt die Einzelbilder dann am Computer nahtlos zu einem Tableau zusammen.

Durch die Parallelschaltung verschiedener Raum- und Zeitebenen in einem

Bild wird zunächst Gleichzeitigkeit von Ereignissen und Handlungen suggeriert.

Nimmt man sich etwas Zeit zum Betrachten und entdeckt beispielsweise,

dass manche Personen wiederholt in unterschiedlichen Posen und Gesten

auftauchen, stellen sich diese Fotografien scheinbar realer urbaner Szenarien

als Konstrukte heraus.

Alles ist Fiktion; es werden Geschichten erzählt, die so nie stattgefunden

haben (in Passage #2 wird sogar vermeintlich die Geschichte von Passage #1

weitererzählt). So frei, wie er den Raum behandelt, spielt er auch mit der

Zeit: Michael Michlmayr negiert die naturwissenschaftlich-rationale Defi-

nition von Zeit als linear ablaufender Faktor und versteht sie vielmehr als

inhomogene Größe.

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Ansel Adams (1902–1984, USA)

Moon and Half Dome, Yosemite Valley, 1960

Silbergelatineabzug, 23,8 * 19 cm

gegenüberliegende Seite:

Jeff Nixon

Moon and Half Dome, Yosemite Valley, 1998

Silbergelatineabzug, 49,5 * 39 cm

Geboren 1952 in Oakland (USA), lebt und arbeitet in Yosemite und Pacific Grove (USA)

Jeff Nixon

Die Arbeit Moon and Half Dome, Yosemite Valley von Jeff Nixon basiert

auf einem der berühmtesten Bilder von Ansel Adams gleichen Titels. Die

Landschaftsaufnahme wurde im Yosemite Valley im Yosemite-Nationalpark

in Kalifornien 1960 mit einer Hasselblad aufgenommen und zeigt den Berg

Half Dome an einem wolkenlosen, sonnigen Winternachmittag mit dem

zunehmenden Mond an einer ganz spezifischen Stelle. Später fand man durch

wissenschaftliche Analysen heraus, dass das von Adams nur unpräzise datierte

Foto am 28.12.1960 um 4:14 Uhr entstanden ist. 38 Jahre später hat Jeff

Nixon das Bild nachfotografiert. Er war von der Ansel Adams Gallery darauf

aufmerksam gemacht worden, dass die von Adams fotografierte Situation mit

dieser Mondstellung nur alle 19 Jahre vorkommt. Während es Adams um die

ideale Komposition ging und er deshalb den Punkt suchte, wo die Szene am

klarsten, d. h. am wenigsten durch Bäume gestört war und der Mond an einer

für sein künstlerisches Verständnis ausgewogenen Stelle stand, war Nixon

primär am wissenschaftlichen Experiment interessiert. Er wollte den Erweis

erbringen, dass sich auf der Basis von gleichen Verläufen von Zeit Zustände

wiederholen. Eine Bestätigung – möglich geworden durch analoge Fotografie –

der einzig fixen Zeiteinteilung, dem Kreislauf der Natur.

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Cold Boxes, 3 Minuten nach dem Verlassen, 1994

aus der Serie: Leaving Shadows

4 C-Prints (Diasec), je 100 * 100 cm

Geboren 1954 in Pinneburg (DE), lebt und arbeitet in Köln (DE)

www.stephanreusse.com

Stephan Reusse

Man sieht der Zeit bei der Arbeit zu. (Karl Honnef, 2003)

In seinen thermografischen Arbeiten, in denen er konzeptuell, aber auch

experimentell vorgeht, setzt sich Stephan Reusse gleichermaßen mit

Wahrnehmung, Realität, (Un-)Sichtbarkeit und Zeit wie auch mit fotografi-

schen – Medium und Apparat – und malerischen Problemen auseinander. Mit

thermografischen Aufnahmegeräten visualisiert er für das menschliche Auge

unsichtbare Wärmeabstrahlungen von Körpern von Menschen, Tieren und

Dingen in einem Farbspektrum von Weiß bis Blau (Blau = kalt, Weiß = warm). In

Cold Boxes erscheinen die Abstrahlungen der kalten Kisten demnach in Blau;

