gedenken zum 100. geburtstag von heinrich wieland am 4. juni 1977

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1977 G. Hesse 1059 Liebigs Ann. Chern. 1977, 1058-1063 Gedenken zum 100. Geburtstag von Heinrich Wieland am 4. Juni 1977 Gerhard Hesse RudelsweiherstraRe 13, D-8520 Erlangen Zum hundertsten ma1 jahrt sich heuer der Tag, an dem Heinrich Wieland, ein groBer Meister unserer Wissenschaft, in Pforzheim, der badischen Stadt der Gold- schmiede, geboren wurde. Die ,,Annalen" haben besonderen Grund, dieses Tages dankbar zu gedenken, hat er sie doch 34 Jahre lang herausgegeben und auf ihrer Hohe gehalten. Sein Vater war Chemiker und leitete eine Gold- und Silberscheideanstalt, beide GroBvater sind Landpfarrer gewesen. Heinrich Wieland studierte an den Universitaten Miinchen, Berlin, Stuttgart und wieder Miinchen, wo er 1901 bei Johannes Thiele promovierte. Ein mehrfacher Hochschulwechsel pragt einen Studenten in person- licher und in fachlicher Richtung, er macht vielseitig und tolerant und ermoglicht die Wahl eines zusagenden Arbeitsklimas. An den Munchener Hochschulen war dies in fachlicher wie in menschlicher Sicht in besonderem MaDe vorhanden, seitdem Justus von Liebig als der Hohepriester der Chemie dort gewirkt hatte. So wurde Munchen die Wahlheimat von Heinrich Wieland, dort erhielt er die venia legendi und wurde 1913 Extraordinarius am Universitatslaboratorium, das unter dem Namen ,,Staatslabor~c noch bekannter geworden ist. Dort fand er auch seine Frau. 1917 wurde er Ordinarius an der Technischen Hochschule in Miinchen, folgte 1921 einem Ruf nach Freiburg im Breisgau, kehrte aber schon 1925 an das Institut zuruck, an dem er promoviert hatte und das er dann uber 25 Jahre lang geleitet hat. Was die Chemie ihm verdankt, ist bereits mehrfach dargestellt wordenl-4) und den meisten Fach- genossen in groben Ziigen vertraut. Aber wie er dazu kam, seine Denk- und Arbeits- weise, die so personlich gepragt sind, kennen nur wenige. Zunachst fallt die aul3erordentliche Breite seiner Interessen und seiner Arbeiten auf. Was sich experimentell angehen lien, griff er auf und entwickelte dabei ein gluckliches Gefuhl dafiir, was einmal zu umfassender Bedeutung gedeihen konnte. Nicht selten berief er sich auf sein ,,chemisches Gefiihl". Dam kam ein vorzugliches Gedachtnis, und er konnte es nicht recht verstehen, warum die Studenten, wenn sie sich jahrelang mit Chemie beschaftigt hatten, noch eine besondere Vorbereitungszeit Das Bild auf der gegenuberliegendenSeite zeigt H. Wieland im Jahre 1953. (Photographie von Bernhard Witkop.) 1) E. Dane, W . Franke, F. Klages und C. SchopJ Naturwissenschaften, 30, 333 (1942). 2) R. Huisgen, Proc. Chem. SOC., London, 1958, 210. 3) C. SchopJ Angew. Chem. 71, 1 (1959). 4) F. G. Fischer im Jahrbuch 1959 der Bayer. Akademie der Wissenschaften, S. 160-170. 69 *

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1977 G. Hesse 1059

Liebigs Ann. Chern. 1977, 1058-1063

Gedenken zum 100. Geburtstag von Heinrich Wieland am 4. Juni 1977

Gerhard Hesse

RudelsweiherstraRe 13, D-8520 Erlangen

Zum hundertsten ma1 jahrt sich heuer der Tag, an dem Heinrich Wieland, ein groBer Meister unserer Wissenschaft, in Pforzheim, der badischen Stadt der Gold- schmiede, geboren wurde. Die ,,Annalen" haben besonderen Grund, dieses Tages dankbar zu gedenken, hat er sie doch 34 Jahre lang herausgegeben und auf ihrer Hohe gehalten.

