gesellschaftliche akzeptanz der kohle und die zukunft der deutschen kohleforschung

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Gesellschaftliche Akzeptanz der Kohle und die Zukunft der deutschen Kohleforschung Michael Nippa und Roh Pin Lee* DOI: 10.1002/cite.201300190 In Deutschland formiert sich seit längerem Widerstand gegen die Kohleverstromung und die Nutzung von Kohle. Dies hat auch Auswirkungen auf die Kohleforschung, was zu einem unwiederbringlichen Know-how-Verlust führen könnte. Letztlich ergeben sich daraus gravierende Konsequenzen für die nachhaltige Effizienzsteigerung bei Kohletechnologien. Die Akzeptanzforschung zur Kohle am Deutschen EnergieRohstoff-Zentrum hat eine Reihe von kontraintuitiven Ergeb- nissen zutage gefördert. Im Beitrag wird das Forschungsprogramm vorgestellt, ausgewählte Ergebnisse beleuchtet und erste Implikationen abgeleitet. Schlagwörter: Akzeptanzforschung, Deutsches EnergieRohstoff-Zentrum, Kohle, Wahrnehmung Eingegangen: 27. Dezember 2013; akzeptiert: 13. Juni 2014 Societal Acceptance of Coal and the Future of Coal Research in Germany In Germany, there is increasing opposition to coal power generation and the utilization of coal. This also has implications for coal research, and could eventually lead to an irreversible loss of know-how. Adverse consequences for the sustainable improvement in the efficiency of coal technologies may thereby result. The research on societal acceptance of coal in the German Centre for Energy Resources has led to contra-intuitive insights. In this contribution, an overview of the research program will be provided, selected results are presented, and the implications of the findings discussed. Keywords: Acceptance research, Coal, German Center for Energy Resources, Perception 1 Einleitung Kohle spielt, angesichts eines 40 – 50%igen Anteils an der Stromerzeugung im letzten Jahrzehnt, eine Schlüsselrolle für Deutschlands Wirtschaft [1]. Diese Bedeutung ist zu- mindest mittelfristig auch dadurch gestiegen, dass Deutsch- land nach dem Atomunfall von Fukushima im März 2011 ein ambitioniertes Energiewende-Projekt initiierte, das zu einer völligen Neukonzeption seines Energiesystems führen soll. Die Ziele der Energiewende beinhalten u. a. den Aus- stieg aus der Atomenergie bis 2022 [2], einen Anteil von mindestens 35 % der gesamten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030 [3] und einen weite- ren Ausbau dieses Anteils auf 80% bis 2050 [4]. Während 2050 damit auch der Anteil der fossilen Brennstoffe an der Stromerzeugung deutlich geringer wird, betonen energie- politische Entscheidungsträger und Experten, aber auch Industrieführer, wie wichtig für die Übergangszeit und spe- ziell den beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie fossile Energiequellen, wie z. B. Kohle, sind. Argumentiert wird dabei, dass die Kohle für die langfristige Energiewirt- schaft Deutschlands unverzichtbar sei, da sie – bis auf wei- teres – einen nicht-substituierbaren Beitrag für eine sichere, zuverlässige und wettbewerbsfähige Energieversorgung leis- te [3, 5]. Unabhängig davon ist zu beachten, dass Kohle eine wich- tige Quelle von Kohlenwasserstoff ist. Somit könnte die durch die Energiewende eingeleitete Bedarfsminderung einer energetischen Nutzung von heimischen aber auch ausländischen Kohlevorräten, in Verbindung mit dem realistischen Szenario von temporären Strom-Überschüs- sen aus der erneuerbaren Stromerzeugung, diesen eine Schlüsselrolle als alternative Kohlenstoffquelle zuweisen. Dadurch könnte das knappe und zunehmend teure Öl sub- stituiert werden, das momentan den Hauptanteil des Koh- Chem. Ing. Tech. 2014, 86, No. 10, 1669–1677 © 2014 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Prof. Michael Nippa, Roh Pin Lee ([email protected]), TU Bergakademie Freiberg, Lehrstuhl für ABWL, insb. Unterneh- mensführung und Personalwesen/Chair of Management, Manage- ment, Leadership and Human Ressources, Lessingstraße 45, 09596 Freiberg, Deutschland. Forschungsarbeit 1669 Chemie Ingenieur Technik

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Page 1: Gesellschaftliche Akzeptanz der Kohle und die Zukunft der deutschen Kohleforschung

Gesellschaftliche Akzeptanz der Kohleund die Zukunft der deutschen KohleforschungMichael Nippa und Roh Pin Lee*

DOI: 10.1002/cite.201300190

In Deutschland formiert sich seit längerem Widerstand gegen die Kohleverstromung und die Nutzung von Kohle. Dies

hat auch Auswirkungen auf die Kohleforschung, was zu einem unwiederbringlichen Know-how-Verlust führen könnte.

