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F U ß B A L L - N A T I O N A L M A N N S C H A F T
Der Kopf-CoachIn einem Jahr beginnt die WM. Noch lange hin? Nichtfür Hans-Dieter Hermann. Der Psychologe der deutschenNationalmannschaft über labile Spielerseelen, die heikleMission des Pep Guardiola in München – und Hochzeiten in derSommerpauseVON Cathrin Gilbert | 20. Juni 2013 - 08:00 Uhr
© Alex Grimm/Bongarts/Getty Images
Hans-Dieter Hermann, Psychologe der deutschen Fußball-Nationalelf
Hans-Dieter Hermann ist zurückhaltend, aber er fällt trotzdem auf: durch seine
außergewöhnlich feinen Manieren. Im Dienst trägt auch er schwarze Trainingshose, weißes
T-Shirt mit Adler auf der Brust und Turnschuhe, die einheitliche Uniform des DFB. Seit
acht Jahren betreut der Psychologe die deutsche Fußballnationalmannschaft. Aber was
genau macht er eigentlich? Am wohlsten fühle er sich, wenn ihn niemand danach fragte. Zu
viel Öffentlichkeit könnte seiner Arbeit schaden, denn die basiere auf Vertrauen.
DIE ZEIT: Herr Hermann, die neue Spielergeneration wirkt so pflegeleicht und angepasst,
rund um die Uhr betreut in den Vereinen, von Beratern und anderen Einflüsterern. Wozu
braucht es da noch einen Psychologen in der Nationalmannschaft?
Hans-Dieter Hermann: Ihr Eindruck von funktionierenden Jungs, die ständig eine
ratgebende Entourage um sich haben, täuscht. Fußballspieler auf diesem Leistungsniveau
sind von der Öffentlichkeit intensiv beobachtete Hochleistungssportler, die schnell in
Ungnade fallen, wenn sie eine erwartete oder geforderte Leistung nicht bringen. Zudem
werden sie auch für ihr Verhalten außerhalb des Feldes beurteilt. Als Sportpsychologe
unterstütze ich, dass sie vom Kopf her leistungsfähig bleiben, und bin bei Bedarf auch
Ansprechpartner bei persönlichen Themen, die weniger mit dem Sport zu tun haben.
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ZEIT: Brauchen Profispieler heute mehr psychologische Unterstützung als früher?
HANS-D IETER HERMANN
53, stieß im Jahr 2004 auf Initiative von Jürgen Klinsmannzur Nationalmannschaft. Der Diplom-Psychologeberät auch die Nachwuchsfußballteams. Von 2006 bis2010 betreute er die Bundesligamannschaft des TSGHoffenheim. Am Olympiastützpunkt Heidelberg knüpfteHermann erste Kontakte zu Leistungssportlern. Erarbeitete mit der österreichischen Ski-Nationalmannschaftsowie der deutschen Hockey-, Turn- und Box-Nationalmannschaft.
Hermann: Die Erwartungen an die Jungs sind riesig, und sie sind in den letzten Jahren
nochmals deutlich gestiegen. Entsprechend gibt es auch eine größere Nachfrage nach
psychologischer Unterstützung. Mit dem Hype, der während der WM 2006 in Deutschland
ausgelöst wurde und immer größer wird, hat der Druck auf die Spieler zugenommen –
auch außerhalb des Stadions. Das hat maßgeblich mit der beschleunigten Verbreitung von
Informationen über die Sozialen Netzwerke und das Internet zu tun. Privates wird heute
viel schneller öffentlich. Für die meisten Spieler ist Twittern oder das Kommunizieren via
Facebook völlig normal. Sie benötigen dadurch die traditionellen Medien nicht mehr zum
Austausch mit ihren Fans. Aber es birgt auch Gefahren.
ZEIT: Welche?
Hermann: In Phasen der Veränderung, bei Vereins- oder Trainerwechseln und in
Krisensituationen, können sich Außenstehende unmittelbar einmischen. Sie können ihren
Frust oder ihre Enttäuschung persönlich an Spieler oder Trainer adressieren. Cyber-
Mobbing ist eine extreme Belastung für alle Menschen, die davon betroffen sind. Wer
aber im Fokus der Öffentlichkeit steht, kann besonders schnell zur Zielscheibe werden –
gerade im emotional überladenen Fußballgeschäft. Sensible Spieler leiden darunter, das hat
unterschiedliche psychologische Konsequenzen.