sie treten aufgrund des großen Temperaturunterschiedes zwischen Kisten und

Raum besonders deutlich zu Tage. Reusse hat auch die Wärmeabstrahlungen

von menschlichen Körpern, die vor ungefähr drei bis vier Minuten ihren

Platz – zum Beispiel auf einem Stuhl – verlassen hatten, aufgenommen. Je

schneller nach dem Verschwinden die Aufnahme geschieht – denn Wärme

vergeht – desto deutlicher erscheint die Wärmespur, die „Aura“. Dennoch

bleiben es immer schemenhafte, visionäre Bilder, Thermovisionen, wie

Stephan Reusse sagt. Indem diese „Schatten“ im Bild erscheinen, wird das

Flüchtige „festgehalten“. Dieser visualisierte Zwischenzustand macht Zeit

auf ungewöhnliche Weise sichtbar. „Die Radikalität des Kunstdiskurses bei

Reusse liegt […] in der nachdrücklichen Konsequenz, mit der er Temporalität

als Eigentlichkeit des fotothermografischen Bildes begreift. […] So wie die

Fotografie ist auch die Thermografie ruinös: Sie macht das Gezeigte als Ruine

der Zeit sichtbar.“ 1

1 Carl Aigner, „Im Bilde des Lichts – Kommunikative Eigenschaften und Sichtbarkeit im Werk von

Stephan Reusse“, in: Stephan Reusse. Works 2003–1982, Wien 2003, S. 24.

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7 minutes 13 seconds, 2011

Videoprojektion (7 min. 13 sek.) auf Inkjet-Print, 133 * 100 cm

Ausstellungsansicht, Georg Kargl Box, Wien 2011 (courtesy Georg Kargl Fine Arts)

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Oculus, 2011

6 C-Prints, je 50 * 70 cm

Geboren 1980 in Dornbirn, lebt und arbeitet in Wien

www.liddyscheffknecht.net

Liddy Scheffknecht

Zeit ist immer im Wandel; dieser wird erfahrbar in Bewegungen und als

Aufeinanderfolge von Veränderungen. In der Fotografie lässt sich Zeit

ausschließlich im Stillstand, als Momentaufnahme abbilden. In 7 minutes 13

seconds stellt sich Liddy Scheffknecht der Herausforderung, Zeit als Prozess

im fotografischen Bild darzustellen, und rückt dazu auf spezielle Weise

die Fotografie ins Filmische. Als Basis dient ihr eine von einem anonymen

Fotografen angeeignete Fotografie, die das Motiv eines Fotografen mit seiner

Kamera zeigt. Diese hat sie vergrößert und in einen neuen medialen Zusam-

menhang gebracht, indem sie sie mit einer für diese Fotografie gemachten

Animation von Schatten, die auf das Bild vom Fotografen projiziert werden

und – sich im Umriss verändernd – langsam über dieses ziehen, überlagert.

Diese Schattenbewegung suggeriert die Wahrnehmung von verstreichender

Zeit. Tatsächlich handelt es sich aber um einen autonomen Schatten, der in

keiner logischen Beziehung zum abgebildeten Fotografen steht. Mit dieser

Simulation werden nicht nur neue Möglichkeiten der Darstellung von zeit-

lichen Abläufen im fotografischen Bild ausgelotet, sondern auch Probleme

der Wahrnehmung angesprochen. Diese Zugangsweise gilt auch für die auf

einer Installation basierenden Fotoserie Oculus. Hierfür wurde aus einem

mit weißem Papier bedeckten Fenster eine Ellipse herausgeschnitten und im

Innenraum davor eine Lampe platziert. Durch das eintretende Sonnenlicht

wurde die Ellipse zu verschiedenen Tageszeiten an unterschiedlichen Stellen

und in variierenden Formen auf den Boden gestrahlt. Nur zu einer bestimmten

Uhrzeit am Tag wurde der Status erreicht, dass ein runder Lichtkreis sich direkt

unter der Lampe formierte und damit die Illusion erzeugte, dass die Lampe

nun eingeschaltet worden wäre.

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aus der 7-teiligen Serie Whyte Avenue, 1998