Letztlich ergeben sich daraus gravierende Konsequenzen für die nachhaltige Effizienzsteigerung bei Kohletechnologien.

Die Akzeptanzforschung zur Kohle am Deutschen EnergieRohstoff-Zentrum hat eine Reihe von kontraintuitiven Ergeb-

nissen zutage gefördert. Im Beitrag wird das Forschungsprogramm vorgestellt, ausgewählte Ergebnisse beleuchtet und

erste Implikationen abgeleitet.

Schlagwörter: Akzeptanzforschung, Deutsches EnergieRohstoff-Zentrum, Kohle, Wahrnehmung

Eingegangen: 27. Dezember 2013; akzeptiert: 13. Juni 2014

Societal Acceptance of Coal and the Future of Coal Research in Germany

In Germany, there is increasing opposition to coal power generation and the utilization of coal. This also has implications

for coal research, and could eventually lead to an irreversible loss of know-how. Adverse consequences for the sustainable

improvement in the efficiency of coal technologies may thereby result. The research on societal acceptance of coal in the

German Centre for Energy Resources has led to contra-intuitive insights. In this contribution, an overview of the research

program will be provided, selected results are presented, and the implications of the findings discussed.

Keywords: Acceptance research, Coal, German Center for Energy Resources, Perception

1 Einleitung

Kohle spielt, angesichts eines 40 – 50%igen Anteils an derStromerzeugung im letzten Jahrzehnt, eine Schlüsselrollefür Deutschlands Wirtschaft [1]. Diese Bedeutung ist zu-mindest mittelfristig auch dadurch gestiegen, dass Deutsch-land nach dem Atomunfall von Fukushima im März 2011ein ambitioniertes Energiewende-Projekt initiierte, das zueiner völligen Neukonzeption seines Energiesystems führensoll. Die Ziele der Energiewende beinhalten u. a. den Aus-stieg aus der Atomenergie bis 2022 [2], einen Anteil vonmindestens 35 % der gesamten Stromerzeugung auserneuerbaren Energiequellen bis 2030 [3] und einen weite-

ren Ausbau dieses Anteils auf 80 % bis 2050 [4]. Während2050 damit auch der Anteil der fossilen Brennstoffe an derStromerzeugung deutlich geringer wird, betonen energie-politische Entscheidungsträger und Experten, aber auchIndustrieführer, wie wichtig für die Übergangszeit und spe-ziell den beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergiefossile Energiequellen, wie z. B. Kohle, sind. Argumentiertwird dabei, dass die Kohle für die langfristige Energiewirt-schaft Deutschlands unverzichtbar sei, da sie – bis auf wei-teres – einen nicht-substituierbaren Beitrag für eine sichere,zuverlässige und wettbewerbsfähige Energieversorgung leis-te [3, 5].

Unabhängig davon ist zu beachten, dass Kohle eine wich-tige Quelle von Kohlenwasserstoff ist. Somit könnte diedurch die Energiewende eingeleitete Bedarfsminderungeiner energetischen Nutzung von heimischen aber auchausländischen Kohlevorräten, in Verbindung mit demrealistischen Szenario von temporären Strom-Überschüs-sen aus der erneuerbaren Stromerzeugung, diesen eineSchlüsselrolle als alternative Kohlenstoffquelle zuweisen.Dadurch könnte das knappe und zunehmend teure Öl sub-stituiert werden, das momentan den Hauptanteil des Koh-

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–Prof. Michael Nippa, Roh Pin Lee ([email protected]),TU Bergakademie Freiberg, Lehrstuhl für ABWL, insb. Unterneh-mensführung und Personalwesen/Chair of Management, Manage-ment, Leadership and Human Ressources, Lessingstraße 45, 09596Freiberg, Deutschland.

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lenstoffs für die chemische Industrie darstellt. Im Vergleichzur energetischen Nutzung ermöglicht eine solche nicht-energetische, d. h. stoffliche Nutzung der Kohle auch einesignifikante Reduktion der Schadstoff- und CO2-Emissio-nen [6].

Weitgehend unbeeindruckt und unabhängig von der der-zeitigen Rolle der Kohle in der Energiewirtschaft und ihremNutzungspotenzial als Quelle von Kohlenwasserstoff for-miert sich in Deutschland seit Jahren Widerstand gegenKohlekraftwerke, den Braunkohletagebau und allgemeindie Kohlenutzung [7 – 9]. Hinzu kommen Bedenken, dassDeutschlands Energiewende zu einem Anstieg der„schmutzigen“ Kohle und auch CO2-Emissionen führt[10 – 12]. Aber nicht nur bestehende oder geplante Kohleför-derungs- und -verstromungsaktivitäten stehen im Fokusöffentlicher Kontroversen und Protestaktionen. Vorgeschla-gene Lösungen für das nicht wegzudiskutierende CO2-Prob-lem, wie bspw. die Konzepte zur Kohlenstoffbindung und-speicherung (carbon capture and storage, CCS), stehen voreklatanten Akzeptanzschwierigkeiten. So hat lokaler Wider-stand in Verbindung zur fehlenden regionalen politischenUnterstützung schon zum Scheitern entsprechender Pilot-vorhaben geführt [13 – 15]. Ergänzend erhalten organisierteAnti-Kohle-Kampagnen von Organisationen wie der Klima-Allianz Deutschland beträchtliche öffentliche Unterstüt-zung, die zu einem Stopp oder einer Verzögerung einerVielzahl von geplanten Projektentwicklungen mit Kohlegeführt haben [7].

