hans stubbe zum 70. geburtstag

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Theoretical and Applied Genetics 42, ] - 2 (1972) | by Springer-Verlag 1972 Hans Stubbe zum 70. Geburtstag Auch schon friiher, aber vor allem seit er vor 5 Jahren ,,Rentner" wurde, haben seine Freunde und Kollegen in aller Welt gehofft, nun f/inde er Zeit zum Reisen, nun k/ime er uns h/iufig besuchen, nun tr/ife man ihn dort, wo man die anderen Kollegen und manchmal auch Freunde trifft : an den Pl~itzen inter- nationaler Begegnung der zivilisierten L/inder der Welt, auf internationalen Kongressen, in den jet- linern iiber Ozeanen und Kontinenten. Weit ge- fehltl Angeftillt mit Ar- beit und Verpflicht ungen, die ihn in seinem Lande festhalten, wie das w/ih- rend des ganzen Lebens als Forscher und Organi- sator war, so ist auch sein ,,Ruhestand" ohne MuBe. Schade ftir uns I -- Auch ftir ihn? Diese Frage mtil3te nach den inzwischen vorliegenden Erfahrungen am 70. Ge- burtstag eigentlich be- antwortet werden k6no nen. Aber wenn man es versucht, merkt man, wie schwer es ist, auch j eman- den, den man zu kennen meint, gerade in dieser Hinsicht beurteilen zu kSnnen. Vielleicht will Hans Stubbe trotz nicht seltener gegenteiliger Be- teuerungen letzten Endes gar keine Mul3e, keinen Ruhestand, mindestens nicht die doch seinem persSnlichen Status und dem seines Landes ange- messenen Auslandreisen ? Nun, wie dem auch sei: Uns kanner meiden, aber nicht hindern, seinen 70. Geburtstag zu feiern l Nichts ist klein in diesem Leben. Wie andere grol3e Deutsche kommt er aus Pommern. Landwirtschaft zu studieren, ist dann gera?lezu naturgegeben. Aber man muB als Pommer nicht konservativ sein und bleiben (s. z. B. auch Virchow). -- Zum Kleinbauern taugt er nicht. GroBagrarier zu werden, hinderten ihn andere Interessen und grunds/itzliche fJberzeugungen. Als er bei Erwin Baur Genetiker wurde, behielt er wohl immer einen Blick ftir die Landwirtschaft und immer den aufs Grol3e gerichteten Stil. Schliel31ich ist es kein reiner Zufall, dab er Pr~isident einer ,,Akademie der Landwirtschaftswissenschaften" wurde. Mit der Er- innerung an die Weiten der Dom~ine Gatersleben, die fiir die Griindung des ,,Instituts fiir Kulturpflanzen- forschung" der Landreform entzogen wurde, sah er unwillig auf die privaten Apfelgiitle und kleinbiirger- lichen Schwabenh~iusle, die zwischen den Abteilungen unseres Ttibinger ,,Max- Planck-Instituts fiir Bio- logie" liegen, als er uns vor langer Zeit besuchte. Landwirtschaft und Ge- netik, das, sollte man meinen, gibt einen Pflan- zenziichter. Und Stubbe hat in seinem Leben auch weil~ Gott viel fiir die Pflanzenztichtung getan, u. a. zwei wichtige Zeit- schriften lange Zeit als Hauptherausgeber gelei- tet. Abet wenn man seine zahlreichen Originalver- 6ffentlichungen, die Handbuch-Artikel und zusammenfassenden Dar- stellungen einschlietllich der ,,Kurzen Geschichte der Genetik" kennt, dann weil3 man, dab ihn zen- trale biologische Fragen und die nattirliche Evo- lution der Organismen doch noch mehr als die Pflanzenziichtung inter- essieren. Die in etlichen Reden und allgemeinen Aufs~itzen beteuerte Not- wendigkeit der Anwen- dung genetischer Erkenntnisse in der Praxis der Pflanzenztichtung ist deswegen nicht etwa nicht ernst gemeint. Wer nicht so sehr auf die Literatur, sondern auf die grol3en Werke der Organisation, das Institut in Gatersleben, die Akademie der Landwirtschafts- wissenschaften schaut, den mag es erstaunen, wenn ich sage, die organisatorischen Leistungen -- und bitte in welchen Jahren unserer Geschichte, unter welchen Umst/inden I -- seien ,,neben" seinen wissen- schaftlichen Interessen gestanden. Abet das ist so. Dabei darf man nicht iibersehen, dal3 diese Akademie nicht eine Einrichtung ist, deren gr613te Aktivit/iten damit ersch6pft sind, dab sie Mitglied-, Ehren- mitgliedschaften und Preise verleiht und mit anderen

