(german) davies, paul - die letzten drei minuten - das ende des universums (science.cosmology)

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Die Originalausgabe ist 1994 unter dem Titel»The Last Three Minutes« bei Basic Books. New York.erschienen.

Die Serie »Science Masters« erscheint weltweit und umfaßt populärwis-senschaftliche Bücher, die von international führenden Wissenschaftlernverfaßt werden. An diesem einzigartigen Projekt beteiligen sich sechs-undzwanzig Verlage, die John Brockman zusammengebracht hat. DieIdee zu dieser Serie stammt von Anthony Cheetham vom englischenVerlag Orion und von John Brockman. der eine Literaturagentur in NewYork leitet. Entwickelt wurde die Serie »Science Masters« in Zusammen-arbeit mit dem amerikanischen Verlag BasicBooks.

Der Name »Science Masters« ist urhelxjrrechtlich geschützt. Er gehörtlohn Brockman Inc.. New York, und ist an die Verlage lizensiert. die dieSerie »Science Masters« veröffentlichen.

Dieses Buch und der Schutzumschlag wurdenauf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.

Die Einschrumpffolie (zum Schutz vor Verschmutzung)ist aus umweltschonender und recyclingfähiger

PE-Folie.

1. Auflage © 1994 by Paul Davies © 1996 by C. Berteismann Verlag GmbH. MünchenUmschlaggestaltung: Design Team München

Satz: Uhl + Massopust. AalenDruck und Bindung: Graph. Großbetrieb PößneckPrinted in GermanyISBN 3-570-12005-8

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Und so werden eines Tages die machtvollen Wälle des uner-meßlichen Universums der Gewalt der sie umringenden feind-

lichen Kräfte erliegen und. dem Untergang anheim gegeben,

ze r fa l l en .

 Lukrez. Über die Natur der Dinge

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Inhalt

Vorwort 9

Weltuntergang 15

Das sterbende Universum 23

Die ersten drei Minuten 35Sternendämmerung 55

Endlose Nacht senkt sich herab 69

Wieviel wiegt das Universum 89

Ewig ist eine lange Zeit 106

Ein Leben auf der Kriechspur 126

Ein Leben auf der Überholspur 148Plötzlicher Tod und Wiedergeburt 158

Welten ohne Ende? 173

Bibliographie(n.v.) 190Register(n.v.) 192

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Vorwort

Als ich Anfang der sechziger Jahre studierte , fand die Frage nachdem Ursprung des Universums allenthalben starke Beachtung.Zwar war die bereits in den zwanziger Jahren entwickelte, docherst seit den fünfziger Jahren allmählich ernsthaft in Erwägunggezogene Urknall-Theorie durchaus bekannt, überzeugte aber

kaum jemanden. Eine Vorrangstellung nahm in manchen Krei-sen immer noch die mit ihr konkurrierende Steady-state-Theo-rie ein, derzufolge ein sich ausdehnendes Weltall, das in derZeit weder Anfang noch Ende hat, durch die fortwährendeErzeugung von Materie für eine gleichbleibende Massendichtesorgt. Als dann 1965 Robert Penzias und Arno Wilson die kosmi-sche Hintergrund-Wärmestrahlung entdeckten, sah die Lage

anders aus. Diese Entdeckung war ein deutlicher Hinweis auf eine mit großer Hitze einhergehende, explosionsartige, plötzli-che Entstehung des Universums.

Fieberhaft überlegten Kosmologen, welche Folgerungensich aus dieser Entdeckung ergeben würden. Wie hoch war dieTemperatur im Universum eine Million Jahre nach dem Ur-knall? Und ein Jahr danach? Eine Sekunde danach? Welche

physikalischen Prozesse mochten in diesem urzeitlichen In-ferno abgelaufen sein? Ob es Überbleibsel aus der Morgendäm-merung der Schöpfung gab, aus denen sich Schlüsse auf die zu

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 jener Zeit wahrscheinlich herrschenden extremen Bedingun-gen ziehen ließen?

Ich erinnere mich noch gut an eine Kosmologie-Vorlesung

aus dem Jahre 1968. die der Professor mit einer Besprechung

der Urknall-Theorie im Lichte der Entdeckung der kosmischenHintergrundstrahlung abschloß. »Manche Theoretiker haben,

Angaben über die chemische Zusammensetzung des Univer-

sums gemacht und sich dabei auf die in den ersten drei Minuten

nach dem Urknall abgelaufenen atomaren Prozesse gestützt«,

erklärte er mit feinem Lächeln. Im Hörsaal brach schallendes

Gelächter aus. Der Versuch, den Zustand des Universums we-

nige Augenblicke nach seiner Entstehung zu beschreiben,schien von abenteuerlicher Verwegenheit. Nicht einmal Erzbi-

schof James Ussher, den im 17. Jahrhundert das gründliche

Studium der in der Bibel dargestellten Zeitabläufe zu der Aus-

sage bewogen hatte, das Universum sei am 23. Oktober des

Jahres 4004 v. Chr. entstanden, hatte die Kühnheit besessen, den

genauen Ablauf der Ereignisse während der ersten drei Minu-

ten darzustellen.So schnell schreitet die Wissenschaft voran, daß ein knappes

Jahrzehnt nach der Entdeckung der Hintergrundstrahlung für

Studenten die ersten drei Minuten des Universums zur Nor-

malkost geworden waren. Lehrbücher wurden zu diesem

Thema geschrieben. Dann veröffentlichte 1977 der amerikani-sche Physiker und Kosmologe Steven Weinberg ein Buch mit

dem treffenden Titel Die ersten drei Minuten . Es wurde nichtnur ein Verkaufsschlager, sondern ein Meilenstein auf demGebiet der populärwissenschaftlichen Literatur. Hier lieferteein weltweit anerkannter Experte dem breiten Lesepublikumeinen detaillierten, vollkommen überzeugenden Bericht über

Abläufe, die wenige Augenblicke nach dem Urknall stattgefun-den haben sollen.

Während die Öffentlichkeit diese mitreißenden Entwicklun-gen zur Kenntnis nahm, war die Naturwissenschaft bereits un-terwegs zu weiteren Entdeckungen. Sie verlagerte ihre Auf-

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merksamkeit immer mehr vom sogenannten frühen Universum- wenige Minuten nach dem Urknall - auf das sehr früheUniversum - einen nahezu verschwindend geringen Sekunden-bruchteil nach dem Reginn. Etwa zehn Jahre später konnte der

britische Mathematiker und Physiker Stephen Hawking in sei-nem Werk  Eine kurze Geschichte der Zeit  mit einer gewissenSicherheit die jüngsten Vorstellungen beschreiben, die mansich über die erste billionstel-billionstel-billionstel Sekundemachte. Das Gelächter, das 1968 am Ende jener Vorlesungausbrach, klingt inzwischen ziemlich hohl.

Da die Urknall-Theorie in der Naturwissenschaft wie beim

breiten Publikum mittlerweile fest verankert ist, denkt manimmer mehr über die Zukunft des Universums nach. Wir kön-nen uns zwar ganz gut vorstellen, wie das Universum begann -doch wie wird es enden? Was wissen wir über sein endgültigesSchicksal? Wird das Universum mit einem Knall oder mit einemKlagelaut enden? Wird es überhaupt enden? Und was geschiehtmit uns? Kann die Menschheit, können unsere Nachkommen,

ob es nun Menschen aus Fleisch und Blut oder Roboter sind, inalle Ewigkeit weiterleben?

Auch wenn der Weltuntergang vielleicht nicht unmittelbarbevorsteht, so kann man sich solchen Fragen doch unmöglichentziehen. Unser Kampf ums Überleben auf dem Planeten Erde,den gegenwärtig vom Menschen verursachte Krisen erschüt-tern, wird in einen willkommenen neuen Zusammenhang ge-

rückt, wenn wir gezwungen sind, über die kosmologische Di-mension unserer Existenz nachzudenken. Gestützt auf die jüng-sten Theorien einiger bekannter Physiker und Kosmologenbeschreibt dieses Buch, Die letzten drei Minuten,  die Zukunftdes Universums, soweit wir sie vorherzusagen vermögen. Es istnicht ganz und gar apokalyptisch. Tatsächlich birgt die Zukunftdas Versprechen eines beispiellosen Potentials an Entwicklung

und Fülle der Erfahrung. Doch können wir uns der Tatsachenicht verschließen, daß etwas, das ins Leben treten kann, auchaufhören kann zu existieren.

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Dieses Buch wendet sich an ein allgemeines Publikum. Na-turwissenschaftliche oder mathematische Vorkenntnisse sindnicht erforderlich. Allerdings muß ich von Zeit zu Zeit mit sehrgroßen oder sehr kleinen Zahlen operieren, wobei mir die

mathematische Darstellung durch die sogenannten Zehnerpo-tenzen nützlich ist. Beispielsweise wird »hundert Milliarden« als100000000000 ausgeschrieben - eine recht umständlicheForm. Da bei dieser Zahl auf die l elf Nullen folgen, können wirihren Wert darstellen, indem wir 1011  schreiben - gesprochen>zehn  hoch  e l f < .  Dementsprechend  wird  eine  Mill ion  als 106

und eine Billion als 1012 geschrieben und so weiter. Man darf 

aber nicht vergessen, daß bei dieser Wiedergabe von Zahlennicht unbedingt deutlich wird, in welchem Umfang ihr Wertzunimmt: 1012  ist das Hundertfache von 1010  und steht mithinfü r eine weit höhere Zahl, auch wenn sie sehr ähnlich aussieht.Im negativen Bereich lassen sich mit Hilfe von Zehnerpotenzenaußerordentlich kleine Zahlen ausdrücken: So schreibt manden Bruch >ein Milliardstel<, bei dem im Nenner (also unter

dem Bruchstrich) immerhin neun Nullen auf die l folgen, oderl/l 000000000 als 10 -9  (zehn hoch minus neun).

Schließlich möchte ich den Leser noch daraufhinweisen, daßdie im vorliegenden Buch dargelegten Gedanken zwangsläufigäußerst spekulativer Natur sind. Zwar stützen sie sich vorwie-gend auf die gegenwärtig verfügbaren Erkenntnisse der Natur-wissenschaft, doch kann man der Zukunftsforschung nicht den

gleichen Status zusprechen wie anderen wissenschaftlichen Be-mühungen. Dennoch ist die Verlockung unwiderstehlich, überdie letzte Bestimmung des Kosmos zu spekulieren. In diesemGeist aufgeschlossenen Forschens habe ich das Buch geschrie-ben. Die Grundvorstellung von einem Universum, das in einemUrknall entsteht, sich ausdehnt und weiter abkühlt, bis es einenEndzustand der physikalischen Auflösung erreicht, wenn es

nicht in einer Katastrophe zusammenbricht, ist wissenschaftlichrecht gut begründet. Weit weniger sicher aber sind die physika-lischen Prozesse innerhalb der unvorstellbar riesigen Zeit-

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räume, um die es dabei geht. Astronomen haben eine klareVorstellung vom allgemeinen Schicksal gewöhnlicher Sterneund gelangen mehr und mehr zu der Überzeugung, daß sie diewesentlichen Merkmale von Neutronensternen und Schwarzen

Löchern verstehen. Doch sollte das Universum noch über vieleMillionen Jahre hinweg oder länger Bestand haben, besteht dieMöglichkeit, daß es zu unwägbaren physikalischen Auswirkun-

gen kommt, über die wir zur Zeit lediglich Vermutungen anzu-

stellen vermögen, die aber letzten Endes äußerst bedeutsam

werden könnten.Angesichts des Problems, daß wir die Natur nicht vollkom-

men verstehen können, bleibt uns für den Versuch, das endgül-tige Schicksal des Universums zu erkunden, nichts anderesübrig, als die besten der uns verfügbaren Theorien heranzuzie-

hen und sie, ihren logischen Schlußfolgerungen gemäß, zu

extrapolieren. Die Schwierigkeit besteht darin, daß viele Theo-

rien, die für unser Thema, das Schicksal des Universums, vonBedeutung sind, nicht experimentell überprüft werden kön-

nen. Manche der von mir dargestellten Prozesse - beispiels-weise die Aussendung von Gravitationswellen, Protonenzerfallund die Strahlung Schwarzer Löcher - werden von den Theore-tikern begeistert bestätigt, aber sie sind bisher nicht beobachtetworden. Ebenso wird es zweifellos andere physikalische Pro-zesse geben, von denen wir nichts wissen, die aber die hier

dargestellten Theorien dramatisch ändern könnten.

Noch größer werden diese Unsicherheiten, wenn wir be-rücksichtigen, daß sich möglicherweise die Existenz intelligen-ten Lebens im Universum auswirkt. Auch wenn wir hier dasGebiet des Science-fiction-Romans betreten, können wir dieTatsache nicht leugnen, daß Lebewesen das Verhalten physikali-scher Systeme im Verlauf von Äonen in immer größerem Maß-stab nachhaltig zu beeinflussen vermögen. Ich habe mich ent-

schlossen, die Frage des Lebens im All mit einzubeziehen, weilfür viele Leser die Faszination, die vom Ungewissen Schicksal

des Universums ausgeht, untrennbar mit ihrer Sorge um das

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Schicksal der Menschen oder ihrer fernen Nachkommen ver-bunden ist.. Allerdings sollten wir daran denken, daß die Wis-senschaft weder genaue Kenntnisse vom Wesen des mensch-lichen Bewußtseins noch von den physikalischen Vorausset-zungen besitzt, die gewährleisten könnten, daß bis in die ferneZukunft des Universums hinein eine Bewußtseinsaktivität mög-lich ist.

Danken möchte ich John Harrow, Frank Tipler, Jason Twam-ley, Roger Fenrose und Duncan Steel für hilfreiche Gesprächeüber das Thema dieses Buches, dem Herausgeber der Reihe,Jerry Lyons, fü r seine kri tische Durchsicht des Manusk rip ts und

Sara Lippincott für ihre ausgezeichnete Arbeit bei der Herstel-lung seiner endgültigen Fassung.

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Weltuntergang

 Datum: 21. August 2126. WeltuntergangOrt der Handlung: unsere Erde. Überall auf dem Planeten

halten verzweifelte Menschen Ausschau nach einem Versteck.Für Milliarden gibt es keine Zuflucht. Manche fliehen tief unter die Erde, suchen in Panik nach Höhlen und aufgegebenen

 Bergwerksschächten oder begeben sich in U-Booten aufs offene Meer. Andere ziehen randalierend und mordlustig durch die Lande, als ob das Ganze sie nichts anginge. Die meisten sitzeneinfach mit düsteren Mienen da und warten verstört auf dasEnde.

 Hoch am Himmel ist ein riesiger Lichtpfeil eingebrannt. Wasals bleistiftschmaler, sanft strahlender Nebelfleck begann, ist 

von Tag zu Tag mehr angeschwollen, bis es in der Leere des Raumes einen kochenden Strudel aus Gas bildete. Am oberenEnde eines Dampfstreifens dräut ein mißgestalteter dunkler Klumpen. Der winzig wirkende Kopf des Kometen täuscht über seine ungeheure Zerstörungskraft hinweg. Er nähert sich der Erde mit der atemberaubenden Geschwindigkeit von knapp65000 Stundenkilometern und kommt ihr mit jeder Sekunde

um achtzehn Kilometer näher - eine Masse von einer BillionTonnen Eis und Gestein, die mit siebzigfacher Schallgeschwin-digkeit aufprallen wird. Die Menschen haben keine andere

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 Möglichkeit, als tatenlos zuzusehen und abzuwarten. Wortlosschalten die Wissenschaftler, die im Angesicht des Unausweichli-chen längst ihre Teleskope verlassen haben, die Rechner ah. Dieendlosen Simulationen der Katastrophe sind noch zu ungenau,

und was sich aus ihnen folgern läßt, ist ohnehin viel zu beunru-higend, als daß man es der Öffentlichkeit mitteilen könnte.Einige Wissenschaftler haben ausgeklügelte Überlebensstrate-gien entwickelt und sich dabei mit Hilfe ihres technischen Wis-sens Vorteile gegenüber ihren Mitmenschen zu verschaffen ge-sucht. Andere beabsichtigen die Katastrophe so aufmerksam wiemöglich zu beobachten. Ihrer Rolle als Diener der Wissenschaft 

bis zum Ende treu, wollen sie die gewonnenen Daten zum

 Nutzen der Nachwelt auf tief in der Erde vergrabene Zeitkap-seln übertragen.

 Der Augenblick des Aufpralls rückt näher. Millionen von Menschen auf der  ganzen  We l t   blicken unruhig auf die  Uhr .  Dieletzten drei Minuten.

 In geringer Höhe birst der Himmel. Mehrere tausend Kubikki-

lometer Luft werden beiseite geschoben. Ein sengender Flam-menfinger, größer als eine Stadt, biegt sich nach unten und erreicht die Erde fünfzehn Sekunden später. Der Planet wird durch  die  Kraf t    von  zehntausend   Erdbeben  erschüttert.  Dieverdrängte Luft fegt als Druckwelle über die Erdoberfläche,walzt nieder, was sich über dem Boden erhebt, und läßt allesauf ihrem Weg zu Staub zerfallen. Das ebene Gelände um die

 Aufschlagstelle herum türmt sich zu einem mehrere Kilometer hohen Ring ausflüssigen Bergen auf und legt in einem Krater von hundertfünfzig Kilometern Durchmesser die Eingeweideder Erde bloß. In Wellenbewegungen frißt sich der Wall ausgeschmolzenem Gestein immer weiter und wirft die Landschaft auf wie eine langsam geschüttelte Wolldecke.

 Im Inneren des Kraters verdampfen Billionen von Tonnen

Gestein. Noch weit mehr wird in die Luft geschleudert; einiges fliegt bis in den Weltraum. Ein noch größerer Teil saust über einen halben Kontinent hinweg, prasselt Hunderte oder gar 

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Tausende von Kilometern entfernt herab und zerstört allesunter sich. Manches von dem herausgeschleuderten verflüssig-ten Gestein geht auch über den Weltmeeren nieder und erzeugt dort gigantische Flutwellen, die ihrerseits zu der um sich grei-

 fenden Katastrophe beitragen. Eine gewaltige Säule aus staubi-gem Schutt erhebt sich in die Atmosphäre und verdunkelt dieSonne über dem gesamten Planeten. Nunmehr erscheint an-stelle ihres Lichts das düstere Mackern von einer Milliarde Me-teore, die den Boden unter sich mit ihrer sengenden Hitzeverbrennen, während das emporgeschleuderte Material ausdem Weltraum in die Atmosphäre zurückfällt.

Diese Beschreibung gründet sich auf die Voraussage, der Swift-Tuttle-Komet werde am 21. August 2126 auf die Erde aufschla-gen. Wenn das einträfe, würde es zweifellos zu einer globalenVerwüstung führen und die menschliche Zivilisation vernich-ten. Als dieser Komet 1993 in unsere Nähe kam, ergaben früheBerechnungen, daß ein Aufprall im Jahre 2126 durchaus im

Bereich des Möglichen liegt. Sie wurden inzwischen überarbei-tet und lassen den Schluß zu, daß er die Erde um zwei Wochenverfehlen wird: damit entkommt sie ihm um Haaresbreite. Wirkönnen aufatmen. Doch gänzlich gebannt ist die Gefahr damitkeineswegs. Früher oder später  wird   der Swift-Tuttle-Kometoder ein ähnlicher Himmelskörper mit der Erde zusammensto-ßen. Schätzungen zufolge bewegen sich zehntausend Objekte

mit einem Durchmesser von einem halben Kilometer odermehr auf Umlaufbahnen, welche die der Erde schneiden. DerUrsprung dieser astronomischen Eindringlinge ist in den kaltenäußeren Regionen des Sonnensystems zu suchen. Bei einigenvon ihnen handelt es sich um Kometen-Überreste, die dasSchwerefeld der Planeten eingefangen hat, andere kommen ausdem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Die Instabili-

tät ihrer Umlaufbahn bewirkt, daß sich diese kleinen, abertödlichen Himmelskörper dauernd hin- und herbewegen: Siedringen in das innere Sonnensystem ein und verlassen es wie-

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der, was eine ständige Gefahr für die Erde und ihre Schwester-planeten bedeutet.

Viele von ihnen können größeren Schaden anrichten als alleAtomwaffen der Welt zusammen. Es ist lediglich eine Frage der

Zeit,  bis  einer  dieser  Himmelskörper  auf die  Erde  t r i f f t .  Dasaber bedeutet Schlimmes fü r das Menschengeschlecht. Die Ge-schichte unserer Spezies wird eine plötzliche, nie dageweseneUnterbrechung erfahren. Für die Erde selbst hingegen ist einsolches Ereignis nicht besonders ungewöhnlich. Zum Aufschlageines Kometen oder Asteroiden dieser Größenordnung kommtes im Durchschnitt alle paar Millionen Jahre. Man nimmt allge-

mein an, daß vor fünfundsechzig Millionen Jahren ein der-artiges Vorkommnis - oder mehrere - für das Aussterben derDinosaurier verantwortlich gewesen sei. Heim nächsten Malkönnte es uns treffen.

Der Glaube an den Weltuntergang ist in den meisten Religio-nen und Kulturen tief verwurzelt. Einen anschaulichen Berichtvom Tod und der Zerstörung, die uns in einem solchen Fall

bevorstehen, liefert uns die Offenbarung des Johannes imNeuen Testament:

Und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner; undein großes Erdbeben geschah, desgleichen nicht gesche-hen ist, seitdem ein Mensch auf der Erde war, ein so

gewaltiges, so großes Erdbeben. ... die Städte der Natio-

nen fielen... Und jede Insel verschwand, und Berge wur-den nicht gefunden. Und ein großer Hagel, wie zentner-schwer, fällt aus dem Himmel auf die Menschen nieder;und die Menschen lästerten Gott wegen der Plage desHagels, denn seine Plage ist sehr groß.

Es gibt zwar viele Schrecknisse, die der Erde widerfahren kön-

nen, diesem zerbrechlichen Gebilde in einem Universum, dasvon gewaltigen Kräften beherrscht wird, aber sie hat dem Leben

immerhin mindestens dreieinhalb Milliarden Jahre hindurch

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eine gastliche Stätte geboten. Das Geheimnis unseres Erfolges

auf diesem Planeten ist Raum. Unermeßlich viel Raum. UnserSonnensystem stellt eine winzige Insel der Aktivität in einemMeer der Leere dar. Der nächstgelegene Stern (nach der Sonne)

liegt mehr als vier Lichtjahre entfernt. Um in etwa eine Verstel-lung davon zu bekommen, wie weit das ist, bedenke man, daßdas Licht die rund zweihundertvierzig Millionen Kilometer von

der Sonne zur Erde in nur achteinhalb Minuten zurücklegt. Invier Jahren bewältigt es über zwanzig Millionen Kilometer.

Unsere Sonne ist ein typischer Zwergstern, der sich in einer

typischen Region unserer Galaxis, der Milchstraße, befindet.

Diese enthält rund hundert Milliarden Sterne, deren Massezwischen wenigen Prozent und dem Hundertfachen der Son-

nenmasse liegt. Gemeinsam mit einer Unmenge von Gaswol-

ken, Staub und einer unbekannten Anzahl von Kometen, Aste-

roiden, Planeten und Schwarzen Löchern umkreisen sie lang-sam die Mitte der Galaxis. Eine solch riesige Ansammlung vonHimmelskörpern könnte den Eindruck erwecken, daß dort

drangvolle Enge herrscht, doch muß man sich klarmachen, daßallein der sichtbare Teil der Milchstraße in der Breite rund

hunderttausend Lichtjahren entspricht. Die Galaxis ist wie einTeller geformt, mit einer Wölbung im Zentrum; um sie herumsind einige aus Sternen und Gas bestehende Spiralarme verteilt.In einem solchen Spiralarm befindet sich unsere Sonne, drei-ßigtausend Lichtjahre von der Mitte entfernt.

Soweit uns bekannt ist, gibt es an der Milchstraße nichtsAußergewöhnliches. Eine ähnliche Galaxie, mit dem NamenAndromeda, liegt etwa zwei Millionen Lichtjahre von ihr entferntin Richtung des gleichnamigen Sternbildes. Sie läßt sich mitbloßem Auge als undeutlicher Lichtfleck gerade noch wahrneh-

men. Viele Milliarden Galaxien, manche spiralförmig, mancheelliptisch, andere unregelmäßig geformt, schmücken das ganze

beobachtbare Universum. Die Entfernungen sind unermeßlich.Leistungsstarke Teleskope können einzelne Galaxien abbilden,die mehrere Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Das Licht man-

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eher von ihnen hat für den Weg zur Erde länger gebraucht, alsdiese existiert (nämlich viereinhalb Milliarden Jahre).

Wegen dieses ungeheuer weiten Raumes sind Zusammen-stöße von Himmelskörpern selten. Die größte Bedrohung fürdie Erde dürfte sozusagen aus ihrem eigenen Hinterhof kom-men. Größtenteils verläuft die Umlaufbahn von Asteroidennicht in Erdnähe; sie finden sich hauptsächlich im Gürtel zwi-schen Mars und Jupiter. Aber die gewaltige Masse des Jupiterkann ihre Umlaufbahnen so beeinflussen, daß gelegentlicheiner von ihnen in Richtung auf die Sonne abgelenkt wird,womit er zur Bedrohung für die Erde werden kann.

Kometen stellen eine andere Gefahr dar. Diese außerge-wöhnlichen Himmelskörper stammen angeblich aus einer un-sichtbaren Wolke, die ungefähr ein Lichtjahr von der Sonneentfernt ist. Dabei geht die eigentliche Gefahr nicht von Jupiteraus, sondern von vorüberziehenden Sternen. Eine Galaxie istnicht statisch; sie dreht sich langsam, während die zu ihr gehöri-gen Sterne um ihren Kern kreisen. Für einen vollständigen

Umlauf um unsere Galaxis braucht die Sonne mit ihrem kleinenGefolge aus Planeten etwa zweihundert Millionen Jahre. Dabeibegegnen ihnen zahlreiche Abenteuer. In der Nähe befindlicheSterne können die Wolke aus Kometen streifen und dadurcheinige in Richtung auf die Sonne ablenken. Auf ihrem Wegdurch das innere Sonnensystem verdampft unter dem Einflußder Sonne ein Teil ihres flüchtigen Materials, und der Sonnen-

wind bläst es wie eine lange Luftschlange durch einen uner-meßlichen Raum - so entsteht der bekannte Kometenschweif.Nur äußerst selten stößt ein Komet mit der Erde zusammen,während er sich im inneren Sonnensystem befindet. Dochselbst wenn er derjenige ist, der den Schaden anrichtet, so liegtdie Verantwortung dafür beim vorüberziehenden Stern. Glück-licherweise dienen die ungeheuren Entfernungen zwischen

den Sternen als Puffer, die uns gegen allzu viele solcher Zustam-menstöße abschirmen.

Auch andere Objekte können auf ihrem Weg rund um unsere

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Galaxis die Bahn der Erde kreuzen. Kiesige Gaswolken treibenlangsam vorüber, und obwohl in ihnen das Gas noch dünnerverteilt ist als in einem im Labor erzeugten Vakuum. können sieden Sonnenwind drastisch verändern und sich auf die Wärme-

strömung der Sonne auswirken. Andere, unheilvollere Objektelauern vielleicht in den finsteren Tiefen des Weltraums: streu-nende Planeten. Neutronensterne. Braune Zwerge undSchwarze Löcher - diese alle und noch weitere könnten unsungesehen und ohne Vorwarnung heimsuchen und unabseh-bare Verheerungen im Sonnensystem anrichten.

Die Bedrohung könnte aber noch heimtückischer sein. Nach

Ansicht mancher Astronomen gehört die Sonne möglicher-weise, gleich vielen anderen Sternen unserer Galaxis, zu einemDoppelstern-System. Sofern unser Begleitstern existiert - manhat ihm den Namen Nemesis oder Todesstern gegeben -, ist erzu schwach und zu weit entfernt, als daß man ihn bisher hätteentdecken können. Dennoch wäre es möglich, daß sich seineAnwesenheit bei seinem langsamen Umlauf um die Sonne

durch sein Schwerefeld auswirkt, indem er immer wieder ferneKometen in ihrem Umlauf beeinflußt und sie damit in Richtungauf die Erde ablenkt. Das könnte zu einer Reihe zerstörerischerZusammenstöße führen. Geologen haben festgestellt, daß es inder Vergangenheit tatsächlich in Abständen von jeweils runddreißig Millionen Jahren zu ökologischen Katastrophen großenMaßstabs gekommen ist.

Weiter entfernt im Raum haben Astronomen ganze Galaxienbeobachtet, die offensichtlich zusammengestoßen sind. Wiegroß ist die Aussicht, daß eine andere Galaxie auf die Milch-straße prallt? Aus den sehr schnellen Bewegungen gewisserSterne kann man schließen, daß unsere Galaxis möglicher-weise schon Zusammenstöße mit kleineren Galaxien in derNähe erlebt hat. Doch bedeutet der Zusammenstoß zweier

Galaxien nicht unbedingt eine Katastrophe für die Sterne, ausdenen sie bestehen, denn so unermeßlich sind die Abständezwischen ihnen, daß die Galaxien miteinander verschmelzen

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können, ohne daß dabei einzelne Sterne aufeinanderprallenmüssen.

Die meisten Menschen fasziniert die Aussicht auf den Weltun-tergang, die plötzliche aufsehenerregende Zerstörung der Welt.

Doch ist die Gefahr eines gewaltsamen Todes geringer als dieeines langsamen Zerfalls. Es gibt viele Möglichkeiten, wie dieErde nach und nach unbewohnbar werden könnte. Eine all-mähliche Verschlechterung der ökologischen Bedingungen,Klimaveränderungen, eine kaum merkliche Abweichung in derWärmeabstrahlung der Sonne - all das könnte unser Wohlbefin-den, wenn nicht gar das Überleiten auf unserem anfalligen

Planeten bedrohen. Doch finden solche Veränderungen imLaufe von Tausenden oder gar Millionen von Jahren statt, und soist es denkbar, daß die Menschheit imstande ist, mit Hilfe einerfortgeschrittenen Technologie etwas dagegen zu unternehmen.Beispielsweise würde das allmähliche Einsetzen einer neuenEiszeit nicht unbedingt für unsere Art die endgültige Katastro-phe bedeuten, vorausgesetzt, uns bleibt Zeit für organisierte

Gegenmaßnahmen. Man darf vermuten, daß die Technologieim Lauf der kommenden Jahrtausende weiterhin großartigeFortschritte machen wird. Für den Fall ist die Vorstellung ver-lockend, daß die Menschen oder ihre Nachkommen die Herr-schaft über immer größere physikalische Systeme zu erlangenvermöchten und schließlich in der Lage sein könnten, selbstKatastrophen auf astronomischer Ebene abzuwenden.

Kann die Menschheit im Prinzip ewig weiterleben? Vielleicht.Doch wir werden sehen, daß Unsterblichkeit nicht leicht zuerlangen ist und sich durchaus als unmöglich erweisen kann.Das Universum selbst ist physikalischen Gesetzen unterworfen,die ihm seinen Lebenszyklus vorschreiben: Geburt, Entwick-lung und - vielleicht - Tod. Unser eigenes Schicksal ist unaus-weichlich an das der Sterne gebunden.

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Das sterbendeUniversum

Im Jahre 1856 machte der Physiker Hermann von Heimholtz, diewahrscheinlich deprimierendste Voraussage in der Geschichteder Naturwissenschaft. Das Universum, erklärte er, stehe imHegriff zu sterben. Diese apokalyptische Äußerung begründeteer mit dem sogenannten Zweiten Hauptsatz der Thermodyna-

mik, den man ursprünglich Anfang des neunzehnten Jahrhun-derts als eher technische Aussage über die Leistungsfähigkeitvon Wärmemaschinen formuliert hatte. Bald aber erkannteman, daß dieser Satz universelle, ja, im wahrsten Sinne desWortes, kosmische Bedeutung besaß.

Letztlich besagt er nichts anderes, als daß Wärmeenergie stetsvon einem wärmeren zu einem kälteren Körper fließt - eine

uns allen wohlvertraute und offensichtliche Eigenschaft physi-kalischer Systeme. Wir nehmen sie immer dann wahr, wenn wirEssen kochen oder eine Tasse heißen Kaffee abkühlen lassen:Die Wärme fließt aus dem Bereich der höheren Temperatur inden der niedrigeren. Daran ist nichts Geheimnisvolles. In derMaterie äußert sich Wärme in Gestalt von Molekularbewegung.Die Moleküle wirbeln  in  einem Gas, beispielsweise  der  L u f t ,

ungeordnet durcheinander und stoßen immer wieder mitein-ander zusammen. Selbst in einem festen Körper befinden sichdie Atome in fortwährender heftiger Bewegung. Je wärmer

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 Abbildung l  Der Ze it pf ei l. Der schmelzende Eisblock legt eine Richtungin der Zeit fest. Wärme geht aus dem warmen Wasser auf das kalte Eis über.Einen  F i l m ,  der die  Abfolge   ( i i i ) ,   ( i i ) ,  (i )  zeigte, würde  man  sogleich  als

Trickaufnahme erkennen. Merkmal dieser Asymmetrie ist eine als Entro-pie bezeichnete Größe, die zunimmt, während das Eis schmilzt.

dieser Körper ist, desto heftiger ist seine Molekularbewegung.Gelangen zwei Körper von unterschiedlicher Temperatur inBerührung miteinander, greift die heftigere Molekularbewe-

gung im wärmeren von ihnen schon bald auf die Moleküle deskälteren über.

Weil Wärmeenergie stets nur in einer Richtung fließt, ist auchder zeitliche Ablauf des Prozesses einseitig festgelegt. Ließe manin einem Trickfilm Wärme spontan von einem kalten auf einenwarmen Körper übergehen, sähe das ebenso unsinnig aus wieein Fluß, der bergauf fließt oder Regentropfen, die zu den

Wolken emporsteigen. Daher können wir dem Wärmefluß einegrundlegende Richtungsbestimmtheit zuordnen, die man häufig

durch einen von der Vergangenheit in die Zukunft weisenden

Pfeil wiedergibt. Dieser »Zeitpfeil«, der daraufhindeutet, daßsich thermodynamische Prozesse nicht umkehren lassen, faszi-niert Physiker seit hundertfünfzig Jahren (s. Abbildung l).

Aufgrund der Arbeit von Helmholtz. Rudolf Clausius und

Lord Kelvin erkannte man die Bedeutung einer als Entropiebezeichneten Größe zur Kennzeichnung irreversibler Verände-rung im Bereich der Thermodynamik. In dem einfachen Fall

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eines warmen Körpers, der mit einem kalten in Berührung

kommt, läßt sich die Entropie als Wärmeenergie dividiert durchTemperatur definieren. Nehmen wir an. eine geringe MengeWärmeenergie fließt von einem warmen zu einem kalten Kör-

per. Dabei büßt ersterer einen Teil Entropie ein. und letzterernimmt einen Teil auf. Da es sich dabei um die gleiche Wärme-menge handelt (während sich die Temperaturen unterschei-den ). ist die von dem kälteren Körper aufgenommene Entropiegrößer als die von dem warmen abgegebene. Also die Gesamt-

entropie des ganzen Systems - warmer Körper plus kalter

Körper - nimmt zu. Mithin besagt der Zweite Hauptsatz der

Thermodynamik, daß die Entropie in einem solchen System nieabnehmen kann, denn wenn es so wäre, würde das bedeuten,daß Wärme spontan von einem kalten auf einen warmen Körper

übergeht.

Auf der Grundlage einer eingehenderen Analyse kann diesesGesetz für alle geschlossenen Systeme verallgemeinert werden:Die Entropie nimmt nie ab. Enthält ein System einen Kühl-

schrank, der Wärme von einem kalten auf einen warmen Kör-per übertragen kann, ist bei der Entropie des gesamten Systems

die zum Betrieb des Kühlschranks erforderliche Energie zuberücksichtigen. Die Technik des Energieaufwands läßt dieEntropie zunehmen. In allen Fällen übertrifft die durch denBetrieb des Kühlschranks erzeugte Entropie die Abnahme derEntropie, zu der es durch den Übergang von Wärmeenergie von

einem kalten auf einen warmen Körper kommt. Auch bei natür-lichen Systemen (Beispiele dafür sind biologische Organismen

oder Systeme, in denen Kristalle entstehen) nimmt die Entropiein einem Teil des Systems häufig ab. Diese Abnahme wird aberstets durch eine entsprechende Zunahme der Entropie ineinem anderen Teil des Systems ausgeglichen. Insgesamtnimmt die Entropie nie ab.

Wenn man das Universum als Ganzes unter der Vorausset-zung. daß es »außerhalb« von ihm nichts gibt, als geschlossenesSystem betrachten kann, macht der Zweite Hauptsatz der Ther-

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modynamik eine wichtige Voraussage: Die gesamte Entropiedes Universums nimmt nie ah: sie nimmt im Gegenteil erbar-mungslos zu. Ein gutes Heispiel dafür findet sich vor unsererHaustür: die Wärme, welche die Sonne beständig in die kaltenTiefen des Weltraums abstrahlt. Sie verschwindet im All undkehrt nie wieder: es handelt sich um einen Prozeß von atembe-raubender Irreversibilität.

Die Frage liegt nahe, ob die Entropie im Universum für alleZeiten weiter zunehmen kann. Man stelle sich vor, innerhalbeines wärmeisolierten Behälters werde ein warmer Körper miteinem kalten zusammengebracht. Wärmeenergie fließt vomwarmen zum kalten Körper, und die Entropie nimmt zu.Schließlich aller erwärmt sich der kalte Körper, und der warmekühlt sich so stark ab, daß beide die gleiche Temperatur errei-chen. In diesem Zustand kommt es zu keiner weiteren Wärme-übertragung. Das System im Inneren des Behälters hat eineeinheitliche Temperatur erreicht - einen stabilen Zustandhöchster Entropie, der als thermodynamisches Gleichgewichtbezeichnet wird. Solange das System isoliert bleibt, erwartetman keine weitere Veränderung; werden aber die Körper auf irgendeine Weise beeinflußt - beispielsweise durch die Zufuhrweiterer Wärme von außerhalb des Behälters -, kommt es zuweiterer thermischer Aktivität, und die Entropie strebt einemhöheren Maximalwert entgegen.

Was sagen uns diese Grundgedanken der Thermodynamik

über astronomische und kosmologische Veränderungen? ImFall der Sonne und der meisten anderen Sterne kann die Wär-meabgabe über viele Milliarden Jahre hinweg andauern, dochunerschöpflich ist die Quelle nicht. Die Wärme eines Sternsentsteht gewöhnlich durch atomare Prozesse, die in seinemInneren ablaufen. Eines Tages wird, wie wir sehen werden, derSonne der Brennstoff ausgehen, und sie wird sich bis auf die

Temperatur des umgebenden Weltraums abkühlen, sofernnicht andere Ereignisse dazwischentreten.

Obwohl Hermann von Helmholtz nichts von atomaren Reak-

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tionen wußte (zu jener Zeit war es den Menschen ein Rätsel,woher die ungeheure Energie der Sonne stammte), begriff erdas allgemeine Prinzip, daß jegliche physikalische Aktivität imUniversum einem Endzustand des thermodynamischen Gleich-gewichts oder höchster Entropie entgegenstrebt, nach dessenErreichen wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit nichts Nützlichesgeschieht. Für diese dem Gleichgewicht entgegenführende Ein-bahnstraße verwendeten die ersten Vertreter der thermodyna-mischen Lehre das Schlagwort vom >Hitzetod< des Universums.Einzelne Systeme, räumte man ein, ließen sich durch äußereEinflüsse wiederbeleben, doch da sich definitionsgemäß nichts»außerhalb« des Universums befinde, könne nichts seinen all-umfassenden Hitzetod verhindern. Er schien unvermeidbar.

Die Entdeckung, daß das Universum als unausweichlicheFolge der Gesetze der Thermodynamik sterben muß, machteauf Generationen von Philosophen und Naturwissenschaftlerneinen niederschmetternden Eindruck, beispielsweise sah sichBertrand Russell dazu veranlaßt, in seinem Buch  Warum ich

kein Christ bin  die folgende düstere Bilanz zu ziehen:

Die Mühsal ganzer Epochen, die ganze Leidenschaft, Inspi-ration und Brillanz des menschlichen Geistes, all das istdazu verurteilt, im großen Untergang des Sonnensystemsausgelöscht zu werden, und... der Schutt eines in Trüm-mer gehenden Universums wird den ganzen Tempel

menschlicher Leistung unausweichlich unter sich begra-ben. Das ist zwar nicht unbestreitbar, doch so wahrschein-lich, daß keine Philosophie, die es verwirft, darauf hoffenkann, bestehen zu können. Nur zwischen den Pfeilerndieser Wahrheiten, nur auf dem festen Fundament uner-schütterlicher Verzweiflung, läßt sich künftig die Wohn-stätte der Seele mit einiger Sicherheit bauen.

Viele andere Autoren haben aus dem Zweiten Hauptsatz derThermodynamik und dem sich zwangsläufig daraus ergeben-

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den Tod des Universums den Schluß gezogen, daß das Univer-sum und letzten Endes auch die Existenz des Menschen sinnlosseien. Auf diese düstere Einschätzung und die Frage, ob siegerechtfertigt ist oder nicht, werde ich in späteren Kapitelnwieder zurückkommen.

Die Voraussage des kosmischen Hitzetodes sagt nicht nuretwas über die Zukunft des Universums aus. sondern enthältauch wichtige Hinweise auf die Vergangenheit. Es leuchtet ein,daß das Universum nicht schon immer existiert haben kann,wenn es mit endlicher Geschwindigkeit unaufhaltsam seinemEnde entgegengeht. Die Erklärung ist einfach: Wäre es unend-lich alt, müßte es bereits tot sein. Etwas, das mit endlicherGeschwindigkeit seinem Ende entgegengeht, kann nicht seitaller Ewigkeit existiert haben. M it anderen Worten, das Univer-sum muß vor einer endlichen Zeit entstanden sein.

Bemerkenswerterweise haben die Naturwissenschaftler desneunzehnten Jahrhunderts diese weitreichende Schlußfolge-rung nicht richtig erfaßt. Die Vorstellung von einem Universum,

das explosionsartig mit einem Urknall entstand, entwickeltesich aufgrund von astronomischen Beobachtungen in denzwanziger Jahren unseres Jahrhunderts; doch anscheinend hatman die konkrete Entstehung zu irgendeinem Zeitpunkt in derVergangenheit bereits vorher aus rein thermodynamischenGründen nachdrücklich postuliert.

Da aber niemand den naheliegenden Schluß zog, verwirrte

ein sonderbares kosmologisches Paradox die Astronomen desneunzehnten Jahrhunderts. Man nennt es nach dem deutschenAstronomen Heinrich Olbers, der es formuliert haben soll, dasOlberssche Paradoxon. Es stellt eine einfache, aber höchst be-deutungsvolle Frage: »Warum ist der Nachthimmel dunkel?«

Auf den ersten Blick scheint sie banal. Der Nachthimmel istdunkel, weil die Sterne ungeheuer weit von uns entfernt sind

und ihr Licht uns deshalb nur äußerst abgeschwächt erreicht.Nehmen wir an, das Weltall sei unendlich - in diesem Fallkönnte es darin ohne weiteres unendlich viele Sterne geben.

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Eine unendliche Anzahl schwach leuchtender Sterne ergäbeaußerordentlich viel Licht. Bei einer unendlichen Zahl sich

nicht ändernder Sterne, die mehr oder weniger einheitlich im

Weltraum verteilt sind, läßt sich deren Gesamtlicht leicht be-

rechnen (vgl. Abbildung 2). Die Helligkeit eines Sterns nimmt

mit dem Quadrat der Entfernung all. So leuchtet ein Stern, der

doppelt so weit entfernt ist wie ein anderer, nur noch ein Viertelso hell, ein dreifach so weit entfernter ein Neuntel so hell und

so weiter. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl der Sterne zu. je

weiter man in den Weltraum blickt. Die Anwendung eines

einfachen geometrischen Gesetzes zeigt uns beispielsweise,

daß die Zahl der zweihundert Lichtjahre entfernten Sterne vier-

mal so groß ist wie die der hundert Lichtjahre entfernten, und

die Zahl der dreihundert Lichtjahre entfernten neunmal so

groß. Wenn die Zahl der Sterne mit dem Quadrat der Entfer-

nung zu-, ihre Helligkeit hingegen im gleichen Maße abnimmt,

heben beide Wirkungen einander auf. Mithin hängt die Gesamt-

menge des Lichts aller Sterne, die sich in einer bestimmten

Entfernung befinden, nicht von ihrer Entfernung ab. Von den

zweihundert Lichtjahre entfernten Sternen kommt ebensoviel

Licht wie von den hundert Lichtjahre entfernten.Die Schwierigkeit ergibt sich, wenn wir das Licht von allen

Sternen in allen möglichen Entfernungen addieren. Angenom-men, das Universum wäre grenzenlos, dann dürfte es für dieGesamt-Lichtmenge, die wir auf der Erde empfangen, keine

Begrenzung geben. Statt dunkel müßte der Nachthimmelunendlich hell sein!

Etwas anders stellt sich die Sache dar. wenn man die endlicheGröße der Sterne berücksichtigt. Je weiter sich ein Stern vonder Erde befindet, desto kleiner wirkt er. Ein naher Stern ver-

dunkelt einen ferneren Stern, wenn beide auf derselben Sichtli-nie liegen. Dazu aber käme es in einem unendlichen Univer-

sum unendlich oft. Sobald wir das einkalkulieren, ändert sichdas Ergebnis der vorstehenden Berechnung. Der zur Erde ge-langende Lichtstrom ist nicht unendlich groß, sondern lediglich

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 Abbildung 2: Das Olberssche Paradoxon. Man stelle .sich ein gleichblei-bendes Universum vor. innerhalb dessen Sterne mit ungefähr gleicherDichte z u f äl li g verteilt sind. Gezeigt ist eine Auswahl von Sternen auf einerdünnen, kugelförmigen Raumschale, deren Mittelpunkt die Erde bildet.(Die Sterne außerhalb der Schale wurden auf der Abbildung nicht weiter

berücksichtigt.) Licht von den in dieser Schale enthaltenen Sternen trägtzum Gesamtstrom des Sternenlichts bei. das die Erde erreicht. DieIntensität des Lichts eines bestimmten Sterns nimmt mit dem Quadrat desHalbmessers der Schale ab. Da aber die Gesamtzahl der Sterne in derSchale entsprechend dem Quadrat von deren Halbmesser zunimmt,gleichen beide Erscheinungen einander aus, und so hängt die innerhalbder Schale herrschende Gesamthelligkeit nicht  von ihrem Halbmesser ab.Folglich müßte in einem unendlich großen Universum (mit unendlichvielen Schalen) ein unendlich großer Lichtstrom zur Erde gelangen.

sehr groß - er entspricht etwa der Sonnenscheibe, die denHimmel ausfüllen würde, wenn die Erde etwa eineinhalb Mil-lionen Kilometer von ihr entfernt wäre. Das wäre eine äußerstunbehagliche Situation, denn dabei würde die Erde unter dem

Einfluß der hohen Temperatur rasch verdampfen.Die Schlußfolgerung, daß ein unendliches Universum ein

kosmischer Hochofen sein müßte, ist eigentlich nichts anderes

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als eine neue Darstellung der zuvor behandelten Frage derThermodynamik. Die Sterne senden Wärme und Licht in denWeltraum, und diese Strahlung sammelt sich allmählich in des-sen Leere an. Wenn die Sterne schon immer gebrannt haben,scheint es auf den ersten Blick so. als müßte die Strahlung vonunendlich großer  Intensität  sein.  Doch  t r i f f t  ein  Teil  der  Strah-lung auf dem Weg durch den Weltraum auf andere Sterne undwird von ihnen aufgenommen. (Das entspricht der Beobach-tung, daß nahe Sterne das Licht der entfernteren verdunkeln.)Daher nimmt die Intensität der Strahlung zu, bis ein Gleich-gewicht erreicht ist, bei dem die Menge der ausgesandten Strah-lung genau der Menge an aufgenommener entspricht. DieserZustand des thermodynamischen Gleichgewichts tritt ein. wenndie Strahlung im Weltraum die gleiche Temperatur erreicht wie

 jene, die an der Oberfläche der Sterne herrscht - einige tausendGrad. Mithin müßte das Universum mit einer Wärmestrahlungvon mehreren tausend Grad angefüllt sein. Hei dieser Tempera-tur müßte der Nachthimmel aber glühen, statt dunkel zu sein.

