honneth, axel. menke, christoph - klassiker auslegen. theodor w. adorno. negative dialektik. 1

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Honneth, Axel. Menke, Christoph - Klassiker Auslegen. Theodor W. Adorno. Negative Dialektik. Erster Teil.

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Page 1: Honneth, Axel. Menke, Christoph - Klassiker Auslegen. Theodor W. Adorno. Negative Dialektik. 1

1Theodor W. Adorno

Negative Dialektik

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Klassiker Auslegen

Herausgegeben vonOtfried HöffeBand 28

Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophiean der Universität Tübingen.

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3Theodor W. Adorno

Negative Dialektik

Herausgegeben vonAxel Honneth und Christoph Menke

Akademie Verlag

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Titelabbildung: Theodor W. Adorno © SLUB / Deutsche Fotothek Dresden

ISBN-10: 3-05-003046-1ISBN-13: 978-3-05-003046-3

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2006

Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehal-ten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesin irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendeinanderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesonderevon Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder über-setzt werden.

Gesamtgestaltung: K. Groß, J. Metze, Chamäleon Design Agentur BerlinSatz: Veit Friemert, BerlinDruck und Bindung: MB Medienhaus, Berlin

Printed in the Federal Republic of Germany

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Inhalt

1.Zur EinführungAxel Honneth / Christoph Menke . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2.EinleitungZum Begriff der PhilosophieAxel Honneth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

3.Verhältnis zur OntologieAdornos Denken des UnbegrifflichenDieter Thomä . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

4.Negative Dialektik.Begriff und Kategorien IWahrnehmung, Anschauung, EmpfindungAndrea Kern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

5.Negative Dialektik. Begriff und Kategorien IIAdornos Analyse des Gebrauchs von BegriffenMartin Seel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

6.Negative Dialektik. Begriff und Kategorien IIIAdorno zwischen Kant und HegelJay Bernstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

7.Modell 1: Freiheit.Zur Metakritik der praktischen Vernunft IDialektik der Aufklärung in der Idee der FreiheitKlaus Günther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

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VI Inhalt

8.Modell 1: Freiheit.Zur Metakritik der praktischen Vernunft IIKritik der „abstrakten Moralität“Christoph Menke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

9.Modell 2: Weltgeist und Naturgeschichte. Exkurs zu HegelAdornos Geschichtsphilosophie mit und gegen HegelBirgit Sandkaulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

10.Modell 3: Meditationen zur MetaphysikMetaphysik im Augenblick ihres SturzesAlbrecht Wellmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Hinweise zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

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11. Zur Einführung

Axel Honneth /Christoph Menke

1. Zur Einführung

In dem „editorischen Nachwort“ zur posthumen Erstveröffentlichung vonAdornos Ästhetischer Theorie im Jahr 1970 berichten die Herausgeber vonAdornos Hoffnung, daß eben seine Ästhetische Theorie und ein nicht mehrgeschriebenes moralphilosophisches Buch zusammen mit der 1966 publi-zierten Negativen Dialektik, „das darstellen“ könnte, „was ich in die Waag-schale zu werfen habe.“ (Adorno 1970a, 537) In einem Brief nennt Adornodie Negative Dialektik kurz nach ihrem Erscheinen unter seinen Schriftengar „das philosophische Hauptwerk, wenn ich so sagen darf“, in anderenBriefen, weniger getragen, das „dicke Kind“ (Müller-Doohm 2003, 658,661). Dieser herausgehobenen Bedeutung, die Adorno der Negativen Dia-lektik in seinem philosophischen Werk zukommen läßt, entspricht nichtnur die lange Zeit, die Adorno mit der Abfassung des Buches beschäftigtwar: Adorno hat während der sechziger Jahre immer wieder in Vorlesun-gen und Vorträgen an Gedanken und Formulierungen gearbeitet, die indie Negative Dialektik eingegangen sind. Der herausgehobenen Bedeutungder Negativen Dialektik für Adorno entspricht auch die lange Geschichte,die ihre zentralen Motive in seinem Denken haben. In einer „Notiz“, dieAdorno der Negativen Dialektik beigefügt hat, verweist er selbst und nach-drücklich darauf, daß er darin nicht nur Gedanken weiter entfalte, die er inVorträgen und Entwürfen der dreißiger Jahre zum ersten Mal entwickelthabe. Er betont, daß die Idee einer „Logik des Zerfalls“ (die für den Zwei-ten Teil der Negativen Dialektik zentral ist) „die älteste seiner philosophi-schen Konzeptionen [sei]: noch aus seinen Studentenjahren“ (4091). Der

1 Einfache Seitenangaben verweisen in diesem Band durchgehend auf Theodor W. Adorno,Negative Dialektik, in: Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt/Main 1973.

