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zeo 2 | Magazin für Umwelt, Politik und Neue Wirtschaft | www.zeozwei.taz.de Das Umweltmagazin Ausgabe 01 / 2013 5,50 Euro ÖKO-FLEISCH ZU GUTEN PREISEN Neuland – seit 25 Jahren artgerecht KRIEG AM HEILIGEN FLUSS Ist der Jordan noch zu retten? EISENHARTER AUFGUSS Kurzurlaub in der Sauna Millionen Deutsche machen Energiewende und die Atom- und Kohle-Lobby mauert. GEHT UNS AUS DER SONNE!

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Das Umweltmagazin • Ausgabe 01 / 2013

5,50 Euro

Öko-Fleisch zu guten PreisenNeuland – seit 25 Jahren artgerecht

krieg am heiligen FlussIst der Jordan noch zu retten?

eisenharter auFgussKurzurlaub in der Sauna

millionen Deutsche machen energiewende und die atom- und kohle-lobby mauert.

geht uns aus Der

sonne!

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Für Ludwig Lang sind Tradition und Veränderung kein Widerspruch. Im Gegenteil: Bei seiner Arbeit in der Achsgetriebemontage im BMW Werk Dingol ng vereint er modernste Fertigungstechniken mit der Erfahrung aus 40 Jahren bei der BMW Group. Im Rahmen des Projekts „Heute für Morgen“ gestaltet Ludwig Lang gemeinsam mit seinen Kollegen, Arbeitssicherheits- und Ergonomie-experten, Anlagenplanern, Physiotherapeuten und Ärzten alternsgerechte Arbeitsplätze: Das kann durch einen elastischen Holzboden sein, der die Kniegelenke weiter entlastet, und durch ergonomischere Anlagengestaltung. Oder durch Fitnessbereiche und Arbeitszeitmodelle, die auf ältere Mitarbeiter abgestimmt sind. Und was Ludwig Lang heute ändert, davon pro tieren morgen die nachfolgenden Generationen. So wappnen wir uns für die Herausfor-derungen des demogra schen Wandels.

Die BMW Group ist zum achten Mal in Folge nachhaltigster Automobilhersteller der Welt. Erfahren Sie mehr über den Branchenführer im Dow Jones Sustainability Index auf

www.bmwgroup.com/whatsnext

ALTERNSGERECHTE ARBEITSBEDINGUNGEN. FÜR UNS DER NÄCHSTE SCHRITT.

EIN REFORMER, DER AN TRADITIONELLEN WERTEN FESTHÄLT.

Jetzt Film ansehen.

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3zeo2 01|2013

eDitorialzeo2 – Magazin für Umwelt, Politik und Neue Wirtschaft

Gut gemacht, Deutschland!Das war schon fast Gehirnwäsche. spiegel und Faz, energiemonopolisten und FDP-minister, Ökonomie-Professoren und energieberater schossen vereint und aus allen rohren. im Visier: die energiewende, der »solarwahn«, der »grüne umweltzirkus«. Die erhöhung der Öko-umlage für die erneuerbaren energien wurde zur großen abrechnung mit sonne, Wind und co. benutzt – und mit jenen latzhosen-Brigaden, die uns allen ernstes weismachen wollen, dass das viertgrößte industrieland der Welt von Windmühlen und solarscheu-nen versorgt werden soll, die immer »teurer, teurer, teurer« (Bild) werden. Die hunde bellten, und der geifer triefte. inzwischen haben wir das gröbste über-standen, und es ist höchste zeit, einen ganz anderen Blick auf jene energiere-volution zu werfen, die unser land erfasst hat. es ist eine revolution mit weltweiter ausstrahlung, deren Folgen auch in kleinen Dörfern afrikas und lateinamerikas zu spüren ist, wo solarzellen plötzlich bezahlbar geworden sind. Der weltweite siegeszug der erneuerbaren energien hat seinen ausgangs-punkt in millionen kleinen energie-Projekten zwischen cap arkona und Bo-densee. ein Viertel unserer stromversorgung wird inzwischen von sonne, Wind und co. gedeckt. Weltrekord! gut gemacht, Deutschland! unsere lau-datio ab seite 20.

zeo2-Autorin Ranveig Eckhoff war kaum aus Israel zurückgekehrt, als die Eskalation be-gann. raketen, Bomben, hass und tod. Der nahe osten erlebte die nächste konfrontation. zu den Verlierern von krieg und krise gehören auch natur und umwelt. gerade hatten sich Palästinenser und israelis ein wenig angenä-hert. auf der historischen konferenz zur sanierung des heiligen Jordan hatten sich die Feinde die hände gereicht, gemeinsam das ausgetrocknete Jordantal besichtigt und nach lösungen gesucht. ein signal der hoffnung. eckhoff war als einzige Journalistin bei diesem meeting dabei. ihre reportage auf seite 46.

Es ist eine schöne Geschichte zu Weihnachten. eine geschichte von Wilderern in kamerun, die in den Wald zogen, um affen und andere tiere zu töten. Jetzt ziehen sie in denselben Wald, um Futter für die affen zu holen, die sie pflegen und medizinisch versorgen. Daniel akala erzählt von seinem leben als Wil-derer und von seiner neuen existenz als Futtersammler und tierpfleger. Für den Futtertransport fehlt seinem team allerdings ein Fahrzeug. Der alte trans-porter hat röchelnd den geist aufgegeben. Der neue gebrauchte kostet 5.000 euro. Wer sich von dem artikel auf seite 58 angesprochen fühlt, kann bei www.prowildlife.de die geldbörse zücken.

Für Ludwig Lang sind Tradition und Veränderung kein Widerspruch. Im Gegenteil: Bei seiner Arbeit in der Achsgetriebemontage im BMW Werk Dingol ng vereint er modernste Fertigungstechniken mit der Erfahrung aus 40 Jahren bei der BMW Group. Im Rahmen des Projekts „Heute für Morgen“ gestaltet Ludwig Lang gemeinsam mit seinen Kollegen, Arbeitssicherheits- und Ergonomie-experten, Anlagenplanern, Physiotherapeuten und Ärzten alternsgerechte Arbeitsplätze: Das kann durch einen elastischen Holzboden sein, der die Kniegelenke weiter entlastet, und durch ergonomischere Anlagengestaltung. Oder durch Fitnessbereiche und Arbeitszeitmodelle, die auf ältere Mitarbeiter abgestimmt sind. Und was Ludwig Lang heute ändert, davon pro tieren morgen die nachfolgenden Generationen. So wappnen wir uns für die Herausfor-derungen des demogra schen Wandels.

Die BMW Group ist zum achten Mal in Folge nachhaltigster Automobilhersteller der Welt. Erfahren Sie mehr über den Branchenführer im Dow Jones Sustainability Index auf

www.bmwgroup.com/whatsnext

ALTERNSGERECHTE ARBEITSBEDINGUNGEN. FÜR UNS DER NÄCHSTE SCHRITT.

EIN REFORMER, DER AN TRADITIONELLEN WERTEN FESTHÄLT.

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Mit dem arteFakt Stifterfonds erhalten wir in Apulien und auf Kreta Olivenhai-ne, die in ihrer ursprünglichen Anlage der Mischbepflanzung frühe Vorbilder einer nachhaltigen Wirtschaftsweise dar-stellen. In der Konzeption aktiver Land-schaftsmuseen erhalten wir sie inmitten der heutigen Plantagenwirtschaft als sichtbare Ermutigung für Auswege und Alternativen. Im Bild eine Reisegruppe vor dem restau-rierten Trullo des Oliven-Landschafts mu-seums in Palombaio / Apulien.

www.artefakt-stifterfonds.de

Autochthone Olivensorte Koroneiki in Messenien

www.artefakt.eu

Olivenöl aus der Fettecke holen,

dafür werben wir seit 15 Jahren. Junge Olivenanbauer aus Spanien, Italien und Griechenland machen sich auf, orientie-ren sich an der Kunst der Winzer und ent-wickeln sich zu Oliviers. Ein spannendes Unterfangen – schauen Sie mal rein.

Kriener & Franken Chefredakteure

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zeo2 01|20134

inhaltzeo2 Ausgabe 1 | Winter 2012/2013

20 Titelthema

grünstrom: reVolution Von unten Ungerührt vom ständigen Agitprop bei Spiegel, Bild und Co. treiben Millionen Deutsche Tag für Tag die Energiewende voran. Sie haben verstanden, welche riesigen Chancen sie damit sich und ihren Dörfern, Städten, Landkreisen erschließen. Ein Bericht von den ungeheuren Veränderungen im Land.

25 Warum Strom wirklich teurer wird

27 Wie die CSU das Einspeisegesetz erfunden hat

32 Gewendeter Windwüterich: Deutschlands bekanntester Windgegner ist jetzt selber Windmüller

Nachrichten

06 Weltblick: Kurznachrich-ten rund um den Globus

07 Tempo 30: Briten nehmen Fuß vom Gas

07 Horst Stern: Umweltpionier feierte 90. Geburtstag

08 Zahlenspiel: Gemein-sames Konsumieren brummt

08 Heißer Reifen: Heizung für Hollands Radwege?

09 Exoten: Einwander-Fische dominieren manche Flüsse

10 EU-Fischerei: Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit

10 Essbare Stadt: anders gärtnern in Andernach

11 Klimakiller Banken: Investitionen in Kohle

12 Atommüll: Die ewige Endlagersuche

Standpunkt14 Staatsfeind Nr. 1: US-Autor Bill McKibben über die zerstörerische Macht der Rohstoff-Konzerne

16 Zwei Grad sind möglich: Stefan Rahmsdorf will das Klimaziel nicht aufgeben

17 »Ausstieg«, ein böses Wort: Taichiro Kajimura über den täglichen Alb-traum in Fukushima

19 Leserstandpunkt: Wird die Energiewende von der Kosten-Kampagne überrollt?

Medien34 Internet: Pilze fürs Handy, Klimaretter

35 Buch: Die Post-Kollaps-Gesellschaft

Portrait38 Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: Der bekennen-de Anti-Öko hat eine grüne Vergangenheit.

Revolution auf deutschen Dächern: Die Energiewende läuft im Überschalltempo – trotz allen Bremsversuchen

Nach der US-Wahl: Was bringt Obamas zweite Amtszeit für Umwelt und Klima?

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5zeo2 01|2013

autoren dieser ausgabe

Arne JungjohannJahrgang 1975, lebt seit fünf Jahren in Washing-ton Dc und leitet dort das umweltprogramm der heinrich-Böll-stif-tung. Wie zu obama i wird er auch für die kommende legislatur des us-chefs wieder

das Beste hoffen. auch wenn er weiß: ein us-Präsident kann nie ein

grüner sein.

Krisengewässer Totes Meer: Der ausgetrocknete Jordan bringt zuwenig Nass in den See. Jetzt soll ein Öko-Masterplan soll helfen. In Jericho trafen sich Israelis und Palästinenser zum großen Ratschlag.

Konsum36 Vorzeigbar: Korrekte Weihnachten

40 Neuland: Die etwas anderen Bio-Erzeuger werden 25 Jahre alt

44 Billiger Ökostrom? Aalglatt abgewimmelt beim Preisbrecher HitStrom

International46 US-Wahl: Warum ein amerikanischer Präsident kein Grüner sein kann

48 Jordan und Totes Meer: Zerstört der neue Terror im Nahen Osten das zarte Pflänzchen eines ökologi-schen Aufbruchs?

54 Indien: Was hat die Konferenz zum weltweiten Artenschutz gebracht?

Natur56 Ein Ex-Wilderer erzählt: vom Affenjäger zum Affenpfleger

Kolumne 66 Peter Unfried und das Dosenpfand

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48

Erica Fischer,Jahrgang 1969, auto-

rin des Welterfolgs aimée & Jaguar, hat

sich so über ihren stromanbieter geärgert, dass sie der sache mal journalistisch auf den grund gegangen ist. Für uns auf seite 44.

Ranveig Eckhoff Die in Berlin lebende

norwegerin, Jahrgang 1950, hat nach ihrer

karriere als opernsän-gerin ihren zweitberuf

Journalistin mit der liebe zu Wildnis und natur verbunden. Für zeo2 war sie im ausge-trockeneten Jordantal.

Verkehr60 Mobilitätstest: Ist das katzenbucklige Laufrad »Fliz« reif für den Verkehrsalltag?

Nahreise62 Hamburg: Ab in die heiße Sauna

64 Empfehlungen: Tipps für den Winter

65 Weintipp: Ein roter Ösi und ein Geschenk für die Natur

Tipps zum Schenken:

Das grüne christ-kind kommt

Seite 36 – 37

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6 zeo2 01|2013

nachrichtenUmwelt, Politik und Neue Wirtschaft

2 3

4

5 Windkraft fürs Kap Siemens ist zwar nicht in der La-ge Intercity-Züge fristgerecht für die Deutsche Bahn AG zu bauen, liefert dafür aber Windräder mit einer Leistung von 138 Megawatt nach Südafrika, in die Nähe von Port Eliza-beth. Bis 2030 will die dortige Regierung schon 20.000 Me-gawatt Erneuerbare Energien aufbauen. Immerhin zwei Drittel der Windleistung, die heute in Deutschland installiert ist.

Toilette als Düngerfabrik Zu schade zum Run-terspülen: Schweizer Forscher haben eine Spezialtoilette ent-wickelt, mit der sie Stickstoff und Phos-phor aus menschli-chem Urin gewinnen und zu Düngemit-teln verarbeiten. Kai Udert vom Eawag Institut meint: »Wir sollten Urin nicht länger als Abfall betrachten, sondern als Rohstoff.« Seine neue Toilette soll in Südafrika getestet werden. Dort sind bereit so genannte Nomix-Toiletten in je-nen Gebieten im Ein-satz, die keine Kana-lisation haben. Feste und flüssige Stoffe werden getrennt, aus der Flüssigkeit wird Dünger gewonnen.

Titan und Platin locken Seit die Nasa Welt-raumflüge an Privat-firmen ausgelagert hat, boomen die Geschäfte. Die Firma SpaceX hat inzwi-schen einen Vertrag über zwölf Flüge zur Internationalen Raumstation und kassiert dafür 1,6 Milliarden US-Dollar.

Die privaten Weltraum-flieger wollen

bemannte Flüge für Touristen anbieten. Neu sind die Pläne,

Weltraumschrott zu bergen und auf

dem Mond Boden-schätze abzubauen. Dort soll es 20-mal mehr Titan und Pla-tin geben als auf der Erde.

6 Südafrika

7 Der Mond3 Schweiz

Erfolgreiche Proteste nach Protesten gegen kraftwerke und industrieanlagen will die chi-nesische regierung in zukunft »so-ziale Folgen« prüfen. »kein großes Projekt ohne eine untersuchung der Folgen für die gesellschaft«, sagte umweltminister zhou shengxian laut New York Times. zhou will die umweltverträglichkeitsberich-te kommender Projekte im internet veröffentlichen. »Die umweltbe-hörden sind unter Druck«, meinte ein chinesischer experte. Details der Prüfungen sind bisher nicht bekannt.

Neue Pipeline für Asien

Der energieriese gazprom orientiert sich richtung asien. mit investitio-nen von 30 milliarden euro in das tschajanda-gasfeld in ostsibirien und einer über 3.000 kilometer lan-gen Pipeline soll das geschäft ange-kurbelt werden. Von 2017 an könn-ten bis zu 25 milliarden kubikmeter gas im Jahr durch die rohre zischen – bis Wladiwostok. gazprom hatte immer ge-droht, seinen rohstoff am asiatischen markt zu verkaufen. Doch mit china konnte man sich bisher nicht auf auskömmli-che gasprei-se einigen.

Die Flosse bleibt dran Die eu hat ihren Fischern nun ausnahmslos verboten, die Flossen von haien noch an Bord der Fang-schiffe abzuschneiden. Die haie müssen nun tot – aber unversehrt – angelandet werden. eu-kommis-sarin maria Damanaki will damit verhindern, dass haie lebend auf see verstümmelt und die körper, für die es kaum abnehmer gibt, ins meer zurückgeworfen werden. eine verbreitete, eklige Praxis.

Ein bisschen Rettung mehr als 300 mil-lionen Dollar haben Privatleute, stiftungen und einzelne länder – darunter Deutschland – zu-sammengebracht, um Ölbohrungen im ecuadorianischen amazonasre-genwald zu stoppen. unter dem Ya-sumi nationalpark liegen 846 mil-lionen Barrel Öl – die Weltproduk-tion von zehn tagen. ecuador will das gebiet in ruhe lassen, wenn das land bis 2020 dafür mit 3,6 milli-arden Dollar entschädigt wird. Die meisten regierungen lehnen das ab.

4 China

5 Ostsibirien

2 Brüssel

1 Ecuador

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7zeo2 01|2013

Horst Stern 90 Jahre alt

Der Brillante selBstzerFleischergrantliges gesicht, hängende unterlippe, dazu eine reibeisenstimme mit beißenden kommen-taren. Der Journalist, tierfilmer und schriftsteller horst stern hat in den 1970er Jahren Fernseh- und umweltgeschichte geschrieben. seine stern-stunden mit »Bemerkungen« über hunde, Pferde, spinnen oder rothirsche gehörten zum Besten, was bis heute über tiere im Fernsehen gesendet wurde. Der gelernte Bankkaufmann vermit-telte einen neuen, gänzlich unsentimen-talen Blick auf natur und umwelt. er war der erste echte umwelt-Journa-list der republik. stern war außer-dem mitbegründer des BunD, und er schob 1980 auch die erste ökolo-gische Publikumszeitschrift in die startlöcher: »natur«. innerhalb von vier Jahren schoss die auflage auf fast 200.000 exemplare. stern wurde mit Preisen überschüt-

tet, seine leser und zuschauer lagen ihm zu Fü-ßen, aber ende der 80er Jahre wollte er nicht mehr. resigniert zog er sich in die anonymität zurück und wies beharrlich alle interview-anfra-gen und comeback-Versuchungen zurück. »Was

willst du mit einem Filmchen noch bewir-ken, wenn nicht ein-mal tschernobyl et-was bewirkt?« meinte er bitter und: »Was kann ich über um-weltgefahren noch er-zählen, was die leute

nicht längst wissen.« Die Süddeutsche Zeitung nannte ihn einen »selbstzerflei-

scher«, hochmoralisch und »unerbitt-lich ehrlich«. ende oktober fei-

erte der brillante Journalist in seiner Passauer abgeschie-denheit den 90. geburtstag.

Tempo 30 in Großbritannien

Weniger autos – mehr FussgängerDer streit um tempo 30 als re-gelgeschwindigkeit in europäi-schen städten erhält aus groß-britannien neue munition. Dort sind die erfahrungen der kom-munen mit der 20-meilen-re-gelung – das entspricht 32 km/h – nicht in allen, aber in vielen Punkten positiv. Portsmouth, Bristol, newcastle und auch stadteile von london haben ih-ren Verkehr abgebremst und da-bei einen besseren Verkehrsfluss

erzielt. Die zwischenbilanz des britischen Verkehrsministeriums sieht geringere abstände zwi-schen den autos und dadurch eine höhere auslastung der stra-ßen. Weit interessanter ist aber die deutliche zunahme des Fuß-gänger- und radverkehrs in den Versuchsgebieten. offenbar füh-len sich die menschen dann si-cherer und der autoverkehr wird mit niedrigeren geschwin-digkeiten zudem unattraktiver.

in den temporeduzierten Bezir-ken von Bristol seien 20 Prozent mehr strecken mit dem Fahrrad zurückgelegt worden und 23 Prozent mehr zu Fuß.

Der Verkehrslärm habe sich allerdings kaum reduziert. als »gering« wird der effekt auf die luftqualität eingestuft. sollten aber dauerhaft mehr radfahrer und Fußgänger unterwegs sein, müssten sich auch lärm und luftqualität verbessern.

»Was willst du nach Tschernobyl

mit einem Film-chen noch

bewirken?«

unsere Welt in zahlen

Autos immer noch übergewichtig

Die Weltauto-Flotte legt weiter an gewicht

zu – und wird auch noch dafür belohnt, denn: Je schwerer

die kisten sind, desto mehr kohlendioxid

dürfen sie rausblasen. Die Dickschiffe von Volvo können im

schnitt 157 gramm, die leichten Fiat- modelle nur 125

gramm ausstoßen.

Bauernsterben ohne Ende

Deutsche Bauernhöfe werden immer größer und immer weniger.

ein einzelner hof ernährt:

Volvo

1663kg

BmW ...........1548 kgDaimler ........1533 kgVW-gruppe ..1416 kgrenault ........1295 kg

2012

134Menschen

1950

10Menschen

Fiat

1140kg

zahl der Betriebe:

1980 1,4 Mio.

2010 650.000

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8 zeo2 01|2013

Zahlenspiel

teilen Brummt»Eine gemeinschaftliche Konsumkultur hat das Potenzial, den Ressourcen-verbrauch jedes Einzelnen zu senken und gleichzeitig die Lebensqualität zu halten oder sogar zu erhöhen«, heißt es in einer aktuellen Studie der Böll-Stiftung. Tatsächlich legen private Tauschbörsen wie kleiderkreisel.de rasant zu. Aber: Die Konsumausgaben der Deutschen wachsen kontinuierlich, besonders Wohnen und Ernährung verbrauchen viel Energie und Material. Hier gerät Tauschen und Teilen an Grenzen.

Kleidertauschen wächst

Weniger Fahrzeuge Leben heißt verbrauchen

Ressourcen-Bedarf eines...

Mehr als vier von fünf CarSharing-Teilnehmern brauchen kein eigenes Auto mehr.

Zahl der Besucher pro Tag (!) bei kleiderkreisel.de

Wohnen und Essen haut rein: täglicher Ressourcen- bedarf deutscher Haushalte in Millionen Tonnen

Alle Angaben in kg Ressourcenverbrauch je kg Produkt.2009 2010 2011 2012

2000

4000

6000

8000

10000

12000

14000

16000

18000

700.000T-Shirts

getauscht...

Bisher wurdenDoppel-Whoppers

28,8Veggie Burgers

6,5

Hühner-Eintopf

7,5Lamm-Eintopf

59,2

Wohnen 40%29%

11%10%

3,9%2,9%

2,0%1,3%

Essen & Trinken

Verkehr

Möbel etc.

Auswärts Essen & Schlafen

Dienstleistungen

Freizeit & Kultur

Gesundheit

24,4Prozent haben

das eigene Auto ersetzt.

19,0Prozent behalten

Privatwagen parallel zum CarSharing

43,4Prozent hatten vor der Teilnahme mindestens

ein Auto

0 200 400 600 800 1000

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len:

Böl

l/Na

bu; L

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nmei

er e

t. al

, Unt

erne

hmen

sang

aben

, BCS...

dadurch

1,1Millionen Tonnen Wasser gespart.

Beheizte Radwege in den Niederlanden

Heißer ReifenIn den Niederlanden könnte bald ein Pilotpro-jekt zur Beheizung von Radwegen beginnen. Was zunächst wie ein Witz klingt, hat einen durchaus ernsthaften Hintergrund. Wegen Schnee und Eis müssen auch die Holländer im Winter häufig auf ihr ge-liebtes Rad verzichten. Und wer trotzdem fährt, liegt schnell auf der Nase. Jetzt hat das Inge-nieur- und Architekturbü-ro Tauw eine Beheizung vorgeschlagen. Architekt Martin Bloemendal: »Wir reißen den Boden auf und legen Rohre hinein.« Wie eine Fußboden-Hei-zung soll das aus Erd-wärme gewonnene war-me Wasser die Radwege auf Temperatur bringen. Die Kosten werden auf mindestens 30.000 Euro je Kilometer geschätzt. Vorreiter ist die 40.000 Einwohner-Stadt Zut-phen, wo ein Gutachten die Machbarkeit und Kosten untersuchen soll. Im Sommer könnten die Radwege auf ähnliche Weise gekühlt werden, um den Belag zu scho-nen. Die Niederlande be-sitzen ein Radwege-Netz von 35.000 Kilometern.

Offshore-Pleite

Stahlbauer müssen hoffen Die Pannen beim Ausbau der Windkraft auf See fordern erste Opfer. Im November musste der Fundamente-Bauer »Siag Nord-seewerke« in Emden Insolvenz anmelden. Bei dem Unternehmen sind 700 Arbeiter beschäftigt, überwiegend Stahlbauer. Bis Ende Januar können die Fundamente für den Windpark »Global Tech«, gut 150 Kilometer von der Nordseeküste entfernt, weiterge-baut werden. Das wurde mit dem Abnehmer vereinbart. Was dann kommt, steht in den Sternen.

Desertec

Wüstenstrom sucht neue Vision mit siemens und Bosch sind bei Desertec nicht nur zwei zentrale technikpartner ausgestiegen, auch die spanische regierung hat sich zurückgezo-gen. Dabei müssten über die ibe-rische halbinsel die stromka-bel laufen, die nach der stets hoch gehaltenen Vision vom Wüstenstrom eines tages 15 Prozent des deutschen stroms liefern sollten. Desertec ver-

sucht jetzt, sich neu zu erfinden: interna-tionalisierung heißt der slogan. chinesi-

sche und us-Firmen sollen sich für anteile an den De-

sertec-Projekten interessie-ren. einziges konkretes Pro-jekt bleibt derweil ein solarthermisches kraftwerk

mit einer leistung von 150 me-gawatt in marokko – etwa so viel

wie zwei große Windparks. © Th

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9zeo2 01|2013

Ländle tritt Bündnis bei

Signal gegen die Gentechnik

Das europaweite Netzwerk gentechnikfreier Regionen hat ein neues gewichtiges Mitglied. Nach Schleswig-Holstein, Saarland, Thüringen und Nordrhein-Westfalen ist jetzt auch das grün-rot regierte Baden-Württemberg beigetre-ten. Der grüne Agrarminister Alexander Bonde sieht den Beitritt als Signal gegen die Agro-Gentechnik. Bonde hatte außerdem einen bundesweiten Importstopp für den gentech-nisch veränderten Monsanto-Mais NK603 verlangt, nachdem eine Studie über gesundheit-liche Risiken für Aufsehen sorgte. Insgesamt sind nun 57 europäische Regionen und lokale Behörden im Bündnis. Alle verzichten offiziell auf den Anbau von Gentechnik auf ge-bietseigenen Flächen.

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PS_Anz_210x148 Gerechtig_PS_Anz_210x148 Gerechtig 22.11.12 15:28 Seite 1

Tierische Immigranten

exoten mit erFolg eingeschleppte arten dominieren inzwischen das Ökosystem einzelner deutscher Flüsse und kanäle. »im unteren rhein bringen arten, die es hier vor 20 Jahren nicht gab, bis zu 95 Pro-zent der Biomasse auf die Waage«, erklärt stefan stoll vom senckenberg For-schungsinstitut in gelnhausen. gleichzeitig stellten die aus china importierte Wollhandkrabbe, grundeln aus der schwarz-meer-region oder exotische schalentiere wie die körbchen- oder zebramuscheln und Borst enwürmer (hypania invalida) in solchen Flussabschnitten bereits die hälfte der vorkommenden Fau-na. »Das führt nur sehr selten dazu, dass heimische arten aussterben«, sagt stoll, aber die traditionellen arten würden selten und in wenige nischen verdrängt.

seit wenigstens 100 Jahren werden die tiere mit dem Ballastwasser großer schiffe entlang de-ren hauptrouten in die häfen eingeschleppt. in einer studie für die senckenberg gesellschaft ha-ben stoll und kollegen jetzt festgestellt, dass die

neulinge besonders in ökologisch degradierten gewässern erfolgreich sind. etwa in Flüssen, de-ren ufer mit steinschüttungen eingefasst werden oder in Flussabschnitten, die durch die indus-

trie stark mit salz belastet sind – wie Fulda und Werra. Die fremden eindringlin-

ge können lebensräume zwischen steinschüttungen besser erobern als hiesige arten. oder sie kön-nen mit dem hohen salzgehalt besser umgehen – schließlich haben sie auch das Brackwasser in den schiffen überlebt, mit de-

nen sie eingewandert sind. zwar macht nur jede tausends-

te art Probleme wie durchlöcherte Deiche (Wollhandkrabbe) oder verstopfte

Wassereinläufe von klärwerken (zebramuschel). stoll: »aber die wenigen erfolgreichen immigran-ten verändern das alte Ökosystem manchmal ra-dikal.« Wenn die neuen arten einmal da sind, hel-fen nur noch weniger belastete, weniger verbaute Flüsse, in denen die alten arten wieder stärker werden können. ganz verschwinden werden die neulinge nie mehr.

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10 zeo2 01|2013

zitat

»Wir denken im-mer, es läuft alles ewig so weiter. Aber die Selbst-zerstörungskräfte des Menschen sind beachtlich. Wir befinden uns im Kriegszustand mit Mutter Erde. Es gibt keinen Winkel auf dieser Erde, den wir nicht mit Krieg überziehen. Die Ursache ist der Wertezerfall in unserem Wirt-schaftssystem.«Heiner Geisler, zorniger CDU-Veteran in der Talkrunde »Menschen bei Maischberger« zum Thema »Casino global – wer regiert die Welt?«

»Kein Land lebt so gut vom Kapi-talismus wie die Deutschen und kein Land ver-achtet ihn mehr. Wenn Länder reich werden, dann werden sie außerordent-lich umweltbe-wusst.«Zeit-Herausgeber Josef Joffe als Entgegnung auf Geisler

Andernach machts anders

Die essBare staDtBetreten der Parkanlagen verbo-ten? Von wegen: Betreten er-wünscht und am Besten gleich noch mit messer und gabel. mit seinem Projekt »essbare stadt« macht andernach aus seinen Parkanlagen begehbare gärten und ergänzt die gewohnten grünflächen durch zucchini, mangold, kohl und andere ge-müsearten. Deren genetische Vielfalt ist der stadt ein anlie-gen. so wurden vor zwei Jahren 101 verschiedene tomatensorten angepflanzt, letztes Jahr waren

es 100 Bohnensorten und in die-sem Jahr 20 zwiebelgewächse. Dafür gibt’s die auszeichnung »lebenswerte stadt« im Wett-bewerb von 154 kommunen. und für die einwohner gibt’s auch was zu beißen: »Die Bür-gerinnen und Bürger sind keine zaungäste. Wir ermuntern sie dazu, die Beete zu betreten, das Wachstum von grünkohl und co. zu beobachten und am ende auch zu ernten und zu kosten. «, sagt der andernacher oberbür-germeister achim hütten.

»In die richtige Richtung«

nachhaltige eu-Fischerei in sicht Der jahrelange kampf der umweltverbände hat sich gelohnt. in dem jetzt vorgelegten Bericht der europäischen Fischerei-kommissarin ma-ria Damanaki zeigen sich die Fisch-Bestän-de in eu-gewässern in einem dramatisch besseren zustand als nach der Jahrtausend-wende. im vergangenen Jahr haben die eu-minister nur noch elf Prozent mehr Fisch-fang zugelassen, als Wissenschaftler für eine nachhaltige Bewirtschaftung empfohlen hatten. 2005 lag die überschreitung noch bei knapp 60 Prozent. Diese bei-den Werte – die empfohlene und die tatsächliche Fangmenge – zusammen zu bringen, war lange zeit die kern-forderung der europäischen umwelt-verbände. resultat: Der anteil der über-fischten Bestände ist von 94 Prozent 2005 auf 47 Prozent 2012 gesunken. auch die zahl der Be-stände, bei denen die Fischerei wegen »alarmie-render gutachten« eingestellt werden musste, ist von 24 (2003) auf acht (2012) geschrumpft.

