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Ganz links: Die Fahne der SPD Unterföhring. Darauf steht: Keine Gewalt der Willkür – Alle Gewalt dem Recht – Alles Recht dem Volke. Mitte: Ankündigung des Grün- dungsfestes vom 10. Juni 1909. Darunter: Ziegeleiarbeiter, Ofenleute der Ziegelei Stöhr. hüllten. Als Ende der 20er-Jahre durch Arbeits- losigkeit Not und Elend herrschten, versuchten sich die Nationalsozialisten auch am SPD-Dorf Unterföhring. Von Zeitgenossen ist eine Wahl- versammlung 1929 überliefert, bei der der Ge- nosse Waldemar von Knöringen als Gegen- sprecher auftrat: Die Nazis hätten fast alles von den Sozialdemokraten gestohlen, meinte er, sogar einen Teil des Parteinamens. Einzig die Ehrlichkeit hätten sie nicht angenommen. Es kam, so ist überliefert, zu argen Handgreiflich- keiten zwischen den Anwesenden und später sogar zum Einsatz eines Rollkommandos der SA. 1933 wurde die SPD verboten, auch in Un- terföhring kamen Sozialdemokraten in Haft. Unterlagen der Partei wurden beschlagnahmt und verbrannt. Einzig die Fahne von 1927 fan- den die Nazis nicht. Sie wurde zuerst vergra- ben, später in Oberföhring eingemauert und so vor der Vernichtung bewahrt. Diese Fahne befindet sich noch heute im Besitz des SPD- Ortsvereins. 59

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Page 1: Ganz links: Die Fahne der SPD - Gemeinde Unterföhring · Wasserkraft die billigste Methode zur Strom-gewinnung. Schließlich läuft die Isar zwischen München und Moosburg über

Ganz links: Die Fahne der SPDUnterföhring. Darauf steht: Keine Gewalt der Willkür – AlleGewalt dem Recht – Alles Rechtdem Volke.Mitte: Ankündigung des Grün-dungsfestes vom 10. Juni 1909.Darunter: Ziegeleiarbeiter,Ofenleute der Ziegelei Stöhr.

hüllten. Als Ende der 20er-Jahre durch Arbeits-losigkeit Not und Elend herrschten, versuchtensich die Nationalsozialisten auch am SPD-DorfUnterföhring. Von Zeitgenossen ist eine Wahl-versammlung 1929 überliefert, bei der der Ge-nosse Waldemar von Knöringen als Gegen-sprecher auftrat: Die Nazis hätten fast alles vonden Sozialdemokraten gestohlen, meinte er,sogar einen Teil des Parteinamens. Einzig dieEhrlichkeit hätten sie nicht angenommen. Eskam, so ist überliefert, zu argen Handgreiflich-keiten zwischen den Anwesenden und spätersogar zum Einsatz eines Rollkommandos derSA.

1933 wurde die SPD verboten, auch in Un-terföhring kamen Sozialdemokraten in Haft.Unterlagen der Partei wurden beschlagnahmtund verbrannt. Einzig die Fahne von 1927 fan-den die Nazis nicht. Sie wurde zuerst vergra-ben, später in Oberföhring eingemauert undso vor der Vernichtung bewahrt. Diese Fahnebefindet sich noch heute im Besitz des SPD-Ortsvereins.

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Tafel 27 Erste EisenbahnGestiftet von der PWU – Parteifreie Wählerschaft Unterföhring

nfang des 20. Jahrhunderts war dieEisenbahn in Bayern zwischen denStädten so gut ausgebaut, dass sich

die Regierung auch mit Bahnen von nur lokalerBedeutungbeschäftigenkonnte.30 lokaleLini-en,diedemnächstgebautwerden sollten, zähl-te das Gesetz- und Verordnungsblatt des Kö-nigreichs Bayern am 10. 8.1904 auf und an er-ster Stelle stand eine Lokalbahn von München-Ostbahnhofnach Ismaning,mit Stationenauchin Unterföhring. Die Unterföhringer waren zu-frieden, schließlich hob diese neue AnbindungandieStadtdieBedeutungundAttraktivitätderGemeinde.

Die Gleise der Bahn sollten am östlichenRand des Unterföhringer Lößlehmgebiets ver-laufen, um die kostbare Fläche nicht zu beein-trächtigen. Trotzdem mussten einige der be-troffenen Grundstücke zwangsenteignet wer-den. Die Gleise von damals sind die ersten, dieauf der noch heute befahrenen S-Bahn-Trasselagen. Es gab zwei Haltestellen im Ort. Eine lagam heutigen S-Bahnhof, der damals allerdingsnoch 500 Meter vom eigentlichen Ort entferntwar. Die Häuser sind erst im Laufe der folgen-den Jahrzehnte an den Bahnhof herangewach-sen. Eine zweite Haltestelle gab es in etwa aufHöhe der heutigen Bauhofstraße.

Obwohl die Bauarbeiten im Grunde zügigvoran gingen, konnten die Ismaninger undUnterföhringer es kaum erwarten. Im Fasching1907 ließen die Unterföhringer den Ismanin-gern offiziell mitteilen, dass die Bahn an einemder nächsten Tage eröffnet würde. Die Isma-ninger stellten sich am betreffenden Tag feier-lich an ihrem Bahnhof auf und warteten, dieBlasinstrumente im Anschlag. Ein Zug kamdann auch, aber es war ein Faschingszug ausUnterföhring, der über die Straße gefahrenkam. Die Unterföhringer Burschen hatten eineDampflokomotive gebaut, die von Pferden ge-zogen wurde. Es gab ein großes Hallo und einfeines bierseliges Faschingsfest. Die echteBahn fuhr das erste Mal am 5. Juni 1909 vomOstbahnhof bis nach Ismaning. Die Unterföh-ringer Kinder hatten schulfrei und durften um-sonst in der Bahn bis Ismaning mitfahren. Sie

bekamen weißblaue Fähnchen, die sie aus denZugfenstern schwenkten und im IsmaningerSchlosspark gab es Würstchen für alle. Für vie-le von ihnen wird es das einzige Mal gewesensein, dass sie mit der Bahn fahren konnten. DasGeld war knapp, eine Fahrt teuer.

A

1908 Das Kaiserliche Patentamt erteilt Melitta Bentz Gebrauchsmusterschutz auf ihre Erfindung eines Kaffeefiltrier-systems • In Detroit wird das erste Ford Modell T fertiggestellt • Frauen dürfen in Parteien und Gewerkschaften eintreten • Erstmalige Nutzung der neuen drahtlosen telegrafischen Verbindung zwischen Paris und Casablanca • Der US-AmerikanerWilbur Wright legt in einem Flugzeug in LeMans 125 km in knapp2 1/2 Stunden zurück,was einen neuen Welt-rekord bedeutet • 1909In Berlin führt die Deut-sche Reichspost den bar-geldlosen Zahlungsver-kehr mittels Postschecksein • Der Deutsche PaulEhrlich wendet die Che-motherapie zum erstenMal an

1909

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Oben: Der alte Bahnschuppen inUnterföhring. Daneben: Der „Bahnhof“ in den50er-Jahren.Unten: Die Unterföhringer S-Bahnstation, 1997.Daneben: Eine Lokomotive der Lokalbahn München.

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Tafel 28 ElektrifizierungGestiftet von der Swiss Re Germany AG

s ist heute kaum vorstellbar, wie eseinmal ohne Strom gewesen ist. Wares möglich, die Abende nur bei Ker-

zenlicht zu verbringen, keinen Kühlschrank,keine Waschmaschine zu haben und sich drau-ßen zurecht zu finden?

Die Landbevölkerung anno 1910 war in derRegel noch völlig frei davon, solche Dinge als Problem zu sehen. Straßenbeleuchtungbrauchte es nicht, man kannte sich ja aus. Ar-beiten im Winter in der Stube oder auch imStall waren ohne weiteres im Schein der zuver-lässigen Petroleumlampen zu bewältigen undaußerdem ging man früh ins Bett. Selbst als dieSache mit dem Strom aufkam blieb man skep-tisch. Man brauchte ihn nicht und kosten tater auch noch was.

