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12 Nr. 84 | Dienstag, 9. April 2019 STUTTGARTER ZEITUNG WIRTSCHAFT Generationswechsel hilft beim Umbruch R obert Reisch braucht nur in eines der Archivregale am Fir- mensitz im Stuttgarter Wes- ten zu greifen, dann hält er ein Stück Vergangenheit in der Hand. Dicke Ordner liegen da, in denen Handwerker nachschlagen konnten, wie sie einen Kostenvoranschlag erstellen. „Keiner schlägt heute mehr so etwas nach – das googeln sie nur noch,“ sagt Reisch. Doch als Geschäftsführer für Digitales und IT im Fachverlag Gentner in Stuttgart ist ihm vor radikalen Veränderungen nicht bange. Denn wenn er nach einem Vorbild für Anpassungsfähigkeit sucht, muss er nur auf seinen Großvater Alfons W. Gentner blicken. Der baute 1946 dank einer durch einige Zufälle früh ergatterte Lizenz der US-Militärregierung den von dessen Vater gegründeten Verlag rasch nach dem Krieg wieder auf. Noch heute hängt eine Kopie des Dokuments eingerahmt im Bespre- chungszimmer. Zu kaufen gab es damals wenig. Dafür gab es einen Hunger nach Unterhaltung. Und so publizierte der Ver- lag ein damals höchst innovatives Medium: Die „Schwäbische Illustrierte“ präsentierte erstmals in Süddeutschland mit vielen ein- gestreuten Bildern einen Kessel Buntes - schöne Schauspielerinnen, Kriegserlebnis- se oder auch Enthüllungsgeschichten wie „Goebbels und die Frauen“. „Aber mein Großvater hatte immer auch das Praktische im Blick“, sagt Reisch. Und so gehörten von Anfang an auch lebensna- he Themen zum Programm. Als die Deut- schen wieder mehr Geld übrig hatten, woll- ten sie nicht mehr nur ihr Herz wärmen, sondern auch ihre Wohnungen. Spezialthe- men wie der Heizungsbau waren gefragt. Die Rechte an der Illustrierten wurden ver- kauft. Gentner mutierte En- de der Fünfzigerjahre zum Fachverlag. Mit dem Hei- zungsbau beschäftigt man sich noch heute. Zuvor hatte der Verlag Anfang der fünfziger Jahre den frühen Tod des Gründers verkraften müssen. Doch weil dessen Witwe Verlag und Vermögen zusammen- hielt und in zweiter Ehe den Druckereileiter heiratete, ging es weiter. Anpassungsfähigkeit bei gleichzeitig lang- fristigem Horizont, das zeichne Familien- unternehmen aus, sagt Reisch. Sie seien für den digitalen Wandel gewappnet – wenn sie sich auf diese Stärken besinnen. Lange Jah- re machte der Verlag mit Printmedien für Fachthemen wie Sanitär-, Heizungs- oder Klimatechnik, Fenster, Glas, Fassaden, Elektro- und Sicherheitstechnik sowie Arbeitsmedizin gute Geschäfte. Doch der aktuelle Umbruch ist tiefgreifender als der einstige Schwenk von der Unterhaltung zum Fachwissen. „Irgendwann einmal muss man begreifen, dass Digitalisierung mehr bedeutet als die Weiterentwicklung des Bestehenden“, sagt Reisch. Das Schlüsselwort für den Umbruch im Familienunternehmen war Vertrauen. „Mache du mal“, das sei die Devise seines Vaters gewesen, sagt der 36-Jährige, der allmählich in die Rolle des Mit-Geschäftsfüh- rers hineinwuchs, die er seit Oktober 2017 bekleidet. „Mein Vater ist auch mit 64 noch neugierig und technik- begeistert – der ist kei- ner, der sich die E-Mail hat ausdrucken las- sen.“ Ende April 2020 scheidet er aus der Ge- schäftsführung aus, der Sohn wird Verleger. Ein Vorteil sei es gewesen, dass es eine klare Nachfolgerege- lung gegeben habe, sagt Reisch. Ob er oder seine drei Jahre ältere Schwester den Ver- lag übernehmen sollte, wurde lange im vo- raus entschieden. Das sei nicht bei allen Fa- milienverlagen so. Es sei ein Glücksfall ge- wesen, dass der Stabwechsel im Familien- unternehmen parallel zum technologi- schen Umbruch stattfand, sagt Reisch. Als er 2008 parallel zum Jurastudium in Teil- zeit im Unternehmen anfing, experimen- tierte man erstmals mit einer Produkt- datenbank für Handwerker, die aber nur mühsam vorankam: „Die Hersteller haben nicht verstanden, warum sie uns ihre Pro- duktdaten zur Verfügung stellen und auch noch dafür zahlen sollten.