»Das bewegt sich in die richtige richtung«, lobt ni-

na Wolff, die mit OCE-AN2012 eine allianz der europäischen meeres-schutz-organisationen koordiniert. Von einem erfolg der Fischereipolitik

könne man aber erst spre-chen, wenn gar keine Bestän-

de mehr überfischt seien und auch endlich hinreichend wissenschaftliche Da-ten zu allen Fischbeständen vorlägen. ursprünglich wollte die eu die überfi-schung bis 2015 beenden, jetzt soll dieses

Datum auf einen korridor zwischen 2015 und 2020 aufgeweicht werden. Das eu-Parla-

ment müsste dem zustimmen. Wolff: »Die union kann immer noch erreichen, dass die allermeisten Fangraten in der eu bis 2015 auf nachhaltigem niveau festgelegt werden und viele Bestände ge-sunde größen aufweisen.«

47Prozent im Jahr 2012

94Prozent überfischte Bestände im Jahr

2005

Vorzeigestadt Andernach: Städtisches Gärtnern in ganz neuer Manier.

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»unsere gemeinsame Verantwortung: mehr klimaschutz« heißt es knapp und schön bei der hypo Vereinsbank, doch jenseits ihrer Werbung finanziert die tochter der spanischen unicredit fleißig kohlefirmen. »Die besten kun-den sind der italienische energiever-sorger enel, der polnische energiever-sorger Pge sowie e.on und rWe. alles Firmen mit großen kohlekraft-werkparks«, heißt es in einer studie, die der umweltverband urgewald fi-nanziert hat. mit 5,2 milliarden euro liegt die hypo Vereinbank auf rang zwei der liste, die mit 11,5 milliarden von der Deutschen Bank angeführt wird (siehe grafik): »sie unterhält ge-schäftsbeziehungen zu den internatio-nal bedeutendsten kohlekonzernen und schreckt vor der Finanzierung der top-klimakillerunternehmen nicht zu-rück.«

am meisten sorgen bereiten urge-wald danach die investitionen der Deutschen Bank in den kohleabbau von coal india. in nordost-indien lö-sche der konzern ganze landstriche aus und wolle jetzt auch noch eine million hektar Wald abholzen. Der Börsengang, der die nötigen gelder

gesichert hat, wurde von der Deut-schen Bank begleitet.

»kaum eine Branche hat vergleich-bare auswirkungen auf umwelt- und menschenrechte wie die Finanzwirt-schaft«, stellt urgewald zu den dis-kreten investitionen der Banken fest. Die kleine gruppe organisiert seit 1992 kampagnen gegen investoren und Finanziers. Für die studie zu den kohle-geschäften der Banken hat das Forschungsinstitut Profundo für urgewald die geschäfte von 93 Ban-ken zwischen 2005 und 2011 unter-sucht. gezählt wurden dabei sämtli-che kredite und Finanzierungen, aber auch der Wert von Börsengängen, die von den Banken begleitet wurden.

Klimakiller Bank

Deutsches gelD Für inDische kohle

»Kaum eine Branche hat vergleichbare Auswir-kungen auf Umwelt- und Menschenrechte wie die Finanzwirtschaft.«Urgewald

Deutsche Bank

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Die Top-Ten unter den deutschen Geldhäusern: Kohle-Investitionen hiesiger Banken in Milliarden Euro

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Weltweit liegt die Deutsche Bank auf rang sechs, nummer eins ist JP morgan chase mit 16 milliarden euro, gefolgt von citi, Bank of america, morgan stanley und Barclays. kunden solcher Banken soll-ten die konsequenzen ziehen: Bei gls-, umwelt-, ethik- und triodos-Bank seien kohle-in-vestitionen praktisch ausge-schlossen.

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atommüll: Vom erstBesten zum Besten enDlager-stanDortLiebe Leserinnen und Leser,

2012 hat es wieder nicht geklappt. und wer würde darauf wetten, dass der Durch-bruch ausgerechnet im Wahlkampfjahr 2013 gelingt? Die Vorstellung, der Fuku-shima-schock werde ausreichen, nach der allparteieneinigung über den atomausstieg Vergleichbares auch bei der suche nach ei-nem endlagerstandort für hochradioakti-ven atommüll zu bewerkstelligen, war zu schön, um wahr zu sein. am ende siegte in diesem Fundamentalkonflikt zuverlässig die taktik über den einigungswillen. Da-bei dreht sich im kern immer noch alles um eine einzige Frage: Bleibt gorleben mit im spiel als endlager-standort oder nicht?

Begonnen hatte die bislang letzte run-de in dem Dauerstreit damit, dass ein grü-ner und ein schwarzer die tür für einen neustart aufstießen: Winfried kretsch-mann erklärte nach seiner Wahl zum re-gierungschef, einer »ergebnisoffenen« su-che nach einem endlager auch in Baden-Württemberg werde er sich nicht verschließen. horst seehofer in Bayern musste nachziehen. zu ernsthaften Bund-länder-Verhandlungen über eine neue standortsuche kam es aber erst nach der

zusage der roten und der grünen, gorle-ben als teil der weißen landkarte zu ak-zeptieren.

Dieser Beschluss war sachlich zwin-gend. Denn am tisch sitzen sich erklärte Befürworter und erklärte gegner eines atomendlagers gorleben gegenüber. Wa-rum hätten die anhänger eines endlagers im Wendland verhandeln sollen, wenn ihr lieblingsstandort schon vorab ausgeschlos-sen worden wäre?

Doch der Beschluss, gorleben vorläufig im topf zu lassen, war auch und gerade für die gegner politisch zwingend. Denn ihr wichtigstes argu-ment gegen gorleben lautet von jeher: es gab nie eine seriöse wissen-schaftliche, sondern nur eine politische standortentscheidung. Dieser skandal würde sich wiederholen – nur andersrum – wenn man gorleben aus politischen gründen von der suche ausklammere. Das zweite zentrale ar-gument war und

ist bis heute: gorleben fällt sowieso durch, sobald wissenschaftsbasiert nach dem wirk-lich besten standort gesucht wird und nicht nach dem erstbesten. Wer seine jahrzehn-telang vorgetragenen argumente zur nicht-eignung des salzstockes gorleben ernst-nimmt, wird sich auf die ergebnisoffene suche einlassen müssen.

und es irrt, wer darauf setzt, dass nach Wahlen in niedersachen und im Bund eine neue politische konstellation den Durch-marsch erlauben könnte. Vom Beginn einer vergleichenden standortsuche bis zur ein-

lagerung des ersten atommülls vergehen rund sieben legislaturperioden. oh-

ne umfassende einigung aller po-litischen lager wird deshalb jede lösung mit dem makel der um-kehrbarkeit belastet sein.

Der eigentliche knackpunkt liegt in politischer Formulierungs-

kunst. ein endlagersuchgesetz muss her, das ergebnisoffenheit tat-

sächlich garantiert. nur dann hat der standort gorleben keine chance. Denn er ist ja wirklich ungeeignet.

Jürgen Resch, Gerd Rosenkranz,

Deutsche Umwelthilfe

Ein

WORT des Herausgebers

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Weltbank warnt vorm Klimawandel

BocksPrünge im sYstemWenn es so weitergeht, wird die Welt im Jahr 2060 um vier grad wärmer sein. und für die zeit nach 2100 wären sogar sechs grad drin. Das ist das ergebnis einer studie, die hans Jo-achim schellnhuber, klimaberater der Bundes-kanzlerin, jetzt in new York dem Weltbankprä-sidenten Jim Yong kim vorgestellt hat. Der programmatische titel: »turn down the heat.« schellhubers Fazit: »Die planetarische maschi-nerie neigt zu Bocksprüngen. Wenn wir uns weit über die zwei-grad-linie hinauswagen, laufen wir gefahr, kipppunkte im erdsystem zu über-schreiten.« in dem von Pik und climate ana-lytics zusammen erstellten Bericht wird ein an-stieg des meeresspiegels um einen halben bis einen meter, nach 2100 sogar um mehrere me-ter für möglich gehalten. am stärksten steigt der meeresspiegel danach in den Philippinen, vor mexiko und indien. Die Wassermengen von Donau, mississippi und amazonas könnten um 40 bis 80 Prozent zurückgehen. nil und ganges würden dagegen um 40 Prozent zulegen.

Doha

Schluss mit Klimagipfeln?

Vor dem Katar-Klimagipfel in Doha, der mit Drucklegung die-ser Ausgabe begann, häuften sich die kritischen Kommentare zum »Gipfelzirkus«. Der Olden-burger Ökonomie-Professor Niko Paech forderte im Tagesspiegel, die nächsten fünf UN-Klimakon-ferenzen komplett abzusagen. Außer einem hohen Verbrauch von Kerosin und Latte Mac-chiato hätten die Gipfel nichts gebracht. »Es gibt in keinem In-dustrieland einen Klimaschutz, der den Namen verdient!« Klimablogger Michael Schwarz schlug vor, »den Klimavertrag von Rio an der Gasfackel einer Ölplattform zu verbrennen; der Emir von Katar könnte dazu die Trauerrede halten.«

Strandhaus an der philippinischen Küste: neben Mexiko und Indien sind die Philippinen Haupt-betroffene des Meeresspiegelanstiegs.

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13zeo2 01|2013das Umweltmagazin

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stanDPunktMeinung und Analyse

Zwei Grad sind noch möglich!Klimaforscher Stefan Rahmstorf will den Kampf nicht aufgeben

»Ausstieg« – ein hässliches WortDer Politologe Taichiro Kajimuraüber die Lage in Fukushima

W issenschaftler schätzen, dass wir bis mitte des Jahrhun-derts noch rund 565 milliarden tonnen kohlendioxid in die atmosphäre pumpen können, wenn wir einen

katastrophalen klimawandel abwenden wollen. gleichzeitig hat die Carbon Tracker Initiative, ein team von Finanzanalysten in london, berechnet, wie viel co2 in den nachgewiesenen reser-ven von Ölfirmen, gasfirmen und staaten wie Venezuela oder

kuwait stecken, die sich wie energiekonzerne benehmen. es geht um die fossilen Vorräte, die in absehbarer zeit verbrannt werden sollen. ergebnis: 2.795 milliarden tonnen. Fünf mal mehr, als das 2-grad-klimaziel zulässt.

Die Daten von carbon tracker mögen nicht perfekt sein. Die neu entdeckten unkonventionellen gas-reserven etwa sind noch nicht berücksichtigt. aber mit Blick auf die großen unternehmen

Staatsfeind Nr. 1Die Umweltbewegung muss die Öl-, Gas- und Kohlekonzerne endlich zum Erzfeind erklären – Denn im Kampf ums Klima kann es nur einen Sieger geben: die Firmen oder den Planeten.

Von Bill McKibben

Apokalypse in Öl: Die großen Energiekonzerne »sind rücksichtsloser als jede andere Macht der Erde.«

Die Öl-Konzerne oder der PlanetUS-Autor Bill McKibben stellt uns vor die Wahl

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sind die zahlen ziemlich exakt. allein die beiden top-unternehmen lukoil (russland) und exxon-mobil (usa) sitzen auf reserven, die 40 milliar-den tonnen co2 entsprechen. Die 2.795 milliar-den tonnen stehen auf dem tisch wie eine Dose Bier aus dem supermarkt: Die Dose ist geöffnet und wartet nur noch darauf, getrunken zu werden.

Öl, gas und kohle sind zwar noch im Boden. aber ökonomisch gesehen sind sie längst in akti-enkurse oder als gegenwert von unternehmens-anleihen eingepreist, und viele staaten haben die einnahmen fest in staatshaushalten verplant. und weil alleine ihre ressourcen den Wert der energie-konzerne ausmachen, kämpfen sie so hart gegen jede art von klimaschutz. Darum sollen auch die kanadischen teersande ausgebeutet werden; dar-um wird tausende meter unter dem meer nach Öl gebohrt, darum wird in den appalachen nach gas gefrackt.

Wenn man exxon oder lukoil verbieten wür-de, ihre reserven zu fördern, wären die Firmen am ende. so ein-fach ist das. Die 2.795 milliarden tonnen co2 entsprechen ei-nem Öl-, kohle- und gasvermögen von 27 Billionen Dollar. Wenn man davon 80 Prozent im Boden lässt, zerstört man unterneh-menswerte von gut 20 Billionen Dollar.

Wir haben die Wahl: Verbrennen wir den kohlenstoff und retten die Firmen? oder retten wir unseren einigermaßen gesun-den Planeten und schreiben die Firmen ab? andere alternativen gibt es nicht.

alle anderen Bemühungen, den klimawandel zu stoppen, haben weltweit zu nichts geführt. Die emissionen steigen rasant, insbesondere in den sich entwickelnden ländern. Die umwelt-bewegung hat viel aufwand betrieben, damit die menschen ih-ren lebensstil ändern. aber wir alle lieben billige Flüge in warme länder und geben das auch nicht auf, so lange alle anderen wei-ter billig fliegen. Die leute nehmen völlig zutreffend wahr, dass ihr persönliches Verhalten keinen entscheidenden unterschied macht.

effizienter wäre es, sich durch das politische system zu ar-beiten. umweltaktivisten haben auch das versucht – in den meis-ten teilen der Welt mit sehr bescheidenem erfolg. stattdessen macht jede regierung, die auf fossilen Vorkommen sitzt, das gleiche: Die kanadier etwa galten als außerordentlich gutwillige internationalisten und hatten sich dem kioto-Protokoll verpflich-tet – bis die teersande von alberta ökonomisch interessant wur-den. Da haben sie sich schnell von kioto abgemeldet.

Das muster zeigt sich über alle ideologien hinweg: auf der klimakonferenz von kopenhagen zitierte Venezuelas hugo cha-vez rosa luxemburg, Jean-Jacques rousseau und »Jesus den erlöser«, um klar zu machen, dass »klimawandel ohne Frage das verheerendste umweltproblem unserer zeit« sei. im folgen-den Frühjahr unterzeichnete er einen Vertrag, um die orinoko-teersande auszubeuten.

sämtliche Versuche den klimawandel anzuhalten, haben nur kleine, graduelle Veränderungen erreicht. aber: Für eine schnel-le Veränderung braucht man eine mächtige Bewegung. und eine mächtige Bewegung braucht: Feinde!

an Feinden hat es dem klimawandel bisher gefehlt. Darum müssen wir die fossilen energiekonzerne in einem neuen licht sehen.

aus ihnen sind längst schurken-unternehmen geworden, rücksichtsloser als jede andere macht der erde. sie sind der staatsfeind nr. 1 im überleben unserer zivilisation. »es gibt vie-le Firmen mit dreckigen methoden – die schlechte löhne zahlen

oder leute in sweatshops arbeiten lassen. Diese Firmen greifen wir selbstverständlich an«, sagt globalisierungskritikerin naomi klein. »Die fos-silen energiekonzerne haben die zerstörung des Planeten inzwischen zu ihrem geschäftsmodell er-klärt«, so klein weiter. Warum kommen sie dann so ungeschoren davon?

nach den Berechnungen von carbon tracker würden allein die reserven von exxon (der num-mer zwei nach lukoil) mehr als sieben Prozent der aufnahmefähigkeit der atmosphäre für co2 be-anspruchen. es folgen BP und die russische gaz-prom, chevron, conocoPhillips und shell. sever-stal, der russische kohleriese, führt die liste der kohlefirmen vor BhP Billiton und Peabody an. Die zahlen verschlagen einem die sprache: Diese industrie hat die macht, die Physik und chemie unseres Planeten zu verändern. und sie haben vor, es zu tun.

Bisher waren umweltaktivisten vorsichtig. man hoffte, die giganten zu veränderten energiekonzernen zu ma-chen. aber: BP hat seine solar-sparte 2011 geschlossen. shell 2009. und die fünf größten konzerne haben seit 2000 zusam-men eine Billion Dollar gewinn gemacht – man kann zu leicht zu viel geld mit Öl, gas und kohle verdienen, als dass man sei-ne zeit damit verplempern müsste, sonnenstrahlen zu jagen.

muss man sich vor dem Fall der riesen fürchten? »in einer ökonomischen Weiterentwicklung ist es normal, dass das Ver-mögen einzelner industrien wertlos wird«, sagt nick robins, der das climate change centre der Bank hsBc leitet. »Denken sie an Filmkameras oder schreibmaschinen. Die Frage, ob so etwas passiert, stellt sich gar nicht. es passiert garantiert.«

Für die umweltbewegung gibt es nur eine alternative: ent-weder überleben exxon, gazprom und severstal. oder unser Planet. n

»Die Energie-konzerne können die Physik des Planeten ändern. Und sie werden es tun. «Der US-Autor Bill McKibben hat mit seinem fulminanten Artikel »Global Warming‘s Terrifying New Math« im Rolling Stone Magazine weltweit Wellen geschlagen. Für uns hat er das Herz seiner Argumentation als »Stand-punkt« zusammengefasst.

Wenn das Wetter sich ändert und sich dadurch die frucht-baren Regionen verschieben, dann müssen wir uns daran an-passen. Das ist ein technisches Problem, für das es technische Lösungen gibt. Wenn gesagt wird, wir müssen den Klima-wandel stoppen, dann akzep-tiere ich das nicht.

Rex Tillerson, Chef von Exxon Mobil, vor Journalisten in New York

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D ie Weltgemeinschaft hat 2010 beim klimagipfel in cancún beschlossen, den anstieg der globalen temperatur auf ma-ximal 2 grad über dem temperaturniveau des 19. Jahr-

hunderts zu begrenzen. seither haben wir schon 0,8 grad erwär-mung erlebt – und schon diese hat die geschwindigkeit des meeresspiegelanstiegs verdreifacht und die zahl von rekordhit-zewellen weltweit verfünffacht. ich spreche von hitzewellen wie denen in Westeuropa 2003 und osteuropa 2010, die jeweils zehntausende todesopfer gefordert und zu großen ernteausfäl-len geführt haben.

schon vor dem klimagipfel in Doha ist auch in zeo2 die De-batte entbrannt, ob diese 2-grad-grenze noch einzuhalten ist; manche wollen sie lieber gleich als illusion aufgeben. Dabei wer-den die entscheidenden vier ebenen, auf denen man diese Frage beantwor-ten muss, bunt durchein-ander gewürfelt. hier ein Versuch, sie zu sortieren.

Die erste ebene ist die naturwissenschaftliche. Die klimawissenschaft sagt, dass wir bis 2050 nur noch weniger als 600 mil-liarden tonnen co2 aus fossilen Quellen ausstoßen dürfen, um mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit unter 2 grad zu bleiben. es gibt also noch einen spielraum, wenn auch einen kleinen, der von Jahr zu Jahr um rund 30 milliarden ton-nen enger wird. noch ist es nicht zu spät.

Die zweite ebene ist die technologische. sind wir technisch in der lage, rechtzeitig aus der fossilen energienutzung auszustei-gen und die menschheit trotzdem mit der nötigen energie zu versorgen? Yes, we can! Die sonne liefert dauernd 7.000 mal soviel energie, wie die ganze menschheit braucht – und technologien, um sonne in strom oder Wärme umzu-wandeln, haben wir (auch Wind- und Wasserkraft und Biomasse sind indirek-te nutzungen der sonnen-

energie). Viele studien haben gezeigt, dass wir mit schon bekann-ten technologien zur effizienteren nutzung von energie und zur erzeugung aus erneuerbaren Quellen unser energiesystem bis 2050 transformieren können. Die letzte studie in dieser reihe ist das kürzlich erschienene Global Energy Assessment (gea), 2.000 seiten stark und in jahrelanger arbeit von 500 unabhän-gigen experten erstellt. Vorsicht: den gewichtigen Band auf kei-nen Fall auf den Fuß fallen lassen!

Die dritte ebene ist die wirtschaftliche. Was kostet das? Das ist schon eher ein knackpunkt. aber das erstaunliche ergebnis von vielen rechnungen mit ökonomischen modellen verschie-dener Forschergruppen lautet: es geht hier nur um wenige Pro-zent des Welt-Bruttosozialprodukts.

Der Ökonom sir ni-cholas stern hat die Wir-kung auf die Bürger einmal mit einer erhöhung der mehrwertsteuer um weni-ge Prozentpunkte vergli-chen. übrigens: Die aufre-gung um 60 euro höhere stromkosten im Jahr in Deutschland dreht sich um weniger als 0,2 Prozent des durchschnittlichen haus-haltsnettoeinkommens. si-cher muss man debattie-ren, wie die energiewende am effektivsten und sozial gerecht gestaltet wird. aber wenn die zukunft unserer kinder uns einen solchen einsatz nicht wert ist, dann können wir die sache gleich vergessen.

Das global energy as-sessment kommt zu dem schluss, dass die weltwei-ten investitionen in die energieinfrastruktur um 50 bis 100 Prozent erhöht werden müssen, um die transformation zu schaf-fen. Der zusätzlich benö-tigte jährliche Betrag ist in der größe vergleichbar mit den derzeitigen sub-ventionen für fossile ener-gienutzung. unmöglich oder ökonomisch ruinös klingt das alles nicht. und: kein klimaschutz wird höchstwahrscheinlich viel

Kann die globale Erwärmung noch unter der kritischen Grenze gehalten werden? Die Antwort ist Ja – aber wir müssen es wirklich wollen.

Von Stefan Rahmstorf

Zwei Grad sind möglich!

Sandy überlebt: Shirts wie nach dem Sturm über New York könnte es künftig öfter geben; mit dem Klimawandel steigt die Zahl der Wetterextreme.

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a uch 21 monate nach Fukushima vergeht kein tag, an dem Japans Bürger nicht mit den Folgen der reaktorkatastro-phe konfrontiert sind. Das betrifft zuallererst die kritische

lage am standort der vier zerstörten kraftwerke, wo bei der küh-lung der geborstenen atomruinen täglich gewaltige mengen ra-dioaktiv verseuchtes Wasser anfallen. nicht nur das auffangen und entsorgen von hunderttausenden tonnen bleibt ein Dauer-problem. offenbar fließen immer noch große mengen in den Pa-zifik. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die radioaktive konta-mination der Fische, vor allem der am Boden lebenden Plattfische, nicht zurückgehen will. eine aktuelle, jetzt in Science veröffent-lichte studie des meeresforschers ken Buesseler belegt die hart-näckigkeit der Verseuchung. Durch den Verteilungs- und Verwäs-serungseffekt der meeresströmungen müsste die cäsium-Belastung eigentlich täglich um etwa zwei Prozent zurückgehen. Das ist aber nicht der Fall. so waren 40 Prozent der von Buesseler ausgewer-teten 8.500 Fischproben gravierend belastet. Der im august ge-messene spitzenwert lag mit 25.000 Becquerel um den Faktor 250 über dem grenzwert von 100 Becquerel. Für die Japaner, die weltweit den höchsten Fischverbrauch haben, ist die Verseuchung ihres wichtigsten eiweiß-lieferanten eine tragödie. selbst Fluss-fische sind radioaktiv belastet. Die Fangverbote vor der küste müssen vermutlich noch viele Jahre bestehen bleiben.

auch die Pilzsaison ist in dem pilzreichen land diesmal aus-

gefallen. Die radioaktive Belastung war so stark, dass die Behör-den die sammler zur enthaltsamkeit aufriefen. ebenso gibt es aus verschiedenen tee-Plantagen, aber vor allem beim Fleisch von Wildschweinen und anderen Wildtieren immer wieder alar-mierende Befunde. auch beim reis zeigen sich einige gravieren-de messergebnisse, obwohl die Böden der reisfelder und das darin stehende Wasser schon vor dem anpflanzen der stecklinge auf radioaktivität untersucht werden. große Verunsicherung haben aber vor allem die schilddrüsen-Befunde bei kindern und Jugendlichen ausgelöst. Wie gefährlich sind die auffällig vielen knoten und zysten, die entdeckt worden sind? mediziner und Wissenschaftler sind in dieser Frage heftig zerstritten, weitere untersuchungen dringend erforderlich.

inzwischen ist den Japanern klar geworden, dass jeder ein-zelne Bürger die Folgen dieser katastrophe bezahlen muss. Fu-kushima-Betreiber tepco ist auf dem Papier zwar noch eine Pri-vatfirma, aber de facto längst verstaatlicht. Die japanische re-gierung hat nach dem starken kursverfall große teile des aktienkapitals von tepco übernommen. Der Bau der notunter-künfte, die entschädigung der evakuierten und vor allem das Jahrzehnte dauernde katastrophenmanagement am unglücksort sind ohne staatliche gelder nicht zu finanzieren.

Die energiepolitische antwort der japanischen regierung kam im september: Bis spätestens 2039, so das vorgelegte ener-

Japan ist in der Atomfrage tief gespalten – Fische und Pilze strahlen um die Wette und die Freitagsdemon-strationen hören nicht auf. Nach Massenaustritten von fast 40 Abgeordneten schmilzt die Mehrheit der Regierung.

Von Taichiro Kajimura

»Ausstieg« – ein böses Wort

teurer und riskanter werden als klimaschutz. Bleibt zu guter letzt die politisch-gesellschaft-

liche ebene. Dort hat der ganze Pessimismus seinen wahren ursprung, denn die Politik hat bislang ver-sagt. trotz zahlloser konferenzen seit dem erdgip-fel in rio vor 20 Jahren sind die emissionen immer weiter gestiegen statt gesunken, von ausnahmen wie der eu abgesehen. eine Wende zum Besseren ist nicht in sicht.

Doch wer jetzt öffentlich die 2-grad-grenze schon als unhaltbar darstellt, der entschuldigt da-mit effektiv die Politik schon für ihr Versagen, noch bevor überhaupt ein ernsthafter Versuch gemacht wurde, die globale erwärmung zu stoppen. solan-ge wir weltweit jährlich und mit steigender ten-denz über 500 milliarden us-Dollar für staatliche subventionen der fossilen energienutzung ausge-ben (wie die internationale energieagentur iea berichtet), kann man kaum behaupten, dass wir wirklich versucht haben, von dieser energieform wegzukommen.

Wir verhalten uns wie ein süchtiger, der ständig davon redet, bald mit dem rauchen aufzuhören, der aber nie mehr als symbo-

lische schritte dazu tut. Der letzte klimagipfel in Durban endete mit dem Versprechen, ab übermor-gen (2015) dann vielleicht doch noch das rauchen aufzugeben. Wie willkommen sind dem süchtigen da die apologeten, die wissen: Das ist ohnehin nicht zu schaffen! Der us-chefunterhändler todd stern hat im august bereits einen rückzieher hinter die zusagen von cancún gemacht und dafür plädiert, doch lieber ein »flexibles« klimaabkommen zu schließen, das nicht die einhaltung der 2-grad-grenze garantiert – weil Politik ja »die kunst des möglichen« sei.

ich meine: Wer heute ein aufweichen des 2-grad-ziels propagiert, der sollte zunächst um die Welt reisen und den einwohnern von städten wie new York, Bangkok oder alexandria erklä-ren, wieso er ihre heimat kampflos den steigenden

meeresfluten ausliefern möchte. Vielleicht schaffen wir es am ende wirklich nicht. aber wer

möchte später seinen enkeln sagen müssen: Wir haben es gar nicht erst versucht, sondern lieber bequem auf dem sofa über die Vergeblichkeit lamentiert? n

» Wer die 2-Grad-Grenze als un-haltbar darstellt, entschuldigt das Versagen der Politik.«zeo2-Kolumnist Stefan Rahmstorf forscht am Potsdam-Institut für Klima-folgenforschung (PIK). Sein Spezialgebiet: Klimawandel und Meeresspiegel.

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giekonzept, wolle man aus der atomenergie aussteigen. Doch die regierung von Yoshihiko noda blieb nur eine Woche lang auf ausstiegskurs. unter dem Druck der atomlobby und teilen der Wirtschaft ist sie schnell zurückgerudert. auch aus den usa, deren große atomfirma Westinghouse vor Jahren von toshiba übernommen wurde, kamen warnende stimmen. ergo: in Japan darf zwar der massive ausbau der erneuerbaren energien offen-siv kommuniziert werden, doch die Vokabel »ausstieg« bleibt verbotenes terrain. gespalten wie das ganze land sind auch die medien. Von den drei großen zeitungen propagiert marktführer Yomiuri (auflage: neun millionen) zwar weiter die atomkraft, doch die nummern zwei und drei im land, Asahi und Mainichi, berichten inzwischen eher atomkritisch.

noch immer sind lediglich zwei von 54 reaktoren in Betrieb. und trotz des heißen sommers, der in Japan traditionell die Jah-reszeit mit dem höchsten stromverbrauch ist, gab es keine nen-nenswerten Versorgungsprobleme.

Die Proteste wütender Bürger gegen die atompolitik gehen unterdessen mit erstaunlicher Beharrlichkeit weiter. Die traditi-onellen Freitagsdemonstrationen haben 150 japanische städte erfasst. in manchen städten gehen nur einige hundert, in tokyo bis zu 10.000 an jedem Freitag um 18 uhr auf die straße. gleich-zeitig will eine gruppe von 127 rechtsanwälten jedes einzelne atomkraftwerk juristisch bekämpfen. auch ein gesetzentwurf zum atomausstieg liegt inzwischen dem Parlament vor, der nächs-tes Jahr beraten wird. und an den »wackligen«, besonders von erdbeben bedrohten standorten werden jetzt die geologischen gegebenheiten von Wissenschaftlern neu untersucht. Die ergeb-nisse dürften weitere munition für den ausstieg bringen. eben-so die neuen evakuierungspläne für sämtliche atomstandorte, wonach 4,7 millionen Japaner in unmittelbarer nähe der atom-

kraftwerke – innerhalb der 30-kilometer-zone – leben. Dieser gefahr wird sich das land zunehmend bewusst. so wird die Wiederinbetriebnahme weiterer atommeiler immer schwieriger. zumal die regierung noda ihre komfortable mehrheit verloren hat. nach der erhöhung der mehrwertsteuer – ein krasser Bruch aller Wahl-Versprechen – ist der frühere chef der Demokrati-

schen Partei, ichiro ozawa, mit einer gruppe von 37 abgeordneten aus der DP ausgetreten. seine neue Partei heißt »Das leben von Bürgern zuerst« und kämpft für den ausstieg inner-halb von zehn Jahren. sie hat einen größeren einfluss als die kleinen japa-nischen grünen.