So richtig verstehen konnten die Unterföh-ringer ihren fortschrittlichen Bürgermeister Joseph Gloo deshalb nicht, als er im August1910 einen Vertrag mit der „Electrizitätsactien-gesellschaft Amperwerke“ abschloss. Der Ver-trag sollte 25 Jahre gelten und regelte „dieVerteilung electrischer Energie mit dem Recht,die Straßen, Wege, Brücken und Plätze, Ge-bäude und Grundstücke in ihrem Bezirk zurFührung von ober- und unterirdischen Leitun-gen zu versehen, welche der öffentlichen Be-leuchtung und dem Verkauf electrischer Ener-gie dienen, sowie zur Herstellung und Unter-haltung der für die Leitungen erforderlichenAnlagen und der Schaltung, Transformierungund Verteilung des Stromes nötigen Einrich-tungen zu benützen“. Ein schwieriger Satz mitgroßen Folgen: Gloo ließ Unterföhring er-leuchten, im März 1914 meldete er die Inbe-triebsetzung der elektrischen Anlagen.

Die Privatleute allerdings blieben skeptischund es dauerte eine ganze Weile, bis die Glüh-birnen auch die Stuben der Bauern erobert hat-ten. Lange hing einzig im Hof eine kleine Fun-zel. Unisolierte und darum gemeingefährlicheDrähte zogen sich durch den Kuhstall undLampen wurden einfach mit einem Kontakteingehängt.

E

Rassenunruhen in den USA, nachdem der Schwarze Jack JohnsonBoxweltmeister im Schwergewicht wird • Elektrische Waschma-schinen kommen in Gebrauch, ebenso Damenstrümpfe aus Kunst-seide • Die Bauarbeiten für die Wendelsteinbahn beginnen• Eine Volkszählung im Deutschen Reich ergibt die Zahl von64.925.993 Einwoh-nern. Das entspricht einer Steigerung von 7,1 Prozent seit 1905• 1911 In München wirdder Tierpark Hellabrunneröffnet • Gründung desKünstlerbunds „BlauerReiter“ in München •1912 Untergang der Titanic • 1914 Beginndes Ersten Weltkrieges

1910–14

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Die Bilder zeigen typische Situa-tionen der Elektrifizierung amAnfang des letzten Jahrhunderts.Meist war nur ein Ständer ange-bracht für das Hoflicht oder esgab nur eine einzige Lichtquellein der Küche oder in der Stube.Aufgerichtet wurden die Mastengenauso wie der Maibaum. DieWerbung war damals auchschon bunt und auffällig. (Bilderleider nicht aus Unterföhring,bis auf den „Fischer Hof“, heuteMünchner Straße 77.)

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Tafel 29 IsarkanalGestiftet von Familie Bauer

ndustrie und Eisenbahn verlangtenschon lange vor dem ersten Welt-krieg nach Energie. In Bayern, das

kaum über Kohlereviere verfügte, erschienWasserkraft die billigste Methode zur Strom-gewinnung. Schließlich läuft die Isar zwischenMünchen und Moosburg über ein starkes Ge-fälle. Schon um 1908 herum fasste die Bayeri-sche Staatsregierung den Plan, Wasser aus derIsar hinter München abzuzweigen und über ei-nen Kanal quer durch das Erdinger Moos zudessen Ostrand mit natürlichen Gefällestufenbei Finsing, Aufkirchen, Eitting und Pfrombachbis hin zur Isar bei Moosburg zu leiten. DieseAusbaupläne allerdings wurden 1914 vomAusbruch des Ersten Weltkriegs beendet.

Gegen Kriegsende waren die Pläne wiederauf dem Tisch, die frisch gegründete MittlereIsar AG machte sich ans Werk. Gleich vom er-sten Bauabschnitt des Kanals war Unterföhringsehr stark betroffen. Schließlich wurde dasWasser südlich der Gemeinde aus der Isar aus-geleitet, dann entlang der westlichen Gemein-degrenze und in einem kräftigen Bogen imNorden um den Ort herum geführt.

Die Arbeiten an der Flussweiche, demOberföhringer Stauwehr, begannen 1919.Über 2,5 Kilometer, bis nach Bogenhausen hin-ein, staute es das Isarwasser auf und leitete esüber sein 50 Meter breites Einlaufwerk in denWerkkanal. Leicht war die Planung nicht, weilman, um das Isarhochufer überwinden zu kön-nen, das Gefälle so gering wie möglich haltenwollte. Wie gut das gelungen ist, sieht mansehr gut von der Leinthaler Brücke aus: Schonhier fließt das Wasser im Kanal sieben Meterüber dem Isarbett. Der Einschnitt im Isarhoch-ufer, durch den der Kanal geleitet wird, isttrotzdem immer noch elf Meter tief.

Der Bau des Kanals im Westen von Unter-föhring, zwischen Ort und Isar, war besondersschwierig, weil nicht viel Platz vorhanden war.Die Planer durften das Hochwasserprofil derIsar nicht einengen und mussten auf die Unter-föhringer Bebauung unterhalb des Isarhoch-ufers Rücksicht nehmen. Große Dämme undBetonstützmauern waren erforderlich. Den Po-

schinger Weiher im Westen der Kanalkurveverdankt Unterföhring dem enormen Kiesbe-darf des Projekts. Im Moos zwischen Ismaningund Aschheim entstanden die Speicherseen alsVorfluter für die Kraftwerkskette am Kanal. Siesorgen noch heute für den Ausgleich vonHoch- und Niedrigwasser aus der Isar. 1925floss dann erstmals Strom aus den Kraftwerkenbei Finsing, Aufkirchen und Eitting.

Für das kleine Unterföhring mit seinen fast1.000 Einwohnern wurde das Kanalprojektzum Jobmotor: Zur Hochzeit der Bauarbeitenauf Höhe Unterföhring, 1921/22, schafftenauf der Baustelle bis zu 8.100 Menschen, vie-le von ihnen arbeits- und heimatlose Kriegs-heimkehrer, die in Barackenlagern in und um

I

Der erste Chaplin-Film „The Kid“ läuft an • Albert Einstein erhält 1921 für „Die Einführung der Lichtquanten“ und seine spezielle Relativitätstheorie von 1905 den Nobelpreis für Physik • Der erste „Bulldog“ der Welt wird bei der Mannheimer FirmaLanz gebaut • 1922 Unterzeichnung des Rapallo-Vertrages zwischen Deutschlandund Rußland, er beinhal-tet gegenseitigen Verzichtauf Reparationszahlun-gen nach dem 1. Welt-krieg • Howard Carterentdeckt das Grab vonTut-anch-Amun • In Italien übernimmt derFaschistenführer BenitoMussolini mit demMarsch auf Rom dieMacht • Die UdSSR wird als Staatenbund gegründet

1921–29

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Oben: Kanalarbeiter mit ihrerMoosbahn.Ganz links: Übersichtsplan überden Ausbau des Mittleren Isar-kanals von München bis Moosburg.Übrige Bilder: Baufotos vom Kanal bei Unterföhring.

München untergebracht wurden. Für denTransport der Arbeitermassen sorgte eineWerkbahn, die längs dem Kanal vom Kufstei-ner Platz in Bogenhausen bis nach Finsing ver-lief, die so genannte „Moosbahn“. Wie schondie Ziegeleiarbeiter, hatten die Wirte und Kra-mer jetzt die Kanalarbeiter zu versorgen.

Wegen der Nähe zu ihrer Arbeitsstelle lie-ßen sich auch in Unterföhring Arbeiter nieder,wo immer sie einen Platz fanden. DiesemDruck gab die Gemeinde nach, als sie in derIsarau, die jetzt vor Überschwemmungen sicher war, sehr günstig zu erwerbende Bau-grundstücke auswies. Ansiedlungswillige Ar-beiter konnten hier ihre Häuser bauen. Geför-dert wurden die Neusiedler auch vom dama -ligen Kiesgrubenbesitzer Anton Lechner, derihnen kostenlos den Kies samt Fuhrwerk zurVerfügung stellte. Die Angebote wurdendankbar angenommen. 1925 entstand dieIsarausiedlung, Unterföhrings Bevölkerung

stieg auf 1.212 Einwohner. Ihre Neubürger be-äugten die Alt-Unterföhringer anfangs skep-tisch. Wenig freundlich nannten sie sie „Bara-ber“ (als „Baraber“ werden im baierischenSprachraum ungelernte Bauarbeiter bezeich-net. Eine andere Bezeichnung ist Tagwerker.Das Wort kommt aus dem Tschechischen „po-roba“, das Knechtschaft bedeutet). Irgend-wann aber hatten sie sich an die vielen Neuen,die teilweise mit einem anderen Zungenschlagsprachen, gewöhnt, die „Isarauler“ wurden zuAlteingesessenen.