Sein Vater war Chemiker und leitete eine Gold- und Silberscheideanstalt, beide GroBvater sind Landpfarrer gewesen. Heinrich Wieland studierte an den Universitaten Miinchen, Berlin, Stuttgart und wieder Miinchen, wo er 1901 bei Johannes Thiele promovierte. Ein mehrfacher Hochschulwechsel pragt einen Studenten in person- licher und in fachlicher Richtung, er macht vielseitig und tolerant und ermoglicht die Wahl eines zusagenden Arbeitsklimas. An den Munchener Hochschulen war dies in fachlicher wie in menschlicher Sicht in besonderem MaDe vorhanden, seitdem Justus von Liebig als der Hohepriester der Chemie dort gewirkt hatte. So wurde Munchen die Wahlheimat von Heinrich Wieland, dort erhielt er die venia legendi und wurde 1913 Extraordinarius am Universitatslaboratorium, das unter dem Namen ,,Staatslabor~c noch bekannter geworden ist. Dort fand er auch seine Frau. 1917 wurde er Ordinarius an der Technischen Hochschule in Miinchen, folgte 1921 einem Ruf nach Freiburg im Breisgau, kehrte aber schon 1925 an das Institut zuruck, an dem er promoviert hatte und das er dann uber 25 Jahre lang geleitet hat. Was die Chemie ihm verdankt, ist bereits mehrfach dargestellt wordenl-4) und den meisten Fach- genossen in groben Ziigen vertraut. Aber wie er dazu kam, seine Denk- und Arbeits- weise, die so personlich gepragt sind, kennen nur wenige.

Zunachst fallt die aul3erordentliche Breite seiner Interessen und seiner Arbeiten auf. Was sich experimentell angehen lien, griff er auf und entwickelte dabei ein gluckliches Gefuhl dafiir, was einmal zu umfassender Bedeutung gedeihen konnte. Nicht selten berief er sich auf sein ,,chemisches Gefiihl". Dam kam ein vorzugliches Gedachtnis, und er konnte es nicht recht verstehen, warum die Studenten, wenn sie sich jahrelang mit Chemie beschaftigt hatten, noch eine besondere Vorbereitungszeit

Das Bild auf der gegenuberliegenden Seite zeigt H. Wieland im Jahre 1953. (Photographie von Bernhard Witkop.)

1) E. Dane, W . Franke, F. Klages und C. SchopJ Naturwissenschaften, 30, 333 (1942). 2) R. Huisgen, Proc. Chem. SOC., London, 1958, 210. 3) C. SchopJ Angew. Chem. 71, 1 (1959). 4) F. G. Fischer im Jahrbuch 1959 der Bayer. Akademie der Wissenschaften, S. 160-170.

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fur das Examen beanspruchten. ,,Das schlechte Gedachtnis", hat er einmal gesagt, ,,kommt nur von einem Mangel an Interesse". Er hielt sowohl die Experimental- vorlesung uber anorganische wie uber organische Chemie. Knapp und sachlich war seine Sprache, dennoch spurte man dahinter seine Begeisterung fur die Erscheinungen und Zusammenhange, von denen er sprach. Die Auswahl und Durchfuhrung der Schauversuche war ihm aul3erordentlich wichtig und es betriibte ihn sehr, wenn ein Experiment nicht voll zur Geltung kam.

Wieland verstand es hervorragend, den Inhalt eines Vortrags oder das Ergebnis einer Diskussion in wenigen Worten klar zusammenzufassen, wobei er auch mit Kritik nicht sparte. Ein wenig gutmutiger Spott war manchmal auch dabei, besonders nach Prufungen. Reprasentation war ihm sehr gleichgiiltig, und als einmal ein Student in zunftig mitgenommener Lederhose zum Hauptexamen erschien, meinte er nachher : ,,Heute kam doch einer daher, der sah aus wie ein Ziegenhirt und wollte das Haupt- examen machen. Nun, ich habe ihn gepruft, und weiD Gott, Chemie konnte er".