Während die tage der regierung noda offenbar gezählt sind, scheint das land allmählich zu begreifen, welch gigantisches Potential es in sa-chen erneuerbare energien besitzt. Die sonneneinstrahlung ist in Japan um den Faktor 1,5-mal höher als im solarland Deutschland, dessen ener-giewende von den japanischen medi-en mit argusaugen verfolgt wird. mit seiner insellage und der riesigen küs-tenlinie hat Japan auch für die Wind-

kraft sehr gute Bedingungen. und das ganze land ist übersät von heißen Quellen – ein Paradies für geothermie. ein nach deutschem Vorbild konzipiertes erneuerbare-energien-gesetz soll jetzt den japanischen Boom für sonne, Wind und co. ein-läuten. Die zukunft macht zarte Fortschritte. n

»Die Regierung Noda blieb nur eine Woche lang auf Ausstiegs-kurs.«Der japanische Politologe und Journalist Taichiro Kajimura lebt in Berlin und verfolgt mit großer Em-pathie vor allem das Schick-sal der Strahlenflüchtlinge: »Seit Fukushima fühle auch ich mich ein Stück heimatloser.«

Baden gehen in der Präfektur Fukushima: Am Nakosostrand, 65 Kilometer südlich der geborstenen Atommeiler, haben Badegäste ihren Spaß. Die Wiedereröffnung des Strands soll die Normalität wieder herstellen.

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leserstanDPunktSchreiben Sie uns: [email protected] oder zeo2, Mariannenstr. 9 – 10, 10999 Berlin

Wir wollten von unseren Leserinnen und Lesern wissen: Wird die dezentrale, demokratisierte Energieversorgung von einer Kosten-

Kampagne der Ewiggestrigen überrollt?

Noch dezentraler, bitteDezentrale, regionale und kleinstteili-ge regenerative energiegewinnung von und für den menschen bedeutet eine neuausrichtung der machtstruktu-ren in der Politik. Wollen wir Bürger die stromversorgung wieder in eigen-regie zu uns zurück organisieren oder uns weiter von staatsmonopolistischen energiekonzernen diktieren lassen? 20 milliarden euro für die neuen nord-süd-trassen – davon ließe sich viel geothermie, solar, Biogas und Wind-kraft hier im südwesten einrichten. Jörg Krauss

Schnäppchenjäger?leider sehen BilD, spiegel und co. alle Deutschen als schnäppchenjäger, die den Beipackzettel ihrer stromrech-nung nicht lesen können oder wollen. Martin Dietze

Vergiftete Landstrichesind atomkatastrophen wie 2011 in Fukushima und alle Folgeschäden kostenlos? lassen sich tod, körper-liche Verstrahlung, vergiftete land-striche und nahrungsmittel mit geld aufwiegen? Die potentielle gefahr, die von atomkraft ausgeht, verfolgt uns, unsere kinder und kindeskin-der. Das allein ist grund genug, al-les zu unternehmen, die risiken durch strahlenschäden auszuschließen. Christl und Erich A. Saarbourg

»Gleich nach der Ölkrise 1975 wurde extrem Strom gespart. Da wagte kaum jemand, auch einen noch so kleinen Christbaum im Gar-ten zu beleuchten. Die Illu-minationen von heute hätten den Menschen von damals völlig aus der Fassung ge-bracht. Der Strom ist immer noch viel zu billig.«Alfred Mayer

Größte UmverteilungDie energiewende ist die größte um-verteilung von unten nach oben seit Bestehen der Bundesrepublik. Wer kann sich auf kosten der anderen solarpanels aufs Dach stellen? nur, wer schon ein haus oder zumindest eine scheune hat. Hubert Schöls

KleinwindkraftBei der Windkraft sollte mehr rück-sicht auf das empfinden der Bevöl-kerung genommen werden. kleine-re Windkrafträder stören weniger – auch wenn sie nicht ganz so effektiv sein sollten wie die großen türme. Blues

EEG ablösenDie energiewende wird gefährdet, weil unter ihrem Deckmantel kapitalanle-ger horrende renditen kassieren. Der lobbyismus hatte leichtes spiel, weil vor allem grüne Politiker jede kritik daran mit einem pawlowschen re-flex als Verteidigung der atomener-gie diskreditieren. Das erneuerbare-energien-gesetz hat seine Funktion als anschub für die Branche erfüllt. es wird höchste zeit, es abzulösen, um die energiewende fortzusetzen. alfonerth

Die vollständigen Beiträge und weitere Briefe: bewegung.taz.de/aktionen/umweltdialog-04

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Die grünstrom- reVolutionDas Land ist weiter als seine Politiker – Während Berlin darüber streitet, ob zehn Euro im Monat für die Energiewende zu teuer sind, hat sich Deutschland längst in die postfossile Ära aufgemacht. Erneuerbare Energien wachsen spektakulär und decken bald ein Drittel der Stromversorgung. Für das Weltklima, sagen Experten, ist die Energiewende in Deutschland wichtiger als die Klimaverhandlungen in Doha.

Von Manfred Kriener und Marcus Franken

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D as Dörfchen neustadt im Vogtland im sächsisch-bayrischen grenzland ist nicht nur ein bisschen abgelegen.

es ist so abgelegen, dass der schiefe Fuß-ballplatz die spannendste geschichte in der lokalpresse ist: 5,75 meter höhenunter-schied zwischen den toren! in neustadt gibt es eine Feuerwehr, einen kindergar-ten, ein paar selbständige. einen Bauern-hof. und dennoch ist neustadt spitze. in der solarbundesliga.

neustadt ist überall – nicht nur, weil es noch weitere 33 neustadts in Deutsch-land gibt. Vom Bürgerwindpark in reu-ßenköge hintern nordseedeich bis zu den »energie-spinnern« von Wildpoldsried im allgäu machen landauf-landab hunderte gemeinden energiewende: Prenzlau, Dar-desheim, kempten, leutkirch, städte wie Freiburg oder klassiker wie das Bioener-giedorf Jühnde. Die liste ist endlos. Der viel bespöttelte ländliche raum ist mit sei-nen investitionen in Windkraft, solar- und Bioenergie längst der eigentliche schau-platz der energiewende. 16 milliarden eu-ro haben in den vergangenen drei Jahren allein die landwirte in die anlagen für erneuerbare energien gesteckt, vor allem in Biogas und solar. 180 milliarden sind insgesamt in den sektor geflossen. Wäh-rend die Bauern über niedrige milch- und Fleischpreise jammern, während landes-weit Dörfer veröden, die schulden der kommunen sich auftürmen und der un-tergang der landwirtschaft fortschreitet, bringen sonne, Wind und Biomasse neue Perspektiven – und frisches geld. Die er-neuerbaren sind zur Wellnesskur der Pro-vinz geworden.

Die 1.077 einwohner von neustadt haben eine engagierte Bürgemeisterin: gi-sela schöley hat erkannt, dass die energie-wende für ihre gemeinde eine riesige chance ist. Das Feuerwehrdepot von neu-stadt trägt solarzellen. supermoderne Vor-reiterzellen mit der noch wenig eingesetz-ten luft-solar-technik, bei der warme abluft aus der zellenkühlung im Winter das Feuerwehrhäuschen wärmt. Das haus produziert doppelt so viel strom wie es

verbraucht. nicht weit entfernt summt auf dem Dach des Bauhofs die dorfeigene so-laranlage. und die Bürgermeisterin ist stolz, dass auch im gewerbegebiet eine solaranlage aus dem Boden gestampft wurde. Die anlagen sind die Ölquellen des gemeindehaushalts. sie bringen knapp 17.000 euro im Jahr. »gerade die kom-munen profitieren von der energiewende«, sagt Bernd hirschl, Wissenschaftler am institut für ökologische Wirtschaftsfor-

schung (iÖW) in Berlin. 70 Prozent der Wertschöpfung bleiben über löhne, un-ternehmensgewinne und steuern hängen – neben den gemeinden seien viele kleine Firmen und handwerker die großen ge-winner.

Die neustädter, Wildpoldsrieder oder Jühnder solarblüte ist nur ein kleiner aus-schnitt einer großen umwälzung – mit glo-balen Folgen. Der Boom bei sonne, Wind und co. hat ständig neue rekordmarken

»Energiespinner« nennt die Süddeutsche Zeitung die Leute in Wildpoldsried im Allgäu. Hier wird mehr Strom gemacht als verbraucht – und das Dorf verdient gut daran.

1042 Millionen Tonnen im Jahr 1990 819

Millionen Tonnen im Jahr 2010

CO2 Emissionen Deutschland: -20 %

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Der Wechsel zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien be-deutet den umfassendsten

wirtschaftlichen Strukturwandel seit Beginn des Industriezeitalters. Ein Strukturwandel ohne Verlierer und Gewinner ist undenkbar.«

Eurosolar

Alle warten auf das Licht fürchtet euch, fürchtet euch nicht

Die Sonne scheint mir aus den AugenSie wird heut’ Nacht nicht untergeh’n

und die Welt zählt laut bis zehn.

Rammstein

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gesetzt und eine nicht für möglich gehal-tene Dynamik entfaltet. in der Bundesre-publik sind inzwischen mehr solaranlagen installiert als in allen europäischen län-dern zusammen. erstmals in der energie-geschichte haben in einem land solar- und Windkraft an vielen tagen im Jahr mehr strom erzeugt als atommeiler, steinkohle- oder Braunkohlekraftwerke. zuletzt am 5. oktober 2012, als Wind- und solaran-lagen stundenlang 25 gigawatt strom ins netz drückten und so 40 Prozent des lan-desweiten Verbrauchs deckten. ein allzeit-weltrekord in der erzeugung umwelt-freundlichen stroms, bei der das angeblich so überlastete stromnetz schon wieder nicht zusammengebrochen ist. schon im nächsten Frühjahr wird der rekord wie-der geknackt.

Der erfolg der erneuerbaren ist epo-chal, die Branche hat »ein zweites Wirt-schaftswunder« (sPD-chef gabriel) initi-iert. in wenigen Jahren sind völlig neue industrien entstanden. 381.600 arbeits-plätze zählte das umweltministerium für Deutschland 2011, trotz der insolvenzen vieler solarfirmen. Dazu umsätze von 25 milliarden euro. und noch immer ist Deutschland bei vielen ee-technologien Weltmarktführer.

Von Beginn an strahlte der deutsche Boom auch weltweit aus. »Wo licht ist, kommen die motten«, pflegt Frank as-beck, chef des solarkonzerns solarworld, zu bemerken. und das licht ist gleißend. so hat der attraktive deutsche solarmarkt auch in china, usa, indien, taiwan und südkorea milliardenschwere investitionen ausgelöst. überall sind solarfirmen wie die berühmten Pilze aus dem Boden geschos-sen, und alle schielten zuerst auf den neuen deutschen massenmarkt. inzwischen wer-den auch andere europäische länder be-liefert und die wachgeküssten heimischen märkte. und in Deutschland ist »the ener-giewende« (New York Times) zum motor eines gesellschaftlichen transformations-prozesses geworden, der das land fit macht für die zeit, in der uran, Öl, kohle und gas knapp, teuer und unsicher werden.

»Der aufbau einer neuen energiever-sorgung wird dazu führen, dass Deutsch-land das mit abstand modernste und zu-kunftsgeeignetste energieversorgungssys-tem der Welt haben wird«, sagt der frühere Bundesumweltminister und chef des un-umweltprogramms, klaus töpfer (cDu) gegenüber zeo2.

Doch Jubelchöre und Dankgottesdienste über die weltweit einmalige Entwicklung sind selten zu beobachten. Während Delegationen aus aller herren länder das deutsche energie-wunder bestaunen, gibt es in medien und Politik seit mehr als einem Jahr nur noch ein thema: der strompreis-hammer. Wie ein tsunami rollt die kritik der politischen gegner über »den grünen umweltzirkus« hinweg. Der ewige streit um die energie-politik erlebt eine turbulente renaissance. angeführt von einer koalition aus FDP, alten atomkriegern, Bild-zeitung, dem

93 Prozent der Deutschen halten den verstärkten Ausbau der Erneuerbaren für wichtig oder außer-ordentlich wichtig.ermittelte TNS Infratest

Suntech, Sunpower oder Zentralsolar heißen drei der 14 Solarfirmen, die als Sponsoren der Bundesliga auftreten. Die Energiewende ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Regenerative Energien wie Sonne, Wasser

oder Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strom-bedarfs decken.«

Werbung der deutschen Energieerzeuger von 1993

Bioenergie deckte 2011 in den Sektoren Strom, Wär-me und Kraftstoffe rund 8,4 Prozent des Endener-gieverbrauchs in Deutsch-land. Der weitaus größte Anteil ging auf die bioge-nen festen Brenn-

stoffe zurück, vor allem Holzprodukte. 90 Prozent davon wurden im Wärme-bereich genutzt, die restli-chen 10 Prozent für Strom. Auf Biokraftstoffe, vor

allem Biodiesel und Ethanol, entfielen

16,9 Prozent der Bioenergie.

Größter Investor in Erneu-erbare Energien (ohne Was-serkraft) war vergangenes Jahr erneut China mit 52 Milliarden US-Dollar. Dicht dahinter rangieren die USA mit 51 Milliarden. Europa bleibt allerdings als Ge-samtregion mit 101 Milliar-den erneut Spitzenreiter.

Frühlingswind(…) sei still und rühr‘

dich nichtdass es uns finde,

Oh, unser Schicksal kommt mit diesem Winde

Rainer Maria Rilke

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Spiegel und den energie-monopolisten wird stimmung gemacht. Die »teure Öko-subventionitis« und eine »grüne Planwirt-schaft« würden die kleinen leute, arbeits-lose, rentner und hartz iV-empfänger in den ruin treiben, giftet Bild. schon wird hochgerechnet, dass eine einfache Familie im nächsten Jahr wegen des Öko-stroms bis zu 100 euro draufzahle. ergo: 600.000 haushalte könnten den strom nicht mehr bezahlen, Deutschland stehe mit einem Bein im Dunkeln. Die gleichung ist sim-pel: Durch den Ökofimmel der Politik wür-den immer mehr solar- und Windanlagen gebaut, die immer mehr Fördergelder ver-schlingen, dadurch steige die eeg-umlage und damit der strompreis. Der »irrsinn« muss aufhören, »da müssen wir ran«, sagt Wirtschaftsminister Philip rösler (FDP).

Weil die Wahrheit kompliziert ist, kommen die röslers mit ihrer attacke durch. Dass der seit Jahren steigende strompreis noch ganz andere ursachen hat (s. seite 25), steht weder auf der strom-rechnung, noch in den reden der kritiker. Doch an der strombörse, wo der strom gehandelt und eingekauft wird, lassen ge-rade die erneuerbaren die Preise purzeln! in diesem Jahr war das über viele monate eindrucksvoll zu beobachten. Während der spitzenlastzeit zur mittagsstunde, wenn am meisten energie verbraucht wird, drücken die 1,2 millionen solaren PV-an-lagen durch die dann besonders kräftig brennende sonne den meisten strom ins netz. Folge: Die mittagsspitze wird zur mittagsdelle. am spotmarkt fällt der Preis. stromhändler, großverbraucher und Ver-sorger – auch diejenigen, die jetzt am lau-testen gegen die erneuerbaren krakeelen – können sich dann billig eindecken, eige-ne teure kraftwerke abschalten – und Ökostrom mit sattem gewinn verkaufen.

Die stadtwerke krefeld haben jetzt laut darüber nachgedacht, den Vorteil beim einkauf »an die kunden weiterzugeben«. stadtwerke-Vorstand carsten liedtke ist für die nächsten Jahre optimistisch. Preis-senkungen durch erneuerbare? Bisher ist der günstige einkauf am spotmarkt beim Verbraucher noch nicht angekommen. im gegenteil: Je billiger der strom an der Bör-se durch die Power der erneuerbaren wur-de, desto stärker stieg die eeg-umlage.

ursache dieser absurdität ist das Be-rechnungssystem. Den Betreibern von Wind- und solaranlagen werden als Ver-gütung Festpreise bezahlt. Weil diese deut-

lich höher sind als der strompreis an der Börse, muss die Differenz per eeg-umla-ge ausgeglichen werden. Weil der Preis am spotmarkt übers Jahr gerechnet zuletzt von 5,1 cent auf 4,3 cent je kilowattstun-de gefallen ist, wird die Differenz immer größer – die umlage steigt. Würde man den marktwert des eingespeisten ee-stroms vernünftig berechnen und dabei auch andere handelsplätze mit längerfris-tigen kontrakten einbeziehen, wäre die Differenz geringer, die umlage moderater.

Talk im Treibhaus: Die steigenden Strompreise waren der Dauerbrenner im Fernsehen.

In einer Studie für das Berliner Umweltmini-sterium beziffert der Forschungsverbund Er-neuerbare Energien die Einsparungen der Energie-wende gegenüber einer Weiterführung des alten fossil-atomaren Kur-ses auf 570 Milliarden

Euro bis 2050. Auf der Habenseite stehen u.a. geringe Betriebskosten der Anlagen, vermiedene Umwelt- und Klimaschä-den, die hohe Wertschöp-fung vor Ort, vermiedene Energieimporte.

»Solare Zeiten« heißt das Buch von Bernward Janzing, in dem der Freiburger Autor über die Ge-schichte der Sonnenener-gie informiert. Es beginnt mit einer kurzen Meldung aus der FAZ: »Strom aus Sonnenlicht«. Die Nach-

richt stammt vom 27. April 1975, als auf mageren 13 Zeilen über die Erfindung von US-

Wissenschaftlern berichtet wird, denen es gelungen sein soll, »aufgefangenes Sonnenlicht in elektrischen Strom« zu verwandeln.Einsparungen

570 Milliarden

Es ist okay,alles auf dem Weg,es ist Sonnenzeit,

ungetrübt und leicht

Herbert Grönemeyer, Bochum

Kumulierte staatliche Förderungen 1970–2012 in Mrd. Euro (real), Anteil Stromerzeugung

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1970

Steinkohle

Mrd. Euro

Braunkohle

Atomenergie

Erdgas

Erneuerbare

1975 1980 1995 1990 1995 2000 2005 2010 2012

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100

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200

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5465

177187

* Daten für Erdgas erst ab 2007 vollständig verfügbar.

Fortsetzung auf Seite 26

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Warum Der strom Wirklich teurer WirD

F ür elektrizität zahlen die Deutschen monatlich 2,4 Pro-zent ihrer konsumausgaben. Deutlich teurer als die strom-rechnung von 72 euro im schnitt (pro haushalt) sind die

heizkosten (105 euro) und Benzinkosten (116 euro). Die Prei-se für heizöl, gas und Benzin sind in den letzten Jahren stär-ker gestiegen als die für strom. Die tariferhöhungen beim strom haben viele ursachen. auch die massive Verteuerung von kohle und erdgas treibt den Preis. nach Berechnungen des Öko-instituts schlagen allein die teurer gewordenen Brenn-stoffe aus fossilen energieträgern auf der stromrechnung mit mehrkosten von 2,3 cent je kilowattstunde (seit 2003) zu Bu-che. Doch während sich alle über die Öko-umlage aufregen, wird über den fossilen anteil der teuerung kein Wort verloren.

auch nicht über die mehrwertsteuer. kommendes Jahr kassiert der staat 1,4 milliarden euro mehrwertsteuer auf die eeg-umlage. Dagegen würde es laut Deutschem institut für Wirtschaftsforschung bescheidene 154 millionen euro im Jahr kosten, die strompreissteigerungen armutsgefährdeter haushalte über anpassungen bei Wohngeld, grundsicherung und BaFög-sätzen voll zu kompensieren. Doch daran ist nie-mand interessiert. Die energiearmut bei oma, studi und hartz-iV-Bezieher wird zur stimmungsmache instrumentali-siert. hilfe, die leicht verkraftbar wäre, wird nicht gewährt.

noch heftiger schlägt die immer großzügigere Befreiung von der eeg-umlage ins kontor. ausgerechnet die großen stromfresser der industrie werden jetzt noch belohnt. sie sind außerdem von Ökosteuern und netzentgelten befreit. Jetzt bekommen sie auch bei der eeg-umlage den Freifahrtschein. hähnchen-schlachter (Wiesenhof) und tiermehlproduzenten, süßwaren-hersteller und zementfabriken werden auf kosten von normalverbrauchern und kleinunternehmen gehätschelt, die dafür umso mehr bezahlen. selbst »Vattenfall mining«, tochter des gleichnamigen energiekonzerns, soll befreit wer-den. Die rechnung für die übrigen strombezieher verteuert sich so um zirka vier milliarden euro. Für die unternehmen mit den höchsten stromverbräuchen ist, nach recherchen der Deutschen umwelthilfe, der strompreis vom ersten halbjahr 2011 auf 2012 um 8,1 Prozent gesunken. und: Bei fast 90 Prozent aller industriebetriebe liegt der anteil der energieko-sten am Produktionswert unter drei Prozent. strompreisstei-gerungen von 10 Prozent spielen da betriebswirtschaftlich kaum eine rolle.

im politischen gerangel wird zudem ignoriert, dass der strompreis auch ohne den Boom von sonne, Wind und Bio-energie steigen würde. Der deutsche kraftwerkspark ist stark überaltert und müsste ohne die energiewende fast komplett durch moderne anlagen ersetzt werden. Das wäre teuer, denn die Preise für steinkohlekraftwerke sind von 2005 bis 2010 um mehr als 40 Prozent gestiegen. Jetzt machen die erneuer-baren einen großteil der neuinvestitionen überflüssig. sie er-sparen den energiekonzernen auch millionenkosten für co2-zertifikate im emissionshandel, weil der Preis für kohlendi-oxid mit dem Boom der erneuerbaren dramatisch gesunken ist.

auch im direkten subventionsvergleich mit kohle und atom sind die erneuerbaren günstiger. Die Süddeutsche Zei-tung rechnet vor: »atomstrom wurde seit 1970 mit mindes-tens 187 milliarden euro gefördert, energie aus stein- und Braunkohle mit 177 milliarden bzw. 65 milliarden. erneuer-bare energien kommen nur auf 54 milliarden.« -man-

Nach Recher-chen der Deutschen Umwelt-hilfe sind die Industrie-strompreise der energieintensiven Betriebe in Deutschland in den letz-ten Jahren in Relation zu

den Wettbe-werbsländern gesunken! Die Kosten

waren im ersten Halbjahr

2012 um beachtili-che 8,1 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2011 zurückgegangen.

Zum Jahresbeginn 2012 hatten 118 Länder (im Vor-jahr: 96), darunter mehr als die Hälfte Entwick-lungsländer, nationale energiepolitische Ziele für die Förderung Erneu-erbarer Energieträger formuliert. Trend: weiter steigend.

Der »2012 Renewables Global Status Report« ist eine der wichtigsten Publikationen zum Thema neue Energien. Gespickt mit Grafiken und Zahlen, informiert der Report über die weltweiten Trends bei Sonne, Wind und Co. www.ren21.net

Here comes the sunand I say, it’s allright

little darling,I feel, that ice is slowly

melting

Beatles

Industrie- strompreise

-8,1%

Braunkohlekraftwerk Jänschwalde: Ohne den Boom der Erneuer-baren müsste der überalterte Kraftwerkspark fast komplett erneuert werden.

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Ein anderer Trick, um das Grauen des Ökostroms herauf zu beschwören, ist die Addition aller Ko-sten für die nächsten 20 Jahre. haben sie schon mal ihre gesamten telefonkosten von heute bis 2032 hochgerechnet? auch der notwendige netzausbau wird mit weit überzogenen kosten- und kilometer-schät-zungen benutzt, um die neuen energien zu diskreditieren. andere sagen es lieber ganz direkt: Die Förderung der Photovoltaik in Deutschland sei so sinnvoll »wie ananas züchten in alaska«, tönte der inzwischen abgelöste rWe-chef Jürgen großmann noch anfang des Jahres. und FDP-Frakti-onschef rainer Brüderle stichelt: »Dras-tisch ausgedrückt, subventioniert die oma in der sozialwohnung den schickimicki, der mit der solaranlage seinen swimmung-pool heizt.«

Brüderle und weite teile der FDP for-dern ein moratorium für den ausbau der erneuerbaren: Vollbremsung bis zum still-stand für sonne, Wind und Bioenergie. zur

Front der neinsager gehören auch eu-energiekommissar günther oet-tinger, der die solarenergie in hei-ße Wüstenregionen abschieben will und Justus haucap, bis mitte 2012 chef der mono-

polkommission. er plädiert für jenes Quotensystem, das in vie-len anderen ländern kläglich gescheitert ist. Danach würde die einspeise-Vergütung zu Festpreisen abgeschafft und die großen Versorger stattdes-

sen verpflichtet, sich eine kleine ee-Quote am markt billig einzukaufen

– vor allem Windstrom. neue technologien hätten keine chance mehr.

Jetzt hängt alles von kanzlerin merkel und ih-

rem umweltminis-ter Peter altmaier ab. Der bezeich-

net die energie-wende neuerdings

als »größte herausforde-rung seit dem kriege« und vermittelt in alle richtun-gen. er gründet arbeits-kreise und will FDP-hard-liner, Bundesländer und um-weltverbände gleichermaßen befriedigen. entscheidend wird die neufassung des er-neuerbaren-energien-geset-zes (eeg), doch diesen kraft-akt traut altmaier in der lau-

fenden legislaturperiode

»Die Energiewende ist die größte Herausforderung seit dem Krieg.«Peter Altmaier, Umweltminister

Erdwärme, die Energie aus dem Bauch unseres Planeten wird noch im-mer ähnlich unterschätzt wie vor Jahren Solar- und Windkraft. Seit dem Jahr 2004 ist in Berlin die Zahl der Erdwärme-Anlagen von 132 auf 2.400 im Jahr 2011 gestiegen.

Der 24-Stunden-Tag-und-Nacht-Flug und der 18-Stunden-Flug von Madrid nach Rabat waren nur das Vorspiel: 2013 will Bertrand Piccard mit seinem Flieger Solarimpulse die Welt umrun-den. Das hat der Solarkatamaran Pla-netsolar nach 587 Tagen im Mai diesen Jahres schon geschafft. www.solarimpulse.com www.planetsolar.org

Die Sonne, diese unbarmherzige algerische Sonne, die das Meer in einen glühenden Ozean verwandelt; die auf die Stirn donnert wie ein Presslufthammer und Menschen töten lässt; diese Sonne ist heute nicht in Form. Ein kühler Wind fegt über Algier.

Albert Camus

Solarsiedlung in Freiburg: Die Breisgau-Metropole gilt seit langem als sonnige Musterregion

Fortsetzung von Seite 24

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D er erste große anschub für die erneuerbaren energien kam nicht von rot-grün,

wie oft vermutet. geschoben hat eine schwarz-grüne koalition. Die Bundestagsabgeordneten matthias engelsberger (csu) und Wolfgang Daniels (grüne) haben das histori-sche stromeinspeise-gesetz entwi-ckelt, das später unter der regie-rung schröder im märz 2000 zum erneuerbare-energien-ge-setz (eeg) er-weitert wurde. Das ursprüng-liche gesetz von 1991 ver-pflichtete erst-mals energie-versorger und netzbetreiber, den »alternativstrom« abzunehmen und anständig zu bezahlen. 16,61 Pfennig je kilowattstunde – eine revolution.

Der csu-mann engelsberger stammt aus siegsdorf bei traun-stein, er betreibt selbst ein kleines Wasserkraftwerk und kennt die nö-te der kleinen stromer. Jahrelang hat er für die bayerischen Wasser-werke in bitteren schlachten mit den energiekonzernen die tarife ausgehandelt. mit dem Bundes-tagsabgeordneten Wolfgang Daniels sucht er sich einen grünen als Ver-bündeten. gemeinsam entwickeln sie den gesetzentwurf. auf Drän-gen des damaligen cDu-Fraktions-chefs Jürgen rüttgers und um die zustimmung des konservativen la-

gers zu bekommen, wird die initia-tive als reiner unionsantrag im Bun-destag eingebracht. Das gesetz geht am 7. Dezember 1990 tatsächlich durch. Viele Parlamentarier verken-nen die lage und tun die einspeise-Vergütung als kleines Bonbon für die ewig nörgelnden umweltheinis ab, der sPD-abgeordnete Dietrich sperling spricht von »kleinzehen-wackelei«. und tatsächlich drehen

sich 1991 gera-de mal 1.000 Windräder in Deutschland, die stromvergü-tung aus erneu-erbaren energi-en scheint über-sichtlich. Doch mit dem rü-ckenwind des

gesetzes entsteht der erste Boom. Vor allem an der küste hat sich der Wind gedreht. Die norddeutschen Bundesländer wittern standortvor-teile und neue industrien durch die Windkraft.

Weiterer schub kommt aus Brasilien: Der erdgipfel 1992 in rio stellt die klimakatastrophe ins rampenlicht, saubere energie aus Wind und sonne wird zur ret-tungstat. Das neue gesetz hat jetzt auch moralischen rückenwind, das Vergütungsmodell entwickelt sich zum politischen renner. Bis heute ist das Prinzip der vergüteten ein-speisung nach festen tarifen und mit Vorrang vor fossil-atomaren großkraftwerken in 61 ländern kopiert worden. -man-

Wie Die csu WinD unD sonne rettete

niemand mehr zu (auch er selbst nicht), zumal schon im Januar Wahlen in niedersachsen an-stehen. gerade solarenergie ist bei den Wählern beliebt und populär. mit etwas geschick könn-te sich altmaier bis zur Bundestagswahl auch ohne novellierung durchwursteln.

Weitere kostensprünge hat er nicht zu er-warten, zumal der jetzt eingeführte »atmende Deckel«, dafür sorgt, dass die solarvergütung von monat zu monat neu geregelt und der zu-bau abgebremst wird. auch die Vergütung ist inzwischen so stark gesunken, dass keine großen zusätzlichen Belastungen auf die stromkunden zukommen. kleine erzeuger mit der solaranla-ge auf dem Dach bekommen ab Januar nur noch 17,02 cent je kilowattstunde, das sind acht cent weniger als der strom aus der steckdose kostet. Da wird der eigenverbrauch immer at-traktiver.

Trotz aller Horrorszenarien haben die Deutschen die Segnungen der Energiewende besser verstanden als manche Politiker. 93 Prozent halten den »ver-stärkten ausbau« der erneuerbaren für »wich-tig« oder »außerordentlich wichtig«, wie tns infratest im auftrag der agentur für erneuer-bare energien (agee) im oktober ermittelt hat. mehr zustimmung ist in Deutschland kaum vorstellbar.

in schleswig-holstein und niedersachsen haben die ersten Pioniere schon vor 20 Jahren ihre Windräder auf den acker gestellt. auch in süddeutschland haben millionen von häusle-bauern die chancen schneller begriffen als die meisten kreisräte oder landesminister.