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Tafel 30 Eigene Pfarrei St.ValentinGestiftet von Pfarrer Johannes Erzgräber

ie Urpfarrei St. Lorenz in Oberföh-ring hatte noch vier Filialen zu „seel-sorgen“: Unterföhring, Daglfing,

Englschalking und Johanneskirchen. Das dazunötige Personal war vor der Säkularisationdurchaus vorhanden. Die Erträge dieser Pfarr-stelle waren so gut, dass schon sehr früh der Bi-schof von Freising sich verpflichtete, nur einenDomherren als Pfarrherren zuzulassen. Dom-herren sahen sich gewöhnlich nicht in der all-täglichen Pflicht, sorgten also schon in eige-nem Interesse für Leutpriester und Kapläne.Als das einmal nicht zur Zufriedenheit der „Filialisten“ geschah, erfolgte ein salomoni-scher Schiedsspruch (siehe Tafel 11). Die Säku-larisation änderte die Situation abrupt. Das Kir-chenvermögen wurde beschlagnahmt, dieVerhältnisse so gründlich „geregelt,“ dass dieUnterföhringer jeden zweiten Sonntag Gottes-dienst nur in Oberföhring erleben konnten.Und gar die Feiertage! Zum Beispiel am Heili-gen Abend „da auffi“ zu müssen, und natür-lich auch wieder „owi“ – während die Ober-föhringer längst am warmen Ofen Bescherungfeierten – das war nicht einzusehen.

Der wohl verständliche Unmut der Unter-föhringer, in Verbindung mit der Häme derOberföhringer führte in der wärmeren Jahres-zeit, besonders bei der gemeinsamen Wallfahrtnach St. Emmeram, zu mancher Rauferei. Daswar natürlich auf Dauer kein akzeptabler Zu-stand. Also häuften sich, mangels Schlichter,die Anträge auf eine eigene Pfarrei – stattge-geben wurde ihnen jedoch lange nicht.

Erst 1923 verhalf ein glücklicher Umstandden Unterföhringern zu ihrem eigenen Pfarrer:In ihrem Antrag konnte die Gemeinde daraufverweisen, eine würdige Unterkunft für denPfarrer und sein Büro bieten zu können, dieheutige Alte Pfarrvilla. Sie wurde 1901 von ei-nem örtlichen Gastwirt, Ökonom und Ziegelei-besitzer erbaut. Die Initialen BSB unter demGiebel weisen auf ihn und seine Frau hin: Bar-bara und Sebastian Beer. Sein luxuriöser Le-bensstil überforderte schließlich seine Mittel,Beer musste verkaufen. Die Erben des Käufers,Leute aus der Stadt, waren bereit, das Haus zu

verkaufen, obwohl die Inflation bereits kräftigvoranschritt. Die Landwirte im Dorf nämlichboten an, mit ihrem Weizen für die Bezahlungdes Kaufpreises zu bürgen. Bei einer Inflationsind Naturalien eine sichere Garantie. So kames zur „Woaz-Pfarrei“ und Unterföhring zumersten eigenen Pfarrherrn, Adolf Pschorr. Einesehenswerte Kirche hatte der Ort schon seit1712 (siehe Tafel 14).

D

Höhepunkt der Inflation in Deutschland (1 US $ = 4 BillionenMark) • In der Türkei wird die erste Republik durch Kemal Ata-türk ausgerufen • Ein Putschversuch von Adolf Hitler (Marsch aufdie Feldherrnhalle in München) scheitert nach kurzem Feuerge-fecht. Hitler entkommt zunächst, wird dann am 11.11. verhaftet.Die NSDAP wird verbo-ten • Beginn der Rhein-land- und Ruhrbesetzungdurch französische undbelgische Truppen, weilDeutschland mit den Reparationszahlungen in Verzug ist • Der ersteLkw mit Dieselmotorwird von MAN gebaut • Hermann JuliusOberth veröffentlicht einBuch über den Bau voninterplanetarischen Raketen

1923

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Ganz links: Die Alte Pfarrvilla,fotografiert nach der Renovie-rung in den 70er-Jahren. Heutebeherbergt sie eine Kinderkrip-pe, die Räume des Kulturbeauf-tragten und das Archiv des Heimatmuseums.Links: Die Pfarrvilla im Hinter-grund. Deutlich zu sehen diehalbseitige Pflasterung der Münchner Straße (siehe Tafel38). Aufnahme Ende der 20er-Jahre.Unten: Einholung der neuenGlocken mit Pfarrer AdolfPschorr, dem ersten Pfarrer vonUnterföhring, am 9.9.1927.

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So passte schließlich alles. Nur zur Emmer-amswallfahrt musste man noch nach Oberföh-ring. Die Raufereien gab es noch, zwar nichtregelmäßig, aber doch noch ziemlich lange –das war eher einfach schlechte Gewohnheit,denn der eigentliche Grund war endgültig be-seitigt.

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Tafel 31 WasserleitungGestiftet von der Baugesellschaft München-Land mbH

ine Wasserleitung erst so spät? Wodoch schon die alten Römer eine hat-ten?Lages–wie somancheiner spöt-

tischbemerkenmag–an„ländlicher Ignoranz“inUnterföhring?DasWortHygieneverstandensicher die meisten früher nicht, aber was es be-deutete, war den Menschen nicht fremd. Siemussten sich in jenerZeit einfachnachdenUm-ständen und Möglichkeiten richten.

In Unterföhring lieferten Brunnen mitHandpumpe das Wasser zum Kochen und Wa-schen, die leibliche Entsorgung musste ohneWasser auskommen, in der „Herzerlhütte“,volkstümlich Plumpsklo. Wasserklos warenzwar schon im 16. Jahrhundert erfunden wor-den, gerieten aber relativ bald außer Ge-brauch. Es war bei der damaligen Technik wohlnur günstigen Falls zu installieren.

In München sorgte eine Cholera-Epidemieim Jahr 1854 für den nötigen Druck zu ein-schneidenden Maßnahmen. Die Stadtväterhörten jetzt dem Apotheker Max von Petten-kofer zu, der die erschreckenden Mängel so-wohl der Wasserversorgung als auch der Ab-wasserentsorgung als Ursache für die Epidemiekonstatierte. Schwerpunkte seiner Vorschlägewaren eine Frischwasserversorgung für alle,aber fern von Versitzgruben, und eine Entsor-gung über unterirdische Kanalisation. Der Bau-boom der Gründerjahre verstärkte die Dring-lichkeit der Vorhaben und von 1883 an wurdeMünchen mit Wasser aus dem Gotzinger Tau-benberg versorgt. Eine Schwemmkanalisationfolgte. Viele Wohnungen in München aller-dings wurden nicht an die Kanalisation ange-schlossen: Noch bis in die 50er-Jahre hineingab es in München Plumpsklos auf der Etage.

Für die Unterföhringer Bauern hatte sich inder ganzen Zeit nichts geändert. Ihre Uralt-brunnen in Haus und Hof waren weit genugvom Misthaufen entfernt. Cholera gab esnicht. Das Gesinde war es gewöhnt, sich amHofbrunnen zu reinigen. War der ganze Kör-per zu waschen, so ging man in der warmenJahreszeit in die Isar. Die Knechte hatten dazunoch Gelegenheit in der Rossschwemme. Aufdem Bauernhof sah man also keinen Bedarfnach einer Wasserleitung. Ganz anders waraber die Situation der „Logisleute“, also derMenschen ohne Haus- und Grundbesitz. Siehatten in ihren Quartieren normalerweise kei-nen inhäusigen Brunnen. Die Anzahl der Logis-leute in Unterföhring hatte sich durch die Zie-geleien und vor allem durch den Kanalbau er-heblich vermehrt. Irgendwann müssen sie esgeschafft haben, ihre Interessen gegen die In-teresselosigkeit der Bauern durchzusetzen –wie ist leider nicht dokumentiert. Aber immer-hin feierte 1927 ganz Unterföhring die Einfüh-rung der Wasserleitung.