“ Dann machte man einen Schnitt. „Im Jahr 2014 haben wir uns extern gründlich durchleuchten lassen“, sagt Reisch. Danach sei klar gewor- den, dass man nicht weitermachen konnte wie bisher. Alles, was man zu- vor digital gemacht hatte, sei nur eine Weiterentwicklung des Bisherigen gewesen. Ihm sei es leichtergefallen, sich von bisherigen Produkten zu verabschieden, sagt Reisch: „Ich glaube, das es Familien- unternehmen beim digitalen Wandel strukturell leichter haben: Die Wege zu Entschei- dungen sind kurz, sie können dynamischer reagieren.“ Zu- dem hätten Familienunter- nehmen mehr Liquidität, um dies zu finanzieren. Nicht zuletzt sei der heute Start-ups zu- geschriebene, auf Eigenverantwortung set- zende Führungsstil schon bei seinem Vater so gewesen: „Da hat sich im Kern mit mir gar nichts verändert. Wir sind grundsätz- lich sehr nah an den Leuten. Bei uns kann jeder zum Geschäftsführer kommen.“ Er fühle besondere Verantwortung: „Wir wol- len nicht den Wandel erzwingen, indem be- stehende Mitarbeiter gegen neue ausge- tauscht werden.“ Er kenne manche aus Kindertagen, als ihn sein Vater in die Firma mitnahm: „Das muss mit der vorhandenen Mannschaft gelingen.“ Neue Produkte trei- be man aber mit neuen Teams voran. Der Takt ist hoch: So publiziert ein drei- köpfiges Team zum Thema Haustechnik zwei Newsletter täglich. Suchmaschinen- optimierung und Werbung auf sozialen Medien – bei einem neuen, rein digitalen Angebot für Gebäude -und Fassadentech- nik zog man alle Register. Binnen zwei Jah- ren habe man so die größte Internetplatt- form für Handwerker rund um dieses The- ma etabliert, sagt Reisch: „Wir sind da kom- plett zahlengetrieben. Was auf der Websei- te nicht funktioniert, kommt weg. Was läuft, wird als Evergreen immer wieder aus- gespielt.“ Da kann auch ein Artikel über Fußbodenheizungen von 2009 dabeisein. Gesponserte Artikel sind eine Säule des Ge- schäftsmodells. Auch Nutzerdaten kann man datenschutzkonform monetarisieren: Für die Hersteller von Handwerkerbedarf beispielsweise bieten sie Informationen über ihre sehr spezielle Zielgruppe. Aber auch eine andere Komponente ist wichtig: „Digitale Reichweite bekommen sie auch durch branchenspezifische Unter- haltung“, sagt Reisch. Etwas vom Geist der einstigen, bunten „Schwäbischen Illust- rierten“ passt also gut ins digitale Zeitalter. Neuorientierung Robert Reisch, der Geschäftsführer des Stuttgarter Gentner-Verlags, hält Familienunternehmen für Veränderungen grundsätzlich für gut gewappnet. Dazu braucht es aber das nötige Vertrauen zwischen Senior- und Juniorchef. Von Andreas Geldner Für Robert Reisch, der im Stuttgarter Fachverlag Gentner seinem Vater als Geschäftsführer folgt, sind Regale mit Printprodukten weitgehend Geschichte. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko ROBERT REISCH UND SEIN VERLAG Ausbildung Robert Reisch (36) hat von 2004 bis 2010 in Tübingen Jura studiert und war anschließend bis 2012 im Referendariat. Von 2016 bis 2018 studierte er berufsbegleitend an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Am Institut für Familienunternehmen hat er dort seinen Masterabschluss gemacht . Seit dem Jahr 2008 arbeitet er im Gentner-Verlag, und seit Januar 2013 ist er dort in Vollzeit tätig. Im Oktober 2017 wurde er Geschäftsführer für Digitales. Vom kommenden Jahr an wird er der Verleger sein. Reisch hat zwei Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren, die beim Sommerfest und ähnlichen Anlässen auch schon einmal ins Unternehmen hineingeschnuppert haben. Verlag Im Verlag wird es wie bisher neben Reisch einen zweiten Geschäftsführer geben, der das operative Geschäft betreut. Der Alfons-W.