Olbers schlug eine Lösung für sein eigenes Paradoxon vor. Erstellte die These auf, daß die im Universum befindliche Un-menge kosmischen Staubes den größten Teil des Sternenlichtsabsorbiere und den Himmel auf diese Weise dunkel erscheinenlasse. Leider krankte sein Einfall. so phantasievoll er war, aneinem grundlegenden Denkfehler - der Staub würde sichschließlich aufheizen und müßte mit der gleichen Intensität wie

die von ihm absorbierte Strahlung glühen.Eine weitere mögliche Lösung bestünde darin, von der An-

nahme abzurücken, das Universum sei unendlich. Angenom-men, die Zahl der Sterne wäre zwar groß, aber endlich. Indiesem Fall bestünde das Universum aus einer riesigen An-sammlung von Sternen, die ein unendlich großer, dunkler,leerer Raum umgibt. Dann würde der größte Teil des Sternen-

lichts in den Raum jenseits von ihnen ausgestrahlt und ver-lorengehen. Doch auch diese einfache Lösung hat einen Haken,und zwar einen, der bereits Isaac Newton im siebzehnten Jahr-

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hundert bekannt war. Dabei geht es um das Wesen der Gravita-tion. Jedes Gestirn zieht jedes andere mit einer Schwerkraft an.so daß alle Sterne in dieser Ansammlung aufeinander zustürzenund sich schließlich im Mittelpunkt der Gravitation wiederfin-den müßten. Sofern das Universum einen bestimmten Mittel-punkt und einen bestimmten Rand hat, muß man annehmen,daß es in sich selbst zusammenstürzt. Ein durch nichts gestütz-tes endliches und statisches Universum ist instabil und derGefahr ausgesetzt, daß es unter dem Einfluß der Gravitation

zusammenbricht.Auf dieses Problem der Gravitation werde ich an anderer

Stelle wieder zurückkommen. Hier brauchen wir uns lediglichvor Augen zu führen, auf welch geniale Art und Weise Newtondie Schwierigkeit zu umgehen suchte. Das Universum, so argu-mentierte er, kann nur dann seinem Schwerpunkt entgegen-stürzen, wenn es einen solchen  hat . Sofern es sich zugleichunendlich ausdehnt und (im Durchschnitt) einheitlich mit Ster-nen bestückt ist, gibt es weder eine Mitte noch einen Rand. Ein

bestimmter Stern wird jeweils von seinen vielen Nachbarnangezogen, wie bei einem gewaltigen Tauziehen, bei dem sichdie Fasern des Taus in alle Richtungen sträuben. Insgesamtgleichen sich die dabei auftretenden Kräfte aus, und der Sternerfahrt keine Bewegung.

Wenn wir also Newtons Auflösung des Paradoxons von demin sich zusammenstürzenden Universum akzeptieren, sehen

wir uns erneut einem unendlichen Universum und damit demProblem des Olbersschen Paradoxons gegenüber. Es sieht soaus, als müßten wir uns dem einen oder anderen stellen. Daman aber hinterher immer klüger ist, finden wir auch einenWeg aus diesem Dilemma. Nicht die Annahme, das Universumsei räumlich unendlich, ist falsch, sondern die Annahme, es seizeitlich unendlich. Zum Paradox des leuchtenden Nachthim-

mels kam es. weil die Astronomen das Universum für unverän-derlich und die Sterne für statisch hielten; sie waren der An-sicht, diese hätten schon seit aller Ewigkeit mit unverminderter

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Helligkeit gebrannt. Wir wissen heute aber, daß keine dieserAnnahmen zutrifft. Erstens ist das Universum, wie ich anschlie-ßcnd erläutern werde, nicht statisch, sundern es dehnt sich aus.Zweitens können die Sterne nicht seit aller Ewigkeit gebrannt

haben, weil ihnen in diesem Fall längst der Brennstoff ausge-gangen wäre. Aus der Tatsache, daß sie zur Zeit noch brennen,dürfen wir folgern. daß das Universum zu einem bestimmtenZeitpunkt in der Vergangenheit entstanden sein muß.

Wenn das Universum ein endliches Alter hat. löst sich dasOlberssche Paradoxon sogleich auf. Um zu erkennen, warumdas so ist. nehme man den Fall eines weit entfernten Sterns. Da

sich das Licht mit einer endlichen Geschwindigkeit (300000Kilometer pro Sekunde) im Vakuum fortpflanzt, sehen wir denStern nicht, wie er heute ist. sondern so. wie er zu der Zeit war,als ihn die Lichtwellen verliefen. Beispielsweise befindet sichder helle Stern Beteigeuze etwa sechshundertfünfzig Lichtjahreentfernt. Daher sehen wir ihn heute so. wie er vor sechshun-dertfünfzig Jahren war. Wäre das Universum - sagen wir

einmal - vor zehn Milliarden Jahren entstanden, könnten wirkeinen Stern sehen, der mehr als zehn Milliarden Lichtjahre vonder Erde entfernt wäre. Die räumliche Ausdehnung des Alls istvielleicht  unendlich, doch wenn es ein endliches Alter hat,können wir auf keinen Fall über eine bestimmte endliche Ent-fernung hinaussehen. Daher ist das gesamte Licht einer unend-lichen Zahl von Sternen endlichen Alters endlich und mög-

licherweise unscheinbar klein.Zu der gleichen Schlußfolgerung gelangt man aufgrund von

Überlegungen, die sich auf die Thermodynamik stützen. DieZeit, welche die Sterne benötigen, um den Raum mit Wärme-strahlung anzufüllen und eine gemeinsame Temperatur zu er-reichen, ist ungeheuer lang, weil es im Universum so viel leerenRaum gibt. Die seit Anfang des Universums verstrichene Zeit hat

einfach noch nicht ausgereicht, ein thermodynamisches Gleich-gewicht eintreten zu lassen.

All das weist auf ein Universum mit begrenzter Lebensdauer

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hin. Es entstand zu einer bestimmten Zeit in der Vergangenheit,ist gegenwärtig voller Aktivität, geht aber unausweichlich sei-nem Hitzetod entgegen, zu dem es irgendwann in der Zukunftkommen wird. Sogleich erheben sich zahlreiche Fragen: Wann

wird das Ende eintreten? Wie wird es aussehen? Wird es schnelloder langsam dazu kommen? Und stellt sich womöglich auchdie Schlußfolgerung vom Hitzetod, wie die Naturwissenschaftsie gegenwärtig begreift, als falsch heraus?

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Die ersten dreiMinuten

Ebenso wie die Historiker wissen auch die Kosmologen, daßder Schlüssel zur Zukunft in der Vergangenheit zu finden ist. Imvorigen Kapitel habe ich erklärt, auf welche Weise man aus denGesetzen der Thermodynamik auf ein Universum begrenzterLebensdauer schließen kann. Nahezu einhellig vertritt die Wis-

senschaft die Ansicht, das gesamte Universum sei zu einer Zeit,die zwischen zehn und zwanzig Milliarden Jahren zurückliegt,in einem Urknall entstanden, und dies Ereignis habe das Uni-versum auf den Weg zu seinem endgültigen Schicksal gebracht.Wer sich mit den Umständen der Entstehung des Universumsbeschäftigt und untersucht, welche Prozesse in der Anfangs-phase abliefen, kann sehr wichtige Hinweise auf die ferne Zu-

kunft erlangen.Die Vorstellung, daß das Universum nicht immer bestanden

hat, ist in der westlichen Kultur tief verwurzelt. Zwar haben diegriechischen Philosophen die Möglichkeit eines ewigen Uni-versums in Betracht gezogen, doch alle großen westlichen Reli-gionen behaupten: Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Ver-gangenheit schuf Gott das Weltall.

Die wissenschaftlichen Belege für einen schlagartigen Be-ginn in einem Urknall sind zwingend. Der unmittelbarste Be-weis stammt aus der Untersuchung der Lichtbeschaffenheit fer-

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ner Galaxien. Dem amerikanischen .Astronomen Edwin Hubble- er führte die geduldigen Beobachtungen von Vesto Slipherweiter, einem Experten auf dem Gebiet kosmischer Nebel. deram Observatorium Flagstaff in Arizona arbeitete - fiel in den

zwanziger Jahren auf. daß das Licht ferner Galaxien ein wenigrötlicher wirkte als das der näher gelegenen. M it Hilf e des 100-Zoll-Teleskops auf dem Mount Wilson maß er diese Rotver-schiebung gewissenhaft und stellte die Daten in einer Kurvedar. Dabei fiel ihm eine Gesetzmäßigkeit auf : je ferner uns eineGalaxie ist. desto stärker erscheint die Rotfärbung ihres Lichts.

Die Farbe des Lichts stellt in Beziehung zu seiner Wellen-

länge. Im Spektrum weißen Lichts liegt Blau am kurzwelligenund Rot am langwelligen Ende. Die Rotfärbung des Lichts fernerGalaxien ist ein Hinweis darauf, daß die Lichtwellen auf irgend-eine Weise gedehnt wurden. Die sorgfältige Bestimmung derLage kennzeichnender Linien im Spektrum vieler Galaxiensetzte Hubble in den Stand, die Bestätigung dafü r zu finden. AlsErklärung für die Dehnung der Lichtwellen postulierte er, daß

sie auf die Expansion des Universums zurückgehe. Mit dieserbedeutsamen Aussage legte er den Grundstein für die neuereKosmologie.

Viele verwirrt die Vorstellung. das Universum könne sichausdehnen. Von der Erde aus hat man den Eindruck, als streb-ten die fernen Galaxien mit hoher Geschwindigkeit von unsfort. Das aber bedeutet keinesfalls, daß sich die Erde im Mittel-

punkt des Universums befindet; das Ausdehnungsmuster ist (inder Regel) im ganzen Universum das gleiche. Alle Galaxien -genauer gesagt, alle Galaxienhaufen - streben voneinander fort.Das stelle man sich am besten nicht als Bewegung der Galaxien-haufen durch den Weltraum vor. sondern als Dehnung oderAnschwellung des Raumes zwischen ihnen.

Die Fähigkeit des Weltraums, sich auszudehnen, mag über-

raschend wirken, doch ist diese Vorstellung der Naturwissen-schaft vertraut, seit Albert Einstein 1915 seine Allgemeine Re-lativitätstheorie veröffentlichte. Sie besagt, daß die Gravitation

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 Abbildung 3:  Eindimensionales Modell eines sich ausdehnenden Univer-sums. Die Knöpfe stellen Galaxienhaufen und das Gummihand den Welt-raum dar. Dehnt man es. streben die Knöpfe auseinander. Als Ergebnis derDehnung vergrößert sich die Länge der Welle, die sich über das Gummi-band fortpflanzt. Das entspricht der von Hubble entdeckten Rotverschie-bung des Lichtes.

in Wirklichkeit eine Auswirkung der Krü mmung oder Verzer-rung des Raumes ist (genauer gesagt, der Raumzeit). Der Raumist in gewissem Sinne elastisch und kann sich auf eine Art biegenund dehnen, die von den Gravitationseigenschaften des in ihmenthaltenen Materials abhängt. Diese Vorstellung wurde durchBeobachtung hinlänglich bestätigt.

Die Grundkonzeption des sich ausdehnenden Raumes läßtsich mit Hilfe einer einfachen Analogie verstehen. Man denkesich eine Reihe auf ein Gummiband genähter Knöpfe, die fürGalaxienhaufen stehen (vgl. Abbildung 3). Jetzt stelle man sichvor, man ziehe an den Enden des Gummibandes und dehne esdamit. Alle Knöpfe würden sich voneinander entfernen. Vonwelchem Knopf aus auch immer man die Sache betrachtet -

seine Nachbarknöpfe scheinen sich von ihm zu entfernen. Dochist die Expansion überall die gleiche: es gibt keinen bevorzug-ten Mittelpunkt. Zwar liegt so. wie die Zeichnung die Knöpfedarstellt, einer von ihnen in der Mitte, das aber ist für die Art,wie sich das System ausdehnt, unerheblich. Wir könnten dieseErscheinung ausschalten, wenn das Gummiband mit den Knöp-fen unendlich lang wäre oder einen Kreis bildete.

Vom einzelnen Knopf aus gesehen hat es jeweils den An-schein, als wichen die unmittelbar benachbarten nur halb sorasch zurück wie der übernächste und so weiter. Je weiter ein

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Knopf vom jeweiligen Standpunkt entfernt liegt, desto rascherscheint seine Bewegung. Bei dieser Art von Expansion verhältsich die Geschwindigkeit proportional zur Entfernung - einehochbedeutsame Beziehung. Mit Hilfe dieses Bildes können

wir uns jetzt Lichtwellen vorstellen, die sich zwischen denKnöpfen oder Galaxienhaufen im sich ausdehnenden Univer-sum fortpflanzen. Mit dem Raum aber dehnen sich auch dieWellen. Das erklärt die Rotverschiebung im Kosmos. Hubbleerkannte. daß ihr Ausmaß), wie in dieser einfachen bildhaftenAnalogie dargestellt, sich proportional zur Entfernung verhält.

Wenn sich das Universum tatsächlich ausdehnt, muß es frü-

her kleiner gewesen sein. Ein Maß für die Ausdehnungsge-schwindigkeit liefern Hubbles und die seither gemachten undsehr verbesserten Beobachtungen. Wäre es uns möglich, denFilm des Universums rückwärts ablaufen zu lassen, würden wirfeststellen, daß in der fernen Vergangenheit alle Galaxien mit-einander verschmolzen. Aus unserer Kenntnis der Geschwin-digkeit, mit der gegenwärtig die Ausdehnung erfolgt, läßt sich

herleiten, daß dieser Zustand des Miteinander-Verschmolzen-seins viele Milliarden Jahre zurückliegen muß. Genauere An-gaben sind aber aus zwei Gründen nur schwer möglich. Zumeinen sind exakte Messungen mit Schwierigkeiten verbundenund einer ganzen Reihe von Fehlerquellen ausgesetzt. Obwohldie Zahl der erforschten Galaxien dank neuzeitlicher Teleskopestark zugenommen hat, ist der Ungenauigkeitsfaktor mit Bezug

auf die Ausdehnungsgeschwindigkeit immer noch mit demWert zwei anzusetzen und Gegenstand lebhafter wissenschaftli-cher Kontroversen. Zum anderen bleibt die Geschwindigkeit,mit der sich das Universum ausdehnt, aufgrund der zwischenden Galaxien - wie auch allen anderen Formen von Materie undEnergie im Universum - wirkenden Gravitation im Laufe derZeit nicht konstant. Da sie wie eine Bremse das Tempo vermin-

dert, mit dem die Galaxien auseinanderstreben, nimmt dieAusdehnungsgeschwindigkeit mit der Zeit allmählich ab. Dasführt zu dem Schluß, daß sich das Universum früher rascher

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GRÖSSE

 Abbildung 4:  Die Ges chwind igkeit, mit der sich das Univ ersu m ausde hnt ,nimmt im Laute der Zeit, etwa wie hier gezeigt, stetig ah. Bei diesemei nf ac he n Modell hat sie an der auf der Zeitachse mit 0 bezeichneten Stelleden Wert unendlich. Dieser Punkt entspricht dem Zeitpunkt des Urknalls.

ausgedehnt haben muß als heute. Wenn wir eine typische Re-

gion des Universums im Verhältnis zur Zeit darstellen, bekom-men wir eine Kurve, die im allgemeinen so aussieht wie die inAbbildung 4. Sie zeigt, daß das Universum in stark verdichtetemZustand begann und sich rasch ausdehnte und die Dichte derMaterie im Laufe der Zeit immer mehr abgenommen hat, wäh-rend das Volumen des Universums zunahm. Gehen wir zumAnfang der Kurve (entsprechend dem Wert Null in der Abbil-

dung), stellen wir fest, daß das Universum mit der Größe Nullund einer unendlich großen Expansionsgeschwindigkeit be-gonnen hat. Anders gesagt, das Material, aus dem alle uns heutesichtbaren Galaxien bestehen, ist mit explosionsartiger Ge-schwindigkeit aus einem einzigen Punkt entstanden! Das isteine idealisierte Beschreibung des sogenannten Urknalls.

Dürfen wir aber die Kurve bis zum Anfang zurück extrapolie-

ren? Viele Kosmologen sind dieser Ansicht. Unter der Voraus-setzung, daß wir (aus den im vorigen Kapitel behandeltenGründen) dem Universum einen Beginn zubilligen, sieht es

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ganz so aus. als wäre der Urknall dieser Beginn gewesen. Wennsich das so verhält, kennzeichnet der Ausgangspunkt der Kurvemehr als lediglich eine Explosion. Man darf nicht vergessen,daß die hier aufgetragene Ausdehnung der des Raumes selbst

entspricht. Damit bedeutet das Volumen Null nicht nur einfach,daß die Materie zu unendlicher Dichte zusammengepreßt ist.sondern daß der Raum auf nichts zusammengepreßt ist. Andersgesagt, der Urknall ist sowohl der Anfang des Raumes als auchder von Materie und Energie. Es ist äußerst wichtig zu erken-nen, daß es. entsprechend diesem Bild, keinen zuvor existie-renden leeren Raum gab, in dem der Urknall hätte stattfinden

können.Die gleiche Grundvorstellung gilt für die Zeit. Die unendli-

che Dichte der Materie und die unendliche Zusammenge-drängtheit des Raumes markiert zugleich eine Zeitgrenze, denndie Gravitation dehnt nicht nur den Raum, sondern auch dieZeit. Diese Wirkung ist ebenfa lls eine Konsequenz aus EinsteinsAllgemeiner Relativitätstheorie und wurde direkt experimen-

tell überprüft. Die beim Urknall herrschenden Umstände set-zen eine unendliche Verzerrung der Zeit voraus, so daß sich diebloße Vorstellung von Zeit (und Raum) nicht vor den Urknallzurück in die Vergangenheit ausdehnen läßt. Damit scheint sichuns die Schlußfolgerung aufzudrängen, daß der Urknall derAnfang aller physikalischen Größen war, nämlich von Raum,Zeit, Materie und Energie. Offensichtlich ist die Frage sinnlos,

was vor dem Urknall war oder was die Explosion bewirkt hat(auch wenn viele Menschen sie stellen). Es gab kein Davor. Woes aber keine Zeit gibt, kann es auch keine Ursache im üblichenSinne geben.

Wenn sich die Urknall-Theorie mit ihren befremdlichen Im-plikationen in bezug auf die Entstehung des Kosmos aus-schließlich auf die Belege für die Expansion des Universums

stützte, würden viele Kosmologen sie wahrscheinlich verwer-fen. Doch seit man 1965 entdeckte, daß das Universum in eineWärmestrahlung getaucht ist, verfügen wir über bedeutende

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zusätzliche Beweise, welche die Theorie stützen. Da sich diesesogenannte kosmische Hintergrundstrahlung, die mit gleicherIntensität aus allen Richtungen des Weltraums kommt, seit derZeit kurz nach dem Urknall mehr oder weniger ungehindert

fortgepflanzt hat. liefert sie eine Momentaufnahme vom Zu-stand des Ur-Universums! Das Spektrum dieser Wärmestrah-lung stimmt genau mit der Glut in einem Schmelzofen überein,der den Zustand eines thermodynamischen Gleichgewichts er-reicht hat - der Physiker kennt diese Art Strahlung als Schwarz-körperstrahlung. So kommen wir zu der Schlußfolgerung, daßsich das frühe Universum in einem Gleichgewichtszustand be-

funden hat, bei dem alle seine Regionen eine gemeinsameTemperatur aufwiesen.

Messungen zufolge liegt die Temperatur der Hintergrund-strahlung etwa drei Grad über dem absoluten Nullpunkt, dendie Wissenschaft mit etwa -273°C ansetzt. Dieser Wert von 3 K(Kelvin) ändert sich im Laufe der Zeit unmerklich und nimmtnach einer einfachen Formel mit zunehmender Ausdehnung

des Universums ab. Eine Verdoppelung des Halbmessers be-wirkt eine Abnahme der Temperatur um die Hälfte. Diese Ab-kühlung hat dieselbe Ursache wie die Rotverschiebung desLichtes: Wie letzteres besteht Wärmestrahlung aus elektroma-gnetischen Wellen, und auch die Wellenlänge der Wärmestrah-lung dehnt sich mit der Expansion des Universums. Die Wellen-länge von Niedertemperatur-Strahlung ist größer (im Durch-

schnitt) als die von Hochtemperatur-Strahlung. Auch hier wür-den wir bei einem rückwärts ablaufenden Film wieder sehen,daß das Universum früher einmal sehr viel heißer gewesen seinmuß als gegenwärtig. Die Strahlung selbst geht auf den Zeit-raum von etwa dreihunderttausend Jahren nach dem Urknallzurück, als sich das Universum auf rund 4000°C abgekühlthatte. Zuvor war das hauptsächlich aus Wasserstoff bestehende

Ur-Gas ein ionisiertes Plasma und damit für elektromagnetischeStrahlung nicht durchlässig. Mit abnehmender Temperaturwurde aus dem Plasma gewöhnliches durchsichtiges (nicht-

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ionisiertes) Wasserstoffgas, das die Strahlung ungehindertdurchließ.

Das Besondere an der kosmischen Hintergrundstrahlung istnicht nur die Übereinstimmung ihres Spektrums mit dem eines

Schwarzen Körpers, sondern auch ihre erstaunliche Einheit-lichkeit überall am Himmel. Die Schwankungsbreite der Strah-lungstemperatur liegt in verschiedenen Richtungen des Welt-raums hei lediglich einem Hunderttausendstel. Das weist dar-auf hin. daß das Universum weithin bemerkenswert homogensein muß. da sich jede systematische Anhäufung von Materie ineiner bestimmten Region oder Richtung des Raumes als Tempe-

raturabweichung zeigen würde. Auf der anderen Seite wissenwir, daß das Universum nicht gänzlich homogen ist. Die Materieist in Galaxien zusammengeballt, die gewöhnlich Haufen bil-den. Die wiederum sind in Superhaufen angeordnet. Im Maß-stab von mehreren Millionen Lichtjahren scheint das Univer-sum eine Art »Seifenschaumstruktur«  aufzuweisen, bei der fa-den- und flächenförmige Galaxien große Leerräume umgeben.

Diese Gestalt des Universums, bei der seine Bestandteile weitverteilt sind, muß auf irgendeine Art und Weise aus einem vielgleichförmigeren Urzustand hervorgegangen sein. Obwohl da-für verschiedene physikalische Mechanismen verantwortlichsein könnten, scheint die einleuchtendste Erklärung die einerallmählich erfolgenden Anziehung durch die Gravitation zusein. Sofern die Urknall-Theorie zutrifft, müßten wir in der

kosmischen Hintergrundstrahlung einen Hinweis auf die frü-hen Zustände dieses Zusammenballungsprozesses finden. ImJahre 1992 stellte man mit Hilfe eines Satelliten der NASA na-mens COBE (für »Cosmic Background Explorer«, also Erfor-scher des kosmischen Hintergrundes) fest, daß diese Strahlungnicht wirklich gleichförmig ist, sondern zwischen verschiede-nen Stellen am Himmel unverkennbare Intensitätsschwankun-

gen aufweist, die sich mit einer Kräuselung vergleichen lassen.Diese winzigen Unregelmäßigkeiten scheinen die zarten An-fänge eines Prozesses der Superhaufenbildung zu sein. Die

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Strahlung hat den Hinweis auf die Ur-Zusammenballungen überdie Äonen hinweg getreulich bewahrt und zeigt erkennbar, daßdas Universum nicht immer in der unverwechselbaren Art orga-nisiert war, die wir heute wahrnehmen. Die Ansammlung von

Materie in Form von Galaxien und Sternen ist ein sich langhinziehender Entwicklungprozeß, der zu einer Zeit begann, alssich das Universum noch in einem nahezu vollständig einheit-lichen Zustand befand.

Es gibt eine letzte Beweiskette, welche die Theorie vomUrsprung des Universums aus einem Zustand großer Wärme undstarker Verdichtung bestätigt. Anhand des uns bekannten Tem-

peraturwertes, den die Hintergrundstrahlung gegenwärtig auf-weist, läßt sich leicht berechnen, daß das Universum etwa eineSekunde nach dem Anfang an allen Stellen eine Temperatur vonetwa zehn Milliarden Grad hatte. Da bei dieser großen Hitzenicht einmal zusammengesetzte Atomkerne existiert haben kön-nen, muß die Materie zu jener Zeit in Gestalt ihrer elementarstenBestandteile vorgelegen und eine Ursuppe aus Teilchen wie

Protonen, Neutronen und Elektronen gebildet haben. Da dieseSuppe sich nach und nach abkühlte, wurden dennoch nukleareReaktionen möglich. Insbesondere die Ur-Teilchen Neutronenund Protonen konnten sich paarweise zusammenschließen, unddiese Paare verbanden sich wiederum zu Kernen des ElementsHelium. Berechnungen zeigen, daß diese atomare Aktivität etwadrei Minuten dauerte (darauf bezieht sich der Titel von Steven

Weinbergs Buch). In ihrem Verlaufsynthetisierte sich etwa einViertel der Masse der vorhandenen Materie zu Helium, wobei sogut wie alle verfügbaren Neutronen aufgebraucht wurden. Ausden übriggebliebenen freien Protonen wurden später Wasser-stoffkerne. Daher sagt die Theorie, das Universum müsse ausetwa 75 Prozent Wasserstoff und 25 Prozent Helium bestehen.Diese Zahlen passen sehr gut zu neueren Messungen der im

Kosmos von diesen Elementen vorhandenen Mengen.Die atomaren Ur-Reaktionen haben wahrscheinlich auch sehrkleine Mengen von Deuterium. Helium-3 ( 3He) und Lithium

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produziert. Doch entstanden die schwereren Elemente, dieinsgesamt weniger als ein Prozent der kosmischen Materieausmachen, nicht beim Urknall, sondern weit später im Innerenvon Sternen. Wie es dazu kam. wird im vierten Kapitel beschrie-

b e n .

Zusammengenommen sind die Expansion des Universums,die kosmische Hintergrundstrahlung und die verhältnismäßiggroße Fülle chemischer Elemente überzeugende Beweise fürdie Richtigkeit der Urknall-Theorie. Dennoch bleiben viele Fra-gen unbeantwortet. Warum dehnt sich beispielsweise das Uni-versum gerade mit der Geschwindigkeit aus, die wir beobach-

ten, und keiner sonstigen. Anders gefragt: Warum hatte derUrknall gerade das Ausmaß, in dem er stattgefunden hat, undkein anderes? Warum waren das frühe Universum so gleichför-mig und die Weite fü r die Geschwindigkeit der Ausdehnung inallen Richtungen und allen Regionen des Weltraums so ähnlich?Worauf gehen die von COBE aufgedeckten und für die Entste-hung von Galaxien und Galaxienhaufen so entscheidenden

geringen Dichte-Schwankungen zurück?In den letzten Jahren hat man gewaltige Anstrengungen un-

ternommen, diesen schwierig zu lösenden Rätseln auf denGrund zu kommen, indem man die Urknall-Theorie in Zusam-menhang mit den neuesten Ergebnissen der Hochenergie-Teil-chenphysik brachte. Diese »neue Kosmologie«, darauf sei aus-drücklich hingewiesen, stützt sich auf eine weit weniger sichere

wissenschaftliche Grundlage als die bisher behandelten The-men. Bei den Prozessen, die von Belang sind, geht es insbeson-dere um Teilchenenergien, die weit über Werte hinausgehen,die bisher unmittelbar beobachtet wurden: und der kosmischeZeitraum, in dem diese Prozesse stattfanden, ist ein winzigerBruchteil einer Sekunde nach der Entstehung des Kosmos. Soextrem dürften die zu jener Zeit herrschenden Bedingungen

gewesen sein, daß das einzige gegenwärtig verfügbare Leitbildauf mathematische Modelle zurückgeht, die sich nahezu aus-schließlich auf theoretische Vorstellungen stützen.

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Eine zentrale These der neuen Kosmologie ist die Möglich-keit eines Vorgangs, der als Inflation oder Aufblähung bezeich-net wird. Dahinter steht die Grundvorstellung, daß sich dasUniversum irgendwann während des ersten Bruchteils einer

Sekunde schlagartig um einen riesigen Faktor vergrößert - alsosich aufgebläht - hat. Um zu erkennen, was das bedeutet, wol-len wir uns Abbildung 4 erneut ansehen. Aus der Tatsache, daßsich die Kurve stets abwärts neigt, läßt sich der Hinweis entneh-men, daß die Größenzunahme einer beliebigen Kegion imWeltraum mit abnehmender Geschwindigkeit erfolgt. Währendder Aufblähung findet die Ausdehnung hingegen beschleunigt

statt. Diese Situation zeigt Abbildung 5 (n icht maßstäblich). Diesich anfänglich verlangsamende Ausdehnung wird mit demEinsetzen der Inflation schlagartig schneller, so daß die Kurvefür kurze Zeit scharf nach oben weist. Wenn sie schließlichwieder in ihre normale Richtung zurückkehrt, hat unterdessendie Große der dargestellten Region des Weltraums, verglichenmit der entsprechenden Stelle auf der Kurve in Abbildung 4,

ungeheuer zugenommen (weit mehr als hier gezeigt ist).Was kann der Grund für dies sonderbare Verhalten des Uni-

versums sein? Wir erinnern uns. daß die Abwärtsneigung derKurve auf die Anziehung durch die Gravitation zurückgeht, dieder Expansion bremsend entgegenwirkt. Daher kann man sicheine Aufwärtsbewegung als eine Art Anti-Gravitation oder Re-pulsivkraft vorstellen, die das Universum zu immer rascherem

Wachstum veranlaßt. Obwohl sich die Vorstellung einer Anti-Gravitation phantastisch ausnimmt, schließen einige spekula-tive Theorien der neueren Zeit nicht aus, daß es unter denextremen Temperatur- und Dichtebedingungen, die ganz zuAnfang des Universums herrschten, zu einer solchen Wirkunggekommen sein könnte.

Bevor ich mich mit der Frage beschäftige, auf welche Weise

das möglich gewesen wäre, möchte ich erläutern, warum eineAufblähungsphase dazu beiträgt, verschiedene der vorhin auf-gezählten Rätsel des Kosmos zu lösen. Erstens kann die zuneh-

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 Abbildung 5:  Die Vorstellung von der Inflation des Universums. Hierbeikommt es sehr bald nach seiner Entstehung im Urknall zu einer rascheintretenden gewaltigen Aufblähung. Der Maßstab auf der vertikalenAchse ist stark verkleinert. Nach der Aufblähungsphase geht die Expansionmit abnehmender Geschwindigkeit weiter, etwa so, wie in Abbildung 4

gezeigt.

mende Expansion überzeugend erklären, warum der Urknallgerade dieses Ausmaß und kein anderes hatte. Den Einfluß derAnti-Gravitation muß man sich als instabilen, schlagartig ablau-fenden Prozeß vorstellen - damit soll gesagt werden, daß dieGröße des Universums während ihrer Einwirkung exponentiellzugenommen hat. Nach mathematischen Kategorien bedeutetdas, daß sich die Größe einer bestimmten Region des Welt-

raums in einer bestimmten Zeit verdoppelt. Diese Zeitspannesei als »Augenblick« bezeichnet. Nach zwei Augenblicken hättesich die Größe also vervierfacht; nach drei Augenblicken be-trüge sie das Achtfache, und nach zehn wäre sie um mehr als dasTausendfache angewachsen. Eine Berechnung zeigt, daß die amEnde der Aufblähungsphase herrschende Geschwindigkeitdem gegenwärtig beobachteten Ausdehnungstempo entspricht.

(Im sechsten Kapitel werde ich erklären, was damit gemeint ist).Die sprunghaft erfolgende Größenzunahme durch die Auf-blähung liefert überdies eine passende Erklärung für die im All

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herrschende Gleichmäßigkeit. Die Expansion des Weltraums

glätte alle anfangs aufgetretenen Unregelmäßigkeiten, etwa so,

wie die Runzeln auf einem Luftballon verschwinden, wenn man

ihn aufbläst. Ähnlich überspiele die mit der gleichen Kraft in

alle Richtungen wirkende Aufblähung schon bald frühe Verän-derungen der Geschwindigkeit der Expansion in unterschiedli-

chen Richtungen. Schließlich könnte man die von COME ent-

deckten geringfügigen Unregelmäßigkeiten darauf zurückfüh-ren, daß die Autblähung (aus Gründen, die bald erklärt werden)

nicht überall im selben Augenblick aufhörte, so daß einige

Regionen um ein Geringeres mehr aufgebläht wurden als an-

dere. Das wiederum führte zu geringen Unterschieden in derDichte.

Setzen wir einfach einmal Zahlen dafür ein. In der einfach-

sten Hassung der Inflationstheorie erweist sich die (gegen die

Gravitation wirkende) Aufblähungskraft als unvorstellbar mäch-tig und veranlaßt das Universum, sich nach jeweils 10-34 Sekun-

den zu verdoppeln. Diese nahezu verschwindend kurze Zeit-

dauer habe ich als »Augenblick« bezeichnet. Nach bloßen hun-dert Augenblicken hätte sich eine Region von der Größe einesAtomkerns auf einen Durchmesser von nahezu einem Lichtjahr

aufgebläht. Das genügt bei weitem, um die vorhin genannten

kosmischen Rätsel zu lösen.Mit Rückgriff auf die Theorien der Elementarteilchenphysik

hat man verschiedene mögliche Mechanismen entdeckt, die zu

dieser Aufblähung geführt haben könnten. Sie alle arbeiten mitder Vorstellung, die als Quantenvakuum bekannt ist. Um zuverstehen, worum es dabei geht, muß man etwas über dieQuantenphysik wissen. Die Quantentheorie begann mit einerEntdeckung in bezug auf die Eigenart elektromagnetischerStrahlung, wie wir sie beispielsweise bei Wärme und Lichtvorfinden. Obwohl sich diese Strahlung in Gestalt von Wellen

im Raum fortpflanzt, kann sie sich durchaus auch so verhalten,als bestünde sie aus Teilchen. Insbesondere die Aussendungund Absorption des Lichtes geht in Form von winzigen Paketen

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(oder Quanten) von Energie vor sich, die man Photonen nennt.N un stellte sich heraus, daß dies bisweilen als Wellen-Teilchen-Dualismus bezeichnete sonderbare Verhalten im Grenzbereichzwischen Welle und Teilchen im atomaren und subatomaren

Hereich für alle physikalischen Phänomene gilt. Das bedeutetnichts anderes, als daß unter besimmten Umständen gewöhn-lich als Teilchen angesehene Objekte - wie beispielsweise Elek-tronen. Protonen und Neutronen, j a sogar ganze Atome - nichtTeilchen, sondern Wellen zu sein scheinen.

Ein zentraler Lehrsatz der Quantentheorie ist die von WernerHeisenberg formulierte Unschärferelation, derzufolge Quan-

ten keinen genau definierten Wert für ihre sämtlichen Eigen-schaften besitzen, beispielsweise kann ein Elektron nicht zurgleichen Zeit eine bestimmte Lage  und   einen bestimmten Im-puls aufweisen, und ebensowenig kann es in einem bestimmtenAugenblick einen bestimmten Wert für seine Energie haben.Uns geht es hier um die Unscharfe mit Bezug auf die Energie-werte. Das in der makroskopischen Welt des Ingenieurs gel-

tende eherne Gesetz, daß Energie stets erhalten bleibt (sie läßtsich weder erzeugen noch vernichten), kann im subatomarenReich der Quanten aufgehoben sein. Spontan und unvorhersag-bar kann sich Energie von einem Augenblick auf den anderenverändern. Je kürzer der berücksichtigte Zeitraum, desto grö-ßer diese zufällig erfolgenden Quantensprünge. Tatsächlichkann ein Teilchen Energie aus dem Nichts aufnehmen, voraus-

gesetzt, es zahlt dies Darlehen umgehend zurück. Die vonHeisenberg mathematisch genau gefaßte Unschärferelation ver-langt, daß ein großes Energiedarlehen umgehend zurückzuzah-len ist, während kleinere Darlehen über einen längeren Zeit-raum gewährt werden.

Die Unscharfe im Zusammenhang mit der Energie führt zueinigen merkwürdigen Auswirkungen. Eine von ihnen ist die

Möglichkeit, daß ein Teilchen, beispielweise ein Photon, miteinem Mal aus dem Nichts entstehen kann, nur um gleichdarauf wieder zu verschwinden. Diese Teilchen leben von ge-

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borgter Engergie - und damit von geborgter Zeit. Wir sehen sienicht, weil sie nur flüchtig erscheinen; doch was wir für leerenKaum halten, wimmelt in Wirklichkeit von Unmengen solchernur kurzfristig existierender Teilchen. Das sind nicht nur Photo-

nen, sondern auch Elektronen. Protonen und alle anderen. Umdiese nur vorläufig vorhandenen Teilchen von den vertrauterenständig existierenden Teilchen zu unterscheiden, nennt manerstere »virtuell« und letztere »real« oder »wirklich«.

Davon abgesehen, daß virtuelle Teilchen nur zeitweilig auf-treten, sind sie mit realen identisch. Aus einem virtuellen Teil-chen kann sogar ein reales werden, wenn dem System auf 

irgendeine Weise von außerhalb genug Energie zugeführt wird,um das Heisenbergsche Energie-Darlehen abzuzahlen. An-schließend läßt sich ein solches Teilchen von keinem wirkli-chen Teilchen derselben Art unterscheiden. Gewöhnlich be-trägt die Lebensdauer eines virtuellen Elektrons lediglich etwa10 -21 Sekunden. Während dieser kurzen Zeit bleibt es nicht imRuhezustand, sondern kann, bevor es dahinschwindet, eine

Entfernung von 10-11

  Zentimetern zurücklegen. (Zum Ver-gleich sei gesagt, daß der Durchmesser eines Atoms etwa 10-8

Zentimeter beträgt.) Erhält dieses virtuelle Elektron währendseiner kurzen Lebenszeit genug Energie (beispielsweise voneinem elektromagnetischen Feld), braucht es überhaupt nichtzu verschwinden, sondern kann als völlig normales Elektronweiterexistieren.

Obwohl wir diese geisterhaften Quantenteilchen nicht sehenkönnen, wissen wir. daß sie im leeren Raum »wirklich vorhan-den< sind, hinterlassen sie doch eine erkennbare Spur ihresWirkens. So rufen virtuelle Photonen eine winzige Verände-rung im Energiegehalt von Atomen hervor und bewirken auchim magnetischen Moment von Elektronen eine gleichermaßenkleine Veränderung. Diese kaum wahrnehmbaren - aber

gleichwohl bedeutenden - Veränderungen hat man mit Hilfeder Spektroskopie genauestens gemessen.Das obenstehende unkomplizierte Bild des Quantenvaku-

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ums stellt sich anders dar, wenn man mit einbezieht, daß Ele-mentarteilchen sich im allgemeinen nicht frei bewegen, son-dern einer Vielzahl von Kräften unterliegen, die jeweils von derArt des betreffenden Teilchens abhängen. Sie wirken auch zwi-

schen den entsprechenden virtuellen Teilchen. Mithin ist esmöglich, daß es mehr als eine Art von Vakuumzustand gibt. DieExistenz vieler möglicher »Quantenzustände«  ist ein vertrautesMerkmal der Quantenphysik - am bekanntesten sind die ver-schiedenen Energiestufen von Atomen. Ein Elektron auf einerUmlaufbahn um einen Atomkern kann in gewissen, genau be-stimmten Zuständen mit bestimmten Energien existieren. Die

als Grundzustand bezeichnete unterste Stufe ist stabil; die höhe-ren Stufen (angeregte Zustände) sind instabil. Wird ein Elektronin einen höheren Zustand befördert, durchläuft es anschlie-ßend eine oder mehrere Umwandlungen abwärts zurü ck zumGrundzustand. Die angeregten Zustände »zerfallen« mit einergenau festgelegten Halbwertzeit in den Grundzustand, dasheißt, sie gehen in ihn über.

Ähnliche Grundsätze gelten fü r das Vakuum. das einen odermehrere angeregte Zustände aufweisen kann. Ihnen würdendann, obwohl sie durchaus identisch aussähen - das heißt: leer- ganz verschiedene Energien entsprechen. Der Grundzustand,also der mit der geringsten Energie, wird bisweilen als echtesVakuum bezeichnet. Darin spiegelt sich die Tatsache, daß essich dabei um den stabilen Zustand und vermutlich zugleich um

denjenigen handelt, der den leeren Regionen des heute beob-achteten Universums entspricht. Ein angeregtes Vakuum nenntman falsches Vakuum.

Es muß darauf hingewiesen werden, daß dieses falsche Va-kuum eine ausschließlich theoretische Vorstellung ist und seineMerkmale weitgehend von der dazu jeweils herangezogenenTheorie abhängen. Doch findet man diese Vorstellung selbst-

verständlich in allen neueren Theorien, deren Ziel es ist, dievier Grundkräfte der Natur zu vereinen: die uns aus dem Alltags-leben bekannten Kräfte Elektromagnetismus und Gravitation

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und die beiden ausschließlich auf subatomarer Ebene wirken-den atomaren Kräfte, die wir als schwache und starke Wechsel-wirkung bezeichnen.

Einst war die Liste länger, denn früher galten Elektrizität und

Magnetismus als unabhängige Kräfte. Der Prozeß der Zusam-menfassung begann zu Anfang des neunzehnten Jahrhundertsund ist in den letzten Jahrzehnten weiter vorangekommen.Inzwischen weiß man. daß eine Beziehung zwischen Elektro-magnetismus und schwacher atomarer Wechselwirkung be-steht und daß sie eine einzige »elektroschwache Kraft« bilden.Viele Physiker sind davon überzeugt, daß sich eines Tages eine

Verbindung der starken Wechselwirkung mit der elektroschwa-chen  Kraft  herausstellen  wird,  was die  sogenannten  großenvereinigten Theorien auf die eine oder andere Weise beschrei-ben. Es ist durchaus möglich, daß alle vier Kräfte auf einerunteren Ebene zu einer einzigen Superkraft verschmelzen.

Der aussichtsreichste Kandidat für einen Aufblähungsmecha-nismus wird von den verschiedenen großen vereinigten Theo-

rien vorausgesagt. Ein Schlüsselmerkmal dieser Theorien be-steht darin, daß die Energie der Zustände des falschen Vakuumsungheuer ist: Dabei würde ein Kubikzentimeter Raum 1087

Joule enthalten! Noch das Volumen eines einzigen Atoms würdein einem solchen Zustand 1062-Joule enthalten. Man vergleichedas mit den mickrigen rund 10-18  Joule eines angeregtenAtoms. Mithin würde viel Energie nötig sein, um das echte

Vakuum anzuregen, und wir dürfen nicht damit rechnen, ge-genwärtig im Universum auf ein falsches Vakuum zu stoßen.Dennoch sind diese Zahlen in Anbetracht der beim Urknallherrschenden extremen Bedingungen durchaus überzeugend.

Die im Zusammenhang mit Zuständen des falschen Vakuumsauftretende gewaltige Energie hat eine starke Gravitationswir-kung. Der Grund dafür liegt darin, daß Energie, wie Einstein

gezeigt hat, Masse besitzt und daher wie gewöhnliche Masseeine Anziehung vermittels Gravitation ausübt. Die von der un-geheuren Energie des Quantenvakuums ausgeübte Anzie-

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hungskraft ist immens: Die einem Kubikzentimeter falschenVakuums innewohnende Energie würde 1064 Tonnen wiegen,mehr als die etwa 10 50 Tonnen des gesamten heute beobachtba-ren Universums! Diese unvorstellbare Schwerkraft dient nun

keineswegs dazu, das Auftreten der Inflation zu unterstützen,denn für diesen Prozeß wird eine Art Anti-Gravitation erforder-lich. Doch gehört zur außerordentlichen Energie des falschenVakuums ein gleichermaßen hoher Druck des falschen Vaku-ums, und dieser sorgt fü r die Aufblähung. Normalerweise stel-len wir uns Druck nicht als Quelle von Gravitationskraft vor,aber er ist eine. Obwohl er eine nach außen wirkende mechani-

sche Kraft ausübt, entsteht dabei auch eine nach innen wir-kende Anziehung durch Gravitation. Im Fall uns bekannterKörper ist die vom Druck verursachte Gravitation im Vergleichmit der Wirkung der Körpermasse vernachlässigbar gering,beispielsweise geht weniger als ein Milliardstel unseres Kör-pergewichts auf der Erde auf den Innendruck der Erde zurück.Dennoch ist diese Auswirkung des Druckes durchaus real, und

in einem System, in dem er extreme Werte erreicht, kann sichdie durch den Druck verursachte Gravitationswirkung durch-aus mit der auf die Masse zurückgehenden messen.

Im Fall des falschen Vakuums liegt sowohl eine enormeEnergie als auch ein vergleichbar enormer Druck vor. so daß siemiteinander im Wettstreit um die Vorherrschaft der Gravitationliegen. Entscheidend ist dabei allerdings, daß der Druck einen

negativen Wert aufweist. Das falsche Vakuum drückt nicht, son-dern zieht. Ein negativer Druck übt eine negative Gravitations-wirkung aus - hier haben wir unsere Anti-Gravitation. Mithingeht es bei der durch Druck verursachten Gravitationstätigkeitdes falschen Vakuums um einen Wettstreit zwischen der unge-heuren Anziehungskraft seiner Energie und der ungeheurenAbstoßungskraft seines negativen Drucks. Es erweist sich, daß

der Druck gewinnt, und als Netto-Ergebnis entsteht eine Absto-ßungskraft, die so groß ist, daß sie das Universum im Bruchteileiner Sekunde aufzublähen vermag. Dieser unvorstellbare Auf-

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blähungsdruck veranlaßt das Universum dazu, alle 10-34 Sekun-den seine Grüße zu verdoppeln.

Das falsche Vakuum ist seinem Wesen nach instabil. Wie alleangeregten Quantenzustände strebt es zurück zu seinem

Grundzustand - dem echten Vakuum. Wahrscheinlich zerfalltes auch nach wenigen Dutzend Augenblicken zu diesem Zu-stand. Weil es sich dabei um einen Quantenprozeß handelt,unterliegt er der im Zusammenhang mit Heisenbergs Unschär-ferelation weiter oben behandelten unvermeidbaren Unbe-stimmtheit und den im Zusammenhang damit auftretendenzufalligen Schwankungen. Damit erfolgt der Zerfall nicht

gleichmäßig im ganzen Raum; es kommt zu Schwankungen.Manche Theoretiker sind der Ansicht, daß diese die Ursache dervom Satelliten COHE beobachteten Kräuselungen sind.

Wenn das falsche Vakuum zu seinem Ausgangszustand zu-rückgekehrt ist. kommt es im Universum wieder zur gewöhnli-chen, sich verlangsamenden Ausdehnung. Die im falschen Va-kuum gespeicherte Energie ist frei geworden, und zwar in Form

von Wärme. Die durch die Aufblähung bewirkte ungeheureAusdehnung hatte das Universum auf eine Temperatur sehrnahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt: mit einem Mal wirdes durch das Ende der Inflation auf den ungeheuren Wert von1028 Grad aufgeheizt. Dieser gewaltige Wärmevorrat existiertnoch heute in stark abgeschwächter Form als kosmische Hinter-grundstrahlung. Beim Freiwerden der Vakuumenergie erhalten

viele virtuelle Teilchen im Quantenvakuum als Nebenproduktetwas davon und werden zu realen Teilchen. Nach weiterenProzessen und Veränderungen hat ein Restbestand dieser Ur-Teilchen die 1050  Tonnen Materie gebildet, aus denen allesbesteht: wir, unsere Galaxis und das übrige beobachtbare Uni-versum.

Wenn die Inflationstheorie stimmt - und viele fuhrende Kos-

mologen sind davon überzeugt - haben Prozesse, die nachbloßen 10-32  Sekunden abgelaufen waren, Grundstruktur undInhalt des Universums bestimmt. Zwar hat es in der Zeit nach

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der Aufblähung viele zusätzliche Veränderungen auf der sub-atomaren Ebene erfahren, in deren Verlauf aus der Ur-MaterieTeilchen und Atome wurden, aus denen die kosmische Materieunserer Zeit besteht, doch der größte Teil der zusätzlich abge-

laufenen Materieprozesse war nach etwa drei Minuten beendet.In welcher Bez iehung stehen nun die ersten drei Min ut en zu

den letzten? So wie das Schicksal einer abgefeuerten Kugel

entscheidend von der Zielrichtung des Gewehrs abhängt, hängtdas Schicksal des Universums sehr stark von seinen Anfangsbe-

dingungen ab. Wir werden sehen, wie die Ausdehnungsweisedes Universums von seinen Uranfängen an und die Beschaffen-

heit der beim Urknall entstandenen Materie die Zukunft desUniversums bestimmen werden. Sein Anfang und sein Endesind unauflöslich miteinander verflochten.