E

Deutschland führt die Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeitund einen Kündigungsschutz für werdende und stillende Mütterein • Straßenkämpfe rivalisierender politischer Gruppierungen• Zwei Versandhändler beginnen ihre Karriere: Fleurop und Quelle• In Rußland lässt Stalin den ersten Fünfjahresplan aufstellen unddie gesamte Landwirt-schaft kollektivieren • Charles Lindberghüberquert den Atlantikin seinem Flugzeug „Spirit of St. Louis“ • Walt Disney erfindetdie Comicfigur MickyMouse

1927

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Links: Deutlich zu sehen ist derHolzbrunnen vor der Gastwirt-schaft von Vinzenz Gandl (heuteGaststätte Zum Gockl).Oben: aus dem Buch „oribs pictus“ für die Jugend um 1638von Amos Comenius. Unten: Typischer Brunnen mitSchwingbaum. Diese Brunnenwaren weit verbreitet. (Die Auf-nahme stammt leider nicht ausUnterföhring.)

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Tafel 32 Erster Arzt im OrtGestiftet von Familie Bernhard Schub

ie 30er-Jahre, das ist recht spät für ei-nen Arzt im Dorf. Was hat man davorgemacht? – Ganz zu Beginn waren

da Hausmittel und weise Frauen, Kräuterweib-lein. Von 1650 an taucht in den Matrikelbü-chern der Pfarrei St. Valentin ein Bader (bal-nearius) auf. Wo er gewohnt hat, ist nicht si-cher. Wir wissen aber, dass er für die Bürger imOrt vielfältige Aufgaben übernahm. Er behan-delte Wunden, kannte sich mit Heilmitteln ausund setzte Schröpfköpfe oder Blutegel. Wennes nötig war, ging man zu ihm auch, wennHaarschnitt oder Rasur anstanden. Viel späterdann, in moderneren Zeiten, fuhr man nach Ismaning, wo sich schon etwa fünzig Jahre frü-her als in Unterföhring ein Arzt niedergelassenhatte, oder aber in die Stadt nach München.

Eine hohe Sterblichkeit verzeichnen die Ma-trikelbücher der Pfarrei trotz der arztlosen Zeitnicht. Unfälle waren erstaunlich selten, manstarb an Wassersucht, Lungensucht, senilerSchwäche oder Auszehrung. Man konnte mitden Problemen anscheinend umgehen. Somanches Hausmittel ist bis heute überliefert, soHustenguatln aus in der Pfanne umzuckerterZwiebel, Wickel aus frischen Krautblättern fürVerstauchungen, Kamille für den Magen undKuhfladen für eitrige Abszesse.

Mit Dr. Anton Schub wurde alles anders.Bevor er sich 1930 endgültig in Unterföhringniederließ, hatte er schon 1928 ein kurzesGastspiel in der Gemeinde gegeben. Dr. Schubwar klar, welchen Zwängen und Einflüssen sei-ne Patienten ausgesetzt waren und richtetesich darauf ein. Er versuchte, nicht zu belehren,sondern zu erklären. Als der Doktor dann auchnoch Grund an der neuen Unterföhringer Sied-lerstraße erwarb (siehe Tafel 33) und dort seinHaus und seine Praxis baute, waren die Unter-föhringer endgültig beruhigt, der Doktor blieb.Dr. Anton Schub fiel 1941, zu einem Zeitpunkt,als Ärzte für Fronteinsätze noch nicht dringendgesucht wurden. Möglicherweise war er we-gen seines kritischen Geistes und seines Sar-kasmus’ zur Wehrmacht eingezogen worden.Das Arztvakuum wurde wieder mit Hausmit-teln überbrückt.

D

1928 Olympische Spiele in Amsterdam. Baron de Coubertin versucht vergeblich, Frauen von den Spielen auszuschließen • Das Transistorprinzip wird von Julius Lilienfeld erfunden • Auf der Berliner Funkausstellung zeigt man den Prototypen eines für Massenproduktion geeigneten Fernsehempfängers• Auf der Kölner Presse-ausstellung wird eine Telegraphieverbindungzwischen dem Messege-lände und Buenos Aireshergestellt • AlexanderFleming entdeckt die an-tibakterielle Wirkung desSchimmelpilzes Penicilli-um Notatum und damitdas Penicillin • 1929„Schwarzer Freitag“ ander Börse in New York. Beginn der Weltwirt-schaftskrise • 1930 MaxSchmeling wird Boxwelt-meister

1930

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Ganz links: Sterbebild des erstenArztes in Unterföhring: Herrn Dr. Anton Schub.Links: Aus dem „Ständebuch“des Jost Amman und HansSachs, 1568. Zwei wichtige Berufe der medizinischen Ver-sorgung im Mittelalter. Der Bader war noch bis ins späte 19. Jahrhundert der einzige„Heilkundige“ in manchen Dörfern.

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Tafel 33 SiedlerstraßeGestiftet von Richard Deutschmann

ährend der großen ArbeitslosigkeitEnde der 20er-Jahre versuchten im-mer wieder karitative Organisatio-

nen Menschen zu Brot und Unterkunft zu ver-helfen. In Unterföhring war es der katholischeCaritas Verband, der 1930 auf einem vom Bau-unternehmer Stöhr gekauften, vielleicht sogargestifteten, Gelände eine Wohnsiedlung fürarme und kinderreiche Münchner Familien er-richten ließ. Auf dem Gelände war vorherLehm abgebaut, es war „ausgeziegelt“ wor-den und sein Erhalt machte für den Bauunter-nehmer keinen Sinn mehr.

Arbeitslose Handwerker, darunter Schlos-ser, Schreiner und andere, ja sogar der hochangesehene akademische Bildhauer RichardDeutschmann, hatten sich bei der Caritas umein Grundstück auf dem Stöhr-Gelände be-worben. Um ein Haus in der Siedlung zu erhal-ten, hatten sie gemeinsam mit einem gemein-nützigen Arbeitsdienst (nicht zu verwechselnmit dem Reichsarbeitsdienst der NS-Zeit) dieHäuser zu errichten, jeder musste eine festeStundenzahl ableisten. In einem ersten Bauab-schnitt bauten sie auf den etwa 600 bis 700Quadratmeter großen Grundstücken je einHaus, insgesamt zunächst einmal zehn Stück.Später kamen weitere neun hinzu. Gebautwurde die Siedlung zunächst ohne konkreteBauplätze verteilt zu haben. Keiner der Siedlersollte an seinem Haus besser bauen als an denübrigen. Für die Investitionen gab es pro Fa-milie einen Kredit von 3.000 Mark, den dieSiedler über die Jahre abbezahlten, bis Grund-stück und Haus ihnen gehörten.

Die acht mal acht Meter großen Häuserwurden mit einem kleinen Keller versehen, wa-ren aus Ziegeln und Holz gebaut und hatten in-klusive Küche auf zwei Ebenen fünf Zimmer.Ein Bad oder WC gab es nicht, das bauten sichdie Menschen später ein. Ein Luxus in der Zeitfür die armen Leute: Es gab fließend Wasserund Strom. Einer der Räume war als Stall ge-dacht, damit die Siedler Kleingetier wie Hühneroder Kaninchen halten konnten. Die Grund-stücke waren so großzügig geschnitten, damitsie – das war eine Auflage der Caritas – sich mit

Obst und Gemüse aus dem Garten selbst ver-sorgen konnten. Zum Einkaufen stand den Un-terföhringer Neubürgern ein Kramerladen ander Münchner Straße zur Verfügung, der„Hasler“. Die Kramerin war froh, dass wiederKunden kamen, schließlich waren ihre bestenKunden, die Ziegelei- und Kanalarbeiter, fastalle weiter gezogen.