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Page 1: Hans stubbe zum 70. Geburtstag

Theoretical and Applied Genetics 42, ] - 2 (1972) | by Springer-Verlag 1972

Hans Stubbe zum 70. Geburtstag

Auch schon friiher, aber vor allem seit er vor 5 Jahren ,,Rentner" wurde, haben seine Freunde und Kollegen in aller Welt gehofft, nun f/inde er Zeit zum Reisen, nun k/ime er uns h/iufig besuchen, nun tr/ife man ihn dort, wo man die anderen Kollegen und manchmal auch Freunde trifft : an den Pl~itzen inter- nat ionaler Begegnung der zivilisierten L/inder der Welt, auf internat ionalen Kongressen, in den jet- linern iiber Ozeanen und Kontinenten. Weit ge- fehltl Angeftillt mi t Ar- beit und Verpflicht ungen, die ihn in seinem Lande festhalten, wie das w/ih- rend des ganzen Lebens als Forscher und Organi- sator war, so ist auch sein , ,Ruhes tand" ohne MuBe. Schade ftir uns I -- Auch ftir ihn? Diese Frage mtil3te nach den inzwischen vorliegenden Erfahrungen am 70. Ge- bur t s tag eigentlich be- antworte t werden k6no nen. Aber wenn man es versucht, merk t man, wie schwer es ist, auch j eman- den, den man zu kennen meint, gerade in dieser Hinsicht beurteilen zu kSnnen. Vielleicht will Hans Stubbe t rotz nicht seltener gegenteiliger Be- teuerungen letzten Endes gar keine Mul3e, keinen Ruhestand, mindestens nicht die doch seinem persSnlichen Status und dem seines Landes ange- messenen Auslandreisen ?

Nun, wie dem auch sei: Uns k a n n e r meiden, aber nicht hindern, seinen 70. Gebur ts tag zu feiern l

Nichts ist klein in diesem Leben. Wie andere grol3e Deutsche k o m m t er aus Pommern. Landwir tschaf t zu studieren, ist dann gera?lezu naturgegeben. Aber man muB als Pommer nicht konservat iv sein und bleiben (s. z. B. auch Virchow). - - Zum Kleinbauern taugt er nicht. GroBagrarier zu werden, hinderten ihn andere Interessen und grunds/itzliche fJberzeugungen. Als er bei Erwin Baur Genetiker wurde, behielt er wohl immer einen Blick ftir die Landwir tschaf t und immer den aufs Grol3e gerichteten Stil. Schliel31ich ist es kein

reiner Zufall, dab er Pr~isident einer , ,Akademie der Landwirtschaftswissenschaften" wurde. Mit der Er- innerung an die Weiten der Dom~ine Gatersleben, die fiir die Griindung des , , Inst i tuts fiir Kulturpflanzen- forschung" der Landreform entzogen wurde, sah er unwillig auf die pr ivaten Apfelgiitle und kleinbiirger- lichen Schwabenh~iusle, die zwischen den Abteilungen

unseres Ttibinger ,,Max- P lanck-Ins t i tu ts fiir Bio- logie" liegen, als er uns vor langer Zeit besuchte. Landwir tschaf t und Ge- netik, das, sollte man meinen, gibt einen Pflan- zenziichter. Und Stubbe hat in seinem Leben auch weil~ Got t viel fiir die Pflanzenztichtung getan, u. a. zwei wichtige Zeit- schriften lange Zeit als Hauptherausgeber gelei- tet. Abet wenn man seine zahlreichen Originalver-