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2 Axel Honneth / Christoph Menke

Titel „Negative Dialektik“ steht daher nicht nur über diesem Buch, dasAdorno drei Jahre vor seinem Tod publiziert hat, sondern über einem zen-tralen Gehalt von Adornos philosophischem Werk überhaupt.

So sehr Adorno sie hervorhebt, so sehr muß die große Bedeutung, dieAdorno der Negativen Dialektik in seinem philosophischen Werk zuspricht,zugleich doch überraschen. Die Negative Dialektik ist, neben Adornos Buchzur Metakritik der Erkenntnistheorie (Adorno 1970b), wohl diejenige unterseinen Schriften, die am stärksten einem traditionellen Verständnis vonPhilosophie entspricht. So geht es nach Adornos Titel in dem zentralenZweiten Teil des Buches um „Begriffe und Kategorien“ der „NegativenDialektik“. Folgt Adorno damit nicht der traditionell philosophischenIdee einer systematischen Klärung solcher Grundbegriffe, von denen mansagen kann, daß sie die „Logik“ unseres Denkens ausmachen? In der kur-zen Vorrede, die Adorno seinem Buch vorangestellt hat, erinnert er an denGrund, aus dem ihm diese traditionell philosophische Idee stets suspektwar: Sie ist es, weil (oder sofern) sie die begriffliche Klärung als „Grund-lage“ versteht, der gegenüber das philosophische Nachdenken über be-stimmte Inhalte – in Hegels Terminologie: die „Realphilosophie“ – etwasNachgeordnetes sein soll. Dieser philosophischen Rangordnung hat, soAdorno hier, seine „Kritik am Grundlagenbegriff“ immer gegolten (9).Dieser Kritik entspricht auf der anderen Seite der „Primat inhaltlichenDenkens“: Philosophie – so hat sie Adorno bis zur Negativen Dialektik inseinen Büchern und Essays stets verstanden und praktiziert – soll kriti-sches Nachdenken über geschichtlich und gesellschaftlich präformierteInhalte sein. Wie verhält sich dazu ein Unternehmen wie die NegativeDialektik, in dem nun deren grundlegende „Begriffe und Kategorien“ ge-klärt werden sollen? Ist sie nicht wenn schon kein Verrat, so doch eineZurücknahme, eine Relativierung des von Adorno zeitlebens erklärten„Primats inhaltlichen Denkens“?

In der Vorrede zur Negativen Dialektik erklärt Adorno das Verhältniszwischen dem „inhaltlichen Denken“ in seinen Büchern wie der Dialektikder Aufklärung oder der Minima Moralia, in seinen Essays über Gesell-schaft, Musik, Psychoanalyse und Erziehung auf der einen Seite, den be-grifflich-kategorialen Überlegungen der Negativen Dialektik auf der an-deren Seite so, daß es kein Verhältnis der Grundlegung, sondern derRechtfertigung sei: „Das Verfahren wird nicht begründet sondern ge-rechtfertigt.“ (9) Das enthält, daß das „inhaltliche Denken“ den Überle-gungen zu den „Begriffen und Kategorien“ negativer Dialektik vorausge-hen muß: „Seine Bewegung“ – die Bewegung des inhaltlichen Denkens –„gewinnt einzig im Vollzug ihr Selbstbewußtsein“. Zwar gilt auch umge-

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31. Zur Einführung

kehrt, daß der Vollzug inhaltlichen Denkens nicht gelingen könnte, ohneSelbstbewußtsein zu gewinnen; man muß „durch die Eiswüste der Abstrak-tion hindurch, um zu konkretem Philosophieren bündig zu gelangen.“ (9)Doch seinem Sinn nach bleibt das begrifflich artikulierte Selbstbewußt-sein, das die Negative Dialektik entfalten soll, dem Vollzug des kritischen,inhaltlichen Denkens gegenüber ein „Sekundäres“ (9).