ZEIT: Woran leiden die Spieler genau?
Hermann: An der Unmittelbarkeit negativer Reaktionen, die man im Zeitalter vor den
Sozialen Netzwerken, Foren, Blogs und Online-Leserkommentaren leichter auf Distanz
halten konnte. Sich schnell verbreitende Unterstellungen, oft persönlich beleidigende
Äußerungen gehen an den meisten Spielern nicht spurlos vorbei. Und an ihren Familien
schon gar nicht – das ist für viele ganz besonders bedeutsam.
ZEIT: Demnach wäre es naiv, zu glauben, dass die Nationalspieler heute auf Wolke sieben
schweben – ganz anders als bei Ihrem Dienstantritt vor neun Jahren?
Hermann: Nach meinem Eindruck sind unsere Fußballnationalspieler mit ihrem Leben
sehr zufrieden, wissen um das Glück, das sie haben, und sind dankbar dafür. Aber auch ein
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exponiertes Profifußballer-Leben hat seinen Preis – vor allem in Krisenzeiten. Und dieser
Preis ist höher geworden.
ZEIT: Wenn Sie den neuen Trainer des FC Bayern München, Pep Guardiola , auf den
deutschen Fußballertypus vorbereiten müssten, welche Wesenszüge würden Sie da vor
allem nennen?
Hermann: Es gibt keine typisch deutschen Fußballer-Wesenszüge mehr. Das Besondere
an der Situation ist, dass die Mannschaft mit Jupp Heynckes sehr erfolgreich war und sich
nun, nach dem Gewinn des Tripels, auf einen neuen Coach umstellen muss. Außerdem
wird Guardiola bei jeglicher Veränderung des Bestehenden, wenn nicht gleich souverän
gewonnen wird, sofort am Vorgänger gemessen werden.
ZEIT: Wie sollte sich Guardiola also verhalten?
Hermann: Ich würde ihm empfehlen, sehr viel zu kommunizieren. Er sollte mit jedem
Spieler einzeln sprechen, zuhören, ihn buchstäblich kennenlernen und so gegenseitiges
Vertrauen aufbauen, aber nach allem, was ich gehört habe, ist Guardiola sehr klug und
ohnehin kommunikativ – er braucht solche Ratschläge nicht. Er wird das nötige Feingefühl
dafür haben, nicht sofort alles umkrempeln zu wollen, sondern seine Vorstellungen Schritt
für Schritt umzusetzen und die Spieler und den Verein auf seine Reise mitzunehmen.
ZEIT: Die Spieler des FC Bayern haben in der vergangenen Saison alles erreicht, was man
als Vereinsfußballer erreichen kann. Wie groß ist die Gefahr, ausgerechnet in der Saison
vor der WM in Brasilien in ein Motivationsloch zu fallen?
Hermann: Bei den Nationalspielern erwarte ich kein Motivationsloch. Im Gegenteil:
Es gibt im nächsten Jahr bei der WM etwas zu erreichen, was keiner der aktuellen
Nationalspieler bislang erreicht hat. Trotzdem gab es in der Vergangenheit immer wieder
Sportler, die nach großen Erfolgen von einem Gefühl der Leere heimgesucht wurden und
sich fragen: Was kommt als Nächstes? Kann ich das noch steigern? Diese Fragen muss ein
Spieler möglichst schnell für sich klären. Kann er das allein oder mithilfe seines familiären
Umfelds nicht bewältigen, sollte er psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen.
Das Gefühl der Leere kann so dominant werden, dass die Jungs es nicht mehr schaffen,
sich für den Liga- und Trainingsalltag adäquat zu motivieren. Die Gedanken bestimmen
entscheidend das Handeln – positiv wie negativ.
ZEIT: In der vergangenen Saison galt die Aufmerksamkeit der Fußballfans dem
Vereinsfußball. Je näher die WM rückt, desto wichtiger wird die Nationalelf. Worin liegt
die größte Herausforderung für Sie in der psychologischen Betreuung?
Hermann: Zunächst darin, meinen Beitrag zu leisten, dass jeder Spieler im Nationaltrikot
auch mental in der Lage ist, seine beste Leistung zu zeigen. Aber es gibt noch eine weitere
große Herausforderung: Die Nationalmannschaft ist nicht die sportliche Heimat der Spieler.
