hier kann man noch das grün atmen...scherdorf bildet das dreieck zwischen pastor-wolff-straße,...

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QUER DURCH KÖLN QUER DURCH KÖLN * Platzierung im Vergleich aller 86 Kölner Stadtteile Hier kann man noch das Grün atmen Niehl hat zwei Gesichter: Das alte Fischerdorf setzt sich deutlich vom neueren Teil ab – Veedel zehrt von der wunderbaren Nähe zum Rhein VON ANNA HÖRTER Was ist außergewöhnlich an Ihrem Stadt- teil? Wer die Niehler das fragt, erhält meist ungewöhnliche Reaktionen: Ver- wunderung. Ratlosigkeit. Einige lachen etwas verlegen. Was soll hier schon so be- sonders sein, lautet die Gegenfrage. Im- merhin ist die Rede von Niehl, nicht vom hippen Nachbarn Nippes. In dem früheren Fischerdorf im Kölner Norden macht man sich über dieses The- ma selten Gedanken. Nette Ecken, lokale Eigenheiten und ja, eben Besonderheiten – sie fallen erst auf den zweiten Blick auf. Selbst die Einwohner müssen zuerst dar- über nachdenken. Dann aber folgen lange Aufzählungen: die gute Infrastruktur und Anbindung an die Stadt. Die wunderbare Nähe zum Rhein, der direkt an den Häu- sern Alt-Niehls vorbeifließt. Der eigene Karnevalszug. Oder das Dömchen aus dem 13. Jahrhundert, die kleinste romani- sche Kirche in Köln. Das Veedel, so scheint es, hat ein bisschen von Allem. Niehl ist ein Dorf. Und zwar ein richti- ges. Eine Urkunde aus dem 10. Jahrhun- dert gibt das früheste Zeugnis für eine Siedlung an dieser Stelle ab. Für lange Zeit lebten die Bewohner hauptsächlich von der Fischerei. Erst 1888 wurde es of- fiziell zum Kölner Stadtgebiet. Mit dem Einzug der Ford Werke 50 Jahre später mauserte sich das Dorf zum Industrie- standort, im Vergleich eine kurze Zeit- spanne. Kaum verwunderlich, dass die Niehler ein ambivalentes Verhältnis zu Köln haben. So mancher fährt zum Ein- kaufen mit der Straßenbahn „in die Stadt“. Doch das „Land“ – angefangen bei Fühlingen oder dem Worringer Bruch – ist ebenso nah. Niehl ordnet sich irgend- wo dazwischen ein: ein dörfliches Veedel oder halt ein kölsches Dorf. Auch einen Kirchplatz direkt an der Hauptstraße, der Sebastianstraße, hat Alt-Niehl vorzuwei- sen. Ein Wahrzeichen im neueren Teil des Veedels ist an der Friedrich-Karl-Straße die moderne, 1964 vollendete Backstein- kirche St. Clemens mit ihrem hohen, run- den Glockenturm samt gefaltetem Dach. Diese Unterscheidung zwischen altem und neuerem Teil prägt den Stadtteil noch heute. Neu-Niehl oder Niehl-Süd kam schließlich erst mit der Angliederung an Köln stückweise hinzu. Heute erstreckt es sich auf einem Areal von den Gleisen an der Niehler Straße/Ecke Scheibenstraße, der Amsterdamer Straße bis zur Hoch- bahn der Linie 13. Das historische Fi- scherdorf bildet das Dreieck zwischen Pastor-Wolff-Straße, Sebastianstraße und Niehler Damm: hier lebt Alt-Niehl. „Frü- her fing Niehl für mich stadtauswärts kommend mit den Schienen an. Vom Ge- fühl her waren die Gleise für Alt-Niehl ei- ne gewisse Einkreisung“, erläutert An- wohner Richard Stabe. Zu Neu-Niehl hat er keine enge Verbindung. „Ich bin inAlt- Niehl verwurzelt. Ich weiß nicht, ob das auf der Friedrich-Karl-Straße zum Bei- spiel auch so möglich wäre“, sagt Stabe. „Neu-Niehl tendiert mehr in Richtung Nippes“, stimmt ihm seine Frau Anny zu. Das Ehepaar verbrachte bereits seine Kindheit in Alt-Niehl. Richard Stabe kann davon unzählige Geschichten erzäh- len. „Damals kanntest du jeden in Niehl“, sagt er und berichtet, wie er mit den ande- ren Jungs auf der Hillesheimstraße Fuß- ball spielte. Mit Steinen alsTore. In einem extrem