Die Negative Dialektik, Adornos „dickes Kind“, ist sein „philosophi-sches Hauptwerk“ also nicht in dem Sinn, daß nun erst die Grundlage fürseine bisherigen materialen, „realphilosophischen“ Arbeiten gelegt wür-de. Wie gleichwohl zu verstehen ist, daß Adorno, wie gesehen, der Negati-ven Dialektik eine hervorragende Bedeutung in seinem philosophischenLebenswerk zuspricht, bringt eine Formulierung wiederum aus derenVorrede auf den Punkt: „Der Autor legt, soweit er es vermag, die Kartenauf den Tisch; das ist keineswegs dasselbe wie das Spiel.“ (9) Man kannnur pokern – eingeschlossen den Bluff, der dazugehört –, weil man dieKarten hat, die man hat. Aber so wie die Aufdeckung der Karten das Ende,nicht der Vollzug des Spiels ist, so ist das Spiel nicht durch die Kartenfestgelegt, mit denen man es spielt. Die Begriffe und Kategorien, die dieNegative Dialektik klärt, sind diejenigen, mit denen das inhaltliche Den-ken operiert, aber deren Klärung ersetzt weder noch determiniert sie die-ses Operieren im inhaltlichen Denken.

Folgt man der Vorrede zur Negativen Dialektik, so hat Adornos Kritik ander Idee einer philosophischen „Grundlegung“ – der Grundlegung in-haltlichen Denkens in einer Klärung seiner Begriffe und Kategorien –aber noch weiter reichende Konsequenzen: Sie hat Konsequenzen auchfür die Weise, in der die Negative Dialektik jene Klärung der Begriffe undKategorien leisten soll. So ist die Begriffe und Kategorien zu klären, mitdenen das inhaltliche Denken operiert, zwar nicht dasselbe, wie inhaltlichzu denken. Adorno unterscheidet zwischen beidem vielmehr als „Voll-zug“ und „Selbstreflexion“, als „Eiswüste der Abstraktion“ und „konkre-tem Philosophieren“. Wenn das zuvor Gesagte zutrifft, kann die Klärungder Begriffe und Kategorien aber auch nicht unabhängig vom Vollzuginhaltlichen Denkens erfolgen: Es muß im Blick auf diesen Vollzug erfol-gen, ja es kann nur so geschehen, daß in die Klärung der Begriffe undKategorien der Bezug auf das inhaltliche Denken eingeschrieben ist. Diephilosophische Klärung der Begriffe und Kategorien muß selbst anderserfolgen. Diese Andersheit der philosophischen Klärung zeigt sich nachAdorno unter anderem darin, daß die Philosophie kein System, ja, daß sieum des Bezugs zum inhaltlichen Denken willen ein „Antisystem“ seinmüsse (10). Die Aufgabe, „[stringent] über die offizielle Trennung von

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reiner Philosophie und Sachhaltigem … hinauszugelangen“ (10), verlangtdie philosophische Klärung der Begriffe und Kategorien so vorzuneh-men, daß sie aus sich selbst in inhaltliches Denken übergehen. Auch die-ser Übergang ist gemeint, wenn Adorno von „negativer Dialektik“spricht: der dialektische Umschlag der abstrakten, logischen Analyse vonBegriffen und Kategorien in konkretes, inhaltliches Philosophieren. Da-mit verlieren die Begriffe und Kategorien, die die Negative Dialektik zuklären beabsichtigt, aber ihre feste, kontextübergreifende Bedeutung:Weil sie jeweils nur mit je konkreten Inhalten zur Bestimmung gelangen,muß ihre Bestimmung in der Negativen Dialektik einem beständigen Pro-zeß der Revision und Transformation unterliegen.

Mit diesem Programm stellt Adornos Negative Dialektik einer Buchrei-he, der es um die kommentierende Auslegung philosophischer Klassikergeht, ein doppeltes Problem: Wenn Adornos Negative Dialektik die philo-sophische Begriffsklärung als dialektischen Übergang in inhaltlichesDenken versteht und betreibt, dann ist sie erstens kein unproblematischerGegenstand eines Kommentars und zweitens kein unproblematischerKandidat für einen philosophischen Klassiker.