Mit dem Einzug der „Stadterer“ in ihreSiedlung, 1933, stand die Gemeindeverwal-tung plötzlich vor einem großen Problem: Siehatte die vielen Kinder der Siedler in der Schu-le unterzubringen. Ganz geschafft hat man esnicht. Nur die Kleinsten, von der 1. bis zur 3.Klasse, durften nach Unterföhring in die Schu-le, die übrigen wurden auf Oberföhring (Klas-sen 4 und 5) und Bogenhausen (Klassen 6, 7und 8) verteilt. So viele Kinder wie in den Drei-ßigern gab es in der Siedlerstraße bisher nichtwieder. Die Häuser stehen alle noch, sie wur-den erweitert oder umgebaut und werden inzwischen von der zweiten und dritten Nach-folgegeneration bewohnt.

W

In Indien beginnt Mahatma Gandhi seinen passiven Widerstandgegen die britische Besatzung mit dem „Feldzug der Gehorsamsver-weigerung“ • Die NSDAP wird zweitstärkste Partei und zieht mit107 Abgeordneten in den Deutschen Reichstag ein • Erste Fußball-weltmeisterschaft mit 13 Teilnehmern; Uruguay wird Weltmeister• Der erste elektrome-chanisch arbeitende Analogrechner wird inden USA in Betrieb genommen • 1931 InNew York ist das EmpireState Building fertig gestellt

1930

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Bilder der Siedlerstraße aus den30er-Jahren. Das Dokument bestätigt die gemeinnützig geleisteten Arbeitsstunden fürdie Siedlung.

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Tafel 34 Erste Bankfiliale Gestiftet von der Volksbank Raiffeisenbank Ismaning eG

aren sie bisher immer nach Münchenauf die Bank gefahren, wickelten dieUnterföhringer Bürger die ersten

Bankgeschäfte in ihrem eigenen Ort in einemWohnzimmer ab. Es war der ehrenamtlicheVorstand der gerade erst frisch gegründetenKreditgenossenschaft Ismaning, der Unterföh-ringer Alois Raab, der zur Förderung der Ge-schäfte der jungen Bank auch die Menschender Nachbargemeinde locken wollte: In seinemHaus am Kirchenweg, wo der Wagnermeisterseine Werkstatt betrieb, eröffnete er anno1934 eine Zahlstelle. Im ersten Aufsichtsrat derIsmaninger Bank saßen aus Unterföhring dieHerren Georg Lechner und Josef Habereder. Ei-nen Anklang an ihren heutigen Namen erhieltdie Bank anno 1938, als die Generalversamm-lung beschloss, die Kreditgenossenschaft in„Volksbank und Volkssparkasse Ismaning undUmgebung“ umzubenennen.

Alois Raab war seinen Unterföhringer Mit-bürgern als korrekter und vertrauenswürdigerMann bekannt. Schon Anfang der 30er-Jahrewurde im Kirchenweg vor seiner Wagnerei dieöffentliche Waage der Gemeinde eingerichtet,auf der die Bauern aus der Umgebung vor ih-rem Weg auf die Märkte der Stadt Müncheneinen Stopp einlegten. Hier konnten sie sichvom Wagnermeister mit Brief und Siegel be-stätigen lassen, wie viel sie geladen hatten. DieGeschäfte der Filiale hatten also gute Voraus-setzungen. Über zwanzig Jahre lang führteAlois Raab, teils in seinem Wohnzimmer undteils in der Wagnerwerkstatt, die Geschäfte derIsmaninger Volksbank in Unterföhring. Bei ihmzahlten die Menschen Geld auf ihr Konto einund hoben es ab. Notiert wurden die Vorgän-ge damals, in der Zeit vor dem Computer, nochin einem dicken Buch.

Als in den 50er-Jahren die Deutsche Wirt-schaft zu laufen begann und auch in Unterföh-ring dieser Aufschwung zu spüren war, be-schlossen die Verantwortlichen der Volksbank,auch in Unterföhring eine Zweigstelle mit eige-nen Räumen und hauptamtlichen Angestellteneinzurichten. Das Provisorium am Kirchenwegwurde aufgelöst und das Haus an der Münch-ner Straße 74 (Anwesen Hanrieder) für dieZwecke der Bank angemietet und umgebaut.Dort machte die Bank so gute Geschäfte, dasssie bald weitere Räume dazu mieten mussteund 1966 mit ihrem Betrieb das gesamte Erd-geschoß des Hauses einnahm.

Langfristig, das stand früh fest, würde es imgemieteten Haus zu eng werden. So hatte dieBank schon 1965 das südliche Nachbaranwe-sen, das Haus der damaligen Gärtnerei Ullmanerworben, um langfristig ein eigenes und grö-ßeres Bankgebäude zu haben. Nach einigemHin und Her, dem Kauf und Verkauf und derVereinigung von Grundstücken entstand imJahr 1972 das Geschäftshaus an der EckeMünchner/Bahnhofstraße. Im Januar 1973wurde das Haus, das noch heute von der Bankals Filiale betrieben wird, feierlich eingeweiht.Die Bank verfügte schon damals über sehr moderne Services wie einen Nachttresor undKundensafes.

W

1933 Machtergreifung Adolf Hitlers; Beginn des „Dritten Reichs“ • Die erste Fernsehübertragung in Deutschland • Am 27.2.1933wird das Reichstagsgebäude in Brand gesteckt • Am 5.3. wird derReichstag neu gewählt, ohne dass die NSDAP die absolute Mehr-heit gewinnen kann • Am 13.3. besetzt Hitler das neu geschaffene „Reichsmini-sterium für Volksaufklä-rung und Propaganda“mit Joseph Goebbels • Das Ermächtigungsge-setz wird am 23.3.1933mit großer Mehrheit angenommen. Die 94Gegenstimmen kommenausschließlich von derdurch Verhaftungen dezimierten SPD • Dieersten Konzentrations-lager werden eingerichtet • 1935 Der erste VW-Käfer wird vorgestellt

1934

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Oben: Geldscheine aus den Jahren 1924 bis 1935.Links: Die erste Bankfiliale amUnterföhringer Kirchenweg.Unten: Die Filiale der Volksbank, fotografiert 1973.

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Tafel 35 Zerstörung und WiederaufbauGestiftet vom Gewerbeverein Unterföhring

ie Bombenangriffe der Alliierten aufMünchen gegen Kriegsende ließenUnterföhring weitgehend unbehel-

ligt, auch wenn bei jedem Münchner Bomben-alarm in der Gemeinde die Sirene heulte unddie Menschen Schutz suchten. Gezielte Angrif-fe gab es nicht, aber die Bomber über Mün-chen warfen nach dem Ende der Angriffe re-gelmäßig ihre gefährliche Last über dem Moosab, bevor sie den Rückflug zu ihrem Standortin Italien antraten. Einige dieser wahrscheinlichungezielten Bomben trafen letztlich doch be-wohntes Gebiet und auch Unterföhring.

Zeitzeugen berichten besonders von einemDreitagesangriff auf München im Juli 1944,der letztlich auch die Bürger in Unterföhringschrecklich traf: In der Siedlerstraße fiel einesMittags eine Bombe auf das Haus einer Fami-lie und löschte sie fast ganz aus. Johann, Ma-ria, Karl und Erwin Veil starben. Nur die beidengrößeren Kinder überlebten, weil sie sich inweiterführenden Schulen in München aufhiel-ten. Getroffen wurde damals auch die Scheu-ne des Wehnerhofs, Münchner Straße 85. FünfMenschen hatten sich dort im Kartoffelkellermit Betondecke versteckt und überlebten.

Auf die Eisenbahnbrücke oder das Stau-wehr gezielt war möglicherweise eine Bombe,die, ebenfalls während des Dreitagesangriffs,auf der Höhe der heutigen Kleingartenanlagezwischen Dammstraße und Steilufer nebendem Isarkanal explodierte. Aus einem kleinenRinnsal in die südliche Isarau wurde durch denWasserdruck schnell eine gefährliche Flutwel-le, die alles mit sich riss. Josef und Anna Rogenertranken, als ihr Haus überflutet wurde. In dernördlichen Isarau packten die Menschen ihrHab und Gut auf Karren und flüchteten. IhreHäuser aber blieben verschont, weil sich dasWasser in die Gemeindekiesgrube ergoss, diedamals etwa auf Höhe des heutigen Schlitten-bergs an der Ecke Kanal-/Isaraustraße lag. Ob-wohl die Wehre im Kanal recht schnell ge-schlossen wurden, floss noch viel Wasser in dieSenke von Unterföhring, die Feuerwehr hatteviele Tage zu tun, die Schäden zu beheben undverendete Tiere zu bergen.