Wo früher die vier übermächtigen konzerne rWe, eon, Vattenfall und enBW allein das sa-gen hatten, klettert die zahl der Besitzer von solaranlagen richtung drei millionen (Photo-voltaik und kollektoren). Während der anteil des ee-stroms auf die 30 Prozent zujagt, macht er im Portfolio von rWe und co. immer noch weniger als fünf Prozent aus. 2010 hatten sie gemeinsam ganze 500 megawatt Windenergie installiert – gerade ein Fünzigstel aller anlagen in Deutschland. Bei solar- und Bioenergie ist ihr engagement praktisch gleich null. allen green-washing-kampagnen zum trotz.

im gesamten strommarkt gehören den stromriesen zwar immer noch 80 Prozent der

Wir stehen an der Schwelle, an der es für deut-

sche Industrieunternehmen günstiger sein wird, selbst erzeugten PV-Strom zu verbrauchen, als Strom aus dem Netz zu beziehen«Studie des Fraunhofer- Institut ISE 2012

14.800 Petajoule

im Jahr 2006 13.000 Petajoule

im Jahr 2011

Energieverbrauch Deutschlands geht zurück

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Sausewind, Brausewind,dort und hier!

Deine Heimat sage mir!

Eduard Mörike

Innerhalb der Europä-ischen Union waren 2011 bereits mehr als 71 Pro-zent aller neu installierten Stromproduktionskapazitä-ten Erneuerbare Energie-anlagen. Fast die Hälfte davon (46,7 Prozent) waren Photovoltaik-Anlagen für Solarstrom.

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kapazitäten – vor allem Dank ihrer kohle- und atomkraft-werke. Doch mit jeder neu gebauten ee-anlage, die ge-setzlich abgesicherten Vor-rang hat, geht der Prozess der schleichenden enteig-nung der monopolisten wei-ter. »Die energieversorgung in Deutschland wird zuneh-mend zur Familienangelegen-heit«, erklärt der Bundesver-band der solarwirtschaft. 93,5 Prozent der installier-ten leistung liegen bei Privat-leuten, Projektentwicklern, Fonds, landwirten, Banken und regionalen energiever-sorgern. Die Bürger verdie-nen, statt der konzerne. Die können aus ihren steuerlich abgeschriebenen atom- und kohlemeilern nur dann wei-tere milliarden rausholen, wenn die an-lagen möglichst lang und möglichst viele stunden im Jahr laufen. Die immer höhe-re stromproduktion der ee-Branche ver-hindert genau das. selbst grundlastkraft-werke müssen inzwischen zeitweise abge-schaltet werden, um Platz zu machen für millionen aufmüpfige kleinerzeuger, für sonne, Wind und Biostrom.

Die meisten solaranlagen finden sich inzwischen auf Privatdächern in Bayern und Baden-Württemberg, deren städte auch in den bundesweiten rankings vorn

rangieren. Jetzt haben auch die landesvä-ter nachgezogen: Bayern träumt von einer energieunabhängigkeit und fordert, die erneuerbaren schneller auszubauen. Das grün-rot regierte Baden-Württemberg will nicht nur die Windkraft nutzen, son-dern den lokalen stromriesen enBW – in der Vergangenheit immer teil der achse des Bösen mit e.on, rWe und Vattenfall – zum grünstromkonzern umbauen. und Pioniere wie das windkraftgebürstete schleswig-holstein exportieren schon heu-te strom für die länder in der mitte

Deutschlands. mehr als ein Jahrhundert lang hat sich die wirtschaftliche kraft einzel-ner regionen von sonne, Wind und Boden abgekop-pelt. Jetzt steigt die Bedeu-tung der naturkräfte für die Wirtschaftskraft einer region wieder – zum ersten mal seit dem siegeszug der Dampfma-schine.

Dabei kommt die Stromrevolution schneller voran, als selbst ihre heißblütigsten Verfechter sich das hätten träumen lassen – nicht nur in Deutschland. Weltweit sind die erneuerbaren aus ih-rem status der nischentech-nologie herausgetreten. Die Branche stellt schon seit Jah-ren mit explosivem Wachs-tum alle anderen energieträ-ger in den schatten. Windkraft stieg von 18 gigawatt im Jahr 2000 auf 238 gW ende 2011, Photovoltaik kletterte von 1,5 gW auf 67 gW. Die zahl der global Beschäftigten in der ee-Branche wird mit fünf millionen angegeben. und 200 millionen haushalte nut-zen inzwischen sonnenkollek-toren zur Warmwasserberei-tung.

nach un-angaben sind die globalen investitionen in

die erneuerbaren – große Wasserkraftwer-ke ausgenommen – im vergangenen Jahr stärker als je zuvor auf 257 milliarden Dollar angestiegen, das sechsfache der in-vestitionssumme des Jahres 2004. in der eu machten die erneuerbaren zuletzt drei Viertel der neu installierten stromkapazi-täten aus.

1996 hatte die eu für 2012 noch rund 25.000 megawatt Windkraft in ganz eu-ropa prognostiziert. Die internationale energieagentur in Paris tippte auf 40.000. Wahr ist, dass europa inzwischen die

Selbst ist die Frau: An einer Schule im indischen Rajasthan bauen zwei Schülerinnen einen Solarkocher aus Eisenträgern und Spiegeln.

Würde man alle geeigneten Flächen (Deutschlands) so

dicht wie möglich mit Windkraftanla-gen besetzen, könnte man nur rund 12 Prozent des Stromverbrauchs erzeugen«

Protestbuch des Verlags Zweitausendeins von 1997 gegen

den »Windkraftwahn«

The future‘s in the air I can feel it everywhere Blowing with the wind

of change

Scorpions

Das Bundesumweltmi-nisterium beziffert den durch EE vermiedenen Ausstoß an Kohlendioxid in 2011 auf 130 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, davon 70 Millionen Ton-nen durch EEG-vergüteten Strom. 2010 waren es 120 Millionen Tonnen.

In der Sahara bräuchte ein Deutscher eine Solaranla-ge von etwa fünf Quad-ratmetern, um seinen gesamten Strombedarf zu decken, so Schätzungen aus der Solarwirtschaft. Bei uns benötigt er im Schnitt zehn Quadratmeter.

Das ist wohl das erfolgreichste deut-sche Entwicklungs-hilfeprogramm im Energiebereich, das es je gegeben hat.Felix Matthes, Öko-Institut

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100.000 megawatt-marke geknackt hat.aber auch lateinamerika und afrika

verzeichnen erstaunliche Fortschritte – vor allem für solare kleinanlagen. in sechs la-teinamerikanischen ländern wurden mit einer solar-offensive vergangenes Jahr

113.000 kleinanlagen errichtet. Wichtigs-ter grund für den massiven einsatz von solarstrom in entwicklungsländern ist der rasante Preisverfall durch den deutschen massenmarkt. Photovoltaik-anlagen seien in den armen ländern afrikas oder ost-asiens jetzt erstmals eine reale option zur milderung der energieprobleme, sagt Felix matthes, Vorstand des Öko-instituts. »ich komme viel herum in der Welt und kann diese entwicklung konkret beobachten. Das ist wahrscheinlich das erfolgreichste deutsche entwicklungshilfeprogramm im energiebereich, das es je gegeben hat.«

neben politischem rückenwind und der klimadebatte treibt auch der techni-sche Fortschritt die Branche. Windräder etwa sind heute so hoch, ihre Blätter sind so lang, dass sie auch fern der küsten bil-ligen Ökostrom liefern. Beispiel Branden-burg: anfang der 1990er Jahre gab es nur wenige, höher gelegene Flecken, an denen Windkraft wirtschaftlich war. seitdem hat sich die Vergütung für Windstrom auf ge-rade noch 6 bis 8 cent je stromstunde hal-biert – trotzdem sind die mühlen fast über-all wirtschaftlich.

Doch der star der stunde ist die solar-energie. man muss sich nochmal vor au-

Mehr Sonnenenergie für mehr Klimaschutz:Solaranlagen auf DB-Flächen liefern sauberen Strom.

Die DB stellt Dach- und Freiflächen zur Gewinnung von Strom aus Photo-voltaikanlagen zur Verfügung. Auch im Bahnstrom steigern wir den Anteilregenerativer Energien – bis zum Jahr 2020 auf mindestens 35 Prozent.Bis 2050 soll der Strom für unsere Züge komplett CO2-frei sein.

Zukunft bewegen.

© DB AG/JET-FOTO Kranert

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Eindrucksvoller Anstieg: Immer steiler schwingt sich die Kurve der neuen Ernergien in die Höhe.

Entwicklung der installierten Leistung zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien 1990–2011 Quelle: BMU, BEE, AEE Stand: 2/2012

Gigawatt

80

60

40

20

01990 2000 2010 '11

1991: Verabschiedung des Stromeinspeise- gesetzes (StrEG)

April 2000: Das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien

(EEG) tritt in Kraft

Aug 2004: 1. Novelle des EEG

Jan 2012: 3. Novelle des EEG

Jan 2009: 2. Novelle des EEG

Photovoltaik Bioenergie Windenergie Wasserkraft

2011: 63,7

24,8

5,5

29,0

4,4

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Du bist die Sonne und ich brauche dich.

Doch komm nicht näher, sonst verbrennst du mich.

Du bist die Sonne und du scheinst für mich.

Die Drogen – Indie-Pop-Band

gen führen, wie explosiv sich der sektor entwickelt hat. es ist gerade zehn Jahre her, als selbst solarunternehmer ihrem Produkt höchstens einen »homöopathi-schen anteil« am deutschen strommix zutrauten, so einst der Finanzchef des deutschen Branchenprimus solarworld. Die Vision war, das high-tech Produkt »solarzelle« von Deutschland aus in die sonnenreichen länder der Welt zu expor-tieren. gekommen ist es gerade anders-rum: Deutschland wurde zum mekka der weltweiten solarindustrie. als hierzulan-de der neu installierte solarstrom 2009 zum ersten mal die Windkraft übertraf, blieb Branchenkennern der mund offen stehen. 7.500 megawatt – das entspricht nominal sieben großen atommeilern – wurden zuletzt 2011 auf Dächer und scheunen geschraubt. Das dürfte 2012 noch übertroffen werden. inzwischen ist der solarstrom vom eigenen Dach billi-ger als der strom vom lokalen energie-

versorger. 2013 könnte die Vergütung für große anlagen schon unter 15 cent fallen. hält die entwicklung an, könnte 2020 der strom aus solaranlagen gerade noch acht bis 14 cent je kilowattstunde kosten und so zum Billigmacher Wind-kraft aufschließen. auch lebensdauer und energetische amortisationszeit der anlagen verbessern sich stetig.

Durch den Preisverfall übertrifft der anstieg des grünstrom-anteils alle erwar-tungen: letztes Jahr lag er bei einem Fünf-tel des strombedarfs, dieses Jahr schon knapp über einem Viertel. 2016 dürfte das Drittel erreicht sein. Für 2020 peilen die Bundesländer, die hier besonders viel zu gewinnen haben, die 50 Prozent-marke an. Das ist energiewende im überschall-tempo. Dabei hatte kanzlerin angela mer-kel noch im mai 2005 erklärt: »Den anteil erneuerbarer energien am stromver-brauch auf 20 Prozent zu steigern, ist we-nig realistisch.«

Strohaufbereitung bei der Verbio AG: Der Biosprit-Hersteller konzentriert sich jetzt auf die Erzeugung von Biomethan aus Pflanzenabfällen.

Die Preise für atomare und fossile Energien sagen nicht die Wahrheit. Gesundheitsschäden, Waldschäden,

Wasserschäden, Bodenschäden, Bergschäden, Reduzierung der Artenvielfalt und durch die Klima-veränderung auch zunehmende Sturm-, Flut- und Dürreschäden werden nicht berücksichtigt.«

Hermann Scheer, verstorbener Solarpionier

Zur Geschichte der Solar-energie gehört auch die Welt- raumforschung. Raketenpi-onier Hermann Oberth hatte schon 1929 ein Sonnenkraft-werk im Universum skizziert. 1958 wurde von den USA mit Vanguard 1 der erste Satellit mit Solarzellen in die Um-laufbahn geschossen.

Monatliche Ausgaben eines Privathaushaltes für Energie 2012

Benzin 116 EuroHeizkosten 105 EuroStrom 72 EuroÖko-Strom-Umlage 10 EuroQuelle: DUH

Kosten des Stroms: Heute und Morgen in Cent/kWh; 2010; 2020

35

30

25

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15

10

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Erdgas GUD

Braunkohle

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Die Bahn kommt: Das frisch gereinigte Solardach über den Schienen des neuen Berliner Hauptbahnhofs.

»Die Welt schaut darauf, ob hier ein Industrie- land den Sprung zum emissionsarmen Wirtschaften schafft.«Ottmar Edenhofer, Klimaökonom

Will the wind ever remember the names it has blown in the past.

And with this crutch, its old age, and its wisdom

It whispers »No, this will be the last.«And the wind cries Mary

Jimi Hendrix

Mit Kleinwindanlagen wür-den sich viele Häuslebauer gerne vollständig selbst versorgen. Möglich ist das, aber in der Regel deutlich teurer als der herkömmli-che Stromanschluss. Auf 250 Megawatt schätzen Experten das deutsche Kleinwindpotenzial.

1,6 Milliarden Men-schen leben ohne

Zugang zu Strom. Gerade in den Entwicklungsländern wird sich zeigen, dass die Solarre-volution eine politische und ökonomische Befreiung des Menschen ist.«

Frank Asbeck, Chef von Solarworld

Den grund für den schnellen erfolg sieht Joachim nitsch, langjähriger energieex-perte am Deutschen luft- und raumfahrt-zentrum, auch in der »erstaunlich großen Bereitschaft Privater, gewerbetreibender oder von genossenschaften, kapital in die erneuerbaren zu investieren.«. ein ganz anderer grund seien die enormen Preis-senkungen durch »das kostendumping der chinesischen solarstrom-hersteller«. lang-fristig sehen experten wie nitsch die er-neuerbaren bei sechs cent je kilowattstun-de: Das sei das niveau, auf dem sich solar- und Windenergie an land einpen-deln werden.

Die zahl sollte man sich merken. sie macht klar, warum uns experten auf dem Weg in die reine stromwirtschaft sehen: energie aus Öl, gas, kohle aber auch aus Pflanzen wie raps, mais oder holz wird heute vor allem im Verkehr – vom auto bis zum Flugzeug – und zum heizen ein-gesetzt. in zukunft werden auch autos

elektrisch rollen und im Wärmemarkt wer-den sich langfristig solartechnologien und Ökostrom durchsetzen. Je billiger grünstrom wird, desto schneller schwenkt die weltweite energienachfrage um – weg

von den alten energieträgern. allerdings liegt die sechs-cent-marke noch einige Jahre entfernt. Die erneuerbaren werden darum absehbar teurer sein als strom aus gas und kohle (s. grafik seite 30) und weitere Förderung benötigen.

Doch von ihrer erfolgsgeschichte in Deutschland wird auch der internationale klimaschutz profitieren. Während die er-neuerbaren brummen, liegt »die klimapo-litik im koma« (umweltminister altmaier). china treibt die ausbeutung seiner unsin-nig billigen kohlevorräte voran. auch aus den politisch tief gespaltenen usa sind keine entscheidenden impulse zu erwarten. so blickt alles auf Deutschland. Die ener-giewende ist für den Potsdamer klimaöko-nomen und höchsten deutschen repräsen-tanten im internationalen klimarat iPcc, ottmar edenhofer, darum von geradezu historischer Bedeutung: »Der erfolg der energiewende hierzulande ist fast wichti-ger als die internationalen klimaverhand-lungen«, sagt edenhofer. »Die Welt schaut darauf, ob hier ein industrieland den sprung zum emissionsarmen Wirtschaften schafft.« Das wird auch darüber entschei-den, wie schnell die fossilen mächte welt-weit abgelöst werden. n

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D urch tantow muss man sonst nur, um die Versammlung der kraniche an der oder zu bewundern. aber

an diesem abend tobt hier Deutschlands bekanntester anti-Windkraft-aktivist bei der Freiwilligen Feuerwehr: »ich versuche, mit großer kraftanstrengung gegen die ge-ballte kraft des kapitals zu bestehen«, ruft hans-Joachim mengel, Wahl-uckermärker aus Berlin und anführer der anti-Wind-kraft-Partei »rettet-die-uckermark«, kurz rdu. »Das kapital« ist für ihn die hiesige Windfirma enertrag, ein 300 mitarbeiter-unternehmen und eine der wenigen er-folgsgeschichten in der nordostdeutschen Provinz. neue Windräder? »sie haben nach der Wende schon genug gelitten«, schmelzt mengel sich ran, er macht den tantowern den Volkstribun, saugt ihre ängste auf, gibt ihnen Feuer: er könne bei sich zu hause im schloss Wartin ein Windfeld hören, das acht kilometer entfernt ist. und er habe auch schon einen Verzweifelten erlebt, den erst der schatten der Windräder verrückt gemacht und dem dann die Bank die zin-sen auf seine hypothek erhöht hätte, weil durch die Windräder der Wert seines hau-ses gesunken sei. in seinen, mengels, armen sei er tränenüberströmt zusammengesackt.

so klang mengel noch vor wenigen Jahren. Jetzt hat er sein land an das ka-pital verpachtet. Für 40.000 euro pro Jahr darf die Firma enertrag direkt neben sei-nem schlösschen eine supermoderne me-gawattmühle bauen. Wie das?

als Vorreiter der anti-Windkraft-Be-

wegung stand mengel ein Jahrzehnt lang symbolisch für viele lokalen initiativen, die gegen Windkraft mobil machen. teils mit phantasievollen argumenten: Von den psychischen Problemen durch schatten-wurf oder infraschall bis hin zur Behaup-tung, in Deutschland könne nicht ein ein-ziger zug mit Windkraft fahren – weil er bei Windstille stehen bleibt. teils aus nach-vollziehbarer sorge um die landschaft und die aussicht rund ums eigene häuschen. Wer will schon neben 100 meter hohen Windmasten wohnen? Die auseinander-setzungen sind scharf, oft teilen sich ganze Dorfgemeinschaften in Dafür und Dage-gen, in diejenigen, die profitieren und die, die nur den schaden haben. in der ucker-mark tobt dieser kampf seit 20 Jahren. heute steht hier eine der dichtesten an-sammlungen von Windrädern weltweit. solche auseinandersetzungen stehen in

Bayern und Baden-Württemberg erst be-vor, wenn auch dort die zeit der Wind-mühlen beginnt.

mögen bundesweit auch 93 Prozent der Deutschen für den einsatz von Wind-energie sein – solche umfragen belegen vor allem die wachsende liebe zur Windkraft bei gebührendem abstand zur nächsten anlage. erst wenn man selber von den »Windspargeln« profitieren kann, kann man auch die anlagen in der nachbar-schaft wieder lieben. Das zeigen Dutzende von Bürgerwindparks hinter den deutschen nordseedeichen. Wenn es nützt, werden selbst eingeschworene aktivisten zu Wind-müllern. Wie hans-Joachim mengel.

schon im august hatte der anti-Wind-kraft-kämpfer seine absicht den mitstrei-tern in der rdu-Fraktion mitgeteilt. Die flehten und drängten – aber mengel ließ sich die Verpachtung nicht mehr ausreden.

Vom WinDWüterich zum WinDmüllerDeutschlands bekanntester Windkraftgegner fällt um – Hans-Joachim Mengel, eine Parabel über Widerstand und Akzeptanz

Von Marcus Franken

Die Energie-wende hat viele

Gesichter. Eines gehört der 29-jähri-

gen zweifachen Schwimm-Olympiasiegerin und Welt-meisterin Britta Steffen. Die Spitzensportlerin hat sich für die Kampagne »100 Pro-zent Erneuerbar« engagiert.

Steffen: »Die Res-sourcen sind vor-handen und die Technologien auch. Ich hof-fe, dass immer mehr Menschen von dieser Alter-native überzeugt werden können.«

Steffen ist auch in ihrem Studium zur Wirtschaftsin-genieurin mit Schwerpunkt

Umwelt ökologisch engagiert, ihre

eigene Home-page hat sie mit dem Öko-Landbau ver-

netzt.

Pipelines, Schiffe, Züge, Tankwagen: Die alten Energien brauchen eine Transport-Infrastruktur, die um den halben Erdball reicht. Sonne, Wind und Co. gibt‘s ganz ohne.Hermann Scheer

Bisher dagegen, jetzt hat Mengel sein Land für so einen Windspargel verpachtet.

Inselsysteme: Eine Kom-bination aus Kleinwind, Solarpaneelen und Batte-riespeichern ist in vielen Dörfern Afrikas ohne Netz-anschluss schon heute die billigste Stromversorgung. Von »dezentraler Mikro-energiewirtschaft« schwär-men Fachleute.

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im september war es dann offiziell. statt investoren aus dem Westen zu befriedigen, sollte die rendite vor ort blei-ben. gegenüber dem sender rBB rechtfertigt er sich lapi-dar: »eh die anderen daran verdienen.« mit dem argument könnte freilich auch der Papst seine gästezimmer im »heim der heiligen maria« als stundenhotel vermieten.

Dabei hatte die Windfirma den Wind-Wüterich gar nicht nach seinem land gefragt. »man hätte das als politische Provokation angesehen«, erklärt ein mitarbeiter. mengel hat sein grundstück selbst angeboten. Dass er nun dennoch weiter gegen das Windfeld kämpfen will (und das auch in seinem Pachtvertrag festgehalten hat), versteht nur noch er allein: Wenn das Windfeld »unverhinderbar ist, sage ich mir: Bitte auf meinem grundstück auch eine Windmühle.« er sei darum mit sich »völlig im reinen«, so mengel.

Die sieger im Windstreit geben sich versöhnlich: »Der Pachtvertrag zeigt, dass die zeit der starren konfrontation zwischen Windkraftgegnern und Befürwortern vorbei ist«, meint enertrag-chef Jörg müller. tatsächlich haben sich viele menschen in der uckermark mit der Windkraft ar-rangiert. Wenn man in den Dörfern mit den leuten spricht, ist immer öfter von arbeitsplätzen die rede, von einnah-men der gemeinden, von spenden der Windunternehmer für das Feuerwehrhaus und die Friedhofsmauer.

so freundlich wie die alten gegner reagieren die alten Freunde nicht: »Det is nich normal, so was«, schimpft Bernd hartwich von der rdu. »Für geld verrät er die ganze über-zeugung«. er nennt mengel einen »lügner und Betrüger«. hartwich bleibt eisern: aus seiner sicht soll Windenergie nur da entstehen, wo die direkt Betroffenen einverstanden sind und auch die landschaft nicht gestört wird. solche orte gebe es in Deutschland freilich kaum.

im kreistag ist nach dem mengel-Desaster schon von der auflösung der kleinen Fraktion die rede. 2003 und 2008 hatte es die Partei allein mit anti-Windkraft-Parolen geschafft, mit jeweils fünf abgeordneten in den kreistag zu ziehen und so mehr als zehn Prozent der sitze zu halten. Die chancen für die Wahl 2014 dürften nach dem unrühm-lichen abgang ihrer galionsfigur im keller sein. nicht nur, dass die kleine Fraktion in ihrem kampf gegen die Wind-kraft über zehn Jahre keinen praktischen erfolg hatte. Die art, wie ihre galionsfigur von Bord gegangen ist, zerstört ihre glaubwürdigkeit – vermutlich – für lange zeit. »Dabei können wir wirklich nichts dafür«, klagt hartwich. men-gel geht das alles nichts mehr an: er hat nach Bekanntwer-den seines Windenergie-Deals die tätigkeit in der Fraktion beendet und will sich jetzt – mit 65 – vor allem dem von ihm genutzten schlösschen widmen. Das geld dafür hat er nun. n

IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges –Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. | Körtestr. 10 | 10976 Berlin [email protected] | www.ippnw.deS p e n d e n k o n t o : 22 22 210 | Bank für Sozialwirt-schaft Berlin | BLZ 100 205 00

www.fukushima-disaster.deFukushima-Newsletter :ippnw.de/aktiv-werden/newsletter-abonnieren.html

Spielplatz in der Stadt Koriyama

Kinder in FuKuShima-Stadt

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Fukushima Desinformation Radioaktivität 100 Millisievert jährlich

GesundheitsfolgenSuper-GAU

Kontamination EvakuierungK i n d e r Sch i l dd rü sen

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Nahrungskette B e q u e r e l

Es treibt der Wind im Winterwalde Die Flockenherde wie ein Hirt,

Und manche Tanne ahnt, wie balde Sie fromm und lichterheilig wird.

Rainer Maria Rilke

Sonnenstrahlen sind das große Geschenk des Kosmos. Die

Sonne schickt uns in jeder Sekunde 15.000 mal mehr Energie wie alle Menschen dieser Welt verbrauchen.«

Franz Alt, Journalist

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meDienDigital und Analog

Pilzlexika – killer-aPPs Für naturFreunDe Wenn sie sich je gefragt haben: »Was soll ich als naturmensch mit einem smartpho-ne?«, dann kommt hier die antwort: im-mer ein Pilzlexikon dabei haben. Für Pilz-enthusiasten gab es bisher nur die Wahl zwischen dem zu dünnen Bestimmungs-buch, in dem der Pilz dann gerade nicht war. oder einen kiloschweren schinken. in den app-stores finden sich inzwischen offline arbeitende lexika, die selbst in der Vollversion weniger kosten als ein gutes Buch im schlussverkauf. »meine Pilze« von klaus Bornstedt ist dabei ein echtes Fan-Produkt. Bornstedt hat 2008 seine elektrotechnik-Firma verkauft und ist nun nur noch mit Pilzen beschäftigt: unter an-

derem als mitglied im Pilzverein »Fliegen-pilz Wolfenbüttel«. sein Wissen packt er seit einem Jahr in seine Pilz-app für and-roid-smartphones. 47 Pilze (geplant: 170) sind dort beschrieben und reich bebildert. kosten: 3,99 euro. Dicker Vorteil gegen-über dem Buch: man kann Pilze nach kri-terien wie »lamellen« plus »knolle rüben-förmig« eingrenzen; das hilft bei der Bestimmung enorm.

ähnlich arbeitet der »Pilzführer Pro« (9,99 euro), den es für android und app-le gibt. hier steckt eine Berliner agentur dahinter, die sonst hunde-, Vogel- und Baum-Bestimmungsbücher anbietet – auch nett. Den fachlichen teil verantwortet

ewald gerhardt vom Berliner Botanischen garten. Die Pilzzahl liegt bei 300. Was die bessere Wahl ist? geschmackssache. Der Pilzführer Pro hat noch ein kleines Quiz parat, mit dem man die kurze pilzlose zeit überbrücken kann: die monate zwischen Frostschneckling (bis Dezember) und mai-pilz (ab april). echte experten finden an verschneiten Winterbäumen aber auch noch den aus-ternseitling.

In den App-Stores und unter www.meinepilze.dewww.naturemobile.org

WerBung Für WerBung mit fast einer million Downloads ist der Werbeausblender »adblock Plus« die be-liebteste erweiterung der Firefox-, opera- und chrome-Browser. Warum? Den mo-ment, in denen ihnen Facebook, süddeutsche oder Faz zum ersten mal werbefrei erscheinen, werden sie nicht vergessen! alles wirkt aufgeräumter, lädt schneller und wo ist der haken?

»liebe leserin, lieber leser, nichts gegen adBlocker – aber wir hätten an dieser stelle eine Bitte an sie«, beginnen die macher von klimaretter.info. und be-kennen: »anzeigen helfen uns, das maga-

zin in der von ihnen so geschätzten Qua-lität umzusetzen. Damit es so bleibt, wür-de es uns freuen, wenn sie ihren adBlocker auf unserer Website deaktivieren.«

hintergrund: auch im inter-net kämpfen zeitungen ums überleben. ohne Werbung kein geld und bald auch keine zei-tung mehr. Der redaktionsetat der klimaretter von »ein paar 10.000 euro im Jahr« wird bis-

her zu 90 Prozent von unternehmern und Privatleuten gesponsort, erklärt geschäfts-führer marco eisenack. Das ist aber weder nachhaltig noch gut für die journalistische

unabhängigkeit. Wünschenswert wären für eisenack 50 Prozent spenden, 50 Pro-zent einnahmen aus anzeigen. und genau diese einnahmen werden gerade von ge-bildeten, kritischen usern wie den klima-retter-lesern weggeblockt. Drum: Wer die internet-Plattform unterstützen will, soll-te den Werbeblocker deaktivieren. aus-nahmsweise. »Wir geben uns auch viel mühe, nur die Werbung auszuwählen, die unsere leser interessieren könnte!«, ver-spricht eisenack.

www.klimaretter.infowww.adblockplus.org

Internet

Klimaretter

»Anzeigen helfen uns!«

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umWeltBücher Des monats

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Lothar Frenz:Lonesome George oder das Verschwinden der

Arten, Rowohlt, 350 S., 19,95 Euro

Der Autor will Leben und Tod jener Arten vorstellen,

die nicht mehr auf der Erde sind. Wie haben die Tiere gelebt, warum sind sie nicht mehr da, wieso nicht schon früher ver-

schwunden? Großartige, einfühlsame Geschichten.

Michael Succow, Lebrecht Jeschke,

Hans Dieter Knapp: Naturschutz in Deutschland,

Links-Verlag, 333 S., 29,90 Euro €

Ein wunderschönes Buch – und der Versuch, die Ent-

wicklung von Nationalparks, Reservaten und Naturparks zu bewerten. Welche Impul-se haben die Schutzkatego-rien tatsächlich gebracht?

Martin Bemmann: Beschädigte Vegetation und sterbender Wald,

Vandenhoek & Ruprecht, 540 S.,

69,99 Euro €Wie war das mit dem Wald-

sterben? Wer hat es ent-deckt? Wie wurde es zum

umweltpolitischen Thema? Wer sich auf diese volumi-nöse Studie einlässt, wird reich belohnt und erlebt viele Überraschungen.

Das Jahrbuch Ökologie und die Deutsche Umwelt-

stiftung küren das »Umweltbuch des Monats«.