Die Jungs sind in ihren Vereinen zu Hause. Sie identifizieren sich in der Regel besonders
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mit ihrem Club, in dem sie sich die meiste Zeit des Jahres bewegen. Bei aller Ehre und
Wertschätzung, die jeder erfährt, wenn er in die Nationalmannschaft berufen wird: Nicht
jeder Spieler fühlt sich da per se sofort wohl. Manche erleben das als Stress, brauchen Zeit,
um das nötige Selbstbewusstsein in Leistung umzusetzen. Also müssen wir ständig daran
arbeiten, dass die Spieler auch hier ihren Platz finden, sich mit dieser Mannschaft ebenfalls
komplett identifizieren und dadurch ihre beste Leistung abrufen können.
ZEIT: Wie genau funktioniert das?
Hermann: Durch die kommunikative Atmosphäre, die unsere Nationalmannschaft
ausmacht und die durch Maßnahmen der Teamentwicklung gefördert wird – das gehört
zu den Grundüberzeugungen unserer sportlichen Leitung. Wenn man als Gruppe zur
Nationalmannschaft kommt, wie die U-21-Europameister von 2009 Mesut Özil, Mats
Hummels, Sami Khedira und Manuel Neuer, dann ist der Einstieg leichter. Aber es ist auch
eine Persönlichkeitsfrage. Denken Sie an Thomas Müller, der unmittelbar vor der letzten
WM zu uns kam. Er ist für jede Mannschaft ein Geschenk des Himmels.
ZEIT: Warum?
Hermann: Er ist offen und wirkt integrierend, auch außerhalb des Feldes. Er steckt viele
im Team mit seiner unverkrampften, fröhlichen, positiven Art an. Gleichzeitig ist er
wissbegierig, aber auch sensibel.
ZEIT: Die Spielertypen von heute erscheinen anders als die vor zwanzig Jahren.
Charaktere wie Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg wirken im Vergleich mit Thomas
Müller oder Mario Götze wie aus der Zeit gefallen. Können Sie diesen Wandel erklären?
Hermann: Die Nationalmannschaft ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Die jungen
Menschen haben sich verändert – unsere Spieler auch. Natürlich können sie kein Sabbatical
nehmen. Sie können auch nicht entscheiden, morgen einfach mal zu Hause zu trainieren.
Aber sie bestimmen selbst, was ihnen wichtig ist. Sie geben sich nicht einfach nur dem
System Profifußball hin.
ZEIT: Finden Sie? Die Profis von heute wirken brav, niemand bricht aus. Es scheint nur
noch strebsame, vernünftige Typen zu geben.
Hermann: Sie scheinen Ihr Bild von den angepassten Nationalspielern nicht aufgeben zu
wollen. Es gibt keine Exzesse mehr, das stimmt. Die Spieler schleichen nicht mehr nachts
aus dem Teamhotel oder betrinken sich heimlich. Dafür sind sie zu professionell, außerdem
berichteten heute sofort die Medien. Aber jeder hat seinen eigenen Kopf. Auch das ist
wichtig fürs Mannschaftsgefüge. Sollte der Eindruck entstehen, die Spieler von heute seien
alle gleich oder gar brav, ist er definitiv falsch. Nicht nur weil sie beim Feiern richtig Gas
geben können. Sie haben unterschiedliche Interessen und sind weit über den Fußball hinaus
informiert, viele engagieren sich in Projekten. Und nur weil sich Fußballnationalspieler
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sicher vor Mikrofonen verhalten und die Konsequenzen ihrer Aussagen abschätzen können,
sind sie noch lange nicht langweilig.
ZEIT: Wessen Diener sind Sie eigentlich, der des Trainers oder der der Spieler?
Hermann: Ich gehöre nicht zum Trainerstab und würde niemals Vertrauliches aus meinen
Gesprächen mit den Spielern an Joachim Löw weitertragen – das wäre auch nicht in seinem
Sinn. Wenn ich das täte, könnte ich sofort einpacken.
ZEIT: Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus? Beobachten Sie die Spieler und sprechen einzelne
an?
Hermann: Um Gottes willen! Ich bin nicht der, der im Hintergrund auf der Lauer liegt
und zuschlägt, wenn jemand die Gabel falsch hält. Sie können sich meinen Tagesablauf so
vorstellen wie den eines Physiotherapeuten oder Mediziners. An normalen Tagen bewege
ich mich zwischen Einzelbesprechungen, Meetings und Training. Der Kopf der Spieler
muss die Spielleistung unterstützen und nicht behindern. Dazu vermittle ich individuell
psychologische Trainingstechniken.