Noch im April 1945 erlitt Unterföhring ei-nen herben Verlust für seine Infrastruktur: Aufder Flucht durchziehende SS-Einheiten spreng-ten gleich fünf Brücken: Die Leinthaler Brücke,die Eisenbahnbrücke nach München, die Ka-nalbrücke sowie die Eisenbahnbrücke in Rich-tung Ismaning und die Mollbrücke im Nordenüber die Isar. In den ersten Wirren nach Kriegs-ende war das fast noch ein Segen für die Bür-ger, schließlich waren Menschen unterwegs,die nicht nur Gutes wollten. Während Isma-ning eine Bürgerwehr gründete, blieb Unter-föhring hinter Kanal und Isar verschanzt. Spä-ter aber waren die fehlenden Brücken für dieGemeinde ein Ärgernis. Erst 1949 wurde eineBehelfsbrücke Richtung Ismaning gebaut, imJanuar 1950 wurde die Leinthaler Brücke wie-der für den Straßenverkehr freigegeben.

In den Nachkriegsjahren zwischen 1945und 1950 stieg die Zahl der UnterföhringerBürger drastisch an. 1945 wohnten 1.725Menschen in Unterföhring, 1950 waren esganze 2.796 Menschen. Fast 1.000 Heimat-vertriebene und ausgebombte Münchner hat-te die Gemeinde 1946 unterzubringen, siewurden zwangseinquartiert und man rücktezusammen wo es ging. Die Flüchtlinge kamenunter anderem in ehemaligen Baracken für Zie-geleiarbeiter und Kriegsgefangene unter.

Die Gemeinde sah sich herausgefordert,der katastrophalen Wohnungsnot Abhilfe zuschaffen. Nach der Währungsreform, Anfangder 50er-Jahre, wies sie Bauland für Eigenhei-me aus und unterstützte die Bauwilligen mitgünstigen Preisen. So entstanden Siedlungenan der Aschheimer-, Rosen- und Ringstraße.Ein besonders schwieriges Projekt konnte dieGemeinde 1953 abschließen: Nach langenVerhandlungen hatte sie das gut 94.000 Qua-dratmeter große Gelände der Baufirma Holz-mann zwischen der Bahnhof- und der Feldstra-ße gekauft. Eine stillgelegte Ziegelei und einebenfalls dort stehendes altes Asphaltwerkwurden abgerissen, das Gelände eingeebnetund in Bauparzellen aufgeteilt. Noch 1954 be-gannen die Bauherren mit dem Hausbau undmitten im alten Ort entstand eine Siedlung, de-ren Straßennamen noch heute die Herkunft ih-rer Bewohner zeigt: Egerlandstraße und Sude-tenstraße.

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April 1944 Die Frauenkirche, die Peterskirche und das neue Rathaus erhalten erneut Volltreffer durch Sprengbomben. DerOstbahnhof ist zerstört. Ungefähr 1.100 amerikanische Bomberund Jäger fliegen im Laufe des April aus westlicher Richtung, weitere 450 Maschinen aus südlicher Richtung an • Attentat aufHitler am 20.7.1944 • 13. bis 15.2.1945Bombardierung Dresdens • 30.4.1945 Einzug derAmerikaner in München• 8.5.1945 Der ZweiteWeltkrieg endet. Er dau-erte 6 Jahre, 61 Länderwaren beteiligt und erkostete 60 MillionenMenschen das Leben• 29.7.1945 Das ersteFußball-Lokalderby derNachkriegszeit. Der FCBayern und der TSV1860 trennen sich 1:1 • 6.8. und 9.8.1945Atombomben fallen aufHiroshima und Nagasaki

ab1944

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Die Aufnahmen der US-Luftwaffe vom6.8.1945 zeigen dieTreffer und gesprengtenBrücken in und um Unterföhring. 1: Mollbrücke (knappnicht mehr im Bild).2: Kanalbrücke nach Ismaning. 3: Überschwemmung in der Isarau.4: Leinthaler Brückeund Eisenbahnbrücke(unvollständig zerstört).5: Siedlerstraße.

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Tafel 36 IndustrialisierungGestiftet von der Firma Schaefer, Förderanlagen und Maschinenbau GmbH

ie Ansiedlung der vielen Neubürger,Grunderwerb und Darlehensgabe,kosteten die Gemeinde in der Nach-

kriegszeit viel Geld. Deshalb begannen die Unterföhringer Gemeinderäte sehr bald nachEinnahmequellen zu suchen. Die Ziegeleienbrachten Geld in die Kasse, weil das zerstörteMünchen Ziegelsteine brauchte. Aber es warabsehbar, dass das Lehmvorkommen in Unter-föhring zur Neige gehen würde. Ein Bauern-dorf war Unterföhring mit seinen knapp 3.000Einwohnern schon lange nicht mehr, es galt,steuerkräftige Betriebe anzusiedeln.1950 führ-te Unterföhring Straßennamen und Hausnum-mern ein, 1956 schließlich wurden die Gemein-destraßen ausgebaut. Die Gemeinde wappne-te sich für das Wachstum.

Ein altes Unternehmen, das schon währenddes Zweiten Weltkriegs in Unterföhring hattearbeiten lassen, war die BAHOG, die Bayeri-sche Holz und Hochbau Gesellschaft. Sie stell-te an der heutigen Föhringer Allee Hallen undHolzbaracken her. Unmittelbar nach dem Krieggab es reichlich Bedarf, viele Menschen fandenhier Arbeit.

Schon 1949, mit der Währungsreform, lie-ßen sich die ersten Firmen in dem der Stadt sonahe gelegenen Unterföhring nieder. Es warendie ersten Häuser, die östlich der Bahn auf demfreien Feld gebaut wurden. „Das Ende derLandwirtschaft“, verkündeten damals die Alt-eingesessenen mit bäuerlichem Hintergrund,denn die bis dato heiligen Ackerflächen imOsten des Ortes wurden jetzt Stück um Stückzugebaut.

Die ersten Gewerbeansiedlungen entstan-den zunächst nördlich der heutigen Medienal-lee. Beim Nähr-Engel, einem Zulieferer vonFertigprodukten für Großküchen, bei BrunoDietze, einer Fabrik für Stromzuführungen undbei Bären-Batterien, einem Batteriehersteller,fanden viele Unterföhringer Anstellung undLohn. Auf der Südseite der Straße kamen baldder Safthersteller Donath und die BrennereiStock hinzu. Die Druckerei Gruner & Jahr gabein Gastspiel in Unterföhring. Als sie im Jahr1973 geschlossen wurde, gab es zum ersten

Mal nach Jahren des Aufschwungs für zahlrei-che Bürger im Ort den Schock der Arbeitslosig-keit. Mitte der 60er-Jahre ließ sich die FirmaSchaefer Förderanlagen, 1938 in München ge-gründet, an der heutigen Dieselstraße in Un-terföhring nieder. Bis heute ist das Familienun-ternehmen in dritter Generation dort ansässig.