Buchtipps

Vor unD nach Dem kollaPszwei Bücher zum the-ma »enkeltauglichkeit« sind erschienen. »man müsste mal« von clau-dia langer ist eine schön gestaltete Publi-kumsbeschimpfung – ein provokatives Weih-nachtsgeschenk für eltern, die ihre spröss-linge im geländewagen zur kita kutschieren. Die inhalte sind eher bekannt und fordern in rechthaberischer Weise dazu auf, guten Vorsät-zen taten folgen zu las-sen – so wie es die au-torin für sich in anspruch nimmt: sie hat ihren Werbejob an den nagel gehängt und betreibt die internetseite www.utopia.de.

spannender und beunruhigender ist die ra-dikale »Post-kollaps-gesellschaft« von Johan-nes heimrath. alle Versuche, die heutige Wirt-schaftsweise durch erneuerbare energien, re-cycling oder andere technische ansätze zu retten, hält er für kurzfristige lösungen, die den zu-sammenbruch nur hinauszögern und verschlim-mern. Der kollaps unseres lebens- und gesell-schaftssystems sei unausweichlich, so die these des autors. ihn interessiert, was danach kommt.

in den beiden ersten horrorszenarien zur Post-kollaps-gesellschaft schotten sich die in-

dustriestaaten und die eliten auf ihren high-tech-inseln vom rest der Welt ab, während öffentliche ordnung und internationale Be-ziehungen verfallen. ein erbitterter kampf um lebensressourcen tobt. Doch heimrath ist kein Pessimist reinsten Was-sers: »ich möchte in ei-ner Welt leben, die es noch nicht gibt!« sein drittes szenario ist die heilung durch grund-legenden systemwech-sel. Der autor hält die-

se entwicklung für äußerst unwahrscheinlich. aber: »eine chance von 0,01 Prozent ist nicht gleich null«. Den Wandel vergleicht er mit der metamorphose einer raupe zum Falter.

eine solche Post-kollaps-gesellschaft be-treibt eine gemeinschaftliche Wirtschaft, die nicht verbraucht, sondern sich in den kreislauf der natur einfügt und das gute leben kulturell genießt. Das heißt aber: keine weltweite Ver-netzung in echtzeit, keine konsumgüter, die nur durch ausbeutung von Bergarbeitern entstehen. heimrath empfiehlt das Wiedererlernen von handwerkstechniken und anderem Basiswissen. Denn google dürfte in keinem szenario zur Ver-fügung stehen. Annette Jensen

melkroBoter unD milchmäDchen

Claudia Langer: Man müsste mal – eine Streitschrift, Droemer, 189 S.,

18,00 Euro

Johannes Heimrath: Die Post-Kollaps-

Gesellschaft, Scorpio-Verlag,

335 S., 19,95 Euro

Andrea Fink-Keßler: Milch – vom Mythos zur

Massenware, oekom, 285 S.,

19,95 Euro

»man darf nicht vor zwangsmitteln zurückschrecken. es muss alles ver-sucht werden, um die deutsche milchwirtschaft vor dem zusammen-bruch zu bewahren.« Das ist kein Protestruf militanter Bauern zum Jah-reswechsel 2013. es ist der politische antrag des zentrumsabgeordneten Franz Bornefeld-ettmann von 1930. Der Bauernfunktionär wollte »mit eiserner hand« ein neues reichs-milchgesetz durchpauken. Die milch steckte mitten in der krise.

Dort ist sie noch heute. nur, dass die krisen sich inzwischen multipli-zieren: der sturz des milchpreises, das elend der massentierhaltung und die Verengung der genetik, wenn einzelne spitzenbullen dank künstli-cher Besamung millionen nachkommen zeugen. all diese themen und vieles mehr stecken in

dem Buch von andrea Fink-keßler. Die agrarwissenschaftlerin, die der Bauernopposition nahesteht, hat ei-ne kulturgeschichte der milch ge-schrieben – von den eutern der ersten säugetiere zum melkroboter im eu-industriestall. Vom mythos zur mas-senware.

es geht um rohmilch-skandale und melkmaschinen, um milchstra-ßen und ur-rinder. und natürlich um milchmädchen. es geht auch um die globalisierung der milch. mit ein paar mausklicks werden tausende tonnen milchpulver in neuseeland eingekauft und nach kuwait vertickt. milch fließt rund um den erdball, ein schnödes handelsgut aus entzünde-ten eutern. Fink-keßler beschreibt

geschichte und untergang eines ur-Produkts. ein nahrhaftes Buch, gut wegzulesen. -man-

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Produkte, die öko sind und gut

VorzeigBar

4 Austernsaitlinge

Pilze von Starbucks0,2 Prozent des kaffees landen im müll, 99,8 Prozent gehen auf den kompost. Das kleinstunternehmen Chidos züchtet Pilze drauf. über diese vielleicht bekannteste idee von Blue-economy guru gunter Pauli haben wir in zeo2 berichtet, inzwischen gibt es nicht nur die Pilze auf starbucks-kaffeeresten zu kaufen, sondern auch ein „home growing kit“: Für 9,90 euro bekommt man einen karton voll kaffeesatz und Pilzmyzel und kann (drei mal am tag sprühen!) dann peu à peu bis zu einem halben kilo aus-ternseitlinge ernten. Besonders lecker in Butter gebraten an nudeln oder spätzle. und wenn bis Weih-nachten nichts wächst, schmecken die Pilze auch noch im Januar.

Infos: Pilzset Austernseit-linge für 9,90 Euro plus Ver-sand, www.chidos.org

3 Öko-Krimi

ErschlagendDas wichtigste kommt hier: Ein Buch! Wenn Sie »Tschick« von Wolf-gang Herrndorf schon gelesen ha-ben, dann können Sie das Buch jetzt weiter verschenken und sich »Sand« wünschen. Wenn Sie das auch schon kennen dann raten wir zu »Wenn das Schlachten vor-bei ist« von T. C. Boyle. Das heißt zwar Öko-Krimi, aber keine Angst: In Wahrheit geht es sehr unter-haltsam darum, »wie sich radikale Tierschützer und Öko-Wissenschaft-ler gegenseitig die Köpfe einschlagen« (Nürnberger Zei-tung). Klingt doch vielversprechend. »Ein hellsichti-ges Werk über den Schutz der Umwelt und der Arten«, meint auch die FAZ.

Infos: »Wenn das Schlachten vorbei ist« von T.C. Boyle, 464 Seiten, Hanser, 22,90 Euro.

1 Rauchmann

Erzgebirge rules!Das Erzgebirge ist bekanntlich die Hei-mat des Weihnachts-mannes, egal was andere sagen. Jeden-falls geht es nirgend-wo so weihnachtlich zu wie in Sachsen. Räucherstäbchen, Schwibbögen, Herrn-huter-Sterne, Weih-nachts-Pyramiden, Räuchermänner und Nussknacker gibt es zwar auch als billi-gen China-Import. Aber so richtig gut sind sie nur, wenn sie aus den klei-nen Dörfern am Rande der Schwarzwas-ser kommen.

Infos: www.erzgebirge-palast.de oder www. erzgebirge- geschenke. de

2 Parfum

Wie es duftet

Wir können unseren leserinnen hier natürlich kein Parfum empfehlen. Wer wären wir? Wir können ihnen aber mitteilen, dass die zeitschrift Ökotest die naturparfums »Far-falla nuvola« und »aqua di tao n° 2« sehr gut und frei von be-denklichen inhalten fand. »trésor midnight rose« von lancôme und »hypnotic Poison eau sensuelle« von Dior waren immerhin ok. Die beiden erstgenannten bekommen

sie bei Waschbär.

Infos: Nuvola für 49 Euro und Aqua di Tao für 35 Euro bei www. waschbaer.de

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Knuffig

Sieht das nun aus wie »ein freundli-cher Bewohner eines anderen Planeten«? Oder doch wie eine selbstgeschnitzte Version von R2-D2, dem pfeifenden Star Wars Robo? Egal, es ist ein Radio und mp3-Spieler! Und wird von einem ge-wissen Singgih Kar-tono in Java, Indone-sien, hergestellt. 16 Arbeitsstunden ste-cken in dem Kasten, der im Wesentlichen aus Holz aus – klar – nachhaltiger Forst-wirtschaft besteht. Der Designer betreibt eine eigene Baum-schule, bezahlt seine Arbeiter anständig, bildet sie aus – und wird für dieses Gesamtkunstwerk laufend mit Preisen ausgezeichnet. Wir wünschen ihm noch mehr Erfolg.

Infos: Wooden Radio »Mikro #2« von Magno Design, 169 Euro www.schoener-waers.de

8 Energiesparlampe

Sondermüll deluxe

Was an energiesparlampen echt nervt, ist nicht nur die entsorgung (sondermüll!). sie müssen auch län-ger vorglühen als ein alter trecker und sehen dabei sehr bescheiden aus. Wie gut, dass es Plumen gibt. Die gehören am ende zwar auch in den sondermüll, und wir konnten das Vorglühverhalten nicht testen. aber immerhin sind sie so stylisch wie … äh … ein schneebesen. und das ist als lob gemeint – wirklich. aber was reden wir hier. schauen sie doch aufs Bild. uns gefällt’s: Vermutlich der schönste sondermüll der Welt.

Infos: Plumen 001, rund 25 Euro im Internethan-del. Teurer bei www.plumen.com

5 Weihnachtsbaum

Ungespritzt leuchten

Wenn sie zu den 25 millionen Deutschen gehören, denen das Fest kein Fest ist ohne Festbaum, dann können sie zum Biobaum greifen. Den gibt es tatsächlich, die Bäum-chen kommen dann aus zertifizierter Waldwirtschaft. es wird nicht mehr aus dem Wald genommen als nach-wächst, und die Bäume werden auch nicht gespritzt. gegen läuse und

andere schädlinge kommen sonst Pflanzenvernichtungsmittel wie »round up« von mon-santo zum einsatz. Dabei

bieten inzwischen auch große gartencenter Bio-Bäume an: ei-

ne lange liste von anbie-tern gibt jedes Jahr robin Wood heraus.

Infos: www.robinwood.de

7 Weihnachtsgans

Ruhe zum FestKlar, es gibt jedes Jahr auch neue Tipps zum »Vegetarischen Weihnachten« des Deutschen Vegeta-

rierbunds. Wer sich damit zu Hause aber

nicht durchset-zen kann oder will,

sollte wenigstens Biogans kaufen. Deren Klimabilanz ist zwar kaum bes-ser. Aber immerhin müssen die Tiere sich nicht durchs Leben quälen und dürfen das ganze Jahr draußen sein. Einen Teil der Kos-ten für den teuren Biovogel kann man raus holen, wenn man seine Geschen-ke in alte Zeitungen statt in Geschenk-papier wickelt. Das verbessert auch die Klimabilanz.

Infos: Rezepte des Vegetarierbundes auf www.vebu.de; Biogänse beim Bioladen

9 Windroller

Das Strandbiest

Während es eine millionen solar-spielzeuge gibt, sind Wind-rad-gad-gets immer noch eine seltene art. Dabei tut man dem niederländischen Bionik-künstler theo Jansen un-recht, wenn man seine futuristi-schen skulpturen auf eine stufe mit solar-grashüpfern stellt: Diesen faszinierenden, manns-hohen Fabelwesen möchte man nicht am nächtlichen strand begegnen. Die mini-Version dagegen ist absolut harmlos.

Infos: Infos: Animaris Ordis Parvus, das Mini-Biest. 45 Euro plus Versand im Web-shop von www.strandbeest.com

6 Tablet-PC

Flundern im Anmarsch

ist die kommende tablet-schwemme eine heimsuchung für die umwelt? nein, heißt es beim Öko-institut, auch umweltfreunde dürfen sich tablets zulegen. Denn während die sparsamsten Desktop-Pcs 30 bis 117 kWh strom im Jahr brauchen, zieht ein tablet nur vier bis zwölf kWh – je nach nutzung. leider werden inzwischen bei fast allen geräten die Batterien fest verlötet, oft lässt sich auch der Datenspei-cher nicht wechseln. Das verkürzt die lebensdauer. Das »lati-tude 10« von Dell dagegen

kann das. Darum empfeh-len wir es hier stellvertretend für alle langlebigen tablet-Pcs und sonstige elektronik. Wenn schon, denn schon.

Infos: Dell Latitude 10, 789 Euro, http://marktcheck.greenpeace.at/gruene-elektronik

10 Holzradio

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Portrait

E r setzt gerne mal das gesicht mit dem bösen Blick auf. Dann wird er noch schmallippiger und zieht die mund-

winkel grimmig nach unten. und macht keinen mucks mehr. Die abrupten, immer ein wenig schnippisch wirkenden sprech-pausen sind typisch steinbrück. er fixiert sein gegenüber und lässt eine Pointe in die stille hinein wirken wie einen rechten ha-ken von Wladimir klitschko. Peer stein-brück weiß, wie man redet. auf die Pausen

folgen wasserfallartige kaskaden, garniert mit originellen sprachbildern. »scharfzün-gig« wird er immer wieder genannt, ja so-gar »rhetorisch brillant«. er hat einen gu-ten spontanen Witz. »Darf ich ihnen mit dem handy helfen?« fragt er spitz einen Duisburger studenten, dessen taschente-lefon in der antrittsvorlesung des gastpro-fessors steinbrück herumbimmelt. Die häu-figsten attribute, die ihm zugeordnet werden: arrogant, selbstbewusst, ungedul-

dig, schnodderig, mit klarer kante. man sollte noch ein paar hinzufügen: energie-geladen, sehr gebildet, pragmatisch, kon-fliktfreudig, mit eigenem kopf und raub-tierlachen.

ist so einer ein guter kanzlerkandidat? Wäre er ein guter kanzler? hat er antwor-ten auf die großen herausforderungen? und vor allem: kann er sustainable deve-lopment buchstabieren? Der kandidat, das mag überraschen, hatte viele Jahre seines

Der stauBsauger Der sPD

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat mit Umwelt und Klima nichts am Hut – Aber er hat aus seinen Niederlagen

gelernt. Für Helmut Schmidt konzipierte er einst das Atom-Entsorgungskonzept. Jetzt muss er sein Image als Grünenfresser überwinden.

Von Manfred Kriener

Die SPD, die mich auf-stellt, muss erst noch erfunden werden.«(Steinbrück zur Kanzler-

kandidatur im Sep- tember 2012)

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politischen lebens ausgerechnet und immer wieder mit umwelt- und energiepolitik zu tun.

im »hungerwin-ter« 1947 kommt er in hamburg zur Welt in einem gut situierten, konservativen elternhaus. Vater ernst ist architekt und liebt adenauer, mutter ilse hat dänisches Blut und ist hutmacherin. am altsprach-lichen gymnasium bleibt sohnemann Peer wegen altgriechisch und mathematik sit-zen. er schafft es dennoch auf die uni, studiert in kiel Volkswirtschaft und sozi-alwissenschaften. zuvor, wir schreiben 1968, verpflichtet sich der 21-Jährige bei der Bundeswehr: stahlhelm statt straßen-kampf. ein Jahr später tritt er in die sPD ein.

In der Studienzeit ist er ein artiger, fleißiger Bes-serwisser. in seiner Wohngemeinschaft, die in den hysterischen 70er Jahren wegen an-geblicher Baader-meinhof-sympathie eines mitbewohners vom staatsschutz ins Visier genommen wird, erfindet der leidenschaft-liche schachspieler steinbrück das »me-thodische staubsaugen« – in strengen Plan-quadraten, linksrum, rechtsrum. sein politisches Wissen speichert er akribisch im zettelkasten. steinbrück will 1975 sei-ne Doktorarbeit beim Ökonomie- und späteren umweltprofessor udo ernst si-monis schreiben, entscheidet sich dann aber für einen Job im Bonner Bauministe-rium – Beginn seiner politischen karriere. Doch aus der festen stelle im ministerium wird nichts, der brave steinbrück wird als staatsfeind verdächtigt und arbeitslos, eine bittere erfahrung. linke genossen setzen sich mit erfolg für ihn ein, die staatsan-waltschaft erkennt ihren irrtum. so landet der inkriminierte schließlich als hilfsrefe-rent im Forschungsministerium von hans matthöfer. Der wird sein Vorbild und mentor. steinbrück fällt auf mit analytischen Fähigkeiten und pointierten sprechzet-teln, er krabbelt die lei-ter hoch.

in Deutschland tobt der kampf um die atomkraftwerke, im energiepolitisch wichti-gen Forschungsministeri-um sitzt mit matthöfer ein strammer atombefürworter und neben ihm sein zög-ling steinbrück. Der ist für das milliar-dengrab des schnellen Brüters von kalkar zuständig, bevor er 1978 mit 31 Jahren

ins kanzleramt von helmut schmidt wechselt, später in die ständige Vertretung nach ost-Berlin. Für das kanzleramt ent-wirft steinbrück ein entsor-

gungskonzept für die deutschen atommeiler. nach dem sturz

schmidts wird er umweltreferent der sPD-Bundestagsfraktion. 1985 wechselt er ins nrW-umweltministerium, steigt auf zum Büroleiter von ministerpräsident rau. steinbrück kann glänzend organisie-ren, und er hat für die sPD ein erfolgrei-ches Wahlkampfkonzept mit entwickelt.

17 Jahre später, nach vielen zwischen-stationen unter anderem als umwelt-staatssekretär, Finanz- und Wirtschafts-minister in schleswig-holstein und nrW, sitzt er im zentrum der macht. er ist nun selbst ministerpräsident im größten Bundesland und chef der rotgrünen landesregierung. Die koalition hat er von seinem Vor-gänger und engen Freund Wolfgang clement (heute FDP-Vorkämpfer) geerbt. steinbrück fremdelt von an-fang an mit den grünen. hier zeigt sich ein grundzug des sPD-kandidaten: mit der umwelt hat der langjährige umweltpolitiker nicht allzu viel am hut. Vehement tritt er für die klimakiller Braun- und steinkohle ein, für straßenbau und Wachstum der alten industrien. er wettert gegen den »unsinn« der Verkehrs-verlagerung auf die schiene und die mil-liardenförderung der Windkraft, gegen überregulation und allzu filigranes um-weltrecht. er sei bekennender »anti-Öko«, bekennt er später. koalitionspart-nerin Bärbel höhn und ihre leute waren schon vorab vor »grünenfresser« stein-brück gewarnt worden. Der denkt jetzt laut darüber nach, die koalition platzen zu lassen und die FDP ins Boot zu holen.

kanzler gerhard schröder, der die grünen braucht, und nrW-landesvorsit-zender harald schartau bringen stein-

brück zur Vernunft. Der ist am ende zu klug, um gegen die Wand zu

laufen, rudert zurück, ver-zichtet sogar auf das grüne hassobjekt transrapid und regiert weiter mit der umweltpartei, bis ihn der Wähler 2005 als »landesvater« abser-

viert. Diese rolle als jovi-aler, umgänglicher kumpel,

der sich auch mal an der trinkhalle unters Volk mischt,

ist dem distanzierten hanseaten so fern wie Dieter Bohlen ein mozart-requi-em. steinbrück ist kühl und cool, schon umarmungen fallen ihm schwer. er könne

kein team führen, ihm fehle es an einfüh-lungsvermögen, bescheinigen ihm seine Biografen. kann er kanzler, wie sein Freund helmut schmidt behauptet? zu-mindest kann er tacheles reden: den schweizer Banken mit der kavallerie dro-hen oder die eigene Partei als »heulsuse« abmeiern. steinbrück provoziert gern.

Seine wichtigste Expertise ist die des harten Sparkommissars und Drachentöters, der gegen die entfesselten Finanzmärkte das Schwert zückt. in seinen Vorträgen (Durchschnitts-honorar: respektable 14.065 euro) spricht er über die »kernschmelze der internatio-

nalen Finanzarchitektur« wie andere leute

übers Bettenlüften und zähneput-zen. Der muss sich finanzpoli-tisch ausken-nen. Die Wahr-heit ist, dass

steinbrück als nrW-minister

und ministerpräsi-dent zwei haushalte ver-

abschiedet hat, die den schuldenberg so stark auftürmten, dass sie verfassungswid-rig waren. und er hat mitgestritten gegen die »überregulation« der Finanzmärkte. noch zehn tage nach dem erdbeben der lehman-Pleite sagte steinbrück als Finanz-minister der großen koalition im Bundes-tag: Das deutsche Bankensystem sei »im internationalen Vergleich relativ robust«, ein Bankenrettungssystem »nicht notwen-dig«. Voll daneben ist auch vorbei.

steinbrücks ruf als Wirtschaftsexper-ten hat das nicht geschadet. er profitiert weiter von der Finanz- und der gegenwär-tigen eurokrise, seinem großen thema. Ökologie und klima, umwelt und natur kommen in seinen Vorträgen und reden bisher nicht vor. Dennoch bescheinigen ihm die grünen, dass er dazugelernt hat. Bärbel höhn soll kürzlich sogar »ein gutes gespräch« mit ihrem ex geführt haben. »steinbrück ist anpassungsfähig, er lernt aus niederlagen«, sagt höhn, »wer mit ihm in der regierung sitzt, dem kann ich nur raten, sich auf sachfragen zu konzen-trieren und nicht die nerven zu verlieren.« es klingt, als wolle sie die eigene Partei beruhigen.

aber vielleicht überrascht steinbrück ja mit neuen einsichten zu nachhaltigen aussichten. Wahrscheinlich ist das nicht. Dass er seiner Frau morgens Öko-Voll-korn-Brötchen kauft mit Vogelfutter drauf, ist noch kein Beweis fürs umden-ken. steinbrück selbst isst nämlich nur weiße schrippen. n

»Diejenigen, die so

schlau sind, dass sie nicht zur Wahl gehen, werden hin-

terher von leuten regiert, die noch dümmer sind als

sie.« (Steinbrück über Nichtwähler)

»In Deutschland werden

Straßen so gebaut, dass auch der 18jährige, volltrunkene, testosterongesteuerte Disco-

besucher noch die kurve kriegt.« (Steinbrück zur

teuren Infrastruktur)

»Alle klagen über Büro-

kratie. aber wenn der hund des nachbarn in den garten

furzt, wollen die gleichen leute eine änderung

des emissionsschutzge- setzes.« (Steinbrück zur

Lage der Nation)

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Die letzte chance Der kleinBauernNeuland: zwischen Markt und Vernunft – Nirgendwo in Europa wird schlechteres Fleisch gegessen als in Deutschland. Die hundert familiären Bauernhöfe im Neuland-Verband versuchen den Spagat zwischen tierfreundlich, hochwertig und bezahlbar. Können sie nach 25 Jahren damit endlich größere Erfolge feiern?

Von Gerhard Waldherr

M ontags, mittwochs und freitags kommen die Viehtransporter. sie rollen auf den hof hinter dem

schlachthof hencke. luken scheppern. scharniere knirschen. hufe klappern. mal werden sechs rinder abgeladen, mal 20 schweine, ab und an ein Dutzend schafe. Wenn thomas strauß von seinem Büro aus dem Fenster blickt, weiß er, woher sie kom-men. Die Bauern, die sie anliefern lassen, kennt er persönlich. er weiß, wie die tiere gehalten, mit welchem Futter sie gemästet wurden und wie lange. »Bei uns sind Bau-er und tier keine nummer«, sagt strauß, »bei uns können sie nachvollziehen, wel-chen Weg ein tier gegangen ist – von der geburt bis zum steak oder zur leber-wurst.«

Bad Bevensen in niedersachsen, ep-penser Weg 29. strauß, gelernter metzger, ein mann mit breiten schultern und ker-nigem händedruck, ist geschäftsführer der neuland gmbh Produktvermarktung. strauß kümmert sich um Vertrieb und Ver-kauf von Fleisch für etwa 100 neuland-Bauern. Bad Bevensen ist zuständig für den Bereich norddeutschland. Berlin ist dabei mit 28 Fleischereien und Filialen der größ-te absatzmarkt. »in Berlin«, sagt strauß, »kennt uns jeder.« in Berlin kann es pas-sieren, dass man in ein taxi steigt und sagt, man wolle zur Fleischerei Bachhuber, und der taxifahrer sagt: »Ditt is’ neuland, wa? Da renn’se alle hin.« und auch bei metz-ger gerlach, stadtteil Prenzlauer Berg, ste-hen die kunden wegen des ochsenfleischs und der hausgemachten lamm-merguez geduldig schlange bis auf den gehsteig. »es wird eben honoriert«, meint strauß, »dass unsere marke auf Qualität und Wer-ten basiert.«

Der neuland e.V. wurde 1988 gegründet, die Jubelfeier zum 25-jährigen Bestehen steht vor der tür. träger sind der Deutsche tierschutzbund, der Bund für umwelt und naturschutz Deutschland und die arbeits-gemeinschaft bäuerliche landwirtschaft. Das credo: möglichst artgerechte, umwelt-freundliche haltung von nutztieren, die dem Verbraucher mehr Qualität und dem erzeuger solide Wirtschaftlichkeit garan-tieren. Derzeit sind bei neuland etwa 170 Bauern organisiert. es gibt neben Bad Be-vensen zwei weitere Vermarktungsgesell-schaften. Bergkamen ist für Westdeutsch-land, radolfzell für süddeutschland zuständig. zu den abnehmern gehören neben neuland-Fleischereien auch restau-rants, großküchen von unternehmen wie

allianz, concordia, google, siemens, rtl und zDF, dazu etliche universitäten und kindergärten. 2011 betrug der Jahresum-satz etwa 15 millionen euro, zehn Prozent mehr als 2010.

Nicht zu viele Tiere – das gibt es nur bei Neuland, der Verein gibt seinen Mitgliedern strikte Be-standsobergrenzen vor: 650 schweine, 200 mutterkühe und 150 mastplätze bei rin-dern, 6.000 hähnchen, 10.000 legehen-nen, je 2.000 Puten, enten und gänse so-wie 1000 mutterschafe pro Betrieb. Die tiere müssen ausreichend auslauf und Weideflächen haben. Die Wandfläche der ställe muss zu einem Fünftel aus Fenstern bestehen; spaltenböden sind untersagt. Ferkeln dürfen nicht die zähne abgefeilt und die schwänze kupiert, hühnern dür-fen nicht die schnäbel beschnitten und rinder nicht angebunden werden. zur kastration werden die jungen männlichen schweine betäubt. Das Futter muss aus heimischer Produktion stammen, gentech-nisch veränderte substanzen und der ein-satz von antibiotika sind verboten. Der transport zum schlachthof darf nicht län-ger als vier stunden dauern. Die schlacht-höfe, mit denen neuland kooperiert, sind bio-zertifiziert und konzentrieren sich auf regionale, kleinere erzeuger und niedrige stückzahlen.nehmen wir hencke in Bad Bevensen. alt-eingesessener Familienbetrieb, gegründet 1871. in der Firmenchronik steht: »aus der region für die region.« Dem fühlt sich auch andreas hencke, inhaber und geschäftsführer in fünfter generation weiter verpflichtet. maximal 400 schwei-ne und 50 rinder sterben wöchentlich an drei schlachttagen bei hencke. »Das

Thomas Strauß und das Neuland-Label auf dem Hof in Bad Bevensen

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machen industrielle großbetriebe in ei-ner stunde«, sagt hencke. »aber diese automatenschlachterei wollen wir nicht, wir wollen, dass unsere leute Verantwor-tung für das zu tötende tier übernehmen können, das geht nicht bei massenabfer-tigung.« Vor zwölf Jahren hat hencke erstmals für neuland geschlachtet, die kooperation beschreibt er so: »Wir ha-ben begrenzte kapazitäten, die haben be-grenzte kontingente, und beiden geht es nicht darum, partout Wachstum zu pro-duzieren, sondern Qualität.« hencke und neuland? »Das passt.«

Das modell neuland unterscheidet sich radikal von den Praktiken der hiesi-gen Fleischindustrie. in Deutschland wer-den jährlich 60 millionen schweine, drei millionen rinder sowie 700 millionen hühner, Puten und enten produziert. es sind überwiegend tiere, die auf schnelle gewichtszunahme gezüchtet sind und zu tausenden die mastfabriken durchlaufen, die luft und Boden verpesten. sie existie-ren auf minimalem Platz. künstliches licht. sauerstoffarmut. computergesteu-erte Fütterung. Wachstumshormone. ton-nenweise antibiotika. sie sind masse zum zweck. entsprechend diskreditiert ist mitt-lerweile der ruf einer Ware, die einst von der Branche vermarktet wurde als » stück lebenskraft«. »Der Preis ist billig«, titelte der stern, »doch das Fleisch ist

schwach.« nirgendwo in europa wird schlechteres Fleisch gegessen und damit auch Fleischprodukte wie Wurst als in Deutschland.

hinzu kommen die zahlreichen skan-dale, die ebenfalls Fleischindustrie und –handel zugeschrieben werden. Bse. Vogel-grippe. Dioxin in schweinekoteletts. kühl-häuser voller gammelfleisch.

»Dass das thema ›Fleischkonsum und tier-schutz‹ zunehmend an öffentlichem inter-esse gewinnt«, meint matthias minister, »davon kann neuland nur profitieren.« minister ist inhaber und geschäftsführer der neuland-Vermarktungsgesellschaft in radolfzell. er meint: »Wir stehen für ho-hes niveau, also Qualität, sind aber auch nicht bio, also noch bezahlbar. Wenn sie so wollen, ist das der gesunde mittelweg

zwischen markt und Vernunft.« ilse aig-ner, die zuständige Bundesministerin, zählt angeblich ebenfalls zur neuland-Fange-meinde, jedenfalls nutzt sie bei der grünen Woche in Berlin jede gelegenheit, sich vor deren stand fotografieren zu lassen.

stoetze, 15 kilometer östlich von Bad Bevensen. Felder, äcker, Fachwerk. Bau-ernland. es ist halb acht uhr morgens. ge-rald seedorf sitzt in der küche und trinkt kaffee. gleich wird er in den stall gehen und füttern. 200 Vormast- und 300 end-mastschweine hält seedorf, womit er zu den größten schweinehaltern bei neuland zählt. als er die stalltür öffnet, fangen die tiere an zu quietschen und zu trampeln. seedorf wirft den Futterdosierer an. ein mix aus mehreren getreidesorten und erbsen, durchsetzt mit rapsschrot, kar-toffelprotein, mineralien und Vitaminen knirscht durch die rohre, landet staubend in den trögen. Danach wirft seedorf zwei-ge und Plastikbälle in die mit stroh ausge-legten Freigehege. ein teil des strohs wird gefressen und sorgt für Ballaststoffe. Das spielzeug ist wichtig bei sozialkontakten und rangfolgekämpfen, die schweine spie-lerisch austragen. seedorf geht hinüber zur krankenbucht: »habe ich schon von ron-nie erzählt?«

Bauer Seedorfs Schweine haben Namen. Sie hei-ßen Zicke, Krümelchen oder Schweinsteiger. seedorf sagt: »sie haben gefühle, eigen-schaften, eine geschichte, sie sind lebe-wesen, sie brauchen gesellschaft, ab-wechslung und liebe, auch wenn sie produziert werden, um sie zu essen.« Des-halb behandelt seedorf erkältete tiere mit Plantamun, einem homöopathischen Prä-parat auf kräuterbasis, das das immun-system stärkt. ronnie, einem stattlichen Borg, der eine gelenkentzündung hatte, wurde das Futtermehl mit Wasser verdünnt wochenlang per spritze verabreicht. Die gute nachricht: nach vier Wochen konn-te ronnie wieder laufen. Die schlechte nachricht: Der aufwand lohnt sich nicht.

zwar erlöst neuland-Fleisch beim metzger etwa ein Drittel mehr als konven-tionelle Ware, doch bei 2,2 Durchläufen pro Jahr macht seedorf mit 1.400 schwei-nen nach abzug aller direkten kosten ma-ximal 24.000 euro gewinn. Wenn er dazu noch zins und tilgung für den stall sowie den mitgliedsbeitrag bei neuland abzieht, »bleiben am ende 4.000 euro für 2.000

»Nach Abzug aller Kosten bleiben am Ende 4.000 Euro für 2.000 Stunden Arbeit.«Gerald Seedorf, Neuland- Schweinemäster aus Stoetze

Gerald Seedorf, der Mann, der seine Schweine noch beim Namen nennt.