Die Ausbildung zum Chemiker geschieht aber weniger in Vorlesungen und Semi- naren als am Arbeitsplatz im Laboratorium - wenigstens war es zu Liebigs und Wielands Zeiten so. Als Leitfaden fur diesen Anfangerunterricht hat er ein Buch fortgefuhrt und in 17 Auflagen standig auf dem laufenden gehalten, das die ,,Praxis des organischen Chemikers" wie ein Kunsthandwerk beschreibt und dazu die theo- retischen Erlauterungen gibt. Eine ganze Generation von Chemikern in Deutschland hat daraus die handwerklichen Grundlagen der organisch-chemischen Experimentier- kunst gelernt. In Munchen war der ,,Gattermann-Wieland" zugleich die Pramie fur ein hervorragendes Vorexamen oder andere hervorstechende Leistungen. Ich erinnere mich, dal3 ein Student ihn bekam, weil er eine Verwechslung im Chemikalienmagazin, Kaliumchlorat statt Kaliumchlorid, schon am Aussehen des weil3en Pulvers erkannte und dadurch manches Ungluck verhutet werden konnte.

Die Kunst des Experiments rnit den einfachsten Mitteln beherrschte Wieland in hervorragender Weise. Das Reagenzglas, heute fast vergessen, war eine Wunderwaffe in seiner Hand, und der Glasstab ein Zauberstab, mit dem er die ersehnten Kristalle beschworen konnte. Fast alle seine Arbeiten in den ersten zehn Jahren hat er alleine ausgefuhrt, aber auch spater hat er immer in entscheidenden Augenblicken selbst eingegriffen. Er konnte sarkastisch werden, wenn das notige Handwerkszeug bei seinen Mitarbeitern nicht zur Hand war. Diese Kunst wurde von den Assistenten im Praktikum an die Anfanger weitergegeben. Fiir sie gab es keine Studierzimmer; sie experimentierten und schrieben im Arbeitssaal inmitten ihrer Studenten, und ihr einziges Privileg war ein Stuhl mit einem Strohgeflecht als Lehne anstelle der klassi- schen dreibeinigen Scheme]. Mancher hat diesen Stuhl unmittelbar rnit einem Lehr- stuhl vertauscht.

Die ersten eigenen Arbeiten von Wieland standen noch unter dem Eindruck seines Lehrers Thiele und waren nach mechanistischen Gesichtspunkten ausgewahlt, wie man heute sagen wiirde. Es ging um das Verhalten von Doppelbindungen in offenen und aromatischen Systemen, besonders gegen Stickoxide. Dann griff er Probleme auf, die sein groRer Vorganger Liebig rnit den Moglichkeiten seiner Zeit nicht losen konnte, namlich die Umsetzungen der Knallsaure und ahnlicher einfachster Stoffe. Die Entdeckung von Diarylstickstoff-Radikalen, kurz nachdem das erste bestandige

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Kohlenstoffradikal gefunden worden war, machte ihn rasch bekannt. Wahrend diese Arbeiten noch weiter liefen, wandte er sich mehr und mehr der Aufklkung und Synthese organischer Naturstoffe zu. Mit groBem Erfolg wurden die Alkaloide der Lobelia-Arten untersucht und wurde die Heilkunde um das Lobelin bereichert, das das Atemzentrum anregt. Als einen GruB an Miinchen aus seiner Freiburger Zeit mag man die Untersuchung der Hopfenbitterstoffe ansehen, die dem Bier seine Wurze verleihen. Curare, das geheimnisvolle Pfeilgift, hat ihn gereizt, und er griff experimen- tell in die Diskussion um die Alkaloide Strychnin und Brucin ein, indem er die Allyl- stellung einer Hydroxygruppe nachweisen konnte. Mit der Isolierung der ersten reinen Giftstoffe aus dem Knollenblatterpilz wurde ein damals ganz neuer Typ stick- stoffhaltiger Gifte gefunden und ein weites Arbeitsgebiet eroffnet. Es lag ihm aber nicht, wie seinen Freunden Hans Fischer und Windaus, sich auf ein bestimmtes Spezialgebiet festzulegen, und so blieb es bei einem ersten Antippen.