Die Geschichte der Unterföhringer Medienbegann unspektakulär und sogar mit einemGroll der Gemeinde: Ende der 50er-Jahre kauf-te die Firma Richter und Vaillant (Riva), eineFilmproduktionsfirma, das heutige Geländedes Bayerischen Rundfunks. Die Gemeindehoffte auf satte Gewerbesteuereinnahmenund benannte sogar eine Straße nach der Fir-ma, die Rivastraße. Aber viel geschah dortnicht, 1965 verkaufte Riva das Gelände an denBayerischen Rundfunk, eine öffentlich-rechtli-che Einrichtung, die keine Gewerbesteuern zu

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17. Juni 1953 Aufstand in der DDR • Der russische Diktator Stalin stirbt • Der Koreakrieg wird beendet •1954 Einführungder Wehrplicht. Deutschland wird Fußballweltmeister • Der„Rock-and-Roll“ beginnt seinen Siegeszug um die Welt • 1955Das Goggomobil wird als neuester Kleinstwagentyp vorgestellt • Der Warschauer Paktwird als Militärbündnisdes Ostblocks gegründet• Österreich erhält Un-abhängigkeit und Souve-ränität zurück • 1956Volksaufstand in Ungarnund Olympische Spiele inMelbourne • Das Saar-land tritt der Bundesre-publik bei • Die EWG,die Europäische Wirt-schaftsgemeinschaft wirdgegründet • 1960 Frank-reich zündet seine ersteAtombombe • J. F. Ken-nedy wird US-Präsident• Ein amerikanischesTransportflugzeug stürztüber München ab undtrifft eine voll besetzteStraßenbahn • 1962fliegt der Russe Juri Gagarin als ersterMensch in den Weltraum

ab1953

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Die Luftbildaufnahme von Unterföhring aus dem Jahr 1962zeigt die beginnende industrielleEntwicklung der Gemeinde nachOsten über das Bahngleis hin-aus. Zu sehen sind die Häuservon: Donath-Säfte und Brenne-rei Stock (links von der Bahnhof-straße), Nähr-Engel und Bayeri-scher Rundfunk (rechts). Deutlich sichtbar ist die Lechner-Ziegelei an der Feldstraße.

zahlen hatte – der Gemeinderat war ver-stimmt. Ende der 60er-Jahre kam das ZDF da-zu, weil die Olympiade 1972 in München aus-getragen werden sollte. Unterföhring hattesich an die Öffentlich-Rechtlichen gewöhnt,sie brachten keine Gewerbesteuer, aber im-merhin Prestige. So benannte der Gemeinde-rat erneut eine Straße, die ZDF-Straße. Mitteder 70er-Jahre ließen sich kleinere Filmproduk-tionsfirmen in der Nähe der beiden Sender nie-der, von denen sich Anfang der 80er-Jahreschließlich auch Leo Kirch nach Unterföhringlocken ließ. Hier baute er sein Medienimperi-um auf und begründete endgültig Unterföh-rings Ruf als „Mediengemeinde“. Unterföh-ring benannte die östliche Bahnhofstraße umin Medienallee.

1961 bis 1966 baute die Stadt München aufdem Gebiet der ehemaligen Aktienziegelei ihr

Heizkraftwerk. Die Gemeinde Unterföhringwar nicht glücklich, aber seit einer Sanierung inden 90er-Jahren kann die Gemeinde mit demRiesen leben. Dem Kraftwerk hat letztlich dasGewerbegebiet an der Feringastraße seine Exi-stenz zu verdanken: Der Landwirt, ein Päch-ter, hatte nach dem Bau des HKW nicht mehrgenug Land um seinen Betrieb rentabel zu be-treiben, er gab auf. 1966 siedelten sich die er-sten Geschäfte an. Schon 1979 galt Unterföh-ring als eine der finanzkräftigsten Gemeindenim Landkreis München.

Mit der Ansiedlung der „Allianz“ in Unter-föhring kippte nach und nach das Verhältnisvon Einwohnern und Arbeitsplätzen in der Ge-meinde. Alleine in der Versicherung arbeitenim Jahr 2007 rund 7.000 Angestellte, nur gut1.000 Menschen weniger, als der Ort Einwoh-ner hat.

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Tafel 37 GemeindehalleGestiftet von der Laienspielgruppe Unterföhring

nfang der 50er-Jahre war Unterföh-ring ein Ort mit gut 3.000 Einwoh-nern, zehn Jahre zuvor waren es halb

so viele gewesen. Die Infrastruktur wuchs not-dürftig mit, so gut es den Gemeinderäten inder knappen Zeit eben gelang. Was demwachsenden Ort gänzlich fehlte, war ein Hausfür den Sport. Die Schule trieb ihren Schüler-sport im Freien oder in viel zu kleinen Klassen-zimmern, der Ringerverein SC Isaria ließ imSaal des Lechnerwirts kämpfen und einen rich-tigen Turnverein gab es nicht – mangels Mög-lichkeiten.

Auch aus anderen Bereichen wurde der Rufnach Erleichterungen laut: Die Volksbücherei,betrieben von Lehrern der Schule und dort un-tergebracht, sollte einen Raum für sich bekom-men, der Schule fehlten neben Sportgelegen-heiten Werkräume und eine Küche, die Laien-spielgruppe, bis dato im Lechnersaal unterge-bracht, wünschte sich eine vernünftige unddauerhafte Bühne. Letztlich waren die Rufe derBürger nach Abhilfe so laut, dass der Gemein-derat anno 1957 beschloss, eine Gemeindehal-le samt Hausmeisterwohnung zu bauen. EinMehrzweckgebäude wie das geplante war da-mals noch ganz und gar nicht üblich, eine re-gelrechte Attraktion und Vorbild zur Nachah-mung im Landkreis.

Die Gemeinde kaufte an der MünchnerStraße das Grundstück der ehemaligen Gärt-nerei Ullmann, begann Anfang 1958 mit demBau und konnte die Gemeindehalle schon imDezember desselben Jahres einweihen.618.000 Mark kostete der Bau, der von An-fang an zwar nicht durch seine Schönheit, aberdurch seinen großen Nutzen für alle bestach.

Von Beginn an wurde die Halle vielfältig genutzt: Die Schule ließ in der großen Halleturnen, im Keller waren eine Schulküche (Ko-chen war Pflichtfach für die Mädchen) und die

Werkräume untergebracht, ebenso ein Ärzte-zimmer für die damals noch üblichen Mütter-beratungen und Pflichtimpfungen. Der Rin-gerverein SC Isaria zog in die Halle ein, dieVolksbücherei aus der Schule bekam einen ei-genen Raum, die Laienspieler endlich eine fe-ste Bühne mit professionellem Vorhang undBeleuchtung.

Mit der schönen Halle im Rücken ließ sichnun auch ein Turnverein gründen: Noch 1958,kurz vor der Fertigstellung der Gemeindehallesogar, setzten sich 58 Sport- und Turnbegei-sterte zusammen und gründeten den TSV Un-terföhring. Im Jahr 1960 wurden die Möglich-keiten der Gemeindehalle durch den Anbaudes Schulsportplatzes erweitert, er erhielt eineder ersten Tartanbahnen des Landkreises.

1975 wurde die Halle renoviert. Schon da-mals diskutierte man, dass die Halle im Grun-de für den florierenden Vereinssport der Ge-meinde längst nicht mehr ausreichend sei undgerade noch den Anforderungen des Schul-sports genüge. Der Gemeinderat beriet übereinen Anbau, der aber nicht realisiert wurde,weil der kostbare Sportplatz hätte wegfallenmüssen. Der Umzug der Bücherei ins Rathausbrachte 1975 kurzfristig Erleichterung. Auch,dass Unterföhring seit 1969 nur noch eineGrund- und Teilhauptschule hatte und weiter-führende Klassen nicht mehr am Ort waren,half nur kurz.

Seit 1990 an der Jahnstraße östlich der S-Bahn das Sportzentrum eröffnet wurde, dientdie Gemeindehalle primär der Schule und nachwie vor den Laienspielern und dem Trachten-verein. 2006 wurde sie zuletzt renoviert underhielt unter anderem ein neues Dach.

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800-Jahrfeier in München • Weltausstellung in Brüssel • In derBundesrepublik findet der erste „Ostermarsch“ von Atomgegnernstatt • Die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR in die Bundesrepu-blik nimmt weiter stetig zu (über 200.000 in diesem Jahr) • Dererste amerikanische Satellit wird gestartet. Der Versuch, eine Rakete zum Mond zuschießen, scheitert • DasEuropäische Parlamentkonstituiert sich inStraßburg aus der ge-meinsamen Versamm-lung von Montan-Union, EWG und EURA-TOM • Am 2.1.1959fliegt der sowjetische Satellit „Lunik 1“ zumMond • 1959 Der Klein-wagen „Mini“ wird inEngland vorgestellt • China annektiert Tibetund der Dalai Lamaflieht nach Indien

1958

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Die Gemeindehalle, Aufnahmen 1979. Ganz links: Turnverein.Links: Laienspielgruppe.