-Gentner-Verlag hat aktuell etwa 60 Mitarbeiter, davon zwei Auszubilden- de. Er publiziert elf Fachzeitschriften, 15 Fach- bücher, zwei Unternehmenszeitschriften als Dienstleistung für Kunden. Aber vor allem betreibt er 16 Webseiten. Die größte ist Haus- tec.de, ein Portal für Gebäude- und Fassaden- technik. Dazu kommen 24 Kanäle auf sozialen Medien und elf Newsletter. Die Druckauflage beträgt etwa 150 000 Hefte im Monat. Monat- lich gibt es circa 800 000 Besuche auf den Webseiten und 1,8 Millionen Seitenaufrufe. Gesellschafter Umsatzzahlen werden keine veröffentlicht. Es gibt zwei Gesellschafter. Neben Robert Reisch ist seine Mutter die Mehrheitsgesellschafterin. In der Firmen- geschichte blieben wichtige Anteile am Verlag über die Generationswechsel hinweg in den Händen der Frauen der Familie. age Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH Plieninger Str. 150, 70567 Stuttgart Postfach 10 60 32, 70049 Stuttgart Redaktion: Chefredakteur: Joachim Dorfs Stellvertretender Chefredakteur: Michael Maurer Chefredakteurin Digital: Swantje Dake Chef vom Dienst: Matthias Schmidt, Joachim Volk, Frank Schwaibold Leitung Titelteam: Michael Maurer Artdirector: Dirk Steininger Ressortleiter: Rainer Pörtner (Politik/ Landespolitik), Anne Guhlich (Wirt- schaft), Peter Trapmann (Leben), Tim Schleider (Kultur), Holger Gayer und Jan Sellner (Lokales/Sublokales), Achim Wörner (Region/Baden- Württemberg), Swantje Dake (Digital Unit), Stefanie Zenke (Multimediale Reportagen), Dirk Preiß (Sport). Autoren: Michael Heller, Armin Käfer, Hilke Lorenz, Christian Milankovic, Andreas Müller, Jörg Nauke, Reiner Ruf, Peter Stolterfoht, Ingmar Volk- mann, Mirko Weber. Berliner Redaktion: Christopher Ziedler. Anzeigen und Sonderthemen: Stuttgarter Zeitung Werbevermarktung GmbH Plieninger Str. 150, 70567 Stuttgart Postanschrift: Anzeigenabteilung: Postfach 10 44 26, 70039 Stuttgart Chiffrezuschriften: Postfach 10 44 27, 70039 Stuttgart Sonderthemen: Postfach 10 44 21, 70039 Stuttgart Anzeigenleitung: Oliver Nothelfer Sonderthemen: Reimund Abel (Redaktion) Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 46 vom 1. 1. 2019. Druck: Pressehaus Stuttgart Druck GmbH, Plieninger Str. 150, 70567 Stuttgart, Postfach 10 38 23, 70033 Stuttgart Wir verwenden Recycling-Papier und sind nach DIN EN ISO 14001:2005 zertifiziert. Leserservice: Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 43 54, 70038 Stuttgart- Der monatliche Bezugspreis (Stand 1.1.2019) beträgt bei Lieferung frei Haus durch Zusteller oder bei Postzustellung 47,20 Euro (einschl. 7% MwSt.). Bei jährlicher Vorauszahlung reduziert sich der Be- zugspreis um bis zu 4,0%, bei halb- jährlicher Vorauszahlung um bis zu 1,5%. Portokosten für Reisenachsen- dungen täglich: Inland 1,00 Euro, Ausland ab 2,20 Euro. Jeder Freitagsausgabe – bei Feiertagen ab- weichend – liegt das Fernsehmagazin „prisma“ bei. Abbestellungen sind bis zum 5. eines Monats zum Monatsen- de schriftlich an den Leserser- vice des Verlags zu richten. Bei einer zusammenhängenden Bezugsunter- brechung von drei Wochen wird der anteilige Bezugspreis zurückerstat- tet. Bei Abbestellung eines Abonne- ments ist eine Gutschrift der anteili- gen Abonnementgebühren für eine Lieferunterbrechung während des Laufs der Abbestellfrist nicht mög- lich. Bei Nichterscheinen infolge höherer Gewalt, Streik oder Aus- sperrung besteht kein Anspruch auf Entschädigung. Die Stuttgarter Zeitung ist amtliches Publikationsorgan der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse. Impressum „Familien- unternehmen haben es beim digitalen Wandel strukturell leichter.