kalten Winter sei einmal die Stra- ße in der Siedlung zugefroren, erinnert sich seine Frau. Sie sei darauf Schlitt- schuh gelaufen. Als wahre Legende gilt die ehemalige Personenfähre zwischen Niehl und Stammheim. Lange, so erzählen die Alt- eingesessenen, transportierte sie Bade- gäste nach Flittard. „Ich bin in den 1960er Jahren als Kind da rüber gefahren“, sagt Bernd Valjeur, der Vorsitzende des ansäs- sigen Bürgervereins. Ins Innere des Kahns hätten 20 oder 30 Leute gepasst, berichtet Richard Stabe. „Das war unser Strandurlaub auf der anderen Rheinseite.“ Heute erinnert nur noch die Anlegestelle am Niehler Damm daran. Noch immer leben die Stabes samt Fa- milie in Alt-Niehl – mittlerweile in der dritten Generation. Doch das Dorf hat sich verändert. Mit rund 12,06 Quadratki- lometern Fläche ist Niehl der fünftgrößte Stadtteil Kölns. Etwa 8,6 Prozent davon ist Erholungsfläche. Das klingt zunächst nach wenig Grün. Doch viele Niehler empfinden genau das Gegenteil. Im Som- mer tummeln sich Familien und Freun- desgruppen in den angrenzenden Rhein- auen. Die Promenade des Niehler Damms ist ebenfalls beliebt. Dort können Kinder auf einem Spielplatz mit Rheinblick to- ben. Daneben wird derzeit ein Boule- Platz angelegt. Dass unterscheidet das Veedel eben von seinen hipperen Ge- schwistern. „In Niehl haben Sie noch die Möglichkeit, ein bisschen Grün zu at- men“, fasst es Bernd Valjeur zusammen. Neben den Grünflächen entstehen im- mer wieder neue Wohnungen und Kinder- gärten, junge Familien ziehen hinzu. Der Fußballverein CfB Niehl kickt mittler- weile auf Rasenplätzen. Auf einem neuen Plätzchen an der Sebastianstraße hat eine Bäckerei-Kette ein Café mit Sonnenter- rasse eröffnet. Ein aktuelles Highlight – nach der Rückkehr eines Supermarktes vor einigen Jahren ins Dorf. Denn Neueröffnungen feiert man auf der Alt-Niehler Hauptstraße inzwischen selten. Stattdessen schlossen nacheinan- der die Apotheke, die Sparkasse und viele kleine Geschäfte und Gaststätten. Zum Einkaufen gibt es hier nur das Nötigste, einige verbleibende Lokale servieren noch Kölsch und Hausmannskost. Die Kinder werden in der Dorf-Eisdiele ver- sorgt. Erzählungen zufolge soll es hier früher allein fünf Metzgereien gegeben haben. Mittlerweile dient die Straße oft nur noch als Parkfläche, nicht als Aufent- haltsort. Den Alt-Niehlern fehlt ein Treff- punkt. „Dadurch, dass die Straßen mitt- lerweile so stark befahren sind, findet da kaum noch etwas statt“, berichtet Richard Stabe. Dieses Problems hat sich der Bürger- verein angenommen. Nach einem ent- sprechenden Beschluss der Bezirksver- tretung setzte er sich dafür ein, dass alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt wer- den. „Wir wollen nicht, dass die Sebasti- anstraße weiter ein großer Parkplatz bleibt“, sagt Valjeur. Wenn sich das ände- re, werde dies den Ortskern beleben, ebenso die Geschäfte. „Die Leute gehen dorthin, wo ein nettes Umfeld ist.“ Auch in der Gastronomie verändert sich eini- ges. Der neue Pächter der Bio-Konditorei Schomdorf’s etwa, Peter Preuß, setzt alles daran, sein Lokal zum Treffpunkt für An- wohner zu machen. In Zukunft sollen Ide- en wie ein Frühstücksbuffet am Wochen- ende, Weinproben oder kleine Konzerte Gäste anlocken, so der Gastronom. Fischerdorf, Industriestandort, Einzel- handelssterben – irgendwo ist das alles Niehl. Doch der Stadtteil ist im Umbruch. Und was bleibt von den Niehler Beson- derheiten? Jürgen Hilger vom Bürgerver- ein trifft es wohl genau, wenn er antwor- tet: „Alles.“ Niehl sei nicht die Stadt Köln. „Niehl ist Niehl und bleibt immer Niehl.