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Sternendämmerung

In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 1987 arbeitete der

kanadische Astronom lan Shelton noch in dem hoch in denchilenischen Anden liegenden Observatorium Las Campanas.Ein Assistent ging kurz hinaus und warf einen Blick auf dendunklen Nachthimmel. Vertraut mit allen Einzelheiten, fiel ihm

sofort etwas Ungewöhnliches auf. Am Rande des als GroßeMagellansche Wolke bekannten nebelähnlichen Lichtflecksstand ein Stern. Er war nicht besonders hell - er leuchtete etwaso stark wie die Sterne im Gürtel des Orion. Das Bemerkens-werte an ihm war, daß er in der Nacht zuvor noch nicht dagestanden hatte.

Der Mann machte Shelton auf den Himmelskörper aufmerk-

sam, und binnen weniger Stunden verbreitete sich die Neuig-keit auf der ganzen Welt. Shelton und sein chilenischer Assistenthatten eine Supernova entdeckt. Es handelte sich dabei um daserste Objekt dieser Art, das sich mit bloßem Auge wahrnehmenließ, seit Johannes Kepler 1604 über eine solche Erscheinungberichtet hatte. Alsbald richteten Astronomen in verschiedenenLändern ihre Instrumente auf die Große Magellansche Wolke,

und so untersuchte man in den folgenden Monaten das Verhal-ten der Supernova 1987A bis in die kleinsten Details.

Einige S tund en vor dieser sensationellen Entdeckung wurde

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an einem ganz anderen Ort ein weiteres ungewöhnliches Ereig-nis verzeichnet - in der Tiefe des Zinkbergwerks von Kamiokain Japan. Hier fühlten Physiker einen Langzeitversuch miteinem ehrgeizigen Ziel durch. Sie wollten feststellen, wie es

sich mit der Stabilität eines der Grundbestandteile der Materie,nämlich der Protonen, verhält. Die in den siebziger Jahrenentwickelten großen vereinigten Theorien sagen voraus, daßProtonen unter Umständen leicht instabil sein können undgelegentlich in einer sonderbaren Abart von Radioaktivität zer-fallen. Wenn das so wäre, müßte sich das in tiefgreifenderweiseauf das Schicksal des Universums auswirken, wie wir in einem

späteren Kapitel sehen werden.Um diesem Protonenzerfall auf die Spur zu kommen, hatten

die japanischen Experimentatoren einen Flüssigkeitstank mit2000 Tonnen superreinem Wasser gefüllt und um ihn herumhochempfindliche Photonendetektoren aufgebaut. Diese soll-ten verräterische Blitze aufzeichnen, die den mit hoher Ge-schwindigkeit erzeugten Produkten einzelner Zerfallsereig-

nisse hätten zugeschrieben werden können. Um die Auswir-kungen der kosmischen Strahlung zu reduzieren, die sonst dieDetektoren mit einer Fülle von Ereignissen bombardiert hätte,entschied man sich, es tief unter der Erde durchzuführen.

Am 22. Februar 1987 reagierten die Detektoren von Kamiokain elf Sekunden immerhin elfmal, während zur selben Zeit auf der anderen Seite des Planeten ein ähnlicher Detektor in einem

Salzbergwerk in Ohio acht Ereignisse aufzeichnete. Da eingleichzeitig stattfindender Massenselbstmord von neunzehnProtonen ausschied, mußte es eine andere Erklärung dafürgeben. Die Physiker fanden sie bald. Ihre Einrichtungen müs-sen die Zerstörung von Protonen durch andere, herkömm-lichere Prozesse aufgezeichnet haben: Sie ging auf eine Bom-bardierung durch Neutrinos zurück.

Neutrinos sind Elementarteilchen, die in meiner Darstellungeine Schlüsselrolle spielen. Daher lohnt es sich, sie etwas ge-nauer ins Auge zu fassen. Ihre Existenz wurde erstmals im Jahre

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1931 von dem aus Österreich stammenden theoretischen Phy-siker Wolfgang Pauli postuliert, als er einen problematischenAspekt des als Beta-Zerfall bekannten radioaktiven Prozesseserläutern wollte. Bei einer typischen Beta-Umwandlung zer-fä l l t e in Neutron in e in Proton und e in Elektron. Das Elektron,

ein verhältnismäßig leichtes Teilchen, fliegt mit beträchtlicherEnergie davon. Die Schwierigkeit besteht darin, daß Elektro-nen bei jedem Zerfallsereignis eine unterschiedliche Energiezu haben scheinen, die ein wenig unter der beim Zerfall desNeutrons auftretenden Gesamtenergie liegt. Nun ist in allen

Killen die Gesamtenergie gleich groß, und so schien es, als

ginge ein Teil dieser Energie verloren. Das aber ist gemäßdem Satz, von der Erhaltung der Energie, einem Grundgesetz

der Physik, unmöglich. So äußerte Pauli die Vermutung, daß

ein unsichtbares Teilchen die fehlende Energie beiseite

schaffe. Erste Versuche, es zu entdecken, scheiterten, und eswurde klar, daß dies Teilchen, wenn es denn existierte, vonunvorstellbarer Durchschlagkraft sein müsse. Da sich jede Art

elektrisch geladener Teilchen mit Hilfe von Materie einfangenläßt, mußte Paulis Teilchen elektrisch neutral sein - daher derName >Neutrino<.

Obwohl damals noch niemand ein Neutrino aufgespürthatte, waren theoretische Physiker imstande, weitere seinerEigenschaften zu ermitteln. Eine davon betrifft seine Masse.

Masse ist in bezug auf Teilchen, die sich rasch bewegen, ein

heikler Begriff; denn die Masse eines Körpers ist keine festeGröße, sondern von seiner Geschwindigkeit abhängig. Sowürde beispielsweise eine Bleikugel von einem KilogrammGewicht zwei Kilogramm wiegen, wenn sie sich mit 260000Kilometern pro Sekunde bewegte. Der Schlüsselfaktor ist hierdie Lichtgeschwindigkeit. Je näher ihr ein Objekt kommt, destogrößer wird seine Masse, und dies Massenwachstum kennt

keine Grenze. Da Masse auf diese Weise variabel ist, sprechenPhysiker, um Mißverständnisse zu vermeiden, bei Elementar-teilchen grundsätzlich von der Ruhemasse. Die tatsächliche

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Masse von Teilchen, die sich nahe der Lichtgeschwindigkeitbewegt, kann ein Vielfaches der Ruhemasse betragen. In großenTeilchenbeschleunigern erreichen umlaufende Elektronenund Protonen möglicherweise ein Vieltausendfaches ihrerRuhemasse.

Einen Anhaltspunkt für den Wert der Ruhemasse des Neutri-nos liefert die Tatsache. daß bei einem Beta-Zerfall bisweilenein Elektron mit nahezu der gesamten verfügbaren Energieherausgeschleudert wird, so daß für das Neutrino kaum welcheübrigbleibt. Das bedeutet, daß Neutrinos fast mit der EnergieNull existieren können. Nach Einsteins berühmter Formel E =

mc2 aber sind Energie E und Masse m gleichwertig, so daß nullEnergie mit null Masse gleichzusetzen ist. Das heißt, daß dasNeutrino wahrscheinlich eine sehr geringe Ruhemasse, mög-licherweise mit dem Wert Null, besitzt. Sofern die Ruhemassetatsächlich Null beträgt, hat das Neutrino, das sich anscheinendohnehin mit einer Geschwindigkeit nahe der des Lichts bewegt,Lichtgeschwindigkeit.

Ein weiteres Merkmal der Elementarteilchen beschreibt ihreEigendrehung. Neutronen. Protonen und Elektronen drehensich beständig. Die Stärke dieses als »Spin« bezeichneten Dreh-impulses ist ein bestimmter fester Wert, der für alle drei gleichist. Für Drehimpulse gilt ein ebenso grundlegendes Gesetz derErhaltung wie für die Energie. Beim Zerfall eines Neutrons mußsein »Spin« in den Zerfallsprodukten erhalten bleiben. Ange-

nommen, Elektron und Proton drehten sich in die gleicheRichtung, dann würden sich die Werte ihres Spins addieren unddas Doppelte des Neutron-Spins ausmachen. Erfolgte ihre Be-wegung aber entgegengesetzt, würden sich die Spins aufhebenund den Gesamtwert Null annehmen. So oder so kann derGesamtspin eines Elektrons und eines Protons allein nie gleichdem eines Neutrons sein. Bezieht man aber die Existenz eines

Neutrinos mit ein. läßt sich ein schöner Ausgleich schaffen,indem man annimmt, es besitze den gleichen Spin wie dieanderen Teilchen. In diesem Fall können sich zwei der drei

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Zerfallsprodukte in der gleichen Richtung drehen, das dritteaber in der Gegenrichtung.

So konnten die Physiker, ohne je ein Neutrino entdeckt zuhaben, herle iten, es handele sich dabei um ein Teilchen mit derelektrischen Ladung N u l l , wenig oder keiner Ruhemasse, einemSpin, das mit dem des Elektrons identisch ist, und einer sogeringen Wechselwirkung mit gewöhnlicher Materie, daß seinDurchgang praktisch keine Spur hinterließ. Kurz, gesagt, ist eseine Art rotierendes Phantom. Es überrascht nicht, daß es nachder von Pauli geäußerten Vermutung bezüglich der Existenz

von Neutrinos nahzu zwanzig Jahre dauerte, bis man diese

tatsächlich im Labor identifizieren konnte. Neutrinos entstehenin Atomreaktoren in so ungeheurer Menge, daß sich gelegent-lich, trotz ihrer außerordentlichen Flüchtigkeit, einige Exem-plare entdecken lassen.

Zweifellos war das gehäufte Auftreten von Neutrinos im Berg-werk von Kamioka und das Erscheinen der Supernova 1987Azur gleichen Zeit kein bloßer Zufall, und die Naturwissenschaft-

ler nahmen die Koinzidenz der beiden Ereignisse als entschei-dende Bestätigung für die Theorie über Supernovae: Schonlange hatten Astronomen das Auftreten von Neutrinos imZusammenhang mit einer Supernova erwartet.

Auch wenn  das  lateinische Wort  > n o v u s <   > n e u <   bedeutet, gehtes bei einer Supernova nicht um die Geburt eines neuen Sterns,sondern im Gegenteil um den in einer spektakulären Explosion

sich ereignenden Tod eines alten Sterns. Die Große Magellan-sche Wolke, in der die Supernova 1987A auftrat, ist eine etwaPO 000 Lichtjahre entfernte kleine Galaxie. Sie liegt so nahe ander Milchstraße, daß man sie als eine Art Satellit unserer Galaxisansehen könnte. Mit dem bloßen Auge kann man sie auf dersüdlichen Halbkugel als zerfaserten Lichtfleck erkennen, dochsind starke Teleskope nötig, wenn man die einzelnen Sterne

unterscheiden will, aus denen sie besteht. Schon Stunden nachSheltons Entdeckung wußten australische Astronomen, wel-cher von den Milliarden Sternen der Großen Magellanschen

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Wolke da erloschen war. Um das festzustellen, verglichen siefrühere fotografische Platten jener Region mit dem Bild, das der

Himmel bot. Der betreffende Stern, ein blauer Superriese vonder Klasse B3. wies etwa den vierzigfachen Durchmesser der

Sonne auf. Er hatte sogar einen Namen: Sanduleak - 69 202.Die Theorie, daß Sterne explodieren können, wurde erst-

mals um die Mitte der fünziger Jahre unseres Jahrhunderts vonden Astrophysikern Fred Hoyle und William Fowler sowie vonGeoffrey und Margaret Burbidge überprüft Um zu verstehen,aufweiche Weise es zu einer solchen Katastrophe kommt, mußman etwas über die Abläufe im Inneren eines Gestirns wissen.

Das uns bekannteste ist die Sonne. Wie die meisten anderenSterne scheint sie sich nie zu ändern, was aber nicht den Tat-sachen entspricht. In Wirklichkeit befindet sie sich in einemunaufhörlichen Kampf gegen die Kräfte der Zerstörung. AlleSterne sind von der Gravitation zusammengehaltene Gasku-geln. Wenn ausschließlich diese Kraft auf sie einwirkte, würdensie unverzüglich unter ihrem ungeheuren Eigengewicht implo-

dieren und binnen Stunden dahinschwinden. Der Grund,warum das nicht geschieht, ist der. daß die innere Kraft derGravitation durch die äußere des Drucks, den das im Innerendes Sterns verdichtete Gas ausübt, ausgeglichen wird.

Zwischen dem Druck eines Gases und seiner Temperaturbesteht eine einfache Beziehung. Wird ein bestimmtes Volu-men von Gas erwärmt, nimmt der Druck normalerweise ent-

sprechend der Temperatur zu. Umgekehrt fallt er mit sinkenderTemperatur ab. Im Inneren eines Sterns herrscht ein gewaltigerDruck, weil er viele Millionen Grad heiß ist. Ursprung dieserWärme sind atomare Reaktionen. Die Hauptreaktion, die einenStern mit Energie versorgt, ist die meiste Zeit seines Lebens dieUmwandlung von Wasserstoff in Helium durch Kernverschmel-zug. Für die erforderliche Überwindung der elektrischen Ab-

stoßung zwischen den Atomkernen erfordert diese Reaktionaußergewöhnlich hohe Temperaturen. Zwar vermag die beider Verschmelzung freiwerdende Energie einen Stern über

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Milliarden Jahre am Leben zu halten, doch früher oder spätergeht der Brennstoff zur Neige, und die Leistung des Reaktorsläßt nach. Nunmehr ist die Aufrechterhaltung des Drucks ge-fährdet, und der Stern beginnt seinen schon lange währendenKampf gegen die Gravitation zu verlieren. Ein Stern lebt imwesentlichen von geborgter Zeit: Er wehrt den ihm von derGravitation drohenden Zusammenbruch durch Verbrauch sei-ner Brennstoffreserven ab. Doch jedes Kilowatt, das er vonseiner Oberfläche in die Tiefen des Weltraums abstrahlt, be-schleunigt seinen Tod.

Man nimmt an. daß die Sonne etwa zehn Milliarden Jahre langmit dem Wasserstoff auskommen kann, der ihr anfangs zurVerfügung stand. Heute hat der Stern in der Mitte unseresSonnensystems mit seinem Alter von nahezu fünf MilliardenJahren etwa die Hälfte seiner Reserven verbrannt. (Es gibt alsonoch keinen Grund zur Beunruhigung.) Wie rasch ein Sternseinen atomaren Brennstoff verbraucht, hängt entscheidendvon seiner Masse ab. Bei schwereren Sternen, die aufgrundihrer größeren Masse und Helligkeit mehr Energie abstrahlen,verläuft dieser Prozeß zwangsläufig weit schneller als bei leich-teren. Durch das zusätzliche Gewicht werden die Verdichtungdes Gases und die Temperatur gesteigert. Das wiederum erhöhtdie Rate der einzelnen Kernverschmelzungen. Beispielsweiseverbraucht ein Stern von zehnfacher Sonnenmasse den größtenTeil seines Wasserstoffs in lediglich zehn Millionen Jahren.

Wir wollen das Schicksal eines solchen großen Sterns verfol-gen. Die meisten Sterne bestehen am Anfang ihrer Existenzhauptsächlich aus Wasserstoff. Dieser wird durch die Ver-schmelzung von Wasserstoffkernen - der Wässerstoffkern istein einzelnes Proton - »verbrannt«, um Kerne des ElementsHelium zu bilden, die jeweils aus zwei Protonen und zweiNeutronen bestehen. (Auf die komplizierten Einzelheiten die-ses Prozesses braucht hier nicht näher eingegangen zu wer-den.) Zwar ist die Verschmelzung von Wasserstoffkernen dieergiebigste, nicht aber die einzige Quelle nuklearer Energie.

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Sofern die Temperatur des Sterneninneren hoch genug ist,können Heliumkerne miteinander verschmelzen, wobei Koh-lenstoff entsteht. Weitere Verschmelzungsreaktionen führenzur Entstehung von Sauerstoff, Neon und anderen Elementen.Ein Stern mit großer Masse ist imstande, die für diese Kettenacheinander ablaufender nuklearer Reaktionen erforderlichehohe innere Temperatur - mehr als eine Milliarde Grad - zuerzeugen, doch nimmt der Ertrag beständig ab. Mit jedem neuentstandenen Element vermindert sich die Menge der freiwer-denden Energie. Der Brennstoff wird immer schneller ver-brannt, bis sich die Zusammensetzung des Sterns von einem

Monat zum nächsten, dann von Tilg zu Tilg und schließlich vonStunde zu Stunde ändert. Sein Inneres ähnelt einer Zwiebel,deren  »Häute«  den Schichten aus  chemischen  Elementen  ent-sprechen, die mit immer größerer Geschwindigkeit nacheinan-der entstehen. Nach außen hin bläht er sich gewaltig auf, wirdgrößer als unser ganzes Sonnensystem und entwickelt sich zudem, was die Astronomen einen roten Superriesen nennen.

Am Ende der Kette nuklearer Verbrennungsprozesse stehtdas Element Eisen mit einer besonders stabilen Kernzusam-mensetzung. Da bei der Erzeugung von Elementen, die schwe-rer sind als Eisen, keine Energie frei wird (diese Kernver-schmelzung erfordert im Gegenteil einen zusätzlichen Energie-aufwand), ist ein Stern zum Untergang verurteilt, sobald seinInneres nur noch aus Eisen besteht. Kann ein Stern aus sich

selbst heraus keine Wärmeenergie mehr erzeugen, neigt sichdie Waage zugunsten der Gravitation. Er schwankt am Randekatastrophaler Instabilität und fallt schließlich in seine eigeneGravitations-Grube.

Was dabei mit großer Geschwindigkeit abläuft, ist das Fol-gende: Der Eisenkern des Sterns, der nicht mehr imstande ist,durch atomare Verbrennung Wärme zu erzeugen, vermag sein

eigenes Gewicht nicht mehr zu haken und zieht sich unter demEinfluß der Gravitation so sehr zusammen, daß die Atomezertrümmert werden. Sein Inneres erreicht schließlich die

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Dichte von Atomkernen, so daß annähernd eine Billion TonnenMaterie bequem in einen Fingerhut passen würde. In diesemStadium hat der Kern des todgeweihten Sterns gewöhnlich

einen Durchmesser von zweihundert Kilometern und wirddurch die Festigkeit der Kernmaterie in heftige Bewegung ver-

setzt. So stark ist die von der Gravitation ausgeübte Anziehung,daß diese gewaltige Erschütterung nur wenige Millisekundendauert. Während sich das Drama im Inneren des Sterns entwik-

kelt, brechen die umgebenden Schichten des Sterns mit einerplötzlichen konvulsivischen Bewegung über seinem Kern zu-sammen. Mit einer Geschwindigkeit von Tausenden von Kilo-

metern pro Sekunde treffen die Billionen und Aberbillionenvon Tonnen implodierenden Materials auf das äußerst dichtezurückfedernde Innere, das härter ist, als es eine Mauer ausDiam ant wäre. Durch diesen gigantischen Zusammenprall gehteine gewaltige Druckwelle durch den Stern nach außen.

Sie begleitet ein ungeheurer Strom von Neutrinos, die miteinem Schlag während der letzten nuklearen Umwandlungen

aus dem inneren Bereich des Sterns freigesetzt werden - beidiesem Umw andlungsprozeß werden die Elektronen und Pro-tonen der Atome des Sterns so zusammengedrängt, daß ausihnen Neutronen entstehen. Das Innere des Sterns wird prak-tisch zu einem riesigen Neutronenball. Mit vereinten Kräftentransportieren die Druckwelle und die Neutrinos eine unge-heure Energiemenge durch die äußeren Schichten des Sterns

nach draußen. Diese äußeren Schichten absorbieren einen gro-ßen Teil der Energie und explodieren in einem nuklearenInferno von unvorstellbarer Gewalt. Einige Tage lang leuchtetder Stern mit der Helligkeit von zehn Milliarden Sonnen, nurum ein paar Wochen später zu verblassen.

In einer Galaxie wie unserer Milchstraße treten im Durch-schnitt pro Jahrhundert zwei oder drei solcher Supernovae auf,

und schon früh haben staunende Astronomen Aufzeichnungendarüber gemacht. Über eine der berühmtesten Supernovae imJahre 1054 n. Chr. im Sternbild Krebs haben chinesische und

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arabische Beobachter berichtet. Heute sehen wir die Reste desin alle Winde verstreuten Sterns als sich ausdehnende zerfetzteGaswolke, die den Namen Crabnebel trägt.

Die Explosion der Supernova 1987A erhellte das Universum

mit einem unsichtbaren Neutrinoblitz. Dabei handelte es sichum einen Stoß von atemberaubender Intensität. Jeder Quadrat-zentimeter der Erde - obwohl 170 000 Lichtjahre vom Explo-sionsort entfernt - wurde von hundert Milliarden Neutrinosdurchdrungen. Zum Glück wußten die Menschen nicht, daßeinen Augenblick lang viele Millionen Teilchen aus einer ande-ren Galaxie durch sie hindurchgegangen waren. Neunzehn

davon fingen die Protonenzerfalldetektoren in Kamioka undOhio ein. Ohne diese Anlage wären die Neutrinos ebensounbeemerkt geblieben wie im Jahre 1054.

Obwohl eine Supernova den Tod für den betroffenen Sternbedeutet, hat die Explosion durchaus etwas Schöpferisches. Diedabei freiwerdende ungeheure Energie heizt die äußerenSchichten des Sterns so stark auf, daß für eine kurze Weile

weitere Kernverschmelzungsreaktionen möglich sind - solche,die Energie verbrauchen statt freizusetzen. In einem solchenauf Hochtouren laufenden stellaren Schmelzofen, der mit demunausweichlichen Ende des Gestirns einhergeht, werden Ele-mente geschmiedet, die schwerer sind als Eisen - beispiels-weise Gold, Blei und Uran. Sie werden zusammen mit den inden frühen Stadien der Kernsynthese entstandenen leichteren

Elementen wie Kohlenstoff und Sauerstoff in den Weltraumentlassen, wo sie sich mit den Resten zahlloser weiterer Super-novae vermischen. Über die folgenden Äonen hinweg sammelnsich diese schweren Elemente zu neuen Generationen vonSternen und Planeten. Ohne die Herstellung und Verbreitungdieser Elemente könnte es keine Planeten wie die Erde geben.Der Leben erzeugende Kohlenstoff und Sauerstoff, das Gold in

den Tresorräumen unserer Banken, das Blei in unseren Kir-chenfenstern, die Uranstäbe in unseren Kernreaktoren - all dasverdankt seine Anwesenheit auf der Erde dem Todeskampf von

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Sternen, die vergingen, lange bevor unsere Sonne ins Lebentrat. Der Gedanke daß der eigentliche Stoff unseres Körpers ausder atomaren Asche längst erloschener Sterne besteht, ver-schlägt einem die Sprache.

Die Explosion einer Supernova zerstört den Stern nicht voll-ständig. Obwohl bei diesem letzten Ausbruch der größte Teildes Materials hinausgeschleudert wird, bleibt das implodierteInnere, das die Ereignisse auslöst, an Ort und Stelle - allerdingsnicht besonders lange. Wenn die Masse des Sterneninnerenrecht gering ist - beispielsweise einer Sonnenmasse entspricht-, bildet sie eine Neutronenkugel von der Größe einer Klein-

stadt. Dieser >Neutronenstern< rotiert dann höchstwahrschein-lich mit wahnsinniger Geschwindigkeit - unter Umständen mitmehr als tausend Umdrehungen pro Sekunde, womit seineOberfläche ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit erreicht.Diese atemberaubende Umdrehungsgeschwindigkeit geht dar-auf zurück, daß die Implosion die vergleichsweise langsameRotation des einstigen Sterns ungeheuer beschleunigt. Das

hängt mit demselben physikalischen Grundsatz zusammen, deres Ei skuns tläufern ermöglicht, bei Pirouetten die Umdrehungs-geschwindigkeit zu steigern, indem sie die Arme an den Körperlegen. Astronomen haben viele solcher schnell rotierenderNeutronensterne entdeckt. Die Geschwindigkeit der Umdre-hung vermindert sich allerdings in dem Maße, in dem derbetreffende Stern an Energie verliert. So hat sich der Neutro-

nenstern in der Mitte des Crabnebels inzwischen beispiels-weise auf 33 Umdrehungen pro Sekunde verlangsamt.

Wenn die Masse des Inneren etwas größer ist - nehmen wiran, sie beträgt mehrere Sonnenmassen - können die Überrestedes Sterns nicht als Neutronenstern weiterexistieren. Die Anzie-hung durch die Gravitation ist so stark, daß nicht einmal aus-schließlich aus Neutronen bestehendes Material - die Substanz

mit der höchsten bekannten Festigkeit - einer weiteren Ver-dichtung Widerstand entgegenzusetzen vermag. Jetzt ist dieBühne frei für ein noch eindrucksvolleres und katastrophaleres

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Schauspiel, als es die Supernova war. Das Innere des Sternsstü rzt weiter in sich zusammen und erzeugt in weniger als einertausendstel Sekunde ein Schwarzes Loch, in dem es verschwin-det.

Ein Stern von großer Masse ist also dazu bestimmt, sich seihstzu zerstören und als Überbleibsel entweder einen Neutronen-Stern oder ein von ausgestoßenen diffusen Gasen umgebenesSchwarzes lxx:h zu hinterlassen. Niemand weiß, wie vieleSterne bereits auf diese Weise ihrem Schicksal erlegen sind,doch schon allein die Milchstraße kann ohne weiteres Milliar-den solcher Sternleichen enthalten.

Als Kind hatte ich eine krankhafte Angst davor, die Sonnekönnte explodieren. Doch besteht keinerlei Gefahr, daß sie zueiner Supernova wird, weil sie dafür zu klein ist. Das Schicksalvon Sternen mit geringer Masse verläuft im allgemeinen weitweniger ungestüm als das ihrer Vettern mit großer Masse. Er-stens laufen in ihnen die atomaren Prozesse, hei denen Brenn-stoff verbraucht wird, viel gemächlicher ab; ein Zwerggestirn

am unteren Ende der stellaren Massenskala kann kontinuierlicheine Killion Jahre lang leuchten. Zweitens vermag ein Stern mitgeringer Masse in seinem Inneren keine hinreichend hohenTemperaturen zu erzeugen, um Eisen zu synthetisieren, und istfolglich nicht imstande, eine Implosion mit katastrophalen Fol-gen auszulösen.

Die Sonne ist ein typischer Vertreter von Sternen mit relativ

geringer Masse, die ihren Wasserstoff mit stetiger Geschwindig-keit verbrennen und ihr Inneres in Helium umwandeln. Diesesbefindet sich zum größten Teil in einem Kern, der im Hinblickauf atomare Reaktionen träge ist; die Verschmelzung findet anseiner Oberfläche statt. Daher ist der Kern selbst nicht im-stande, etwas zur entscheidenden Wärmeerzeugung beizutra-gen, die erforderlich ist, um die Sonne gegen die erdrückende

Übermacht der Gravitation zu erhalten. Um einen Zusammen-bruch zu verhindern, muß die Sonne auf der Suche nach neuemWasserstoff ihre atomare Aktivität nach außen ausdehnen.

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Unterdessen wird der He liumk ern a llmäh lich im me r kleiner. AlsErgebnis dieser inneren Veränderung wird sich das Aussehender Sonne im Laufe der Äonen unmerklich verändern. IhreGröße n im mt zu, aber ihre Oberfläche kü hl t ein wenig ab, st) daßsie allmä hlich rötlich erscheint. Diese Entwick lung wird weiter-gehen , bis sich die Sonne in einen roten Riesenstern verwandeltha t, etwa fü nfhunder tm al so groß, wie sie heute ist. Rote Riesensind dem Astronomen vertraut, und mehrere wohlbekanntehelle Sterne am Nachthimmel, wie Aldebaran, Beteigeuze undA rk tu ru s, fal len in diese Kategorie. Für einen Stern mi t geringer

Masse kennzeichnet der Zustand des roten Riesen den Anfang

vom Ende.Obwohl ein roter Riese relativ kühl ist, hat er wegen seiner

Größe eine unge heure strahlende Oberfläche, und das bedeuteteine größere Gesamthelligkeit. Die Planeten der Sonne werdensich, wenn sie in etwa vier Mil liarden Jahren der zunehm end eWämestrom  t r i f f t , schweren Zeiten gegenübersehen.  Die  Erdewird lange vorher unbewohnbar sein, wenn ihre Ozeane ver-

dampft sind und sie ihrer Atmosphäre beraubt ist. Die Sonnebläht sich immer mehr auf, und in ihrem feurigen Umhangverschwinden Merkur, Venus und schließlich die Erde. UnserPlanet wird zu einem Stück Schlacke geschrumpft sein, das nochnach der Verbrennung beharrlich an seiner Umlaufbahn festhält.Die Dichte der rotglühenden Gase der Sonne wird so geringsein, daß die Verhältnisse denen eines Vakuums nahekommen

und die Bewegung der Erde nur geringfügig beeinflussen.Unsere bloße Existenz im Universum ist eine Folge der außer-

gewöhnlichen Stabilität von Sternen von der Art der Sonne, dieüber Milliarden Jahre mit geringen Veränderungen gleichmäßigihren Brennstoff verbrauchen, lange genug, um die Entstehungund das Aufblü hen von Leben zu ermöglichen. Doch wird es mitdieser Stabilität vorbei sein, sobald die Sonne ins Stadium eines

roten Riesen eingetreten ist. Die darauffolgenden Stadien imLeben eines Sterns von der Art der Sonne sind kompliziert,unvorhersagbar und gewalttätig, mit relativ plötzlichen Ände-

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rungen des Verhaltens und Erscheinungsbildes. AlterndeSterne können über Millionen Jahre pulsieren oder sich »häu-ten« und dabei Gasschalen abstoßen. Das Helium im Innereneines Sterns kann verbrennen, so daß Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff entstehen. Das stellt die unerläßliche Energiezur Verfügung. die den Stern noch eine Weile am Leben erhält.Es kommt vor. daß ein Stern, der seine äußere Umhüllung inden Weltraum abwirf t, anschließend nur noch aus seinem Koh-lenstoff-Sauerstoff-Kern besteht.

Nach dieser Periode komplizierter Aktivität erliegen Sternemit geringer und mittlerer Masse unausweichlich der Gravita-tion und schrumpfen. Dieser Prozeß läuft unerbittlich ab unddauert an, bis der Stern auf die Größe eines kleinen Planetenzusammengepreßt ist. Damit wird er zu einer Erscheinung, dieAstronomen als weißen Zwerg bezeichnen. Da weiße Zwergeso klein sind, leuchten sie äußerst schwach, obwohl ihre Ober-flächentemperatur weit höhere Werte als die der Sonne errei-chen kann. Keiner von ihnen ist von der Erde aus ohne Tele-

skop zu sehen.Unserer Sonne ist es vorherbestimmt, in ferner Zukunft ein

weißer Zwerg zu werden. Wenn sie diese Station auf ihrem Wegerreicht hat. wird sie noch viele Milliarden Jahre hindurch heißbleiben; ihre ungeheure Masse wird so sehr verdichtet sein, daßsie die Hitze in ihrem Inneren weit wirksamer bewahren kannals das beste bekannte Isoliermaterial. Doch weil der Atomofen

in ihrem Inneren endgültig stillgelegt wurde, wird es keineBrennstoffreserven mehr geben, die das allmähliche Hinaus-dringen von Wärmestrahlung in die kalten Tiefen des Welt-raums ausgleichen könnten. Ganz langsam wird sich das win-zige Überbleibsel der einstigen mächtigen Sonne abkühlen unddunkler werden, bis es seine letzte Verwandlung erlebt undsich allmählich zu einem Kristall von außergewöhnlicher Härte

verfestigt. Schließlich wird dieser Himmelskörper vollständigerlöschen und mit der Schwärze des Weltraums verschmelzen.

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Endlose Nacht senktsich herab

Die M i l chs t r a ß e s ch im m e r t m i t d e m L ich t v on hu nd e r t M i l l i a r -

den Sternen, von denen jeder einzelne dem Untergang geweihtist . In zehn M il li ar de n Jahren wird der größte Teil von dem, waswi r heute sehen, nicht mehr sichtbar sein, aus Brennstoff man-gel erloschen, dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik

zum Opfer gefallen.Gleichwohl wird weiterhin Sternenlicht die Milchstraße er-

f ü l l e n ,  denn  während  Sterne sterben,  werden  neue  geborenund treten an ihre Stelle. In den Spiralarmen einer Galaxie wie

 jener, der unsere Sonne angehört, werden Gaswolken verdich-tet, stürzen unter dem Einfluß der Gravitation in sich zusam-men, zerteilen sich und bringen eine Vielzahl von Sternenhervor. Ein Blick auf das Sternbild Orion zeigt, wie es in einer

solchen Sternen-Kinderstube zugeht. Der verschwommene

Lichtfleck in der Mitte des >Schwertes< ist kein Stern, sondernein Nebel - eine gewaltige Gaswolke voll heller junger Sterne.In diesem Nebel haben in jüngster Zeit Astronomen, die statt

des sichtbaren Lichts die Infrarotstrahlung beobachten, Sternein den ersten Stadien ihrer Entwicklung gesehen. Noch sind

diese Gestirne von Gas und Staub umgeben, die ihr Licht ver-d u n k e l n .

Solange es in den Spiralarmen unserer Galaxis genug Gas

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gibt, wird die Entstehung von Sternen sich dun fortsetzen. Der

Gasgehalt der Milchstraße geht zum einen Teil auf die Urzeitdes Universums zurück - Material, das sich noch nie zu Ster-

nen verdichtet hat: zum anderen Teil stammt er aus Sternen-winden. kleinen explosiven Ausbrüchen und anderen Prozes-

sen, oder Sterne haben das Gas bei der Entstehung von Super-

novae hinausgeschleudert. Es ist klar, daß die Wiederverwer-

tung von Materie nicht endlos weitergehen kann. Alte Sterne,

die sterben und sich bei ihrem Zusammenbruch in weiße

Zwerge, Neutronensterne oder Schwarze Löcher verwandeln,

können den Vorrat an interstellarem Gas nicht weiter auffül-

len. Im Laufe der Zeit wird irgendwann alle Urmaterie in Ster-nen aufgenommen und schließlich vollständig verbraucht

sein. Wenn diese spateren Sterne ihren Lebenszyklus beenden

und erlöschen, wird die Galaxis zwangsläufig immer dunkler.

Dieser Prozeß wird sich über einen langen Zeitraum erstrek-

ken, und es wird viele Milliarden Jahre dauern, bis die klein-

sten und jüngsten Sterne ihren atomaren Brennstoff ver-

braucht haben und zu weißen Zwergen einschrumpfen. Dochmit quälender Unausweichlichkeit wird die ewige Nacht sicher

allmählich hereinbrechen.

Ein ähnliches Geschick erwartet alle anderen Galaxien, diein den sich immer mehr ausdehnenden Weiten des Raumesverteilt sind. Irgendwann wird das gegenwärtig noch mit der

üppigen Energie der atomaren Kraft leuchtende Universum

diese wertvolle Brennstoffquelle verbraucht haben - dannwird die Zeit des Lichts auf immer dahin sein.

Doch bedeutet das Erlöschen der kosmischen Lichter nochnicht das Ende des Universums, denn es gibt eine Energie-

quelle, die noch mächtiger ist als Kernreaktionen. Die Gravita-tion, auf atomarer Ebene von allen Kräften der Natur dieschwächste, wird im astronomischen Maßstab allbeherr-

schend. So harmlos ihre Auswirkungen im Vergleich mit ande-ren scheinen mögen, so beharrlich ist diese Kraft. MilliardenJahre kämpfen Sterne gegen ihr eigenes Gewicht, indem sie

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atomares Material verbrennen. Doch unerbittlich wartet dieGravitation darauf, sie mit Beschlag zu belegen.

Die in einem Atomkern zwischen zwei Protonen herr-schende Gravitation beträgt lediglich ein zehn Millionstel Mil-lionstel Millionstel (10 -37) der starken Wechselwirkung, dochwirkt sie kumulierend, da jedes zusätzliche Proton in einemStern zum Gesamtgewicht beiträgt. Schließlich wird sie über-wältigend: und diese überwältigende Gravitation ist der Schlüs-sel zur Freisetzung ungeheurer Kräfte.

Nichts liefert einen deutlicheren Hinweis auf die Gewalt derGravitation als ein Schwarzes Loch. Hier hat die Schwerkraftendgültig triumphiert, indem sie einen Stern zu einem Nichtszerdrückt und in der umgebenden Kaumzeit eine Spur in Ge-stalt einer unendlichen Zeitverwerfung hinterlassen hat. ImZusammenhang mit Schwarzen Löchern gibt es ein faszinieren-des Gedankenexperiment. Man stelle sich vor, man werfe einenkleinen Körper - beispielsweise ein Hundertgrammgewicht -aus großer Entfernung in ein Schwarzes Loch. Es wird hineinfal-

len, unsichtbar werden und unauffindbar bleiben. Doch hinter-läßt es eine Spur seiner früheren Existenz in der Struktur desLoches, das, nachdem es das Gewicht geschluckt hat, ein weniggrößer wird. Eine Berechnung zeigt, daß das Loch, sofern manden Gegenstand aus großer Entfernung hineinwirft, eine Masseentsprechend der Menge der ursprünglichen Masse des Ge-wichts hinzugewinnt. Keine Energie oder Masse geht je ver-

loren.Jetzt stellen wir uns eine andere Versuchsanordnung vor, die

darin besteht, das Gewicht langsam ins Loch hinabzulassen.Man könnte das tun, indem man es an einen Faden bindet,diesen über eine Rolle auf eine Trommel führt und ihn sichallmählich abwickeln läßt (vgl. Abbildung 5.1).(Um die Dinge nicht unnötig zu komplizieren, tun wir einfach

so, als hätte der Faden weder ein Eigengewicht noch dehne ersich.) Während das Gewicht hinabgelassen wird, kann es Ener-gie liefern - beispielsweise, indem es einen mit der Trommel

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 Abbildung 6:  Bei diesem idealisierten Gedankenexperiment wird einGewicht mit Hilfe einer festen Rolle (im Bild nicht gezeigt) an einerSchnur langsam zur Oberfläche eines Schwarzen Lochs hinabgelassen.Dabei leistet das sinkende Gewicht Arbeit und liefert Energie an denKasten. Der Wert der zur Verfügung gestellten Energie nähert sich dergesamten Ruheenergie des Gewichts an. während dieses sich auf dieOberfläche des Schwarzen Lochs hinabsenkt.

verbundenen Stromerzeuger antreibt. Je mehr das Gewicht sichder Oberfläche des Schwarzen Lochs nähert, desto stärker zerrtdie Gravitation an ihm. Während die nach unten ziehende Kraftzunimmt, wirkt sich das Gewicht immer mehr auf den Genera-tor aus. Eine einfache Berechnung zeigt, wieviel Energie dasGewicht bis zum Erreichen der Oberfläche des Schwarzen

Lochs an den Generator abgegeben hat. Dieser Wert entsprichtim Idealfall ihrer gesamten Ruhemasse. (Die Erklärung zumBegriff >Ruhemasse< findet sich auf S. 57f.)

Man erinnere sich an Einsteins berühmte Formel E = mc2,derzufolge eine Masse m eine Energie vom Wert mc2 besitzt. Sieläßt sich im Prinzip mit Hilfe eines Schwarzen Lochs vollständigzurückgewinnen. Im Fall eines Hundertgrammgewichts bedeu-

tet >vollständig< rund eine Milliarde Kilowattstunden elektri-scher Leistung. Zum Vergleich: Wenn die Sonne durch Kernver-schmelzung hundert Gramm ihrer Materie verbrennt, liefert sie

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weniger als ein Prozent dieses Betrags. Grundsätzlich

könnte also die Freisetzung von Gravitationsenergie über hun-dertmal ergiebiger sein als die thermonukleare Verschmel-zung, aus der Sterne ihre Energie beziehen.

Selbstverständlich sind die beiden hier angenommenen Si-tuationen ganz und gar unrealistisch. Wohl fallen ständig Ob- jekte in Schwarze Löcher, doch laufen sie dabei nie in der für

die Energiegewinnung günstigsten Weise über eine Rolle. So

wird in der Praxis eine Energie abgegeben, deren Wert ir-

gendwo zwischen null und hundert Prozent des für die Ruhe-

masse zutreffenden  liegt und  jeweils von den physikalischen

Umständen abhängt. In den letzten Jahrzehnten haben Astro-

physiker eine große Zahl von Computersimulationen und ande-

ren mathematischen Modellen untersucht, um das Verhalten

von Gas zu verstehen, das in ein Schwarzes Loch gesogen wird,

und Menge und Erscheinungsform der dabei freigesetzten

Energie abzuschätzen. Die dabei ablaufenden physikalischenProzesse sind äußerst kompliziert; dennoch ist klar, daß dabei

ungeheure Mengen von Gravitationsenergie entstehen können.Da eine einzige Beobachtung mehr wert ist als tausend Be-

rechungen, haben sich Astronomen mit Nachdruck bemüht,Objekte aufzuspüren, bei denen es sich um Schwarze Löcherhandeln könnte, die im Begriff stehen, Materie zu schlucken.Zwar haben sie bisher keinen besonders überzeugenden Kan-didaten dafür gefunden, wohl aber im Sternbild des Schwans

ein äußerst vielversprechend aussehendes Sternensystem, dasunter dem Namen Cygnus X-l bekannt ist. Das optische Tele-skop zeigt einen großen heißen Stern von der Art derer, diewegen ihrer Farbe als blaue Riesen bekannt sind. Spektrosko-pische Untersuchungen weisen darauf hin, daß der blaueStern nicht allein ist; er bewegt sich rhythmisch hin und her,ein Hinweis darauf, daß die Gravitation eines in seiner Nähe

befindlichen Objekts ständig auf ihn einwirkt. Offensichtlichumkreisen dies Gestirn und ein anderer Körper einander ingeringer Entfernung. Mit Hilfe optischer Teleskope allerdings

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läßt sich keine Spur des Begleiters entdecken: Es muß sichdabei entweder um ein schwarzes Objekt oder einen sehrblassen, schwach leuchtenden kompakten Stern handeln. Dasläßt auf ein Schwarzes Loch schließen, ist aber keinesfalls einBeweis.

Einen weiteren Hinweis liefern uns Schätzungen der Massedes dunklen Körpers. Diese läßt sich aus Newtons Gesetzenherleiten, sobald uns die Masse des blauen Kiesen bekannt ist.Wegen der engen Beziehung zwischen der Farbe eines Sternsund seiner Masse kann man diese schätzen. Da blaue Sterneheiß sind, besitzen sie eine große Masse. Berechnungen zeigen,

daß die Masse des dem Auge nicht wahrnehmbaren Begleitob- jekts derjenigen mehrerer Sonnen entspricht. Da es sich ganzoffensichtlich nicht um einen gewöhnlichen kleinen und blas-sen, schwach leuchtenden Stern handelt, muß es ein zusam-mengebrochener Stern von großer Masse sein - entweder einweißer Zwerg, ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch.Doch gibt es grundlegende physikalische Erklärungen dafür,

warum es sich bei einem kompakten Objekt dieser Masse we-der um einen weißen Zwerg noch um einen Neutronensternhandeln kann. Das hat etwas mit dem intensiven Gravitations-feld zu tun. welches das Objekt zusammenzudrücken versucht.Ein vollständiger Zusammenbruch zu einem Schwarzen Lochläßt sich nur vermeiden, wenn eine Art Innendruck existiert,der hinreicht, um dem von außen kommenden Druck der

Gravitation Widerstand zu leisten. Entspricht aber die Masse deszusammengebrochenen Objekts dem mehrerer Sonnen, kannkeine bekannte Kraft dem zermalmenden Gewicht seines Mate-rials widerstehen. Wäre das Innere des Sterns fest genug, umdiesem Druck Widerstand zu leisten, müßte die Schallge-schwindigkeit innerhalb des Materials höher sein als die Licht-geschwindigkeit. Da das der speziellen Relativitätstheorie wi-

derspricht, sind die meisten Physiker und Astronomen über-zeugt, daß unter solchen Umständen die Entstehung einesSchwarzen Lochs unvermeidlich ist.

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Der endgültige Beweis, daß Cygnus X-l tatsächlich einSchwarzes Loch enthält, stammt aus einer gänzlich anderenBeobachtung. Die Bezeichnung X-l wurde dem System gege-hen, weil es sich dabei um eine starke Quelle von Röntgenstrah-len (im Englischen x-rays, also X-Strahlen) handelt, die sich mitHilfe von an Satelliten befindlichen Meßfühlern entdecken las-sen. Theoretische Modelle legen überzeugend Rechenschaft ahvon der Existenz dieser Röntgenstrahlen; sie basieren auf derAnnahme, daß es sich in Cygnus X-l bei dem dunklen Gefährtenum ein Schwarzes Loch handelt. So stark ist das Gravitationsfelddes Lochs den Berechnungen nach, daß es von dem blauenRiesenstern Materie absaugen kann. Während die entzogenenGase dem Loch - und damit dem endgültigen Verschwinden -entgegentreiben, müßte die Umlaufbewegung des Systems be-wirken, daß die hineinstürzende Materie um das Schwarze Lochherumwirbelt und dabei eine Scheibe bildet. Eine solcheScheibe kann keinesfalls vollständig stabil sein, weil die Umlauf-geschwindigkeit der Materie nahe der Mitte weit höher ist als

nahe dem Rand und weil Reibungskräfte versuchen werden,zwischen diesen unterschiedlichen Umdrehungsgeschwindig-keiten einen Ausgleich herbeizuführen. Folglich erwärmt sichdas Gas auf eine Temperatur, die so hoch ist, daß dabei nichtnur Licht, sondern auch Röntgenstrahlung ausgesendet wird.Der Verlust an Bewegungsenergie, zu dem es dabei kommt,bewirkt, daß das Gas allmählich spiralförmig in das Schwarze

Loch hineingleitet.Mithin stützt sich die Beweisführung für die Existenz eines

Schwarzen Lochs in Cygnus X-l auf eine ganze Reihe von Argu-menten, die sowohl beobachtete Einzelheiten als auch theore-tische Modelle einbeziehen. Das ist kennzeichnend für einenGroßteil der gegenwärtig durchgeführten astronomischen Un-tersuchungen; kein Einzelbeleg ist wahrhaft zwingend, aber

alles in allem legen die verschiedenen an Cygnus X-l und einerReihe ähnlicher Systeme vorgenommenen Untersuchungen dieExistenz eines Schwarzen Lochs sehr nahe. Auf jeden Fall ist die

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Erklärung, die mit dem Schwarzen Loch operiert, die saubersteund plausibelste.

Die Auswirkungen größerer Schwarzer Löcher lassen noch

spektakulärere Phänomene erwarten. Es darf inzwischen alswahrscheinlich gelten, daß viele Galaxien in ihrer MitteSchwarze Löcher von gewaltiger Masse enthalten. Einen Beweisdafür liefert die rasche Bewegung von Sternen in diesen Gala-xienzentren: sie streben erkennbar einem äußerst kompaktenObjekt mit großer Anziehungskraft zu. Die Masse dieser vermu-teten Objekte wird auf  einen Wert zwischen zehn M i l lionen undeiner Milliarde Sonnenmassen geschätzt: damit besäßen sieeinen ungeheuren Appetit auf alles, was an Materie in ihre Nähegerät. Sterne. Planeten. Gas und Staub fallen vermutlich allemiteinander diesen Ungeheuern zu m Opfer. In manchen Fällenmüßte das Hineinstürzen in diese Löcher so heftig verlaufen,daß der Prozeß die gesamte Struktur der Galaxie durcheinan-derbringt. Astronomen kennen viele Spielarten aktiver galakti-scher Kerne. Manche Galaxien erwecken den Anschein, alsexplodierten sie buchstäblich: viele sind mächtige Quellen vonRadiowellen, Röntgenstrahlen und anderen Energieformen.Am auffälligsten ist eine Klasse aktiver Galaxien. die ungeheureGasfontänen mit einer Länge von Tausenden oder gar Millionenvon Lichtjahren aus sich herausschleudern. Die Energieabgabeeiniger dieser Objekte ist unglaublich. Beispielsweise könnensehr weit entfernte Quasare - das Kunstwort  > q u a s a r <  bedeutet

»quasi-stellar object«, also »sternenähnliches Objekt« - die glei-che Menge an Energie freisetzen wie Tausende von Galaxien.Da das in einer Region von lediglich einem Lichtjahr Durchmes-ser geschieht, wirken sie, äußerlich gesehen, wie Sterne.

Viele Astronomen vermuten hinter all diesen nachhaltig be-einflußten Objekten gewaltige, in Rotation befindlicheSchwarze Löcher. die Materie aus ihrer Umgebung verschlin-

gen. Jeder Stern, der sich einem Schwarzen Loch nähert, läuftGefahr, durch dessen Gravitation zerrissen zu werden odermit anderen Sternen zusammenzustoßen und zu zerbrechen.