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stunden arbeit«. Das wirtschaftliche überleben sichern ihm die eu-Flächenprä-mie und primär der anbau von getreide. seedorf: »Die schweine sind mein hobby, neuland kannst du ohne überzeugung nicht machen.«

Fleischproduktion ist ohnehin ein komplexes geschäft. und das nicht nur, wie andreas engel erzählt, weil eine hand-voll großunternehmen wie tönnies, Vion und Westfleisch 99 Prozent des marktes und die Preise dominieren. engel war ei-ner von fünf Bauern, die 1988 eine er-zeugergemeinschaft gründeten und als erste das neuland-konzept umsetzten; die erste Fleischerei, die sie akquirierten, war übrigens die von Jürgen Bachhuber in Berlin-Wilmersdorf. seither hat engel, der schweine und gänse nach neuland-richtlinien mästet, erfahren, wie schwer es ist, mit ansprüchen und idealen Fleisch zu produzieren. stark schwankende, zuletzt rapide steigende Futtermittelpreise. kata-strophale umsatzeinbrüche nach jedem Fleischskandal. irrationales konsumen-tenverhalten. »schauen sie«, sagt engel, »wenn ein schwein geboren wird, kann ich noch halbwegs sagen, wann es auf den tel-ler kommt, beim kalb sind das mindestens zwei Jahre, beim rind dauert es nochmal länger.« Doch der markt verlange zuver-lässige und punktgenaue lieferung. und die lässt sich mit den niedrigen neuland-Bestandsobergrenzen schwer erfüllen.

Neulands Produktpalette offenbart daher wei-ter Lücken im Angebot. Produziert werden überwiegend schweine, »aber viel zu we-nig rind«, wie engel sagt, und so gut wie kein kalbfleisch. Bei hühnern sieht es we-nig besser aus. »neuland«, sagt Werner langfeld, Betreiber eines geflügelschlacht-hofs in Wietzen, landkreis nienburg an der Weser, »braucht das weiße Fleisch in seinem sortiment.« und er, langfeld, neu-lands einziger hähnchenmäster in nord-deutschland, würde es sehr gerne liefern. Doch dazu müsste er den Bestand auf etwa 12.000 tiere verdoppeln, um wie-derum den schlachthof rentabel betrei-ben zu können.

kann neuland aus der nische ausbre-chen? Während langfeld nun seit etwa einem Jahr mit neuland über neue Be-standsobergrenzen und Futtervorschriften debattiert, ist in Wietze, etwa 60 kilome-ter von langfeld entfernt, europas größ-ter geflügelschlachthof entstanden. Dort sollen jährlich 135 millionen masthähn-chen geschlachtet werden. Fünf pro se-kunde. Für den nachschub sind in der gegend 400 ställe für je 40.000 mast-hähnchen geplant. langfeld: »Das hähn-chen, das die produzieren, kostet im su-permarkt dann fünf euro, unseres kostet 20 euro – diese Diskrepanz ist schwer zu überwinden.«

Dennoch: sie machen vieles richtig bei neuland. Die marke ist etabliert, sie steht

beim konsumenten vor allem für Vertrau-en. Der konsument ist bekanntlich – das gilt nicht nur für neuland, sondern vor allem für Bio-label – bereit, dafür auch mehr geld zu bezahlen. und es sieht ganz danach aus, als würde neulands geschäft weiter wachsen. matthias minister sagt: »man kann über tierschutz viel reden, ihn zu praktizieren ist eine andere sache, wir beweisen seit 25 Jahren, dass es funktio-niert. Das soll uns die industrie erst mal nachmachen.«

es sieht aber auch ganz danach aus, dass neuland gemessen an den Dimensi-onen des Fleischmarktes ein marginaler sonderfall bleiben wird. Das liegt natürlich an der macht der agrarindustrie, des großhandels, der Discounter, die mittels Werbemillionen auch das konsumenten-verhalten manipulieren können. es liegt aber auch an der Politik, die offenbar nicht willens ist, dem konsumenten zu helfen. »Wir brauchen mehr transparenz«, for-dert martin rücker von Foodwatch in Berlin, »das ist nicht nur beim Fleisch das große manko im lebensmittelbereich. Der konsument kann die Qualität des Produk-tes nicht überprüfen wie beim auto, wo das anhand von technischen Daten mög-lich ist. mangels information bleibt dem konsumenten nur der Preisvergleich, und das ist nicht nur für den Verbraucher ein Dilemma, sondern auch für den Qualitäts-anbieter.« n

Herr der Hühnchen: Werner Langfeld in der neuen Schlachterei

Rinderviertel auf der Schlachtbank der Fleischerei Henke

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E s sind optimierte unternehmens-strukturen, durchdachte abläufe, flache hierarchien und eine intelli-

gente einkaufsstrategie, die das angebot unserer hitstrom- und hitgas-tarife er-möglichen«, verlautbart hitenergie ger-ne. strom- und gaskunden machen ande-re erfahrungen: »nachdem ich meinen stromlieferver-trag fristgerecht zum 1. au-gust 2011 gekündigt hatte und mir dies nach langem hin und her dieser dubio-sen Firma auch bestätigt wurde, warte ich nun schon über sieben monate auf mei-ne Jahresendabrechnung, bei der ich ein guthaben von 150 euro zu erwar-ten habe«, schreibt ein wü-tender stromkunde auf der online-Verbrau cher schutz-seite reclaBox. Die Box ist voll von klagen frustrier-ter kunden gegen die ex-traenergie gmbh, die un-ter den labeln hitenergie und Prioenergie Ökostrom vertreibt. Die schlichtungs-stelle energie in Berlin wird mit Beschwerden gegen das seit 2009 auf dem deutschen markt aktive unternehmen überhäuft. als der WDr im märz erstmals über unseri-öses geschäftsgebaren der Firma berichtete, meldeten sich hunderte zuschauer

bei der redaktion, um ihrem ärger gegen den energieliefe-ranten luft zu machen.

Nur beim Preis ist ExtraEnergie top. Die Firma findet sich mit ihren Produkten bei allen

Preisverglei-chen für strom und gas unter den besten zehn. Doch die günsti-gen Preise haben eine schattenseite: mo-natelang verschleppte Jah-res- und endabrechnungen, abschläge aufgrund »ma-schineller schätzungen«, welche die angaben der kunden weit übersteigen, nicht ausbezahlte neukun-denboni, Preisanhebungen im zweiten Vertragsjahr trotz vereinbarter Preisga-rantie und nicht zuletzt die Weigerung, durch überhöh-te abschläge angehäufte guthaben auszubezahlen. Bei noch laufenden Verträ-gen werden sie mit den mo-natsabschlägen verrechnet, was einem kostenlosen kre-dit des kunden an die Firma gleichkommt.

Jürgen schröder von der Verbraucherzentrale nrW warnt darum, vertraglich nicht abgesicherte Preiserhö-

hungen »auf keinen Fall zu bezahlen«. ge-nerell könne er das Vorgehen des unterneh-mens nicht nachvollzie-

hen: »es ver-dirbt sich selbst

seinen ruf und hält weitere Ver-

braucher davon ab, kunde zu werden.«

gegenüber zeo2 bedauert das unternehmen lediglich, »wenn in ein-zelfällen kunden mit unseren Produkten oder service nicht zufrieden sind und des-halb den Vertrag mit uns kündigen.« man arbeite daran, den service zu verbessern, »damit solche Fälle nicht mehr vorkom-men.«

im internet haben die sich geprellt füh-lenden strom- und gaskunden derweil die nase voll von den aalglatten erklärungen der Firma und unterstützen einander ge-genseitig mit ratschlägen: einzugsermäch-tigung widerrufen und bei überweisungen das eigene guthaben verrechnen, unrecht-mäßig eingezogene lastschriften von der Bank rücküberweisen lassen, nur schrift-lich und per einschreiben mit rückschein mit der Firma verkehren und so fort. Bei überhöhten abschlägen raten sich die Be-troffenen, nur noch den selbst errechneten Betrag zu überweisen. langfristig – so der tenor – helfe aber wohl nur eins: zum nächstmöglichen termin kündigen! n

aalglattes aBWimmelnExtraEnergie, das schwarze Schaf unter den Ökostromanbietern? Die Firma hat zwar oft den billigsten Grünstrom. Verbraucherschützer warnen jedoch vor dem Discount-Anbieter mit den grünen Blättern in der (Glüh-)Birne.

Von Erica Fischer

histoRisch gut

1988 wurde in Deutschland als ers-ter Ökostromanbieter die Naturstrom AG ge-gründet, das Magazin Energie & Manage-ment hat zuletzt 1150 Öko-Strom-Marken ermittelt.

4 MillionenPrivathaushalts, die grünen Strom abneh-men, gibt es heute nach dieser Umfrage – das ist etwa jeder zehnte Kunde in Deutschland. Neben Naturstrom zählen vor allem Lichtblick, Green-peace Energy und die Energiewerke Schönau (EWS) zu den ökologischen Pionie-ren – mit tadellosem Service.

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Politik

V or fast vier Jahren wurde Barack ob-ama als 44. Präsident der Vereinigten staaten vereidigt. zur inauguration

bibberten hunderttausende auf der nati-onal mall in Washington Dc mit, ich ein-geschlossen. obama erklärte, dass der Wis-senschaft wieder mehr gehör verschafft und der klimawandel zurückgedrängt wer-den soll. im Februar 2009 war die hoff-nung groß.

Dann folgte die ernüchterung. Die ar-beitslosigkeit stieg und die republikaner schalteten auf totalblockade. Doch auch ohne den kongress hat obama in seiner ersten amtszeit einiges auf den Weg ge-bracht. mit dem konjunkturpaket hat die regierung investitionen von rund 80 mil-liarden Dollar in »grüne« Projekte gelenkt. neue abgas- und effizienzstandards in Verkehr und industrie setzen wichtige an-reize für die ökologische modernisierung

des landes. schärfere grenzwerte für klas-sische luftschadstoffe wie Quecksilber sorgen dafür, dass alte kohlekraftwerke serienweise in den ruhestand gehen. Jetzt haben die amerikaner obama erneut ins Weiße haus gewählt. Was können wir von seiner zweiter amtszeit in sachen umwelt und klima erwarten?

Noch vor kurzem galt, dass man mit Klimaschutz in den USA keine Wahlen gewinnen kann. Der trend ist gebrochen. kandidaten wie eliz-abeth Warren aus massachusetts und tam-my Baldwin aus Wisconsin haben im Wahlkampf für eine bessere klimapolitik geworben und sich auch deshalb durchge-setzt. in Bundesstaaten wie indiana und missouri haben republikanische kandida-ten der radikalen tea-Party-Bewegung ver-loren, die den klimawandel bagatellisieren. Die league of conservation Voters, eine

auf Wahlkämpfe spezialisierte umwelt-gruppe, hat landesweit erfolgreiche kam-pagnen für kandidaten organisiert, die im nächsten kongress für eine energiewende streiten. Der erfolg ist bemerkenswert, weil die fossile lobby millionen von Dol-lars in die Wahlkämpfe gesteckt hat und jetzt mit leeren händen dasteht. Bei den Wahlen zum kongress hat das klima ein-deutig gewonnen.

Dem trend zum trotz bleibt der kon-gress gespalten. Die Demokraten haben ihre mehrheit im senat zwar ausbauen können. Doch die republikaner kontrol-lieren weiter das abgeordnetenhaus. ob-ama ist auf kompromisse angewiesen. Dass sich die konservativen darauf einlassen, ist bei themen wie der einwanderungsreform vorstellbar. Dass die republikaner ihre klimaschutz-Blockade aufgeben, ist nicht zu erwarten. noch immer hat die kohle-

ein us-PräsiDent kann nicht »grün« seinWas bringt Obama II? Auch im kommenden Februar will unser Autor bei der Amtseinführung wieder mitbibbern – trotz der mageren Klimaschutz-Bilanz des einstigen Hoffnungsträgers. Denn in seiner Umwelt- und Klimapolitik findet der zeo2-Berichterstatter in Washington überraschende Lichtblicke.

Von Arne Jungjohann

Barack Obama als Energie-Guru auf einem Plakat in Shanghai, China. Wird er diesmal liefern?

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und gaslobby einen zu großen einfluss. einen neuen anlauf für ein umfassendes klimagesetz wird es deshalb nicht geben.

Die klimapolitik der usa auf den kon-gress zu reduzieren, springt jedoch zu kurz. es sind die progressiven Bundesstaaten, die Druck von unten machen. einmal mehr ist kalifornien der motor einer energie-wende hin zu den erneuerbaren. Bis zum Jahr 2020 soll ein Drittel des stroms im golden state aus Wasser, Wind und sonne hergestellt werden. zum Jahreswechsel startet kalifornien mit einem eigenen emissionshandel, dem andere staaten und kanadische Provinzen beitreten wollen.

Weiter nördlich an der us-Westküste wurde Jay inslee zum gouverneur des Bundesstaats Washington gewählt. Der ehemalige abgeordnete befürwortet seit Jahren eine Wende zu den erneuerbaren energien und ruft Deutschland zum Vor-bild aus. aber es sind nicht nur die libera-len küstenstaaten, die einen kurswechsel einschlagen. auch im ländlich geprägten iowa oder den Dakotas wird die Wind-kraft rasant ausgebaut. im letzten Jahr wurden us-weit 51 milliarden Dollar in die erneuerbaren energien investiert. Da-mit lagen die usa vor Deutschland und nur knapp hinter spitzenreiter china.

Doch die erfolge verblassen angesichts des neuen Öl- und gasrauschs, in den sich das land stürzt. Die internationale ener-gieagentur (iea) spricht von einer zeiten-wende. neue Bohrtechniken sollen es er-möglichen, unkonventionelle lagerstätten abzubauen – und noch mehr klimaschäd-liches co2 in die luft zu blasen. schon bald würden die usa ihren energiehunger aus der heimischen eigenproduktion stil-len können. erstmals seit den 1950er Jah-ren exportieren die usa mehr Öl als sie importieren – auch, weil der Benzinver-brauch im Verkehr rückläufig ist.

auch die gasindustrie durchläuft einen fundamentalen Wandel. mit Fracking wird erdgas aus schiefergestein gewonnen; ein Prozess, der das grundwasser verseucht

und bislang kaum reguliert ist. inzwischen sind die usa nach russland zum zweit-größten gasproduzenten der Welt aufge-stiegen und decken fast 90 Prozent ihres eigenbedarfs. Der niedrige gaspreis sorgt dafür, dass erdgas die klimaschädliche kohle in der stromerzeugung verdrängt und auf einen dramatischen sinkflug schickt. ihr anteil an der stromerzeugung ist in den letzten fünf Jahren von 51 auf 32 Prozent gefallen. im stromsektor sind die co2-emissionen inzwischen auf den stand der 1990er Jahre zurückgegangen.

trotzdem muss europa sich darauf einstellen, dass die energie- und klimapo-litischen Differenzen mit den usa zuneh-men. Die eu hat sich den umbau zur koh-lenstoffarmen Wirtschaft auf die Fahnen geschrieben. in den usa hingegen wird die

geschichte der billigen fossilen energien, die ihre wahren kosten auf kommende generationen abwälzen, fortgeschrieben. ob das land 2015 einem neuen klimaver-trag mit rechtlich bindenden zielen bei-tritt, steht in den sternen. transatlantische konflikte werden sich verschärfen. Wenn die eu beim nächstbesten Widerstand der amerikaner einen rückzieher macht wie jetzt beim emissionshandel im luftver-kehr, ist das blamabel. statt bei gegenwind zu kneifen, sollte europa seine handelspo-litische stärke nutzen, um klimapolitische interessen durchzusetzen. Das stärkt das ansehen der eu.

Kein Präsident der USA wird nach europäischen oder deutschen Maßstäben jemals ein »grüner« Präsident sein. in den usa wird weiter nach Öl und gas gebohrt werden. obama könn-te selbst den Bau der umstrittenen keys-

tone-xl-Pipeline genehmigen, wenn das Baukonsortium bereit ist, die route zu ändern. Doch wer den Öl- und gasrausch der usa als Beleg dafür heranzieht, dass egal sei ob die republikaner oder Demo-kraten regieren, macht es sich zu einfach. ein Präsident romney hätte schlüsselpo-sitionen der administration mit lobbyis-ten aus der kohle-, Öl- und gasindustrie besetzt, die umweltagentur ePa an die kurze leine genommen und vermeintlich lästige umweltvorschriften abgeschwächt oder gleich ganz aufgehoben.

mit Barack obama wird ein Präsident im Weißen haus regieren, der den klima-wandel als überlebensfrage der mensch-heit zumindest versteht und seine Politik in vielen teilen danach ausrichtet. alte kohlekraftwerke dürften abgeschaltet wer-den, wenn die umweltagentur grenzwerte weiter verschärft. Für das Fracking sollen umweltstandards her. umweltschädliche subventionen sollen in milliardenhöhe gestrichen werden. und der einführung einer co2-steuer werden immerhin au-ßenseiterchancen eingeräumt.

lässt sich aus obamas Wiederwahl ein mandat für mehr klimaschutz ableiten? im Wahlkampf wurde klimapolitik fak-tisch totgeschwiegen. es hängt auch vom Präsidenten selbst ab, ob er einen solchen auftrag für sich reklamiert. immerhin, in der Wahlnacht hat obama vom ziel ge-sprochen, dass »unsere kinder in einem amerika leben, das nicht durch die zerstö-rerischen kräfte eines Planeten bedroht ist, der sich erwärmt.« und in seiner zweiten amtszeit muss er keine rücksichten auf eine Wiederwahl nehmen.

es ist eine kolossale aufgabe, die usa auf klimakurs zu bringen. Dafür müssen enorme ressourcen in der gesamten ge-sellschaft mobilisiert werden. solch ein kraftaufwand muss erklärt werden. oba-mas rede zur inauguration im Februar 2013 wäre ein guter anlass dafür. Dafür würde ich auch wieder in der kälte bib-bern. n

www.ardechereisen.de

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Wanderwochen individuelloder in kleinen Gruppen.

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Der Verband für nachhaltigen Tourismus Hallo Leser/Innen und(ja, das ist so gemeint:) Irlandfreunde!Gratulation!

Zeo2 ist das beste Umweltmagazin – wir können das beurteilen,als taz-Freunde und -Abonnenten der (fast) ersten Stunde. Aberwir haben auch ein „bestes Magazin“: das (www.)irland-journal(.de) – im 23. Jahr ist es ‘Quadratisch – kritisch –gut’. Und: sehr politisch. So wie auch unser Reisebüro

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Infos & Gesamtkatalog:0761-40 12 699 0www.forumandersreisen.de

Es ist eine kolossale Aufgabe, die USA auf Klimakurs zu bringen.

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roll, JorDan, roll!Der heilige, der magische, der mystische Fluss vertrocknet – Wie kann man das Jordantal wiederbeleben, sein Wasser zwischen Israelis und Palästinensern, Jordaniern und Syrern gerechter verteilen und sparsamer damit umgehen? Eine historische Flusskonferenz in Jericho sucht nach Überlebenskonzepten für den stolzen Strom, der zum Rinnsal wurde.

Von Ranveig Eckhoff

Auf dem Podium des konferenzsaals in Jeri-cho spricht ein hoher Beamter der palästi-nensischen Wasserbehörde. Wir dürfen sei-

nen namen nicht nennen. Vor ihm sitzen 200 köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft. Der redner wendet sich aber nur an eine Frau in der ersten reihe. auch ihren namen können wir nicht nennen, wir sind an die strenge hausordnung ge-bunden: Die identität der teilnehmer darf nicht preisgegeben werden, um den Dialog zwischen israelis, Jordaniern und Palästinensern nicht zu gefährden. Die Frau in der ersten reihe ist mit-glied des israelischen Parlaments. sie muss sich einiges anhören. Denn dies ist nicht irgendeine konferenz. es ist ein historisches meeting, ein Durchbruch: zum ersten mal sitzen hochrangige Vertreter der traditionellen Feinde zusammen, um gemeinsam mit naturschützern und experten aus aller Welt die »grenzüberschreitende Wasserpla-nung im unteren Jordantal« zu besprechen, so der

offizielle titel – es geht um den kampf ums Was-ser und um das überleben des Flusses.

»sie kennen uns nicht«, wettert der stimmge-waltige Wasserbeamte und starrt, den oberkör-per vorgebeugt, weiter nur auf die abgeordnete. »19 Jahre lang haben wir in einem haus ohne Wasser gelebt, das ist wie ein haus ohne türen und Fenster. Wir sind gefangene. Wir bekommen für unsere Wasserprojekte keine Baugenehmigun-gen der Behörde. in dieser Behörde sitzen israelis, die uns den Wasserzugang verwehren. Wir leben im kriegszustand, um uns herum israelische sied-lungen und absperrungen. sie, madame, kehren zurück nach tel aviv. sagen sie ihren kollegen: ich habe einen Verantwortlichen getroffen, der nichts zu sagen und zu entscheiden hat.«

Draußen, unweit des Seminarhotels in Jericho, sehen wir die martialische Bestätigung: stacheldrahtzäune, von israelischen militärs kontrolliert, hindern die

Und Lot hob seine Augen an und sah die

ganze Ebene des Jordan, dass sie ganz bewässert

war wie der Garten des Herrn.

❧Genesis 13:10-11

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Der Garten des Herrn ist trocken gefallen: Der Jordan und seine Nebenflüsse führen immer weniger Wasser, jetzt soll ein Masterplan grenzüberschreiten-de Hilfe bringen.

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Jericho-Bewohner, aus dem Jordan auch nur einen tropfen Wasser zu holen. »Wir wollen einen angemessenen anteil dieses Wassers haben«, sagt nader khateeb, der palästinensische Direktor von Friends of the Earth Middle East (Foeme). Das ist die umweltorganisation, die dieses treffen organisiert hat. einen angemessenen an-teil – ein bescheidener Wunsch, aber weit von der realität entfernt. Von der Wassermenge des westlichen Jordantals, die sich israel und Palästina teilen, gehen gut 80 Prozent an israel und 20 Prozent an Paläs-tina. Was die Palästinen-ser zusätzlich brauchen, müssen sie von der isra-elischen Wasserbehörde »mekorot« kaufen. abge-legene Dörfer werden von lastwagen beliefert. Wenn sie aus-bleiben, gibt es für einige zeit kein frisches Wasser.

schon den nebenflüssen des Jordans entziehen die anrainerstaaten syrien, Jor-danien und israel fast das gesamte Wasser. nicht einmal zwei Prozent der ursprüng-lichen menge fließt noch in den Jordan. so ist der magische ur-strom zu einem

verdreckten und verseuchten rinnsal ver-kommen. Die intensiv-landwirtschaft, fehlende kläranlagen, Fischzucht, Dürren und klimawandel haben den Fluss in eine kloake verwandelt. am ende fließen jedes Jahr nur noch 200 millionen kubikmeter Wasser – vor allem abwässer – ins tote meer, dessen Pegel dramatisch sinkt. Von den 1200 millionen kubikmetern, die der

Jordan führt, pumpt israel allein aus dem see genezareth (siehe

karte) 500 millionen ab. ein großer teil fließt in die Bewässerungssysteme der landwirtschaft in der negev-Wüste. Dort wer-den tropische Früchte angebaut – auch für deut-

sche supermarktregale. kritiker monieren, dass 50

Prozent des Wassers in einem sektor versickern, der nur ein Pro-

zent des israelischen Bruttoinlandspro-dukts liefert.

so vertrocknet der Jordan. sein siech-tum macht auch vor dem allerheiligsten nicht halt: Die berühmte taufstelle Jesu, die von touristen besucht wird, ist wahr-scheinlich ein Fake. Der richtige Flussab-schnitt, wo der Prophet Johannes den er-

löser der christenheit taufte, soll auf der jordanischen seite liegen, schwer zugäng-lich und für Besucher nicht empfehlens-wert, auch weil das Wasser dort gefährlich kontaminiert ist.

Dabei war der am niedrigsten gelegene Fluss der erde einst ein einmaliges Öko-system, das viele seltene tierarten behei-matete. es liegt an der zugstraße von 500 millionen Vögeln und markiert eine der ältesten routen menschlicher migration. zugleich hat dieses Flusstal für Juden, christen und muslime einen kaum zu übertreffenden symbolwert, der allemal ausreicht, um seine kandidatur als Welt-kulturerbe zu rechtfertigen, trotz des öko-logischen Desasters. Der antrag läuft.

zu den kritikern der Wasserpolitik ge-hört auch gidon Bromberg, der israelische Direktor von Foeme. es sei nicht normal, dass sein land im sommer so grün sei, Ba-nanen anbaue und tropenobst exportiere, sagt er. Bromberg berichtet von gesprä-chen mit seinem israelischen minister über die ökologische misere des weltberühmten Flusses und seine dringend notwendige sanierung. Der minister habe dafür wenig sympathie gezeigt: »sind sie verrückt? sie irren sich, wenn sie glauben, wir hätten auch nur einen kubikmeter Wasser übrig, um ihn in den Jordan zu kippen. sie sind ein träumer!«

Es sind eigentlich drei Träumer: die drei Direk-toren der Freunde der Erde – ein Palästinenser, ein Israeli, ein Jordanier. sie genießen ihre seltenen siege. einer davon ist diese in der kriegerischen geschichte ihrer länder ein-malige konferenz. man hat sich die hände geschüttelt. man hat gemeinsam die Pfüt-zen des Jordans besichtigt. israelis haben palästinensische siedlungen besucht. und vor allem hat man sich über den ökologi-schen masterplan für das untere Jordantal informieren lassen – eine Forschungsarbeit

Die Drei von der Wasserstelle. Die Direktoren von »Freunde der Erde Middle East«: der Israeli Gidon Bromberg, der Palästinenser Nadel Khateeb und der Jordanier Munqeth Mehyar (von links).

Zu der Zeit kam aber Jesus aus Galiläa

an den Jordan zu Johannes, dass er sich von

ihm taufen ließe.

❧Matthäus 3.13

Und die Karawane zieht weiter: Ein Kunstobjekt erinnert an das Jordantal als eine der ältesten Routen menschlicher Migration.

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Stacheldraht und Grenzanlagen sind allgegenwärtig im Jordantal: Ende November hatte sich der Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern dramatisch verschärft.

Ein richtig breiter Fluss: Umweltkämpfer Gidon Bromberg mit einer histo-rischen Aufnahme vom wasserreichen Jordan.

schwedischer Wasserexperten, unterstützt vom Global Nature Fund.

kernpunkt aller maßnahmen ist das ziel, dem geschundenen Fluss 400 bis 600 millionen kubikmeter hochqualitatives süßwasser zurückzugeben. Damit er wie-der fließen kann. »roll, Jordan roll!«, heißt die englischsprachige Beschwörungs-formel. nur: Woher soll das Wasser kom-men? Darüber wird heftig diskutiert. aus entsalztem meerwasser? Durch Wasser-sparen? Die Wiederverwendung von Was-ser in kreisläufen? Den einsatz von grau-wasser in toiletten und Bewässerungsan-lagen? Durch ökologischen landbau mit wassereffizienten methoden? Foeme hat ausgerechnet, dass mehr als eine milliarde kubikmeter Wasser mit solchen um-

weltstrategien gespart werden könnten. Dies wäre weit billiger als die teure meer-wasserentsalzung. Doch es gibt viele hindernisse: etwa die einstellung der israelischen Behörden, dass dieses the-ma »sehr kompliziert« ist und nicht in die Öffentlichkeit passt. Dazu die niedrigen Wasserpreise und die ent-nahme von Fluss- und seewasser ohne gebühren und ohne kon-trollen.

aber es geht im Jordan-tal nicht nur um ökolo-gische reha-maß-nahmen für den Fluss. es geht auch um palästi-nensische rechte

JordanienTotes Meer

Syrien

Israel

Libanon

See Genezareth

Jordan

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Verrostete Träume: Hier im Mündungsgebiet des Nebenflusses Yarmouk soll das alte Wasserwerk wieder aufgebaut werden.

Ramon Ben Ari, Chef der israelischen Wasserbe- hörde »Jordan Drainage Authority«, trinkt demonstrativ einen Schluck Quellwasser aus dem Einzugsgebiet des Jordan.

DER JoRDan

heißt sinngemäß übersetzt: herabstei-gender Fluss. Seit der Landnahme des Volkes Israels bildete der Jordan die Grenze. Ihr Überschreiten gilt als Heimgang: die Rück-kehr aus dem Feindes-land zurück ins »Land der Verheißung« – auch eine Metapher für das Sterben. Im Deut-schen heißt es deshalb auch »über den Jordan gehen«.

170 Kilometer dehnt sich – in Luft-linie gemessen – der Fluss in Nord-Süd- Richtung aus. Doch inklusive aller Kur-ven und Krümmun-gen misst die reale Länge 250 Kilometer. Mit den beiden Seen Genezareth und Totes Meer füttert der Jor-dan gleich zwei große Binnengewässer.

120 Kilometerlang und 15 Kilometer breit ist das eigentli-che Jordantal. Der Jor-dan ist die wichtigste Süßwasserquelle für Israel, aber auch für Jordanien.

und damit um den Frieden. Wie kann man natur und umwelt, kultur, lebensqualität und den Frie-den gleichzeitig fördern? Der jordanische Foeme-Direktor munqeth mehyar ist verantwortlich für den Sharhabil Bin Hassneh Ecopark, ein Pilot-projekt, um ökologisch wichtige habitate des Jordantals neu zu beleben. Der ort, südlich des tiberia-sees, ist strategisch gewählt. es ist jorda-nisches land, dort, wo der nebenfluss Yarmouk auf den Jordan trifft. ganz in der nähe stehen drei Brücken: eine 2.000 Jahre alte römische Brü-cke, eine britische mandatsbrücke, auf der Busse den Fluss überquerten und dazu eine ottomani-sche zugbrücke, über die früher täglich züge zwischen haifa und Damaskus verkehrten. am ufer ist noch die alte zugstation zu sehen mit ei-nem wunderbaren graffiti: »Wo bleibt denn der verdammte zug!« Vor einigen Jahrzehnten floss hier genug Wasser, um 40 Prozent des stroms für das damalige Palästina zu erzeugen. heute steht das alte Wasserkraftwerk schweigend und ver-rostet in der sengenden sonne. Das Betonskelett kann nicht einmal ein hamsterrad antreiben, aber es existiert noch. und die Freunde der erde wol-len es jetzt restaurieren.

Das palästinensische auja-ausbildungszent-rum, zehn kilometer nordöstlich von Jericho, ist eine weitere gute adresse. hier ist der palästinen-sische Direktor nader khateeb zuständig. er hat viel zu erzählen. Das auja-Dorf hat gut 5.000 einwohner, die um ihre existenz kämpfen. le-benswichtig ist die auja-Quelle, die bis 1967 für eine blühende landwirtschaft sorgte, inzwischen aber kein Wasser mehr liefert. seit der israelischen Besatzung hat auja keinen zugang zum Jordan. nicht nur die Wasserversorgung, auch die ab-wasserentsorgung ist schlecht. es gibt weit und breit keine kläranlage. noch nicht. in gaza soll jetzt eine unterwegs sein, mit geld aus dem aus-land. Bis sie aufgebaut ist, fließen die abwässer

in senkgruben, wo sie das grundwasser vergiften und schließlich im Jordan landen. allein in auja gibt es 700 senkgruben.