“ Damals kanntest du jeden in Niehl Richard Stabe, Anwohner D ie Niehler verbindet eine wech- selhafte Beziehung mit dem Rhein. Er war mal Segen, mal Fluch für die Bewohner des Fischerdorfs. Mehre- re schlimme Hoch- wasser im 18. Jahr- hundert ließen ganze Häuser und Landzun- gen des Dorfgebietes verschwinden und schufen ein neues Flussbett. Seitdem fließt der Rhein direkt an den Häusern am Niehler Damm vor- bei. Wenn wieder neue Fluten droh- ten, suchten die Niehler Schutz beim Heiligen Nepomuk. Seine Statue ziert noch heute die Außenmauer des Niehler Dömchens. Doch im Jahr 1882 half auch dieser nicht. Deshalb retteten die Fischer kurzerhand selber das Dorf, indem sie rechtswidrig einen Deich am Südende durchstachen und so aus Niehl eine Insel machten. Gleich- zeitig bot der Rhein für lange Zeit ei- ne Lebensgrundlage – Fisch in rauen Mengen. Im Jahr 1432 etwa bahnten sich so viele Lachse ihren Weg durch den Rhein, dass sie die Kapazität des Flussbettes sprengten. (akh) N iehl ist im Umbruch. Überall ent- steht auf brachliegenden Flä- chen neuer Wohnraum. Und auch auf der Straße wird gearbeitet: Seit Mai wird der südliche Niehler Damm zwischen Sebastian- und Amsterda- mer Straße saniert. Gegen Ende des Jahres soll an der Straße Im Grund ei- ne Flüchtlingsunter- kunft gebaut werden Auch der Bürgerver- ein plant Großes für den Stadtteil. Ein ei- gener Kulturpfad soll dort entstehen – für Fußgänger oder Radler. „Wir stellen uns sogar eine Niehl-App vor. Man muss ja modern werden“, berichtet Jürgen Hilger. Doch das überschreite die techni- schen Fähigkeiten der Ehrenamtler. „Da müssen uns andere helfen“, so der 68-Jährige. Im Grunde braucht der Bürgerverein eben diese jungen Familien, die gerade auch nach Niehl ziehen. „Wir wünschen uns, dass wir irgendwann junge Leute haben, die sich um das Veedel kümmern.“ Im Südteil von Niehl macht vor al- lem die Verkehrslage auf der Fried- rich-Karl-Straße Sorgen. Die vierspu- rige Strecke ist Ausweichroute für die zwischen Mauen- heim und Mülheimer Brücke fehlende Gür- telstraße. Mit dem Ausbau des Gürtels steht und fällt eine Verkehrs-Beruhigung der Niehler Ost-West-Achse, einem eventuellen Rückbau auf zwei Spuren sowie Krei- sel statt Ampeln. In ganz Niehl The- ma ist zudem der Fluglärm: Hier be- ginnt die Einflugschneise zum Flug- hafen Köln/Bonn; je nach Windver- hältnissen sieht und hört man die Flieger fast im Minutentakt. (akh) Eigentlich habe ich Niehl erst seit der Rente wirklich kennengelernt. Früher bin ich hier nie ausgegangen, sondern eher in der Stadt. Aber hier tut sich et- was. Die Gaststätte am Rhein ist reno- viert, die Rheinprome- nade super gemacht worden. Überall wird gebaut – teilwei- se mit tollen Ideen. Inge von der Lohe (69) Ich wohne seit 61 Jahren in Neu-Niehl und habe tolle Freunde hier gefunden. Schon beim Brötchenkaufen werden die Neuigkeiten ausgetauscht. Und für ein Dorf hat der Karnevalszug eine gute Größe. Das ist zwar nicht vergleichbar mit dem Nippeser Zug, bei dem wir im- mer mitgehen; aber die Organisatoren geben sich wirklich Mühe damit. Nur die Alt-Niehler sind ein Völkchen für sich. Die Urgesteine sind eine eigene Clique. Da muss man erst einen ken- nen, um einen Fuß in der Tür zu haben. Margret Klein (68) DerVeedels-Check In der Serie „Veedel-Check“ stellen „Köl- ner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“ alle 86 Kölner Stadtteile in Porträts vor. Diesen Porträts ging eine große, nicht-repräsentative Online-Um- frage vom 6. März bis 6. April voraus, in der wir Kölner gebeten