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Wie im Falle von Cygnus X-l. aber in weit größerem Maßstab,würde dann die verteilte Materie vermutlich eine Scheibeaus heißem Gas bilden, die das Loch umkreist und langsam

hineinsinkt. Die damit verbundene Freisetzung riesiger Men-gen von Gravitationsenergie kann entlang der Umdrehungs-achse des Loches geleitet werden, wobei zwei einander entge-gengerichtete Fontänen aufträten, wie es oft beobachtet wurde.

Vermutlich handelt es sich bei dieser Energiefreisetzung undder Entstehung der Fontänen um einen äußerst kompliziertenMechanismus, weil dabei neben der Gravitation, dem Elektro-

magnetismus und der Reibung auch andere Kräfte eine Rollespielen. Die ganze Frage bleibt weiterhin Gegenstand intensi-

ver und theoretischer und empirischer Forschungsarbeit. ImMai 1994 wurde berichtet, daß das Hubble-Teleskop eineschnell drehende Scheibe heißen Gases im Zentrum der Gala-xie M 8 7 aufgespürt habe. Diese Beobachtung legt das Vorhan-densein eines äußerst massestarken Schwarzen Loches sehr

nahe.Und wie verhält es sich mit unserer Milchstraße? Könnte auch

sie auf  diese  Weise  > a u s   dem  T a k t <   gebracht  werden?  Ihr Zen-

trum liegt dreißigtausend Lichtjahre von uns entfernt im Stern-bild des Schützen. Trotz großer Gas- und Staubwolken, welchedie inneren Regionen der Galaxie verdunkeln, ist es Astrono-men mit Hilfe von Messungen der Radio-, Röntgen-, Gamma-,

und Infrarotstrahlung gelungen, das Vorhandensein eines äu-ßerst kompakten Objekts von hohem Energiegehalt namensSagittarius A*  zu entdecken. Trotz seines Durchmessers vonlediglich einigen Milliarden Kilometern (nach astronomischenMaßstäben eine geringe Größe), ist es die mächtigste Radio-quelle in unserer Galaxis. Nicht nur deckt sich seine Lage mitder einer äußerst intensiven Quelle von Infrarotstrahlung, es

liegt außerdem in der Nähe eines ungewöhnliche Röntgen-strahlung aussendenden Objekts. Wenn der Sachverhalt auchkompliziert ist, hält man es für immer wahrscheinlicher, daßsich dort mindestens ein Schwarzes Loch von großer Masse

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befindet und für einen Teil der beobachteten Erscheinungen

verantwortlich ist. Allerdings dürfte die Masse dieses Locheshöchstens zehn Millionen Sonnenmassen betragen, für Objekte

dieser Art relativ wenig. Es gibt keine Hinweise auf die Artheftiger Aussendungen von Energie und Materie, wie man sie ineinigen anderen galaktischen Kernen beobachtet. Das aber

kann daran liegen, daß sich dies Schwarze Loch zur Zeit in einerRuhephase befindet. Zwar könnte es irgendwann in der Zukunfterneut aktiv werden - vielleicht, wenn es eine größere Gas-

menge aufnimmt -, doch dürften von ihm kaum so starkeEinflüsse ausgehen wie von vielen anderen bekannten Syste-

men. Aufweiche Weise sich ein solches erneutes Aktivwerden

auf Sterne und Planeten in den Spiralarmen der Galaxie auswir-

ken würde, ist unklar.

Ein Schwarzes Loch wird die Ruheenergie zum Untergangverurteilter Materie so lange freisetzen, wie es in seiner Nähe

Materie gibt, die es verschlingen kann. Im Laufe der Zeit ver-

schlingen Schwarze Löcher immer mehr davon, wodurch sie

immer größer und gieriger werden, so daß ein Loch mit großer

Masse schließlich sogar Sterne auf sehr fernen Umlaufbahnenanzieht. Der Grund dafür ist ein äußerst schwaches, doch letzt-lich entscheidendes Phänomen, das als Gravitationsstrahlungbekannt ist.

Schon bald, nachdem Einstein 1915 seine Allgemeine Relati-

vitätstheorie formuliert hatte, entdeckte er eine bemerkens-

werte Eigenschaft des Gravitationsfeldes. Bei näherer Betrach-tung der Feldgleichungen der Theorie fiel ihm auf, daß sie die

Existenz wellenartiger Gravitationsschwingungen voraussag-ten, die sich mit Lichtgeschwindigkeit durch den leeren Raumfortpflanzen. Diese Gravitationsstrahlung erinnert an die elek-tromagnetische Strahlung wie im Falle von Licht- und Funkwel-len. Doch obwohl sie viel Energie enthalten kann, unterschei-

det sie sich von elektromagnetischer Strahlung durch das Aus-maß ihres Einflusses auf die Materie. Während schon eineDrahtschleife eine Funkwelle absorbieren kann, ist die Wech-

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selwirkung einer Gravitationswelle so schwach, daß sie mitnahezu unverminderter Energie durch die Erde hindurchgeht.Könnte man einen Gravitationslaser herstellen, wäre ein Strahl

von einer Milliarde Kilowatt nötig, um einen Kessel Wasser mitdem gleichen Wirkungsgrad zum Sieden zu bringen, den einKilowatt elektrischer Leistung hat. Dieser vergleichsweise ge-ringe Energiegehalt der Gravitationsstrahlung läßt sich darauf zurückführen, daß die Gravitation die bei weitem schwächsteder bekannten Naturkräfte ist. Beispielsweise hat sie in einemAtom ein Verhältnis von etwa eins zu 10 - 4 0  zu elektrischen

Kräften. Sie fällt uns überhaupt nur auf. weil sich ihre Wirkungkumuliert, so daß sie bei großen Objekten, wie beispielsweisePlaneten, in den Vordergrund tri t t .

Nicht nur, daß sich Gravitationswellen äußerst schwach aus-wirken, auch bei ihrer Entstehung geht es ziemlich ruhig zu.Grundsätzlich wird Gravitationsstrahlung überall dort produ-ziert, wo Massen beeinflußt werden. Beispielsweise kommt es

beim Umlauf der Erde um die Sonne zu einer beständigenAbfolge von Gravitationswellen, deren Gesamtleistung sich al-lerdings auf lediglich ein Milliwatt beläuft. Zwar sorgt dieserEnergieverlust dafür, daß die Umlaufbahn der Erde enger wird,doch geschieht das mit geradezu grotesker Langsamkeit: derWert verändert sich pro Jahrzehnt um etwa ein Tausend-Bil-lionstel eines Zentimeters.

Bei astronomischen Körpern großer Masse, die sich nahezumit Lichtgeschwindigkeit bewegen, sieht die Sache allerdingsdeutlich anders aus. Zwei Erscheinungen führen vermutlich zubedeutenden Wirkungen der Gravitationsstrahlung: die mit ho-her Geschwindigkeit erfolgende Bewegung massiver Objekteauf Umlaufbahnen umeinander sowie plötzlich eintretende hef-tige Ereignisse - beispielsweise eine Supernova oder der Zu-sammenbruch eines Sterns, bei dem ein Schwarzes Loch ent-steht und kurzlebige Schwingungen von Gravitationsstrahlungausgesendet werden, die vielleicht wenige Mikrosekunden(millionstel Sekunden) andauern und gewöhnlich 1044 Joule an

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Energie ableiten. (Man vergleiche das mit der Wärmeleistungder Sonne von etwa 3 x 1026 Joule pro Sekunde) Bei der mithoher Geschwindigkeit erfolgenden Bewegung massiver Ob-

 jekte auf Umlaufbahnen umeinander erzeugt beispielsweise ein

Doppelstern, dessen Massenzentren dicht beieinander liegen,einen starken bestündigen Strom von Gravitationsstrahlung.Dieser Prozeß ist besonders ergiebig, wenn es sich bei deneinander umkreisenden Sternen um kollabierte Objekte wiebeispielsweise Neutronensterne oder Schwarze Löcher han-delt. Im Sternbild Adler umlaufen einander zwei Neutronen-sterne in einer Entfernung von nur wenigen Millionen Kilome-

tern. Wegen ihrer starken Gravitationsfelder dauert ein Umlauf  jeweils weniger als acht Stunden, so daß sich die Sterne miteinem beachtlichen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit bewe-gen. Diese ungewöhnlich hohe Geschwindigkeit verstärkt dieAussendung von Gravitationswellen erheblich und bewirkt, daßsich die Umlaufbahnenjahr fü r Jahr einander um einen meßba-ren Betrag annähern (die Veränderung der Umlaufzeit beträgt

in diesem Zeitraum etwa 75 Mikrosekunden). Während sich dieSterne spiralförmig aufeinander zu bewegen, nimmt die ausge-sendete Strahlungsmenge deutlich zu. Es ist das Schicksal derSterne, daß sie in dreihundert Millionen Jahren zusammensto-ßen.

Astronomen schätzen, daß es in einer Galaxie etwa einmalalle hunderttausend Jahre zur Verschmelzung eines Doppel-

sternsystems dieser Art kommt. So kompakt sind die Objekteund so intensiv ihre Gravitationsfelder, daß die Sterne in denletzten Augenblicken vor ihrem Zusammenprall einander Tau-sende von Malen pro Sekunde umlaufen, und die Frequenz derGravitationswelle wird mit einem kennzeichnenden schrillenLaut emporschnellen. Einsteins Formeln sagen voraus, daß dieAbgabe von Gravitationsleistung in dieser Endphase gewaltig

sein und die Umlaufbahn rasch zusammenbrechen wird. Diegegenseitige Gravitationsanziehung verzerrt die Gestalt derSterne so stark, daß sie im Zeitpunkt ihres Zusammenpralls wie

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gewaltige Zigarren aussehen, die sich mit rasender Geschwin-digkeit drehen. Die darauffolgende Verschmelzung wird eineunschöne Angelegenheit, denn beide Sterne schließen sich zueiner wild tobenden Masse zusammen, die reichlich Gravita-tionsstrahlung aussendet. Schließlich nimmt das Ganze unge-fähr Kugelgestalt an, wobei es sich aber weiterhin dreht undnach einem bestimmten Muster wie eine riesige Glocke hin undher schwingt. Diese Schwingungen erzeugen gleichfalls einegewisse Menge an Gravitationsstrahlung, die dem Objekt nochmehr Energie entzieht, bis es sich beruhigt und schließlichbewegungslos wird.

Obwohl der Energieverlust vergleichsweise langsam eintritt,dürfte die Aussendung von Gravitationsstrahlen, langfristig ge-sehen, eine tiefgreifende Wirkung auf die Struktur des Univer-sums haben. Daher ist es wichtig, daß die Wissenschaftler ver-suchen, ihre Theorien zur Gravitationsstrahlung durch Beob-achtungen zu verifizieren. Untersuchungen des Neutronen-Doppelstern-Systems im Sternbild Adler zeigen, daß sich die

Umlaufbahn genau um den in Einsteins Theorie vorausgesagtenBetrag verändert - ein unmittelbarer Beleg fü r die Aussendungvon Gravitationsstrahlung. Für einen endgültigen Nachweiswäre allerdings die Entdeckung solcher Strahlung in einemLabor auf der Erde erforderlich.

Viele Forschergruppen haben Anlagen gebaut, die den flüch-tigen Durchgang eines Ausbruchs von Gravitationswellen auf-

zeichnen sollten, doch war bisher keine davon empfindlichgenug, um solche Wellen zu entdecken. Wahrscheinlich müs-sen wir eine neue Generation von Meßinstrumenten abwarten,bis Gravitationsstrahlung endgültig nachweisbar wird.

Verschmelzen zwei Neutronensteme, ist das Ergebnis entwe-der ein größerer Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch.Dagegen resultiert aus der Verschmelzung zweier Schwarzer

Löcher oder eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Lochstets ein Schwarzes Loch. Dieser Vorgang. über den man nurspekulieren kann, ist mit einem Verlust an Gravitationswellen-

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Energie verbunden, ähnlich dem im Fall des Neutronen-Dop-pelsterns. Anschließend kommt es zu komplizierten Dreh- undWankbewegungen, die durch den Verlust an Gravitationswel-len-Energie allmählich gedämpft werden.

Es ist interessant, theoretisch die Grenzen der Gravitations-energie zu erforschen, die sich beim Zusammenschluß zweierSchwarzer Löcher gewinnen ließe. Die Theorie für diese Pro-zesse haben Anfang der siebziger Jahre Roger Penrose, StephenHawking. Brandon Carter. Remo Ruffini. Larry Smarr und an-dere entwickelt. Wenn die Löcher von identischer Masse sindund sich nicht drehen, können etwa neunundzwanzig Prozent

der gesamten Ruheenergie freigesetzt werden. Sofern man dieSchwarzen Löcher auf die eine oder andere Weise - beispiels-weise mit Hilfe irgendeines hochentwickelten technischen Ver-fahrens - behandelte, muß das keineswegs ausschließlich inGestalt von Gravitationsstrahlung geschehen. Wohl aller trätebei einem natürlichen Zusammenschluß der größte Teil dieserEnergie in jener äußerst unauffälligen Form auf. Würden sich

die Löcher mit der im Rahmen der physikalischen Gesetzehöchstmöglichen Geschwindigkeit (also annähernd mit Licht-geschwindigkeit) drehen, und verschmölzen sie im gegenläufi-gen Drehsinn entlang ihrer Rotationsachse, könnte die Hälfteder Massenenergie abgegeben werden.

Doch auch dieser beachtliche Anteil entspräche noch nichtdem theoretischen Höchstwert. Da ein Schwarzes Loch eine

elektrische Ladung besitzen kann, würde ein geladenes Schwar-zes Loch sowohl über ein elektrisches wie auch über ein Gra-vitationsfeld verfügen, und beide könnten Energie speichern.Bei der Begegnung eines positiv geladenen Schwarzen Lochsmit einem negativ geladenen käme es zu einer »Entladung«. beider elektromagnetische wie auch Gravitationsenergie freige-setzt würden.

Da die elektrische Ladung eines Schwarzen Lochs von gege-bener Masse lediglich einen bestimmten Höchstwert erreichenkann, gilt fü r diese Entladung ein Grenzwert. Der Wert fü r ein

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nichtrotierendes Loch wird durch folgende Überlegung fest-gelegt: Man stelle sich zwei identische Löcher mit der gleichenLadung vor. Ihre Gravitationsfelder bewirken eine Anziehungzwischen den Löchern, während die elektrischen Felder zu

einer Abstoßung führen (gleichnamige Ladungen stoßen einan-der ab). Erreicht das Ladung-Masse-Verhältnis einen kritischenWert, gleichen sich die beiden einander entgegengerichtetenKräfte genau aus, und es gibt keine resultierende Kraft zwischenden Schwarzen Löchern. Dieser Zustand kennzeichnet dieGrenze für die Menge an elektrischer I^adung, die ein Schwar-zes Loch enthalten kann. Man könnte sich nun fragen, was

geschähe, wenn man die Ladung eines Schwarzen Loches überdiesen Höchstwert hinaus zu steigern versuchte. Eine Möglich-keit wäre, ihm zwangsweise eine höhere Ladung zuzuführen.Damit nähme zwar die elektrische Ladung zu, aber die zur(Überwindung der elektrischen Abstoßung nötige Arbeit würdeEnergie verbrauchen, und die wird dem Loch geliefert. DaEnergie Masse besitzt (man denke an die Formel E = mc 2),

nimmt die Masse des Lochs zu, es wird also größer. Eine einfa-che Berechnung zeigt, daß die Masse bei diesem Prozeß stärkerzunimmt als die Ladung, also vermindert sich das Ladung-Masse-Verhältnis in Wirklichkeit. Der Versuch, die Grenze zuüberwinden, wäre also fehlgeschlagen.

Das elektrische Feld eines geladenen Schwarzen Loches trägtzu dessen Gesamtmasse bei. Im Fall eines Loches mit der

höchstmöglichen Ladung stellt das elektrische Feld die Hälfteder Masse dar. Wenn zwei nichtrotierende Löcher dem Betragnach die höchstmögliche Ladung haben, diese aber entgegen-gesetzte Vorzeichen aufweist, werden sie einander sowohldurch Gravitation als auch durch Elektromagnetismus anzie-hen. Bei ihrem Verschmelzen neutralisieren sich die elektri-schen Ladungen gegenseitig, und die elektrische Energie läßt

sich gewinnen. Theoretisch kann das die Hälfte der im Systementhaltenen gesamten Massenenergie ausmachen.Die absolute Obergrenze für die Energiegewinnung ist er-

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reicht, wenn sich beide Löcher drehen und jeweils den Höchst-

wert einander entgegengesetzter elektrischer Ladungen auf-weisen. In diesem Fall können bis zu zwei Drittel der gesamtenMassenenergie freigesetzt werden. Natürlich sind solche Werte

ausschließlich von theoretischem Interesse, weil es unwahr-scheinlich ist. daß ein Schwarzes Loch normalerweise eine

hohe elektrische Ladung aufweist. Außerdem dürften kaum jezwei solcher Löcher in der optimalen Weise miteinander ver-

schmelzen, es sei denn, eine fortschrittliche Technik könnte siekünftig dazu veranlassen. Doch würde wohl schon das Ver-schmelzen zweier Schwarzer Löcher mit geringem Wirkungs-

grad zu einer nahezu sofortigen Freisetzung einer Energie-menge führen, die einem beachtlichen Teil der gesamten Mas-

senenergie der betreffenden Objekte entspräche. Man verglei-

che das mit dem kläglichen Wert von einem Prozent der Mas-

senenergie, den Sterne im Verlauf ihres viele Milliarden Jahrewährenden Lebens durch Kernverschmelzung aussenden.

Die Bedeutung dieser Gravitationsprozesse liegt darin, daß

ein ausgebrannter Stern keineswegs stirbt, sondern die Mög-

lichkeit besitzt, als kollabiertes ausgebranntes Stück Schlackeweit mehr Energie freizusetzen als zuvor im Zustand einer

glühenden Gaskugel mittels der thermonuklearen Prozesse. Alsman das vor etwa zwanzig Jahren erkannte, stellte sich der

Physiker John Wheeler - er hatte den Begriff Schwarzes Lochgeprägt - eine hypothetische Zivilisation vor, deren immer

größerer Energiebedarf sie dazu veranlaßt, ihr Gestirn zu ver-lassen und sich um ein rotierendes Schwarzes Loch herumanzusiedeln. Tag für Tag würde diese Gemeinschaft ihre Abfall-produkte auf Lastwagen laden und auf einem genau berechne-ten Weg zu dem Loch bringen. In dessen Nähe würden dieFahrzeuge entladen und der Abfall in das Loch geworfen, womiter auf alle Zeiten entsorgt wäre. Das Material, das auf einem

spiralförmigen Weg entlang der Drehrichtung des Lochs hin-einfiele, würde dessen Umdrehung ein wenig abbremsen. Da-

durch würde die Umdrehungsenergie des Lochs freigesetzt,

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und die Angehörigen jener Zivilisation könnten sie dazu ver-wenden, ihre Industrie in Gang zu halten. Damit hätte dasVerfahren einen doppelten Nutzen, denn alle Abfalle ließen

sich auf diese Weise beseitigen und zugleich in reine Energieumwandeln! Das würde jene Zivilisation in den Stand setzen,

dem toten Stern je nach Bedarf weit mehr Energie zu entlocken,als er in seiner leuchtenden Phase allgestrahlt hatte.

Zwar gehört die Nut zb ar ma ch un g der Energie eines Schwar-zen Loches ins Reich des Zukunftsromans, doch landet viel

Materie auf natürliche Weise in Schwarzen Löchern - entwederals Teil eines Sterns, bei dessen Zusammenbruch das Lochent stan d, oder in Gestalt von Wel tr au mt rü mm er n, die bei einerzufälligen Begegnung geschluckt wurden. Immer wieder wol-

len Zuhörer meiner Vorlesungen über Schwarze Löcher wis-sen, was mi t Materie geschieht, die in diese gelangt. Die Antwortist kurz und bündig: Wir wissen es nicht, Unsere bisherigeErkenntnis von Schwarzen Löchern gründet sich nahezu aus-schließlich auf theoretische Erwägungen und mathematischeModelle. Definitionsgemäß haben wir keine Möglichkeit, dasInnere eines Schwarzen Lochs von außen in Augenschein zunehmen, das heißt, selbst wenn wir Zugang zu einem hätten(was nicht der Fall ist), würden wir nie erfahren, was darin vorsich geht. Dennoch gibt uns die Relativitätstheorie , die erstmalsdie Existenz Schwarzer Löcher vorausgesagt hat, die Möglich-keit , uns das Geschick eines Astronauten auszumalen, der in ein

solches Loch fiele. Nachstehend eine Zusammenfassung diesertheoretischen Schlußfolgerungen.

Die Oberfläche des Loches ist lediglich ein mathematischesKonstrukt - sie weist keine Membran auf, es gibt dort nichts alsleeren Raum. Einem Astronauten, der dort hineinfiele, würdenichts Besonderes auffallen. Allerdings hat die Oberfläche einegewisse physikalische Bedeutung von ziemlicher Tragweite. Im

Innern des Lochs ist die Gravitation so stark, daß sie das Lichteinfängt und Photonen, die es verlassen wollen, wieder hinein-zieht. Das bedeutet, daß Licht nicht hinausgelangen kann. Des-

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halb wirkt das Loch auch von außen gesehen schwarz. Da sichweder ein physikalischer Körper noch Information schnellerals mit Lichtgeschwindigkeit zu bewegen vermag, kann nichtsaus dem Schwarzen Loch hinaus, sobald die Grenze dorthineinmal überschritten ist. Was sich in seinem Inneren abspielt,bleibt Beobachtern von außen für alle Zeit verborgen. Ausdiesem Grund bezeichnet man die Oberfläche eines SchwarzenLoches als »Ereignishorizont« - denn sie trennt Ereignisse au-ßerhalb des Loches, die sich von ferne beobachten lassen, vonsolchen, die innerhalb des Loches stattfinden und sich derBeobachtung entziehen. Bei dieser Wirkung handelt es sich

 jedoch um ein >Einbahn<-Phänomen. Ein Astronaut, der sichinnerhalb des Ereignishorizontes befände, könnte nach wie vordas Universum draußen wahrnehmen, während ihn niemandvon außerhalb zu sehen vermöchte.

Je tiefer er in das Loch hineinfällt, desto stärker wird dasGravitationsfeld. Das führt unter anderem dazu, daß sein Kör-per verzerrt wird. Fiele der Astronaut mit den Füßen voraus in

das Loch, wären die Füße dem Zentrum des Loches, wo dieGravitation stärker ist, näher als der Kopf. Folglich würden dieFüße kräftiger nach unten gezogen als der Rest. Damit würdeder Körper eine Dehnung in Längsrichtung erfahren. Gleichzei-tig würden die Schultern auf ineinanderlaufenden Wegen zurMitte des Lochs gezogen, so daß der Astronaut von den Seitenher zusammengequetscht würde. Für dieses Dehnen und Quet-

schen findet man bisweilen die Bezeichnung »Spaghettibil-dung«.

Der Theorie zufolge, nimmt die Gravitation in der Mitte desSchwarzen Lochs unbegrenzt zu. Da sich das Gravitationsfeldals Krümmung oder Verwerfung der Raumzeit manifestiert,geht die stark zunehmende Gravitation mit einer Raumzeit-Verwerfung einher, die ebenfalls ohne bekannte Grenze zu-

nimmt. Mathematiker nennen das eine Raumzeit-Singularität.Damit ist eine Grenze oder ein Rand von Raum und Zeit ge-meint, über den hinaus sich die übliche Vorstellung der Raum-

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zeit nicht fortsetzen läßt. Nach Überzeugung vieler Physikerbedeutet die Singularität im Inneren eines Schwarzen Lochstatsächlich das Ende von Raum und Zeit und wird dorthin

gelangende Materie vollständig ausgelöscht. Wenn das stimmt,würden sogar die Atome, aus denen der Körper des Astronau-ten besteht, binnen einer Nanosekunde (in der Alltagsspracheeine Milliardstelsekunde) von »Ultra-Spaghettibildung« in derSingularität verschwinden.

Angenommen, das Schwarze Loch besitzt eine Masse vonzehn M illionen Sonnen - ähnlich dem Loch, das sich möglicher-

weise in der Mitte der Milchstraße befindet - und dreht sichnicht. In dem Fall würde das. was der Astronaut beim Fall vomEreignishorizont zu der ihn vernichtenden Singularität wahr-nimmt, etwa drei Minuten dauern. Diese letzten drei Minutendürften in höchstem Grade unbehaglich sein; in der Praxiswürde die Spaghettibildung den Unglückseligen längst vor Er-reichen der Singularität töten. In dieser Endphase wäre erkeinesfalls imstande, die tödliche Singularität zu sehen, da vonihr kein Licht entweichen kann. Wenn das Schwarze Loch, umdas es geht, lediglich einer einzigen Sonnenmasse entspricht,beträgt sein Halbmesser etwa drei Kilometer. In dem Fall würdeder Weg vom Ereignishorizont zur Singularität nur wenigeMikrosekunden dauern.

Obwohl im Bezugssystem des fallenden Astronauten die Zeitbis zur Zerstörung äußerst rasch vergehen würde, ist die Zeit-verwerfung so beschaffen, daß seine letzte Reise, aus der Femebetrachtet, wie in Zeitlupe wahrgenommen wird. Wenn er sichdem Ereignishorizont nähert, scheint sich der Ablauf der Ereig-nisse in der unmittelbaren Nachbarschaft für den fernen Beob-achter immer mehr zu verlangsamen. Es sieht ganz so aus, alsdauere es unendlich lange, bis der Astronaut den Ereignishori-zont erreicht. Er würde also in blitzschnellem Ablauf erleben,

was in fernen Bezirken des Universums einer Ewigkeit ent-spricht. In dieser Hinsicht ist ein Schwarzes Loch eine ArtTorweg zum Ende des Universums. eine kosmische Sackgasse.

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die den Ausgang ins Nirgendwo darstellt. Es ist eine kleine.Region des Raumes, die das Ende der Zeit enthält. Wer vollNeugier auf das Ende des Universums in ein Schwarzes Lochhineinspringt, kann das unmittelbar selbst erfahren.

Obwohl die Schwerkraft bei weitem die schwächste Natur-kraft ist, bestimmt ihre tückische und kumulierende Wirkungnicht nur das endgültige Geschick einzelner astronomischerObjekte, sondern auch des gesamte Universums. Die gleicheunerbittliche Anziehungskraft, die einen Stern zermalmt, wirktin weit größerem Maßstab auf das gesamte All ein. Was dabeiherauskommt, hängt entscheidend von der Gesamtmenge der

Materie ab, auf die eine solche Grav itat ionsanz iehu ng ausgeübtwird. Um diesen Wert festzustellen, müssen wir das Gewichtdes Universums ermitteln.

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Wieviel wiegt dasUniversum?

Häufig wird gesagt: Was aufsteigt, muß auch wieder herunter-kommen. Die Wirkung der Gravitation bremst den Flug einesdem Himmel entgegengeschleuderten Körpers und holt ihnzur Erde zurück. Allerdings gilt das nicht immer. Bewegt sichein Körper hinreichend schnell, kann er sich der Schwerkraftder Erde entziehen und auf Nimmerwiedersehen in den Welt-raum entschwinden. Trägerraketen, die Raumfahrzeuge in deninterplanetarischen Raum befördern, erreichen solch hohe Ge-schwindigkeiten.

Die >Fluchtgeschwindigkeit<, die erforderlich ist, um sichdem Schwerefeld der Erde zu entziehen, beträgt etwa elf Kilo-meter pro Sekunde (knapp 40000 Stundenkilometer) und

übertrifft damit die des Überschallflugzeugs  Concorde  ummehr als das Zwanzigfache. Dieser entscheidende Wert leitetsich von der Masse der Erde - das heißt der in ihr enthaltenenMaterie - und von ihrem Radius ab. Je kleiner ein Körper voneiner bestimmten Masse ist, desto größer ist die an seinerOberfläche herrschende Gravitation. Wer das Sonnensystemverlassen will, muß die Gravitation der Sonne überwinden; die

dazu erforderliche Fluchtgeschwindigkeit beträgt 618 Kilome-ter pro Sekunde. Auch wer die Milchstraße verlassen will, mußeine Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometern pro

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Sekunde erreichen. Am anderen Ende der Skala beträgt dieFluchtgeschwindigkeit von einem kompakten Objekt wieeinem Neutronenstern Zehntausende von Kilometern pro Se-kunde, und einem Schwarzen Loch läßt sich nur mit Lichtge-schwindigkeit (300 000 Kilometer pro Sekunde) entkommen.

Und wenn jemand das Universum verlassen möchte? Wieschon im zweiten Kapitel ausgeführt, scheint das All keineBegrenzung zu haben, der man entfliehen könnte. Tun wir abereinmal so, als besäße es eine solche Begrenzung und als lägediese am Rande des von uns beobachtbaren Raumes (etwafünfzehn Milliarden Lichtjahre entfernt), dann wäre die Flucht-

geschwindigkeit in etwa mit der Lichtgeschwindigkeit iden-tisch. Das ist sehr bezeichnend, denn die fernsten Galaxienscheinen sich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit von uns zurück-zuziehen. Auf den ersten Blick scheinen sie sich so rasch von-einander zu entfernen, als könnten sie dem Universum oderzumindest den anderen Sternen tatsächlich >entf liehen< und niewieder  >herunterkommen<.

In Wirklichkeit ähnelt das Verhalten des sich ausdehnendenUniversums dem eines von der Erde abgefeuerten Körpers,auch wenn es keine genau definierte Grenze gibt. Ist die Aus-dehnungsgeschwindigkeit groß genug, werden die sich zurück-ziehenden Galaxien der gesamten Gravitation aller anderenMaterie im Universum entfliehen, und die Ausdehnung wird füralle Zeiten fortdauern. Liegt andererseits diese Geschwindig-

keit zu niedrig, hört die Ausdehnung irgendwann auf und dasUniversum wird beginnen, sich zusammenzuziehen. Dann wer-den die Galaxien wieder >herunterkommen<, und die letztekosmische Katastrophe wird eintreten, während das Universumin sich zusammenstürzt.

Welches der beiden Ereignisse wird eintreten? Die Antworthängt vom Vergleich zweier Zahlen ab. Auf der einen Seite

haben wir die Ausdehnungsgeschwindigkeit; auf den anderendie gesamte Gravitationskraft des Universums - mit anderenWorten, sein Gewicht. Je größer die Anziehungskraft ist, desto

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rascher muß sich das Universum ausdehnen, um sie zu über-winden. Astronomen können die Geschwindigkeit der Ausdeh-nung durch Beobachtung der Rotverschiebung unmittelbarmessen; doch ist man sich über die Antwort noch nicht ganz

einig. Die zweite Größe - das Gewicht des Universums - istnoch problematischer.

Wie wiegt man das Universum? Das scheint eine entmuti-gende Aufgabe zu sein. Ganz offensichtlich können wir sie nichtunmitte lbar lösen, Dennoch sind wir möglicherweise imstande,das Gewicht mit Hilfe der Gravitationstheorie abzuleiten. Eineuntere Grenze läßt sich ohne weiteres ermitteln. Man kann dasGewicht der Sonne ermitteln, indem man die Kraft ihrer Gra-vitationsanziehung auf die Planeten mißt. Da wir wissen, daß dieMilchstraße ungefähr hundert Milliarden Sterne von jeweilsdurchschnittlich etwa einer Sonnenmasse enthält, besitzen wireinen grollen unteren Grenzwert für die Masse der Galaxis,letzt müssen wir feststellen, wie viele Galaxien es im Weltallgibt. Um sie einzeln zu addieren, ist ihre Zahl zu groß, aber zehn

Milliarden dürfte ein einigermaßen zutreffender Schätzwertsein. Das entspricht 1021  Sonnenmassen oder alles in allem etwa1048 Tonnen. Wenn wir den Halbmesser dieser Galaxienmengemit fünfzehn Milliarden Lichtjahren ansetzen, können wir einenMindestwert für die Fluchtgeschwindigkeit aus dem Universumberechnen. In diesem Fall hieße die Lösung: etwa ein Prozentder Lichtgeschwindigkeit. Wir können nun schließen, daß das

Universum, sofern sein Gewicht ausschließlich auf die Sternezurückginge, imstande wäre, der Anziehung seiner eigenenGravitation zu entfliehen und sich unendlich auszudehnen.

Tatsächlich halten viele Naturwissenschaftler das für diewahrscheinliche Entwicklung. Aber nicht alle Astronomen undKosmologen sind überzeugt, daß diese Berechnung richtig ist.Wir nehmen nicht die Gesamtheit der Materie wahr, denn nicht

alle Objekte im Universum leuchten. Dunkle Körper, wie bei-spielsweise schwach leuchtende Sterne, Planeten und SchwarzeLocher, entziehen sich unserer Aufmerksamkeit weitgehend.

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Außerdem enthält das Universum viel Staub und Gas. das zumgroßen Teil unauffällig ist. Hinzu kommt, daß die Räume zwi-schen den Galaxien zweifellos nicht gänzlich materiefrei sind;

möglicherweise gibt es dort große Mengen von nicht verdichte-tem Gas.Eine noch interessantere Möglichkeit hat Astronomen über

mehrere Jahre fasziniert. Der Urknall, mit dem das Universumentstand, war die Quelle aller Materie, die wir sehen, aber aucheines großen Teils von Materie, die für uns unsichtbar ist. Fallsdas Universum als äußerst heiße Suppe aus Riementarteilchenbegann, müßten neben den uns bekannten Elektronen, Proto-nen und Neutronen, aus denen die Materie gewöhnlich besteht,auch allerlei andere Teilchen, wie Teilchenphysiker sie in jün-gerer Zeit im Labor identifiziert haben, in üppiger Fülle entstan-den sein. Zwar dürften die meisten, da äußerst instabil, baldzerfallen sein, doch könnten manche noch als Überbleibsel derEntstehung des Kosmos bis in die Gegenwart hinein existieren.

Unter diesen Resten, denen unser Interesse gilt, stehen an

erster Stelle die Neutrinos, jene Phantom-Teilchen, deren Akti-vität sich in Supernovae äußert (vgl. viertes Kapitel). Soweit wirwissen, kann ein Neutrino zu nichts anderem zerfallen. (Tat-sächlich gibt es drei unterschiedliche Alten von Neutrinos, diesich möglicherweise ineinander umwandeln können, doch seiauf diese Komplikation nicht weiter eingegangen.) Wir nehmenalso an, das All schwimme in einem Meer vom Urknall übrigge-

bliebener kosmischer Neutrinos. Vorausgesetzt, die Energiedes Ur-Universums wurde zu gleichen Teilen zwischen allenArten von Elementarteilchen aufgeteilt, dann läßt sich berech-nen, wie viele Neutrinos es im All geben müßte. Es ergibt sichetwa eine Million Neutrinos pro Kubikmeter Weltraum - oderrund eine Milliarde Neutrinos für jedes Teilchen gewöhnlicherMaterie.

Diese bemerkenswerte Schlußfolgerung fasziniert mich im-mer wieder. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt gibt es in unseremKörper etwa hundert Milliarden Neutrinos, nahezu eins wie das

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andere Überreste des Urknalls, die man seit der ersten Millise-kunde der Existenz mehr oder weniger in Frieden gelassen hat.Weil sich Neutrinos mit oder nahe der Lichtgeschwindigkeit

bewegen, sausen sie so rasch durch uns hindurch, daß uns in jeder Sekunde hundert M illiarden Milliarden davon durchdrin-gen! Dieser unaufhör l i che Angr i f f f inde t vö l l ig unbemerk t von

uns statt , denn die Wechselwirkung von Neut ri nos mit gewöhnli-cher Materie ist so schwach, daß die Wahrscheinlichkeit, daßauch n ur eines von ihnen im Verlauf unseres Lebens in unseremKörper aufgehalten wird, verschwindend gering ist. Dennoch

könnte die Existenz so vieler in den scheinbar leeren Weiten desUniversums verteilter Neutrinos einen tiefgreifenden Einflußauf sein endgültiges Schicksal haben.

Trotz ihrer äußerst schwachen Wechselwirkung üben N eu tr i-nos, ganz wie alle anderen Teilchen, eine Schwerkraft aus. Auchwenn sie nicht oft andere Materie in erkennbarerweise he rum -zerren, könnten die mit telb aren Auswirkungen ihrer Gravitationinsofern entscheidend sein, als sie einen Beitrag zum Gesamtge-wicht des Unive rsums leisten, l "m dessen Ausmaß zu bestimmen,müssen wir die Masse der Neutrinos ermitteln.

Wo es um Schwerkraft geht, zähl t statt der Ruhemasse eher dietatsächliche Masse. Da sich Neutr inos nahezu mit Lichtgeschwin-digkeit bewegen, besitzen sie trotz ihrer winzigen Ruhemassemöglicherweise eine bedeutende Masse (vgl. S. 58). So ist ohneweiteres möglich, daß ihre Ruhemasse den Wert Null hat und siesich exakt mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. In diesem Fallließe sich ihre tatsächliche Masse über ihre Energie bestimmen,die man für die vom Urknall herrührenden Neutrinos im All ausder ihnen damals mitgeteilten Energie herleiten kann. Dieseursprüngliche Energie muß mit einem Faktor korrigiert werden,welcher der dämpfenden Wirkung Rechnung trägt, die von derAusdehnung des Universums ausgeübt wird. Nunmehr zeigt

sich, daß Neutrinos mit einer Ruhemasse Null keinen beträchtli-chen Beitrag zum Gesamtgewicht des Universums leisten.

Andererseits dürfen wir weder sicher sein, daß ein Neutrino

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die Ruhemasse Null besitz:, noch daß bei allen drei Arten vonNeutrinos die Ruhemasse den gleichen Wert aufweist. Soweitwir zur Zeit Neutrinos theoretisch verstehen, ist eine endlicheRuhemasse nicht ausgeschlossen. Mithin bleibt es einem Expe-riment überlassen zu bestimmen, wie sich die Sache verhält.Wie im vierten Kapitel erwähnt, wissen wir, daß die Ruhemassevon Neutrinos - wenn sie denn eine besitzen - zweifellosäußerst gering ist: weit geringer als die aller anderen bekanntenTeilchen. Doch weil es im Universum so viele davon gibt,konnte schon eine winzige Ruhemasse bei der Ermittlung desGesamtgewichts des Universums einen entscheidenden Unter-

schied machen. Es handelt sich dabei um eine äußerst subtileAngelegenheit. Beträge die Ruhemasse nur ein Zehntausendstelder Masse eines Elektrons (das leichteste uns bekannte Teil-chen), würde das schon fü r eine dramatische Auswirkung genü-gen:  In  diesem  Kali  wäre  das Gesamtgewicht  der  Neutrinoshöher als das aller Sterne.

Eine so winzige Ruhemasse läßt sich außerordentlich schwer

aufspüren, und Experimente haben bisher zu verwirrendenund widersprüchlichen Ergebnissen geführt. Sonderbarer-weise lieferte die Entdeckung von Neutrinos bei der Supernova1987A einen wichtigen Hinweis. Wie schon gesagt, müssen sichalle Neutrinos, sofern ihre Ruhemasse Null beträgt, mit genaudergleichen Geschwindigkeit bewegen, nämlich der des Lichts.Besitzt ein Neutrino auf der anderen Seite Ruhemasse, die zwar

gering, aber nicht gleich Null ist, sind verschiedene Geschwin-digkeiten möglich. Da Neutrinos aus einer Supernova einenhohen Energiegehalt haben dürften, bewegen sie sich selbstdann sehr nahe der Lichtgeschwindigkeit, wenn ihre Ruhe-masse den Wert Null übersteigt. Doch da sie schon so langedurch den Raum gereist sind, könnten winzige Abweichungenin ihrer Geschwindigkeit bei ihrem Eintreffen auf der Erdeeinen meßbaren Wert annehmen. Erforscht man das Ausmaß, indem die von der Supernova 1987A stammenden Neutrinos überdie Zeit verteilt waren, kann man einen oberen Grenzwert für

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ihre Ruhemasse mit etwa einem Dreißigtausendstel der Masseeines Elektrons festlegen.

Leider wird die Sache dadurch kompliziert, daß mehr als eineArt Neutrino bekannt ist. Die meisten Bestimmungen der Ruhe-masse beziehen sich auf das ursprünglich von Pauli postulierteNeutrino; doch hat man seit dessen Entdeckung eine zweite ArtNeutrino gefunden und auf die Existens einer dritten Art ge-schlossen. Alle drei Arten müßten beim Urknall in großerMenge entstanden sein. Für die Masse der beiden anderenNeutrino-Arten unmittelbar Grenzwerte festzusetzen, ist über-aus schwierig. Bisherige Experimente zeigen, daß die Band-breite möglicherweise äußerst groß ist, doch vertreten Theore-tiker zur Zeit die Ansicht, daß Neutrinos in der im Universumenthaltenen Masse wahrscheinlich nicht dominieren. DieseMeinung könnte sich im Lichte neuer experimentell gewonne-ner Bestimmungen von Neutrino-Massen bald in ihr Gegenteilverkehren.

Auch sind Neutrinos nicht die einzigen Reste aus dem Univer-

sum, die man berücksichtigen muß, wenn es darum geht, des-sen Gewicht zu ermitteln. Beim Urknall könnten auch anderestabile Teilchen mit schwacher Wechselwirkung entstandensein, und es ist gut möglich, daß sie eine verhältnismäßig großeMasse besitzen. (Wird die Ruhemasse von Teilchen zu groß,wird deren Erzeugung im Vergleich zu anderen Teilchen vongeringerer Masse unterdrückt, weil zu ihrer Herstellung mehr

Energie erforderlich ist.) Man verwendet für sie nach demenglischen Ausdruck »weakly interacting massive particles«(massehaltige Teilchen mit schwacher Wechselwirkung) denSammelbegriff WIMPs. Theoretiker haben eine ziemlich langeListe hypothetischer WIMPs mit befremdlich anmutenden Na-men wie Gravitinos, Higgsinos und Photinos zusammengestellt.Niemand weiß, ob es sie wirklich gibt, doch sollte das der Fall

sein, müßte man sie einbeziehen, wenn es das Gewicht desUniversums zu ermitteln gilt.

Bemerkenswerterweise kann man von der Art und Weise, wie

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WIMPs vermutlich mit gewöhnlicher Materie in Wechselwir-kung treten, unmittelbar auf ihre Existenz schließen. Obwohlman diese Wechselwirkung als sehr schwach annimmt, vermö-gen die WIMPs wegen ihrer beträchtlichen Masse eine ziemlichstarke Wirkung auszuüben. Man plant Experimente in einemSalzbergwerk im Nordosten Englands und unter einem Stau-damm nahe San Francisco, um streunende WIMPs einzufangen.Vorausgesetzt, daß das Universum von WIMPs nur so wimmelt,dann müßte ständig eine ungeheure Anzahl von ihnen durchuns (und die Erde) hindurchgehen. Man stelle sich nur vor,welches Geräusch ein WIMP auslöste, wenn es im Experiment

auf einen Atomkern krachte!Die Meßeinrichtung besteht aus einem Germanium- oder

Silizium-Kristall, den ein Kühlsystem umgibt. Trifft in dem Kri-

stall ein WIMP auf einen Atomkern, weicht dieser unter demAnprall zurück. Dieser plötzliche Stoß erzeugt im Gitter desKristalls eine winzige Schallwelle oder Schwingung. Währendsie sich ausbreitet, wird sie gedämpft und in Wärmeenergie

umgewandelt. Ziel des beschriebenen Experiments ist es, denwinzigen Wärmestoß zu entdecken, der von der allmählichdahinschwindenden Schallwelle ausgeht. Da der Kristall auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühltwird, reagiert die Meßeinrichtung auf einen noch st) kleinenBetrag auftretender Wärmeenergie äußerst empfindlich.

Theoretiker vermuten, daß Galaxien eingetaucht sind in

klumpenähnliche Schwärme von WIMPs, die sich ziemlich lang-sam bewegen und deren Massen jeden beliebigen Wert zwi-schen einer und tausend Protonenmassen aufweisen können,während ihre Geschwindigkeit bei einigen tausend Kilometernpro Sekunde liegen kann. Bei seinem Umlauf in der Galaxiszieht unser Sonnensystem durch dieses unsichtbare Meer, und

 jedes Kilogramm Materie auf der Erde könnte pro Tag bis zu

tausend WIMPs verstreuen. Angesichts dieser hohen Zahlmüßte es möglich sein, WIMPs unmittelbar nachzuweisen.Noch während die Jagd nach den WIMPs weitergeht, beschäf-

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tigen sich Astronomen mit dem Problem, das All zu wägen. Auchwenn wir einen Körper nicht zu sehen (oder zu hören) vermö-gen. können die Auswirkungen seiner Anziehungskraft nocherkennbar sein. Beispielsweise geht die Entdeckung des Plane-ten Neptun darauf zurück. daß den Astronomen auffiel, wie dieGravitation eines unbekannten Körpers die Umlaufbahn desUranus beeinflußte. Auch der schwach leuchtende weiße Rie-senstern Sirius B, der den hellen Sirius umlä uft, wurde auf dieseWeise entdeckt. So können Astronomen, indem sie die Bewe-gung sichtbarer Objekte verfolgen, ein Mild unsichtbarer Mate-rie schaffen. (Ich habe bereits erklärt, wie man mit Hilfe dieses

Verfahrens auf den Gedanken gekommen ist. es gebe vielleichtin Cygnus X-l ein Schwarzes Loch.)

Während der vergangenen zehn oder zwanzig Jahre hat mansorgfältig untersucht, aufweiche Weise sich die Sterne in unse-rer Galaxis bewegen. Der Zeitrahmen ihres Umlaufs um dieMitte der Milchstraße beträgt im Normalfall mehr als zweihun-dert Millionen Jahre. Die Galaxis hat etwa die Gestalt einer

Scheibe, nahe deren Mitte ein großer Sternenklumpen liegt.M i th i n  gibt  es  eine große Ähnlichkeit  zum Sonnensystem, woPlaneten die Sonne umkreisen. Dort allerdings laufen die inne-ren Planeten wie Merkur und Venus schneller als die äußerenwie Uranus und Neptun. weil die Sonne eine stärkere Anzie-hungskraft auf sie ausübt. Man könnte annehmen, daß dieseKegel auch für die Galaxis gilt: Die Sterne nahe dem äußeren

Rand der Scheibe müßten sich weit langsamer bewegen als jenenahe der Mitte.

Die Beobachtungen sprechen allerdings dagegen. Sterne be-wegen sich mit nahezu der gleichen Geschwindigkeit über dieganze Scheibe hinweg. Die Erklärung muß sein, daß sich dieMasse der Galaxis nicht nahe der Mitte konzentriert, sondernmehr oder weniger gleichmäßig verteilt ist. Die Tatsache, daß

sie so  aussieht   als sei sie nahe der Mitte konzentriert, läßt darauf schließen, daß ihre leuchtende Materie nur ein Teil der Ge-schichte ist. Offenkundig gibt es eine Fülle dunkler oder un-

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sichtbarer Materie, die sich großenteils in den äußeren Regio-nen der Scheibe befindet und die Sterne dort beschleunigt.Dabei könnte es sich sogar um große Mengen dunkler Materie

 jenseits des sichtbaren Randes und außerhalb der Ebene der

leuchtenden Scheibe handeln, welche die Milchstraße in einenweit in den intergalaktischen Raum reichenden, unsichtbaren,massenreichen Ring hüllt. Ein ähnliches Bewegungsmuster läßtsich in anderen Galaxien beobachten. Messungen zeigen, daßderen sichtbare Regionen im allgemeinen mehr als zehnmalsoviel Masse besitzen, als man aufgrund ihrer Helligkeit (imVergleich mit der Sonne) annehmen könnte. Dies Verhältnis

steigt in den äußersten Regionen bis auf das Fünftausendfachean.

Die gleiche Schlußfolgerung ergibt sich aus der Untersu-chung der Bewegung von Galaxien innerhalb galaktischer Hau-fen. Offensichtlich kann eine Galaxie der Anziehungskraft desHaufens entfliehen, sofern sie sich schnell genug bewegt. Vor-ausgesetzt, alle Galaxien im Haufen bewegen sich mit dieser

Geschwindigkeit, löst er sich bald auf. Einen aus mehrerenhundert Galaxien bestehenden typischen Haufen, der sich imSternbild Coma Berenices befindet, hat man gründlich unter-sucht. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Coma-Galaxien istviel zu hoch, als daß der Haufen zusammenhalten könnte, es seidenn, es gäbe eine mindestens dreihundertmal so große Massewie die, aufweiche die leuchtende Materie schließen läßt. Da es

lediglich rund eine Milliarde Jahre dauert, bis eine typischeGalaxie den Coma-Haufen durchquert hat, hatte er reichlichZeit, sich aufzulösen. Doch genau das ist nicht geschehen, unddie Struktur des Coma-Haufens weist durchaus darauf hin, daßer durch Gravitation zusammengehalten wird. Dunkle Materiein irgendeiner Gestalt scheint sich in größeren Mengen dort zubefinden und die Bewegung der Galaxien zu beeinflussen.