Die zu beobachtende bzw. zu vermutende Ablehnungeiner weiteren Kohlenutzung, von Kohlekraftwerken unddamit verbundenen Technologien, könnte jedoch erheblicheAuswirkungen auf die langfristige VersorgungssicherheitDeutschlands mit – im internationalen Vergleich – preis-günstiger Energie und preisgünstigen industriellen Grund-stoffen haben. Letztlich wird nicht nur die Wettbewerbs-fähigkeit der Kohleindustrie, sondern bspw. auch derchemischen und pharmazeutischen Industrie gefährdet.Neben diesen direkten Effekten eines Ausstiegs aus derKohlenutzung, der auch massive Arbeitsplatzverluste mitsich bringen dürfte, ergeben sich ggf. noch schwerwiegen-dere indirekte Folgen. Aus anderen Branchen weiß man,dass der Verlust des Produktions-Know-hows mittelfristigauch einen Verlust des damit verbundenen F&E-Know-hows nach sich zieht. Unter dem Begriff „Re-Industrialisie-rung“ versuchen die USA gerade diesbezügliche Fehlent-wicklungen wieder rückgängig zu machen [16]. Darüberhinaus kann argumentiert werden, dass ein Ausstieg ausder Kohlenutzung bzw. Kohleforschung in Deutschland,aufgrund des damit einhergehenden Wissensverlustes,nicht nur negative Konsequenzen für die heimische undinternationale Industrie hat. Der Verzicht auf fortschritt-liche Kohletechnologien aus einem Land mit höchstenUmwelt- und Effizienzanforderungen hat auch gravierendenegative Folgen für die globalen Anstrengungen zurBekämpfung des Klimawandels und der globalen Erwär-mung.

Aus den genannten Gründen ist es ein essentielles Anlie-gen des Deutschen EnergieRohstoff-Zentrums (DER), dassich – wie die anderen Beiträge in dieser Ausgabe illustrie-ren – als Kompetenzentrum der deutschen Kohleforschungversteht, die Akzeptanz bzw. Ablehnung der Kohle und derdamit verbundenen kognitiven und affektiven Prozesse iminternationalen Vergleich zu untersuchen. Die gewonnenenErkenntnisse können u. a. dazu genutzt werden, um unter-schiedlichen Entscheidungsträgern die Problemlage deut-licher zu machen und um sie bei der Ableitung von Maß-nahmen zu unterstützen.

2 Überblick über die Forschungsaktivitäten

Forschungs- und Technologieweiterentwicklungen werdennicht zwangsläufig von unmittelbar und mittelbar Betroffe-nen als vorteilhaft betrachtet und akzeptiert, nur weil sieeinen Fortschritt in der Wissenschaft implizieren. For-schung und Entwicklung (F&E) im Umfeld von Kohletech-nologien sieht sich kontroversen, teils affektiven, teils ratio-nalen Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellungenvon unterschiedlichen Interessengruppen gegenüber, dieüber Medien verstärkt werden [17].

Im Rahmen der wirtschaftswissenschaftlichen Begleitfor-schung des DER wurde ein systematisches Programm zurAkzeptanzforschung, das mehrere aufeinander aufbauendeStudien beinhaltete, initiiert. Generelles Ziel ist es, einenBeitrag zum Verständnis der Wirkprozesse zu leisten, wel-che die letztendliche Entscheidung eines Menschen bestim-men, die Kohlenutzung (oder die Nutzung eines anderenEnergieträgers/einer anderen Technologie) zu akzeptierenoder abzulehnen. Anders als in den bisherigen Akzeptanz-studien [8, 18 – 20], sehen wir die Akzeptanz/Ablehnung so-mit als das Ergebnis individueller und kollektiver Willens-bildungs- und -entscheidungsprozesse. Analysiert werdendaher Wahrnehmungen, Assoziationen sowie Evaluationenim Hinblick auf unterschiedliche Konsequenzen einesEnergieträgers bzw. einer Technologie. Im Prinzip wird dieFrage, ob Kohle akzeptiert oder abgelehnt wird, gar nichtdirekt gefragt. Untersucht werden die Faktoren, die der ge-sellschaftlichen Kohleakzeptanz bzw. der Ablehnung derKohle (oder eines anderen Energieträgers) zugrunde liegen.Letztlich sollte durch die Forschungsergebnisse zu erken-nen sein, inwieweit sich die F&E-Aktivitäten im Rahmeninnovativer Kohlenutzungstechnologien von der allgemei-nen Einstellung gegenüber der Kohle und Kohlekraftwer-ken abkoppeln lassen. Im Folgenden sind wesentliche Ele-mente und Ergebnisse unserer bisherigen Forschungen zurAkzeptanz der Kohlenutzung zusammengefasst (Abb. 1).