Die Form des philosophischen Kommentars bezieht sich auf einen Pri-märtext, der – zumeist durch seinen historischen Abstand – schwer- odergar unverständlich geworden ist und dessen wesentliche Gehalte nundurch einen zweiten oder Sekundärtext, eben den Kommentar, in anderer,leichter zugänglicher Weise dargelegt werden sollen. Das setzt offensicht-lich voraus, daß es solche Gehalte des Primärtextes gibt, die nicht an die-sen Text in seiner spezifischen Verfassung geknüpft sind; denn es ist jaeben diese Verfassung des Primärtextes, die ihn schwer- oder gar unver-ständlich und daher kommentarbedürftig macht. Die Form des philoso-phischen Kommentars beruht damit auf einer Annahme, die Adorno alsdie Illusion der Referierbarkeit von Philosophie kritisiert hat: „Philoso-phie [ist] wesentlich nicht referierbar. Sonst wäre sie überflüssig; daß siemeist sich referieren läßt, spricht gegen sie.“ (44) Philosophie wäre refe-rierbar, die Wiedergabe ihrer wesentlichen Gehalte in einem Kommentarmöglich, wenn sie in die Form „diskursiven Fortschreitens von Stufe zuStufe“ (Adorno 1978, 100) zu bringen wäre, wenn sie der Ordnung von„These und Argument“ entsprechen könnte (Adorno 1978, 86). In einemphilosophischen Text gibt es nach Adorno diesen Unterschied nicht unddamit keine Ordnung der Gründe, in der ein Satz dem anderen als verbür-gende Grundlage dienen, der zweite Satz aus dem ersten abgeleitet wer-den könnte. „In einem philosophischen Text sollten alle Sätze gleich nahzum Mittelpunkt stehen.“ (Adorno 1978, 86) An die Stelle einer Folge

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immer tieferer Gründe tritt eine „Konsequenz [der] Durchführung“, diesich in der „Dichte des Gewebes“ zeigt, die ein philosophischer Text auf-spannt (44). Das „trägt dazu bei, daß er trifft, was er soll.“ (ebd.) AdornosRechtfertigung für diese Verfassung seiner Texte ist also eben die dialek-tische Bestimmung der Philosophie, die die Vorrede der Negativen Dialek-tik exponiert: Auch die Analyse von „Begriffen und Kategorien“ kann nurdurch „Hingabe an den spezifischen Gegenstand“ erfolgen (43), derniemals auf Begriffe und Kategorien gebracht werden kann. Deshalb „hät-te Philosophie nicht sich auf Kategorien zu bringen sondern in gewissemSinn erst zu komponieren.“ (44)

Wenn es dieser Adornosche Grundgedanke der (negativ-) dialektischenVerfassung der Philosophie ist, der die Unreferierbarkeit seiner Texterechtfertigt, dann befindet sich der Versuch, der Negativen Dialektik einenKommentar zu widmen, in einer aporetischen Situation: Dieser Versuchkann nur gelingen – Adornos Text nur treffen –, wenn er nicht gelingt. Dasheißt: Der Kommentar kann Adornos Text nur treffen, wenn er nicht be-ansprucht, den zentralen Gehalt von Adornos Philosophie in anderer, ver-ständlicherer Weise zusammenzufassen. Wenn das „Wesen […] durchsRésumé des Wesentlichen verfälscht“ wird (43), dann muß der Kommen-tar statt zu resümieren zumindest im Ansatz versuchen, selbst, in eigenerWeise, den Gedanken zu entwickeln. Adornos philosophischen Text zukommentieren kann nur in dem Bewußtsein der unüberbrückbaren Kluftgelingen, die den Kommentar von diesem Text trennt. Der Kommentarmuß im bewußten und ausdrücklichen Abstand zu Adornos Text stehen.