Einen weiteren Hinweis auf unsichtbare Materie gewinnenwir bei der Untersuchung der in großem Maßstab gebautenStruktur des Universums. Damit ist die Art und Weise des Zu-

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sammenhalts von Galaxienhaufen und -superhaufen gemeint.Wie im dritten Kapitel erläutert, sind Galaxien um gewaltigeLeerräume herum wie große Laken oder fadenförmig angeord-net, so daß man an Schaumgebilde denken muß. Eine solcheschaumige Struktur hätte in der seit dem Urknall verfügbarenZeit keinesfalls ohne die zusätzliche Anziehungskraft nicht-leuchtender Materie entstehen können. Computersimulationenbis zu der Zeit, in der ich dieses (Such schrieb, waren jedochnicht imstande, die beobachtete Schaumstruktur mit Hilfeirgendeiner einfachen Torrn dunkler Materie zu reproduzieren,und es ist möglich, daß dafür ein ganz kompliziertes Gemisch

nötig ist.Seit neuestem konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Wis-

senschaft auf exotische Elementarteilchen, in denen man Kandi-daten für dunkle Materie sieht, doch könnte sie auch in her-kömmlicheren formen wie beispielsweise in Massen von Plane-tengröße oder schwach leuchtenden Sternen existieren. GanzeSchwärme dieser dunklen Objekte könnten um uns herum

durch den Raum ziehen, ohne daß wir etwas davon ahnten.Kü rzlich haben Astronomen ein Verfahren entdeckt, mit dessenHilfe unter Umständen ein Nachweis für die Existenz dunklerKörper möglich wäre, die nicht über die Gravitation in Bezie-hung zu sichtbaren Objekten stehen. Das Verfahren, bei demman sich ein Ergebnis von Einsteins Allgemeiner Relativitäts-theorie zunutze macht, wird als Gravitationslinse bezeichnet.

Dabei stützt man sich auf das Phänomen, daß die SchwerkraftLichtstrahlen ablenken kann. Einstein hat vorausgesagt, daß derLichtstrahl eines Sterns, der in der Nähe der Sonne vorüber-geht, leicht gekrümmt wirkt, wodurch die offensichtliche Lagedes Sterns am Himmel verschoben erscheint. Indem man die

 jeweilige Stellung des Sterns in Sonnennähe und Sonnenfernevergleicht, läßt sich die Voraussage überprüfen. Als erster hat

das der britische Astronom Sir Arthur Eddington 1919 getanund Einsteins Theorie in brillanter Weise bestätigt.

Auch Linsen krümmen Lichtstrahlen und sind somit im-

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 Abbildung  7: Eine Gravitationslinse. Die Schwerkraft des massereichenKörpers (Kre is) lenkt die von der fernen Quelle S kommenden Lichtstrah-len ah. In einem günstigen Fall entstünde dabei ein Brennpunkt. Ein darinbefindlicher Beobachter nähme um den Körper herum einen Lichtkreiswahr.

stände, Licht in einem Punkt zu sammeln, um ein Bild entstellen

zu lassen. Sofern ein massereicher Körper hinre ich end symme-trisch ist, kann er eine Linse nachahmen und Licht aus einerfernen Quelle in einem Punkt sammeln. Abbildung 6.1 zeigt,wie das vor sich geht. Licht aus einer Quelle S fallt auf einenkugelförmigen Körper, dessen Schwerkraft es um sich herumkr ümm t und damit auf einen Brennpunkt auf der anderen Seitelenkt. Der Krümmungseffekt ist bei den meisten Objekten win-

zig, doch über astronomische Entfernungen hinweg ergibt sichschon aus einer leichten Krümmung des Lichtpfades zu guterLetzt ein Brennpunkt. Tritt der Körper zwischen die Erde unddie ferne Quelle S, erscheint ein deutlich helleres Abbild von S.In Ausnahmefällen, in denen die Sichtlinie genau richtig ver-läuft, bildet es einen hellen Lichtkreis, der als Einsteinringbekannt ist. Bei Körpern von komplizierterer Gestalt würde

diese Art Linse wohl statt eines einzelnen fokussierten BildesMehrfachbilder erzeugen. Astronomen haben im kosmologi-schen Maßstab eine ganze Anzahl von Gravitationslinsen ent-deckt: Galaxien, die in nahezu vollkommener Ausrichtung zwi-schen der Erde und fernen Quasaren liegen, erzeugen Mehr-fachbilder dieser Quasare und in einigen Fällen Bogen undvollständige Ringe von Quasarlicht.

Bei ihrer Suche nach dunklen Planeten und schwach leuch-tenden Zwergsternen achten Astronomen auch auf verräteri-sche Anzeichen von Linseneffekten, zu denen es käme, wenn

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ein solcher Körper unmittelbar zwischen die Erde und einenStern geriete. Die Helligkeit des von diesem Stern geliefertenAbbildes würde in kennzeichnender Weise zu- und abnehmen,während der dunkle Körper die Sichtlinie kreuzt. Obwohl er

seihst unsichtbar bliebe, könnte man aus der Linsenwirkung auf seine Anwesenheit schließen. Manche Astronomen nutzen diesVerfahren für die Suche nach dunklen Objekten im Halo derMilchstraße. Obwohl die Wahrscheinlichkeit einer genauenAusrichtung mit einem fernen Stern unglaublich gering ist,mü ßte man eine Gravitationslinse beobachten können, wenn esdort draußen genug dunkle Objekte gäbe. Ende 1993 hat eine

australisch-amerikanische Arbeitsgruppe, die vom Observato-rium auf dem Mount Stromlo in Neu-Südwales aus Sterne in derGroßen Magellanschen Wolke beobachtete, über etwas berich-tet, was allem Anschein nach das erste eindeutige Heispiel füreine Gravitationslinse ist, die ein Zwergstern im Halo unsererGalaxis erzeugt hat.

Auch Schwarze Löcher können als Gravitationslinsen dienen,

und man hat mit Hilfe extragalaktischer Radioquellen nachihnen gesucht (Radiowellen werden auf die gleiche Weise ge-brochen wie Lichtwellen). Bisher hat man nur wenige aussichts-reiche Kandidaten entdeckt, was zu der Annahme geführt hat,daß stellare oder aus galaktischer Masse gebildete SchwarzeLöcher kaum für einen Großteil der dunklen Materie verant-wortlich sein können.

Allerdings würde eine Untersuchung solcher Gravitationslin-sen nicht alle Schwarzen Löcher sichtbar machen. Es ist mög-lich, daß die kurz nach dem Urknall herrschenden extremenBedingungen die Bildung mikroskopisch kleiner SchwarzerLöcher begünstigt haben, die unter Umständen nicht größersind als ein Atomkern. Die Masse solcher Objekte würde dereines Asteroiden entsprechen. Ein großer Teil dieser Masse

ließe sich damit sehr wirksam verbergen und über das ganzeUniversum verteilen. Überraschenderweise ist es möglich, so-gar diese sonderbaren Objekte durch Beobachtung zu erfassen.

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Das hat mit dem Hawking-Effekt zu tun. der im siebten Kapitelausführlich erläutert wird. Es ist. kurz gesagt, wahrscheinlich,daß mikroskopisch kleine Schwarze Löcher in einem Schauerelektrisch geladener Teilchen explodieren. Zu dieser Explo-

sion kommt es nach einer bestimmten Zeit, die von der Größedes Lochs abhängig ist: Je kleiner das Schwarze Loch ist. destofrüher explodiert es. Eines mit der Masse eines Asteroidenexplodiert zehn Milliarden Jahre nach seiner Entstehung, dasheißt: etwa zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Eine Auswirkungeiner solchen Explosion bestünde in der Erzeugung einesplötzlichen Impulses von Radiowellen. und so haben Radio-

astronomen ihre Beobachtungen angestellt, bisher wurden al-lerdings keine solchen Impulse entdeckt, und man hat berech-net, daß pro Kubik-Lichtjahr Weltraum alle drei Mill ionen Jahrehöchstens eine solche Explosion stattfinden kann. Das bedeu-tet, daß nur ein winziger Bruchteil der Masse des Alls die Gestaltmikroskopisch kleiner Schwarzer Löcher hat.

Insgesamt schwanken die Schätzungen über die Menge der

dunklen Materie im Universum von einem Astronomen zumanderen. Höchstwahrscheinlich übertrifft die Quantität derdunklen die der leuchtenden Materie um mindestens das Zehn-fache, und bisweilen wird für dies Verhältnis auch die Zahlhundert zu eins genannt. Es ist ein erstaunlicher Gedanke, daßdie Astronomen nicht wissen, woraus der größte Teil des Uni-versums besteht. Die Sterne, von denen sie lange annahmen,

daß aus ihnen das Universum vorwiegend bestehe, machen inWirklichkeit nur einen ziemlich kleinen Teil aus.Die entscheidende Frage für die Kosmologie heißt, ob die

Menge der dunklen Materie genügt, um der Ausdehnung desUniversums Einhalt zu gebieten. Die mindeste Dichte der Mate-rie, die diese Wirkung nur knapp verfehlte, wird als >kritischeDichte< bezeichnet. Ihr Wert läßt sich etwa mit der hundertfa-chen Dichte der sichtbaren Materie berechnet. Dieser Betrag istdurchaus möglich, aber wohl nicht sehr wahrscheinlich. Hof-fentlich liefert die Suche nach der dunklen Materie bald ein

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eindeutiges Ja oder Nein, denn davon hängt nichts Geringeresah als das endgültige Schicksal des Universums.

Auf unser heutiges Wissen gestützt, sind wir nicht imstandezu sagen, ob die Ausdehnung des Universums für alle Zeiten

weitergehen wird oder nicht. Sollte es eines Tages beginnensich zusammenzuziehen, erhebt sich die Frage, wann das derRill sein wird. Die Antwort aber hängt davon ab, um welchenBetrag das Gewicht des Universums das kritische Gewichtübersteigt. Liegt dieser ein Prozent über dem kritischen Ge-wicht, wird sich das Universum in etwa einer Billion Jahrenzusammenzuziehen heginnen; liegt er um zehn Prozent dar-

über, setzt die Zusammenziehung bereits in hundert MilliardenJahren ein.

Mittlerweile vertreten manche Theoretiker die Ansicht, dasGewicht des Universums lasse sich allein durch Berechnungenund ohne schwierig durchzuführende unmittelbare Beobach-tungen ermitteln. Die Vorstellung, der Mensch könne aus-schließlich durch die Kraft der Logik zu unfehlbaren, tiefen

Erkenntnissen über den Kosmos gelangen, stützt sich auf eineTradition, die bis zu den griechischen Philosophen der Antikezurückreicht. Im Zeitalter der Naturwissenschaft haben etlicheKosmologen den Versuch unternommen, mathematische For-meln zu entwickeln, aus denen sich die Masse des Universumsals eine Größe ergibt, deren Wert sich auf bestimmte Prinzipiengründet. Besonders verlockend sind Systeme, welche die ge-

naue Zahl der im Universum enthaltenen Teilchen im Sinnebestimmter Formeln der Numerologie festlegen. Von solchenam grünen Tisch erarbeiteten Lösungen, so faszinierend sieauch sein mögen, wollen allerdings die meisten Wissenschaftlernichts wissen. In jüngeren Jahren hat sich jedoch eine überzeu-gende Theorie durchgesetzt, die klare Voraussagen über dieMasse des Universums macht. Dabei handelt es sich um die im

dritten Kapitel diskutierte Vorstellung von der Inflation (Aufblä-hung) des Universums.

Eine der Voraussagen dieser Theorie betrifft die Menge der

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im Universum enthaltenen Materie. Nehmen wir an, es habe miteiner Massendichte begonnen, die weit größer oder kleiner alsder kritische Wert war, bei welchem der Zusammenbruch ge-rade noch verhindert wird. Tritt das Universum in die Aufblä-hungsphase ein. verändert sich die Dichte schlagartig, und dieTheorie sagt auch voraus, daß sie rasch den kritischen Werterreicht. Je länger sich das All aufbläht, desto mehr nähert sichdie Dichte dem kritischen Wert an. In der Standardversion derTheorie dauert die Aufblähung nu r eine sehr kurze Zeit, und sowird das Universum, wenn es nicht durch ein Wunder genaumit der kritischen Dichte begonnen hat, am Ende dieser Phase

einen Dichtewert aufweisen, der ein wenig über oder unterdem kritischen Wert liegt.

Es nähert sich jedoch während der Aufblähung der kritischenDichte mit exponentieller  Geschwindigkeit, so daß deren End-wert wahrscheinlich auch dann äußerst dicht am kritischenWert liegt, wenn der Aufblähungszeitraum nur einen winzigenSekundenbruchteil ausmacht. >Exponentiell< bedeutet hier,

daß sich der Zeitraum zwischen dem Urknall und dem Einset-zen der Zusammenziehung für jeden zusätzlichen Augenblick,den die Aufblähung dauert, annähernd verdoppelt. Wenn alsoeine Inflationsdauer von 100 Augenblicken 100 Milliarden Jahrespäter zur Zusammenziehung führt, würden 101 Augenblickebedeuten, daß diese 200 Milliarden Jahre später einsetzt, wäh-rend 110 Augenblicke einem Beginn der Zusammenziehung

nach 28 Billionen Jahren entsprächen - und so weiter.Wie lange hat die Aufblähung gedauert? Das weiß niemand.Doch damit die Theorie die zahlreichen von mir beschriebenenkosmologischen Rätsel sinnvoll erklären kann, muß sie einegewisse Mindestzahl von Augenblicken dauern (annäherndhundert; doch ist die Zahl ziemlich dehnbar). Eine Obergrenzegibt es nicht. Wenn also das Universum nicht durch irgendeinen

außergewöhnlichen Zufall um lediglich den Mindestwert aufge-bläht wird, der nötig ist. unsere gegenwärtigen Beobachtungenzu erklären, könnte die Dichte im Anschluß an die Aufblähung

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nach wie vor beträchtlich über (oder unter) dem kritischenWen liegen. In diesem Fall müßte man anhand künftiger Beob-achtungen den Zeitraum der Zusammenziehung bestimmenoder erkennen können, daß es keine geben wird. Wahrscheinli-cher ist. daß die Dauer der Aufblähung sehr viel mehr Augen-blicke über dem Mindestwert lag, wobei sich eine Dichte ergab,die sich überaus nahe am kritischen Wert befand. Das bedeutet,daß das Universum, falls es sich tatsächlich zusammenzieht, dies

noch sehr lange nicht tun wird - nämlich erst in einem Zeit-raum, der sein gegenwärtiges Alter um ein Vielfaches übertrifft.

Wenn das der Fal l is t , wird der Mensch das Schicksal des l Univer-

sums, das er bewohnt, nie erfahren.

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Ewig ist eine langeZeit

Wesent l ich für den Begr if f >unencl l ich< is t , daß e r n ich t e infach

gleichbedeutend ist mi t einer sehr großen Zahl. U nend lich ke itunterscheidet sich qualitativ von etwas, das lediglich gewaltig,unvorstellbar riesig ist. Nehmen wir an, das Universum würdesich ewig ausdehnen, st) daß es kein Ende hatte. Würde es in alle

Ewigkeit fortbestehen, wäre seine Lebensdauer unendlich. Indem Fall müßte jeder denkbare physikalische Prozeß irgend-wann stattfinden, und wäre er noch so langsam oder unwahr-scheinlich, so wie ein A f fe , der für alle Zeiten mit einer Schreib-maschine herumspielt, schließlich Shakespeares Werke darauf schreiben würde.

Ein gutes Beispiel liefert das im fünften Kapitel behandelte

Phänomen der Aussendung von Gravitationswellen. Nur beiäußerst heftig ablaufenden astronomischen Prozessen führtEnergieabgabe in Gestalt von Gravitationsstrahlung zu auffälli-gen Veränderungen. Die Aussendung von etwa einem tausend-stel Watt aufgrund des Umlaufs der Erde um die Sonne wirktsich in kaum meßbarer Weise auf die Erdbewegung aus. Doch

selbst eine solche Energieabgabe von einem Milliwatt würde

über Billionen und Aberbillionen Jahren hinweg schließlichdafür sorgen, daß die Erde auf einer spiralförmigen Bahn in dieSonne  > f i e l e < .  Freilich  muß man  annehmen, daß sie weit davor

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von der Sonne >geschluckt< würde. Doch soll damit gezeigtwerden, daß Prozesse, die im menschlichen Zeitrahmen uner-heblich sind, schließlich, wenn sie über eine lange Zeit stattfin-den, ein Übergewicht bekommen und dann dazu führen kön-

nen, das Schicksal zu besiegeln, das physikalischen Systemenletztlich bevorsteht.

Stellen wir uns einmal vor. wie das Universum in sehr, sehrferner Zukunft aussieht - sagen wir. in einer Million MillionJahre. Die Sterne sind längst ausgebrannt; im All herrscht Fin-sternis. Aber leer ist es nicht. Inmi tten der schwarzen Weite desRaums lauern rotierende Schwarze Löcher, vereinzelte Neutro-

nensterne und schwarze Zwerge - sogar noch einige Planeten.Zu dieser Zeit ist die Dichte solcher Objekte im Universumäußerst gering: Das Universum hat sich auf die zehntausend-billionenfache Größe des heutigen Wertes ausgedehnt.

Die Schwerkraft würde einen seltsamen Kampf führen. Dassich ausdehnende Universum bemüht sich, jedes Objekt weitervon seinen Nachbarn fortzuziehen. Dem aber leistet die gegen-

seitige Anziehung durch die Gravitation Widerstand und ver-sucht die Körper zueinander zu führen. Als Ergebnis bleibenbestimmte Ansammlungen von Himmelskörpern - beispiels-weise Galaxienhaufen oder was nach Äonen des strukturellenNiedergangs als Galaxien gelten mag. Zwar sind sie durch dieGravitation aneinander gebunden, doch treiben sie immer wei-ter von benachbarten Gestirnsansammlungen fort. Was letzten

Endes bei diesem Tauziehen herauskommt, hängt davon ab, inwelchem Maße sich die Ausdehnungsgeschwindigkeit verlang-samt. Je geringer die Dichte der Materie im Universum ist, destomehr werden diese Ansammlungen von Himmelskörpern »er-mutigt«, sich von ihren Nachbarn zu lösen und sich frei undunabhängig zu bewegen.

In einem durch Gravitation gebundenen System üben die

langsam, aber erbarmungslosen Prozesse der Schwerkraft ihreDominanz aus. Die Aussendung von Gravitationswellen, wiegering auch immer sie sein mag, beraubt das System in heim-

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tückischer Weise seiner Energie und führt zu einer langsamablaufenden Spirale des Todes. Ganz allmählich nähern sichtote Sterne anderen toten Sternen oder Schwarzen Löchern undverschmelzen in einer sich lange hinziehenden Orgie des Kan-nibalismus mit ihnen. Es wird eine Million Million Jahre dauern,bis Gravitationswellen die Sonne so weit aus ihrer Umlaufbahnabgelenkt haben, daß sie als ausgebrannter schwarzer Zwergstill dem Zentrum der Galaxis entgegentreibt, wo ein riesigesSchwarzes Loch darauf wartet, sie zu verschlingen.

Allerdings ist keineswegs sicher, daß die tote Sonne ihr Endeauf diese Weise erleben wird, denn während sie langsam in die

Galaxis hineintreibt, begegnet sie von Zeit zu Zeit anderenSternen. Manchmal wird sie dicht an einem Doppelsternsystemvorüberkommen - an zwei in enger, von der Gravitation be-wirkter Umarmung verschlungenen Sterne. In einem solchenK a l i kommt es zu einer sonderbaren Erscheinung, die als  »Gra-

vitationsschleuden bekannt ist. Die Bewegung zweier Körperauf ihrer Umlaufbahn umeinander ist von klassischer Einfach-

heit. Genau dieses Problem beschäftigte - in Gestalt einesPlaneten, der um die Sonne lief - Kepler und Newton undführte zur Geburt der modernen Naturwissenschaft. Unter idea-len Bedingungen und ungeachtet der Gravitationsstrahlung, istdie Bewegung des Planeten regelmäßig und periodisch. Ganzgleich, wie lange man ihn beobachtet, er folgt unbeirrt seinerUmlaufbahn. Die Lage ändert sich jedoch grundlegend, sobald

ein dritter Himmelskörper ins Spiel kommt - wenn beispiels-weise ein Stern und zwei Planeten oder drei Sterne aufeinan-dertreffen. Dann ist die Bewegung nicht mehr einfach undperiodisch. Das Muster der zwischen diesen drei Körpern herr-schenden wechselseitig wirkenden Kräfte ändert sich immerwieder in komplizierter Weise, was dazu führt, daß die Energiedes Systems zwischen den Beteiligten nicht gleichmäßig aufge-

teilt wird, selbst wenn es sich dabei um identische Körperhandelt. Statt dessen kommt es zu einem komplizierten Tanz,bei dem abwechselnd einer von den dreien den Löwenanteil

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der Energie besitzt. Über lange Zeiträume hinweg kann sich dasSystem sehr willkürlich verhalten; tatsächlich liefert die Gravita-tionsdynamik dreier Körper ein gutes Beispiel für ein soge-nanntes chaotisches System. Es kann durchaus geschehen, daßzwei der Körper »gemeinsame Sache machen« und dem dritteneinen so großen Teil der verfügbaren Energie übertragen, daßer wie mit einer Steinschleuder gänzlich aus dem System hin-ausgestoßen wird. Daher kommt der Hegriff »Gravitations-schleuder«.

Dieser Schleuder-Mechanismus kann Sterne aus Sternenhau-fen und sogar aus einer Galaxie hinausschießen. In fernerZukunft wird die große Mehrheit toter Sterne, Planeten undSchwarzer Löcher auf diese Weise in den intergalaktischenKaum gelangen. Vielleicht stoßen sie dort auf eine andere zer-fallende Galaxie oder ziehen für alle Zeiten in der sich weitausdehnenden Leere dahin. Doch läuft ein solcher Prozeß lang-sam ab: Bis diese Auflösung vollendet ist, wird eine Zeit verge-hen, die dem Milliardenfachen des gegenwärtigen Alters des

t Universums entspricht. Die verbleibenden prozentual wenigenObjekte werden hingegen zu den Zentren der Galaxien wan-dern und sich dort zu gewaltigen Schwarzen Löchern zusam-menschließen.

Wie im fünften Kapitel erklärt, verfügen Astronomen überbrauchbare Belege, daß in der Mitte mancher Galaxien bereitsgewaltige Schwarze Löcher existieren, die herumwirbelnde

Gase gierig einsaugen und in der Folge ungeheure Energie-mengen freisetzen. Das Schicksal, auf diese Weise aufgefressenzu werden, erwartet im Laufe der Zeit die meisten Galaxien.Dieser Prozeß wird andauern, bis die Materie um das SchwarzeLoch herum entweder vollständig eingesogen oder herausge-schleudert worden ist, möglicherweise, um später wieder hin-einzufallen oder Teil der immer mehr abnehmenden Menge an

intergalaktischen Gasen zu werden. Anschließend verhält sichdas aufgeblähte Schwarze Loch ruhig, nur gelegentlich wird einumherziehender Neutronenstern oder ein kleines Schwarzes

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Luch hineinrutschen. Das allerdings ist nicht das Ende derGeschichte des Schwarzen Loches. Stephen Hawking hat 1974entdeckt. daß Schwarze Löcher immerhin nicht vollständigschwarz sind, sondern eine ganz schwache Wärmestrahlungaussenden.

Wirklich verstehen läßt sich dieser Hawking-Effekt aus-schließlich mit Hilfe der Quanten-Feldtheorie, dem sehrschwierigen Teilgebiet der Physik, auf das ich schon im Zusam-menhang mit der Theorie von dem sich aufblähenden Univer-sum hingewiesen habe. Erinnern wir uns daran, daß Heisen-bergs Unschärferelation ein zentraler Grundsatz der Quanten-

theorie ist. der zufolge Quantenteilchen keine für alle Merk-malegenau definierten Werte besitzen. Beispielsweise kann einPhoton oder Elektron keinen festen Wert für seine Energie ineinem bestimmten Augenblick haben. Tatsächlich kann ein Ele-mentarteilchen sich Energie »leihen«, solange es das Darlehenunverzüglich zurückzahlt.

Wie bereits im dritten Kapitel erwähnt, zeigt diese Unsicher-

heit in bezug auf die Energie einige sonderbare Wirkungen, wiebeispielsweise die. daß kurzlebige oder virtuelle Teilchen ineinem allem Anschein nach leeren Raum auftreten können. Dasführt zu dem sonderbaren Hegriff »Quantenvakuum« - ein Va-

kuum, das alles andere als leer und träge ist und in dem es vonvirtuellen Teilchen nur so wimmelt. Auch wenn diese Aktivitätgewöhnlich unbemerkt bleibt, kann sie sich physikalisch aus-

wirken. Dazu kommt es. wenn die Anwesenheit eines Gravita-tionsfeldes die Aktivitäten im »Vakuum«  beeinflußt.Mit einem Extremfall haben wir es bei den virtuellen Teil-

chen zu tun. die nahe dem Ereignishorizont eines SchwarzenLochs auftreten. Man denke daran, daß sie von geborgter Ener-gie nur sehr kurz leben, dann muß das Energiedarlehen zurück-gezahlt werden, und sie verschwinden. Fließt ihnen aber aus

irgendwelchen Gründen während der kurzen ihnen zugemes-senen Frist eine hinreichend große Energiespende von eineräußeren Quelle zu. können sie ihre Schuld tilgen, ohne als

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Gegenleistung dafür verschwinden zu müssen. Mithin werdenaus diesen virtuellen Teilchen aufgrund der Spende gewöhnli-che Teilchen, die imstande sind, ein mehr oder weniger dauer-haftes Leben zu fuhren.

Zu einer solchen >Spendenaktion< kommt es laut Hawking inder Nähe eines Schwarzen Lochs, und der »edle Spender«, derdie erforderliche Energie liefert, ist dessen Gravitationsfeld.Der Vorgang läuft wie folgt ab: Virtuelle Teilchen entstehengewöhnlich in Paaren, die sich in entgegengesetzter Richtungbewegen. Man stelle sich ein solches Paar frisch eingetroffenerTeilchen unmittelbar außerhalb des Ereignishorizonts vor.

Nehmen wir an, sie bewegten sich so, daß eins von ihnen durchden Ereignishorizont in das Schwarze Loch fällt. Dabei nimmtes von der starken Gravitation des Schwarzen Lochs Energie ingroßer Menge auf . Diese Energiespende genügt, wie Hawkingentdeckte, um das Darlehen vollständig zurückzuzahlen undaus dem hineingefallenen Teilchen wie aus seinem Gefährten -der sich nach wir vor außerhall? des Ereignishorizontes befin-

det - gewöhnliche Teilchen zu machen. Das Schicksal desletzteren steht jetzt auf des Messers Schneide. Auch das draußenvor dem Ereignishorizont zurückgelassene Teilchen kann amEnde in das Loch gesogen werden, doch ebenso kann es mithoher Geschwindigkeit davonfliegen und ihm gänzlich ent-kommen. Hawking sagt voraus, daß es einen ständigen Stromdieser Flüchtlinge geben müsse, die aus der Nähe des Schwar-

zen Lochs in den Weltraum strömen und das bilden, was maninzwischen als >Hawking-Strahlung< kennt.

Am stärksten würde sich dieser Hawking-Effekt bei mikrosko-pisch kleinen Schwarzen Löchern äußern. Da unter normalenBedingungen ein virtuelles Elektron beispielsweise höchstens10 -11 Zentimeter zurückzulegen vermag, bevor das Darlehenzurückgefordert wird, können nur Schwarze Löcher einen

Strom von Elektronen erzeugen, die kleiner sind als dieser Wert(das heißt, sie haben in etwa die Abmessungen eines Atom-kerns). Wäre das Loch größer, bliebe den meisten virtuellen

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Elektronen gar nicht genug Zeit, um den Ereignishorizont zuüberwinden, bevor sie ihr Darlehen zurückzahlen müssen.

Welche Entfernung ein virtuelles Teilchen zurücklegen kann,hängt von seiner Lebensdauer ab. und diese wiederum - entspre-

chend der Heisenbergschen Unschärferelation - vom Ausmaßdes Energiedarlehens. Je größer das Darlehen ist. um so kürzerdas Leben des Teilchens. Ein wichtiger Bestandteil dieses Darle-hens ist die Ruheenergie des Teilchens, und es muß im halleeines Elektrons mindestens deren Wert ausweisen. Teilchen miteiner größeren Ruhemasse - beispielsweise Protonen -. beidenen das Darlehen höher und somit deren Lebensdauer kürzer

wäre, könnten nur eine kü rzere Strecke bewältigen. So erforrdertdie Erzeugung von Protonen durch den llawking-Effekt einSchwarzes Loch, das noch kleiner ist als ein Atomkern. A uf deranderen Seite würde ein Schwarzes Loch, dessen Ausmaltegrößer wäre als die eines Atomkerns. Teilchen mit einer geringe-ren Ruhemasse erzeugen, als Elektronen sie aufweisen - bei-spielsweise Neutrinos. Da die Ruhemasse von Photonen Null

beträgt, können sie von einem Schwarzen Loch beliebiger Größeerzeugt werden. Selbst ein Schwarzes Loch von einer Sonnen-masse sendet, entsprechend Hawkings Vorstellung, einen Stromvon Photonen und möglicherweise auch einen solchen vonNeutrinos aus; doch wäre dessen Intensität in diesen Fällenäußerst schwach.

>Schwach< ist hier keinesfalls übertrieben. Hawking ist zudem Ergebnis gekommen, daß das von einem Schwarzen Locherzeugte Energiespektrum dem von einem heißen Körper ab-gestrahlten entspricht, und so liefert die Temperatur eine Mög-lichkeit, die Stärke des Hawking-Effekts auszudrücken. Sie hatbei einem Loch von der Größe eines Atomkerns (10 - 1 3 Zenti-meter Durchmesser) den beachtlichen Wen von etwa zehnMilliarden Grad. Bei einem Schwarzen Loch mit dem Gewichteiner Sonnenmasse, dessen Durchmesser mehr als einen Kilo-

meter ausmacht, beträgt sie weniger als ein zehnmillionstelKelvin (Grad über dem absoluten Nullpunkt). Das gesamte

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Objekt gäbe im Höchstfall ein milliardstel milliardstel milliard-stel Watt an Hawking-Strahlung ab.

Eine der Sonderbarkeiten des Hawking-Effekts besteht darin,daß die Temperatur der Strahlung mit einer Verminderung der

Masse des Schwärzen Lochs zunimmt. Das bedeutet, daß kleineSchwarze Löcher eine höhere Temperatur haben als große.Durch seine Strahlung büßt ein solches Loch Energie, alsoMasse ein, womit es kleiner wird. Folglich erwärmt es sichimmer mehr und strahlt immer heftiger, was dazu führt, daß esnoch schneller schrumpft. Der Prozeß ist seinem Wesen nachinstabil und beschleunigt sich schließlich immer mehr, so daß

das Schwarze Loch immer schneller Energie abstrahlt und klei-ner wird.

Der Hawking-Effekt sagt voraus, daß schließlich alle Schwar-zen Löcher in einem Strahlungsblitz verschwinden werden. Dieletzten Augenblicke würden spektakulär sein - etwa so wie beider Zündung einer gewaltigen Atombombe. Auf einen kurzenBlitz intensiver Wärmeenergie folgte dann - nichts. Zumindest

der Theorie nach. Doch manchen Physikern behagt die Vorstel-lung nicht, daß durch den Zusammenbruch eines materiellenObjekts ein Schwarzes Loch entstehen soll, das seinerseits ver-schwindet und nichts als Wärmestrahlung hinterläßt. Der Ge-danke beunruhigt sie, daß zwei verschiedene Objekte schließ-lich identische Wäremestrahlung erzeugen könnten, ohne In-formation über die ursprüngliche Beschaffenheit [Information

ist in diesem Zusammenhang sehr abstrakt zu verstehen]. Einsolches Verschwinden spricht allen von der Naturwissenschaftso hochgehaltenen Gesetzen der Erhaltung Hohn. Mithin hatman als Alternative vorgeschlagen, das verschwindende Lochhinterlasse einen winzigen Rest, der irgendwie ungeheureMengen an Information enthält. Wie auch immer sich das ver-halten mag, der weitaus größte Teil der Masse des Lochs wird in

Form von Wärme und Licht abgestrahlt.Der Hawking-Prozeß läuft mit nahezu unvorstellbarer Lang-

samkeit ab. Bis zum Verschwinden eines Schwarzen Lochs mit

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einer Sonnenmasse würden 1066 Jahre vergehen, während die-ser Prozeß bei einem Loch mit einer äußerst großen Masse wohleher 1093 Jahre dauern würde. Außerdem würde er erst einset-zen, sobald die Hintergrundtemperatur des Universums unter

die des Schwarzen Lochs gefallen wäre, weil sonst aus demumgebenden Universum mehr Wärme in das Loch hineinflie-ßen würde als über den Hawking-Effekt aus ihm herauskäme.Die Temperatur der vom Urknall übriggebliebenen kosmi-schen Hintergrundstrahlung beträgt gegenwärtig etwa drei Kel-vin, und es würde 1022 Jahre dauern, bis sie sich so weit abge-kühlt hat, daß es bei Schwarzen Löchern von der Größe einer

Sonnenmasse zu einem Netto-Wärmeverlust käme. So gibt eskeine Möglichkeit, daß wir den Hawking-Prozeß beobachtenkönnten.

Doch  > e w i g <   ist eine lange Zeit, und in  ihrem Verlauf  dürftenschließlich alle Schwarzen Löcher - selbst die größten - ver-schwinden. Im Augenblick ihres Todes werden sie in der finste-ren Schwärze der nie endenden kosmischen Nacht kurz auf-

leuchten, ein flüchtiger Grabspruch für die einstige Existenzeiner Milliarde strahlender Sonnen.Und was bleibt?Nicht alle Materie fällt in Schwarze Löcher. Wir müssen noch

an die Neutronensterne, die schwarzen Zwerge und die übrig-gebliebenen Planeten denken, die ziellos durch die Weiten desintergalaktischen Raumes ziehen, ganz zu schweigen von dem

Gas und Staub, die sich nie zu Sternen zusammengeballt haben,aber auch an die Asteroiden, Kometen, Meteoriten und ver-schiedenen Gesteinsbrocken, welche die Stemensystemedurchsetzen. Wird all das auf ewig Bestand haben?

Hier geraten wir in Schwierigkeiten mit der Theorie. Wirmüssen wissen, ob gewöhnliche Materie - der Stoff, aus demwir und der Planet Erde bestehen - absolut stabil ist. Der letzteSchlüssel zur Zukunft liegt in der Quantenmechanik. ObwohlQuantenprozesse gewöhnlich mit atomaren und noch kleine-ren Systemen in Verbindung gebracht werden, müßten die

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Gesetze der Quantenphysik auf alles Anwendung finden, ein-schließlich makroskopischer Körper. Quanteneffekte wirken

sich bei großen Objekten nur in außergewöhnlich geringemUmfang aus, könnten aber über gewaltige Zeiträume hinweg

doch zu größeren Veränderungen fuhren.

Unsicherheit und Wahrscheinlichkeit sind die »Markenzei-chen« der Quantenphysik. Nur eines ist im Reich der Quanten

sicher, nämlich, daß nichts sicher ist. Das heißt, daß jederProzeß, der überhaupt möglich ist, schließlich auch stattfindet,

wie unsicher auch immer er sein mag - vorausgesetzt, es steht

genug Zeit zur Verfügung. Wir halben Gelegenheit, diese Ge-

setzmäßigkeit im Hall der Radioaktivität zu beobachten. EinKern von Uran-238 (238U) ist nahezu vollständig stabil. Aller-

dings besteht eine winzige Möglichkeit, daß er unter Aussen-

dung eines Alphateilchens zu Thorium zerfällt. Genau gesagt,gibt es eine gewisse, sehr geringe Wahrscheinlichkeit pro Zeit-

einheit, daß ein bestimmter Urankern zerfällt. Im Durchschnitt

dauert es bis dahin etwa viereinhalb Milliarden Jahre, doch weil

die Gesetze der Physik eine feste Wahrscheinlichkeit pro Zeit-einheit vorschreiben, wird irgendwann jeder Urankern zerfal-

len.

Zum radioaktiven Alphazerfall kommt es, weil in bezug aufdie Lage der Protonen und Neutronen, aus denen der Kerneines Uranatoms besteht, eine geringe Unsicherheit besteht.Denn es besteht eine - wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit,

daß sich ein Bündel dieser Teilchen vorübergehend außerhalb 

des Atomkerns befindet, von wo sie rasch weggeschleudertwerden. Ähnlich gibt es, was die genaue Lage eines Atoms ineinem Festkörper betrifft, eine Unsicherheit. Sie ist zwar nochgeringer, hat aber  keinesfalls den  Wert Null.  Beispielsweisebleibt ein Kohlenstoffatom in einem Diamanten an einer genaufestgelegten Stelle im Kristallgitter. Diese Lage wäre bei den

Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, die für die ferneZukunft des Universums zu erwarten ist, äußerst - aber ebennicht völlig - stabil.  Stets gibt es eine winzige Unsicherheit

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bezüglich der Lage eines Atoms, so daß eine winzige Wahr

scheinlichkeit besteht, daß es seinen Platz im Gitter spontanverlassen und irgendwo anders wieder auftauchen wird. Auf-grund solcher Wanderungsvorgänge ist keine Materie wirklich

fest - nicht einmal eine Substanz von der Härte eines Diaman-ten. In Wahrheit ähnelt die allem Anschein nach feste Materie

einer äußerst viskosen Flüssigkeit und kann über unendlicheZeiträume hinweg aufgrund quantenmechanischer Vorgängefließen. Von dem theoretischen Physiker Freemann Dysonstammt die Schätzung, daß nach etwa 1065  Jahren nicht nur jeder

kunstvoll geschliffene Diamant die Gestalt einer kugelförmigen

Perle haben wird, sondern auch jeder Gesteinsbrocken dieGestalt einer glatten Kugel annimmt.

Die Lage-Unsicherheit könnte sogar zu Umwandlungen von

Atomkernen führen, Nehmen wir beispielsweise zwei benach-

barte Kohlenstoffatome im Kristallgitter eines Diamanten. In

äußerst seltenen Fällen sorgt die spontane Lageveränderung

eines solchen Atoms dafür, daß sein Kern von einem Augen-

blick auf den anderen unmittelbar neben dem seines Nachbarnauftaucht. Nukleare Anziehungskräfte können dann bewirken,

daß beide zu einem Magnesiumkern verschmelzen. Mithin be-

darf es für die Kernverschmelzung keinesweg sehr hoher Tem-peraturen: Auch eine Verschmelzung auf kaltem Wege ist mög-lich, nur dauert sie unvorstellbar lange. Dysons Schätzung nachwird sich die gesamte Materie nach  10

1500  d.h., eine Eins mit1500 Nullen!) Jahren auf diese Weise in die stabilsten aller

Atomkerne verwandelt haben, nämlich die des Elements Eisen.Allerdings existiert nukleare Materie möglicherweise gar

nicht so lange, was auf rasche, aber immer noch unglaublichlangsam ablaufende Umwandlungsprozesse zurückgeht. Dy-

sons Schätzung setzt voraus, daß Protonen (und in Kernen

befindliche Neutronen)  absolut   stabil sind. Mit anderen Wor-ten, ein Proton existiert, wenn es nicht in das Schwarze Loch fällt

und auch sonst nicht weiter beeinflußt wird, für alle Zeiten.Aber dürfen wir dessen sicher sein? Während meiner Studen-

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tenzeit zweifelte niemand daran - Protonen lebten ewig. Manhielt sie fü r vollständig stabile Teilchen. Doch gab es dabei stetseinen nagenden Zweifel. Die Schwierigkeit hängt mit der Exi-stenz eines als Positron bezeichneten Teilchens zusammen, das

in jeder Hinsicht mit dem Elektron identisch ist. außer daß eswie das Proton eine positive Ladung trägt. Da Positronen sehrviel leichter sind als Protonen, würden sich diese, wenn keineanderen Faktoren einwirkten, am liebsten in Positronen ver-wandeln . (E s gehört zu den wichtigen Grundsätzen der Physik,daß physikalische Systeme nach dem Zustand der niedrigstenEnergie streben, und geringe Masse ist gleichbedeutend mit

geringer Energie.) Natürlich konnte man nicht hergehen undsagen: Warum tun die Protonen das nicht einfach? Daher habendie Physiker angenommen, es gebe ein Naturgesetz, das dem imWege stellt. Bis vor kurzem hat man diese Angelegenheit nichtbesonders gut verstanden, doch hat sich gegen Ende der siebzi-ger Jahre ein klareres Bild von der An und Weise abgezeichnet,wie Nuklearkräfte Teilchen dazu veranlassen, sich auf quanten-

mechanischem Wege in andere zu verwandeln. In den jü ngstenTheorien findet sich ein ganz natürlicher Platz für das Gesetz,das den Protonenzerfall untersagt; doch sagen die meisten die-ser Theorien ebenfalls voraus, daß dieses Gesetz nicht unterallen Umständen gilt. Es könnte eine  äußerst   geringe Wahr-scheinlichkeit dafür bestehen, daß sich ein bestimmtes Protondoch in ein Positron verwandelt. Von der verbleibenden Masse

wird vorausgesagt, daß sie teils in Gestalt eines elektrisch neu-tralen Teilchens - beispielsweise als sogenanntes Pion - undteils in Form von Bewegungsenergie austritt (die Zerfallspro-dukte würden hohe Geschwindigkeiten aufweisen).

In einem der einfachsten theoretischen Modelle wird die fürden Zerfall eines Protons erforderliche Zeit mit durchschnitt-lich 10-28 Jahren angesetzt - eine Milliarde Milliarde mal länger

als das gegenwärtige Alter des Universums. Daher kann mansich vorstellen, daß die Frage des Protonenzerfalls weiterhinGegenstand rein akademischer Spekulation bleibt. Aber man

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sollte sich erinnern, daß der Prozeß nach den Gesetzen derQuantenmechnik abläuft und daher auch den Regeln der Wahr-scheinlichkeitsrechnung gehorcht: Die vorausgesagte durch-schnittliche Lebensdauer beträgt 1028 Jahre - das aber ist nicht

die tatsächliche Lebensdauer eines jeden Protons. Vorausge-setzt, es gibt genug davon, so besteht alle Aussicht, daß vorunseren Augen eines zer fäll t. Angenom men, es gebe 1028  Proto-nen, dann dürfte man etwa einen Zerfall pro Jahr erwarten -und diese 1028  Protonen sind in bloßen zehn Ki lo Mater ieenthalten.

Zufällig hatte man mit Hilfe eines Experiments diese Lebens-

dauer der Protonen bereits ausgeschlossen, bevor die Theorieallgemeine Verbreitung fand. A llerdings sprachen unterschied-liche Fassungen der Theorie von längeren Lebenszeiten. Dieeine setzte 1030  Jahre an, die andere 1032, und es gab sogar nochhöhere Werte (manche Theorien sprechen immerhin von 1080

Jahren). Die geringeren Werte liegen am Rande der experimen-tellen Überprüfbarkeit. Beispielsweise würde eine Zertällszeit

von 1032

  Jahren bedeuten, daß man während seines ganzenLebens auf diese Weise ein oder zwei Protonen aus dem eige-nen Körper einbüßt. Wie aber will man solch seltenen Ergebnis-sen auf die Spur kommen?

Man hat Tausende von Tonnen Materie zusammengetragenund sie über viele Monate mit empfindlichen Meßvorrichtun-gen beobachtet, die auf die Produkte eines Protonenzerfalls

ansprachen. Leider geht es mit der Suche nach Protonen wie mitder nach einer Stecknadel im Heuhaufen, da eine weit größereAnzahl ähnlicher Ereignisse, die auf die Erzeugnisse kosmi-scher Strahlung zurückgehen, solche Zerfallsprozesse verdek-ken. Beständig bombardieren Teilchen hoher Energie aus demWeltraum die Erde und sorgen dafür, daß es stets einen Hinter-grund aus allen möglichen Zerfallsprodukten von subatomarer

Größe gibt. Um den Einfluß solcher Beeinträchtigungen zuverringern, müssen die Versuche tief unter der Erdoberflächedurchgeführt werden.

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Einer von ihnen fand in etwa einem Kilometer Tiefe in einemSalzbergwerk nahe Cleveland im Staat Ohio statt. Die Ver-suchsanordnung bestand aus 10000 Tonnen äußerst reinemWasser in einem kubischen Tank, den Meßeinrichtungen umga-

ben. Für Wasser hatte man sich wegen seiner Durchsichtigkeitentschieden, konnten doch auf diese Weise die Meßeinrichtun-gen möglichst viele Protonen zur gleichen Zeit »sehen«. Hinterdem Experiment stand folgende These: Wenn ein Proton auf dievon den gängigen Theorien erwartete Weise zerfällt, dann er-zeugt es, wie oben erklärt, neben einem Positron ein elektrischneutrales Pion. Dieses wiederum zerfällt rasch, gewöhnlich in

zwei äußerst energiereiche Photonen oder Gammastrahlen.Diese treffen schließlich auf Kerne im Wasser. wobei jeder vonihnen ein Elektron-Positron-Paar erzeugt, das gleichfalls sehrenergiereich ist. Tatsächlich wäre der Energiegehalt dieser se-kundären Elektronen und Positronen sogroß, daß sie sich sogarim Wasser nahezu mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen wür-den.

Die Lichtgeschwindigkeit - 300 000 Kilometer pro Sekundeim Vakuum - ist zugleich die Grenzgeschwindigkeit, mit dersich ein Teilchen fortbewegen kann. Das Wasser nun verzögertdas Licht auf etwa 230 000 Kilometer pro Sekunde. Daher be-wegt sich ein schnelles Elementarteilchen, das im Wasser eineGeschwindigkeit von nahezu 300 000 Kilometern pro Sekundeerreicht, in Wirklichkeit schneller als das Licht  im Wasser . Ähn-

lich wie ein Flugzeug das die Schallgeschwindigkeit über-schreitet, beim Durchbrechen der Schallmauer einen »Über-schallknall« erzeugt, schiebt das sich im Wasser bewegendeTeilchen eine deutlich erkennbare elektromagnetische »Kopf-welle« vor sich her, die nach ihrem russischen Entdecker Tsche-renkow-Strahlung genannt wird. Also haben die Experimen-tatoren in Ohio eine Ansammlung lichtempfindlicher Meßge-

räte aufgestellt, deren Aufgabe es war, nach dem Aufblitzensolcher Tscherenkow-Strahlung Ausschau zu halten. Um Proto-nenzerfälle von kosmischen Neutrinos und anderen störenden

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Zerfallsprodukten von subatomarer Größe zu unterscheiden,suchte man nach einem (in der Fachsprache >signature< ge-nannten) typischen und eindeutigen Zeichen. Ein solches sindeinander entgegengerichtete, gleichzeitig auftretende Paare

von Tscherenkow-Impulsen, die von den sich gegeneinder be-wegenden Paaren aus Elektronen und Positronen ausgehen.

Leider ist es auch nach mehreren Jahren nicht gelungen, mitdiesem Experiment überzeugende Belege für den Protonen-zerfall zu finden - doch hat die Einrichtung, wie im viertenKapitel berichtet, die bei der Supernova 1987A aufgetretenenNeutrinos registriert (wie so häufig in der Naturwissenschaft

entdeckt man auf der Suche nach dem einen unerwartet etwasanderes). Auch weitere Experimente mit geänderter Versuchs-anordnung haben bisher zu keinerlei Ergebnissen geführt. Daskann zwar bedeuten, daß Protonen nicht zerfallen, aber auch,daß sie zerfallen, ihre Lebensdauer aber dennoch höher ist als1032 Jahre. Da die Messung einer darüber hinausgehenden

Zerfallsgeschwindigkeit zur Zeit im Experiment nicht möglich

ist, muß ein abschließendes Urteil über den Protonenzerfall fürabsehbare Zeit ausgesetzt werden.