“ Robert Reisch über Zukunftsfähigkeit FAHRPLAN DER SERIE Familienbetriebe sind das Rückgrat der Wirt- schaft. Bundesweit werden neun von zehn Firmen von Eigentümern geführt oder sind in Familienhand. In unserer Serie „Familienunter- nehmen“ beleuchten wir bis 11. Mai die Situa- tion solcher Betriebe in Baden-Württemberg. Das Gesicht Porträt von Brun-Hagen Henner- kes – der Experte für Familienbetriebe 6. April Der Umbruch Wie ein Generationswechsel den Wandel erleichtert 9. April Die Macher Wie es ein Familienunternehmen schafft, innovativ zu bleiben 13. April Die Finanzierung Welche Rolle Banken bei der Unternehmensnachfolge spielen 16. April Der Aufsteiger Wie ein Einwanderer ein Lebensmittelimperium aufgebaut hat 20. April Der Schicksalsschlag Wenn jemand plötzlich ins kalte Wasser geworfen wird 23. April Das Vermächtnis Konflikt ums Erbe – wenn die Familie zerstritten ist 27. April Die Grenzen Wie viel Wachstum ist nötig, wie viel möglich, um am Ball zu bleiben? 30. April Der Nachfolgestreit Der Vater will an einen Fremden verkaufen, die Kinder nicht 4. Mai Die Stiftung Die Familie ist groß und zu viele wollen mitsprechen 7. Mai Die Nachbarn Welche Rolle Familienbetriebe im Ausland spielen 11. Mai Familien- unternehmen D ie EU-Wettbewerbshüter haben wegen falscher Aussagen eine Mil- lionenstrafe gegen General Elec- tric (GE) verhängt. Der US-Konzern müsse 52 Millionen Euro zahlen, teilte die EU- Kommission mit. Bei der Anmeldung der Übernahme des Rotorblattherstellers für Windkraftanlagen, LM Wind, gab General Electric der Behörde demnach keine voll- ständigen Informationen ab. GE hatte den Zusammenschluss im Januar 2017 in Brüs- sel angemeldet. Dabei erklärte das Unter- nehmen, über seine bestehende 6-Mega- watt-Turbine hinaus keine Windkraftanla- gen mit höherer Leistung für den Offshore- einsatz entwickeln zu wollen. Die Wettbe- werbshüter fanden jedoch heraus, dass GE möglichen Kunden zugleich Offshoreanla- gen mit einer Leistung von zwölf Megawatt anbot. Daraufhin meldete GE das Vorhaben erneut in Brüssel an, dieses Mal mit voll- ständigen Informationen, die Wettbe- werbshüter genehmigten den Zusammen- schluss anschließend. „Unsere Fusions- kontrolle und unsere Beschlüsse sind nur so gut wie die Informationen, auf die wir uns stützen können“, sagte EU-Wettbe- werbskommissarin Margrethe Vestager. „Die heute gegen General Electric verhäng- te Geldbuße ist ein Beleg dafür, dass die Kommission es sehr ernst nimmt, wenn ein Unternehmen seine Pflicht verletzt, uns richtige Auskünfte zu erteilen.“ Die EU verhängt damit zum zweiten Mal seit 2004 eine Strafe wegen Falschaussagen bei Übernahmen. Im Mai 2017 erließ sie eine Geldbuße von 110 Millionen Euro gegen den US-Digitalriesen Facebook, weil das Unternehmen bei der Übernahme des Nachrichtendiensts Whatsapp irreführen- de Angaben gemacht hatte. In seinem Fu- sionsantrag 2014 hatte Facebook erklärt, nicht zum zuverlässigen automatischen Datenabgleich zwischen den Benutzerkon- ten beider Dienste in der Lage zu sein. Im August 2016 kündigte Whatsapp aber genau das an: Telefonnummern der Whatsapp- Nutzer könnten mit den jeweiligen Profilen in Facebook verknüpft werden. dpa Wettbewerb Die EU-Kommission verlangt 52 Millionen Euro vom US-Konzern. Strafe gegen General Electric Baden-Württemberg Industriewachstum verliert an Schwung Die Industrie im Südwesten wächst weiter, hat im vergangenen Jahr aber wieder etwas an Schwung verloren. Knapp 371 Milliar- den Euro Umsatz im Jahr 2018 bedeuteten ein Plus von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, meldete das Statistische Landes- amt. 2017 hatten alle Betriebe zusammen ein Plus von 3,4 Prozent verbucht. Anders als im Jahr davor wurde das Wachstum 2018 stärker vom Inlands- als vom Aus- landsgeschäft getragen. Knapp 55 Prozent ihres Umsatzes macht die Industrie des Landes laut Statistik im Ausland. dpa Mittelstand braucht SPINNER. Sonst hieße es ja Mittelstillstand. Digitalisierung für Mittelständler, die mehr wollen. Das Dossier auf hvb.de/unternehmen-digital ICQC 2018-20