Im Rahmen einer grundlegenden Literaturrechercheder Akzeptanzforschung im Kontext von Energieträgernergab sich, dass groß angelegte Befragungen, wie z. B. dieEUROBAROMETER-Studie [8, 21], zwar einen Überblickdarüber geben können, wie Menschen gegenüber unter-schiedlichen Energiequellen eingestellt sind, aber wenig

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Einblicke dazu liefern, wie sich diese Einstellungen heraus-bilden. Andererseits verweist die frühe psychologischeund entscheidungstheoretische Forschung, die nach Grün-den für die Akzeptanz des Individuums sucht, darauf,primär nur eine Energiequelle zu adressieren, nämlich dieNuklearenergie [22 – 25]. Natürlich ist das Interesse an Ana-lysen der gesellschaftlichen Akzeptanz von Atomenergienach Atomkatastrophen wie Chernobyl [26 – 29] undFukushima [30 – 32] gestiegen. Trotz einiger weniger Aus-nahmen [33 – 36], vernachlässigt die bisherige ForschungWechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Energieträ-gern.

Aufbauend auf einer Literaturrecherche und damit basie-rend auf früheren Forschungsergebnissen, wurde eine Be-fragung bzw. ein Fragebogen konzipiert und weiterent-wickelt, der Erkenntnisse dazu liefern sollte, wie Kohle imVergleich mit anderen Energieträgern (Atom, Erdgas, Erdöl,Biomasse, Photovoltaik und Wind) von den Befragten wahr-genommen und hinsichtlich ihrer Konsequenzen bewertetwird. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zu-nächst unter Anwendung der Wort-Assoziationstechnik(word association technique) [37, 38] gebeten, ihre mit den vor-gegebenen Energieträgern verbundenen Assoziationen zubenennen und diese Assoziationen affektiv (auf einer Skalavon +3 = sehr positiv bis –3 = sehr negativ) zu bewerten.Anschließend sollten die Energieträger hinsichtlich ihressozialen, ökonomischen und ökologischen Schaden- undNutzenpotenzials (auf einer Skala von 1 = kein Schaden/Nutzen bis 7 = hoher Schaden/großer Nutzen) bewertetwerden. Darüber hinaus wurde das Wissen der Teilnehmerhinsichtlich des derzeitigen Strommix in Deutschlanderfragt. Darauf aufbauend sollten die Probanden ihren indi-viduell gewünschten Strommix im Jahr 2030 einschließlich

der Zahlungsbereitschaft für diesen individuellen Wunsch-Strommix nennen.

2.1 Ausgewählte Erkenntnisse der ersten Studien

Ein Energiesystem besteht aus mehreren Energiequellen,die Alternativen für den Strommix darstellen. Es ist daheranzunehmen, dass bezüglich der Akzeptanz von KohleWechselwirkungen mit alternativen Energieträgern existie-ren; dergestalt, dass zum Beispiel die Akzeptanz der Kohlesteigt, wenn sich ein anderer Energieträger, z. B. Atomener-gie, als kritisch erweist.

Um tiefere Einblicke zu bekommen, wie Kohle im Ver-gleich zu anderen Energiequellen wahrgenommen wird,wurde die oben genannte Assoziationstechnik verwendet.Frühere Forschung hat gezeigt, dass diese psychologischeErhebungsmethode die eigentlichen Affekte der Teilnehmerentlocken kann und die externe Beeinflussung durch dieInterviewer vermindert [39, 40]. Dies ermöglicht eine Beur-teilung, wie die Menschen die unterschiedlichen Energie-quellen sehen, d. h. deren affektive Wahrnehmung.

Teilnehmer wurden gebeten, qualitative sowie quantitati-ve Antworten bezüglich verschiedener Energiequellen zugeben. Sie sollten zunächst bis zu drei Bilder benennen,die ihnen in den Sinn kommen, wenn sie über eine Ener-giequelle nachdenken. Danach wurden sie gebeten, ihreAffekte gegenüber diesen selbst genannten Bildern aufeiner Skala von sehr positiv (+3) bis sehr negativ (–3) zubewerten. Ähnliche Methoden wurden in früheren Stu-dien eingesetzt und ermöglichten bereits wertvolle Ein-blicke in die affektive Wahrnehmung unterschiedlicherEnergiequellen [37, 40, 41].