Ein Triumph guter Beobachtung und sorgfaltiger Arbeit ist die Aufklarung des Flugelfarbstoffs vom KohlweiBling. Er wurde bis dahin fur Harnsaure gehalten. In einer ausfuhrlichen Arbeit weist Wieland nach, daB diese Angabe falsch ist. Sehr geringe, aber gesicherte Unterschiede zeigen ihm, daB der heute Leucopterin genannte Stoff von der Harnsaure verschieden ist. Nachdem im Institut von Wieland die Syn- these gelungen und damit die Leucopterinformel endgiiltig bewiesen war, konnte auch das Xanthopterin, der Farbstoff der Wespen und der Fliigel des Zitronenfalters, aufgeklart und hergestellt werden. Dieses stellte sich spater als ein Bestandteil des Vitamins Folsaure heraus. Man sieht, wie scheinbar nebensachliche Arbeiten zum Ereignis werden konnen.

Sein hervorragendes ,,Gespur" hat Wieland auch bei seiner Untersuchung der Gallensauren des Menschen und verschiedener Tiere geleitet, fur deren Ergebnisse ihm der Nobelpreis des Jahres 1927 verliehen worden ist. Was zunachst nur geahnt werden konnte, wurde iiber der Arbeit Schritt fur Schritt zur GewiBheit: diese Stoffe sind die zuganglichsten und durchsichtigsten Vertreter einer verbreiteten Korper- klasse biologisch und chemisch hochinteressanter Stoffe, die man heute Steroide nennt. Zu ihnen gehoren das antirachitische Vitamin D, die Sexualhormone und andere biologische Wirkstoffe sowie die pflanzlichen und tierischen Herzgifte, die in geeig- neter Dosierung unentbehrliche Heilmittel sind. Die Gallensauren gaben den Ein- stieg, von dem aus in unendlich muhevollen Untersuchungen das gemeinsame Grund- geriist geklart werden konnte. Wenn es noch eines Beweises fur Wielands Durchsteh- vermogen bedurft hatte, so liegt er auf diesem Gebiet. Aber es hat sich gelohnt! Auch die allgemeine organische Chemie wurde dadurch angeregt, vor allem zur Entwicklung stereospezifischer Synthesemethoden.

Die Chemie der biologischen Wirkstoffe ist eine strenge Schule, die vor Einseitig- keit und Spezialistentum schutzt, denn man kann in keinem Fall sicher vorhersagen, in welche Korperklasse ein Duft, ein Farbstoff oder ein Hormon fuhren werden.

Von der Naturstoffchemie fuhrt ein Schritt weiter zur Chemie der Lebensvorgange, der Biochemie. Hier interessiert nicht allein der Stoff, der von Lebewesen erzeugt wird, sondern auch sein Entstehen und Vergehen im Stoffwechsel. Damit ist die organische Chemie zu ihrem Ausgangspunkt zuriickgekehrt, das Leben verstehen zu wollen. Die groBte Leistung Wielands in diesem Bereich war wohl seine Dehydrie-

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rungstheorie. Unser Korper oxidiert bei gewohnlicher Temperatur Stoffe wie Zucker, Essigsaure, Bernsteinsaure und viele andere, die man jahrelang an der Luft aufheben kann, ohne daB sie sich verandern. Der gelbe Phosphor aber, der ganz von selbst mit dem Luftsauerstoff reagiert, kann von unserem Organismus nicht oxidiert werden, und daher heilen Phosphorverbrennungen so schwer. Dies, sagte Wieland in seiner Vorlesung, war der erste Grund fur die Annahme, daB es in Organismen Oxidationen gibt, die keinen Sauerstoff brauchen und doch eine Zunahme des Sauerstoffgehalts im oxidierten Molekiil bewirken. Denkbar war die Anlagerung von Wasser mit nach- folgender Abspaltung von Wasserstoff. In einem hiibschen Vorlesungsversuch wurde einerseits Chloral, andererseits Chloral-hydrat mit trockenem Silberoxid zusammen- gebracht. Der Aldehyd Chloral reagiert uberhaupt nicht rnit dem Sjlberoxid, sein Hydrat aber reduziert es zu Silber unter Bildung von Trichloressigsaure. Versuche rnit Hefe und spater auch rnit tierischen Organen bestatigten, daR tatsachlich viele Oxidationen in lebenden Systemen in dieser Art ablaufen. Weiter zeigte es sich, daB der Wasserstoff gewohnlich uber eine ganze Kette von nbertragern weitergegeben wird, die ihn zwischendurch aufnehmen und an andere weitergeben, bis er dann ganz zum SchluB erst auf den Atmungssauerstoff ubertragen wird. Beim Ausbau dieser Theorie wurden eine Menge von Zwischengliedern des Zellstoffwechsels, bekannte und bisher unbekannte Stoffe, aufgefunden und synthetisiert. Einer der wichtigsten ist die Citronensaure. Neben den Wegen des oxidativen Abbaus, der vor allem der Energieversorgung dient, konnte die Chemie nun auch die Fragen der gezielten Synthese von Stoffen im lebenden Organismus angehen.