6ffentlichungen, die Handbuch-Art ikel und zusammenfassenden Dar- stellungen einschlietllich der , ,Kurzen Geschichte der Genet ik" kennt, dann weil3 man, dab ihn zen- trale biologische Fragen und die nattirliche Evo- lution der Organismen doch noch mehr als die Pflanzenziichtung inter- essieren. Die in etlichen Reden und allgemeinen Aufs~itzen beteuer te Not- wendigkeit der Anwen-

dung genetischer Erkenntnisse in der Praxis der Pflanzenztichtung ist deswegen nicht etwa nicht ernst gemeint.

Wer nicht so sehr auf die Literatur , sondern auf die grol3en Werke der Organisation, das Ins t i tu t in Gatersleben, die Akademie der Landwirtschafts- wissenschaften schaut, den mag es erstaunen, wenn ich sage, die organisatorischen Leistungen - - und bi t te in welchen Jahren unserer Geschichte, unter welchen Umst/inden I - - seien , ,neben" seinen wissen- schaftlichen Interessen gestanden. Abet das ist so. Dabei darf man nicht iibersehen, dal3 diese Akademie nicht eine Einrichtung ist, deren gr613te Aktivit / i ten damit ersch6pft sind, dab sie Mitglied-, Ehren- mitgliedschaften und Preise verleiht und mit anderen

Page 2: Hans stubbe zum 70. Geburtstag

Theoret. Appl. Genetics

Akademien korrespondiert, sondern sie organisiert und finanziert das Leben und Zusammenarbeiten einer nicht geringen Zahl von Forschungsinstituten. Ich habe damit, dab ich sagte, die Wissenschaft stehe im Zentrum von Stubbes Interesse, nattirlich nichts tiber den Anteil, den die verschiedenen Aufgaben an der Arbeitszeit hatten, gesagt. Nichts ist klein in diesem Leben. So waren auch die Konflikte groB. Und fast iiberm~tl3ig grol3 war der Konflikt zwischen den zentralen Interessen und den ihm zuwachsenden organisatorischen Aufgaben schon seit langer Zeit, aber vor allem seit 1945.

Ende der zwanziger Jahre war von Muller und Altenburg entdeckt worden, dal3 R6ntgenstrahlen die Mutationsrate steigern. In G6ttingen in Fri tz v. Wettsteins Insti tutskolloquium war es Hans Stubbe, der uns mit diesem wichtigen Fortschri t t in einem mir unvergel31iehen Referat ver t raut machte. Ihn beschiiftigte dann etliche Jahre zun~ichst in Mtinche- berg im , ,Kaiser-Wilhehn-Institut far Zachtungs- forschung", wo ihm Erwin Baur groi3ztigige Arbeits- bedingungen bot, und als das unter dessen Nachfolger mit politischer Begrtindung nach 1933 aufh6rte, in der Abt. v. Wetts te in des , ,KWI ftir Biologie" in Berlin-Dahlem die Problematik der Mutationsfor- schung mit zahlreichen Unterfragen. Nichts ist klein in diesem Leben, und Mutationsversuche mit h6he- ren Ptlanzen konnten nur grol3 sein. Der aus der Zeit von C. E. Correns an ganz ordentliche Versnchsfelder durchaus gew6hnte Gartenbetrieb der Abteilung v. Wetts tein seufzte. Es war ein guter, aber doch eben nur ein Gartenbetrieb und kein Rit tergut. Einer unserer Arbeiter formulierte unser aller Geftihle: ,,Der hat uns bier jerade noch jefehl t !" -- Als Stubbe ganze Klassen einer H6heren T6chterschule als Helferinnen beim Beuteln yon X1-Pflanzen heran- zog, erhielt er den Beinamen , ,Priamos", der der Sage nactl 100T6chter hatte. -- Dennoch war die ge- nerationsflinke Drosophila mit dem L6wenm~iulchen nicht recht einznholen. Aber wenn die von Stubbe und D6ring schon herangezogene Neurospora auch bei uns in Dahlem das neue , ,Haustier" geworden w~ire, hAtte die Geschichte der ,,biochemischen Genetik" einen anderen Verlauf genommen. Ihr Schwerpunkt w~tre nicht so ausschlieglich in die USA verlagert worden, wie dann tats~ichlich mit Beadle, Ta tum und einer grol3en Zahl. tachtigster Kollegen. Aber der grausame Krieg, in den die Deutschen sich fiihren lieBen, rib D6ring hinweg und brachte am Ende das yon Stubbe in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft be- grtindete , , Insti tut ftir Kulturpflanzenforschung" von Wien an den Ostrand des Harz nach Stecklenberg. Weder die inzwischen aufgenommene Hauptarbeits- richtung des Insti tuts, noch die ~tul3eren VerhXltnisse liel3en zuniichst an eine Fortsetzung der in Dahlem begonnenen Arbeiten denken.