haben, ihren Stadtteil in verschiedenen Kategorien zu bewerten. Die Ergebnisse für das jeweili- ge Viertel finden Sie in der Rubrik „Vee- dels-Zeugnis“ links. Alle Porträts von Köl- ner Stadtteilen, die nicht in Ihrem Zu- stellgebiet liegen, können Sie auf unserer Internetseite herunterladen. (sbs) www.ksta.de/veedelscheck Ich wohne erst seit einem halben Jahr in Alt-Niehl. Es ist irgendwie schon ein kleines Dorf. Mittlerweile werde ich auf der Straße immer gegrüßt – das ist wirk- lich cool. Außerdem bin ich in 15 Minuten in der Stadt oder auf dem „Land“. Das passt gut zu mir. Nina Radant (27) Ich bin in Niehl aufgewachsen. Mit dem Rad war ich in zwei Minuten am Rhein. Jeden Sommer haben wir auf den Wie- sen am Niehler Hafen verbracht. Wäh- rend der Schulzeit war das unser Treff- punkt mit Freunden. Bis spät in die Nacht saßen wir mit allen zusammen. Das mache ich heute immer noch gerne, wenn ich hier bin. Isabel Hein- rich (23) Sicherheit 2,6 (48*) Durchschnittsalter: 42,4 Mit der Straßenbahn bis zum Dom: 10 Minuten Haushalte mit Kindern: 19,5% Größe: 12,06 Quadratkilometer Gruppen im Karnevalszug: 20 Häfen: 1 Einwohner: 20 204 Zugehörigkeit zu Köln: 130 Jahre 11,2 Jahre wohnen die Niehler unter gleicher Adresse Veedels- Veedels- Zeugnis Zeugnis Veedels- Veedels- Zahlen Zahlen www.ksta.de/ veedelscheck ALTSTADT-NORD • ALTSTADT-SÜD • BAYENTHAL • BICKENDORF • BILDERSTÖCKCHEN • BLUMENBERG • BOCKLEMÜND/MENGENICH • BRAUNSFELD • BRÜCK • BUCHFORST • BUCHHEIM • CHORWEILER • DELLBRÜCK • DEUTZ • DÜNNWALD • EHRENFELD • EIL • ELSDORF • ENSEN • ESCH/AUWEILER • FINKENBERG • FLITTARD • FÜHLINGEN • GODORF • GREMBERGHOVEN • GRENGEL • HAHNWALD • HEIMERSDORF • HÖHENBERG • HÖHENHAUS • HOLWEIDE • HUMBOLDT/GREMBERG • IMMENDORF • JUNKERSDORF • KALK • KLETTENBERG • LANGEL • LIBUR • LIND • LINDENTHAL • LINDWEILER • LONGERICH • LÖVENICH • MARIENBURG • MAUENHEIM • MERHEIM • MERKENICH • MESCHENICH • MÜLHEIM • MÜNGERSDORF • NEUBRÜCK • NEUEHRENFELD • NEUSTADT-NORD • NEUSTADT-SÜD • NIEHL • NIPPES • OSSENDORF • OSTHEIM • PESCH • POLL • PORZ • RADERBERG • RADERTHAL • RATH/HEUMAR • RIEHL • RODENKIRCHEN • ROGGENDORF/THENHOVEN • RONDORF • SEEBERG • STAMMHEIM • SÜLZ • SÜRTH • URBACH • VINGST • VOGELSANG • VOLKHOVEN/WEILER • WAHN • WAHNHEIDE • WEIDEN • WEIDENPESCH • WEIß • WESTHOVEN • WIDDERSDORF • WORRINGEN • ZOLLSTOCK • ZÜNDORF Das Hochhaus mit Köln-Skyline an der Friedrich-Karl-Straße, an der Grenze zuWeidenpesch (Foto links), die „Patrizia Höfe“ (Mitte) sowie der neu gestaltete Spielplatz am Rhein inAlt-Niehl (o.r.). Jürgen Hilger (l.) und BerndValjeur vom Bürgerverein (unten),Alt St. Katharina am Rheinufer. Fotos: Goyert, akh Veedels- Veedels- Geschichte Geschichte Veedels- Veedels- Baustellen Baustellen Veedels- Veedels- Check Check Veedels- Veedels- Menschen Menschen Nahverkehr 2,5 (42) Gemeinschaftsgefühl 3,2 (57) Einkaufsmöglichkeiten 3 (47) Sauberkeit 3,3 (54) Parkmöglichkeiten 3,3 (61) Kinderfreundlichkeit 2,8 (60) Gastronomie 3,3 (37) Gefragt, welche Gesamtnote sie ihrem Stadtteil geben würden, vergaben die Niehler die Durchschnittsnote 2,9. Das ist Platz 30 im Ranking aller 86 Kölner Veedel. 220 Kölner gaben in der nicht- repräsentativen Umfrage an, dass Niehl ihr Lieblingsviertel sei. Der Stadtteil liegt damit auf Platz 30. Für 64,8 Prozent der Nieh- ler kommt ein Umzug in ein anderes Veedel nicht in Frage. „Wie kölsch finden Sie ihr Viertel?“ – auf diese Frage hin vergaben die Niehler die Note 3,1. Das ist Platz 34 im Ranking. Für die Grünflä- chen vergaben die Teilnehmer die Note 3,1; das entspricht Platz 62. NIEHL