Dieses Riesenprogramm, an dem sich bald Forscher in der ganzen wissenschaft- lichen Welt beteiligt haben, lief seit etwa 1930 neben den anderen Pflichten und Aufgaben her. Schon aus praktischen Grunden formierte sich die Biochemie als eine eigene, auch raumlich abgegrenzte Abteilung im Institut. Sie war aber nie sehr groB, meist nur 5 bis 6 Leute, darunter viele Auslander, die zur Fortbildung nach Munchen gekommen waren. Der Tag begann im Labor gegen 8 Uhr 30 und endete nicht vor 20 Uhr, denn die taglichen Besuche Wielands am Arbeitsplatz und die dabei auf- tretenden Diskussionen waren der Ausklang des Tages und begannen gewohnlich gegen 19 Uhr. Vorher ging er die anderen Forschungslaboratorien ab und musterte dabei rnit seinen prufenden Blicken auch die Arbeitssale der Praktikanten und ihre Assistenten. Manche lieBen sich, wenn sie nicht da waren, durch einen leuchtend brennenden Bunsenbrenner vertreten, der ,,Anwesenheitsflammchen" genannt wurde. Obige Zahlen sollen nur einen kleinen Begriff von der Zahigkeit und ungeheuren Arbeitskraft geben, die Wieland neben dem Alltag des Direktors an einem der groBten chemischen Institute aufgebracht hat. Und er nahm auch die Verwaltungsgeschafte sehr ernst, besonders was die Auswahl und das Wohlbefinden der Angestellten betrifft. Nicht einen Nachmittag in der Woche, so sagte er einmal, habe er fur private Zwecke geopfert. Nur der Sonntag gehorte der Familie, dem Bergsteigen oder dem musikali- schen GenuB. Ein denkbar gluckliches Familienleben, zuerst in der Dienstwohnung neben dem Institut und spater in seinem Haus am Starnberger See erhielt und forderte seine Schaffenskraft. Auch rnit seinen Schulern verbrachte er manche gute Stunde auf Kegelbahnen oder gar einem Skiausflug ins Gebirge. Denn er hatte noch die Gabe, eine Schule zu bilden, die sich zusammengehorig fuhlt und gelegentlich, wie

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auch in diesem Jahr, zusammenkommt und ein Wiedersehen feiert in Erinnerung an den bescheidenen vorbildlichen Mann, die grol3e Personlichkeit und den warmherzigen Wohltlter.

Fur seine Studenten und Mitarbeiter war er in hohem MaRe besorgt. Als auf- rechter Demokrat, der aus seinem Abscheu gegen die ,,Nazis" nie ein Hehl machte, setzte er sich fur alle zu Unrecht VerfoIgten in rnutiger und selbstloser Weise ein. Dies gilt in ganz besonderem MaBe fur Institutsmitglieder, die politisch in Schwie- rigkeiten gekoinmen waren, und fur solche, die man spater als rassisch Verfolgte bezeichnet hat. Fur viele ,,Halbarier" war sein Laboratorium bis zum Ende ein Freiraum, wo sie illegal ihr Studium oder ihre Arbeiten weiterfiihren konnten.

Die drei groBen Nachfolger Liebigs auf dem Munchener Lehrstuhl wurden von ihren Mitarbeitern treffend charakterisiert. Baeyer wurde der Geheimrat genannt, Willstatter der Chef und Wieland der Meister.

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