Angeregt wurde die Suche nach dem Protonenzerfall durchdie theoretischen Arbeiten über die verschiedenen großen ver-einigten Theorien. Deren Thema ist die Vereinigung der star-ken atomaren Wechselwirkung (der Kraft, die Protonen undNeutronen in Atomkernen miteinander verbindet) mit der

schwachen atomaren Wechselwirkung (die für die Betastrah-lung zuständig ist) und der elektromagnetischen Kraft. Ein Pro-tonenzerfall würde sich aus einer geringfügigen Vermischungdieser Kräfte ergeben. Aber auch wenn sich diese Verstellungvon der großen Vereinigung eines Tages als falsch erweisensollte, bleibt die Möglichkeit, daß Protonen auf andere Weisezerfallen - auf eine Weise, bei der die vierte Grundkraft der

Natur, die Gravitation, mitwirkt.Um zu erkennen, aufweiche Weise die Gravitation Protonen-zerfall hervorrufen kann, müssen wir die Tatsache einbeziehen,

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daß das Proton in Wirklichkeit kein echtes punktförmiges Ele-mentarteilchen ist. In Wahrheit handelt es sich bei ihm um einenzusammengesetzten Körper, der aus drei kleineren Teilchenbesteht, die wir »Quarks« nennen. Der Durchmesser eines Pro-

tons beträgt meist etwa ein zehnbillionstel Zentimeter, was demdurchschnittlichen Abstand zwischen den Quarks entspricht.Diese befinden sich jedoch nicht im Ruhestand, sondern ver-ändern ihre Lage im Proton wegen der quantenmechanischen

Unsicherheit ständig. Von Zeit zu Zeit gelangen zwei Quarks sehrnahe aneinander. Noch seltener kommt es vor. daß sich alle dreiin äußerst enger Nachbarschaft befinden, und sie können sich

einander so sehr annähern, daß die zwischen ihnen bestehendeGravitation, die normalerweise verschwindend gering ist, allesandere übersteigt. Wenn es dazu kommt, fallen die Quarksineinander und bilden ein winziges Schwarzes Loch. Tatsächlichbricht das Proton durch einen quantenmechanischen Tunnel-prozeß unter seiner eigenen Gravitation zusammen. Das sichdaraus ergebende winzige Loch ist äußerst instabil - man denke

an den Hawking-Prozeß - und verschwindet mehr oder wenigersogleich, wobei ein Positron erzeugt wird. Schätzungen bezüg-lich der Lebensdauer eines Protons, bis es auf diese Weise zuseinem Zerfall kommt, sind äußerst unsicher und schwankenzwischen 1045  und aberwitzigen 10220 Jahren.

Wenn es zutrifft, daß Protonen nach ungeheuer langer Zeitzerfallen, wird sich das in tiefgreifender Weise auf die ferne

Zukunft des Universums auswirken. Es würde bedeuten, daßalle Materie instabil ist und schließlich verschwinden würde.Dem Fall in ein Schwarzes Loch entgangene feste Objekte wiebeispielsweise Planeten würden nicht auf immer Bestand ha-ben, sondern statt dessen ganz allmählich verdampfen. DieLebensdauer eines Protons von beispielsweise 1032  Jahrenwürde bedeuten, daß die Erde pro Sekunde eine Billion Proto-

nen einbüßt. Damit wäre unser Planet nach etwa 1033

  Jahrenvöllig verschwunden, immer vorausgesetzt, daß ihn nicht etwasanderes zuvor zerstört hätte.

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Neutronensterne sind gegen diesen Prozeß nicht immun.Auch Neutronen bestehen aus drei Quarks und können sich mitMechanismen, ähnlich denen, die das Verschwinden von Proto-nen erklären, in leichtere Teilchen verwandeln. (Isolierte Neu-tronen sind auf jeden Fall instabil und zerfallen im Verlauf vonungefähr fünfzehn Minuten). Weiße Zwergsterne, Gestein.Staub. Kometen, flüchtige Gaswolken und jede andere im Welt-raum umhertreibende Materie würde im Laufe der Zeit in ähnli-cher Weise diesem Schicksal erliegen. Den gesamten 1048  Ton-nen gewöhnlicher Materie, die wir zur Zeit, im Universumverteilt, beobachten, ist es vorherbestimmt, entweder in

Schwarzen Löchern, oder durch langsamen nuklearen Zerfallzu verschwinden.

Heim Zerfall von Protonen und Neutronen entstehen selbst-verständlich Zerfallsproduke, so daß das Universum nicht unbe-dingt ohne jegliche Materie bliebe. Beispielsweise sieht einwahrscheinlicher Zerfallsweg für ein Proton, wie schon er-wähnt, so aus, daß dabei ein Positron und ein neutrales Pion

entstehen. Da letzteres äußerst instabil ist, zerfällt es sogleich inzwei Photonen oder vielleicht in ein Elektron-Positron-Paar.Wie sich das auch immer verhalten mag, allmählich wird dieZahl der Positronen im Universum als Folge des Protonenzer-falls immer stärker zunehmen. Physiker sind überzeugt, daß dieGesamtzahl positiv geladener Teilchen im Universum (das sindgegenwärtig vor allem Protonen) ebenso groß ist wie die der

negativ geladenen Teilchen (vorwiegend Elektronen). Das be-deutet, daß ein gleichmäßiges Gemisch aus Elektronen undPositronen bestehen wird, sobald erst einmal alle Protonenzerfallen sind. Nun ist das Positron das sogenannte Antiteilchendes Elektrons, und wenn die beiden aufeinanderstoßen, ver-nichten sie sich gegenseitig und setzen dabei Energie in Gestaltvon Photonen frei. Dieser Vorgang läßt sich im Labor leichtuntersuchen.

Man hat durch Berechnungen festzustellen versucht, ob diein der fernen Zukunft des Universums verbleibenden Positro-

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nen und Elektronen einander vollständig vernichten oder obstets ein kleiner Rest bleiben wird. Diese Vernichtung findetnicht schlagartig statt. Statt dessen verbinden sich Elektron undPositron anfanglich zu einer Art Mini-Atom, das als Positronium

bezeichnet wird. Dabei kreisen beide Teile, durch die gegensei-tige elektrische Anziehung miteinander verbunden, in einemTodestanz um ihr gemeinsames Massenzentrum. Anschließendbewegen sich sich spiralförmig aufeinander zu und vernichtensich gegenseitig. Wie lange dieser Vorgang dauert, hängt ab vomanfänglichen Abstand zwischen Elektron und Positron zu demZeitpunkt, als das »Positronium-Atom« entstand. Im Labor

kommt es in einem winzigen Sekundenbruchteil zum Positro-nium-Zerfall . im äußeren Weltraum aber, wo es nur wenig gibt,was Elektronen und Positronen stören konnte, bewegen sie sichmöglicherweise in einer gewaltigen Umlautbahn miteinander.Schätzungen zufolge würde es 1071  Jahre dauern, bis die mei-sten Elektronen und Positronen Positronium-Atome bilden,aber in der Mehrzahl dieser Fälle hätten die Umlaufbahnen

einen Durchmesser von vielen Millionen Lichtjahren! So ge-mächlich erfolgte die Bewegung der Teilchen, daß es MillionenJahre dauern würde, bis sie einen Zentimeter zurückgelegthätten, und die Elektronen und Positronen wären so trägegeworden, daß ihr spiralförmiges Aufeinanderzugleiten atem-beraubende 10116 Jahre dauern würde. Nichtsdestoweniger istdas endgültige Schicksal dieser Positronium-Atome vom Augen-

blick ihres Entstehens an besiegelt.Eigentümlicherweise ist es nicht unbedingt erforderlich, daß

sich alle Elektronen und Positronen gegenseitig vernichten.Während diese Teilchen ihre jeweiligen Gegenspieler auswäh-len, nimmt ihre Dichte beständig ab. sowohl infolge der einge-gangenen Verbindung als auch wegen der fortdauernden Aus-dehnung des Universums. Im Laufe der Zeit wird die Entste-

hung von Positronium-Atomen immer schwieriger. Währendalso der winzige Rest verbleibender Materie immer mehr ab-nimmt, verschwindet sie doch zu keiner Zeit vollständig. Stets

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wird es irgendwo das eine oder andere Elektron oder Positrongeben, auch wenn jedes dieser Teilchen einsam und allein ineinem immer größeren Volumen leeren Raumes existiert.

Wir können jetzt ein Bild davon malen, wie das Universum

nach Ablauf all dieser unglaublich langsamen Prozesse aussehenwird. Zunächst wird es das geben, was vom Urk na ll übriggeblie-ben ist. den kosmischen Hintergrund, der schon immer da war.Er besteht aus Photonen und Neutrinos sowie möglicherweiseeinigen weiteren vollständig stabilen Teilchen, von denen wirnoch nichts wissen. Die Energie dieser Teilchen wird immermehr abnehmen, während sich das Universum ausdehnt, bis sie

einen völlig unerheblichen Hintergrund bilden. Die gewöhnli-che Materie des Universums wird verschwunden, alle SchwarzenLöcher werden verdampft sein. Wohl wird der größte Teil vonder Masse der Schwarzen Löcher auf Photonen übergegangensein, doch wird ein Teil auch noch in Gestalt von Neutrinosexistieren und ein ganz winziger Bruchteil. den die Löcherwährend eines letzten explosionsartigen Ausbruchs hinausge-

schleudert haben, in Gestalt von Elektronen, Protonen. Neutro-nen und schwereren Teilchen. Alle schwereren Teilchen zerfal-len schnell. Neutronen und Protonen langsamer, wobei einigewenige Elektronen und Positronen übrigbleiben und zu jenenstoßen, die den letzten verbleibenden Rest der gewöhnlichenMaterie ausmachen, wie wir sie heute wahrnehmen.

So wäre das Universum der sehr fernen Zukunft eine unvor-

stellbar verdünnte Suppe aus Photonen. Neutrinos und einerimmer geringeren Anzahl von Elektronen und Positronen, diesich alle langsam immer weiter voneinander entfernen. Soweituns bekannt ist. würde es nie wieder zu irgendwelchen weite-ren physikalischen Prozessen kommen. Kein bedeutsames Er-eignis würde die trübe Sterilität eines Universums unterbre-chen, das seinen Weg vollendet hat und dennoch einem ewigen

Leben entgegensieht - vielleicht wäre ewiger Tod das bessereWort dafür.

Mit diesem trostlosen Bild eines kalten, dunklen, gesichtslo-

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sen Beinahe-Nichts kommt die moderne Kosmologie der Vor-stellung vom  > H i t z e t o d <   der  Phys ik  des  neunzehnten  Jahrhun-derts am nächsten. Die Zeit, die erforderlich ist, bis sich das

Universum zu diesem Zustand entwickelt, ist so lang, daß sie

sich der menschlichen Vorstellungskraft entzieht. Dennochmacht sie nur einen winzigen Bruchteil der verfügbaren unend-lichen Zeit aus. Wie schon gesagt, ewig ist eine lange Zeit.

Obwohl der Zerfall des Universums einen Zeitraum bean-sprucht, der so ungeheuer weit über menschliche Maisstäbehinausreicht, daß er uns praktisch nichts bedeutet, fragen viele

Menschen unablässig: »Was wird aus unseren Nachkommen?

Sind sie auf jeden Fall zum Untergang durch ein Universumverurteilt, das um sie herum langsam, aber sicher dem Ende

entgegengeht?« Bedenkt man den nicht besonders verlocken-den Zustand, den die Naturwissenschaft für das Universum derfernen Zukunft voraussagt, macht es ganz den Eindruck, als sei

letzen Endes jede Art von Leben zum Untergang veru rteil t. Aber

so einfach ist der Tod nicht .

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Ein Leben auf derKriechspur

Im Jahre 1972 veröffentlichte der Club of Rome un te r dem Titel Die Grenzen des Wachstums  eine düstere Prognose für dieZukunft der Menschen. Zu den vielen Voraussagen über unmit-telbar bevorstehende Katastrophen gehörte auch die, daß dieVorräte an fossilen Brennstoffen auf der Welt binnen weniger

Jahrzehnte zur Neige gegen würden. Die Menschen wurdenunruhig, die Ölpreise schössen in die Höhe, und die Erfor-schung alternativer Möglichkeiten der Energieversorgung kamin Mode. Inzwischen leben wir in den neunziger Jahren, ohnedaß es Hinweise auf ein bevorstehendes Ende der Vorräte anfossilen Brennstoffen gäbe. Infolgedessen ist an die Stelle derBeunruhigung Selbstgefälligkeit getreten; dabei läßt sich mit

einer simplen Berechnung zwingend nachweisen, daß maneine endliche Quelle nicht ewig in unvermindertem endlichenAusmaß anzapfen kann. Früher oder später wird es auf demEnergiesektor zu einem Zusammenbruch kommen. Eine ähnli-che Schlußfolgerung läßt sich in bezug auf die Bevölkerung derErde ziehen: Die Zahl der Menschen kann nicht endlos weiterwachsen.

Manche Untergangspropheten sind der Ansicht, die bevorste-hende Energie- und Bevölkerungskrise werde dafür sorgen,daß die Menschheit ein für allemal von der Erdoberfläche

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verschwindet. Doch es besteht keine Notwendigkeit, zwischendem Ende fossiler Brennstoffe und dem des  Homo Sapiens  eineParallele zu ziehen. Es gibt in unserer Umwelt ungeheure Ener-giequellen, wenn wir nur den festen Willen und die Findigkeit

haben, sie uns nutzbar zu machen. Insbesondere das Sonnen-licht enthält mehr als genug fü r unsere Zwecke nutzbare Ener-gie. Eine größere Schwierigkeit ist mit der Aufgabe verbunden,das Bevölkerungswachstum einzudämmen, bevor uns eineMassenhungersnot das abnimmt. Für ihre Bewältigung sindallerdings gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Fä-higkeiten wichtiger als naturwissenschaftliche. Ich bin jedoch

fest davon überzeugt, daß es der Menschheit gut gehen wird,wenn es ihr gelingt, den durch die Abnahme der fossilen Brenn-stoffe verursachten Energie-Engpaß zu überwinden, die Bevöl-kerungszahl auf der Erde ohne katastrophale Konflikte zu stabi-lisieren sowie die ökologischen und durch Asteroiden-Ein-schläge hervorgerufenen Schäden an dem von ihr bewohntenPlaneten in Grenzen zu halten. Es gibt kein erkennbares Natur-

gesetz, das der Langlebigkeit unserer Alt Grenzen setzt.In den vorigen Kapiteln habe ich beschrieben, auf welche

Weise sich der Aufbau des Weltalls infolge langsam ablaufenderphysikalischer Prozesse im Verlauf von Zeiten, die sich unsererVorstellungskraft entziehen, uns verändern wird, und zwar ganzallgemein in Richtung auf den Untergang. Der Mensch existiert(je nachdem, wie man den Begriff definiert) im Höchstfall seit

fünf Millionen Jahren und eine Zivilisation (dieser oder jenerArt) erst seit wenigen tausend Jahren. Bewohnbar bleibenmüßte die Erde noch zwei oder drei Millionen Jahre - selbstver-ständlich mit einer begrenzten Bevölkerung. So ungeheuer istdiese Zeitspanne, daß sie unser Vorstellungsvermögen über-steigt. Vielleicht erweckt ihre Länge sogar den Eindruck, alswäre sie praktisch unendlich. Doch haben wir gesehen, daß im

Vergleich mit der fü r astronomische und kosmologische Verän-derungen im großen Maßstab gültigen Zeitskala auch eine Mil-liarde Jahre nur einen kurzen Augenblick bedeuten, und so ist

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es möglich, daß in einer Milliarde Jahren irgendwo in unsererGalaxis noch Lebensbedingungen ähnlich den jetzt auf der Erdeherrschenden bestehen.

Sicherlich können wir uns angesichts der unseren Nachkom-

men verfügbaren ungeheuren Zeiträume vorstellen, daß diesedie Weltraumforschung und alle möglichen wunderbaren tech-nischen Verfahren weiterentwickeln. Es wird ihnen reichlichZeit bleiben, die Erde zu verlassen, bevor die Sonne diese zueinem Stück Schlacke verbrennt. Sie können sich einen ande-ren geeigneten Planeten suchen, danach wieder einen anderenund so weiter. In dem Maße, in dem sich die Menschheit in den

Weltraum ausdehnt, kann auch die Bevölkerungszahl zuneh-men. Tröstet uns das Wissen, daß unser Kampf um das Überle-ben im zwanzigsten Jahrhundert unter Umständen letztlichdoch nicht vergebens ist?

Wie im zweiten Kapitel erwähnt, schrieb Bertrand Russell ineinem Anfall von Niedergeschlagenheit wegen der aus demZweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu ziehenden Konse-

quenzen verzweifelt über die Sinnlosigkeit der menschlichenExistenz angesichts der Tatsache, daß das Sonnensystem zumUntergang verurteilt ist. Russell war überzeugt, daß das allemAnschein nach unausweichliche Ende unseres Planeten dasmenschliche Leben irgendwie nutzlos oder gar zu einer Farcemache. Sicherlich hat diese Überzeugung zu seinem Atheismusbeigetragen. Wäre ihm wohler gewesen, wenn er gewußt hätte,

daß die Gravitationsenergie von Schwarzen Löchern die Ener-gieleistung der Sonne um ein Vielfaches übertrifft und nochMilliarden Jahre nach dem Zerfall des Sonnensystems weiterbe-stehen wird? Wahrscheinlich nicht. Nicht die tatsächliche Dauerder Zeit ist entscheidend, sondern die Vorstellung, daß dasUniversum früher oder später unbewohnbar sein wird; dieserGedanke bringt manche Menschen dazu, unsere Existenz für

sinnlos zu halten.Aus der am Ende des siebten Kapitels gegebenen Beschrei-bung der fernen Zukunft des Universums ließe sich der Schluß

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ziehen, daß eine feindseligere und weniger ausgeglichene Um-gebung kaum vorstellbar scheint. Dennoch dürfen wir in die-sem Zusammenhang nicht zu sehr nach unseren Maßstäbenurteilen oder zu pessimistisch sein. Wohl würde es dem Men-

schen schwerfallen, in einem Universum zu überleben, das auseiner verdünnten Suppe von Elektronen und Positronen be-steht, doch ist die entscheidende Frage sicher nicht, ob unsereArt als solche unsterblich ist. sondern, ob unsere Nachkommenüberleben können. Und es ist unwahrscheinlich. daß es sich beiihnen um Menschen handeln wird.

Die Art  Homo Sapiens  entstand auf der Erde als Produkt der

biologischen Evolution. Aber die Prozesse der Evolution wer-den durch unsere eigenen Handlungen rasch verändert. Wirhaben bereits in den Vorgang der natürlichen Selektion einge-griffen. Überdies wird die Möglichkeit, auf künstlichem WegeMutationen auszulösen, ständig größer. Unter Umständen kön-nen wir schon bald durch gezielte Genmanipulation Menschenmit vorgegebenen Wesensmerkmalen und körperlichen Eigen-

schaften erzeugen. Da diese Möglichkeiten der Biotechnik zuihrer Entwicklung nur ein paar Jahrzehnte in einer technolo-gisch ausgerichteten Gesellschaft benötigten, kann man sichausmalen, was Naturwissenschaft und Technik im Verlauf vonTausenden oder gar Millionen Jahren zu erreichen vermöchten.

In nur einigen Jahrzehnten hat die Menschheit Mittel undWege gefunden, den Planeten zu verlassen und sich in den

näheren Weltraum zu wagen. Im Lauf der Äonen könnten sichunsere Nachkommen jenseits der Erde über das weitere Son-nensystem und von dort auf andere Sternensysteme unsererGalaxis ausbreiten. Viele Menschen meinen, ein solches Vorha-ben werde nahezu eine Ewigkeit beanspruchen. Dem ist nichtso. Die Besiedlung würde vermutlich erfolgen, indem man voneinem Planeten zum anderen spränge. Von der Erde aus wür-

den die Siedler zu einem nur wenige Lichtjahre entferntengeeigneten Planeten aufbrechen, und wenn sie ihr Reisetempoder Lichtgeschwindigkeit annähern könnten, dürfte die Fahrt

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dorthin nur jene wenigen Jahre in Anspruch nehmen. Selbstwenn sie lediglich ein Prozent der Lichtgeschwindigkeit er-reichten - ein durchaus bescheidenes Ziel - würde diese Reisenur ein paar Jahrhunderte dauern. Die Errichtung der neuen

Kolonie würde sich bis zur ihrer Vollendung vielleicht einigeweitere Jahrhunderte hinziehen. In dieser Zeit könnten dieNachkommen der ursprünglichen Siedler daran gehen, ihreeigene Kolonisierungsexpedition zu einem anderen geeigne-ten, ferneren Planeten zu planen. Dieser wäre nach weiterenJahrhunderten besiedelt, und so fort. Auf ebendiese Weise ha-ben einst die Polynesier von den Inseln in der Mitte des Pazifik

Besitz genommen.Da das Licht zur Durchquerung unserer Galaxis nur etwa

hunderttausend Jahre braucht , würde die gesamte Reisezeit beieinem Prozent dieser Geschwindigkeit zehn Millionen Jahrel^etragen. Besiedelte man unterwegs hunderttausend Planeten,und brauchte man für jeden zweihundert Jahre, so würde dasden Zeitrahmen für die Besiedlung der Galaxis lediglich ver-

dreifachen. Dreißig Millionen Jahre aber sind nach astronomi-schen oder gar geologischen Maßstäben eine sehr kurze Zeit.So benötigt die Sonne für einen einzigen Umlauf um unsereGalaxis etwa zweihundert Millionen Jahre: das Leben auf derErde existiert mindestens siebzehnmal so lange. Erst in dreioder vier Milliarden Jahren wird das Altern der Sonne für dieErde eine Bedrohung bedeuten, so daß nach Ablauf von dreißig

Millionen Jahren nur sehr geringe Veränderungen eingetretenwären. Daraus kann man schließen, daß unsere Nachkommendie Galaxis in einem winzigen Bruchteil jener Zeit besiedelnkönnten, die von der Entstehung des Lebens auf der Erde bishin zur Entwicklung einer technologisch ausgerichteten Gesell-schaft nötig war.

Wie aber sähen unsere als Kolonisten aufbrechenden Nach-

kommen aus? Wenn wir unserer Phantasie freien Lauf lassen,könnten wir uns leicht vorstellen, daß sie sich dem Leben auf dem Zielplaneten ohne weiteres mit Hilfe der Genmanipula-

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tion anpassen würden. Um ein einfaches Beispiel zu nehmen:Wenn in der Nähe des Sterns Epsilon Eridani ein erdähnlicherPlanet entdeckt würde und man merkte, daß dessen Atmo-sphäre lediglich zehn Prozent Sauerstoff enthält, ließen sich

durch Genmanilpulation Siedler mit einer größeren Anzahl vonroten Blutkörperchen erzeugen. Wäre die Gravitation auf demneuen Planeten stärker, könnte man ihnen einen kräftigerenKörperhau und festere Knochen mitgehen - und so weiter.

Auch die Reise brauchte nicht einmal dann Schwierigkeitenzu bereiten, wenn sie einige Jahrhunderte dauern sollte. DasKaumschiff könnte wie eine Arche gebaut werden, ein vollstän-

diges unabhängiges Ökosystem, das in der Lage ist, den Reisen-den über viele Generationen alles zu liefern, was sie brauchen.Man könnte die Siedler aber auch für die Reise tiefgefrieren.Allerdings wäre es sinnvoller, lediglich ein kleines Raumschiff mit einer kleinen Besatzung auszuschicken, dessen FrachtraumMillionen tiefgefrorener Eier enthielte. Diese könnte man nachder Ankunft in Brustkästen heranreifen lassen. Auf diese Weise

würde man sogleich über eine Bevölkerung verfügen, ohne daßman sich mit den logistischen und soziologischen Schwierig-keiten herumschlagen müßte, die der Transport einer großenZahl erwachsener Menschen über einen langen Zeitraum mitsich brächte.

Stellt man einmal Spekulationen an, was innerhalb gewalti-ger Zeiträume möglich wäre, gibt es auch keinen Grund zu der

Annahme, daß diese Siedler nach ihrem Äußeren oder auch nurihrer Mentalität Menschen sein müßten. Wenn sich mit Hilfevon Genmanipulation Lebewesen hervorbringen lassen, dieunterschiedlichen Anforderungen gerecht werden, könnte manbei jeder Expedition zweckgemäß konzipierte Wesen auf dieReise schicken, welche über die Anatomie und Psyche verfügen,die für die anfallenden Aufgaben notwendig sind.

Die Siedler müßten nicht einmal lebende Organismen sein,wie sie der üblichen Definition entsprechen. Bereits jetzt kannman Menschen Mikroprozessoren in Form von Siliziumplätt-

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eben einpflanzen. Folge einer Weiterentwicklung dieses Ver-fahrens könnte eine Mischung organischer und künstlicherelektronischer Bestandteile sein, die imstande wären, körperli-che wie geistige Funktionen zu übernehmen. Es wäre beispiels-

weise möglich, einen zusätzlichen Gedächtnisspeicher für dasmenschliche Gehirn zu konstruieren, ähnlich den gegenwärtigfür Elektronenrechner verfügbaren Speicherbausteinen. Um-gekehrt würde es sich vielleicht bald als effizienter erweisen,zur Durchführung von Berechnungen organisches Material an-zupassen anstatt für diese Aufgabe elektronische Anlagen her-zustellen. Es wird sogar möglich sein. Rechnerbausteine auf 

biologischem Wege » anzuba uen« . Mit größerer Wahrscheinlich-keit wird man für viele Aufgaben anstelle von Digitalrechnernneuronale Netze verwenden; schon jetzt dienen sie an ihrerStelle zur Simulation menschlicher Intelligenz und zur Voraus-sage von Verhaltensweisen in der Wirtschaft. Es könnte auchvernünftiger sein, aus Stücken von Gehirngewebe organischeneuronale Netze zu züchten, als solche Netze von Grund auf 

neu zu konstruieren. Machbar wäre auch die Herstellung einersymbiotischen Mischung aus organischen und künstlichen Net-zen. Mit der Weiterentwicklung der Nanotechnik wird sich dieGrenzlinie zwischen lebenden und nichtlebenden, natürlichenund künstlichen Gehirnen und Rechnern immer mehr verwi-schen.

Gegenwärtig gehören solche Spekulationen ins Reich der

Science-fiction. Können sie auch Wirklichkeit werden? Schließ-lich bedeutet die einfache Tatsache, daß wir uns etwas vorstel-len können, nicht zwangsläufig, daß es auch geschieht. Den-noch können wir auf technische Prozesse den gleichen Grund-satz anwenden wie auf natürliche Prozesse: Vorausgesetzt, essteht genug Zeit dafür zur Verfügung. dann  wird   alles gesche-hen, was geschehen kann. Wenn der Mensch oder seine Nach-

kommen weiterhin hinreichend motiviert sind (ein ungeklärterPunkt), bestimmen ausschließlich die Gesetze der Physik dieGrenzen der Technik. Eine Herausforderung wie das Projekt

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des menschlichen Genoms, das fü r eine einzige Generation vonWissenschaftlern eine entmutigende Aufgabe darstellenkönnte, wäre ziemlich einfach, wenn sich hundert, tausendoder eine Million Generationen an die Arbeit machten.

Seien wir zuversichtlich. daß wir überleben und unsereTechnologie bis an ihre Grenzen weiterentwickeln werden.Was bedeutet das in bezug auf die Erforschung des Universums?Die Konstruktion zweckmäßiger empfindungsfähiger Wesenwürde die Möglichkeit eröffnen, in bisher vollkommen feindli-che Kegionen Beauftragte zu entsenden, die imstande wären,dort bis dahin unvorstellbare Aufgaben auszuführen. Hei diesen

Wesen würde es sich auch dann nicht um Menschen handeln,wenn sie aus einer von Menschen initiierten Technologie her-vorgegangen wären.

Sollten wir ein personliches Interesse am Geschick diesersonderbaren Geschöpfe halben? Es mag sein, daß viele Men-schen bei der Vorstellung, solche Ungeheuer könnten an dieStelle des Menschen treten, Abscheu empfinden. Wenn es das

Überleben erfordert, daß der Mensch einem genmanipuliertenorganischen Roboter seinen Platz räumt, würde sich dieMenschheit vielleicht für das Aussterben entscheiden. Dochwenn es uns bedrückt, daß der Mensch wahrscheinlich ver-schwindet, müssen wir uns gründlich mit der Frage beschäfti-gen, was am Menschen wir bewahren wollen. Sicherlich nichtunsere äußere Erscheinung. Würde es uns wirklich stören,

wenn wir wüßten, daß unsere Nachkommen in, sagen wir, einerMillion Jahren unter Umständen keine Zehen mehr hätten, ihreBeine kürzer wären und ihr Kopf- und damit auch ihr Gehirn -größer wäre als unserer? Schließlich hat sich unser Aussehen imLaufe weniger Jahrhunderte auch deutlich verändert, und schon

 jetzt gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen verschiede-nen ethnischen Gruppen.

Vor die Wahl gestellt, wäre vermutlich den meisten von unsdas wichtiger, was man den menschlichen Geist nennen könnte- unsere Kultur, unsere Wertvorstellungen, unsere besondere

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Bewußtsseinstruktur. wie sie in unseren wissenschaftlichen;künstlerischen und intellektuellen Leistungen veranschaulichtsind. All das ist es sicher wert, bewahrt und fortgesetzt zuwerden. Wenn wir unseren Nachkommen das Wesentliche un-

seres Mechanismus überliefern konnten, ganz gleich, wie ihräußerliches Erscheinungsbild ist. würde das. worauf es ammeisten ankommt, weiterbestehen.

Ob es möglich sein wird, menschenähnliche Wesen zu er-schaffen, die sich im All ausbreiten können, ist selbstverständ-lich eine äußerst gewagte Spekulation. Einmal ganz von allemanderen abgesehen, ist denkbar, daß dem Menschen der Drang

nach einem so großen Unternehmen abhanden kommt oderdaß wirtschaftliche, ökologische oder sonstige Katastrophen zuseinem Untergang führen, bevor er den Planeten wirklich ver-läßt. Es ist sogar möglich, daß uns außerirdische Wesen einenSchritt voraus sind und bereits den größten Teil der in Tragekommenden Planeten besiedelt haben (wenn auch offenkundig- noch - nicht die Erde). Aber ob die Aufgabe nun unseren

Nachkommen oder denen einer fremden Art zufällt, die Vorstel-lung, sich über das Universum auszubreiten und mit Hilfe derTechnologie die Herrschaft über es zu gewinnen, ist allemalfaszinierend, und es ist verlockend zu fragen, auf welche Weisesolche Superwesen gegen den allmählichen Zerfall des Univer-sums angehen würden.

Die Zeitspannen des im siebten Kapitel behandelten physika-

lischen Zerfalls sind so gewaltig, daß jede auf eine Extrapolie-rung gegenwärtiger Entwicklungsrichtungen auf der Erde ge-stützte Mutmaßung, wie die Technik in der sehr fernen Zukunftaussehen könnte, zum Scheitern verurteilt ist. Wer kann sicheine technologisch ausgerichtete Gesellschaft vorstellen, dieeine Billion Jahre alt ist? Man sollte meinen, daß sie alles zuerreichen vermöchte. Doch wäre vermutlich jede Technik, und

sei sie noch so fortgeschritten, nach wie vor den Grundgesetzender Physik unterworfen. Wenn beispielsweise die Relativitäts-theorie mit ihrer Schlußfolgerung recht hat, daß kein materiel-

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ler Körper imstande ist. die Lichtgeschwindigkeit zu über-schreiten, würde auch eine Million Jahre technischen Bemü-hens diese Schranke nicht niederreißen können. Noch schwer-wiegender aber ist die Tatsache, daß die fortwährende Nutzung

verfügbarer Energiequellen im Universum letzten Endes auchfür eine noch so fortgeschrittene technologisch orientierte Ge-meinschaft eine ernsthafte Bedrohung bedeutet, solange für

 jede interessante Aufgabe zumindest ein gewisses Maß an Ener-gie aufgewendet werden muß.

Indem wir für die allgemeinste Definition empfindungsfähi-ger Wesen grundlegende physikalische Prinzipien verwenden,

können wir untersuchen, ob der Verfall des Universums in derfernen Zukunft ihrem Überleben irgendwelche wirklich grund-legenden Hindernisse entgegensetzen würde. Damit sich einWesen als >empfindungsfähig< einstufen läßt, muß es zumindestin der Lage sein. Informationen zu verarbeiten. Denken undErfahren sind Heispiele für Tätigkeiten, bei denen es um Infor-mationsverarbeitunggeht. Welche Bedingungen könnte dies an

die physikalischen Gegebenheiten des Universums stellen?Ein kennzeichnendes Merkmal der Informationsverarbei-

tung besteht darin, daß dabei Energie dissipiert. das heißt inWärme umgewandelt, wird. Aus diesem Grund muß der Text-verarbeitungsrechner, mit dem ich dies Buch schreibe, ansStromnetz angeschlossen sein. Die Menge der pro Informa-tionsbit aufzuwendenen Energie hängt von thermodynami-

schen Gegebenheiten ab. Am geringsten ist der (theoretische)Energieverbrauch dann, wenn die Arbeitstemperatur des Sy-stems nahe der Umgebungstemperatur liegt. Das menschlicheGehirn und die meisten Rechner arbeiten ineffizient; sie wan-deln große Mengen überschüssiger Energie in Wärme um. Soerzeugt das Gehirn beispielsweise einen beträchtlichen Teilder Körperwärme, und viele Rechner benötigen ein spezielles

Kühlsystem, damit sie nicht schmelzen. Die Entstehung dieserAbwärme läßt sich auf das Verfahrensprinzip zurückführen,nach dem die Informationsverarbeitung erfolgt und das die

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Nun gibt es zwei Möglichkeiten, die Lebensdauer der Empfin-dungsfähigkeit zu verlängern. Entweder überlebt man so langewie möglich, oder man steigert die  Geschwindigkeit   der Denk-und Erfahrungsprozesse. Dyson geht von der vernünftigen An-

nahme aus, daß die subjektive Erfahrung des Zeitablaufs vonder Geschwindigkeit abhängt, mit der ein Wesen Informationenverarbeitet: Je schneller der Verarbeitungsmechanismus ist, de-sto mehr Gedanken und Wahrnehmungen stehen ihm pro Zeit-einheit zur Verfügung, und desto rascher scheint ihm die Zeit zuvergehen. Diese These verwendet Robert Foreword in unter-haltsamer Weise in seinem Science-fiction-Roman Dragon's

Egg [Drachenei]. Darin erzählt er die Geschichte einer ausbewußten Wesen bestehenden Gemeinschaft, die an der Ober-fläche eines Neutronensterns lebt und zur Aufrechterhaltungihrer Existenz nukleare statt chemische Prozesse nutzt. Da nu-kleare Wechselwirkungen tausendmal schneller sind als chemi-sche, verarbeiten diese »Neutronenwesen« Informationen auchviel schneller als wir. Eine Sekunde Menschenzeit entspricht

bei ihnen vielen Jahren. Bei ihrem ersten Kontakt mit Menschenist die auf dem Neutronenstern angesiedelte Gemeinschaftnoch recht primitiv, entwickelt sich aber von Minute zu Minuteund überflügelt die Menschheit rasch.

Leider haftet diesem Verfahren als Überlebensstrategie in derfernen Zukunft ein Nachteil an: Je schneller Informationenverarbeitet werden, um so mehr nimmt die Menge der in

Wärme umgewandelten Energie zu und um so rascher erschöp-fen sich die verfügbaren Energiequellen. Man könnte zu derAnsicht gelangen, das bedeute zweifelslos das Ende für unsereNachkommen, ganz gleich, welche körperliche Gestalt sie an-nehmen werden. Das muß aber nicht so sein. Dyson hat gezeigt,daß es einen klugen Kompromiß geben könnte, bei dem dieGemeinschaft ihre Aktivitätsrate allmählich, entsprechend den

abnehmenden Energiequellen im Universum, vermindert -beispielsweise indem sie sich über immer längere Zeiträumehinweg in Winterschlaf versetzt. Im Verlauf jeder dieser Schlaf-

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phasen würde die durch die Bemühungen der voraufgegange-nen Aktiviätsphase angesammelte Wärme abgeleitet und nütz-liche Energie für die nächste Aktivitätsphase gesammelt.

Die von den Wesen, die so vorgehen, subjektiv wahrgenom-

mene Zeit wird einen immer kleineren Bruchteil der tatsäch-lich verstrichenen Zeit ausmachen, weil die Phasen, in denendie Gemeinschaft nicht aktiv am Leben teilnimmt, immer län-ger werden. Doch >ewig< ist, wie schon mehrfach gesagt, einelange Zeit, und so haben wir es mit Grenzwerten zu tun, diemiteinander im Widerstreit liegen: auf der einen Seite mit derEnergiequelle (sie geht gegen Null) und auf der anderen mit

der Zeit (sie geht gegen Unendlich). Dyson hat anhand einereinfachen Untersuchung dieser Grenzwerte gezeigt. daß diegesamte subjektiv wahrgenommene Zeit selbst dann unend-lich sein kann, wenn die Gesamtmengen der verfügbarenEnergie endlich sind. Er führt dazu eine erstaunliche Statistikan: Eine Gemeinschaft, welche die gleiche Mitgliederzahl auf-weist, wie die Menschheit heute, könne buchstäblich die ganze

Ewigkeit hindurch mit einer Gesamtenergie von 6 x 1030

  Jouleauskommen. Diese Energiemenge strahlt die Sonne in nuracht Stunden ab!

Wahre Unsterblichkeit setzt mehr voraus als die Fälligkeit,eine unendliche Menge Informationen zu verarbeiten. Ein We-sen, dem eine endliche Zahl von Gehirnzuständen zu Gebotesteht, kann nur eine endliche Zahl verschiedener Gedanken

denken. Sollte es für alle Zeiten existieren, würde das bedeu-ten, daß immer wieder die gleichen Gedanken gehegt würden.Eine solche Existenz scheint so sinnlos wie die einer zumUntergang verurteilten Art. Um sich aus dieser Sackgasse zubefreien, muß die Gemeinschaft - oder das einzelne Superwe-sen - grenzenlos weiterwachsen. Das bedeutet für die sehrferne Zukunft eine beachtliche Herausforderung, weil die Ma-

terie rascher verdampfen wird, als sie für die >Gehirnmasse<geordert werden kann. Vielleicht könnte ein einfallsreichesEinzelwesen in seiner Verzweiflung versuchen, die flüchtigen,

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aber im All jederzeit vorhandenen Neutrinos einzuspannen, um

den Rahmen seiner geistigen Tätigkeit zu erweitern.Bei Dysons Gedankenspiel wird - wie eigentlich bei fast allen

Spekulationen über das Schicksal bewußter Wesen in der fer-

nen Zukunft - stillschweigend angenommen, daß die geistigen

Prozesse, die in der beschriebenen Situation ablaufen, stets auf

eine Art digitalen Rechenprozeß zurückführbar sind. Gewiß ist

ein Digitalrechner eine Maschine mit einer endlichen Zahl von

Zuständen, so daß dem, was er zu leisten vermag, eine klare

Grenze gesetzt ist. Allerdings gibt es auch andere - als Analog-rechner bekannte - Systeme. Ein einfaches Heispiel dafür ist der

Rechenschieber. Mit seiner Hilfe kann man Berechnungendurchführen, indem man die beiden Teile, aus denen er be-

steht, kontinuierlich gegeneinander verschiebt. Im Idealfall ist

dabei eine unendliche Zahl von Zustanden möglich. Mithin

entfallen für den Analogrechner manche der für den Digital-

rechner geltenden Einschränkungen, der lediglich eine endli-

che Menge von Informationen speichern und verarbeiten kann.

Wenn die Informationen so dargestellt werden wie bei einemAnalogrechner - beispielsweise durch die Lage oder Winkel

von Gegenständen - scheint die Kapazität eines solchen Rech-ners unbegrenzt zu sein. Angenommen also, ein Superwesen

könnte wie ein Analogrechner arbeiten, dann könnte es unterUmständen nicht nur eine unendliche Zahl von Gedanken ha-ben, sondern auch eine unendliche Zahl verschiedener  Gedan-

ken.Leider wissen wir nicht, ob das Universum wie ein Analog-

rechner oder wie ein Digitalrechner aufgebaut ist. Die Quan-tenphysik nimmt an, das es >quantifiziert< ist - also daß alleseine Merkmale diskrete Stufen und nicht kontinuierlicheSchwankungen aufweisen. Das aber ist reine Spekulation. Auchverstehen wir die Beziehung zwischen geistiger und körperli-

cher Gehirntätigkeit nicht; möglicherweise lassen sich Gedan-ken und Erfahrungen nicht einfach in Beziehung zu den hierbetrachteten quantenphysikalischen Vorstellungen setzen.

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Was auch immer das Eigentliche des Geistes sein mag, esbesteht kein Zweifel, daß die Wesen der fernen Zukunft dieendgültige ökologischen Krise erleben werden: die Umwand-lung aller im Universum verfügbaren Energiequellen in

Wärme. Dennoch sieht es so aus. als könnten sie. indem sie »esvergessen machen« eine Art von Unsterblichkeit erlangen. InDysons Szenario wirken sich ihre Aktivitäten immer wenigerauf ein Universum aus, das ihren Bedürfnissen gegenüber völliggleichgültig ist. So bleiben sie unzählige Äonen hindurch aktiv,wobei sie die stille Schwärze eines moribunden Kosmos kaumstören. Sie bewahren ihre Erinnerungen, fügen ihnen aber

nichts hinzu. Eine geschickte Planung ermöglicht ihnen nachwie vor eine unendliche Anzahl von Gedanken und Erfahrun-gen. Was könnten sie mehr erwarten?

Der Hitzetod des Universums ist zu einem der unvergängli-chen Mythen unseres Zeitalters geworden. Wir haben gesehen,wie der allem Anschein nach vom Zweiten Hauptsatz der Ther-modynamik vorausgesagte unausweichliche Verfall des Univer-

sums fü r Russell und andere die Grundlage einer Philosophiedes Atheismus, Nihi lismus und der Verzweiflung bildete. Unserbesseres Verständnis der Kosmologie setzt uns heute in denStand, ein etwas anderes Bild zu zeichnen. Schon möglich, daßdas Universum seinem Ende entgegengeht - dieses brauchtaber nicht endgültig zu sein. Gewiß gilt der Zweite Hauptsatzder Thermodynamik, doch schließt er nicht zwangsläufig eine

kulturelle Unsterblichkeit aus.Tatsächlich ist die Lage wohl nicht ganz so schwarz, wieDyson sie darstellt. Bisher habe ich angenommen, daß dasUniversum mehr oder weniger einheitlich bleibt, während essich ausdehnt und abkühlt. Das ist aber vielleicht nicht der Fall.Die Gravitation ist die Quelle vieler Instabilitäten, und an dieStelle der Einheitlichkeit des Kosmos, die wir heute weithin

wahrnehmen, könnte in ferner Zukunft eine kompliziertereAnordnung treten. Beispielsweise könnten sich bei der Ausdeh-nungsgeschwindigkeit in verschiedene Richtungen leichte Ver-

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änderungen verstärken. Riesige Schwarze Löcher könnten sichzu Haufen zusammenschließen, wenn ihre gegenseitige Anzie-hung die nach außen strebende Wirkung der kosmologischenAusdehnung überwindet. Das würde zu einem sonderbaren

Wettstreit führen. Wir wollen nicht vergessen, daß die Tempera-tur eines Schwarzen Lochs um so hoher liegt und es um sorascher verdampft, je kleiner es ist. Fallen nun zwei SchwarzeLocher zusammen, nimmt die Größe des dabei entstehendenLochs zu. Damit aber kühlt es sich ab. und der Verdampfungs-prozeß erleidet einen starken Rückschlag. Die Schlüsselfrageim Hinblick auf die ferne Zukunft des Universums heißt, ob die

Geschwindigkeit, mit der Schwarze Löcher verschmelzen, aus-reicht, um mit der Verdampfungsgeschwindigkeit Schritt zuhalten.  Wenn  das der  K a l i  ist. wird  es  stets einige SchwarzeLöcher geben, die mit Hilfe ihrer Hawking-Strahlung einertechnologisch versierten Gemeinschaft eine Quelle nutzbarerEnergie liefern können, womit gegebenfalls die Notwendigkeitdes oben beschriebenen Winterschlafs entfallt. Berechnungen

der Physiker Don Page und Randall McKee zeigen, daß dasErgebnis dieses Wettstreits auf des Messers Schneide steht undentscheidend von der genauen Geschwindigkeit abhängt, mitder die Ausdehnung des Universums künftig abnimmt; bei eini-gen Denkmodellen trägt der beim ZusammenballungsprozeßSchwarzer Löcher auftretende Energieüberschuß den Sieg da-von.

Außerdem läßt Dysons Darstellung die Möglichkeit außeracht, daß unsere Nachkommen selbst den Versuch unterneh-men könnten, den Aufbau des Kosmos in so großem Maßstab zuverändern, daß ihr Überleben gesichert wäre. Die Astrophysi-ker John Barrow und Frank Tipler haben überlegt, auf welcheWeise eine technologisch fortgeschrittene Gesellschaft kleineKorrekturen an den Bewegungen der Gestirne vornehmen

könnte, um zu einer für sie günstigen Anordnung der Gravita-tionsquelle zu gelangen. Beispielsweise ließe sich die Umlauf-bahn eines Asteroiden mit Hilfe von Atomwaffen beeinflussen -

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etwa so weit, daß er durch das Gravitationsfeld eines Planeten indie Sonne gelenkt würde. Die Wucht eines solchen Aufprallswürde deren Umlaufhahn in der Galaxis um eine Winzigkeitverändern. Zwar würde das nur geringen Einfluß haben, doch

sind solche Wirkungen kumulativ: Je weiter sich die Sonnebewegt, um so größer ist die erzielte Verschiebung. Über eineEntfernung von vielen Lichtjahren könnte diese Verlagerungeinen entscheidenden Unterschied ausmachen, sofern sich dieSonne einem anderen Stern näherte. Damit würde aus einerflüchtigen Begegnung ein Zusammentreffen, das die Hahn derSonne durch die Galaxis nachhaltig veränderte. Mittels einer

Manipulation vieler Sterne könnte man Haufen astronomischerKörper schaffen und zum Nutzen der Allgemeinheit lenken.Weil sich solche Auswirkungen verstärken und kumulieren, istdie Größe der Systeme, die sich auf diese Weise steuern lassen,unbegrenzt; es genügt hier und da ein leichter Anstoß. Wennman unseren Nachkommen genug Zeit ließe - und davon dürfteihnen auf jeden Fall eine Menge zur Verfügung stehen -, könn-

ten sie auf diese Weise ganze Galaxien fü r ihre Zwecke einspan-nen.

Diese großartige Manipulation des Kosmos müßte in Konkur-renz treten zu den natürlich auftretenden zufälligen Ereignis-sen, bei denen Sterne und Galaxien, wie im siebten Kapitelbeschrieben, aus Haufen herausgeschleudert werden, welchedie Gravitation miteinander verbindet. Barrow und Tipler zu-

folge würde es 1022

 Jahre dauern, um mit Hilfe von Asteroiden-Manipulation eine Galaxie umzugestalten. Leider kommt esnach jeweils 1019 Jahren zu natürlichen Ablenkungen der Um-laufbahnen, und so hat man durchaus den Eindruck, daß dieAussichten der Natur günstiger stehen als die der Menschheit.Auf der anderen Seite ist es möglich, daß unsere Nachkommendie Herrschaft über Objekte erlangen, die weit größer sind als

Asteroiden. Hinzu kommt, daß die Häufigkeit, mit der solcheAblenkungen in der Natur vorkommen, von der Umlaufge-

schwindigkeit der Objekte abhängt. Bei ganzen Galaxien nimmt

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sie ab, während sich das Universum ausdehnt. Aufgrund dergeringeren Geschwindigkeiten verlangsamt sich auch diekünstliche Manipulation, doch vermindern sich die beiden Wir-kungen nicht in gleichem Maße. Es scheint, als gäbe es im Laufe

der Zeit weniger natürliche Störungen als künstliche Verände-rungen, mit denen eine Gemeinschaft von Technikern das Uni-versum neu ordnen könnte. Das schafft die interessante Mög-lichkeit, daß intelligente Wesen mit der Zeit immer mehr Machtüber ein Universum gewinnen könnten, das immer wenigerRessourcen besitzt, bis die ganze Natur im wesentlichen »«tech-nisiert« und die Unterscheidung zwischen dem Natürlichen

und Künstlichen aufgehoben ist.Eine entscheidende Voraussetzung in Dysons Analyse ist, daß

im Zusammenhang mit Denkprozessen unvermeidlich Energiein Wärme umgewandelt wird. Tü r die des Menschen gilt das auf 

 jeden Fall, und noch bis vor kurzem nahm man ganz allgemeinan, es sei für jede Art der Informationsverarbeitung ein Mindest-preis an die Thermodynamik zu entrichten. Überraschender-

weise  t r i f f t  das  nicht  unbedingt  zu. Die  Informatiker  CharlesBennett und Rolf Landauer von IBM haben gezeigt, daß reversi-ble Informationsverarbeitung prinzipiell möglich ist. Das heißt,daß bestimmte (zur Zeit noch völlig hypothetische) physikali-sche Systeme Informationen ohne Dissipation verarbeiten kön-nen. Man kann sich ohne weiteres ein solches System vorstel-len, das eine unendliche Anzahl von Gedanken hat, ohne dafür

irgendeine Art von Energiequelle zu brauchen! Unklar ist, ob esInformationen ebenso  sammeln  wie verarbeiten könnte, dennes sieht ganz so aus, als bedinge jeder Erwerb nicht-trivialerInformationen aus der Umgebung die eine oder andere Art vonEnergieumwandlung in Wärme, und sei es nur, weil das Signalvom Rauschen getrennt werden muß. Daher wäre es denkbar,daß dieses anspruchslose Wesen nichts von der Welt wahr-

nähme, die es umgibt. Allerdings wäre es in der Lage, sich an einfrüheres Universum zu erinnern. Vielleicht könnte es auchsogar träumen.