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  • QUER DURCH KÖLN QUER DURCH KÖLN

    * Platzierung im Vergleich aller 86 Kölner Stadtteile Hier kann man noch das Grün atmenNiehl hat zwei Gesichter: Das alte Fischerdorf setzt sich deutlich vom neueren Teil ab – Veedel zehrt von der wunderbaren Nähe zum Rhein

    VON ANNA HÖRTER

    Was ist außergewöhnlich an Ihrem Stadt-teil? Wer die Niehler das fragt, erhältmeist ungewöhnliche Reaktionen: Ver-wunderung. Ratlosigkeit. Einige lachenetwas verlegen. Was soll hier schon so be-sonders sein, lautet die Gegenfrage. Im-merhin ist die Rede von Niehl, nicht vomhippen Nachbarn Nippes.

    In dem früheren Fischerdorf im KölnerNorden macht man sich über dieses The-ma selten Gedanken. Nette Ecken, lokaleEigenheiten und ja, eben Besonderheiten– sie fallen erst auf den zweiten Blick auf.Selbst die Einwohner müssen zuerst dar-über nachdenken. Dann aber folgen langeAufzählungen: die gute Infrastruktur undAnbindung an die Stadt. Die wunderbareNähe zum Rhein, der direkt an den Häu-sern Alt-Niehls vorbeifließt. Der eigeneKarnevalszug. Oder das Dömchen ausdem 13. Jahrhundert, die kleinste romani-sche Kirche in Köln. Das Veedel, soscheint es, hat ein bisschen von Allem.

    Niehl ist ein Dorf. Und zwar ein richti-ges. Eine Urkunde aus dem 10. Jahrhun-dert gibt das früheste Zeugnis für eineSiedlung an dieser Stelle ab. Für langeZeit lebten die Bewohner hauptsächlichvon der Fischerei. Erst 1888 wurde es of-fiziell zum Kölner Stadtgebiet. Mit demEinzug der Ford Werke 50 Jahre spätermauserte sich das Dorf zum Industrie-standort, im Vergleich eine kurze Zeit-spanne. Kaum verwunderlich, dass die

    Niehler ein ambivalentes Verhältnis zuKöln haben. So mancher fährt zum Ein-kaufen mit der Straßenbahn „in dieStadt“. Doch das „Land“ – angefangenbei Fühlingen oder dem Worringer Bruch– ist ebenso nah. Niehl ordnet sich irgend-wo dazwischen ein: ein dörfliches Veedeloder halt ein kölsches Dorf. Auch einenKirchplatz direkt an der Hauptstraße, derSebastianstraße, hat Alt-Niehl vorzuwei-sen. Ein Wahrzeichen im neueren Teil desVeedels ist an der Friedrich-Karl-Straßedie moderne, 1964 vollendete Backstein-kirche St. Clemens mit ihrem hohen, run-

    den Glockenturm samt gefaltetem Dach.Diese Unterscheidung zwischen altem

    und neuerem Teil prägt den Stadtteil nochheute. Neu-Niehl oder Niehl-Süd kamschließlich erst mit der Angliederung anKöln stückweise hinzu. Heute erstreckt essich auf einem Areal von den Gleisen ander Niehler Straße/Ecke Scheibenstraße,der Amsterdamer Straße bis zur Hoch-bahn der Linie 13. Das historische Fi-scherdorf bildet das Dreieck zwischenPastor-Wolff-Straße, Sebastianstraße undNiehler Damm: hier lebt Alt-Niehl. „Frü-her fing Niehl für mich stadtauswärtskommend mit den Schienen an. Vom Ge-fühl her waren die Gleise für Alt-Niehl ei-

    ne gewisse Einkreisung“, erläutert An-wohner Richard Stabe. Zu Neu-Niehl hater keine enge Verbindung. „Ich bin in Alt-Niehl verwurzelt. Ich weiß nicht, ob dasauf der Friedrich-Karl-Straße zum Bei-spiel auch so möglich wäre“, sagt Stabe.„Neu-Niehl tendiert mehr in RichtungNippes“, stimmt ihm seine Frau Anny zu.

    Das Ehepaar verbrachte bereits seineKindheit in Alt-Niehl. Richard Stabekann davon unzählige Geschichten erzäh-len. „Damals kanntest du jeden in Niehl“,sagt er und berichtet, wie er mit den ande-ren Jungs auf der Hillesheimstraße Fuß-ball spielte. Mit Steinen alsTore. In einemextrem kalten Winter sei einmal die Stra-ße in der Siedlung zugefroren, erinnertsich seine Frau. Sie sei darauf Schlitt-schuh gelaufen.