C-Prints, je 39 * 49 cm

Geboren 1971 in Vöcklabruck, lebt und arbeitet in Wien

www.wernerschroedl.at

Werner Schrödl

Die Auseinandersetzung mit Flüchtigkeit und Dauer findet sich in vielen Arbei-

ten von Werner Schrödl, so auch in seiner frühen Serie Whyte Avenue. Diese

besteht aus sieben Schnappschüssen aus dem Fenster seines temporären

Ateliers in Brooklyn auf die hell beleuchtete nächtliche Whyte Avenue, wo

sich zum Teil wilde Szenen zwischen Zuhältern und Prostituierten abgespielt

haben. Mit der Wirklichkeit ein experimentelles Spiel treibend, konnte es für

Schrödl nicht bei diesen Fotos bleiben. So hat er später auf den Originalauf-

nahmen, auf denen nur flüchtige Erscheinungen, verschwommene Menschen

in Bewegung zu sehen sind, Miniaturfiguren in erstarrter Aktion platziert und

fotografiert und damit mindestens eine zweite Zeitebene hinzugefügt. In die-

sen Mini-Modellwelten werden aus den ursprünglich einmalig festgehaltenen

Zeitmomenten „dauerhafte“ Situationen, wie sie sich über lange Zeit immer

wieder ähnlich abspielen (könnten). Durch fiktionale und inszenatorische

Elemente wird aber gleichzeitig auch konstatiert, dass in einer unstabilen

Welt nichts verbindlich, nichts gewiss, nichts von Dauer ist.

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Geteilte Zeit [Wien, Bundesländerplatz], 2011

Video, 8 min., Loop, Ton

nächste Doppelseite:

45 steps, 5 trees, 1 pole and almost stepping into dogs droppings, 2008

C-Print (Diasec), 50 * 257 cm

Geboren 1966 in Tulln, lebt und arbeitet in Wien

www.jutta-strohmaier.net

Jutta Strohmaier

Jutta Strohmaiers fotografische und filmische Arbeiten entstehen auf der

Basis von oft langfristig erstellten dokumentarischen Materialien räumlicher

Situationen, die am Computer bearbeitet werden. Das Resultat sind nicht nur

poetisch-kontemplative, sondern auch wissenschaftlich-analytische Zeitbilder

oder auch subtile, humorvolle Arbeiten wie die Fotografie 45 steps, 5 trees,

1 pole and almost stepping into dogs droppings. Strohmaiers Anliegen ist es,

das Verstreichen von Zeit im fotografischen Bild sowie im Film darzustellen

bzw. fühlbar zu machen, wobei sie beide Medien, wie im Video Geteilte Zeit,

auch ineinandergreifen lässt. In dem Video At Times werden auf einem Dach

Schwalben beim Füttern ihrer Jungen beobachtet, wobei nur die Schatten der

Vögel sichtbar sind. Diese kontemplativen Bilder, der meditative Ton sowie

der verlangsamte Ablauf machen Zeit fühlbar: Sie scheint gleichzeitig zu

verstreichen und stillzustehen. Diesen Eindruck vermittelt auch – auf andere

Weise – das Video Geteilte Zeit. Hier hat Strohmaier eine extreme Langzeit-

belichtung simuliert. Mit einer im Hotel Kummer am Bundesländerplatz in

Wien fix montierten, computergesteuerten Kamera wurde die davorliegende

Kreuzung in Bildintervallen zwei Tage lang fotografiert. Die entstandenen

23.460 Fotografien hat Strohmaier mit einer eigens entwickelten Software

aneinandergefügt, bearbeitet und mit Straßengeräuschen unterlegt. Der

Film zeigt zwei Ebenen von Zeitlichkeit: die langsam wandernden Schatten

der statischen Architektur sowie die schnellen Bewegungen der Autos und

Fußgänger, die sich aufgrund von Berechnungen am Computer auch nur mehr

als Schatten zeigen. Durch die digitale Bearbeitung fließen die fotografischen

Bilder zu einem dauerhaften Prozess zusammen und machen Bilder aus

unterschiedlichen Zeitabschnitten zur gleichen Zeit sichtbar.

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Sea of Japan, Oki IV, 1987

Silbergelatineabzug, 44,7 * 58 cm

Geboren 1948 in Tokio (JP), lebt und arbeitet in New York (USA)

www.sugimotohiroshi.com

Hiroshi Sugimoto

Bei Sea of Japan handelt es sich um eine frühe Arbeit aus Sugimotos größter,

konzeptuell angelegter Werkgruppe Seascapes. Seit über 30 Jahren fotogra-

fiert er Meereslandschaften an verschiedenen Orten in der Welt, ohne diese

näher zu beschreiben, in immer gleicher Weise und Stimmung. Er reflektiert

damit fundamentale Probleme von Raum und Zeit und damit Existenz. In

diesen Arbeiten geht es darum, „in die Vergangenheit zurückzugehen und

sich zu erinnern, woher wir kommen und wie wir entstanden sind“ (Sugimoto,

2002). In ihrer ruhigen Komposition mit dem gleichen Verhältnis von Wasser

und Himmel, ihrer Reduktion auf das abstrahierende Schwarz-Weiß und das

kleine Format, ihrer Ereignislosigkeit und fühlbaren Stille repräsentieren sie

einen überzeitlichen Bewusstseinszustand. Die Zeit scheint stillzustehen

in diesen „Denkbildern“, die einerseits – wie für Sugimoto selbst – ein

beruhigendes Gefühl der Sicherheit vermitteln, eine Verortung in Zeit und

Raum, ein Einssein mit der Natur. Andererseits ist hier die Relativität von

Zeit spürbar, das Unfassbare, Unbegreifbare, das ein Gefühl von Verlust und

Desorientierung und damit Verunsicherung hervorrufen kann.