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Mehr als ein Jahrhundert lang hat das Bild vom sterbendenUniversum die Naturwissenschaftler in seinen Bann gezogen.Die Theorie, daß wir in einem Universum leben, das durch dieallenthalben auftretende Entropie ständig mehr verfällt, gehört

zur Folklore der naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung.Aber wie fest sie sie gegründet? Dürfen wir sicher sein, daß

 jeder physikalische Prozeß unausweichlich zu Chaos und Zer-fall führt?

Wie verhält es sich beispielsweise mit der Biologie? Dieextreme Haltung, mit der manche Biologen Darwins Evolu-tionslehre verteidigen, liefert uns einen Hinweis. Meiner An-

sicht nach geht diese Reaktion auf den beunruhigenden Wider-spruch eines eindeutig konstruktiven Prozesses zurück , den alszutiefst zerstörerisch angesehene physikalische Kräfte voran-treiben. Wahrscheinlich hat das Leben auf der Erde mit einer ArtUrschleim begonnen. Heute ist die Biosphäre ein reichhaltiges,komplexes Ökosystem, ein Netz aus hochkomplizierten undäußerst vielfältigen Organismen, die in mannigfacher Wechsel-

wirkung zueinander stehen. Obwohl Biologen alles bestreiten,was auf ein systematisches Fortschreiten der Evolution hindeu-tet, vielleicht aus Furcht vor Anspielungen auf einen göttlichenPlan, ist Naturwissenschaftlern wie Laien klar, daß etwas in mehroder weniger der gleichen Richtung vorangeschritten ist, seitLeben auf der Erde besteht. Das Problem ist. diesen Fortschrittgenauer zu bestimmen. Was ist da vorangeschritten?

Die vorangehenden Erläuterungen der Überlebensfragekonzentrieren sich auf den Widerstreit zwischen Information(oder Ordnung) und Entropie - wobei die Entropie stets dieOberhand behält. Doch ist die Größe, um die wir uns kümmernmüssen, Information  per se? Sich seinen Weg systematischdurch alle möglichen Gedanken zu suchen, ist letzten Endesungefähr ebenso spannend, wie wenn man das Telefonbuch

läse. Was zählt, ist mit Sicherheit die Qualität der Erfahrungoder, allgemeiner gesagt, die Qualität der Informationen, die dagesammelt und verwendet werden.

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Soweit wir das zu sagen vermögen, hat das Universum ineinem mehr oder weniger merkmalslosen Zustand begonnen.Im Laufe der Zeit ist es zu der Vielfalt und Reichhaltigkeit der

physikalischen Systeme gekommen, die wir heute wahrneh-men können. Daher ist die Geschichte des Universums gleich-bedeutend mit der Geschichte der Zunahme organisierterKomplexität. Das klingt wie ein Paradox. Ich habe meine Dar-stellung damit begonnen. daß ich beschrieb, aufweiche Art undWeise uns der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik erklärt,daß das Universum im Sterben liegt und unausweichlich auseinem Anfangszustand geringer Entropie in einen Endzustand

höchster Entropie hinübergleitet, in dem es keinerlei Aussich-ten auf einen Weiterbestand gibt. Werden die Dinge nun besseroder schlim mer?

In Wirk lichkeit handelt es sich nicht um ein Paradox, weil einUnterschied zwischen organisierter Komplexität und Entropieoder Unordnung besteht. Letztere ist das Gegenstück zu Infor-mation oder Ordnung. Je mehr Informationen man verarbeitet

- das heißt, je mehr Ordnung man erzeugt -. desto höher ist derdafür zu entrichtende Preis an Entropie. Wird an einer StelleOrdnung geschaffen, entsteht an einer anderen Unordnung:Das besagt der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik; die En-tropie gewinnt immer. Aber Organisation und Komplexitätsind nicht bloß Ordnung und Information. Sie beziehen sich auf bestimmte Arten von Ordnung und Information. So erkennen

wir beispielsweise einen wichtigen Unterschied zwischeneinem Bakterium und einem Kristall. Beide besitzen eine Ord-nung, doch ist diese jeweils anders. Ein Kristallgitter weist einebestimmte starre Struktur auf - zwar formvollendet, aber imgroßen und ganzen langweilig. Der ausgeklügelte Aufbau einesBakteriums hingegen ist überaus interessant.

Man könnte das für subjektive Urteile halten, doch sie lassen

sich mathematisch untermauern. In den letzten Jahren ist einganzes neues Forschungsgebiet entstanden, das sich die Quan-tifizierung solcher Vorstellungen wie organisierte Vielschich-

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tigkeit zum Ziel gesetzt hat und sich bemüht, allgemeine Prinzi-pien der Organisation aufzustellen, die sich mit bestehendenphysikalischen Gesetzen zur Deckung bringen lassen. Das Ar-beitsgebiet steht noch am Anfang, stellt aber bereits jetzt viele

traditionelle Theorien zum Thema Ordnung und Chaos inFrage.

In meinem Buch  Prinzip Chaos  habe ich die These aufge-stellt, daß im Universum neben dem Zweiten Hauptsatz derThermodynamik eine Art »Hauptsatz der zunehmenden Kom-plexität« am Werk ist und diese beiden durchaus miteinandervereinbar seien. In der Praxis führt eine Zunahme organisatori-

scher Komplexität bei einem physikalischen System zu einemAnstieg der Entropie. So tritt beispielsweise in der biologischenEvolution ein neuer, komplexerer Organismus erst auf, nach-dem eine Reihe zerstörerischer physikalischer und biologi-scher Prozesse stattgefunden hat (ein Heispiel dafür wäre dasvorzeitige Absterben schlecht angepaßter Mutan ten) . Sogar beider Entstehung einer Schneeflocke wird Abwärme frei, welche

die Entropie im Universum steigert. Doch läßt sich der Verlust,wie schon gesagt, nicht unmittelbar in Beziehung dazu setzen,da Organisation nicht das Gegenteil von Entropie ist.

Es ermutigt mich sehr, daß viele andere Forscher zu ähnli-chen Schlußfolgerungen gelangt sind und man bestrebt ist,einen »Zweiten Hauptsatz der Komplexität« zu formulieren.Trotz seiner Vereinbarkeit mit dem der Thermodynamik liefert

er ein gänzlich anderes Bild von den Veränderungen im All undbeschreibt ein Universum, das (in einem durch die Forschun-gen, von denen ich gesprochen habe, noch genauer zu bestim-menden Sinne) von weitgehend merkmalslosen Anfängen zuimmer komplexeren Zuständen vorangeschritten ist.

Im Zusammenhang mit dem Ende des Universums ist dieExistenz eines Hauptsatzes zunehmender Komplexität von

grundlegender Bedeutung. Wenn organisierte Komplexitätnicht das Gegenteil von Entropie ist, stellt der beschränkteVorrat an negativer Entropie im Universum nicht zwangsläufig

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eine Begrenzung des Ausmaßes an Komplexität dar. Der inForm von Entropie zu zahlende Preis für das Fortschreiten derKomplexität ist vielleicht ganz unerheblich und nicht - wie imFalle des bloßen Ordnens und Verarbeitens von Informatio-

nen - wesentlich. Wenn dem so ist, sind unsere Nachkommenunter Umständen in der Lage. Zustände einer immer komplexe-ren Organisation zu erreichen, ohne dafür schwindende Res-sourcen vergeuden zu müssen. So könnten sie eventuellBeschränkungen in bezug auf die Menge der verarbeitetenInformationen unterworfen sein, nicht aber in bezug auf Vielfaltund Qualtität ihrer geistigen und körperlichen Aktivitäten.

In diesem wie im voraufgegangen Kapitel habe ich versucht,einen Einblick in ein Universum zu geben, das sich zwar ver-langsamt, aber vielleicht nie ganz zum Stills tand kommen wird.Ich habe sonderbare Science-fiction-Geschöpfe vorgefühlt, dieihre Existenz gegen immer größere Hindernisse behauptenund ihren Einfallsreichtum an der unerbittlichen Logik deszweiten Hauptsatzes der Thermodynamik erproben. Die Vor-

stellung ihres verzweifelten, aber nicht unbedingt aussichtslo-sen Oberlebenskampfes mag die einen Leser erheitern und die

anderen eher bedrücken. Meine eigenen Gefühle sind ge-mischt.

Allerdings stützt sich die ganze Spekulation auf die These,daß sich das Universum ewig weiter ausdehnen wird. Wir habengesehen, daß es sich dabei nur um ein mögliches Schicksal des

Kosmos handelt. Wenn die Ausdehnung rasch genug abnimmt,hört das Universum vielleicht eines Tages auf sich auszudehnenund beginnt, sich in Richtung auf einen großen Kollaps zusam-menzuziehen. Welche Aussichten bestehen in diesem Fall fürein Überleben?

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Ein Leben auf derÜberholspur

Wenn  es  kein  > e w i g <   gibt,  kann  keine  noch  so große  mensch-liche oder außerirdische Genialität das Leben in alle Ewigkeitverlängern. Wenn das Universum nur für eine begrenzte Zeitexistieren kann, ist die globale Katastrophe unvermeidlich. Imsechsten Kapitel habe ich dargelegt, inwiefern das Schicksal des

Universums letztlich von seinem Gesamtgewicht abhängt. Be-obachtungen lassen den Schluß zu, daß das Gewicht des Allssehr nahe an der kritischen Grenze zwischen ewiger Ausdeh-nung und endgültigem Kollaps liegt. Sollte es tatsächlich einesTages anfangen sich zusammenzuziehen, werden sich die Er-fahrungen empfindungsfähiger Wesen sehr deutlich von demim vorigen Kapitel Beschriebenen unterscheiden.

Von den frühen Stadien der Zusammenziehung des Univer-sums geht noch keinerlei Bedrohung aus. Wie ein Ball, der auf dem Gipfelpunkt seiner Flugbahn angelangt ist, wird es ganzallmählich anfangen, in sich zusammenzufallen. Nehmen wireinmal an, der Gipfelpunkt werde in hundert Mill iarden Jahrenerreicht sein. Zu diesem Zeitpunkt brennen noch genug Sterne,und unsere Nachkommen werden in der Lage sein, mit opti-

schen Teleskopen die Bewegungen von Galaxien zu verfolgen.Dabei könnten sie dann beobachten, wie die Galaxienhaufensich in ihrem Rückzug allmählich verlangsamen und schließlich

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aufeinanderzuzustürzen beginnen. Die Galaxien, die wir heutesehen, werden dann etwa viermal weiter entfernt sein als jetzt.Durch das höhere Alter des Universums bedingt, werden Astro-nomen etwa zehnmal so weit sehen können wie wir, so daß das

von ihnen beobachtbare Universum weit mehr Galaxien umfas-sen wird, als wir sie zur Zeit wahrnehmen können.

Da das Licht viele Milliarden Jahre benötigt, um den Kosmoszu durchqueren, werden Astronomen in hundert MilliardenJahren die Zusammenziehung nicht sehr lange sehen können.Als erstes wird ihnen auffallen, daß sich vergleichsweise naheGalaxien im Durchschnitt häufiger nähern als zurückweichen.

Aber das Licht ferner Galaxien wird nach wie vor rotverschobenerscheinen. Erkennbar wäre ein systematischer Einbruch erstnach mehreren M ill iarden Jahren. Leichter wahrnehmen ließesich eine geringe Veränderung in der Temperatur der kosmi-schen Hinterg rundstrahlung. Es ist daran zu erinnern, daß diesenoch vom Urknall stammt und ihre Temperatur gegenwärtigetwa 3 K beträgt, also 3 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Sie

nimmt mit zunehmender Ausdehnung des Universums ab undwird in hundert Milliarden Jahren auf etwa l K zurückgegangensein. Auf dem Höhepunkt der Ausdehnung wird sie ihren Tiefst-wert erreichen und wieder zu steigen beginnen, sobald dieZusammenziehung einsetzt. Wenn sich das Universum auf diegleiche Dichte wie heute zusammengezogen hat, wird sie er-neut den Wert 3 K aufweisen. Das wird weitere hundert Milliar-

den Jahre dauern: Aufstieg und Fall des Universums erfolgenmit annähernder zeitlicher Symmetrie.Der Zusammenbruch des Universums wird nicht einfach

über Nacht kommen. Unsere Nachkommen werden noch Mil-liarden Jahre nach Beginn der Zusammenziehung gut lebenkönnen. Allerdings wird die Lage nicht ganz so rosig sein, wennnach sehr viel längerer Zeit die Wende eintritt - beispielsweise

nach einer Billion Billion Jahren. In diesem Fall werden dieSterne ausgebrannt sein, bevor der Höhepunkt erreicht ist, unddie dann noch lebenden Erdbewohner werden sich einer gan-

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zen Reihe von Schwierigkeiten gegenübersehen, die mit einemsich ständig ausdehnenden Universum verbunden sind.

Wann immer der Umschwung einsetzt, das Universum wirdnach ebenso vielen Jahren, von heute bis zu dieser Wende

gerechnet, seine gegenwärtige Größe wiedererlangen. SeinAussehen wird sich dann allerdings sehr verändert haben.Selbst für den Fall, daß der Umschwung nach hundert Milliar-denjahren eintritt, wird es weit mehr Schwarze Löcher und weitweniger Sterne geben als heute. Bewohnbare Planeten werdenäußerst rar sein.

Um die Zeit, in der das Universum seine gegenwärtige Größe

wieder erreicht, wird es sich ziemlich rasch zusammenziehenund im Verlauf von dreieinhalb Milliarden Jahren auf die Hälfteseiner Größe schrumpfen. Dieser Prozeß wird immer schnellerablaufen. Richtig interessant wird es aber etwa zehn MilliardenJahre nach diesem Zeitpunkt , wenn der Anstieg der Temperaturder kosmischen Hintergrundstrahlung zu einer ernsthaften Be-drohung geworden  i s t . Bis sie etwa  3 0 0 K  erreicht  h a t ,  dü r f t e es

für einen Planeten wie die Erde schwer werden. Wärme abzu-strahlen. Er würde sich allmählich unaufhaltsam erwärmen. Erstwürden Gletscher oder Eiskappen an den Polen schmelzen,und dann würden die Weltmeere verdampfen.

Vierzig Millionen Jahre später würde die Temperatur derHintergrundstrahlung die Durchschnittstemperatur erreichen,die heute auf der Erde herrscht. Erdähnliche Planeten wären

dann völlig unbewohnbar. Da sich die Sonne inzwischen zueinem roten Riesen ausgedehnt hätte, hätte dies Geschick dieErde bis dahin natürlich längst ereilt, und fü r unsere Nachkom-men gäbe es keinen sicheren Hafen mehr. Die Wärmestrahlungwürde das Universum anfüllen. Im gesamten Weltraumherrschte eine Temperatur von 200° C, und sie stiege weiter an.Astronomen, die sich an diese Bedingungen angepaßt oder

gekühlte Ökosysteme geschaffen hätten, um den Zeitpunkt ih-res Gebratenwerdens hinauszuzögern, könnten beobachten,daß das Universum nunmehr beschleunigt zusammenbricht

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und  seine Größe  im  Ver lau f   weniger  Millionen Jahre  auf dieHälfte reduziert. Galaxien. die dann noch existierten, wärenmiteinander verschmolzen und nicht mehr als solche erkenn-bar. Dennoch gäbe es nach wie vor viel leeren Raum; nur

selten käme es zu Zusammenstößen zwischen einzelnen Ster-nen.

Während das Universum seiner Endphase entgegentriebe,würden die in ihm herrschenden Bedingungen den Verhält-nissen kurz nach dem Urknall immer ähnlicher. Der AstronomMartin Rees hat eine eschatologische Untersuchung des zu-sammenbrechenden Kosmos durchgefühlt. Unter Verwen-

dung allgemeiner physikalischer Grundsätze konnte er einMild von den letzten Stadien des Zusammenbruchs entwerfen.Zum Schluß wäre die kosmische Hitzestrahlung so intensiv,daß der Nachthimmel dunkelrot erglühen würde. Allmählichwürde sich das Universum in einen alles umfassenden kosmi-schen Schmelzofen verwandeln, der die Planeten ihrer Atmo-sphäre berauben und alle anfälligen Formen des Lebens ver-

glühen ließe, wo auch immer sie sich verborgen hielten. Nachund nach würde aus dem roten ein gelbes und schließlich einweißes Leuchten, bis die im gesamten Universum anzutref-fende ungeheure Wärmestrahlung sogar die Existenz derSterne bedrohte. Da diese ihre Energie nicht abstrahlen könn-ten, würden sie die Wärme in ihrem Inneren speichern undschließlich explodieren. Der Weltraum würde sich mit Plasma,

glühend heißem Gas, anfüllen und immer weiter erwärmen.In dem Maße, wie sich das Tempo der Veränderungen be-

schleunigt, werden die Bedingungen immer extremer. DasUniversum beginnt sich in einem Zeitraum von lediglich hun-derttausend, dann tausend und schließlich hundert Jahren er-kennbar zu verändern: immer rascher stürmt es seinemschließlichen Untergang entgegen. Die Temperatur steigt auf 

Millionen und schließlich Milliarden Grad an. Materie, dieheute ungeheure Bereiche des Weltraums einnimmt, wird auf winzige Volumina zusammengepreßt. Die Masse einer Galaxie

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nimmt einen Raum von nur wenigen Lichtjahren Größe ein. Dieletzten drei Minuten haben begonnen.

Schließlich wird die Temperatur so hoch, daß selbst Atom-kerne zerfallen. Die Materie wird zu einer einheitlichen Suppe

aus Elementarteilchen. Alles, was Urknall und Generationenvon Sternen an schweren chemischen Elementen geschaffenhaben, wird schneller rückgängig gemacht, als es dauert, dieseBuchseite zu lesen. Atomkerne - stabile Gefüge. die MillionenJahre überstanden haben mögen - werden unwiderruflich zer-schmettert. Mit Ausnahme der Schwarzen Löcher sind alle ande-ren Gebilde längst zu nichts verglüht. Jetzt ist das Universum

von eleganter, aber unheilvoller Einfachheit gekennzeichnet.Es hat nur noch Sekunden zu leben.

Während der Kollaps des Kosmos immer schneller voran-schreitet, steigt die Temperatur immer rascher an, ohne daß eseine bestimmte Grenze dafür gäbe. Die Materie wird so starkzusammengepreßt, daß es keine einzelnen Protonen und Neu-tronen mehr gibt: alles ist nur noch eine Suppe aus Quarks. Der

Zusammenbruch beschleunigt sich weiter.Jetzt ist alles für die endgültige kosmische Katastrophe bereit,

bis zu deren Eintreten es nur noch wenige Mikrosekundendauert. Schwarze Löcher beginnen miteinander zu verschmel-zen, wobei sich ihr Inneres kaum von dem allgemeinen, imZusammenbruch befindlichen Zustand des Universums unter-scheidet. Nur Raumzeit-Bereiche, die etwas verfrüht an ihr Ende

gelangt sind, werden noch dem Rest des Kosmos einverleibt.In den letzten Augenblicken wird die Gravitation zur alles

beherrschenden Kraft, die Materie und Raum erbarmungsloszerstört. Die Krümmung der Raumzeit nimmt ständig schnellerzu. Immer ausgedehntere Bereiche des Raumes werden auf immer kleinere Volumina verdichtet. Der herkömmlichenTheorie zufolge wird die Implosion ungeheuerlich sein. Sie

wird die ganze Materie vernichten und jedes physikalischeObjekt, einschließlich Zeit und Raum, in einer Raumzeit-Singu-larität verschwinden lassen.

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Das ist das Ende.Der »große Kollaps«, soweit wir ihn verstehen, bedeutet

nicht nur das Ende der Materie. Er ist das Ende von allem. Daauch die Zeit aufhört, ist die Frage, was anschließend geschieht,ebenso sinnlos wie die, was vor dem Urkna ll war. Es gibt nichts,was »anschließend« geschehen könnte - weder Zeit fü r Inaktivi-tät, noch Kaum für Leere. Ein Universum, das im Urknall ausdem Nichts entstand, verschwindet beim großen Kollaps insNichts, und die paar gloriosen Xillionen Jahre seiner Existenzwerden nicht einmal eine Erinnerung sein.

Sollten wir uns durch eine solche Aussicht niederdrücken

lassen? Was wäre schlimmer: ein Universum, das langsam zer-f ä l l t und sich auf  alle Zeiten zu einem Zustand dunkler Leere hinausdehnt, oder eines, das ins Feuer des Vergessens hineinimplodiert? Und welche Hoffnung auf Unsterbl ichkeit gibt es ineinem Universum, dem vorherbestimmt ist, daß ihm die Zeitausgeht?

Die Aussichten für das Leben vor dem großen Zusammen-

bruch sind noch trüber als in der fernen Zukunft eines sichunaufhörlich ausdehnenden Universums. Hier liegt die Schwie-rigkeit nicht in einem Energiemangel, sondern in einem Ener-gieüberschuß begründet. Doch unseren Nachkommen werdenmöglicherweise Milliarden, wenn nicht Killionenjahre zur Ver-fügung stehen, um sich auf den endgültigen Feuersturm vorzu-bereiten. Während dieser Zeit könnte sich das Leben über das

gesamte Universum ausdehnen. Beim einfachsten Modell einesin sich zusammenbrechenden Universums ist das Gesamtvolu-men des Raumes endlich. Das hängt mit seiner Krümmungzusammen, die es ihm gestattet, die dreidimensionale Entspre-chung einer Kugeloberfläche zu bilden. Daher ist es denkbar,daß sich intelligente Wesen über das ganze Universum ausbrei-ten und die Kontrolle darüber erlangen können, was ihnen die

Möglichkeit gäbe, sich dem großen Kollaps mit allen verfügba-ren Mitteln zu stellen.

Allerdings ist nicht so ohne weiteres einzusehen, warum sie

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sich darüber Jen Kopf zerbrechen sollten. Setzt man voraus,daß nach dem großen Kollaps jede Existenz unmöglich ist -welchen Sinn hätte es dann, die Qual noch um einiges zuverlängern? Ob die Vernichtung eine oder zehn Millionen Jahrevor dem Ende erfolgt, ist in einem Billionen Jahre alten Univer-sum unerheblich. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß Zeiteine relative Größe ist. Die subjektive Zeit unserer Nachkom-men wird ebenso von der Geschwindigkeit ihres Stoffwechselswie von der ihrer Informationsverarbeitung abhängen. Wennwir annehmen, daß ihnen viel Zeit zur Anpassung ihrer Körper-lichkeit zur Verfügung steht, ist es ihnen eventuell möglich, die

ihnen drohende Hölle in eine Art Unsterblichkeit umzuwan-deln.

Ein Temperaturanstieg bedeutet, daß sich Teilchen schnellerbewegen und physikalische Prozesse schneller ablaufen. Erin-nern wir uns daran, daß die entscheidende Fähigkeit, die voneinem empfindungsfähigen Wesen gefordert wird, seine Fähig-keit ist, Informationen zu verarbeiten. In einem Universum mit

steigender Temperatur wird auch die Informationsverarbei-tung schneller vor sich gehen. Für ein Wesen, dessen thermody-namische Prozesse mit einer Milliarde Grad Celsius ablaufen,scheint das unmittelbar bevorstehende Auslöschen des Univer-sums Jahre entfernt zu liegen. Es gibt keinen Grund, das Endeder Zeit zu fürchten, wenn sich die verfügbare Zeit im Bewußt-sein des Beobachters unendlich dehnen läßt. Wie sich der

Zusammenbruch auf den endgültigen Kollaps hin beschleunigt,so könnten sich die subjektiven Wahrnehmungen der Beobach-ter im Prinzip immer schneller ausweiten und dem raschenSturz in den Weltuntergang mit einer erhöhten Denkgeschwin-digkeit entsprechen.

Man könnte sich die Frage stellen, ob ein intelligentes Super-wesen, welches das zusammenbrechende Universum in den

letzten Augenblicken bewohnt, in der verfügbaren endlichenZeit zu einer unendlichen Anzahl Gedanken und Empfindun-gen fähig wäre. Dieser Frage sind John Barrow und Frank Tipler

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nachgegangen. Die Antwort hängt entscheidend von den physi-kalischen Gegebenheiten der letzten Stadien ab. Beispielsweiseergibt sich eine größere Schwierigkeit, wenn wir voraussetzen,daß das Universum auf seinem Weg zur endgültigen Singularitätziemlich gleichförmig bleibt. Wie schnell auch immer jemandzu denken vermag - die Lichtgeschwindigkeit bleibt unverän-dert, und so kann das Licht pro Sekunde bestenfalls die Entfer-nung einer Lichtsekunde zurücklegen. Da die Lichtgeschwin-digkeit die Grenzgeschwindigkeit definiert, mit der sich  jedephysikalische Wirkung fortzupflanzen vermag, bedeutet das,daß im Verlauf der letzten Sekunde keine Kommunikation zwi-

schen Kegionen des Raumes stattfinden kann, die weiter als eineLichtsekunde voneinander entfernt liegen. (Das ist ein weiteresHeispiel für einen Ereignishorizont, ähnlich dem. der verhin-dert, daß Informationen aus einem Schwarzen Loch herausge-langen. ) Während sich das Ende nähert, nimmt die Größe derKegionen, die miteinander kommunizieren können, ebenso abwie die Zahl der in ihnen enthaltenen Teilchen und geht gegen

Null. Damit ein System Informationen verarbeiten kann, müs-sen aber alle seine Bestandteile miteinander kommunizierenkönnen. Offensichtlich begrenzt die endliche Geschwindigkeitdes Lichts die Größe eines jeden >Gehirns<, das existiert, wenndas Ende naht. Das wiederum bedeutet unter Umständen eineBegrenzung der verschiedenen Zustände - und mithin Gedan-ken-, die einem solchen Gehirn zu Verfügung stehen.

Soll diese Beschränkung nicht gelten, dürfen die letzten Pha-sen des Zusammenbruchs nicht gleichförmig verlaufen - unddiese Möglichkeit ist durchaus wahrscheinlich. Gründliche ma-thematische Untersuchungen des Zusammenbruchs lassen dieVermutung zu, daß die Geschwindigkeit, mit der das Universumimplodiert, in verschiedenen Richtungen unterschiedlich seinwird. Merkwürdigerweise geht es dabei nicht einfach darum,

daß es sich in der einen Richtung rascher zusammenzieht als inder anderen. In Wirklichkeit kommt es zu Schwingungen, sodaß sich die Richtung, in der die Zerfallsgeschwindigkeit am

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größten ist, immer wieder ändert. Tatsächlich taumelt das Uni-

versum seinem Ende in immer heftigeren und komplexeren

Schwingungen entgegen.Barrow und Tipler vermuten, daß diese komplizierten

Schwingungen den Ereignishorizont erst in dieser und dann in jener Richtung aufheben, womit allen Kegionen des Raumes die

Möglichkeit gegeben wäre, miteinander in Verhindung zu blei-

ben. Ein unter Umständen existierendes Supergehirn müßte

die Kommunikation aus einer Richtung rasch in die andere

umschalten, während die Schwingungen den Zusammenbruch

erst hier und dann da beschleunigen. Wenn es ihm gelänge, den

Takt der Schwingungen einzuhalten, könnten diese sogar diefür die Denkprozesse erforderliche Energie liefern. Auch zei-gen einfache mathematische Modelle, daß es in der endlichen

Zeitspanne, in welcher der große Kollaps abläuft, allem An-schein nach zu einer unendlichen Zahl von Schwingungen

kommt. Damit bestünde die Möglichkeit, eine unendliche

Menge an Informationen zu verarbeiten, was dem Superwesen

hypothetisch eine unendlich lange subjektive Zeit zur Verfü-gung stellen würde. So könnte es sein, daß die geistige Welt nieendet, obwohl die physikalische Welt beim großen Kollapsschlagartig ihr Ende findet.

Was könnte ein Hirn mit unbegrenzten Fähigkeiten tun? Tip-

ler zufolge wäre es nicht nur imstande, über alle möglichenAspekte seiner eigenen Existenz sowie der des Universums, die

es in sich schlösse, zu reflektieren, es könnte auch mit seinerunendlichen Fähigkeit zur Informationsverarbeitung in einer

Orgie virtueller Realität imaginäre Welten simulieren. Die Zahlder möglichen Universen, die es sich auf diese Art vorzustellenvermöchte, wäre unendlich. Nicht nur würden sich die letztendrei Minuten bis in alle Ewigkeit hinziehen, sie würden auch die

simulierte Realität einer unendlichen Vielfalt kosmischer Tätig-

keit ermöglichen.Leider hängen diese (recht wilden) Spekulationen von ganz

bestimmten physikalischen Modellen ab, die sich als ganz und

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gar unrealistisch erweisen könnten. Außerdem bleiben dabeidie Quantenw irkungen außer acht, die wahrscheinlich die letz-

ten Stadien des Gravitations-Zusammenbruchs beherrschenwürden und der Geschwindigkeit der Informationsverarbei-

tung sehr wohl eine genaue Grenze setzen könnten. Wenn sichdas so verhält , können wir nu r hoffen, daß das Superwesen oderder Superrechner die Existenz in der verfügbaren Zeit hinrei-chend gut versteht, um sich mit seiner eigenen Sterblichkeitabzuf inden .

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Plötzlicher Tod undWiedergeburt

Bisher bin ich von der Annahme ausgegangen, man müsse inder sehr fernen und möglicherweise unendlichen Zukunft mitdem Ende des Universums rechnen, oh es nun in einem lautenKnall oder mit Gewimmer erfolgt (oder genauer gesagt, durchKollaps oder Tiefgefrieren). Wenn das Universum zusammen-

bräche, hätten unsere Nachkommen viele Milliarden Jahre zu-vor Kenntnis von der bevorstehenden Katastrophe. Aber es gibtnoch eine weitere Möglichkeit, und sie ist insgesamt beklem-mender.

Wie ich erklärt habe, sehen Astronomen beim Blick zumHimmel das All nicht in seinem gegenwärtigen Zustand, sozusa-gen als unmittelbaren Schnappschuß. Wegen der Zeit, die es

dauert, bis das Licht aus fernen Regionen des Weltraums dieErde erreicht, sehen wir jedes Objekt im Raum so, wie es in demAugenblick war, als das Licht ausgesandt wurde. Mit dem Tele-skop blickt man also nicht nur in die Ferne, sondern auch in dieZeit. Je weiter ein Objekt entfernt ist, desto weiter aus derVergangenheit kommt das Bild, das wir heute sehen. Tatsäch-lich ist das Universum des Astronomen ein in Abbildung 10.1

abgebildeter rückwärts gerichteter Schnitt durch Raum undZeit. In der Fachsprache wird er »Vergangenheitslichtkegel«genannt.

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 Abbildung 8: Von einem bestimmten Punkt P in Kaum und Zeit - z. B. hier und  jetzt- sieht  ein Astronom das  Universum.  auf das er den  B l ick  r i ch te t ,

so, wie es in der Vergangenheit war. nicht aber wie es heute ist. Die an Peintreffende Information bewegt sich entlang dem von den schrägenLinien gekennzeichneten »Vergangenheitslichtkegel« durch P. Dabeihandelt es sich um den jeweiligen Weg der Lichtsignale, die aus fernenKegionen des Universums in der Vergangenheit auf der Freie eintreffen.Da sich physikalische E infl üsse ebensowenig wie Inf orm ati onen schnellerals mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen können, vermag der Beobachterim genannten Au genb lick lediglich etwas über Einf lüs se und Ereignisse zuerfahren , d ie im schraf f ier ten Bereich s ta t t f inden. Obwohl e in Ereignis

von apokalyptischen Ausmaßen, das außerhalb des Vergangenheitslicht-kegels liegt, katastrophale Aus wirkungen (W el le nl in ie ) zur Erde schickenkann, würde der Beobachter erst dann etwas davon erfahren, wenn siehier e in t ref fen.

Der Relativitätstheorie zufolge kann sich keine Information

beziehungsweise kein physikalischer Einfluß schneller fort-pflanzen als mit Lichtgeschwindigkeit. Daher kennzeichnet derVergangenheitslichtkegel nicht nur die Grenze alles Wissensüber das Universum, sondern auch die aller Ereignisse, die unsvielleicht jetzt betreffen. Daraus ergibt sich, daß ein beliebigerphysikalischer Einfluß, der sich uns mit Lichtgeschwindigkeitnähert, ohne jede Vorankündigung eint ri fft . Wäre eine Katastro-

phe über den Vergangenheitslichtkegel auf dem Weg zu uns,gäbe es keinen Boten, der das Verhängnis ankündigte. Wirwürden erst davon erfahren, wenn es uns träfe.

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Ein einfaches hypothetisches Beispiel: Eine Explosion derSonne in diesem Augenblick würden wir erst etwa achteinhalbMinuten später mitbekommen, weil das Licht von ihr aus solange bis zur Erde braucht. So ist es durchaus möglich, daß einin unserer Nähe befindlicher Stern schon Vorjahren als Super-nova explodiert ist - ein Ereignis, das die Erde mit einer tödli-chen Strahlung einhüllen könnte - und wir nicht ahnten, daßdie schlechte Nachricht mit Lichtgeschwindigkeit durch dieGalaxis auf uns zurast. Auch wenn das Universum im Augen-blick einen ganz ruhigen Eindruck zu machen scheint, könnenwir nicht sicher sein, daß nicht längst etwas wirklich Schreckli-

ches geschehen ist.Meist rufen plötzliche Ausbrüche im Universum Schäden

hervor, die sich auf die unmittelbare kosmische Nachbarschaftbeschränken. Stirbt ein Stern oder stürzt Materie in ein Schwar-zes Loch, zieht das Planeten und nahe Sterne bis in eine Entfer-nung von möglicherweise wenigen Lichtjahren in Mitleiden-schaft. Am spektakulärsten scheinen die Ereignisse zu sein, die

im Kern mancher Galaxien stattfinden. Wie schon beschrieben,werden gelegentlich gewaltige Materieströme mit einem be-trächtlichen Teil der Lichtgeschwindigkeit hinausgeschleudert,wobei auch ungeheure Mengen an Strahlung auftreten. Das istGewalt im galaktischen Maßstab.

Wie aber verhält es sich mit Ereignissen, die das ganze Uni-versum in Schutt und Asche legen können? Wäre ein Ausbruch

möglich, der das gesamte Universum auf einen Schlag vernich-tet - sozusagen in der Blüte seiner Jahre? Kann es sein, daß eineKatastrophe wahrhaft kosmischen Ausmaßes schon ausgelöstwurde und ihre unerfreulichen Auswirkungen über den Ver-gangenheitslichtkegel in diesem Augenblick auf unsere anfäl-lige Nische in Ort und Zeit zurollen?

Die Physiker Sidney Coleman und Frank De Luccia haben

1980 in der Zeitschrift Physical Review D  einen wichtigen Auf-satz mit dem harmlos klingenden Titel »Gravitational Effects onand of Vacuum Decay« [etwa: Die Wirkungen, die von der

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Gravitation auf den Zerfall des Vakuums ausgeübt werden undvon diesem ausgehen] veröffentlicht. Das Vakuum. auf das siesich beziehen, ist nicht einfach leerer Kaum, sondern der Vaku-umzustand der Quantenphysik. Im dritten Kapitel habe icherklärt, daß das. was uns als vollständige Leere erscheint, inWahrheit von kurzlebiger Quantenaktivität nur so strotzt, wobeigeisterhafte virtuelle Teilchen wie aus dem Nichts auftauchenund ebenso zufällig wieder verschwinden. Man erinnere sich,daß dieser Vakuumzustand nicht einmalig zu sein braucht; eskönnte mehrere Quantenzustände geben, die alle miteinanderleer erscheinen, in Wirklichkeit aber verschiedene Stufen der

Quantenaktivität und unterschiedliche damit verbundene Ener-gien aufweisen.

Ein fester Grundsatz der Quantenphysik heilst, daß Zuständemit höherer Energie zu solchen mit geringerer Energie tendie-ren. Beispielsweise kann ein Atom verschiedene angeregte Zu-stände annehmen, von denen  jeder  instabil ist.  In diesem  H a l l

wird es versuchen, in den Zustand mit der geringsten Energie

beziehungsweise den »Grundzustand« überzugehen, welcherstabil ist. In ähnlicher Weise wird ein »angeregtes« Vakuumversuchen, in den Zustand der geringsten Energie überzugehen,den des »echten« Vakuums. Die Vorstellung vom sich aufblähen-den Universum stützt sich auf die Theorie, das sehr frühe Univer-sum habe einen angeregten oder »falschen« Vakuumzustandbesessen, in dessen Verlauf es sich gewaltig aufblähte, dieser

aber sei in sehr kurzer Zeit in den des echten Vakuums überge-gangen, und damit habe die Aufblähung aufgehört.

Heute nimmt man in der Regel an, daß der gegenwärtigeZustand des Universums dem des echten Vakuums entspreche,das heißt, daß der leere Raum in der jetzigen Zeit das Vakuummit der geringstmöglichen Energie sei. Aber können wir dessensicher sein? Coleman und De Luccia erwägen die äußerst beun-

ruhigende Möglichkeit, daß es sich bei dem gegenwärtigenVakuum vielleicht gar nicht um das echte, sondern lediglich umein langlebiges (meta-stabiles) Vakuum handelt, das uns eine

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falsche Sicherheit vorgaukelt, weil es schon seit einigen Milliar-denjahren andauert. Uns sind viele Quantensysteme mit einerHalbwertzeit von Milliarden Jahren bekannt - beispielsweiseUrankerne. Angenommen, das gegenwärtige Vakuum fällt indiese Kategorie. Der im Titel von Coleman und De LucciasAufsatz angesprochene »Zerfall« des Vakuums bezieht sich auf die katastrophale Möglichkeit, daß dessen gegenwärtiger Zu-stand schlagartig enden und der Kosmos in einen Zustand nochgeringerer Energie stürzen könnte. Das hätte fü r uns (und allesandere) schreckliche Konsequenzen.

Der Schlüssel zu Colemans und De Luccias Hypothese ist das

Phänomen des Tunneleffekts. Dieser läßt sich am besten an-hand des einfachen Falls eines Quantenteilchens illustrieren,das durch eine Kraft festgehalten wird. Nehmen wir an, es sitztin einer kleinen Vertiefung, zu deren beiden Seiten Hügelaufragen, wie in Abbildung 9 gezeigt wird. Natürlich brauchendas keine wirklichen Hügel zu sein; es kann sich dabei bei-spielsweise um elektrische oder nukleare Kraftfelder handeln.

Da das Teilchen über keine zur Überwindung der Hügel (oderder Kraft) erforderliche Energie verfügt, sieht es so aus, als sitzees für alle Zeiten in der Falle. Doch sei daran erinnert, daß füralle Quantenteilchen Heisenbergs Unschärferelation gilt, die esihnen ermöglicht, sich für einen kurzen Zeitraum Energie aus-zuleihen. Das eröffnet eine faszinierende Aussicht. Wenn dasTeilchen ein Energiedarlehen aufnehmen kann, das ausreicht,

die Spitze des Hügels zu erreichen und auf die andere Seite zugelangen, bevor es das Darlehen zurückzahlen muß, kann esder Vertiefung entkommen. Man kann sagen, es habe sich einen»Tunnel« durch das Hindernis gegraben.Die Wahrscheinlichkeit, daß sich ein Quantenteilchen auf dieseWeise durch einen Tunnel aus einem Tal herausarbeitet, hängtganz entscheidend von der Höhe und Breite des Hindernisses

ab. Je höher es ist, desto mehr Energie muß sich das Teilchenausleihen, um es zu überwinden, und für einen um so kürzerenZeitraum wird ihm. gemäß der Unschärferelation, das Darlehen

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 Abbildung  9: Tunneleffekt. Wenn ein Quantenteilchen zwischen zweiHügeln in einem Tal gefangensitzt, besteht wenig Aussicht, daß esentkommt, wenn es sich Energie leiht, um den Hügel zu überwinden. Esbohrt sich, wie man sieht, einen Tunnel durch das Hindernis. Zu einembekannten Fall dieser Art kommt es heim sogenannten Alpha-Zerfall.

Dabei durchbohren in den Kernen bestimmter Elemente Alphateilchendie Schranke der Kernkraft und fliegen davon. Im hier angeführtenBeispiel - die Zeichnung ist lediglich schematisch - besteht der »Hügel«aus nuklearen und elektrischen Kräften.

gewährt. Daher lassen sich höhe Hindernisse nur dann durcheinen Tunnel überwinden, wenn sie zugleich von geringem

Durchmesser sind, was es dem Teilchen ermöglicht, sie raschgenug zu durchdringen, um seine Schuld rechtzeitig zurückzu-zahlen. Das ist der Grund, warum man den Tunneleffekt imAlltagsleben nicht bemerkt: Makroskopische Hindernisse sindviel zu hoch und zu breit, als daß es in bemerkenswertemAusmaß zu einer Untertunnelung kommen könnte. DemGrundsatz nach hat ein Mensch die Möglichkeit, eine Ziegel-

mauer zu durchschreiten, doch ist die Quantentunnel-Wahr-scheinlichkeit fü r dies Wunder ungeheuer gering. Auf atomarerEbene allerdings ist die Untertunnelung weit verbreitet; bei-spielsweise geht die Alphastrahlung darauf zurück. Auch beiHalbleitern und elektronischen Einrichtungen wie beispiels-weise dem Raster-Tunnel-Elektronenmikroskop, macht mansich den Tunneleffekt zunutze.

Im Hinblick auf die Frage, ob das gegenwärige Vakuum mög-licherweise zerfällt, äußern Coleman und De Luccia die Ver-mutung, daß die Quantenfelder, aus denen es besteht, einer

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 Abbildung 10: Falsche und echte Vakuumzustände. Möglicherweise ist der

gegenwärtige Quantenzustand des leeren Raumes A nicht der Zustand dergeringsten Energie, gleichwohl aber mehr oder weniger stabil, weil ereiner Art Hochtal entspricht. In dem  Fall gäbe es eine geringe Möglichkeit,daß der Zustand durch den Tunneleffekt zum wahrhaft stabilen Grundzu-stand B hin zerfallt. Beim Übergang zwischen diesen Zustanden, zu dem esdurch >Blasenbildung< käme, würde eine ungeheure Energiemenge frei-gesetzt.

(metaphorischen) Landschaft von Kräften wie der in Abbil-dung 10 gezeigten ausgesetzt sein könnten. Der gegenwärtigeVakuumzustand entspricht dem Boden des Tales A, das echteVakuum hingegen dem des Tales B, das tiefer liegt als A. DasVakuum würde gern aus dem höheren Energiezustand A in denniedrigeren B übergehen, doch ist ihm dabei der »Hügel«

beziehungsweise das dazwischenliegende Kräftefeld im Wege.Der Hügel kann den Vorgang wegen des Tunneleffekts jedochnicht völlig verhindern: Das System kann sich einen Tunnel vonTal A zu Tal B graben. Wenn diese Theorie stimmt, lebt dasUniversum von geliehener Zeit oben im Tal A, wobei stets dieMöglichkeit besteht, daß es sich in einem beliebigen Augen-blick einen Tunnel ins Tal B gräbt.

Es ist Coleman und De Luccia gelungen, den Zerfall desVakuums in einem mathematischen Modell darzustellen und zuzeigen, wie das Phänomen sich ereignet. Sie stellten fest, daß

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ENERGIEDIFFERENZ.

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der Zerfall an einem zufälligen Ort im Raum beginnt, indemsich eine von instabilem falschen Vakuum umgebene winzigeBlase aus echtem Vakuum bildet. Gleich nach ihrer Entstehungwird sie sich mit einem Tempo ausdehnen, das sich rasch derLichtgeschwindigkeit annähert. Damit nimmt sie einen immergrößeren Hereich des falschen Vakuums in sich auf und wandeltes unverzüglich in echtes Vakuum um. Die Energiedifferenzzwischen beiden Zuständen - die den im dritten Kapitel ange-sprochenen ungeheuren Wert I haben kann (nämlich 1087 Joulepro cm^ Raum) - konzentriert sich in der Wandung der Blase,die sich durch das Universum wälzt und alles mit Vernichtung

bedroht, was ihr in den Weg kommt.Den ersten Hinweis auf die Existenz einer Blase aus echtem

Vakuum würde uns ihr Eintreffen liefern, wobei die Vorwarn-zeit nicht einmal drei Minuten betrüge. Damit würde sich dieQuantenstruktur unserer Welt mit einem Mal verändern. Voneinem Augenblick auf den nächsten würden sich die Wesenaller Elementarteilchen sowie ihre Wechselwirkungen dra-

stisch verändern; beispielsweise könnten Protonen ganz plötz-lich zerfallen. Das Ergebnis wäre ein schlagartiges Verdampfenaller Materie. Was übrigbliebe, befände sich in der Blase desechten Vakuums - eine Situation, die sich deutlich von derunterschiede, die wir gegenwärtig wahrnehmen können. Dieauffalligste Abweichung beträfe die Gravitation. Coleman undDe Luccia zufolge würden Energie und Druck des echten Vaku-

ums ein so starkes Gravitationsfeld aufbauen, daß unter seinerWirkung die von der Blase erfaßte Region, noch während sichdie Blasenwandung ausdehnte, in einem Zeitraum zusammen-brechen würde, der nicht einmal Mikrosekunden umfaßte. Hiergäbe es keinen unmerklichen Abstieg hin zu einem Zusammen-bruch, sondern statt dessen eine sofortige Zerstörung vonallem, während das Blaseninnere zu einer Raumzeit-Singulari-

tät implodierte. Kurz, augenblickliche Vernichtung. »Diese Aus-sicht ist entmutigend«, erklären die Autoren mit souveränemUnderstatement und fahren fort:

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Die Möglichkeit, daß wir in einem falschen Vakuum leben,hat zu keiner Zeit eine besonders begeisternde Aussichtgeboten. Der Vakuumzerfall bedeutet die endgültige öko-logische Katastrophe; nach ihm ist nicht nur das Leben, wie

wir es kennen, unmöglich, sondern auch die Chemie, sowie wir sie kennen. Bisher konnte man sich immer nochmit der Möglichkeit trösten, daß das neue Vakuum im Laufeder Zeit, wenn schon nicht das Leben, wie wir es kennen,dann doch vielleicht einige Strukturen erhalten könnte,die zu etwas Erfreulichem taugten. Diese Möglichkeitscheidet jetzt aus.

Nach der Veröffentlichung von Colemans und De Luccias Auf-satz diskutierten Physiker und Astronomen intensiv die verhee-renden Folgen des Vakuumzerfalls. In einer Nachfolgeuntersu-chung, die in der Zeitschrift  Nature  veröffentlicht wurde, ka-men der Kosmologe Michael Turner und der Physiker FrankWilczek zu einer apokalyptischen Schlußfolgerung.- »Vom

Standpunkt der Mikrophysik aus ist es also durchaus vorstellbar,daß unser Vakuum metastabil ist... es könnte sich im Univer-sum jederzeit um einen Kern herum eine Blase aus echtemVakuum bilden und mit Lichtgeschwindigkeit nach außen be-wegen.