ZEIT: Wie sehen die aus?
Hermann: Es gibt eine ganze Reihe wissenschaftlich fundierter psychologischer
Trainingstechniken, die regelmäßig – neben dem Training auf dem Platz und im Kraftraum
– zum Einsatz kommen. Die bekannteste ist das mentale Training, bei dem man in
Gedanken Techniken, Taktiken und Spielzüge durchgeht und sie damit trainiert. Zwar nur
geistig – aber wenn die Steuerzentrale, also der Kopf, einen typischen offensiven Spielzug
fast schon unterbewusst beherrscht, muss der Spieler auf dem Feld nicht mehr darüber
nachdenken, um ihn auszuführen. Das funktioniert nur durch Regelmäßigkeit.
ZEIT: Welche Konfliktsituationen jenseits das Platzes fordern die Spieler heute besonders
heraus?
Hermann: Die Hochphase der Profizeit beginnt mittlerweile bei vielen Fußballspielern
schon mit 19, 20 Jahren – viel früher als vor zehn Jahren. In diesem jungen Alter müssen
die Spieler sehr viele Reize und Anforderungen, manchmal auch Rückschläge verarbeiten,
nicht nur auf dem Platz. Manchen glückt das problemlos, andere brauchen Unterstützung,
weil ihnen Ansprechpartner in ihrem Umfeld fehlen. Manche merken erst nach ein
paar Jahren, dass die Position oder die Rolle, die ihnen Trainer oder Fans oder Medien
zugeschrieben haben, gar nicht zu ihnen passt.
ZEIT: Die Nationalspieler werden seit ihrer Kindheit geschult, oft sind sie in
Vereinsinternaten groß geworden – und merken erst so spät, dass ihre Rolle nicht
deckungsgleich mit ihrem Wesen ist?
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Hermann: Ja, das kommt manchmal vor. Das ist doch nicht nur ein Fußballer-Phänomen:
Wir lassen uns antreiben – von Ehrgeiz und von dem Anspruch, unseren Eltern, Freunden
oder Vorgesetzten gefallen zu wollen – und merken erst viel später, dass das, was wir
verkörpern, uns nicht entspricht.
ZEIT: Und das erklären Sie den Betroffenen dann?
Hermann: Ich erkläre gar nichts. Das müssen sie selbst erkennen. Meist sind es Ereignisse
wie Langzeit- und Wiederverletzungen oder auch Vereinswechsel, in deren Folge ihnen das
Problem bewusst wird und sie psychologische Unterstützung suchen.
ZEIT: Gibt es Spieler, die nicht von Ihnen beraten werden wollen?
Hermann: Gesagt hat das noch keiner, aber ich denke, schon. Hier wird niemand
gezwungen, sich mir anzuvertrauen. Die Einzelgespräche basieren auf Freiwilligkeit. Ich
habe kein Problem damit, wenn die Jungs sich lieber anderen Kollegen anvertrauen. Auch
die Vereine kooperieren mit guten Fachleuten.
ZEIT: Wie groß ist die Wirkung eines gewonnenen oder verlorenen Champions-League-
Finales? Bei der Nationalelf werden Sie es ja mit den Siegern aus München und den
Verlierern aus Dortmund zu tun haben.
Hermann: Da erwarte ich überhaupt keine Probleme. Die Dortmunder fühlen sich nicht
als Verlierer, sie haben eine großartige internationale Saison gespielt. Vor einem Jahr war
das schwieriger, als die Bayern kurz vor der Europameisterschaft den Sieg im Champions-
League-Finale gegen Chelsea verpassten. Sie hatten keine Zeit, um ihre Enttäuschung zu
verarbeiten. Zeit zu haben ist ohnehin die größte Herausforderung bei meiner Arbeit mit
den Spielern. Die Spieler haben kaum Ruhe, um ihre Eindrücke zu verarbeiten. Ihr Alltag
ist durchgetaktet. Und die eigenen wie die fremden Erwartungen sind hoch.
ZEIT: Wie sollte ein Profi seine Sommerferien, die in diesen Tagen nach drei Wochen
wieder zu Ende gehen, am besten gestalten?
Hermann: Die meisten nutzen die Ferien zum Heiraten. Das ist wohl der einzige Zeitpunkt
im Jahr, der passt.
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