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12 Nr. 84 | Dienstag, 9. April 2019STUTTGARTER ZEITUNGWIRTSCHAFT

Generationswechsel hilft beim Umbruch

R obert Reisch braucht nur ineines der Archivregale am Fir-mensitz im Stuttgarter Wes-ten zu greifen, dann hält er einStück Vergangenheit in der

Hand. Dicke Ordner liegen da, in denenHandwerker nachschlagen konnten, wiesie einen Kostenvoranschlag erstellen.„Keiner schlägt heute mehr so etwas nach –das googeln sie nur noch,“ sagt Reisch.

Doch als Geschäftsführer für Digitalesund IT im Fachverlag Gentner in Stuttgartist ihm vor radikalen Veränderungen nicht bange. Denn wenn er nach einem Vorbildfür Anpassungsfähigkeit sucht, muss er nurauf seinen Großvater Alfons W. Gentnerblicken. Der baute 1946 dank einer durcheinige Zufälle früh ergatterte Lizenz derUS-Militärregierung den von dessen Vatergegründeten Verlag rasch nach dem Krieg

wieder auf. Noch heute hängt eine Kopiedes Dokuments eingerahmt im Bespre-chungszimmer. Zu kaufen gab es damalswenig. Dafür gab es einen Hunger nachUnterhaltung. Und so publizierte der Ver-lag ein damals höchst innovatives Medium:Die „Schwäbische Illustrierte“ präsentierteerstmals in Süddeutschland mit vielen ein-gestreuten Bildern einen Kessel Buntes -schöne Schauspielerinnen, Kriegserlebnis-se oder auch Enthüllungsgeschichten wie „Goebbels und die Frauen“.

„Aber mein Großvater hatte immer auchdas Praktische im Blick“, sagt Reisch. Undso gehörten von Anfang an auch lebensna-he Themen zum Programm. Als die Deut-schen wieder mehr Geld übrig hatten, woll-ten sie nicht mehr nur ihr Herz wärmen, sondern auch ihre Wohnungen. Spezialthe-

men wie der Heizungsbauwaren gefragt. Die Rechte ander Illustrierten wurden ver-kauft. Gentner mutierte En-de der Fünfzigerjahre zumFachverlag. Mit dem Hei-zungsbau beschäftigt mansich noch heute.

Zuvor hatte der VerlagAnfang der fünfziger Jahreden frühen Tod des Gründersverkraften müssen. Dochweil dessen Witwe Verlagund Vermögen zusammen-hielt und in zweiter Ehe denDruckereileiter heiratete, ging es weiter.Anpassungsfähigkeit bei gleichzeitig lang-fristigem Horizont, das zeichne Familien-unternehmen aus, sagt Reisch. Sie seien fürden digitalen Wandel gewappnet – wenn siesich auf diese Stärken besinnen. Lange Jah-re machte der Verlag mit Printmedien fürFachthemen wie Sanitär-, Heizungs- oderKlimatechnik, Fenster, Glas, Fassaden,Elektro- und Sicherheitstechnik sowieArbeitsmedizin gute Geschäfte. Doch der aktuelle Umbruch ist tiefgreifender als dereinstige Schwenk von der Unterhaltung zum Fachwissen. „Irgendwann einmalmuss man begreifen, dass Digitalisierungmehr bedeutet als die Weiterentwicklungdes Bestehenden“, sagt Reisch.

Das Schlüsselwort für den Umbruch imFamilienunternehmen war Vertrauen. „Mache du mal“, das sei die Devise seinesVaters gewesen, sagt der 36-Jährige, der

allmählich in die Rolledes Mit-Geschäftsfüh-rers hineinwuchs, dieer seit Oktober 2017bekleidet. „Mein Vaterist auch mit 64 nochneugierig und technik-begeistert – der ist kei-ner, der sich die E-Mailhat ausdrucken las-sen.“ Ende April 2020scheidet er aus der Ge-schäftsführung aus,

der Sohn wird Verleger. Ein Vorteil sei esgewesen, dass es eine klare Nachfolgerege-lung gegeben habe, sagt Reisch. Ob er oderseine drei Jahre ältere Schwester den Ver-lag übernehmen sollte, wurde lange im vo-raus entschieden. Das sei nicht bei allen Fa-milienverlagen so. Es sei ein Glücksfall ge-wesen, dass der Stabwechsel im Familien-unternehmen parallel zum technologi-schen Umbruch stattfand, sagt Reisch. Alser 2008 parallel zum Jurastudium in Teil-zeit im Unternehmen anfing, experimen-tierte man erstmals mit einer Produkt-datenbank für Handwerker, die aber nur mühsam vorankam: „Die Hersteller haben nicht verstanden, warum sie uns ihre Pro-duktdaten zur Verfügung stellen und auchnoch dafür zahlen sollten.“ Dann machteman einen Schnitt. „Im Jahr 2014 habenwir uns extern gründlich durchleuchten lassen“, sagt Reisch. Danach sei klar gewor-den, dass man nicht weitermachen konnte