    Als wahre Legende gilt die ehemaligePersonenfähre zwischen Niehl undStammheim. Lange, so erzählen die Alt-eingesessenen, transportierte sie Bade-gäste nach Flittard. „Ich bin in den 1960erJahren als Kind da rüber gefahren“, sagtBernd Valjeur, der Vorsitzende des ansäs-sigen Bürgervereins. Ins Innere desKahns hätten 20 oder 30 Leute gepasst,berichtet Richard Stabe. „Das war unserStrandurlaub auf der anderen Rheinseite.“Heute erinnert nur noch die Anlegestelleam Niehler Damm daran.

    Noch immer leben die Stabes samt Fa-milie in Alt-Niehl – mittlerweile in derdritten Generation. Doch das Dorf hatsich verändert. Mit rund 12,06 Quadratki-

    lometern Fläche ist Niehl der fünftgrößteStadtteil Kölns. Etwa 8,6 Prozent davonist Erholungsfläche. Das klingt zunächstnach wenig Grün. Doch viele Niehlerempfinden genau das Gegenteil. Im Som-mer tummeln sich Familien und Freun-desgruppen in den angrenzenden Rhein-auen. Die Promenade des Niehler Dammsist ebenfalls beliebt. Dort können Kinderauf einem Spielplatz mit Rheinblick to-ben. Daneben wird derzeit ein Boule-Platz angelegt. Dass unterscheidet dasVeedel eben von seinen hipperen Ge-schwistern. „In Niehl haben Sie noch dieMöglichkeit, ein bisschen Grün zu at-men“, fasst es Bernd Valjeur zusammen.

    Neben den Grünflächen entstehen im-mer wieder neue Wohnungen und Kinder-gärten, junge Familien ziehen hinzu. DerFußballverein CfB Niehl kickt mittler-weile auf Rasenplätzen. Auf einem neuenPlätzchen an der Sebastianstraße hat eineBäckerei-Kette ein Café mit Sonnenter-rasse eröffnet. Ein aktuelles Highlight –nach der Rückkehr eines Supermarktesvor einigen Jahren ins Dorf.

    Denn Neueröffnungen feiert man aufder Alt-Niehler Hauptstraße inzwischenselten. Stattdessen schlossen nacheinan-der die Apotheke, die Sparkasse und vielekleine Geschäfte und Gaststätten. ZumEinkaufen gibt es hier nur das Nötigste,einige verbleibende Lokale servierennoch Kölsch und Hausmannskost. DieKinder werden in der Dorf-Eisdiele ver-sorgt. Erzählungen zufolge soll es hier

    früher allein fünf Metzgereien gegebenhaben. Mittlerweile dient die Straße oftnur noch als Parkfläche, nicht als Aufent-haltsort. Den Alt-Niehlern fehlt ein Treff-punkt. „Dadurch, dass die Straßen mitt-lerweile so stark befahren sind, findet dakaum noch etwas statt“, berichtet RichardStabe.

    Dieses Problems hat sich der Bürger-verein angenommen. Nach einem ent-sprechenden Beschluss der Bezirksver-tretung setzte er sich dafür ein, dass alleVerkehrsteilnehmer gleichberechtigt wer-den. „Wir wollen nicht, dass die Sebasti-anstraße weiter ein großer Parkplatzbleibt“, sagt Valjeur. Wenn sich das ände-re, werde dies den Ortskern beleben,ebenso die Geschäfte. „Die Leute gehendorthin, wo ein nettes Umfeld ist.“ Auchin der Gastronomie verändert sich eini-ges. Der neue Pächter der Bio-KonditoreiSchomdorf’s etwa, Peter Preuß, setzt allesdaran, sein Lokal zum Treffpunkt für An-wohner zu machen. In Zukunft sollen Ide-en wie ein Frühstücksbuffet am Wochen-ende, Weinproben oder kleine KonzerteGäste anlocken, so der Gastronom.

    Fischerdorf, Industriestandort, Einzel-handelssterben – irgendwo ist das allesNiehl. Doch der Stadtteil ist im Umbruch.Und was bleibt von den Niehler Beson-derheiten? Jürgen Hilger vom Bürgerver-ein trifft es wohl genau, wenn er antwor-tet: „Alles.“ Niehl sei nicht die StadtKöln. „Niehl ist Niehl und bleibt immerNiehl.“