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Abbildung 1. Übersicht über die bisherigen Forschungsaktivitäten.

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Als Ergebnis der Befragung, die imDezember 2010 bis Januar 2011unter 275 Studierenden der Techni-schen Universität Bergakademie Frei-berg (TUBAF) durchgeführt wurde,zeigte sich, dass fossile Energiequel-len (Kohle und Erdgas) und Atom imVergleich zu erneuerbaren Energie-quellen durchweg negativ wahrge-nommen wurden (Abb. 2). Die Teil-nehmer nahmen Atom, Kohle, Gas,Solar- und Windenergie signifikantunterschiedlich war (p < 0,05). Er-staunlicherweise, trotz der zu dieserZeit erheblichen kontroversen Dis-kussionen über die Regierungsent-scheidung, die Laufzeit der Atom-kraftwerke in Deutschland zu ver-längern [42] sowie der Proteste gegenden Castor-Transport von Atommüllim eigenen Land [43, 44], sahen die Teilnehmer Kohle sig-nifikant negativer an als Atomenergie (Mittelwert MKohle =–1,00, MAtom = –0,67, p < 0,05).

Die Assoziationen, die von den Befragten mit Kohle alsEnergieträger verbunden werden, waren überwiegend nega-tiv. Auch wenn diese affektiven, einfach verfügbaren Asso-ziationen wichtig für die Akzeptanz bzw. Ablehnung derKohlenutzung sind, so fließt in diese Entscheidung immerauch eine überwiegend kognitive Bewertung der Auswir-kungen der Kohlenutzung hinsichtlich unterschiedlicherKriterien ein. In der Studie, welche zwischen Mai und Juni2011 an der TU Bergakademie Freiberg unter 352 Studie-renden durchgeführt wurde, zeigte sich, dass die Teilneh-mer deutlich zwischen sozialen, ökonomischen und ökolo-gischen Konsequenzen, die mit der Kohlenutzung, sowohlauf der Schadenseite als auch auf der Nutzenseite, verbun-den sind, differenzieren (p < 0,05) (Abb. 3). So wurde zwardie Kohle mit einem hohen ökologischen Schaden verbun-den, gleichzeitig erkannten die Teilnehmer aber auch ihreökonomische Vorteilhaftigkeit an.

2.2 Ausgewählte Erkenntnisse des Vergleichs vorund nach Fukushima

Die starken Reaktionen, die nach dem Atomunglück von Fu-kushima beobachtet wurden, lassen vermuten, dass sich dieWahrnehmung und Akzeptanz der Nuklearenergie nach demjapanischen Atomunfall negativ verändert hat. Frühere For-schungsergebnisse [26 – 29] belegten signifikante Verände-rungen in der Wahrnehmung und Akzeptanz der Atomener-gie infolge des Tschernobyl-Unglücks von 1986. Sie habenjedoch keine Wahrnehmungs- und Akzeptanzveränderungenbezüglich anderer Energiequellen untersucht, wie z. B. Koh-le, die im Gegensatz zur Atomenergie nach so einem Energie-unfall positiver erscheinen könnte. Fukushima bietet uns des-halb eine einmalige Möglichkeit die Untersuchung derVeränderung der Wahrnehmung von Energiequellen, u. a.von Kohle, die nicht in dem Atomunfall verwickelte waren,fortzusetzen. Aus diesem Grund wurde eine zweite Befra-gung im Zeitraum von Mai bis August 2011 unter 352 deut-sche Studierenden an der TU Bergakademie Freiberg durch-

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Abbildung 2. Affektive Wahrnehmung verschiedener Energiequellen.

Abbildung 3. Differenzie-rung des Schaden- und Nut-zenpotenzials der Kohlezwischen sozialen, ökono-mischen und ökologischenBewertungskriterien.

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geführt. Zusätzlich wurden 100, dergleichen Altersgruppe zugehörigeSchülerinnen und Schüler eines Gym-nasiums auf dem zweiten Bildungs-weg befragt, um eventuell auftretendeAkzeptanzunterschiede aufzuzeigen.

In unserer Untersuchung habenwir die Bildassoziationen und die af-fektive Bewertung dieser, die durchdie Assoziationstechnik in zwei Stu-dien erworben wurden, genau unter-sucht. Bei der Analyse der Assozia-tionen, welche die Teilnehmer fürKohle in der Befragung zwischen De-zember 2010 und Januar 2011 nann-ten, haben wir herausgefunden, dassviele Befragte, Kohle sehr stark mitden fünf Bildern Bergbau, Verfüg-barkeit, CO2-Emission, schmutzigund Umweltverschmutzung asso-ziierten. Diese mit der Kohle verbun-denen, umweltbezogenen Assoziatio-nen scheinen die größten Bedenken zu sein, die dieBefragten hatten, als sie an diese Energiequelle dachten.