Zu all diesen Übeln existieren Millionen Kubikmeter Ak-ten; es gibt mehr Papier als Wasser im Fluss, heißt es. als der schriftsteller mark twain vor über 100 Jahren eine reise ins Jordantal unternommen hat, soll er geweint haben. Der »mächtige« Jordan war schon damals in kritischem zustand. heute ist er ein rinnsal. heiliges Wasser? Vielleicht. er-holsames Wasser? kaum. Wasser überhaupt? ge-legentlich. ausländische Besucher blicken scho-ckiert in das weite ausgetrocknete tal. Die touristen zieht es vor allem zum toten meer. Das Wasser hat hier besondere heilkräfte; auch eini-ge deutsche krankenversicherungen übernehmen die kosten für kur-aufenthalte.

noch immer ist es eine attraktion, entspannt im Wasser liegend die zeitung zu lesen und die kosmetischen Produkte aus den mineralien des toten meeres zu kaufen. es ist das salzigste und

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Autorisierte Badestelle am Toten Meer: Der berühmte See gilt als das salzigste und mineralstoffreichste Gewässer weltweit. Sein Wasserpegel ist in den vergangenen Jahren stark gefallen.

Wissen, was los ist. Nutzen, was läuft.Alle 14 Tage neu:

Giftfreier Balgen

Die Stadt Köln hat neue Anforderungen für Spielzeug und Mobiliar in Kinder-

gärten und Grundschulen festgelegt. Kin-der bis zehn Jahren sollen möglichst ohne fortpflanzungsschädliche Stoffe in Möbeln, Spielzeug sowie Sport- und Spielgeräten aufwachsen. Darin sind bislang für Kitas und Schulen Schwermetalle wie Cadmium, Blei oder Quecksilber und Holzschutzmit-teln wie Pentachlorphenol (PCP) verboten. Von nun an gilt der Bann aber auch für Bis-phenol A und einige Phthalate. Des Wei-teren verlangt die Stadt, dass alle für Mö-bel und Spielgeräte verwendeten Textilien den Kriterien des Öko-Tex-Labels „Textiles Vertrauen“ entsprechen und nur emissions-arme Holzprodukte eingesetzt werden.

Die Kriterien zur Beschaffung wurden zwischen den Kölner Ämtern für Gesund-heit, Vergabe, Schule sowie Kinder und Jugend abgestimmt. Diese Vorgaben, sagt Gerhard Wiesmüller vom Kölner Gesund-heitsamtes, „sind meines Wissens einzig-artig“. Sie gelten für 255 städtische Kitas und 141 Grundschulen. Da die Stadt die Einkaufskriterien auch auf ihrer Websei-te veröffentlicht, können sich auch private und kirchliche Träger von Kindergärten und Grundschulen daran orientieren.

Der Stadt geht es um Vorsorge. Bisphenol A und Phthalate sind akut zwar kaum gif-tig, wirken aber auf das Hormonsystem, können Leber und Niere schädigen und die Entwicklung von Kleinkindern stö-ren. Hausstaubproben aus 223 Kitas, die der BUND 2010 und 2011 untersuchen ließ, zeigten, dass Kitas im Schnitt fast dreimal so hoch mit Phthalaten belastet sind als ein durchschnittlicher Haushalt. Die Auswer-tung zeigte, wie die Belastung niedrig ge-halten werden könne, sagt Sarah Häuser vom BUND. „Verzichtet eine Einrichtung etwa auf PVC-haltige Fußbodenbeläge und Einrichtungsgegenstände, finden die Prü-fer tendenziell weniger Weichmacher.“

In Köln sollen aber nicht alle Spielzeuge, Stühle und Turnmatten, die diese Sub-stanzen enthalten, sofort ersetzt werden. „Die Kriterien gelten für Neuanschaf-fungen“, sagt Wiesmüller. Zudem können laufende Rahmenverträge mit Lieferanten nicht nachträglich angepasst werden. „Unsere Kinder können künftig freier von Schadstoffen spielen und tollen“, freut sich die

jugendpolitische Sprecherin der Kölner Grünen und Mutter von drei Kindern, Kirsten Jahn. Fortsetzung auf Seite 2

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Giftfreier Balgen

D ie Stadt Köln hat neue Anforderungen

für Spielzeug und Mobiliar in Kinder-

gärten und Grundschulen festgelegt. Kin-

der bis zehn Jahren sollen möglichst ohne

fortpflanzungsschädliche Stoffe in Möbeln,

Spielzeug sowie Sport- und Spielgeräten

aufwachsen. Darin sind bislang für Kitas

und Schulen Schwermetalle wie Cadmium,

Blei oder Quecksilber und Holzschutzmit-

teln wie Pentachlorphenol (PCP) verboten.

Von nun an gilt der Bann aber auch für Bis-

phenol A und einige Phthalate. Des Wei-

teren verlangt die Stadt, dass alle für Mö-

bel und Spielgeräte verwendeten Textilien

den Kriterien des Öko-Tex-Labels „Textiles

Vertrauen“ entsprechen und nur emissions-

arme Holzprodukte eingesetzt werden.

Die Kriterien zur Beschaffung wurden

zwischen den Kölner Ämtern für Gesund-

heit, Vergabe, Schule sowie Kinder und

Jugend abgestimmt. Diese Vorgaben, sagt

Gerhard Wiesmüller vom Kölner Gesund-

heitsamtes, „sind meines Wissens einzig-

artig“. Sie gelten für 255 städtische Kitas

und 141 Grundschulen. Da die Stadt die

Einkaufskriterien auch auf ihrer Websei-

te veröffentlicht, können sich auch private

und kirchliche Träger von Kindergärten

und Grundschulen daran orientieren.

Der Stadt geht es um Vorsorge. Bisphenol

A und Phthalate sind akut zwar kaum gif-

tig, wirken aber auf das Hormonsystem,

können Leber und Niere schädigen und

die Entwicklung von Kleinkindern stö-

ren. Hausstaubproben aus 223 Kitas, die

der BUND 2010 und 2011 untersuchen ließ,

zeigten, dass Kitas im Schnitt fast dreimal

so hoch mit Phthalaten belastet sind als ein

durchschnittlicher Haushalt. Die Auswer-

tung zeigte, wie die Belastung niedrig ge-

halten werden könne, sagt Sarah Häuser

vom BUND. „Verzichtet eine Einrichtung

etwa auf PVC-haltige Fußbodenbeläge und

Einrichtungsgegenstände, finden die Prü-

fer tendenziell weniger Weichmacher.“

In Köln sollen aber nicht alle Spielzeuge,

Stühle und Turnmatten, die diese Sub-

stanzen enthalten, sofort ersetzt werden.

„Die Kriterien gelten für Neuanschaf-

fungen“, sagt Wiesmüller. Zudem können

laufende Rahmenverträge mit Lieferanten

nicht nachträglich angepasst werden.„Unsere Kinder können künftig freier von Schadstoffen spielen und tollen“, freut sich die

jugendpolitische Sprecherin der Kölner Grünen und Mutter von drei Kindern, Kirsten Jahn.

Fortsetzung auf Seite 2

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Da sandte Elischa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Gehe hin

und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir

dein Fleisch wieder rein werden.

❧2. Könige 5.10

Anzeigemineralstoffreichste gewässer der Welt mit einer einmaligen mischung von Bromid, Potassium, magnesium und salz – ergebnis einer über millionen Jahre andauernden schrump-fung. einst reichte das tote meer vom mittelmeer bis zur Bucht von akaba. in Jahrmillionen trocknete das Wasser aus und hinterließ salzablagerungen am Boden. hier gibt es aber auch Wüstenoasen, die ein perfekter lebensraum für gazellen, Füchse, ja sogar für leoparden sind. Jetzt gefähr-den der massentourismus und die industrielle mineralien-gewinnung diese einmaligen orte. Die größte gefahr aber bleibt der kranke Jordan. Die genesung des toten meer ist untrennbar mit der ökologischen Wiederauferstehung des Jordantals verbunden.

natur und umwelt haben in solchen krisengebieten eine fast aussichtslose Position, aber für Pessimismus haben die aktivisten im Jordantal keine zeit. so klingt das schlusswort des israelischen Freunde-der-erde-Direktors gidon Bromberg auf der konferenz trotz aller Probleme am ende doch noch optimistisch: »Der traurige zustand des Jordantals hat seine ursache in einer unkontrollierten konkurrenz zwischen staa-ten, die um das süßwasser streiten. es ist eine konkurrenz zwischen den landwirtschaften dieser staaten, in denen das meiste Wasser verschwindet. Die großen Verlierer sind neben den anwohnern die natur und der tourismus, weil der Fluss im sommer über weite strecken völlig austrocknet. aber die-se konferenz ist ein großer Fortschritt. Wir sind ein labora-torium und die arbeit geht weiter. und bald werden wir nicht mehr ‚kollaborateure‘ genannt, wenn wir mit ‚dem Feind‘ gemeinsam nach lösungen suchen.« Die lage ist schwierig, aber womöglich ist die rettung des Jordantals ja realistischer als der Friede im nahen osten. Der scheint im augenblick weiter entfernt denn je. solange raketen und Bomben flie-gen, gibt es am Jordan keinen masterplan. n

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Blick in Die Welt

ein Bisschen Was zu Feiern Erfolg der Biodiversitätskonferenz nach schwerenVerhandlungen – Die Delegierten im indischen Hyderabad haben beschlossen, die Ausgaben der Industrieländer für den Artenschutz zu verdoppeln und den Schutz der Meere zu stärken.

Von Latha Jishnu üBersetzung Bettina Seifried

a n nagoya reicht hyderabad nicht heran. Die 10. Vertragsstaatenkon-ferenz (coP-10) zum schutz der bio-

logischen Vielfalt (cBD) in Japan 2010 war ein riesenschritt nach vorn. Dort hat das so genannte nagoya-Protokoll im kampf gegen die Biopiraterie die gerechte auftei-lung der nutzung genetischer ressourcen festgeschrieben.

Der konferenz in indien waren schlechte nachrichten vorausgeeilt: aus dem »Protected Planet report 2012« des sachverständigenrats des un-umweltpro-gramms, geht hervor, dass weltweit weite-re sechs millionen Quadratkilometer Was-ser- und küstengebiete offiziell als schutz-zonen anerkannt werden müssten, um die ziele zur artenvielfalt zu erreichen. Das entspricht der zehnfachen Fläche mada-gaskars.

und wenn – wie in Japan beschlossen – bis 2020 ein netz von schutzzonen ent-stehen soll, das 17 Prozent landfläche und 10 Prozent der meere umfasst, dann müss-ten weitere acht millionen Quadratkilo-meter meeres- und küstengebiete unter schutz kommen – mehr als die Fläche aus-traliens.

Bestürzend auch, dass die hälfte der ökologisch bedeutsamsten gebiete mit der größten biologischen Vielfalt nach wie vor nicht als schützenswert anerkannt wurden. auch wenn die schutzfläche zuletzt um 60 Prozent gestiegen ist.

Da war klar, dass die 11. Vertragsstaatenkonfe-renz in Hyderabad (CoP-11) zur Ochsentour wer-den würde. Denn nun ging es um konkrete schritte, wie ältere Beschlüsse umgesetzt und finanziert werden sollten. ein hartes stück arbeit. Bereits im Vorfeld hatte der generalsekretär des cBD, Braulio Ferreira

de souza Dias, betont, dass es in hydera-bad vor allem um geld und Finanzpläne gehen werde. Die weltweite Finanzkrise und der durch die Folgen des tsunami stark belastete japanische etat haben die Debat-

te um die benötigten mittel nicht leichter gemacht. geschätzt wird, dass jährlich zwi-schen 150 und 440 milliarden us-Dollar bereitgestellt werden müssen, um die in nagoya verabschiedeten Biodiversitätszie-

Korallenriffe sind Hotspots der Biodiversität. Ihre Bedrohung durch den Klimawandel wurde auf der Konferenz noch mal bestätigt.

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le bis zum Jahr 2020 tatsäch-lich zu erreichen.

nach einer langen nächt-lichen Verhandlungsrunde wurde am 20. oktober um zwei uhr früh schließlich der hart errungene kompromiss verkündet. es war der hö-hepunkt einer diesmal eher schwach besuchten zusam-menkunft mit knapp 6.000 teilnehmern, darunter 77 umweltminister sowie der indische gastgeber, Premier-minister manmohan singh. er verkündete die ratifizie-rung des nagoya-Protokolls und sicherte weitere 50 mil-lionen us-Dollar aus seinem regierungsetat zu, die indien für Biodiversitätsstrategien und für den schutz der biologischen Viel-falt einsetzen will.

Beim geld verlaufen die konfliktlinien entlang des üblichen nord-süd-grabens. Bereits während der konferenz 2010 in nagoya forderten die entwicklungsländer ein schlüssiges Finanzierungskonzept und wollten auch ein controllingsystem ein-richten, das verlässlich über die tatsächli-che Bereitstellung von geldern für Biodi-versität berichtet. statt konkrete zahlen vorzulegen, wurde 2010 aber vor allem über technische Details gestritten, etwa darüber, welche Basiswerte für die Finan-zierungsverpflichtungen gelten sollen.

in hyderabad klagten die Philippinen als sprachrohr des südens, dass der schutz der artenvielfalt von den entwicklungs-ländern immer größere anstrengungen fordere. Bei der Finanzierung stecke man »in einem Prozess fest, der am ende nur auf eine Wiederauflage der herkömmlichen entwicklungshilfe hinausläuft.«

Die g 77 – ein loser zusammenschluss von entwicklungsländern – und china

verwiesen darauf, dass sie »von den Vertragspartnern aus den reichen ländern des nordens im gegenzug zu eigenen leistungen er-warten, sich auf fest umris-sene Finanzierungsziele und -verpflichtungen festzule-gen und gleichzeitig einen Finanzierungsplan mit kla-ren zielmarken und kon-kreten zeitlichen abläufen für den nötigen Finanz-transfer« vorzulegen. sonst gehe wertvolle zeit verlo-ren. »Das ist nicht in unse-rem sinne und hoffentlich auch nicht im interesse der entwickelten länder«, ver-lautete es seitens der g 77.

indiens Beharren führte schließlich zu einem interimsabkommen. es wurde vereinbart, die gelder der indus-trienationen zu verdoppeln und ein Be-richtssystem zur höhe der ausgaben für den erhalt der biologischen Vielfalt zu

verabschieden. Bleibt zu hoffen, dass spä-testens 2014 auf der nächsten artenschutz-konferenz in südkorea auch konkrete zielmarken festgeschrieben werden.

Basis der Verdopplung der nationalen ausgaben bis 2015 ist der zeitraum 2006 bis 2010. alle Vertragsstaaten verpflichten sich, die mittel in ihren eigenen ländern zu erhöhen. auch die zahl der länder, die den erhalt der artenvielfalt verbindlich in ihre nationalen Vorgaben aufnehmen und

Down to Earth: Das indische Umwelt- und Wissenschafts-magazin mit seiner renommierten Heraus-geberin Sunita Narain ist Kooperationspart-ner von zeo2. Wir tauschen Artikel und Ansichten zu globalen Umweltfragen aus.

dadurch auch bis 2015 finanzieren müs-sen, steigt. Die umsetzung soll 2014 über-prüft werden.

Auch wenn die Verhandlungen zäh waren – in wichtigen Punkten wie dem Küsten- und Mee-resschutz wurden dann doch Fortschritte erzielt: vor allem bei exterritorialen gebieten wie der sargassosee, dem tonga-archipel und den korallenriffen vor der küste Brasili-ens. neu ist die Festlegung einer reihe von meereszonen, die für ihren außerordent-lichen artenreichtum bekannt sind und fortan als »ökologisch und biologisch be-deutsam« gelten – eine wichtige klassifi-zierung im ringen um den erhalt der ar-tenvielfalt. außerdem wurde beschlossen, Biodiversität in zukunft bei infrastruktur-planungen und Bauvorhaben in küsten- und meeresgebieten als kriterium in die umweltverträglichkeitsprüfung einzube-ziehen. Die konferenz hat auch die schäd-lichen Folgen des klimawandels für ko-rallenriffe bestätigt, deren eindämmung ebenfalls erhebliche kosten verursachen wird.

ein kleines Bonbon hatte die konfe-renz für indiens Forst- und umweltminis-terin Jayanthi natarajan. zuhause muss sie zurzeit gegen eine geplante Behörde zur Beschleunigung von genehmigungsverfah-ren kämpfen – das neue amt hätte fatale auswirkungen für den naturschutz. auf der konferenz haben nun indien und afri-kanische länder erstmals in aussicht ge-stellt, mehr mittel für den naturschutz auszugeben als bloß die nationale kernfi-nanzierung zur umsetzung der Biodiver-sitätsziele, zu der sie sich ohnehin ver-pflichtet haben – ein bislang beispielloser Vorgang.

im anschluss an Japan hat indien nun den cBD-Vorsitz, es muss den umset-zungsprozess ausgestalten und die bisher erzielten Fortschritte konsolidieren. ein-fach wird das nicht. n

»Indien will mehr Geld für Naturschutz ausgeben als es verpflichtet wäre – ein Novum.«

5-Sterne-Ökostrom: Das machen wir!Ursula und Michael Sladek haben nach Tschernobyl gemeinsam mit anderen das örtliche Stromnetz freigekauft und liefern heute bundesweit Ökostrom.Infos unter: www.ews-schoenau.de

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»ich War Der anFührer Von 40 Jägern«Ausstiegsprogramm für Wilderer in Kamerun – Daniel Akala aus Batoké erzählt von seinem alten und neuen Leben, vom Töten der Tiere im Dschungel und von seiner Arbeit als Futterbeschaffer für die Affenwaisen der Auffangstation Limbé.

auFgezeichnet Von Martin Kaluza

M ein name ist Daniel akala, ich bin 45 Jahre alt. ich arbeite für das limbé Wildlife center, eine

auffangstation für affenwaisen im süd-westen kameruns. Die meisten affen hier haben ihre elterntiere durch Wilderei ver-loren. meine aufgabe ist es, Futter für die affen zu beschaffen: aframomum ist die wichtigste Futterpflanze. ich bin der chef einer gruppe von 36 leuten, die in sechs teams arbeiten. Wir sammeln die Pflanzen in sechs verschiedenen gebieten, immer montags, mittwochs und freitags. Früher waren wir selbst Jäger und Fallensteller, wir haben illegal gejagt – schimpansen, gorillas, Paviane, mandrills, auch stachel-schweine und antilopen. Bei uns arbeiten auch acht Frauen. heute müssen wir dank des aussteigerprogramms nicht mehr ja-gen.

seit 45 Jahren lebe ich in Batoké, ei-nem Dorf in der nähe von limbé. ich bin dort aufgewachsen, und ich werde dort alt. ich habe sechs kinder, ganz nach af-rikanischer tradition. mein Vater war schon Jäger, und auch ich habe seit meiner schulzeit gejagt. Die schule habe ich 1976 abgeschlossen. mit dem Jagen habe ich 1996 aufgehört. in meinem Dorf waren wir früher 40 Jäger, und ich war ihr an-führer. als die idee aufkam, aframomum zu sammeln, waren die leute froh, denn das Projekt ermöglicht es ihnen, ihre kin-

der zur schule zu schicken. in besonders schwierigen zeiten können wir schon montags in das Büro der auffangstation gehen und einen Vorschuss auf das gehalt bekommen, das eigentlich erst am Freitag

fällig wäre. es ist ein gutes system, die mitarbeiter sind gern dabei.

Einige Männer in meiner Gruppe haben zwei Frauen und zwölf Kinder. Die meisten haben nur eine Frau, wie ich. Wir brauchen eine menge geld, denn gerade hat die schule angefangen. ich war krank und habe vor einiger zeit meinen Bruder verloren. Von dem wenigen geld, das ich gespart hatte, ist nun nichts mehr übrig. Deswegen ge-hen jetzt nur drei meiner kinder in die schule. Die anderen drei bleiben zuhause, weil das geld nicht reicht.

als ich noch zur schule ging, konnte man vom Dorf aus die schimpansen schreien hören, die im Wald lebten. man konnte auch die geräusche von anderen affen hören, immer gegen vier uhr nach-mittags. man hörte fünf, sechs, manchmal sieben rudel von affen, die um diese zeit Früchte für ihre letzte mahlzeit sammel-ten. Vor 15 Jahren, als das aframomum-Projekt startete, waren die tiere schon selten geworden. man hörte höchstens noch ein rudel um die gewohnte uhrzeit. es machte sich bemerkbar, dass so viele getötet wurden.

Bushmeat, das Fleisch von wilden tie-ren aus dem Wald, ist für uns kameruner ein besonderer genuss, aber man be-kommt es nicht mehr auf legalem Weg. Früher konnte man die tiere jagen, doch

natur

Vor allem große Tiere wie Gorillas werden von Wilderern geschossen. Eine Patrone ist teuer, und ein großes Tier bringt mehr Fleisch.

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WER WENIG WEISS, MUSS VIEL GLAUBEN

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Plötzlich sind fast alle Unternehmen grün. Das können wir irgendwie nicht glauben – und fragen lieber nach. In klassischen Medien fehlt heute oft die Zeit für fundierte Recherche. Mit einem Team erfahrener Journalisten rücken wir Greenwashing ins Licht der Öffentlichkeit.

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das wurde verboten. Die gebildeten leute eines umweltprojekts kamen und haben uns erklärt, dass es nicht gut ist, tiere wie gorillas, schimpansen oder antilopen zu töten. Bevor umweltgruppen hier begon-nen haben, die Wilderei zu kontrollieren, gab es eine hütte, in der Pepe soup ver-kauft wurde (eine stark gewürzte Fleisch-suppe – die red.), eine spezialität aus ka-merun. Dort wurde mit affenfleisch ge-kocht, und abends konnte man mich dort oft antreffen. Die Pepe soup-hütte wurde dann aber verboten. seitdem wurde af-fenfleisch nur noch illegal verkauft. Früher gab es in Batoké acht, neun Frauen, die Bushmeat von verschiedenen tieren zube-

reitet haben. Für leute, die es mögen, wird es immer schwieriger. Wenn irgendwo ein kleiner stand mit Bushmeat öffnet, wird er schnell wieder geschlossen.

auch die Wilderei wurde immer ge-fährlicher, die Wildhüter verfolgten uns,

wir mussten uns vor ihnen verstecken. Wenn du an der landstraße auf ein Busch-taxi gewartet hast, um wieder nach hause zu kommen, und dich hat einer der Förster erwischt, dann hat er dir sofort die tiere abgenommen, für die du dich tagelang he-rumgeplagt hast. Deshalb haben die Wil-derer kein taxi mehr genommen. Wir mussten alles, gepäck und Beute, zu Fuß nach hause tragen. irgendwann wurden die Distanzen, die wir zurücklegen muss-ten, zu groß. Wir waren manchmal zwei, drei tage unterwegs. es wurde schwierig, das schulgeld für die kinder zusammen-zubekommen.

Früher als Jäger bin ich jede Woche an zwei Ta-gen in den Wald gegangen und habe 15 Affen mitgebracht, drei Stachelschweine, vier Schup-pentiere und einen Ducker, das ist eine Wald-antilope. aber dann wurden die tiere ängstlicher. Wenn ich alle drei bis vier tage in den Wald gegangen bin, habe ich nur noch drei affen und zwei stachelschweine erlegt. Das wurde für mich sehr anstren-gend. Jetzt mit dem ausstiegsprogramm ist es leichter. es ist auch viel angenehmer,

Vom Wilderer zum Affenpfleger: Daniel Akala hat einen neuen, unblutigen Job gefunden.

Atur, es re venduntur? Quibeaq uatecate quo ommod quam, quam quatur maiori.

»Das Fleisch wilder Tiere aus dem Wald ist für uns ein besonderer Genuss.«Daniel Akala

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1999 war das Grün-

dungsjahr. Seitdem werden im Wildlife-Center nahe der Hafen-stadt Limbé Affen-waisen aufgepäppelt. Rund 200 Schimpan-sen, Gorillas, Drills, Mandrills, Paviane und Meerkatzen finden hier Zuflucht. Die deutsche Tierschutzorganisation Pro Wildlife unterstützt die Auffangstation aus Spendengeldern. (www.prowildlife.de)

Aframomum wird auch Guineapfeffer oder Paradieskorn genannt. Gorillas und andere Affen lieben das Ingwergewächs.

ich schlage mir nicht mehr die nächte um die ohren wie auf der Jagd. nach drei arbeitstagen habe ich meinen Wochenlohn zusammen. als Jäger habe ich oft ein, zwei Wochen gebraucht, um 20.000 oder 30.000 Francs (30 oder 45 euro) zu verdienen.

Wir Jäger mussten natürlich teure munition kaufen. in einer Packung waren 25 Patronen. es waren am ende aber immer mehr Jäger un-terwegs, das hat die tiere erschreckt. Du konn-test vier, fünf-, sechsmal schießen, du hast nicht einen affen erwischt, weil sie ständig weggelau-fen sind. mit dem Fallenstellen war es nicht bes-ser. Du hast viel geld investiert, die Fallen im Wald ausgelegt, und dann haben die Wildhüter sie eingesammelt oder zerstört. Das war ermü-dend. Jetzt haben wir ein besseres leben. in den letzten zehn oder zwölf Jahren haben sich auch die tierbestände wieder spürbar erholt.

Nicht alle ehemaligen Jäger konnten in dem Aframo-mum-Projekt arbeiten. Die auffangstation hat

überlegt, auf welch’ andere Weise man ihnen den lebensunterhalt sichern könnte. so gaben sie vier ehemaligen Wilderern hühner zur auf-zucht. es ist allerdings nicht so einfach, hühner

aufzuziehen. ab einem gewissen alter fressen sie in wenigen tagen einen ganzen sack Futter für 15.000 Francs. Jäger sind nicht gut darin, das im griff zu behalten. man gab uns zwei schweine und jedem 43 hühner. Die Jäger ha-ben die hühner und schweine anderthalb mo-nate lang gefüttert, dann ging ihnen das Futter aus. Das Programm wurde also wieder einge-stellt, die vier hühnerhalter gehen jetzt wieder auf die Jagd.

es gibt hier kaum andere möglichkeiten, geld zu verdienen. Die einen wachsen in armen Familien auf, die anderen in reichen. Wenn Va-ter und mutter nicht mehr leben, wissen die kinder aus reichen Familien nicht mehr, wie man landwirtschaft betreibt und schwere arbeit ver-richtet. Viele von ihnen gehen dann wildern. Wer gelernt hat, wie man ein Feld bestellt, kann ein wenig landwirtschaft betreiben. Das ist aber nicht einfach in heutigen zeiten, weil das land bereits vergeben ist. Du musst ein stück land kaufen, um darauf zu arbeiten. Pro hektar kos-tet das 300.000 Francs. Wenn du kein geld hast, kannst du einen kleinen acker von 20 mal 20 metern pachten, das kostet dann Jahr für Jahr 50.000. Das ist so teuer, dass sich viele das nicht leisten können.

Was aber immer noch funktioniert, ist die aframomum-ernte. Die Pflanzen bauen wir nicht an, wir holen sie nur aus dem Wald. es ist ein Wald, der seit Jahren nicht kultiviert wur-de. noch dürfen wir dort aframomum holen, doch die leute, denen das land gehört, kulti-vieren es zunehmend, um Palmen anzupflanzen. es ist schon abzusehen, dass aframomum knapp wird, wenn wir nicht lernen, es selbst anzupflanzen. n

»Noch dürfen wir die Futter- pflanzen holen, doch die Landbesitzer wollen Palmen anpflanzen.«Daniel Akala

Futterbeschaffung im Dschungel: Daniel Akala und sein Team suchen am Fuß des Kamerunberges nach den Lieblingspflanzen der Affen.

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Verkehr

leichtFüssig zu hänDelnIm zeo2-Mobilitätstest: Fliz, das Laufrad für Erwachsene – Zwei Studenten entwickeln ein witziges, katzenbuckeliges Fahrzeug, freuen sich über Designpreise, Lob und Spott – und fahnden nach dem Alltagsnutzen.

Von Bernd Müllender

i m lauschigen Park am stadtgottesacker von halle an der saale sind die übli-chen hilfsmittel zur Fortbewegung un-

terwegs: Fahrräder, kinderwägen, lauf-rädchen, mal ein Board, ein scooter. und: ein Fliz! Das einzige der Welt. Fliz ist ein laufrad für erwachsene. Der Prototyp ist grellgelb, sieht aus wie die karikatur einer katze, mit extrembuckel. ein menschliches Wesen hängt angeschirrt unter dem rah-men und läuft mit großen zeitlupenschrit-

ten durch die bunt gefärbte herbstliche stadt.

zum katzenbuckelgefährt drehen sich ausnahmslos alle um oder bleiben gleich stehen. »Was’n das?«, fragen sie baff. so auch eine alte Dame am rollator: »so’n Fahrrad hab’ ich ja noch nie gesehen!« – »Das ist kein Fahrrad sondern ein lauf-rad«, sagt freundlich Juri spetter, einer der beiden Fliz-erfinder. einen satz, den er schon hunderte male loswerden musste.

alles, was ohne motorengeräusch auf zwei rädern rollt, nennen die menschen Fahr-rad. spetters kollege und miterfinder tom hambrock dreht derweil mit schlenkern-den, raumgreifenden schritten noch eine extrarunde. Die alte Dame staunt: »Wun-derbar, toll, also wirklich.« und klatscht noch einen spontanapplaus: »gratuliere!«

spetter, 29, und hambrock, 25, sind master-studenten an der kunsthochschu-le halle und haben das gefährt für das

Zwei Studenten und eine Idee: Juri Spetter und Tom Hambrock mit ihrem Laufrad Fliz beim Schaulaufen in Halle.

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semesterprojekt industriedesign herge-stellt. Die aufgabe hieß: »Das laufrad. überdenken der alten Draisine.« Die Drai-sine, 1818 von karl Drais erfunden, war das erste menschliche Fortbewegungsmit-tel, bei dem zwei räder hintereinander liefen. es gilt als urform des heutigen Fahr-rads. eine replika der original-Draisine aus kohlefaser haben die beiden hallenser an der tu karlsruhe getestet und sich gleich am breiten, unbequemen sitz ge-stört. »irgendwann«, so hambrock, »kam dann die Frage: warum überhaupt sitzen? Warum nicht den rahmen nach oben neh-men und sich da reinhängen?« und dann bastelten sie los, alles in handarbeit.