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Yellow, 2006

C-Print, Papiercollage auf Karton, mit Tusche überzeichnet, 60 * 81,5 cm

Geboren 1957 in Innsbruck, lebt und arbeitet in Wien und New York (USA)

www.martinwalde.at

Martin Walde

Ein wichtiges Thema in Waldes Werk ist die Auseinandersetzung mit Verän-

derung bzw. Transformation von Materie und Zuständen – wie von Bewegung

zu Stillstand, von Erscheinen zu Verschwinden. Die Arbeit Yellow stammt

aus der Serie Enactments, Fotomontagen mit eingezeichneten Figuren. In

fotografische Darstellungen alltäglicher Begebenheiten bzw. realer Situa-

tionen werden spielerisch mysteriöse Parallelwelten integriert. Die leicht

verschobene Ansicht eines realen urbanen Raums wird in der Arbeit Yellow

verrätselt durch die eingezeichnete übergroße Figur eines vermummten

Kapuzenmannes mit Reisigbündel an einem Zebrastreifen. Seltsam verloren,

anwesend und abwesend zugleich, steht er in einem Spannungsfeld zwischen

Tatenlosigkeit und eventuell möglichem Agieren. „Es ist einer dieser aus dem

Nichts banaler Alltäglichkeit auftauchender nobodies, deren Geschichten

üblicherweise verloren gehen oder aber […] künstlerische Prozesse unabhän-

giger Transformationen in Gang setzen können.“ 1 Ob und was geschieht, bleibt

offen für Spekulationen. Die Zeit steht still. Ein irritierender Stillstand, der

existenzielle Fragen aufwirft. Durch das Eintauchen des Umfelds des Mannes

in ein übernatürliches Gelb – ein Stilmittel von Walde, der die Figuren damit der

physischen Wirklichkeit entzieht – sowie die verschobenen Größenverhältnisse

von Raum und Figur, ergibt sich eine fantastisch-poetische Konstellation, die

unsere festgefügte Wahrnehmung von Ordnung, Realität, Zeit und Raum

erheblich irritiert.

1 Anneliese Pohlen, Martin Walde, Die lange Geschichte der Enactments – oder von der Spuren-

suche im verpixelten Wahrnehmungsraum, in: http://www.martinwalde.at/sites/authors/

pohlen01.html

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Strobogramm, 2011

Video, 3 min., Ton

Geboren 1975 in Wien, lebt und arbeitet ebendort

www.florawatzal.at

Flora Watzal

Das Verhältnis von Zeit, Medien und Wahrnehmung bzw. der Einfluss digitaler

Medien auf unser Denken bestimmt die Videoarbeiten von Flora Watzal. Dazu

analysiert sie die Grundstrukturen des Mediums Video. Sie geht dabei häufig

an die Grenzen der Sicht- und Lesbarkeit, stört mit massiven Verschiebungen,

Zerlegungen, Fragmentierungen und losgelösten Zusammenhängen die Ord-

nung von Raum und Zeit und schafft Konstruktionen, die die Wahrnehmung

herausfordern. Das Video Strobogramm zeigt zunächst ein schwarzes Bild,

das sich plötzlich in rechteckigen Segmenten von links oben in Leserichtung

nach rechts unten zeilenförmig erhellt und fast die ganze Bildinformation

freigibt, um sich dann wieder in Abschnitten zu verdunkeln: Wir sehen die

Künstlerin, wie sie den Lichtschalter für eine Deckenlampe in ihrer Werkstatt

an- und ausknipst und damit die Erhellung/Verdunkelung bzw. Sichtbarkeit/

Unsichtbarkeit des Videobildes steuert.