Wie der Praxis des Kommentars, so steht Adornos Philosophie auchdem Konzept des Klassischen widerspenstig gegenüber. Wie die Praxisdes Kommentars, so geht es auch dem Konzept des Klassischen darum,den zeitlichen Abstand, der uns von einem Text trennt, zu überbrücken,Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen: „Klassisch“ ist ein vergan-genes Werk, das über die Zeit hinweg Aktualität beanspruchen kann.Dabei besteht die Aktualität des Klassischen darin, einer orientierungslo-sen, aber orientierungsbedürftigen Gegenwart als „Leitbild“ zu dienen.Nur eine Gegenwart, die desorientiert ist, bedarf des Klassischen. Denndas Klassische ist nicht irgendein Vergangenes, sondern ein Vergangenes,das in der Gegenwart eine Verbindlichkeit zu stiften vermag, der die Ge-genwart selbst nicht mächtig sein soll. Damit beruht das Konzept desKlassischen nicht nur auf einer Gegenwartsdiagnose, die Adorno ent-schieden zurückgewiesen hat: Die „kritische Gesamtbewegung des No-minalismus“, die nach Adorno die Moderne kennzeichnet, führt zu einerIdee der Freiheit, die „ohne Leitbild“ auszukommen vermag (Adorno

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1977, 296 f.). Das Konzept des Klassischen weist auch der Philosophieeine Aufgabe zu, die Adorno ebenso entschieden zurückgewiesen hat: DiePhilosophie, ob als angeeignet vergangene oder gegenwärtig betriebene,kann, ja darf nicht dafür zuständig sein, „substanzielle“ Orientierung zugeben. „Das traditionelle Denken und die Gewohnheiten des gesundenMenschenverstandes, die es hinterließ, nachdem es philosophisch ver-ging, fordern ein Bezugssystem, ein frame of reference, in dem alles seineStelle finde. […] Demgegenüber wirft Erkenntnis, damit sie fruchte, àfond perdu sich weg an die Gegenstände. Der Schwindel, den das erregt,ist ein index veri.“ (43)

Gewiß ist auch Adorno selbst, und gerade in der Negativen Dialektik,immer wieder der Gefahr erlegen, die schwindelerregende Bewegung insOffene, die seine Philosophie fordert, in einem festen „Bezugssystem“negativ-dialektischer Basissätze abzusichern. Auch Adornos Philosophieklappert, wo auch sie nur die Anwendung eines fertigen Schemas ist. DieGefahr seiner Behandlung als eines Klassikers liegt nun eben darin, eherin diesem Bezugssystem, zu dem seine Philosophie zu erstarren droht, alsin ihrer Absicht auf dessen öffnende Infragestellung die Aktualität vonAdornos Philosophie zu sehen. Wenn Adornos Philosophie Aktualität zu-kommt, dann liegt diese jedoch gerade in der Weigerung, die Aktualitätvergangener Philosophie im Begriff des Klassischen zu denken. Daß Ador-no nicht als Klassiker aktuell ist, heißt daher, daß seine Philosophie nichtin dem aktuell ist, was sie sagt, sondern was, oder vor allem: wie sie es tut:eben in den in der Tat oft schwindelerregenden Manövern, mit denen sieeingeschliffenen Begriffsverwendungen und -entgegensetzungen zu ent-kommen, sie in Bewegung zu setzen versucht. Die Aktualität von AdornosPhilosophie liegt also vielleicht darin, daß man sie auch heute noch dazuverwenden kann, um den scheinbar festgefügten „frame of reference“ phi-losophischer Debatten in Frage zu stellen. Das macht die Negative Dialek-tik zu einem Klassiker nur in einem paradoxen Sinn: zu einem antiklassi-schen Klassiker.

Eine kritische Unterscheidung von dem, was an der Negativen Dialektikin diesem Sinn noch aktuell ist, und dem, was daran bereits zu einembloßen Denkschema erstarrt ist, dürfte wohl eine der zentralen Aufgabendes vorliegenden Bandes darstellen. In die zweite Klasse von theoreti-schen Elementen fallen sicherlich all die Begriffe und Konstruktionen,die bis heute in der Rezeption den eigentlichen Kern des philosophischenWerkes von Adorno auszumachen scheinen: Die häufig nur noch routini-siert eingesetzte Idee des „Nichtidentischen“, der ständige, nahezu er-starrte Verweis auf die alles durchdringende Prägekraft des kapitalisti-