Es könnte argumentiert werden, dass Kohle nach demFukushima-Unglück als eine bessere Alternative erscheintund die Menschen dazu neigen, sich auf die anderen(positiven) Aspekte zu fokussieren, statt auf ihre umwelt-bezogenen Auswirkungen. In der Studie, welche zwischenMai und August 2011 mit anderen Teilnehmern (between-subject design) durchgeführt wurden, wurde kein Beweisfür diese Vermutung gefunden (Abb. 4). Obwohl es sichum unterschiedliche Teilnehmer bei den beiden Studienhandelte, haben sie Kohle erneut stark mit Bergbau, Ver-fügbarkeit, CO2-Emission, schmutzig und Umweltver-schmutzung assoziiert. Solche psychologischen Assoziatio-

nen zur Kohle scheinen in den Köpfen der Menscheneiner Gesellschaft fest verankert und veränderungsresis-tent zu sein.

Eine Analyse der affektiven Bewertung der Bildassoziatio-nen lieferte zusätzliche Erkenntnisse. Wie Abb. 5 verdeut-licht, wurden alle fünf am häufigsten genannten Kohle-Assoziationsbilder von den Teilnehmern der Studie vorFukushima negativ wahrgenommen. Während die Assozia-tionen „CO2 Emission“ (M = –2,18), „schmutzig“ (M = –2,09)und „Umweltverschmutzung“ (M = –1,90) besonders nega-tiv angesehen wurden, bewerteten die Befragten die Asso-ziationen „Bergbau“ (M = –0,92) und „Verfügbarkeit“(M = –1,41) weniger negativ.

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Abbildung 4. Häufigkeiten (%) der Nennungen unterschiedlicher Kohle-Assoziationen.

Abbildung 5. Veränderun-gen in der affektiven Wahr-nehmung der Kohle-Asso-ziationen.

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Nach Fukushima blieb die negative affektive Bewer-tung zu diesen fünf Assoziationsbildern relativ stabil.Obwohl die Teilnehmer die Assoziation der Kohle mit„Bergbau“ weniger kritisch ansahen (Mvor Fukushima = –0,92,Mnach Fukushima = –0,37, p < 0,05), wurden die anderen Asso-ziationen genauso negativ wahrgenommen wie vor demAtomunglück Japans (p > 0,5).

Die starken und stabilen Assoziationen der Kohle mit„Bergbau“, „Verfügbarkeit“, „CO2-Emission“, „schmutzig“und „Umweltverschmutzung“ in den Köpfen der Menschendeuten deutlich darauf hin, dass solche psychologischenVerbindungen der Kohle mit diesen Assoziationen ihreWurzeln bereits in der frühkindlichen Bildung haben undim Laufe eines Lebens durch Sozialisierungsprozesse nochverstärkt werden. Dies führte zur Ausweitung unsererUntersuchung auf den internationalen Kontext sowie zuqualitativen Fokusgruppendiskussionen, welche tiefere Ein-blicke in Rahmen- und Sozialisierungsfaktoren ermög-lichen sollten, die eine Rolle bei der Herausbildung undEntwicklung der Energiewahrnehmung und -akzeptanzspielen.

2.3 Ausgewählte Erkenntnisse der Studiein Frankreich

Im Laufe der Jahre 2012 und 2013 wurden vergleichendeUntersuchungen in verschiedenen Ländern durchgeführt.Die Studie wurde in Kooperation mit unterschiedlichenWissenschaftlern und Universitäten in Deutschland, Russ-land, Türkei, China und Frankreich durchgeführt, um sonationale Unterschiede herausfiltern zu können. Es sollteanalysiert werden, ob die Individuen aus verschiedenenLändern sich hinsichtlich ihrer Assoziationen, Wahrneh-mungen und insbesondere Bewertungen zu unterschied-lichen Energieträgern – einen ver-gleichbaren Ausbildungsstand derBefragten vorausgesetzt – unterschei-den. Außerdem sollte durch die inter-nationale Ausweitung der Befragungüberprüft werden, ob und wie institu-tionelle Rahmen- und Sozialisie-rungsfaktoren maßgeblich die Ent-stehung von Energieeinstellungendeterminieren. An der internatio-nalen Befragung haben insgesamtStudierende aus Deutschland (350),Russland (241), der Türkei (123),China (123) und Frankreich (139)teilgenommen.