Die rechteckigen, in ein regelmäßiges Rastersystem gefügten Segmente, die

über die Bildoberfläche ziehen, sind jeweils um acht Kader zeitversetzt. Der

durch die partielle Erhellung/Verdunkelung in seine Einzelteile zerlegte Raum

ist damit immer nur in Ausschnitten lesbar und wirkt dadurch, als läge eine

Bildstörung vor, bekommt aber gerade deshalb neue narrative Aspekte. In

jedem Videofilm werden die Bilder Pixel für Pixel aufgebaut; dieses schnell

ablaufende, kaum wahrnehmbare System übernimmt Flora Watzal vereinfacht

mit ihrer diagrammartigen Bildkonstruktion. Der stakkatoartige Ton, der

durch das Klicken des Lichtschalters entsteht, pointiert das erheiternde

Raum-Zeit-Experiment.

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Reisezeit, Praha 19.09 - Warzawa 7.09, 1992

Reisezeit, Berlin 8.23 - München 18.21, 1992

Silbergelatineabzüge, je 92 * 122 cm

nächste Doppelseite:

Rio Amazonas, Brazil (16.57– 17.07 Uhr, 27.7.2003), 2003

C-Print (Diasec), 125 * 175 cm

Geboren 1963 in München (DE), lebt und arbeitet in Berlin (DE)

www.wesely.org

Michael Wesely

Mit extremen Langzeitbelichtungen, die von Minuten über Stunden bis hin zu

Jahren dauern können, stellt Michael Wesely Motive und Situationen im Verlauf

ihrer Veränderung, im Fluss ihrer Bewegung in der Fotografie dar. Ergebnis ist

jeweils ein fotografisches Bild, auf dem alles festgehalten ist, was sich vor der

selbst konstruierten, fix montierten Kamera in der Zeitspanne der Öffnung

des Verschlusses ereignet hat. Für das menschliche Auge ist die Entstehung

nicht wahrnehmbar. Mit dieser Technik verdichtet Wesely das Prozesshafte

von Zeit. Durch die Transferierung ins Filmische bzw. aufgrund der durch die

Langzeitbelichtung entstehenden, zahlreichen sich überlappenden und damit

scheinbar gleichzeitigen Bilder von Veränderungen werden die Fotografie

als Medium der Momentaufnahme und die Zeit als chronologische Größe

neu zur Disposition gestellt. Basis von Weselys hyperrealen Fotografien sind

alltägliche Orte, Dinge und Situationen: Es entstehen Bilder von biologischen

Prozessen wie dem Verwelken einer Blüte, von städtebaulichen Entwicklungen

wie Neubauten oder Baustellen, von Veränderungen in der Natur oder auch

von menschlichen Handlungen. In Darstellungen von Orten, in denen Zeit per

se schon eine große Rolle spielt – wie auf Bahnhöfen – bzw. wo der Wandel des

Jahreskreislaufs sichtbar wird (Sonnenauf- und Sonnenuntergänge) potenziert

sich die Auseinandersetzung mit Zeit. Durch das Charakteristikum der Lang-

zeitbelichtung, der Unschärfe, ausgelöst vor allem durch die Bewegung von

Menschen, die bei heftigen Aktionen bis hin zur „Auflösung“ derselben führen

kann, wird Zeit auch in ihrer Eigenschaft des Verschwindens sichtbar gemacht.

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Diese Publikation erscheint im Rahmen der Ausstellung

How long is now?9. Oktober bis 11. Dezember 2013

Kuratorin: Petra Noll

Text: Petra Noll

Grafik und Technik: Christoph Fuchs

Lektorat: Melanie Gadringer

Fotos: Künstlerinnen und Künstler, außer Seite 32, 33 (Fritz Simak),

41, 47 (Christoph Fuchs)

Leitung: Andra Spallart

Organisation: Christoph Fuchs, Marie-Therese Hochwartner, Monika Ottwald

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Foto-Raum, Wien, Detailansicht (Foto: Fritz Simak)

© 2013 bei den Künstlerinnen, Künstlern und der Autorin

Theresiengasse 25, 1180 Wien

geöffnet Mo, Mi, Fr 10 – 13 Uhr,

Do 16– 19 Uhr und nach Vereinbarung

+43 (0) 676 517 5741

www.foto-raum.at

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Michael Aschauer

Boris Becker

Stéphane Couturier

Stefanie Hilgarth

Anna Jermolaewa

Martin Klimas

Brigitte Kowanz

Edgar Leciejewski

Michael Michlmayr

Jeff Nixon

Stephan Reusse

Liddy Scheffknecht

Werner Schrödl

Jutta Strohmaier

Hiroshi Sugimoto

Martin Walde

Flora Watzal

Michael Wesely