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schen Warentauschs, das Wiederholen der Formel vom „totalen Verblen-dungszusammenhang“, schließlich die gekonnte, aber nicht selten manie-riert wirkende Ineinanderblendung von philosophischen, psychoanalyti-schen und soziologischen Gedankengängen. All diese Bestandteile derNegativen Dialektik, geradezu der Inbegriff des philosophischen Erbes vonAdorno, können heute leicht als Zeugnisse einer gewissen Tendenz beiihm selbst verstanden werden, einen verläßlichen Bezugsrahmen des eige-nen Denkens zu schaffen. Darin, in solchen Elementen eines fertigenSchemas, kann die Aktualität seines Philosophierens in unserer Gegen-wart nicht mehr liegen. Sollen hingegen die Stellen identifiziert werden,an denen Adornos Philosophie heute aufgrund ihrer kritischen Potenzweiterhin aktuell ist, wird man wahrscheinlich auf die „schwindelerregen-den“ Passagen zurückgehen müssen, die den fixen Theoremen jeweilsvorauslaufen und sie als ihr Resultat begründen. Hier, wo Adorno einge-spielte Begriffsverwendungen untergräbt, traditionelle Entgegensetzun-gen in Frage stellt und herkömmliche Lösungsvorschläge ins Wankenbringt, indem er das nicht-stillstellbare Kontinuum zwischen vorgeisti-gen Strebungen und geistigen Idealisierungen aufreißt, steckt wohl diewahre Zeitgenossenschaft seines Denkens.

In beiden Richtungen dieses Kontinuums, sowohl nach unten, in denBereich vorgeistiger Wurzeln, wie nach oben, in die Sphäre der Kanti-schen „Ideen“, gelangt die subversive Aktualität der Philosophie Adornosheute zur Geltung. Unzählbar sind die Stellen in der Negativen Dialektik,an denen es ihm mit gewagten Assoziationen gelingt, die Herkunft unse-res längst sublimierten Vokabulars aus einfachen, zumeist frühkindlichenTriebbesetzungen ans Licht zu reißen; nicht, daß solche genealogischenRückführungen stets im selben Maße überzeugend wären, nicht, daßdadurch der Wert unserer philosophischen Begriffe als solcher schon inMißkredit geriete, stets aber schiebt Adorno mit ihrer Hilfe unserer her-kömmlichen Redeweise einen Riegel vor, der zum Einhalten, zum Über-prüfen eingeschliffener Argumentationsmuster zwingt.

Dabei ist der Ertrag dieser Versuche, die vorgeistigen, naturhaften Ein-schüsse ins philosophische Vokabular freizulegen, sicherlich dort amhöchsten, wo deren Funde sich mit Denkbewegungen der gegenwärtigenPhilosophie berühren. Das gilt auf dem Feld der Moralphilosophie fürAdornos Einspruch gegen die Abstraktheit der Moralprinzipien. DennAdorno versteht diesen Einspruch nicht nur so, daß er auf die Differenzzwischen moralischen Prinzipien und deren Anwendung in der Praxisverweist. Adorno denkt vielmehr den Grund des Moralischen anders: als„naturhafte“ Affektivität und Charakterstrukturen. Und Adorno denkt den

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8 Axel Honneth / Christoph Menke

Anspruch des Moralischen anders: als uneinholbaren normativen Über-schuß unserer moralischen „Ideen“ über jede ihrer möglichen Verwirkli-chungen. Adornos Interesse richtet sich auf die Entfaltung des spannungs-vollen Zusammenhangs von Natur und Geist. Das gilt auch in seinerErkenntnistheorie und Sprachphilosophie. Auch hier wiederum verdanktsich die Aktualität seiner Philosophie nicht den resultathaften Formulie-rungen, die leitmotivisch im Text des Buches wiederkehren, sondern dentastenden Versuchen, etablierte Positionen der Beschränktheit ihrer je-weiligen Lösungsvorschläge zu überführen. Und wie im Fall der Moral-philosophie geschieht dies zumeist durch den Nachweis der Verleugnungihrer Abhängigkeit von einem der beiden Pole des Kontinuums zwischenNatur und Geist, zwischen vorgeistigen Strebungen und transzendieren-den Ideen. Die Aktualität von Adornos Philosophie könnte in seiner Skep-sis gegenüber der Tragfähigkeit ihrer vermeintlich immer schon gesche-henden „Vermittlung“ – sei es in der Einheit des Subjekts, der sozialenPraxis des Sprachgebrauchs oder im Geschehen geschichtlicher Überlie-ferung – liegen. „Negative Dialektik“ heißt: Geist und Natur als unhin-tergehbar aufeinander bezogene Extreme zu entfalten.