Besonders interessant im inter-nationalen Vergleich erwies sich un-ser europäisches Nachbarland Frank-reich. Deutschland und Frankreichsind beide hochentwickelte Industrie-nationen, die sich dennoch erheblich

hinsichtlich ihres Energieprofils unterscheiden. Während inDeutschland nach dem Fukushima-Unglück im Frühjahr2011 die Energiewende angestoßen wurde (eines der Zielewar der Ausstieg aus der Atomenergie bis 2020 [2]), hat sichin Frankreich der dominierende Atomkraftanteil am Strom-mix nicht signifikant verändert (74 % in 2010 und 75 % in2012) [45]. Trotz des Atomunfalls in Japan wurde keinAtomausstieg in Frankreich gefordert oder beschlossen.Das ist ein großer Kontrast zum Nachbarland Deutschland,wo die starken Proteste zu einem drastischen Wandel undAufruhr in der Energiepolitik geführt haben. Dies lässt einemögliche positive Bewertung bzw. Akzeptanz der Atom-energie in Frankreich vermuten. Die Ergebnisse der quan-titativen Umfrage, die in Frankreich durchgeführt wurde,lieferten Beweise für diese Vermutung. Bemerkenswert istauch, dass die Teilnehmer keine signifikanten Unterschiedein ihrer Wahrnehmung bezüglich Atomenergie, Solar undWind aufwiesen (p > 0,05) (Abb. 6).

Um zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen, welche Rah-men- und Sozialisierungsfaktoren zu der Entstehung sol-cher positiver Wahrnehmung bzw. Akzeptanz beitragenkönnten, wurden 2013 an einer französischen Universitätmit ingenieurwissenschaftlicher Ausrichtung zusätzlicheFokusgruppendiskussionen geführt. Aus den Ergebnissendieser Fokusgruppendiskussionen wurden sechs themati-sche Cluster identifiziert.

Die Teilnehmer machten deutlich, dass die objektive Dar-stellung der Atomenergie ein wesentlicher Teil des französi-schen Bildungssystems ist. Insbesondere in den Gymnasienwerden die physikalischen Grundlagen und Vorteile derAtomtechnologie in den naturwissenschaftlichen Unter-richtsfächern betont.

Außerdem verwiesen sie auf die Bedeutung der Rolle vonCharles de Gaulle und Marie Curie bezüglich der histo-rischen Entwicklung der Atomenergie in Frankreich. Die

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Abbildung 6. Affektive Wahrnehmung verschiedener Energiequellen in Frankreich.

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Teilnehmer sind sich bewusst, dass diese Entwicklung zurHerausbildung Frankreichs zu einer Atommacht beigetra-gen hat.

Aus der Diskussion wurde deutlich, dass die französischePolitik eine Pro-Atom-Haltung hat und es keine nennens-werten außerparlamentarischen Meinungsführer gibt. Dar-über hinaus wurde von den Teilnehmern deutlich gemacht,dass die Akzeptanz der Atomenergie eine soziale Norm dar-stellt. Sie sehen die Atomkraft als einen integralen Bestand-teil des französischen Alltags.

Es gibt einen breiten Konsens, dass die Atomenergieunverzichtbar für die Wirtschaft Frankreichs ist. Die Teil-nehmer sind sich sehr bewusst, dass die Atomindustrie einwichtiger Arbeitgeber Frankreichs ist. Sie betonen auch,dass Stromerzeugung durch Atomenergie dazu beiträgt,dass Frankreich geringere Haushaltsstromkosten im Ver-gleich zu seinen europäischen Nachbarländern hat. Dar-über hinaus sehen sie Atomtechnologie als sehr wichtig fürden nationalen Export.

Die Teilnehmer waren sich auch einig, dass die medialeBerichterstattung in Frankreich in Bezug auf Atomenergieüberwiegend positiv oder neutral ist. Das gilt auch für dieZeit nach Fukushima, in der der Fokus der Medien auf derBetonung der Sicherheit der französischen Atomkraftwerkesowie den Vorteilen der Nutzung von Atomenergie liegt.

2.4 Weitere Forschungsergebnisse

In diesem Artikel wurde nur ein Ausschnitt unserer natio-nalen und internationalen Forschung präsentiert. Die hiervorgestellten Studien legen den Fokus insgesamt auf dieBefragung von jungen Erwachsenen zu unterschiedlichenEnergiequellen. Ob sich die daraus gewonnenen interessan-ten Erkenntnisse auch auf eine gesamte Gesellschaft über-tragen lassen, haben wir im Sommer 2013 mit einer reprä-sentativen Studie für Deutschland überprüft.

In die Konzeption und Ausformulierung der Fragestel-lungen der repräsentativen Befragung flossen (i) Erkennt-nisse aus den Forschungen Dritter [30, 37, 46, 47], (ii) bis-herige repräsentative Befragungen im Kontext derKohlenutzung [8, 18 – 20], und (iii) Erkenntnisse aus eige-nen Forschungen [33, 48, 49] ein. Eine Zusammenfassungder repräsentativen Befragung und der daraus resultieren-den Ergebnisse wurden in einer Studie „Kohle – Akzeptanz-diskussionen im Zeichen der Energiewende“ vorgestellt[17].