    Damals kanntest dujeden in Niehl

    Richard Stabe, Anwohner

    D ie Niehler verbindet eine wech-selhafte Beziehung mit demRhein. Er war mal Segen, mal Fluchfür die Bewohner desFischerdorfs. Mehre-re schlimme Hoch-wasser im 18. Jahr-hundert ließen ganzeHäuser und Landzun-gen des Dorfgebietes verschwindenund schufen ein neues Flussbett.Seitdem fließt der Rhein direkt anden Häusern am Niehler Damm vor-bei. Wenn wieder neue Fluten droh-ten, suchten die Niehler Schutz beimHeiligen Nepomuk. Seine Statue

    ziert noch heute die Außenmauerdes Niehler Dömchens. Doch im Jahr1882 half auch dieser nicht. Deshalb

    retteten die Fischerkurzerhand selberdas Dorf, indem sierechtswidrig einenDeich am Südendedurchstachen und so

    aus Niehl eine Insel machten. Gleich-zeitig bot der Rhein für lange Zeit ei-ne Lebensgrundlage – Fisch in rauenMengen. Im Jahr 1432 etwa bahntensich so viele Lachse ihren Weg durchden Rhein, dass sie die Kapazität desFlussbettes sprengten. (akh)

    Niehl ist im Umbruch. Überall ent-steht auf brachliegenden Flä-chen neuer Wohnraum. Und auchauf der Straße wird gearbeitet: SeitMai wird der südliche Niehler Dammzwischen Sebastian- und Amsterda-mer Straße saniert. Gegen Ende desJahres soll an der Straße Im Grund ei-ne Flüchtlingsunter-kunft gebaut werdenAuch der Bürgerver-ein plant Großes fürden Stadtteil. Ein ei-gener Kulturpfad solldort entstehen – für Fußgänger oderRadler. „Wir stellen uns sogar eineNiehl-App vor. Man muss ja modernwerden“, berichtet Jürgen Hilger.Doch das überschreite die techni-schen Fähigkeiten der Ehrenamtler.„Da müssen uns andere helfen“, soder 68-Jährige. Im Grunde brauchtder Bürgerverein eben diese jungen

    Familien, die gerade auch nach Niehlziehen. „Wir wünschen uns, dass wirirgendwann junge Leute haben, diesich um das Veedel kümmern.“

    Im Südteil von Niehl macht vor al-lem die Verkehrslage auf der Fried-rich-Karl-Straße Sorgen. Die vierspu-rige Strecke ist Ausweichroute für

    die zwischen Mauen-heim und MülheimerBrücke fehlende Gür-telstraße. Mit demAusbau des Gürtelssteht und fällt eine

    Verkehrs-Beruhigung der NiehlerOst-West-Achse, einem eventuellenRückbau auf zwei Spuren sowie Krei-sel statt Ampeln. In ganz Niehl The-ma ist zudem der Fluglärm: Hier be-ginnt die Einflugschneise zum Flug-hafen Köln/Bonn; je nach Windver-hältnissen sieht und hört man dieFlieger fast im Minutentakt. (akh)

    Eigentlich habe ich Niehl erst seit derRente wirklich kennengelernt. Früherbin ich hier nie ausgegangen, sonderneher in der Stadt. Aber hier tut sich et-was. Die Gaststätte am Rhein ist reno-

    viert, die Rheinprome-nade super gemachtworden. Überallwird gebaut – teilwei-se mit tollen Ideen.

    Inge von der Lohe(69)

    Ich wohne seit 61 Jahren in Neu-Niehlund habe tolle Freunde hier gefunden.Schon beim Brötchenkaufen werden dieNeuigkeiten ausgetauscht. Und für einDorf hat der Karnevalszug eine guteGröße. Das ist zwar nicht vergleichbarmit dem Nippeser Zug, bei dem wir im-mer mitgehen; aber die Organisatorengeben sich wirklich Mühe damit. Nur dieAlt-Niehler sind ein Völkchen für sich.Die Urgesteine sind eineeigene Clique. Da mussman erst einen ken-nen, um einen Fuß inder Tür zu haben.

    Margret Klein (68)

    DerVeedels-CheckIn der Serie „Veedel-Check“ stellen „Köl-ner Stadt-Anzeiger“ und „KölnischeRundschau“ alle 86 Kölner Stadtteile inPorträts vor. Diesen Porträts ging einegroße, nicht-repräsentative Online-Um-frage vom 6. März bis 6. April voraus, inder wir Kölner gebeten haben, ihrenStadtteil in verschiedenen Kategorien zubewerten. Die Ergebnisse für das jeweili-ge Viertel finden Sie in der Rubrik „Vee-dels-Zeugnis“ links. Alle Porträts von Köl-ner Stadtteilen, die nicht in Ihrem Zu-stellgebiet liegen, können Sie auf unsererInternetseite herunterladen. (sbs)www.ksta.de/veedelscheck

    Ich wohne erst seit einem halben Jahr inAlt-Niehl. Es ist irgendwie schon einkleines Dorf. Mittlerweile werde ich aufder Straße immer gegrüßt – das ist wirk-

    lich cool. Außerdem bin ichin 15 Minuten in der

    Stadt oder auf dem„Land“. Daspasst gut zu mir.