Das Einhängen unterm Katzenbuckel ist beim ersten Mal etwas umständlich. Fünf gurte müssen angelegt und einge-klickt werden. Die beiden erfinder helfen. Dann geht der cat Walk überraschend einfach. ich gehe intuitiv los. ich gleite, schwebe. Die schritte, anfangs noch et-was breitbeinig (»das ma-chen alle so«), sind tatsäch-lich wie in zeitlupe. ein wenig federt man unter dem rahmen, mit dem man wie mit einem zusatzkörperteil verbunden ist. anders als beim Fahrrad, auf dem man nur sitzt, aber nicht fest ver-bunden ist. Das sorgt für ein neues, sehr direktes Fahrge-fühl. so unbequem, wie es aussehen mag, ist es wirk-lich nicht.

alles geht intuitiv. ei-nerseits fühlt es sich an wie beim Fahrrad, weil das Fliz ähnliche komponenten hat: lenker, Bremse, den glei-chen radstand. anderer-seits ist es ja banales gehen. spätestens bei tempo 15 km/h kommen die Füße hoch und werden neben der radnabe auf eine kleine ab-lage gelegt. Der erstaunlich geringe rollwiderstand des gefährts lässt mich eine ganze Weile dahingleiten. Witzig.

Das befürchtete gefühl von unsicherheit entsteht weder bergauf (mäßig an-strengend) noch beim ab-wärtsrollen. sicher wird niemand 40 km/h fahren wollen. aber im gefahren-moment wären sofort die

Beine unten. Beim Wenden fällt auf: man sieht nach hinten nichts. Den kopf im geschirr umdrehen geht nicht. Das stört. also muss man sich mit dem Fliz auf der stelle drehen. Denn wer will diesem Designerstück einen banalen rückspiegel verpassen? »Das Problem kennen wir, aber wir haben noch keine richtige lö-sung«, sagt hambrock.

Im Netz setzt es manch höh-nischen Kommentar. einer fin-det das Fliz so stylisch wie »mit dem rollator skaten zu gehen«. oder: »absolut

schwachsin-nig unter si-cherheitsas-pekten für die halswirbelsäule ... bei ei-nem sturz ist mit sicherheit das genick gebrochen.« andere sorgen sich: »Wenn ich meine Füße in der gleit-phase in der nähe der hin-teren nabe abstellen soll, würde ich nachher meine zehen nachzählen.« oder: »Der schnürt die eingewei-de ab und unterbricht die Blutzirkulation.«

Der zeo2-test konnte keine dieser Befürchtungen bestätigen. Juri spetter sagt: »Die ungewöhnliche Form regt wohl zu Fantasi-en an. Wenn wir von der oberflächlichen kritik be-drückt wären, kämen wir nicht weiter.« und wer das Ding nicht nur auf Bildern sieht, denkt ohnehin an-ders. »auf Fahrradmessen wollen alle immer probe-fahren.« Doch die erfinder lassen längst nicht jeden an ihren Prototypen ran. all-tags steht die Draisine des 21. Jahrhunderts aufge-bockt im 3. stock von Juri spetters Wohngemein-schaft, zwischen holz-schreibtisch und Wäsche-ständer.

Die beiden Studenten genießen ihren schrägen Erfolg. im Frühjahr 2012 waren sie mit dem gefährt nach tai-wan zur taipeh cycle show

eingeladen, dem Weltevent des zweirad-rollens. Die Branche hatte ihnen einen De-sign-award verliehen, unter 800 einsen-dern aus 51 ländern. »Das Fliz fasziniert die menschen«, meint hambrock.

Jetzt wartet die semesterarbeit (note: 1,0) nur noch auf ihre Bestimmung. Was man mit dem Fliz auf sicht machen kann, ist noch immer unklar. Für den alltagsge-brauch? ein Fahrrad kann es nicht erset-zen, eher ist es eine ergänzung zum ge-hen. Just for fun? um aufzufallen? als Pr-Fahrzeug mit Werbebotschaften? oder als hilfsmittel zur mobilisierung von reha-Patienten? »es gibt viele testanfra-gen, nutzungsideen und private kaufin-teressenten, von los angeles bis tokio; ein körperbehinderter würde es gern in seiner therapie ausprobieren«, erzählen die erfinder. »und es gibt kontakte zu herstellern und orthopäden. Wir suchen weiter, die möglichkeiten sind so vielfäl-tig.« Der spöttische kommentator bei faz.net gibt schon mal die richtung vor: »Jetzt muss nur noch die extraterrestrische le-bensform gefunden werden, zu der dieses gefährt passt.« nein, lacht spetter, »kon-takte zu aliens hatten wir bislang noch nicht.«

hier unten auf der erde weiß man noch nicht mal, welchen stadtraum einem die straßenverkehrsordnung eigentlich zu-weisen würde. »Wir gehen ja mit dem Fliz. also müsste das auch in der Fußgängerzo-ne erlaubt sein«, sagt hambrock. oder ist es rechtlich doch ein Fahren? als ich im Park an einem etwa vierjährigen mädchen vorbeiflitze, sagt sie: »mama, guck mal, der mann fliegt.« Fliegen auf rädern – diese Definition war auch den erfindern neu. n

LauFRaD FLiz

Rahmen: Glas- und Kohlefaserkomposit, handlaminiertHöhe: 1,40 Meter.Aufhängung: Fünf-Klick-Gurt am RahmenBereifung: 28 Zoll- Fahrrad-VorderräderLenker: in Winkel und Länge einstellbarGepäck: bisher keine Mitnahmemöglichkeit.Gewicht: 12 KilogrammFahrrad-Vergleich: Es fehlen Sattel, Kette, Rücktritt, Gangschal-tung, LichtBremsen: drei – eine an der Nabe und die eigenen zwei FüßeBremsweg: zirka zwei Sekunden von 20 auf 0.Auffälligkeitsfaktor: extremSchwitzfaktor: geringPreis: unbezahlbarer PrototypNetz: fliz-concept.blogspot.de

Wertung: Avantgardis-tisches, intelligentes Gefährt mit Spottgefahr und Staungarantie, aber ohne definierten Nut-zen. Jenseits der Stra-ßenverkehrsordnung. Aber Fliegen war noch nie so klimafreundlich.

zeo2-Testfahrer Bernd Müllender im Geschirr des neuen Fliz. So richtig glücklich sieht er nicht aus, aber ein Hingucker ist das Gefährt allemal.

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nahreise

M it einem lauten knall schießt das handtuch über unsere köpfe. mit dem heißen luftstoß fangen die

ersten an zu stöhnen. »könnt ihr noch?«, fragt carsten, und bekommt ein paar ge-quälte »Ja« zurück, dann gießt er mit dem holzlöffel noch mal richtig auf: Birkena-roma auf heißen steinen. Denn erst wenn´s weh tut, tut´s richtig gut. »gib’s uns, cars-ten«, sagt einer.

»kann ich hier noch dazwischen?«, »können sie ihren Fuß da weg?«, »Da pass’ ich doch noch rein!« 40 menschen haben sich in die sauna gequetscht und um die besten Plätze gerungen. Die nicht nach oben wollen, haben sich auf den Bo-

den gesetzt. ein paar kinder sind dabei, sie haben sich crushed-eis zum lutschen mitgenommen, das sie jetzt großzügig an die anderen saunagäste verteilen.

es ist saunazeit in Deutschland. Wenn’s draußen regnet, schneit und stürmt, platzen in den großstädten die heißzellen wieder aus allen nähten. Da ist für jeden was dabei: schwule schwitz-hütten, türkische Bäder, Frauentag, sauna mit Blick auf den Fluss oder die Yuppie-Variante mit latte-macchiato in der Pau-se. 2.370 öffentliche saunabäder zählt der Deutsche sauna-Bund. Dazu kommen 9.000 saunen in hotels und Fittnessstudi-os plus 1,7 millionen Privatsaunen.

»es gibt wenig saunadiaspora in Deutschland«, erklärt der sprecher des sauna-Bundes. 31,4 millionen Besucher ziehe es regelmäßig – wenigstens einmal im monat – zum schwitzen, das ist etwa jeder zweite erwachsene. Besonders sauna-aktiv ist der ü 50-Bereich. und es sind mehrheitlich männer, die das masochisti-sche schwitz-ritual suchen: 17 zu 14 lau-tet das Verhältnis zwischen mann und Frau bei den saunafans. auch wenn die Frauen aufholen.

zurück nach hamburg: Die Bäderland gmbh betreibt hier nicht nur die meisten öffentlichen schwimmbäder, sondern auch die saunawelt im spaßbad Festland auf st.

»giB’s uns, carsten!«Kurzurlaub in der Sauna – Wo entspannt es sich am schönsten? Beim eisenharten Aufguss vom tätowierten Saunameister auf St. Pauli? Oder in der Stille-Sauna im Karolinenviertel? Die Hamburger Saunalandschaft lässt nichts aus. Und unsere Autorin hat ordentlich geschwitzt.

Von Annika Stenzel

Mittelalterliche Kiezsauna: »Das Frauenbad« (1496) nach einer Zeichung von Albrecht Dürer

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Pauli. sauna, sanarium (kalte sauna), Dampf- und aromabad, außenpool und natürlich ein eisbe-cken – da fehlt nichts. Das Festland ist neu, schick, weitläufig, sauber. und Freitags bumsvoll.

Da fließt der schweiß in strömen. Wahrschein-lich ist es den meisten zu viel. aber nur eine Frau traut sich, schnappt ihr handtuch und verlässt fluchtartig die sauna. Das ist zivilcourage! erst jetzt wagen sich einige hinterher. und während das Badelatschen-meer vor der glastür schrumpft wird das gestöhne animalisch. »Boah«, »Puh«, »Pffff«, eine andere Frau beginnt leise, aber leicht hyste-risch zu lachen. Wir sind nicht zum spaß hier.

»so«, sagt carsten, »jetzt abkühlen und dann sehen wir uns für runde zwei«. Die, die durchge-halten haben, klatschen und flitzen nach draußen, wo carsten am Pool obst verteilt. »lausig«, findet einer das obst, nimmt sich aber trotzdem ein stück ananas. und dann die melone.

Das Publikum, mit dem man hier nackig zusammenhockt, würde man nicht unbedingt in sein Wohnzimmer lassen: schnuddelchen sucht Papa; drei männer mit dem gleichen blauen handtuch um die hüften klopfen sich auf die schultern, weil sie alle drei aufgüsse überlebt haben; das Paar im Fleece-Jogginganzug liest zeitung, zwei tätowierte diskutieren, ob sie die zweite auf-gussrunde noch schaffen, später geht er (der held) allein. alles dreht sich hier um den aufguss, den heißdampf, in dem man eier kochen könnte. Pünktlich zur vollen stunde und in immer denkwürdigeren Variationen, die vor Jahren noch unvorstellbar waren gibt’s die volle aromadröhnung: limette (wie im moji-to!), orange, cassis, minze-schokolade. »ohne stündliche auf-güsse ist die sauna nicht mehr denkbar«, glaubt die Pressestelle des Bäderlandes.

Das stündliche ritual wird geliebt – obwohl »der aufguss wenig gesundheitlichen nutzen bringt«, sagt rainer Brenke vom Deutschen sauna-Bund. »Das braucht man nur selten.« Wäh-rend der aufguss überschätzt wird, werde die Wirkung der sau-na an sich dagegen unterschätzt, »es geht nicht nur um Wellness«. in der DDr habe man saunabesuche vom arzt verschrieben be-kommen, erinnert sich Brenke, und dann zählt er auf, was der regelmäßige saunabesuch bringt: gestärktes immunsystem, bes-sere Durchblutung, entspannung im Bewegungsapparat, besse-re haut, weniger Falten, stressabbau.

Für die sauna solle man sich zeit nehmen, auf jeden Fall nach jedem saunagang abkühlen und nachruhen. Das smartphone in der ruhepause ist verpönt. und die »ganzen spielarten« rings um die sauna, so Brenke, sollten »kritisch hinterfragt« werden. Der aufguss, gehört er eigentlich abgeschafft?

Wenn man im Festland an zwei aufgüssen hintereinander teilnehmen will, kommt man in der tat in eine ganz unentspann-te hektik: abkühlen, obst essen, runterkommen, außenpool. oh, gleich neun, schnell wieder zum aufguss. Freizeitstress. Wer früh kommt und sich einen Platz auf der unteren reihe sichert, muss länger durchhalten. Wer knapp kommt, muss ganz oben oder auf dem Boden sitzen.

Der saunameister hat gewechselt. holger hat Brustwarzen-piercings und wilde tätowierungen. »es gibt heute weder roy-al noch zedernholz«, sagt er, »deswegen hab‘ ich euch die sie-ben-kräuter-mischung mitgebracht«. er genießt die aufmerk-samkeit und dem Publikum gefällt’s. »Was wollt ihr in der nächsten runde«, fragt holger, »zitrone«, haucht eine Frau.

Boah, puh, pFFFF

92 Saunen in Berlin, 34 in Ham-

burg, 26 in München – so viele Schwitz-betriebe wirft die Suchmaschine des Deutschen Sauna-Bundes aus, wenn man die Großtstädte in die Maske eintippt. www.saunaindeutsch-land.com

PreiseDie Tageskarte im Fest-land kostet 15 Euro.www.baderland.deIm Heat and Silence ist man für 12 Euro dabei.www.oshosauna.de

solarcomplex AG, 78224 Singen, www.solarcomplex.de

Kennen Sie einUnternehmen in der Brancheder erneuerbarenEnergien, welches:

seit 2003 Gewinne ausweistseit 2004 Ausschüttungen an seine Gesellschafter vornimmtseit 2007 die Bilanzsumme verfünffacht und das Anlagevermögen versiebenfacht hatseit 2000 den Kurs mehr als verdoppelt hat

Wir schon, uns. Investieren Sie in regenerative Projekte.

Wem das Gedrängel auf St. Pauli nicht gefällt, der geht in Hamburg lieber gleich ins Karolinenviertel. in einem hinterhof betreibt andreas oswald mit seiner Frau die heat and silence-sauna. Vor 15 Jahren hat er die sauna den osho-Jüngern (früher auch Bhag-wan genannt) abgekauft. »aber ich bin ungläu-big«, sagt er und lacht, während er handtücher zusammenlegt. oswald ist masseur, die sauna läuft nebenher. Bei ihm hocken prominente schauspie-ler, Businessleute und oshos nackt neben den »Da-men« aus dem Viertel auf der saunabank. möglich ist das nur, weil keiner den mund aufmachen darf. zumindest nicht zum reden.

»saunieren in stille« ist das motto der sauna, reden ist verboten. stattdessen: meditative klän-ge. im Vergleich mit oswalds sauna ist das Fest-land ein rummelplatz. im erdgeschoss bieten os-wald und seine Frau massagen an, im ruhebereich auf den Bastmatten kann man liegen und lesen, »aber keine zeitungen, die machen zu viel krach.« Deswegen dürfen auch keine kinder rein. oswalds türpolitik schließt auch die »Jungs, die vom kiez kommen« aus. niemand soll hier begafft werden.

unten im keller ist der saunabereich: Duschen, ein kaltwasserbecken, ein kleines Dampfbad, eine finnische sauna. alles klein und fein und dekoriert

mit Buddha und teelichtern. am Beckenrand eine beheizte stein-bank und eine ruheecke mit matratzen. Viel ist nicht los, nur selten, sagt oswald, sei die sauna richtig voll. Das Dampfbad faucht, der kleine Wasserfall plätschert. angenehm. n

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nahreiseKuscheltipps für den Winter

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Weinselige Weihnacht Der Deidesheimer Weihnachts-markt sei einer der romantischs-ten Deutschlands, wird gerne gesagt. Das mag sein. eines aber ist klar: Der glühwein, der dort ausgeschenkt wird, ist vom Feins-ten. er basiert ausschließlich auf rotweinen aus der Verbandsge-meinde Deidesheim, schließlich liegt das städtchen an der Pfälzer Weinstraße. hier kommen nur spätburgunder, Portugieser, Dorn-felder und co. mit zimtstangen und nelken in das glas. keine pulve-risierten Fertig-Wein-süppchen. an den vier adventswo-chenenden, Freitag, sams-tag und sonntag bis 21 uhr.

Infos:

Tourist Service Deidesheim, Tel. 0 63 26 / 96 77 – 0,

www.deidesheim.de

1 Kohlenpott

3 Brandenburg

5 Salzkammergut

4 Schwäbische Alb

Auf Kufen

Romantisches Glit-zern von Schneekris-tallen auf Bäumen, und man hört nur das Schhh Schhh der Kufen? Pap-perlapapp. Auf der Eisbahn Kokerei auf Zeche Zollverein in Essen glitzert der Schnee auf rostigen Rohren, die Jugend und das Alter des Ruhrgebiets ziehen hier ihre Kurven. Die-se Eisbahn ist wohl die spektakulärste in NRW, mehr Revier geht nicht. Bis zu 1.300 Schlittschuh-läufer werden täglich erwartet, auf der 1800 Quadratmeter großen Kunsteis-bahn ist es oft voll.Anschließend gibt’s Pommes »Rot-Weiß«.

Infos: www.zollverein.de, Tel. 02 01 / 24 68 10, bis 6. Januar 2013

Zu PferdeDas Leben ist ein Po-nyhof. Jedenfalls in Groß Biesen in Bran-denburg. Im Winter werden auf dem Reiterhof und Gestüt für Islandpferde namens Laekurhof Fohlen und Jung-pferde eingeritten. Besucher können zu Weihnachtsmärkten in der Umgebung reiten oder sich bei Yoga Walking im Naturpark den Hohen Flämig - Hei-mat von Mufflons, Schwarzstörchen und Großtrappen - ansehen und danach in der Steintherme die Muskeln ent-spannen. 120 Euro pro Person inklusi-ve Übernachtung, Verpflegung und fünf Mal Reiten am Wochenende.

Infos: Reiterhof Groß Briesen, www.reiterhof- grossbriesen.de, Tel. 03 38 46 / 41 673

Kuschln in Fuschlsissi war nie hier – aber romy schneider, kampfname sissi. in schloss Fuschl wurde der erste teil der trilogie gedreht. Wie kuschlig es dabei zuging, ist nicht überlie-fert. Doch in diesem Winter können urlauber kuscheln in Fuschl; auf der seeterrasse werden dafür warme De-cken, heißer Punsch und gebäck ge-reicht. Donnerstags gibt’s Feuerzan-genbowle – »aber jeder nur einen wönzigen schlock!«. Doch das ist eine andere geschichte...

Infos: www.schlossfuschl salzburg.com Tel. +43 62 29 / 22 53 – 0

Hinter Pferden

klingt wie ein hocker einer schwe-dischen möbelmarke, ist aber sport: Beim skijöring lässt man sich von einem Pferd auf ski ziehen. Wo-bei nicht das Pferd die ski anhat. Was die schweden können, kann der schwabe schon lange: auf der alb wird das seit einigen Wintern angeboten, beim schwäbischen cowboy Willi Wolf (und ande-ren reiterhöfen). Wer’s traditio-neller mag, trifft sich an silves-ter zum gemeinsamen ausritt.

Infos: Stall Willi Wolf www.willi-wolf.de, Tel. 0 73 87 / 579

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Weine

Dennoch tun sie esWeinjournalist Axel Biesler denkt über biodynamischen Weinbau nach – und lässt sich von einer Cuvée der burgenländischen Winzerin Brigit Braunstein überzeugen.

a bertausende Weingüter gibt es auf der Welt. Die anzahl der biologisch oder gar biodynamischen Betriebe

nimmt sich dagegen noch immer beschei-den aus. Dass dennoch über sie gesprochen wird, liegt in der natur der sache. und da-bei nicht so sehr in der natur als in der sa-che begründet: Ökoweinbau wurde einst belächelt, und seine Weine gern mit ge-schichten von dünnen säuerlingen verspot-tet. Die ließen sich gut verkaufen. erst die geschichten und später auch der Wein. Denn der wurde immer besser. Der Wein an sich kann das ja nicht: weder besser werden, noch geschichten erzählen. Das müssen wir schon selbst erledigen.

heute wird über die schillerndste und heikelste aller methoden in der landwirt-schaft, die Biodynamie, so fieberhaft dis-kutiert wie über den Ökoweinbau vor 20 Jahren. Doch man darf bezweifeln, dass die lehren ihres Begründers rudolf stei-ner weder von den Diskutanten, noch von den Winzern gänzlich gelesen und verstan-den worden sind. Dennoch werden sie im Weinberg praktiziert: Da werden aberwit-zig verdünnte Präparate aus kieselmehl und fermentiertem Dung ausgebracht, den reben diverse teemischungen serviert und die jeweiligen mondstände als wichtige einflussgröße respektiert. Dabei entstehen mitunter Weine, die international für auf-sehen sorgen.

auch die burgenländische Winzerin Birgit Braunstein versucht sich an den Prä-

paraten steiners, nicht weil sie seine lehr-sätze im Detail verstanden hätte, sondern weil sie ihrem instinkt folgt. Weil sie etwas intuitiv verstanden hat, so wie sich einem musikliebhaber eine symphonie er-schließt, ohne dass er etwas von der kompositionslehre verstehen muss. »Weil es immer schwer zu begreifen ist, warum sich zwei hände treffen. Den-noch tun sie es«, sagt Braunstein. Wohltuend präzise ist diese österrei-chische Winzerin, eine echte sympa-thieträgerin in dem bunten biodyna-mischen Biotop. Braunstein weiß um den schwer fassbaren und kommu-nizierbaren Weinbau mit biodynami-schen methoden, um seine immer ein wenig nebulöse aura.

Dass geist und materie eins sind, beweist Braunstein sehr praxisorien-tiert mit ihrem Projekt »wildwux«. ihre Freundin ilse maier hat sie im vergan-genen Januar dazu eingela-den. maier betreibt das re-nommierte Bio-Weingut geyerhof im kremstal und steuert für wildwux einen grünen Veltliner bei. Braun-steins Wilder ist eine rote cuvée aus den rebsorten Blaufränkisch, zweigelt und st. laurent vom leitha-ge-birge. Wildwux ist ein hand-in hand-geschäft mit

der natur, an dem vermutlich auch steiner seine helle Freude hätte: Denn ein Drittel der Fläche, auf der dieser Wein erzeugt wurde, wird an anderer stelle der Wildnis

gesponsert. Die Winzerinnen lassen eine entsprechende Fläche brach liegen, da-mit die hutweide sich dort ausbreitet, damit sie bleibt, wie sie ist, oder – und besser noch – damit die Brache wird,

was sie einmal war: ein rückzugsge-biet für Pflanzen und tiere. Biologen und landschaftsplaner begleiten die arbeit an den ausgleichsflächen: ein betreutes gedeihen. »Wildwux ist kein exklusives Projekt«, sagt Braun-stein, »die natur gehört nicht mir allein, wir sind teil des ganzen und müssen uns unserer Verantwortung bewusst sein.«

und der Wein? Wer es würzig mag, kann sich ruhig ein we-nig zeit nehmen mit Braun-steins eleganter cuvée aus dem Jahr 2010. Der Blau-fränkisch mag seinen typi-schen Pfefferton nämlich erst nach einem tag in der geöff-neten Flasche zeigen. Frucht und saft von zweigelt und st. laurent indes sind sofort nach dem aufschrauben prä-sent. Der Wein bleibt – sofort getrunken oder später – in jedem Fall köstlich. zum glück. und zum Wohl. n

pRoBiERpaKEt

Exklusiv für zeo2-LeserInnen gibt es wieder einen Sechser-karton zu günstigen Konditionen zum Bestellen: sechs Flaschen frei Haus für 78,00 EuroMail: [email protected].: 0 81 02 / 895 868

Wilde Wiesen: Als Geschenk an die Natur wird ein Drittel der Rebfläche der Wildnis überlassen.

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Basta

Bessere energiezukunftmit erdgas Wir alle brauchen Strom zum Leben. Wenn Strom aus Erdgas erzeugt wird, entstehen nur halb soviel CO2 -Emissionen wie bei Kohle. Erdgas ist eine der ergiebigsten, heute verfügbaren Energiequellen. Aufgrund ständiger Innovationen könnte es die Menschheit für die nächsten 250 Jahre mit saubererer Energie versorgen. Mehr als jedes andere Energieunternehmen unterstützt Shell die Lieferung von Erdgas in möglichst viele Länder. Machen Sie mit und setzen auch Sie auf eine bessere Energiezukunft mit Erdgas. www.shell.com/letsgo

Let’s go.

D o-sen-pfand!« immer wenn mein Freund minki verzweifelt auf der suche nach einem argument ist, wa-

rum sowieso alles nichts bringt, dann spricht er die dreisilbige zauberformel. Danach lacht er hysterisch. es ist, wie wenn kleine Jungs »Pimmel« sagen. er ist nicht der einzige. Das Phänomen ist weit ver-breitet. Dosenpfand! hihihi! Was für ein reinfall. Was für ein Beweis für ineffekti-ven oder sogar schädlichen Öko-zirkus. typisch für die amtszeit des grünen um-weltministers Jürgen trittin. Der hatte das Dosenpfand vor zehn Jahren erfunden und darf jetzt weißblechernes Jubiläum feiern.

im grunde geht es überhaupt nicht darum, ob das Dosenpfand ein erfolg war oder gescheitert ist. oder gut gemeint, aber schlecht gemacht. Wer je eine studie über Pros und cons des Dosenpfands gelesen hat, der weiß, wie komplex die sache ist. mehr Bier im mehrweg, dafür anschei-nend mehr mineralwasser im Plastik.

es geht darum, dass das Dosenpfand aufgeblasen wurde, bis es scheinbar gleich-rangig neben dem atomausstieg stand. Dabei ist es im Vergleich dazu eigentlich ein Pups, ein kleines, ordnungsrechtliches instrument.

Der verbissene kampf gegen das Dosenpfand hat aber überhaupt nichts mit der Verpackungsver-ordnung selbst zu tun. Die ei-nen lehnen das Dosenpfand aus halbwissen ab, weil es uncool ist und allenfalls einen sicheren Witz in einer komplizierten

Welt hergibt. Die ablehnung der anderen ist pathologisch. sie fürchten nichts so sehr als eine ausweitung. Politiker könnten ja auf die idee kommen, kon-sequente Pfandsysteme bei Produkten einzuführen, wo es wirklich interessant wird. sagen wir mal bei Batterien, mobiltelefonen, computern usw. Damit wir einfach cleverer mit rohstoffen umgehen und uns individuell und gesellschaftlich um-organisieren.

ich selbst habe Dosen noch nie ge-braucht. klar, ich habe auch schon Fla-schen gekauft und gedacht, es seien mehr-wegflaschen. und dann waren es einweg-flaschen. so what? seither passe ich auf, und es passiert mir kaum noch. Wasserfla-schen brauche ich überhaupt nicht, weil das gute Berliner Wasser und eine sprudel-maschine jeden kistentransport ersetzen. Früher hielt ich es für ausgeschlossen, Was-ser aus der leitung zu trinken. aber auch

am Wasserhahn kann man sich kulturell weiterentwickeln. Was fehlt, sind öffentliche stel-len an Bahnhöfen, u-Bahnen und marktplätzen, um mit ei-genen Behältern kostenlos Wasser zu zapfen. solche sa-chen. Darüber sollten wir spre-chen. schleunigst. als ich das dieser tag zu minki sagte, ant-wortete er, dass die arbeits-plätze in der einwegflaschenin-

dustrie doch auch ein ethischer Wert seien.und dann wurde ich zum altöko. ich

zog ihm tatsächlich eine Flasche über den schädel. eine Pfandflasche. ehrlich. Das war es mir wert. n

zeo² · Sechster Jahrgang · www.zeozwei.taz.de

Herausgeber: Deutsche Umwelthilfe e. V. Fritz-Reichle-Ring 4 · 78315 Radolfzell

Chefredaktion: Marcus Franken, Manfred Kriener (V.i.S.d.P.) Konta

686 31 27 · [email protected]

Kooperationen und Partner: zeo2 wird unterstützt von der Stiftung »Forum für Verantwortung«

Mitarbeit: Korede Amojo, Axel Biesler, Christina Bylow, Dagmar Dehmer, Ranveig Eckhoff, Vera Gaserow, Klaus Hartung, Annette Jensen, Toni Keppeler, Ralf Köpke, Katja Kullmann, Mirco Lomoth, Lutz Mez, Bernd Müllender, Frank Odenthal, Stefan Rahmstorf, Martin Rasper, Cord Riechelmann, Gerd Rosenkranz, Alexandra Rigos, Barbara Schäfer, Peter Trechow, Peter Unfried, Christoph Zink

imPressum Anschrift der Redaktion und Leserbriefe: Redaktion zeo2 Mariannenstraße 9 -10 · 10999 Berlin · [email protected]

Verlag: taz Verlags- und Vertriebs-GmbH Rudi-Dutschke-Straße 23 · 10969 Berlin

Geschäftsführung: Karl-Heinz Ruch

Anzeigen: Jan Kniggendorf · Tel. 030 / 25 902 - 130 [email protected] · Es gelten die Media-Daten 2012.

Vertrieb: zeo2 erscheint viermal im Jahr. Einzelverkaufspreis: 5,50 Euro · Jahresabonnement: 22 EuroAboservice:Telefon 030 / 25 902 - 200 (Di – Do, 10 – 15 Uhr) · [email protected]

Vertrieb Einzelverkauf: Silke Förster, Telefon 030 / 25 902 - 266 · [email protected]

Gestaltungskonzept: KircherBurkhardt GmbH · Berlinwww.kircherburkhardt.deLayout und Umsetzung: Birgit Bierenriede, Michael Camici, Camici & Tappe GmbH, Berlin · Laura Holdack Korrektorat: Volker Thomas, Thomas Presse & PR

Druck: Möller Druck und Verlag GmbH Berlin Zeppelinstraße 6 · 16356 Ahrensfelde

Urheberrecht: Alle Texte und Bilder in zeo2 sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Angebot in Lesezirkeln nur mit schrift-licher Genehmigung der Redaktion. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen sowie die Vervielfältigung auf CD-ROM.

Nicht alle Copyrightinhaber konnten ermittelt werden. Deren Ur- heberrechte werden hiermit ausdrücklich anerkannt.

zeo2 wird gedruckt auf Recystar Polar, 100% Recyclingpapier, zertifiziert vom Forest Stewardship Council® und Blauer-Engel-zertifiziert.

Erhältlich im gut sortierten Zeitschriftenhandel und in den Bahnhofs- und Flughafen-buchhandlungen in Deutschland.

ISSN 2194-1246

Titelmontage unter Verwendung ei-nes Fotos von imago / Metodi Popov

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Zehn Jahre Dosenpfand

Warum ich Minki einen Scheitel zogVon Peter Unfried

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Bessere energiezukunftmit erdgas Wir alle brauchen Strom zum Leben. Wenn Strom aus Erdgas erzeugt wird, entstehen nur halb soviel CO2 -Emissionen wie bei Kohle. Erdgas ist eine der ergiebigsten, heute verfügbaren Energiequellen. Aufgrund ständiger Innovationen könnte es die Menschheit für die nächsten 250 Jahre mit saubererer Energie versorgen. Mehr als jedes andere Energieunternehmen unterstützt Shell die Lieferung von Erdgas in möglichst viele Länder. Machen Sie mit und setzen auch Sie auf eine bessere Energiezukunft mit Erdgas. www.shell.com/letsgo

Let’s go.

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