3 Fazit

Wenngleich der beobachtbare Widerstand gegen die weitereNutzung von Kohle und die Kohleverstromung in Deutsch-land nicht grundsätzlich zu Widerstand gegen Forschungs-aktivitäten führt, kann dies dennoch signifikante Auswir-kungen für die Forschung von kohlebezogenen Lösungen

und Technologien haben. Sollte die Wichtigkeit der Bedeu-tung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Kohle nicht ver-standen bzw. nicht frühzeitig bei der Forschung und Ent-wicklung von Technologien angesprochen werden, bestehtdas Risiko, dass kohlebezogene Lösungen und Innovatio-nen, wie die Fokussierung auf die Effizienz von Kraftwer-ken, Emmissionsreduktion oder die stoffliche Kohlenut-zung, von der Öffentlichkeit abgelehnt werden, unabhängigdavon wie innovativ sie sind. Darüber hinaus kann eineGesellschaft, die geförderte, kohlebezogene Forschung inFrage stellt, sich dieser Forschung sogar aktiv entgegenstel-len. Dies kann signifikante Auswirkungen auf die bisherigebzw. die zukünftige Finanzierung von Forschungsprojektenhaben, die sich sowohl mit der energetischen als auch derstofflichen Kohlenutzung beschäftigen. Auf der einen Seitekönnte dies folglich zu einem irreversiblen Verlust anKnow-how und Kompetenzen führen, der gravierende Fol-gen für die weltweite Kohleindustrie hätte. Auf der anderenSeite sind negative Auswirkungen für die globalen Anstren-gungen zur Bekämpfung des Klimawandels und der globa-len Erwärmung zu befürchten.

Daher beschäftigt sich ein wichtiges Aufgabengebiet derwirtschaftswissenschaftlichen Forschungsarbeiten im Deut-schen EnergieRohstoff-Zentrum (DER) mit der Akzeptanzbzw. der Ablehnung der Kohlenutzung als Resultat indivi-dueller und kollektiver Wahrnehmungs-, Bewertungs- undEntscheidungsprozesse. Es wurde herausgefunden, dass dieEnergiewahrnehmung vielschichtig ist und über die objek-tiven Fakten hinausgeht. Es spielen sowohl affektive, alsauch kognitive Bewertungen eine Schlüsselrolle dabei, wieeine Energiequelle subjektiv von Menschen wahrgenom-men wird. Während sie sich den ökonomischen Vorteilen,die mit der Kohlenutzung verbunden werden, bewusst sind,wird Kohle in Deutschland dennoch negativ wahrgenom-men. Darüber hinaus wird sie stark mit spezifischen nega-tiven Bildern assoziiert, die in den Köpfen der Menschenfest verankert und veränderungsresistent zu sein scheinen.

Es wurden sechs Rahmen- und Sozialisierungsfaktorenidentifiziert, die Schlüsselrollen bei der Entstehung undVerstärkung solcher festen und negativen Wahrnehmungender Kohle zu spielen scheinen. Aufgrund der derzeitigenbedeutenden Rolle der Kohle in der EnergiewirtschaftDeutschlands sowie ihrem Nutzungspotenzial als Quellevon Kohlenwasserstoff, besteht die Notwendigkeit sichihrem gesellschaftlichen negativen Image durch langfristigeKommunikations- und Interventionsmaßnahmen, die dieInteraktion verschiedener Rahmen- und Sozialisierungsfak-toren ganzheitlich berücksichtigen, zuzuwenden. Wissen-schaftler und Experten, die sowohl die Kohle-bezogenenTechnologien entwickeln, als auch in der Grundlagenfor-schung tätig sind, können bei solchen Bemühungen einebedeutende Rolle zukommen. Als vertrauenswürdige Infor-mationsquellen und beachtete Bezugspersonen, können siebei der Entwicklung und Durchführung von zielgruppenge-rechten Aufklärungsmaßnahmen bzw. Outreach-Program-men mitwirken, um die Wissenschaft der Kohlechemie und

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Kohletechnologien näher an die Gesellschaft zu bringen.Die Einbindung von Wissenschaftlern und Experten inlangfristige Kommunikations- und Interventionsmaßnah-men könnte eine nachhaltige Wirkung auf die Wahrneh-mung und Akzeptanz der Kohle in Deutschland ermög-lichen.

Diese Forschung wurde unterstützt durch das Bundes-ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) imRahmen des Verbundprojektes Deutsches EnergieRoh-stoff-Zentrum (DER) mit dem Förderkennzeichen03IS2021A als Teil der „Spitzenforschung und Inno-vation in den Neuen Ländern“. Die Ergebnisse undSchlussfolgerungen in diesem Dokument beruhen aufInterpretationen der Autoren und reflektieren nichtzwangsläufig die Ansichten des BMBF. Die Autorendanken S. Gloaguen, F. Allard-Huver und P.-M. Ricciofür die Unterstützung bei den empirischen Erhebun-gen in Frankreich und M. Nicklas für die Unterstüt-zung bei der Vorbereitung des Artikels.

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