wie bisher. Alles, was man zu-vor digital gemacht hatte, seinur eine Weiterentwicklungdes Bisherigen gewesen. Ihmsei es leichtergefallen, sichvon bisherigen Produkten zuverabschieden, sagt Reisch:„Ich glaube, das es Familien-unternehmen beim digitalenWandel strukturell leichterhaben: Die Wege zu Entschei-dungen sind kurz, sie könnendynamischer reagieren.“ Zu-dem hätten Familienunter-nehmen mehr Liquidität, um

dies zu finanzieren. Nicht zuletzt sei der heute Start-ups zu-

geschriebene, auf Eigenverantwortung set-zende Führungsstil schon bei seinem Vaterso gewesen: „Da hat sich im Kern mit mir gar nichts verändert. Wir sind grundsätz-lich sehr nah an den Leuten. Bei uns kannjeder zum Geschäftsführer kommen.“ Erfühle besondere Verantwortung: „Wir wol-len nicht den Wandel erzwingen, indem be-stehende Mitarbeiter gegen neue ausge-tauscht werden.“ Er kenne manche ausKindertagen, als ihn sein Vater in die Firmamitnahm: „Das muss mit der vorhandenen

Mannschaft gelingen.“ Neue Produkte trei-be man aber mit neuen Teams voran.

Der Takt ist hoch: So publiziert ein drei-köpfiges Team zum Thema Haustechnikzwei Newsletter täglich. Suchmaschinen-optimierung und Werbung auf sozialen Medien – bei einem neuen, rein digitalenAngebot für Gebäude -und Fassadentech-nik zog man alle Register. Binnen zwei Jah-ren habe man so die größte Internetplatt-form für Handwerker rund um dieses The-ma etabliert, sagt Reisch: „Wir sind da kom-plett zahlengetrieben. Was auf der Websei-te nicht funktioniert, kommt weg. Wasläuft, wird als Evergreen immer wieder aus-gespielt.“ Da kann auch ein Artikel überFußbodenheizungen von 2009 dabeisein.Gesponserte Artikel sind eine Säule des Ge-schäftsmodells. Auch Nutzerdaten kannman datenschutzkonform monetarisieren: Für die Hersteller von Handwerkerbedarfbeispielsweise bieten sie Informationenüber ihre sehr spezielle Zielgruppe.

Aber auch eine andere Komponente istwichtig: „Digitale Reichweite bekommensie auch durch branchenspezifische Unter-haltung“, sagt Reisch. Etwas vom Geist dereinstigen, bunten „Schwäbischen Illust-rierten“ passt also gut ins digitale Zeitalter.

Neuorientierung Robert Reisch, der Geschäftsführer des Stuttgarter Gentner-Verlags, hält Familienunternehmen für Veränderungen grundsätzlich für gut gewappnet. Dazu braucht es aber das nötige Vertrauen zwischen Senior- und Juniorchef. Von Andreas Geldner

Für Robert Reisch, der im Stuttgarter Fachverlag Gentner seinem Vater als Geschäftsführer folgt, sind Regale mit Printprodukten weitgehend Geschichte. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

ROBERT REISCH UND SEIN VERLAGAusbildung Robert Reisch (36) hat von 2004 bis 2010 in Tübingen Jura studiert und war anschließend bis 2012 im Referendariat. Von 2016 bis 2018 studierte er berufsbegleitend an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Am Institut für Familienunternehmen hat er dort seinen Masterabschluss gemacht . Seit dem Jahr 2008 arbeitet er im Gentner-Verlag, und seit Januar 2013 ist er dort in Vollzeit tätig. Im Oktober 2017 wurde er Geschäftsführer für Digitales. Vom kommenden Jahr an wird er der Verleger sein. Reisch hat zwei Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren, die beim Sommerfest und ähnlichen Anlässen auch schon einmal ins Unternehmen hineingeschnuppert haben.

Verlag Im Verlag wird es wie bisher neben Reisch einen zweiten Geschäftsführer geben, der das operative Geschäft betreut. Der Alfons-W.-Gentner-Verlag hat aktuell etwa 60 Mitarbeiter, davon zwei Auszubilden-de. Er publiziert elf Fachzeitschriften, 15 Fach-bücher, zwei Unternehmenszeitschriften als Dienstleistung für Kunden. Aber vor allem betreibt er 16 Webseiten. Die größte ist Haus-tec.de, ein Portal für Gebäude- und Fassaden-technik. Dazu kommen 24 Kanäle auf sozialen Medien und elf Newsletter. Die Druckauflage beträgt etwa 150 000 Hefte im Monat. Monat-lich gibt es circa 800 000 Besuche auf den Webseiten und 1,8 Millionen Seitenaufrufe.