Kurz nach Erscheinen des Aufsatzes von Turner und Wilczekbeschworen Piet Hut und Martin Rees, die ihre Ergebnisse

ebenfalls in  Nature  vorlegten, das beunruhigende Gespenstherauf, Teilchenphysiker könnten völlig unbeabsichtigt die Ent-stehung einer das Universum zerstörenden Vakuumblase auslö-sen! Ihre Besorgnis stützt sich darauf, daß bei einem mit sehrhoher Energie erfolgenden Zusammenprall von Elementarteil-chen - in einer sehr kleinen Region des Raumes und einem sehrkurzen Augenblick - Bedingungen entstehen könnten, die das

Vakuum zum Zerfall veranlassen. Wäre der Übergang erst ein-mal vollzogen, und sei es auch nur in mikroskopisch kleinemMaßstab, könnte nichts die neuentstandene Blase daran hin-

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dem, sich rasch zu astronomischer Größe aufzublähen. Solltenwir ein Verbot für die nächste Generation von Teilchenbe-schleunigern aussprechen? Hut und Rees galten beruhigendeErklärungen ab und wiesen darauf hin. daß kosmische Strah-lung, die höhere Energiewerte erreicht, als wir sie in unserenTeilchenbeschleunigern zu erzeugen vermögen, seit Milliardenvon Jahren Atomkerne in der Erdatmosphäre bombardiert,ohne daß es dabei zum V akuumzerfall gekommen wäre. Auf deranderen Seite seien wir imstande, erklären sie weiter, Zusam-menstoße mit höherer Energie hervorzurufen, als der Aufprallkosmischer Strahlung auf die Erde sie je erzeugt habe, wenn es

uns gelänge, die in Teilchenbeschleunigern erzeugte Energieum ein Vielhundertfaches zu steigern. Die eigentliche Frageallerdings heißt nicht, ob es auf der Erde zu dieser Art Blasenbil-dung kommen kann, sondern ob sie bereits zu irgendeiner Zeitnach dem Urknall irgendwo im beobachtbaren Universum statt-gefunden hat. Hut und Rees haben dargelegt, daß in äußerstseltenen Fällen zwei kosmische Strahlen frontal aufeinander-

stoßen, wobei Energien frei werden, die milliardenfach höherliegen als die in den gegenwärtigen Teilchenbeschleunigernerzeugten. Wir brauchen also wohl bisher keine Behörde, dieda ordnend eingreift.

Paradoxerweise könnte die Entstehung einer Vakuumblase -eben das Phänomen, das die bloße Existenz des Universumsbedroht - in einem nur leicht veränderten Zusammenhang

dessen einzige mögliche Rettung bedeuten. Die einzig sichereMöglichkeit, dem Tod des Universums zu entgehen, bestehtdarin, ein neues zu erzeugen, in dem man Zuflucht finden kann.Man könnte das fü r das letzte Wort auf dem Gebiet überhitzterphantastischer Spekulation halten, doch wurde in den letztenJahren viel von »Kind-Universen« gesprochen. Die Argumente,die für deren Existenz angeführt werden, lassen sich keines-

wegs von der Hand weisen.Das Thema wurde erstmals 1981 von einer Gruppe japani-

scher Physiker ins Gespräch gebracht. Sie untersuchten ein

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einfaches mathematisches Modell vom Verhalten einer kleinenBlase falschen Vakuums, die von echtem Vakuum umgeben ist -die Umkehrung der soeben dargestellten Situation. Vorausge-sagt wurde, daß sich das falsche Vakuum auf die im dritten

Kapitel beschriebene Weise aufblähen und damit sehr rasch ineinem Urknall zu einem großen Universum ausdehnen würde.Allem Anschein nach müßte sich die Blasenwandung durch dieAufblähung der Blase aus falschem Vakuum so ausdehnen, daß

die Kegion aus falschem Vakuum auf Kosten der Kegion ausechtem Vakuum anwächst. Doch das widerspricht der Erwar-tung, daß das auf der niedrigen Energiestufe befindliche echte

Vakuum das falsche Vakuum mit der höheren Energiestufeverdrängt, und nicht umgekehrt.

Sonderbarerweise scheint sich - vom echten Vakuum ausgesehen - die Kegion des Raumes, welche die Blase aus fal-schem Vakuum einnimmt, nicht aufzublähen. Tatsächlich wirktsie eher wie ein Schwarzes Loch. (Darin ähnelt sie Dr. WhosZeitmaschine  Tardis,  die innen größer zu sein scheint als au-

ßen.) Ein in der Blase aus falschem Vakuum befindlicher hypo-thetischer Beobachter würde Zeuge, wie das Universum zugewaltigen Ausmaßen anschwillt, doch von außen gesehenbliebe die Blase kompakt.

Eine Möglichkeit, sich diese eigenartige Situation vorzustel-len, liefert ein Vergleich mit einem Gummituch, das an einerStelle eine Blase bildet, die sich ausdehnt (vgl. Abbildung 11).

Der auf diese Weise entstehende Ballon bildet eine Art Kind-Universum, das durch etwas wie eine Nabelschnur oder ein»Wurmloch« mit dem Mutter-Universum verbunden ist. VomMutter-Universum aus wirkt die Öffnung des Wurmlochs wieein Scharzes Loch. Diese Anordnung ist instabil, das SchwarzeLoch verdampft rasch unter der Einwirkung des Hawking-Ef-fekts und verschwindet vollständig aus dem Mutter-Universum.

Als Ergebnis wird das Wurmloch abgezwickt, und aus demnunmehr vom Mutter-Universum getrennten Kind-Universumwird ein neues, unabhängiges und eigenständiges Universum.

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WURMLOCH

 Abbildung 11:  Ein blasenfö rmiger Teil des Raumes bläht sich, vom Mut te r-Universum ausgehend, wie ein Ballon auf und bildet ein Kind-Universum,das durch ein nabelschn urähnlich es Wurmloch mit der Mutte r verbundenist. Vom Standpunkt des Mutter-Universums wirkt die Öffnung des Wurm-lochs  wie ein  Schwarzes  Loch.  V e r d a m p f t  dieses,  wird  der  > H a l s <   desWurmlochs abgezwickt, womit sich das Kind-Universum von der Mutter

löst. Danach führt es ein unabhängiges Dasein als eigenständiges Univer-s u m .

Die Entwicklung des Kind-Universums im Anschluß an die Ab-nabelung von der Mutter verläuft ebenso wie vermutlich einstbei unserem eigenen Universum: Auf eine kurze Zeit der Auf-

blähung folgt die übliche Verzögerung. Dies Modell legt dieSchlußfolgerung nahe, daß unser eigenes Universum auf diebeschriebene Weise als Nachkomme eines anderen Univer-sums entstanden ist.

Alan Guth, der Vater der Aufblähungstheorie, hat mit seinenKollegen untersucht, ob die oben beschriebene Situation diebizarre Möglichkeit zuläßt, ein neues Universum im Labor zu

erschaffen. Im Unterschied zu dem angsteinflößenden Zerfalleines falschen Vakuums in einer Blase aus echtem Vakuumbedeutet die Erzeugung einer Blase aus falschem Vakuum, die

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von echtem Vakuum umgeben ist, keine Bedrohung für dieExistenz des Universums. Zwar könnte es bei diesem Experi-ment zu einem Urknall kommen, doch bliebe es auf das Innereeines winzigen Schwarzen Lochs beschränkt, das bald ver-

dampft. Das neue Universum würde seinen eigenen Kaumschaffen und von unserem nichts für sich beanspruchen.

Obwohl der Gedanke recht hypothetisch bleibt und sichausschließlich auf mathematische Theorien stützt, lassen Unter-suchungen erkennen, daß die Entstehung neuer Universen auf diese Weise möglich wäre, sofern man in einem sorgfaltigentwickelten Verfahren große Mengen an Energie konzen-

trierte. Wenn in sehr ferner Zukunft unser eigenes Universumallmählich unbewohnbar wird oder sich einem großen Kollapsnähen, könnten unsere Nachkommen beschließen, sich ausihm davonzustehlen, indem sie den Knospungsprozeß in Gangsetzten, um dann in aller Eile durch die wurmlochähnlicheNabelschnur ins Nachbar-Universum zu kriechen, bevor es ab-gezwickt wird - die forgeschrittenste Stufe der Auswanderung.

Natürlich hat heutzutage niemand eine Vorstellung davon, oboder auf welche Weise diese kühnen Geschöpfe die Aufgabelösen könnten. Zumindest wäre die Reise durch das Wurmlochrecht unbequem, es sei denn, das Schwarze Loch, in das sie sichstürzen müßten, wäre sehr groß.

Abgesehen von solchen praktische Erwägungen, eröffnet diebloße Möglichket der Existenz von Kind-Universen die Aussicht

auf echte Unsterblichkeit - nicht nur fü r unsere Nachkommen,sondern auch für Universen. Statt uns Gedanken über Lebenund Tod dies Universums zu machen, sollten wir lieber an eineFamilie von Universen denken, die sich unendlich fortpflanzen,indem jedes neue Universum Generationen von weiteren er-zeugt, möglicherweise in ungeheurer Zahl. Mit solcher kosmi-schen Fruchtbarkeit hätte die Ansammlung von Universen -oder das Metaversum, wie man sie eigentlich nennen müßte -womöglich weder Anfang noch Ende. Jedes einzelne Univer-sum würde Entstehung, Entwicklung und Tod auf die in den

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vorigen Kapiteln dieses Buches beschriebene Weise erleben,

aber die Gattung insgesamt würde ewig existieren.Hei diesem Szenario drängt sich die Frage auf. ob die Erschaf-

fung unseres eigenen Universums auf natürlichem Wege erfolgt

ist (ähnlich der Geburt eines Kindes auf die von der Naturvorgesehe Weise), oder Ergebnis geplanten Eingreifens war(wie bei einem »Retortenbaby«). Wir können uns vorstellen. daßeine hinreichend fortgeschrittene und altruistische Gesellschaftvon Wesen in einem Mutter-Universum, deren eigenes Univer-sum zum Untergang verurteilt ist. Kind-Universen zu erzeugenbeschlösse - nicht, um einen Fluchtweg für das eigene Überle-

ben zu eröffnen, sondern um dafür zu sorgen, daß das Lebenirgendwo weiterbestehen kann. In dem Falle wäre es überflüs-sig, Möglichkeiten für die Überwindung der beachtlichen Hin-dernisse zu finden, die dem Versuch entgegenstehen, ein pas-sierbares Wurmloch zum Kind-Universum zu schaffen.

Unklar ist, in welchem Ausmaß ein Kind-Universum genetischvon seiner Mutter geprägt wäre. Bisher wissen Physiker nicht,

warum die verschiedenen in der Natur und den Materieteilchenwirkenden Kräfte gerade die Eigenschaften haben, die sie auf-weisen. Einerseits könnten sie Teil der Naturgesetze sein, dieein fü r allemal in jedem Universum festgelegt sind. Andererseitsist es möglich, daß diese oder jene Eigenschaften auf Evolu-tionszufälle zurückgehen. So könnte es beispielsweise mehrereZustände des echten Vakuums geben, die allesamt identische

oder nahezu identische Energie besitzen. Es wäre möglich, daßdas falsche Vakuum, wenn es am Ende der Aufblähungszeitzerfällt, einfach ganz zufällig in einen dieser vielen möglichenVakuumzustände gerät. Was die Physik des Universums betrifft,dürfte die Wahl des Vakuumzustandes viele Eigenschaften derTeilchen und der zwischen ihnen wirkenden Kräfte bestimmenund könnte sogar für die Zahl der räumlichen Dimensionen

entscheidend sein. So wäre es also möglich, daß ein Kind-Universum gänzlich andere Eigenschaften aufweist als seineMutter. Vielleicht wird Leben nur in einer sehr begrenzten

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Nachkommenschaft möglich sein, dort, wo die physikalischenZusammenhänge denen unseres Universums recht ähnlichsind. Vielleicht gibt es aber auch eine Art Erbprinzip, das dafürsorgt, daß Kind-Universen (von gelegentlichen Mutationen ab-

gesehen ) die Eigenschaften ihrer Mutter-Universen erben. DerPhysiker Lee Smolin hat vorgeschlagen, daß sogar bei Univer-sen eine Art Darwinscher Evolution am Werk sein könnte,welche das Entstehen von Leben und Bewußtsein mittelbarunterstützt. Noch interessanter ist die Möglichkeit, daß Univer-sen durch die Einwirkung einer Intelligenz in einem Mutter-Universum geschaffen werden und bewußt mit den Eigenschaf-

ten ausgestattet werden, die erforderlich sind, damit Leben undBewußtsein entstehen können.

Keine dieser Theorien ist mehr als wilde Spekulation, dochsteht der Wissenschaftszweig der Kosmologie noch ziemlich amAnfang. Zumindest liefern die hier vorgetragenen einfallsrei-chen Spekulationen eine Gegenposition zu den in den vorigenKapiteln entwickelten düsteren Prognosen. Sie weisen auf die

Möglichkeit hin, daß auch dann, wenn sich unsere Nachkom-men eines Tages den letzten drei Minuten stellen müssen,bewußte Wesen irgendwelcher Art für immer irgendwo existie-ren könnten.

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Welten ohne Ende?

Die am Schluß des vorigen Kapitels behandelten skurrilenTheorien stellen nicht alle Möglichkeiten dar, die auf der Suchenach Mitteln und Wegen, den Untergang des Kosmos zu vermei-den, vorgeschlagen wurden. Bei meinen Vorlesungen über dasEnde des Universums werde ich immer wieder nach dem zykli-

schen Modell gefragt. Ihm liegt folgende Vorstellung zugrunde:Das Universum dehnt sich zu einer äußersten Größe aus, dannzieht es sich in Richtung auf einen Kollaps zusammen. Dochstatt dabei vollständig der Vernichtung anheimzufallen, gelingtes ihm irgendwie, »zurückzuprallen« und einen erneuten Zy-klus der Ausdehnung und Zusammenziehung zu beginnen (vgl.Abbildung 12). Dieser Vorgang könnte f ür alle Zeiten so weiter-

gehen. In diesem Fall hätte das Universum weder einen richti-gen Anfang noch ein richtiges Ende, auch wenn ein deutlicherBeginn und Abschluß den jeweiligen Zyklus kennzeichnete.Diese Theorie sagt vor allem Menschen zu, die von den Lehrendes Buddhismus und Hinduismus beeinflußt sind, bei denendie Zyklen von Geburt und Tod, Erschaffung und Zerstörung imVordergrund stehen.

Ich habe zwei grundverschiedene wissenschaftliche Szena-rien vom Ende des Universums aufgezeichnet. Jedes ist auf seine Weise beunruhigend. Die Aussicht, daß sich das Univer-

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Z E I T

Abbildung 12: Das Modell des zyklischen Universums. Die Große desUniversums »pulst« periodisch zwischen einem Zustand hoher Dichte undeinem solchen starker Vergrößerung hin und her. Jeder der in ihremZeitablauf annähernd symmetrischen Zyklen beginnt mit einem Urknallund endet mit einem großen Kollaps.

sum, wie fern in der Zukunft dies Ereignis auch liegen mag, in

einem großen Kollaps seihst vernichtet, ist besorgniserregend.Auf der anderen Seite ist die Vorstellung zutiefst bedrückend,daß ein Universum nach einer endlichen Dauer, in der esherrliche Dinge hervorgebracht hat. für alle Zeiten im Zustandöder Leere fortdauern soll. Daß in beiden Modellen mög-licherweise Superwesen die Fähigkeit zur unbegrenzten Infor-mationsverarbeitung erlangen können, bedeutet fü r uns vitale

Angehörige der Gattung  Homo Sapiens  nur einen schwachenTrost.

Ansprechend wirkt am zyklischen Modell, daß es weder dasGespenst der völligen Vernichtung noch das ewiger Auflösungund ewigen Verfalls an die Wand malt. Um die Sinnlosigkeitendloser Wiederholung zu vermeiden, müßten sich die Zyklenauf die eine oder andere Weise voneinander unterscheiden. In

einer beliebten Fassung dieser Theorie erhebt sich der neueZyklus nach dem Feuertod seines Vorgängers jeweils wie einPhönix aus der Asche, entwickelt aus seinem unberührten Ur-zustand heraus neue Systeme und Strukturen und erkundetseine eigenen reichhaltigen Möglichkeiten, Neues zu schaffen,bis der nächste große Kollaps wiederum  tabula rasa  macht.

Zwar geht von dieser Theorie eine gewisse Verlockung aus,

doch krankt sie leider an erheblichen physikalischen Schwä-chen. Zu ihnen gehört die Notwendigkeit, einen plausiblenProzeß herauszuarbeiten, der es dem zusammenbrechenden

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Universum gestattet, bei sehr hoher Dichte »z urückzup ra ll en *statt sich in einem großen Kollaps zu vernichten. Dazu ist eineArt Anti-Gravitation erforderlich, die in den letzten Stadien desZusammenbruchs überwältigend groß sein muß, um den Im-

puls der Implosion umzukehren und der gewaltigen Zerstö-rungskraft der Gravitation etwas entgegenzusetzen. Bisher istkeine solche Kraft bekannt, und wenn es sie gäbe, müßte sieganz sonderbare Merkmale aufweisen.

Möglicherweise erinnert sich der Leser, daß die Aufblähungs-theorie des Urknalls eine solche mächtige Gegenkraft ansetzt,doch müssen wir bedenken, daß der angeregte Vakuumzu-

stand, der die Aufblähungskraft zur Verfügung stellt, äußerstinstabil ist und bald zerfallt. Zwar kann man sich vorstellen, daßdas im Entstehen begriffene winzige und elementare Univer-sum seinen Ursprung in einem solchen instabilen Zustand hat,aber zu postulieren, daß ein aus einem komplizierten makro-skopischen Zustand schrumpfendes Universum aufs neue aller-orten den angeregten Zustand des Vakuums einnehmen

könnte, ist etwas völlig anderes. Die Situation ist mit dem Ver-such vergleichbar, einen Bleistift auf seiner Spitze zu balancie-ren. Er fällt bald um - ganz von selbst. Es würde größte Schwie-rigkeiten bereiten, ihn mit einem Stoß wieder in die Positionzurückzubeordern, in der er auf der Spitze stand.

Selbst wenn wir annehmen, daß sich solche Hindernisseirgendwie überwinden lassen, gibt es im Zusammenhang mit

der Theorie vom zyklischen Universum weitere ernsthafte Pro-bleme. Eines habe ich im zweiten Kapitel angesprochen. Sy-steme, die irreversiblen Prozessen unterliegen, welche mit end-licher Geschwindigkeit ablaufen, neigen dazu, sich nach einemendlichen Zeitraum ihrem Endzustand zu nähern. Eben diesGrundgesetz hat im neunzehnten Jahrhundert zu der Voraus-sage geführt, das Universum werde einen Hitzetod erleiden.

Durch die Einführung kosmischer Zyklen wird die Schwierig-keit nicht umgangen. Das Universum ist mit einem langsamablaufenden Uhrwerk vergleichbar, dessen Bewegung zwangs-

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läufig irgendwann aufhören wird, wenn man es nicht wiederaufzieht. Doch welcher Mechanismus, der nicht selbst einerirreversiblen Veränderung unterliegt, könnte das kosmischeUhrwerk aufziehen?

Auf den ersten Blick erweckt die Kollapsphase des Univer-sums den Eindruck, als handele es sich um eine Umkehrung derin der Ausdehnungsphase auftretenden physikalischen Pro-zesse. Die auseinanderstrebenden Galaxien werden wieder zu-sammengezogen, die sich abkühlende Hintergrundstrahlungwird erneut aufgeheizt, und aus den komplexen Elementenentsteht eine Suppe von Elementarteilchen. Der Zustand des

Universums unmittelbar vor dem großen Kollaps hat großeÄhnlichkeit mit dem Zustand unmittelbar nach dem Urknall.Doch ist der Eindruck von Symmetrie nur oberflächlich. EinenHinweis gewinnen wir aus der Tatsache, daß Astronomen, diezu der Zeit leben, da sich die Entwicklungsrichtung umkehrtund aus der Ausdehnung eine Zusammenziehung wird, diefernen Galaxien weiterhin noch viele Milliarden Jahre fortwan-

dern sehen werden. Das Universum sieht aus, als ob es sichnach wie vor ausdehnte, während es sich in Wahrheit zusam-menzieht. Diese Täuschung geht auf die von der endlichenLichtgeschwindigkeit hervorgerufene Verzögerung des Er-scheinungsbildes zurück.

In den dreißiger Jahren hat der Kosmologe Richard Tolmangezeigt, auf welche Weise diese Verzögerung die augenscheinli-

che Symmetrie des zyklischen Universums stört. Der Grunddafür ist einfach. Das Universum beginnt mit viel Wärmestrah-lung, die vom Urknall übriggeblieben ist. Im Laufe der Zeitverstärkt das Sternenlicht diese Strahlung, so daß dessen Ge-samtheit im Weltraum nach mehreren Milliarden Jahren fastebensoviel Energie enthält wie die Hintergrundstrahlung. Dasbedeutet, daß das Universum dem großen Kollaps mit einem

beträchtlich größeren Bestand an Strahlungsenergie entgegen-geht, als in ihm unmittelbar nach dem Urknall existiert hatte.Mithin wird das Universum, wenn es sich schließlich wieder zur

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selben Dichte zusammenzieht, die es heute besitzt, etwas wär-mer sein als gegenwärtig.

Bezahlt wird für diese zusätzliche Wärme, gemäß EinsteinsFormel E = mc2, mit dem Materiegehalt des Universums. Im

Inneren der Sterne, welche die Wärmeenergie erzeugen, wer-den leichte Elemente, wie Wasserstoff, in schwere Elemente,wie Eisen, umgewandelt. Im Normalfall enthält ein Eisenkernsechsundfünfzig Protonen und dreißig Neutronen. Man könnte

 jetzt annehmen, daß ein solcher Kern daher die Masse vonsechsundfünfzig Protonen und dreißig Neutronen hat. Das aberist nicht der Fall. Der gesamte Kern ist etwa ein Prozent leichter

als die Summe der Masse der Teilchen, aus denen er besteht.Die >fehlende< Masse geht auf das Konto der von der starkenatomaren Wechselwirkung erzeugten kräftigen Bindungsener-gie; die dieser Energie entsprechende Masse wird freigesetzt,um für das Sternenlicht zu »bezahlen«.

Unter dem Strich kommt es dabei zu einer Netto-Energieum-wandlung von Masse in Strahlung. Das wirkt sich in entschei-

dender Weise auf die Art der Zusammenziehung des Univer-sums aus, weil sich die Anziehungskraft der Strahlung deutlichvon der unterscheidet, die Materie von entsprechender Masseausübt. Toleman hat gezeigt, daß die in der Zusammenzie-hungsphase auftretende zusätzliche Strahlung den Zusammen-bruch des Universums beschleunigt. Käme es auf irgendeineWeise zu einem >Zurückprallen<, würde sich das Universum im

Anschluß daran rascher ausdehnen als heute. M it anderen Wor-ten, jeder Urknall fiele kräftiger aus als der vorige. Dadurchwürde die Größe des Universums mit jedem Zyklus zunehmen,so daß die Zyklen allmählich sowohl größer als auch längerwürden (vgl. Abbildung 13).

Das irreversible Wachstum der Zyklen im All ist kein Geheim-nis. Es ist ein Beispiel fü r die unausweichlichen Folgen, die sich

aus dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ergeben. Diesich ansammelnde Strahlung bedeutet eine Zunahme der En-tropie, was mit Hilfe der Gravitation zu immer größeren Zyklen

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 Abbildung 13.  Irreversible Prozesse bewirken, daß die kosmologischenZyklen immer größer werden. Damit aber sind sie nicht mehr wirklichzyklisch.

führt. Damit aber handelt es sich um keine wirklichen Zyklenmehr: Offenkundig entwickelt sich das Universum im Laufe der

Zeit. In Richtung auf die Vergangenheit verschachteln sich dieZyklen zu einem komplizierten und unordentlichen Anfang,während sich die der Zukunft endlos ausdehnen, bis sie so langwerden, daß sich keiner von ihnen noch deutlich von denAbläufen der Modelle unterscheiden würde, bei denen dieendlose Ausdehnung zum Hitzetod führt.

Nach Toleman haben Kosmologen noch weitere physikali-

sche Prozesse ausgemacht, welche die Symmetrie der Ausdeh-nungs- und Zusammenziehungsphasen eines jeden Zyklus stö-ren. Ein Beispiel ist die Entstehung Schwarzer Löcher. Bei derüblichen Vorstellung vom Universum stehen an dessen Anfangkeine Schwarzen Löcher; doch führt der Zusammenbruch vonSternen im Laufe der Zeit zusammen mit anderen Prozessen zuderen Entstehung. Im Verlauf der Entwicklung von Galaxien

kommt es zu immer mehr Schwarzen Löchern, und in denletzten Stadien des Zusammenbruchs unterstützt die Verdich-tung die Entstehung weiterer Schwarzer Löcher. Einige davonverschmelzen möglicherweise miteinander und bilden auf diese Weise größere Schwarze Löcher. Daher ist die Verteilungder Gravitation im Universum weit komplizierter - sprich, vielstärker durchlöchert - als zur Zeit des Urknalls. Sollte das

Universum zurückprallen, würde der nächste Zyklus mit weitmehr Schwarzen Löchern beginnen als der gegenwärtige.

So scheint die Schlußfolgerung unvermeidlich, daß ein zykli-

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sches Universum, das es physikalischen Strukturen und Syste-men gestattet, von einem Zyklus auf den nächsten überzugehen,dem zersetzenden Einfluß des Zweiten Hauptsatzes der Ther-modynamik nicht entgehen kann. Es wird trotz allem einen

Hitzetod geben. Eine Möglichkeit, dieser düsteren Schlußfolge-rung auszuweichen, besteht in der Annahme, daß die physikali-schen Bedingungen beim Zurückprallen so extrem sind, daßkeinerlei Information über frühere Zyklen zum nächsten Zyklusgelangen kann. Alle bis dahin bestehenden physikalischen Ob- jek te sind zerstört, alle Einflüsse vernichtet. In Wirklichkeit wirddas Universum von Grund auf neu geboren.

Doch läßt sich nur schwer erkenen, welche Vorzüge einsolches Modell haben sollte. Wenn jeder Zyklus physikalischvon den anderen getrennt ist, welchen Sinn hätte es dann zusagen, daß die Zyklen aufeinanderfolgen oder dasselbe irgend-wie bleibende Unviersum darstellen? Die Zyklen sind effektivUniversen, die sich deutlich voneinander unterscheiden.Ebenso könnte man von ihnen sagen, daß sie parallel zueinan-

der wie nacheinander existieren. Die Sache gemahnt an dieReinkarnationslehre, derzufolge der wiedergeborene Menschkeinerlei E rinnerung an seine früheren Leben hat. In welchemSinne kann man dann sagen, derselbe Mensch sei wiedergebo-ren?

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Annahme, daß es auf die eine oder andere Weise zu einem Verstoß gegen den Zwei-

ten Hauptsatz der Thermodynamik kommt, so daß beim Zu-rückprallen »die Uhr wieder aufgezogen« wird. Wie sähe dasaus, wenn man den durch den Zweiten Hauptsatz der Thermo-dynamik angerichteten Schaden ungeschehen machte? Ein ein-faches Beispiel wäre die Verflüchtigung von Parfüm aus einemFlacon. Wollte man diesen Prozeß umkehren, wären unvorstell-bare Vorkehrungen nötig, denn man müßte jedes einzelne der

im ganzen Raum verteilten Parfummoleküle zurück in denFlacon bringen. Der »Film« würde rückwärts ablaufen. DerZeitpfeil geht auf den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik

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zurück, der dafür sorgt, daß wir zwischen Vergangenheit undZukunft unterscheiden. Ein Verstoß gegen ihn würde daher auf eine Umkehrung der Zeit hinauslaufen.

Selbstverständlich weicht man dem Tod des Universums auf 

ziemlich banale Weise aus, wenn man annimmt, der Ablauf derZeit werde sich einfach umkehren, wenn das letzte Stündleinschlägt. Kaum wird es ernst, schon läßt man den großen Filmdes Universums rückwärts ablaufen! Dennoch hat diese Vorstel-lung bei manchen Kosmologen Befürworter gefunden. In densechziger Jahren erklärte der Astrophysiker Thomas Gold, dieZeit könne in der Zusammenziehungsphase eines sich neu

zusammenziehenden Universums rückwärts laufen. Er wiesdaraufhin, daß eine solche Umkehrung auch die Gehirnfunk-tionen von zu der Zeit lebenden Wesen einbeziehe und so dazudiene, auch deren subjektiven Zeitsinn umzukehren. Wer wäh-rend der Zusammenziehungsphase das Universum bewohne,werde daher nicht alles um sich herum »rückwärts ablaufen«sehen, sondern den Fluß der Ereignisse ebenso wie wir in

Vorwärtsrichtung wahrnehmen. So werde sich beispielsweisein seiner Wahrnehmung das Universum ausdehnen und nichtzusammenziehen. Aus seiner Sicht ziehe sich unsere Phase desUniversums zusammen und würden die Prozesse in unserenGehirnen rückwärts ablaufen.

Auch Stephen Hawking hat in den achtziger Jahren eine Weilemit der Vorstellung eines Universums geliebäugelt, in dem die

Zeit rückwärts abläuft. Dann aber hat er sie mit dem Eingeständ-nis fallenlassen, es habe sich dabei um seinen »größten Feh-ler« gehandelt. Anfänglich glaubte er, die Anwendung derQuantenmechanik auf ein zyklisches Universum erfordere einebis ins kleinste gehende Zeitsymmetrie. Es stellt sich jedochheraus, daß das nicht er Fall ist - jedenfalls nicht in der Stan-dardformulierung der Quantenmechanik. Kürzlich haben diePhysiker Murray Gell-Mann und James Hartle eine Änderungder Regeln der Quantenmechanik diskutiert, bei der die Zeit-symmetrie einfach vorgegeben wird, und anschließend gefragt,

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ob sich daraus beobachtbare Auswirkungen auf unseren kosmi-schen Zeitraum ergäben. Bisher ist nicht klar, wie die Antwortaussehen könnte.

Ein gänzlich anderes Verfahren, den Untergang des Univer-sums zu vermeiden, hat der russische Physiker Andrej Lindebeschrieben. Es gründet sich auf eine Verfeinerung der imdritten Kapitel behandelten Theorie von der Aufblähung desUniversums. Dabei wurde ursprünglich angenommen, derQuantenzustand des sehr frühen Universums entsprecheeinem bestimmten angeregten Vakuum, das sich so auswirkt,daß es für eine Weile zu einer ungeheuren Ausweitung kommt.

Linde trug 1983 die These vor, der Quantenzustand des frühenUniversums könne statt dessen in chaotischer Weise von einemOrt zum anderen schwanken: Geringe Energie hier, mäßigangeregter Zustand hier, stark angeregte Zustände in anderenRegionen - und dort komme es dann zur Aufblähung. Außer-dem ergab sich aus seinen Berechnungen vom Verhalten derQuantenzustände deutlich, daß sich stark angeregte Zustände

am schnellsten aufblähen und am langsamsten zerfallen, so daßsich das Universum in einer Region um so mehr aufblähendürfte, je angeregter der Quantenzustand dort ist. Natürlichwären nach sehr kurzer Zeit die Regionen des Raumes, diezufällig am stärksten angeregt werden und in denen die Aufblä-hung am raschesten erfolgt, auch am stärksten aufgebläht, unddaher nähmen sie den Löwenanteil des Gesamtraumes ein.

Linde vergleicht das mit der Darwinschen Evolution oder demWirtschaftsleben. Ein erfolgreicher Quantensprung zu einemstark angeregten Zustand wird sogleich mit einem gewaltigenWachstum an Volumen in jener Region belohnt, auch wenndafür ein großes Energiedarlehen aufgenommen werden muß.Daher hätten die Regionen, die am meisten Energie bekommenund sich damit übermäßig aufgebläht hätten, bald die Vorherr-

schaft angetreten.Als Ergebnis der chaotisch verlaufenden Aufblähung würde

sich das Universum in einen Haufen von Kleinst-Universen oder

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Blasen teilen, von denen sich einige gewaltig aufblähten, an-dere hingegen überhaupt nicht. Da manche Regionen - einfachals Folge zufällig stattfindender Schwankungen - über eine sehr große Anregungsenergie verfügten, werde es dort zu einer weit

größeren Aufblähung kommen, als in der ursprünglichen Theo-rie angenommen wurde. Doch weil es sich dabei um genau dieRegionen handele, die sich am meisten aufblähten, liege ein imUniversum nach der Aufblähung willkürlich gewählter Punktmit großer Wahrscheinlichkeit in einer solchen stark aufgebläh-ten Region. Daher befinde sich unser eigener Ort im Raumvermutlich tief innerhalb einer übermäßig aufgeblähten Re-

gion. Lindes Berechnung zufolge können sich solche »Großbla-sen« um den Faktor 1010̂ 8 aufgebläht haben, das ist eine Eins mithundert Millionen Nullen!

Unsere eigene Mega-Region wäre dann lediglich eine voneiner unendlichen Zahl stark aufgeblähter Blasen, so daß dasUniversum in ungeheuer großem Maßstab nach wie vor äußerstchaotisch aussehen würde. Innerhalb unserer Blase - die sich

über eine unermeßliche Entfernung bis jenseits des gegenwär-tig beobachtbaren Universums erstreckt - sind Materie undEnergie annähernd gleichförmig verteilt, doch liegen außer-halb unserer Blase weitere, sowie Regionen, die sich nach wievor im Prozeß des Aufblähens befinden. Tatsächlich hört dieAufblähung in Lindes Modell nie auf; stets gibt es Regionen desRaumes, in denen sie stattfindet, wo neue Blasen entstehen,

während gleichzeitig andere ihren Lebenszyklus durchlaufenund sterben. Mithin handelt es sich um eine Art ewigen Univer-sums, ähnlich der im vorigen Kapitel dargestellten Theorie vonden >Kind-Universen<, in denen Leben, Hoffnung und Univer-sen für ewige Zeiten immer wieder neu entstehen. Die Erzeu-gung neuer Blasen-Universen durch Aufblähung hat kein Ende- und wahrscheinlich auch keinen Anfang, obwohl darüber zur

Zeit noch gestritten wird.Würde die Existenz anderer Blasen unseren Nachkommeneine Möglichkeit zum Weiterleben bieten? Können sie dem

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Untergang des Universums - oder besser gesagt, dem der vonihnen bewohnten Blase - dadurch entgehen, daß sie stets zurrechten Zeit eine andere, jüngere Blase aufsuchen? Genau die-ser Frage hat Linde einen kühnen Aufsatz mit dem Titel »Life

after Inflation« [Das Leben nach der Aufblähung] gewidmet, der1989 in der Zeitschrift Physics Letters  erschien. »Diese Ergeb-nisse« schrieb er, »lassen darauf schließen, daß das Leben imaufgeblähten Universum nie vergeht. Leider bedeutet dieseSchlußfolgerung nicht automatisch, daß wir im Hinblick auf dieZukunft der Menschheit besonders optimistisch sein dürfen.«Er wies darauf hin, daß jede beliebige Region respektive jede

beliebige Blase allmählich unbewohnbar wird, und zog denSchluß: »Die einzig mögliche Vorgehensweise zum Überleben,die wir im Augenblick zu sehen vermögen, besteht darin, ausalten Regionen in neue zu wechseln.«

Entmutigend an Lindes Version der Aufblähungstheoriewirkt, daß eine Blase üblicherweise von ungeheurer Größe ist.Seiner Berechnung nach könnte die der unseren zunächst lie-

gende so weit entfernt sein, daß der Abstand zwischen ihnen inLichtjahren als eine Eins mit mehreren Millionen Nullen ausge-drückt werden müßte - eine Zahl, die so groß ist, daß ein ganzerLexikonband erforderlich wäre, wollte man sie ausschreiben!Selbst mit einer Geschwindigkeit nahe der des Lichtes würde eseine ähnlich große Anzahl von Jahren dauern, eine andere Blasezu erreichen, es sei denn, man befände sich durch einen außer-

gewöhnlichen Glückszufall gerade in Randnähe der eigenenBlase. Doch auch dieser glückliche Umstand würde nur dannetwas nützen - darauf weist Linde hin -, wenn sich unserUniversum weiterhin in vorhersagbarer Weise ausdehnt. Einnoch so geringer physikalischer Einfluß - einer, der gegenwär-tig ganz und gar unauffällig wäre - könnte schließlich die Artund Weise bestimmen, in der sich das Universum ausdehnt,

sobald die gegenwärtig dort existierende Materie und Strah-lung unendlich verdünnt sind. Beispielsweise könnte im Uni-versum eine ungeheuer geringe Aufblähungskraft fortbestehen,

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die im Augenblick von den Gravitationswirkungen der Materievollständig zugedeckt wird, die sich aber irgendwann auswir-ken würde, wenn man bedenkt, welche riesigen ZeiträumeLebewesen benötigen würden, um unserer Blase zu entkom-

men. In diesem Fall würde das Universum nach hinreichendlanger Zeit anfangen, sich erneut aufzublähen - nicht annä-hernd so schlagartig wie beim Urknall, sondern in einer Artblasser Nachahmung dieses Vorgangs ungeheuer langsam.Doch würde dies schwache Winseln, so unbeträchtlich es auchwäre, auf alle Zeiten weitergehen. Obwohl sich das Wachstumdes Universums lediglich um einen winzigen Betrag beschleu-

nigen würde, wirkt sich die Tatsache, daß es sich überhauptbeschleunigt, in entscheidender Weise physikalisch aus. DieseWirkung besteht darin, daß ein Ereignishorizont innerhalb derBlase entsteht, die man sich wie ein nach außen gestülptesSchwarzes Loch vorstellen könnte und die eine ebenso wirk-same Falle wie diese ist. Wesen, die dann noch lebten, wärenhilflos in unserer Blase gefangen, denn während sie sich be-

mühten, ihrem Rand entgegenzueilen, würde sich dieser alsErgebnis der erneut einsetzenden Inflation noch rascher vonihnen entfernen. Lindes Berechnung, so phantastisch sie ist,zeigt recht deutlich, daß- das endgültige Schicksal der Mensch-heit oder unserer Nachkommen von so geringfügigen physika-lischen Wirkungen abhängen kann, daß wir nicht wirklich er-warten dürfen, sie zu entdecken, bevor sie sich in kosmischem

Maßstab auszuwirken beginnen.Lindes Kosmologie erinnert in gewisser Hinsicht an die alteSteady-state-Theorie, bei der sich das Universum in einem stetsgleichbleibenden Zustand befindet. Sie hatte in den fünfzigerund frühen sechziger Jahren viele Anhänger und liefert nachwie vor die bisher einfachste und ansprechendste Lösung fürdas Problem, wie man das Ende des Universums vermeiden

kann. Die von Herman Bondi und Thomas Gold vorgetrageneursprüngliche Fassung basierte auf der Annahme, daß das Uni-versum, da es für alle Zeiten in großem Maßstab unverändert

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bleibe, weder Anfang noch Ende habe. Bei seiner Ausdehnungentstehe unaufhörlich neue Materie, welche die Lücken fülleund eine überall gleichbleibende Dichte erhalte. Das Schicksal

einer jeden Galaxie ähnelt in diesem Fall dem, was ich infrüheren Kapiteln beschrieben habe: Geburt, Entwicklung undTod. Doch aus dem neu geschaffenen Material, das in uner-schöpflicher Fülle zur Verfügung steht, entstehen immer wei-tere Galaxien. So ist das allgemeine Aussehen des Universumsinsgesamt von einer Epoche zur anderen identisch, wobei einbestimmtes Raumvolumen stets die gleiche Gesamtzahl vonGalaxien in einem Gemisch verschiedener Altersstufen aufweist.

Diese Vorstellung von einem ständig gleichbleibenden Zu-stand macht die Erklärung überflüssig, auf welche Weise dasUniversum aus dem Nichts entstand, und sie verbindet durchevolutionäre Veränderung entstandene interessante Vielfalt mitder Unsterblichkeit des Universums. Tatsächlich geht sie nochdarüber hinaus und liefert ewige Jugend im All, denn wennauch einzelne Galaxien langsam sterben, so altert doch dasUniversum insgesamt nie. Unsere Nachkommen müssen sichnie mit der Suche nach immer mehr schwindenden Energievor-räten abmühen, weil ihnen die neuentstandene Materie diesezur Verfügung stellt. Sobald einer Galaxie der Brennstoff auszu-gehen beginnt, begeben sich ihre Bewohner einfach in eine jüngere. Das kann unendlich lange so weitergehen, wobei inalle Ewigkeit die gleiche Stufe an Intensität, Vielfalt und Aktivität

beibehalten bleibt.Allerdings müssen einige physikalische Erfordernisse erfüllt

werden, damit die Theorie funktionieren kann. Wegen derAusdehnung verdoppelt sich das Volumen des Universumsnach jeweils einigen Milliarden Jahren. Um eine konstanteDichte beizubehalten, müssen über diesen Zeitraum hinwegrund 1050 Tonnen neuer Materie entstehen. Das scheint viel zu

sein, entspricht aber im Durchschnitt lediglich dem Auftreteneines Atoms pro Jahrhundert in einer Region des Kosmos,welche die Größe einer Flugzeughalle hat. Es ist unwahrschein-

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lieh, daß uns ein solches Phänomen auffallen würde. Ein ernste-res Problem betrifft die Art der physikalischen Prozesse, die indieser Theorie fü r die Erschaffung der neuen Materie zuständigsind. Zumindest mü ßten wir wissen, woher die Energie kommt,

welche die zusätzliche Masse liefert und auf welche wunder-bare Weise dafür gesorgt wird, daß diese Energiequelle uner-schöpflich sprudelt. Mit dieser Frage hat sich Fred Hoyle be-schäftigt, der die Steady-state-Theorie gemeinsam mit seinemMitarbeiter Jayant Narlikar in zahlreichen Einzelheiten entwik-kelt hat. Für die Lieferung der Energie schlugen sie eine neueArt von Feld vor, das sie »Schöpfungsfeld« nannten und das

ihrer Theorie zufolge über negative Energie verfügen muß. DasAuftreten eines jeden neuen Materieteilchens mit der Masse mtrage dann zu diesem Schöpfungsfeld eine Energie von - mc2

bei.

Obwohl das Schöpfungsfeld eine technische Lösung für dasProblem der Schöpfung bot, ließ es viele Fragen unbeantwortet.Außerdem wirkt es wie eine Augenblickslösung, da sich keine

weiteren Manifestionen dieses mysteriösen Feldes zeigten. AusBeobachtung gewonnene Ergebnisse begannen in den sechzi-ger Jahren gegen die Steady-state-Theorie zu sprechen. Amwichtigsten war dabei die Entdeckung der kosmischen Hinter-grundstrahlung. Es fällt schwer, diesen gleichförmigen Hinter-grund, der als Überbleibsel des Urknalls gedeutet wird, imSteady-state-Modell zu erklären. Außerdem haben über große

Entfernungen vorgenommene Messungen von fernen Galaxienund Radio-Galaxien gezeigt, daß sich das Universum in großemMaßstab entwickelt. Sobald sich das Ergebnis abzeichnete, ga-ben Hoyle und seine Mitarbeiter die einfache Version derSteady-state-Theorie auf, doch taucht sie von Zeit zu Zeit immerwieder in komplizierteren Varianten auf.

Ganz abgesehen von den physikalischen Problemen und den

Schwierigkeiten der Beobachtung, wirft diese Theorie mehreremerkwürdige philosophische Fragen auf. Sollten beispiels-weise unsere Nachkommen wahrhaft über unendliche Zeit-

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räume und Naturschätze verfügen, kann man ihrer technischenEntwicklung keine deutlichen Grenzen setzen. Sie hätten dieFreiheit, sich über das Universum auszubreiten und die Herr-schaft über immer größere Regionen des Raumes zu erlangen.

Mithin wäre ein großer Teil des Universums in sehr fernerZukunft im wesentlichen technologisch erschlossen. Da aberhypothetisch angenommen wird, daß sich das Wesen des Uni-versums im großen Maßstab über die Zeiten hinweg nichtverändert, verlangt die Steady-state-Theorie von uns denSchluß, daß das Universum, das wir heute sehen, bereits tech-nologisch erschlossen ist. Da die physikalischen Bedingungen

im Steady-state-Universum im großen und ganzen zu allen Zei-ten gleich sind, müssen auch zu allen Zeiten intelligente Wesenauftreten. Und weil dieser Zustand schon seit Ewigkeiten andau-ert, müßte es Gemeinschaften von Wesen geben, die schon seitbeliebig langer Zeit existieren und sich ausgedehnt haben, umeinen beliebig großen Teil des Raumes zur technischen Er-schließung für sich zu beanspruchen - einschließlich unserer

Region im Universum. Dieser Schlußfolgerung kann man auchentgehen, wenn man annimmt, daß intelligente Wesen im allge-meinen nicht den Wunsch haben, das Universum zu kolonisie-ren. Es bedarf nur einer einzigen Gemeinschaft, die vor belie-big langer Zeit entstanden ist, damit die Schlußfolgerung Gül-tigkeit hat. Es ist wie bei dem alten verzwickten Problem, daß ineinem unendlichen Universum alles, was auch nur von ferne

möglich ist, irgendwann geschehen muß und unendlich oftauch geschieht. Folgt man der Logik bis zum bitteren Ende, sagtdie Steady-state-Theorie des Universums voraus, daß die in ihmablaufenden Prozesse mit den technischen Aktivitäten seinerBewohner identisch sind. Was wir Natur nennen, wäre in Wirk-lichkeit das Wirken eines Superwesens oder einer Gemein-schaft von Superwesen. Das erscheint wie eine Spielart von

Platos Demiurgen (eine Gottheit, die innerhalb der Grenzenbereits festgelegter physikalischer Gesetze wirkt), und es istinteressant, daß Hoyle in seinen späteren kosmologischen

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Theorien ausdrücklich fü r die Existenz eines solchen Superwe-sens eintritt.

Ganz gleich, auf welche Weise wir uns mit der Frage nachdem Ende des Universums beschäftigen, immer wieder stehen

wir vor der Sinnfrage. Ich habe bereits erklärt, daß die Aussichtauf ein sterbendes Universum Bertrand Russell zu der Überzeu-gung brachte, das Dasein sei letzten Endes sinnlos. DieserHaltung hat sich in jüngeren Jahren Steven Weinberg ange-schlossen, dessen Buch Die ersten drei Minuten  in der Schluß-folgerung gipfelt: »Je begreiflicher uns das Universum wird, umso sinnloser erscheint es auch« (S. 162). Ich habe erklärt, daß

die ursprüngliche Befürchtung vom allmählich erfolgendenHitzetod des Universums vielleicht übertrieben war und unterUmständen gar falsch ist, obwohl der plötzlich eintretende Toddurch einen großen Kollaps eine Möglichkeit bleibt. Ich habeüber das Tun von Superwesen spekuliert, die wunderbare phy-sikalische und geistige Ziele zu erreichen vermögen, wennauch alles dagegen spricht, und ich habe mich gleichfalls mit

der Möglichkeit beschäftigt, daß es für das Denken keine Gren-zen gibt, selbst wenn das Universum begrenzt ist.

Aber mindern diese Vorstellungen unser Unbehagen? EinFreund hat einmal gesagt, nach allem, was er über das Paradiesgehört habe, sei er nicht besonders daran interessiert. Auch dieAussicht, für alle Zeiten in einem Zustand kompletten Gleich-gewichts zu leben, erschien ihm wenig verlockend. Besser wäre

es, rasch zu sterben und es hinter sich zu haben, als sich dasganze ewige Leben hindurch zu langweilen. Wenn sich dieUnsterblichkeit darauf beschränkt, daß man bis in alle Ewigkeitimmer wieder das gleiche denkt und die gleichen Erfahrungenmacht, so wirkt das Ganze in der Tat ziemlich sinnlos. Wäre dieUnsterblichkeit jedoch mit einem Fortschritt verbunden, könn-ten wir uns durchaus vorstellen, in einem Zustand beständiger

Neuerung zu leben, immer wieder etwas anderes und Aufre-gendes zu lernen oder zu tun. Es fragt sich nur, wozu? Wennsich die Menschen einer Sache widmen, tun sie das gewöhnlich,

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weil sie ein Ziel vor Augen haben. Wird dieses verfehlt, ist dasVorhaben gescheiten (was die dabei gemachten Erfahrungennicht zwangsläufig entwertet). Wird auf der anderen Seite dasZiel erreicht, ist die Aufgabe erfüllt, und die Bemühung darum

hört auf. Kann es bei einer Aufgabe, die nie erledigt wird, einenwahren Zweck geben? Kann das Dasein einen Sinn haben, wennes in einer endlosen Reise besteht, an deren Bestimmungsort

man nie ankommt?Wenn das Universum einen Zweck hat und es diesen erfüllt,

muß es enden, denn in dem Fall wäre eine Fortdauer seinerExistenz sinnlos und überflüssig. Wenn das Universum aber

umgekehrt ewig fortdauert, kann man sich schwer vorstellen,daß es letzten Endes überhaupt zweckgerichtet ist. Somit kannder Tod des Kosmos der Preis sein, der für seinen Erfolg gezahltwerden muß. Vielleicht können wir höchstens die Hoffnunghaben daß unsere Nachkommen den Zweck des Universums