    Nina Radant(27)

    Ich bin in Niehl aufgewachsen. Mit demRad war ich in zwei Minuten am Rhein.Jeden Sommer haben wir auf den Wie-sen am Niehler Hafen verbracht. Wäh-rend der Schulzeit war das unser Treff-punkt mit Freunden. Bis spät in dieNacht saßen wir mit allenzusammen. Das macheich heute immer nochgerne, wenn ichhier bin.

    Isabel Hein-rich (23)

    Sicherheit 2,6 (48*)

    Durchschnittsalter: 42,4

    Mit der Straßenbahn bis zum Dom: 10 Minuten

    Haushalte mit Kindern: 19,5%

    Größe: 12,06 Quadratkilometer

    Gruppen im Karnevalszug: 20Häfen: 1

    Einwohner: 20 204

    Zugehörigkeit zu Köln: 130 Jahre

    11,2 Jahre wohnen die Niehler unter gleicher Adresse

    Veedels-Veedels-ZeugnisZeugnis

    Veedels-Veedels-ZahlenZahlen

    www.ksta.de/veedelscheck

    ALTSTADT-NORD • ALTSTADT-SÜD • BAYENTHAL • BICKENDORF • BILDERSTÖCKCHEN • BLUMENBERG • BOCKLEMÜND/MENGENICH • BRAUNSFELD • BRÜCK • BUCHFORST • BUCHHEIM • CHORWEILER • DELLBRÜCK • DEUTZ • DÜNNWALD • EHRENFELD • EIL • ELSDORF • ENSEN • ESCH/AUWEILER • FINKENBERG • FLITTARD • FÜHLINGEN • GODORF • GREMBERGHOVEN • GRENGEL • HAHNWALD • HEIMERSDORF • HÖHENBERG • HÖHENHAUS • HOLWEIDE • HUMBOLDT/GREMBERG • IMMENDORF • JUNKERSDORF • KALK • KLETTENBERG • LANGEL • LIBUR • LIND • LINDENTHAL • LINDWEILER • LONGERICH • LÖVENICH • MARIENBURG • MAUENHEIM • MERHEIM • MERKENICH • MESCHENICH • MÜLHEIM • MÜNGERSDORF • NEUBRÜCK •NEUEHRENFELD•NEUSTADT-NORD

    •NEUSTADT-SÜD•NIEHL•NIPPES•OSSENDORF•OSTHEIM

    •PESCH•POLL•PORZ•RADERBERG

    •RADERTHAL•RATH/HEUMAR•RIEHL•RODENKIRCHEN•ROGGENDORF/THENHOVEN

    •RONDORF•SEEBERG•STAMMHEIM

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    •VINGST•VOGELSANG•VOLKHOVEN/W

    EILER•WAHN

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    EIDENPESCH•W

    EIß•WESTHOVEN

    •WIDDERSDORF•W

    ORRINGEN•ZOLLSTOCK

    •ZÜNDORF

    Das Hochhaus mit Köln-Skyline an der Friedrich-Karl-Straße, an der Grenze zu Weidenpesch (Foto links), die „Patrizia Höfe“ (Mitte) sowie der neu gestaltete Spielplatz am Rhein in Alt-Niehl (o.r.). Jürgen Hilger (l.) und Bernd Valjeur vom Bürgerverein (unten), Alt St. Katharina am Rheinufer. Fotos: Goyert, akh

    Veedels-Veedels-GeschichteGeschichte

    Veedels-Veedels-BaustellenBaustellen

    Veedels-Veedels-CheckCheck

    Veedels-Veedels-MenschenMenschen

    Nahverkehr 2,5 (42)

    Gemeinschaftsgefühl 3,2 (57)

    Einkaufsmöglichkeiten 3 (47)

    Sauberkeit 3,3 (54)

    Parkmöglichkeiten 3,3 (61)

    Kinderfreundlichkeit 2,8 (60)

    Gastronomie 3,3 (37)

    Gefragt, welche Gesamtnote sie ihrem Stadtteil geben würden,vergaben die Niehler die Durchschnittsnote 2,9. Das ist Platz 30im Ranking aller 86 Kölner Veedel. 220 Kölner gaben in der nicht-repräsentativen Umfrage an, dass Niehl ihr Lieblingsviertel sei.Der Stadtteil liegt damit auf Platz 30. Für 64,8 Prozent der Nieh-ler kommt ein Umzug in ein anderes Veedel nicht in Frage. „Wiekölsch finden Sie ihr Viertel?“ – auf diese Frage hin vergaben dieNiehler die Note 3,1. Das ist Platz 34 im Ranking. Für die Grünflä-chen vergaben die Teilnehmer die Note 3,1; das entspricht Platz62.

    NIEHL