Gesellschafter Umsatzzahlen werden keine veröffentlicht. Es gibt zwei Gesellschafter. Neben Robert Reisch ist seine Mutter die Mehrheitsgesellschafterin. In der Firmen-geschichte blieben wichtige Anteile am Verlag über die Generationswechsel hinweg in den Händen der Frauen der Familie. age

Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH Plieninger Str. 150, 70567 Stuttgart Postfach 10 60 32, 70049 Stuttgart

Redaktion:Chefredakteur: Joachim Dorfs Stellvertretender Chefredakteur: Michael MaurerChefredakteurin Digital:Swantje DakeChef vom Dienst: Matthias Schmidt, Joachim Volk,Frank Schwaibold

Leitung Titelteam: Michael MaurerArtdirector: Dirk SteiningerRessortleiter: Rainer Pörtner (Politik/ Landespolitik), Anne Guhlich (Wirt-schaft), Peter Trapmann (Leben), Tim Schleider (Kultur), Holger Gayer und Jan Sellner (Lokales/Sublokales), Achim Wörner (Region/Baden-Württemberg), Swantje Dake (Digital Unit), Stefanie Zenke (Multimediale Reportagen), Dirk Preiß (Sport).Autoren: Michael Heller, Armin Käfer,

Hilke Lorenz, Christian Milankovic, Andreas Müller, Jörg Nauke, Reiner Ruf, Peter Stolterfoht, Ingmar Volk-mann, Mirko Weber.Berliner Redaktion: Christopher Ziedler.Anzeigen und Sonderthemen:Stuttgarter ZeitungWerbevermarktung GmbHPlieninger Str. 150, 70567 StuttgartPostanschrift:Anzeigenabteilung: Postfach10 44 26, 70039 StuttgartChiffrezuschriften: Postfach

10 44 27, 70039 StuttgartSonderthemen: Postfach 10 44 21, 70039 StuttgartAnzeigenleitung: Oliver NothelferSonderthemen: Reimund Abel (Redaktion)

Es gilt die AnzeigenpreislisteNr. 46 vom 1. 1. 2019.

Druck:Pressehaus Stuttgart Druck GmbH, Plieninger Str. 150, 70567 Stuttgart,Postfach 10 38 23, 70033 Stuttgart

Wir verwenden Recycling-Papier undsind nach DIN EN ISO 14001:2005 zertifiziert.

Leserservice: Stuttgarter ZeitungVerlagsgesellschaft mbH,Postfach 10 43 54, 70038 Stuttgart-Der monatliche Bezugspreis (Stand 1.1.2019) beträgt bei Lieferung frei Haus durch Zusteller oder bei Postzustellung 47,20 Euro (einschl. 7% MwSt.). Bei jährlicher Vorauszahlung reduziert sich der Be-zugspreis um bis zu 4,0%, bei halb-

jährlicher Vorauszahlung um bis zu 1,5%. Portokosten für Reisenachsen-dungen täglich: Inland 1,00 Euro, Ausland ab 2,20 Euro. Jeder Freitagsausgabe – bei Feiertagen ab-weichend – liegt das Fernsehmagazin „prisma“ bei. Abbestellungen sind bis zum 5. eines Monats zum Monatsen-de schriftlich an den Leserser-vice des Verlags zu richten. Bei einer zusammenhängenden Bezugsunter-brechung von drei Wochen wird der anteilige Bezugspreis zurückerstat-

tet. Bei Abbestellung eines Abonne-ments ist eine Gutschrift der anteili-gen Abonnementgebühren für eine Lieferunterbrechung während des Laufs der Abbestellfrist nicht mög-lich. Bei Nichterscheinen infolge höherer Gewalt, Streik oder Aus-sperrung besteht kein Anspruch auf Entschädigung.Die Stuttgarter Zeitung ist amtliches Publikationsorgan der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse.

Impressum

„Familien-unternehmen haben es beim digitalen Wandel strukturell leichter.“Robert Reisch über Zukunftsfähigkeit

FAHRPLAN DER SERIEFamilienbetriebe sind das Rückgrat der Wirt-schaft. Bundesweit werden neun von zehn Firmen von Eigentümern geführt oder sind in Familienhand. In unserer Serie „Familienunter-nehmen“ beleuchten wir bis 11. Mai die Situa-tion solcher Betriebe in Baden-Württemberg.