Um so mehr mtissen wir bewundern, und heute am 70. Geburtstag des Institutsgriinders sollten w i r e s nicht leise verkniffen uns zufltistern, sondern offen und weithin sichtbar feiern, dab das Gaterslebener Inst i tut bald tiber die in seinem Namen liegende Auf- gabe hinaus das groge, freie Inst i tut far Genetik in diesem Tell Mitteleuropas wurde. Streben nach echtem, naturwissensehaftlichen Fortschri t t blieb dort auch dann die Richtschnur der Arbeit, als ,,fortschrittliche Genetik" das Synonym ftir eine wissenschaftlich obskure, ideologieverzerrte, offiziell gef6rderte Arbeitsrichtung war. Junge, mutige Kol- legen lernten von Stubbe die gesellschaftliche Er- neuerung mit naturwissenschaftlicher Ntichternheit und gesunder Kri t ik zu vereinen und halfen ihm, diese Vereinigung zun~iehst zu erhalten und sp~iter auch tiber das Ins t i tu t hinaus durchzusetzen. In sorg- f~tltig ausgeftihrten Experimenten wurden leicht- fertige Behauptungen sogenannter fortsehrittlicher Genetiker widerlegt. Schlieglich ging von diesen Arbeiten und aus Gatersleben auch eine starke inter- nationale Ausstrahlung in alle Himmelsrichtnngen aus. Wenn 1965 beim Mendel-Symposium in Brtinn Kollegen aus Ost und West den 100. Geburtstag der Genetik gemeinsam feiern konnten, dann ist das aueh und nicht zuletzt eine Folge des Festhaltens Hans Stubbes und seiner Mitarbeiter an den seit Galilei gtiltigen Grundlagen der Naturwissensehaften, die frei von allen Dogmen sind, und deren letztes Kri- terium immer Experimente sind, deren Ergebnisse Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen k6nnen.

Nichts ist klein in diesem Leben! So auch nicht seine Leidenschaften -- als J~iger, als Kunstfreund, als Landschaftsschtitzer. Und wenn Hans Stubbe Fehler h~tte, so k6nnten sie nicht klein sein. Aber ich sptire es deutlich, am 70. Geburtstag hat man schon kaum noch Fehler. Ich bin aueh nieht mehr allzu welt von diesem Stadium entfernt.

Auf dem Bild, das man ftir diesen Gliickwunsch ausgew~ihlt hat, schaut mir Hans Stubbe zu ernst, ein wenig zu grimmig drein. Wer ihn kennt, well3, dal3 er solchen Grimm nur aufrecht erhalten kann, wenn er so wie hier an seinem Par tner vorbeisieht, wenn er sich gegen die prim~ire Kontaktfreudigkeit seines Wesens schtitzen mug. Ihn h~iufiger als bisher so sehen zu k6nnen, dab aller Grimm aus seinem Gesicht verschwindet, ist unser Wunsch. Daftir brauchen wir in aller Welt auch ,,normale Verkehrs- verh~iltnisse". Nichts ist klein in seinem Leben, und schon gar nicht die Gate seines Herzens. Wir mSch- ten ihn nun oft und doch noch nicht zu weise l~tcheln, sondern freudig lachen sehen.

Georg Melchers