Die Gliederung des Kommentarbandes folgt, so weit als sinnvoll mög-lich, derjenigen von Adornos Negativer Dialektik. Nach einem Kommen-tar von Axel Honneth zur Einleitung in die Negative Dialektik (die, soAdorno, den „Begriff philosophischer Erfahrung“ „exponiert“; 10) folgtein Text von Dieter Thomä zum Ersten Teil, der den Titel „Verhältnis zurOntologie“ trägt (67–136). Aus diesem umfangreichen Teil, den Adornonoch einmal in zwei Kapitel gegliedert hat, greift Thomäs Kommentarvor allem Adornos Kritik an Heidegger heraus und ordnet sie in dieGeschichte der Auseinandersetzung der Kritischen Theorie mit dessenWerk ein. Der zentrale Zweite Teil von Adornos Buch widmet sich „Be-griff und Kategorien“ der negativen Dialektik (137–207). Da Adornodiesem Teil keine weitere Kapiteleinteilung gegeben hat, haben wir fürden Kommentar darin drei Themenkomplexe unterschieden: Ein ersterKomplex trägt den Titel „Wahrnehmung, Anschauung, Empfindung“(Andrea Kern), ein zweites Thema bildet „Adornos Analyse des Ge-brauchs von Begriffen“ (Martin Seel) und ein dritter Aspekt bildet dieFrage nach Adornos Position „zwischen Kant und Hegel“ (Jay Bernstein).Den dritten Teil der Negativen Dialektik schließlich, der nahezu die Hälftedes Buches ausmacht (209–400), bilden drei „Modelle“, die „Schlüsselbe-griffe philosophischer Disziplinen [erörtern], um in diese zentral einzu-greifen“ (10). Das erste Modell, Adornos Überlegungen zu Kants Theo-

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91. Zur Einführung

rie der praktischen Vernunft, kommentieren Klaus Günther unter demGesichtspunkt der Freiheits- und Christoph Menke unter dem der Mo-raltheorie. Das zweite Modell trägt den Titel „Weltgeist und Naturge-schichte“ und ist Hegels Geschichtsphilosophie gewidmet (Birgit Sand-kaulen). Das dritte Modell schließlich reflektiert unter dem Titel „Medi-tationen zur Metaphysik“ darüber, „ob nach Auschwitz noch sich lebenlasse“ (Albrecht Wellmer).

Bei den Beiträgen dieses Bandes handelt es sich bis auf die beiden Textevon Klaus Günther und Albrecht Wellmer2 um Erstveröffentlichungen.

Die Herausgeber danken Nora Sieverding, die die Bibliographie er-stellt hat, und Matthias Kiesselbach für die umsichtige Redaktion desBandes. Ein Dank geht auch an den Herausgeber der Reihe, Otfried Höf-fe, für kritische Hinweise zu einer Vorfassung und an den verantwortli-chen Lektor, Mischka Dammaschke, für sein ausgleichendes Engage-ment.

Literatur

Adorno, Th. W. 1970a: Ästhetische Theorie, in: Gesammelte Schriften, Frankfurt/M., Bd. 7Adorno, Th. W. 1970b: Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, in: Gesammelte Schriften,

Frankfurt/M., Bd. 5Adorno, Th. W. 1977: Minima Moralia, Frankfurt/M.Adorno, Th. W. 1978: Ohne Leitbild, in: Gesammelte Schriften, Frankfurt/M., Bd. 10.1Müller-Doohm, S. 2003: Adorno. Eine Biographie, Frankfurt/M.

2 Der Aufsatz von Klaus Günther, hier leicht gekürzt, ist zuerst erschienen in: Zeitschrift fürPhilosophische Forschung, Bd. 39 (1985), der Text von Albrecht Wellmer in: Dieter Henrich/Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.), Metaphysik nach Kant? Stuttgarter Hegelkongreß 1987, Stuttgart1988.

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