Das Gesicht Porträt von Brun-Hagen Henner-kes – der Experte für Familienbetriebe 6. April

Der Umbruch Wie ein Generationswechsel den Wandel erleichtert 9. April

Die Macher Wie es ein Familienunternehmen schafft, innovativ zu bleiben 13. April

Die Finanzierung Welche Rolle Banken bei der Unternehmensnachfolge spielen 16. April

Der Aufsteiger Wie ein Einwanderer ein Lebensmittelimperium aufgebaut hat 20. April

Der Schicksalsschlag Wenn jemand plötzlich ins kalte Wasser geworfen wird 23. April

Das Vermächtnis Konflikt ums Erbe – wenn die Familie zerstritten ist 27. April

Die Grenzen Wie viel Wachstum ist nötig, wie viel möglich, um am Ball zu bleiben? 30. April

Der Nachfolgestreit Der Vater will an einen Fremden verkaufen, die Kinder nicht 4. Mai

Die Stiftung Die Familie ist groß und zu viele wollen mitsprechen 7. Mai

Die Nachbarn Welche Rolle Familienbetriebe im Ausland spielen 11. Mai

Familien-unternehmen

D ie EU-Wettbewerbshüter habenwegen falscher Aussagen eine Mil-lionenstrafe gegen General Elec-

tric (GE) verhängt. Der US-Konzern müsse52 Millionen Euro zahlen, teilte die EU-Kommission mit. Bei der Anmeldung derÜbernahme des Rotorblattherstellers fürWindkraftanlagen, LM Wind, gab GeneralElectric der Behörde demnach keine voll-ständigen Informationen ab. GE hatte den Zusammenschluss im Januar 2017 in Brüs-sel angemeldet. Dabei erklärte das Unter-nehmen, über seine bestehende 6-Mega-watt-Turbine hinaus keine Windkraftanla-gen mit höherer Leistung für den Offshore-einsatz entwickeln zu wollen. Die Wettbe-werbshüter fanden jedoch heraus, dass GEmöglichen Kunden zugleich Offshoreanla-gen mit einer Leistung von zwölf Megawattanbot. Daraufhin meldete GE das Vorhabenerneut in Brüssel an, dieses Mal mit voll-ständigen Informationen, die Wettbe-werbshüter genehmigten den Zusammen-schluss anschließend. „Unsere Fusions-kontrolle und unsere Beschlüsse sind nur so gut wie die Informationen, auf die wiruns stützen können“, sagte EU-Wettbe-werbskommissarin Margrethe Vestager.„Die heute gegen General Electric verhäng-te Geldbuße ist ein Beleg dafür, dass dieKommission es sehr ernst nimmt, wenn einUnternehmen seine Pflicht verletzt, unsrichtige Auskünfte zu erteilen.“

Die EU verhängt damit zum zweiten Malseit 2004 eine Strafe wegen Falschaussagenbei Übernahmen. Im Mai 2017 erließ sieeine Geldbuße von 110 Millionen Eurogegen den US-Digitalriesen Facebook, weil das Unternehmen bei der Übernahme desNachrichtendiensts Whatsapp irreführen-de Angaben gemacht hatte. In seinem Fu-sionsantrag 2014 hatte Facebook erklärt, nicht zum zuverlässigen automatischenDatenabgleich zwischen den Benutzerkon-ten beider Dienste in der Lage zu sein. Im August 2016 kündigte Whatsapp aber genaudas an: Telefonnummern der Whatsapp-Nutzer könnten mit den jeweiligen Profilenin Facebook verknüpft werden. dpa

Wettbewerb Die EU-Kommission verlangt 52 Millionen Euro vom US-Konzern.

Strafe gegen General Electric

Baden-Württemberg

Industriewachstum verliert an SchwungDie Industrie im Südwesten wächst weiter,hat im vergangenen Jahr aber wieder etwasan Schwung verloren. Knapp 371 Milliar-den Euro Umsatz im Jahr 2018 bedeutetenein Plus von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, meldete das Statistische Landes-amt. 2017 hatten alle Betriebe zusammenein Plus von 3,4 Prozent verbucht. Andersals im Jahr davor wurde das Wachstum2018 stärker vom Inlands- als vom Aus-landsgeschäft getragen. Knapp 55 Prozentihres Umsatzes macht die Industrie desLandes laut Statistik im Ausland. dpa

Mittelstand braucht SPINNER. Sonst hieße es ja Mittelstillstand.Digitalisierung für Mittelständler, die mehr wollen.Das Dossier auf hvb.de/unternehmen-digital

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