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Tafel 38 Erste S-BahnGestiftet von Adelheid Hässler

n frühen Jahren war die Stadt Mün-chen für die Unterföhringer wie einanderer Stern. Dort hin zu kommen

war nicht tagtägliche Notwendigkeit. Was derBürger brauchte, auch seine Arbeit, hatte er inder Regel am Ort oder nahe bei. Wenn es wirk-lich sein musste mit der Stadt, setzte er sich indie Kutsche, auf das Pferd, das Rad oder gingschlicht zu Fuß. Benutzt wurde eine befestigteaber löchrige alte Staubstraße, die von Isma-ning über Unterföhring nach München führte.Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Straßeimmerhin halbseitig mit Granitsteinen aus demBayerischen Wald gepflastert. Auf der West-seite, stadteinwärts also, konnten die schwerbeladenen Krautfuhrwerke nun komfortablerauf den Markt nach München holpern. VonFrühjahr bis Herbst schafften die Fuhrwerkeder Ziegeleien ihr Material über die Straßenach München.

Mit der zunehmenden Industrialisierungwurde es auch immer nötiger, die Stadt zu er-reichen. Eine regelmäßige und zuverlässige öf-fentliche Verkehrsverbindung war erst Anfangdes 20. Jahrhunderts im Gespräch: Von Isma-ning über Unterföhring sollte eine Eisenbahnzum Münchner Ostbahnhof und zurück fah-ren. Die Diskussion und Planungen dauerten,und als am 5. Juni 1909 die erste Lokalbahn inUnterföhring hielt, bekamen die Kinder zurFeier des Tages sogar schulfrei und freie Wür-stel im Ismaninger Schlosspark (siehe Tafel 27).Ein Verkehrsmittel für die Allgemeinheit wardie Lokalbahn allerdings nicht. Eine Fahrt warteuer, in Zeiten von Geldnot sogar uner-schwinglich für die meisten Unterföhringer. Siemachten es weiter auf die alte Art.

Erleichterung brachte es, dass die StadtMünchen so nahe lag. Von ihrem recht frühentwickelten öffentlichen Verkehrsnetz konn-ten die Unterföhringer profitieren, auch wennder Profit im Vergleich zu heutigen Verhältnis-sen nur mäßig erscheint. So gab es schon früheine Postbusverbindung die bis nach Oberföh-ring reichte und bis nach Freimann, etwasnördlich der heutigen Studentenstadt, fuhr dieTram Nummer 6. Die war für die Unterföhrin-

ger viele Jahre lang „unsere Trambahn“. Zuden Haltestellen gelangten sie weiterhin nur zuFuß oder mit dem Fahrrad.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhr zeitwei-se als einziges direkt zu erreichendes Verkehrs-mittel ein Postbus von Ismaning zum Herko-merplatz nach München und machte auch inUnterföhring Halt. Durch die Holzplankenbö-den der Wagen konnten die Schulkinder dieLöcher im Straßenbelag zählen. Der Bus aller-dings fuhr nur morgens und abends einige Ma-le. Auch eine Eisenbahn fuhr, allerdings nichtsehr lange und wenn, dann nur sehr selten.Das Wandern zu den Münchner Verkehrsan-geboten, um Arbeitsplätze und Stadt zu errei-chen, war für die nach dem Krieg immer zahl-reicher werdenden Unterföhringer Bürger bisin die späten 60er-Jahre hinein die attraktivsteWahl.

Deutliche Erleichterung erfuhren die Unter-föhringer Pendler erst mit der Gründung desMVV, Münchner Verkehrs- und Tarifverbund,im April 1971. Jetzt gab es konkrete Pläne, dieStadt und ihr Umland mit Bus und Bahn ver-nünftig zu vernetzen. Der Gemeinderat hoffte,schon zur Olympiade 1972 einen S-Bahnan-schluss zu bekommen, schließlich gab die Bun-desbahn das Motto aus: „Schnell zur Stadt –Schnell nach Hause“. Er musste sich über dieOlympiade hinaus gedulden. Erst am 30. Sep-tember 1973 hielt die S-Bahn auch in Unter-

I

1972 Olympische Spiele in München • 1973 Die USA und dieUdSSR unterzeichnen ein Abkommen zur Verhinderung einesAtomkriegs • Die USA stellen alle Kampfhandlungen in Nord-vietnam ein • Die EG, Europäische Gemeinschaft, wird um Dänemark, Großbritannien und Irland erweitert • Mit WillyBrandt besucht erstmalsein deutscher Bundes-kanzler Israel • Sonn-tagsfahrverbote und Ge-schwindigkeitsbeschrän-kungen auf deutschenStraßen wegen Ölver-knappung • Die Gentech-nologie findet ihren An-fang, als die AmerikanerCohen und Boyer DNA-Moleküle nicht nur zer-schneiden, sondern auchwieder zusammensetzenkönnen • Henry Kissin-ger und Le Duc Tho er-halten für die Beilegungdes Vietnamkrieges denFriedensnobelpreis

1973

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Ansichten der S-Bahn-Halte-stelle Unterföhring mit altemBahnhofsgebäude und der alte Übergang Bahnhofstraße.

föhring, über dem heutigen S-Bahnhof. Vorherhatte der Gemeinderat noch versucht, zweiHaltestellen bei der Bahn herauszuschinden,immerhin hatte doch die Lokalbahn auch aufHöhe des heutigen Bahnhofs gehalten und et-was weiter, am Isarkanal Höhe heutiger Bau-hof, gleich noch einmal. Für solche Sonder-wünsche aber fehlte der Bahn das historischeVerständnis.

Die S 3 fuhr auf einem Gleis alle 40 Minu-ten, noch dazu fuhr jeder zweite Zug von derStadt kommend nur bis Johanneskirchen. Er-gänzend fuhren für den MVV nun regelmäßigein Bus der Linie 490 zur U-BahnhaltestelleStudentenstadt und ein Bus Nummer 88 zumHerkomerplatz. Kulturbummler aus Münchenund die amüsierfreudige Jugend hatte immernoch den traditionellen Fußmarsch aus Ober-föhring oder Freimann hinter sich zu bringen,denn ab 21 Uhr war nichts zu wollen.

Eine Verbesserung gab es für die Gemein-de, als die – dann S 8 – 1992 zum MünchnerFlughafen verlängert wurde. Die Bahn fuhrnun alle 20 Minuten und in einem erweitertenZeitraum.

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Tafel 39 FeringaseeGestiftet von Familie Guist

ls in den Jahren 1974/75 der Auto-bahnring Ost im Nordosten gebautwurde, brauchte es große Mengen

Kies für den Straßendamm. Wie an vielen an-deren Stellen, zum Beispiel bei Garching, wur-de auch in der Nähe von Unterföhring eineKiesgrube eigens erschlossen und ausgebeu-tet. Die Grundstücke kaufte damals die Auto-bahndirektion, die Gemeinde Unterföhring er-teilte die Genehmigung, aber nur unter einerBedingung: Der in der ausgehobenen Grube zuerwartende Grundwassersee dürfe auf keinenFall wieder zugeschüttet werden und müsse alsErholungsgebiet erhalten bleiben.

Schon 1973, das Verfahren war noch in vol-lem Gange, bekundete der „Verein Erholungs-flächen“ (heute Erholungsflächenverein – sei-ne Mitglieder sind die Stadt München sowie di-verse Gemeinden und Landkreise um dieStadt) seinen Willen, das Gelände später zuübernehmen und dort ein öffentliches Erho-lungsgebiet einzurichten. Und weil das Kind ei-nen Namen brauchte, gab ihm der Gemeinde-rat am 14. Dezember 1973 noch vor seiner„Geburt“ den Titel: „Feringasee“.

1975 lockte der frisch entstandene See imSommer die Badenden zuhauf. Schilder, die dasBetreten und Befahren des Geländes verboten,wurden von den Wasser- und Sonnenhungri-gen ignoriert und im Unterföhringer Rathausbegann man angesichts des Trubels auf der

Bahnhofstraße und den zum See führendenFeldwegen Schlimmes zu ahnen. Der Gemein-derat startete einen Abwehrkampf gegen denVerkehr, der sich über Jahrzehnte hinziehensollte. Eine Genehmigung für den Ausbau desSees wollte der Gemeinderat nur geben, wenndie – damals noch nicht so titulierte – Ortsum-fahrung M3 gebaut würde.

Als er noch ganz mit dem Problem der Er-schließung beschäftigt war, erfuhr der Ge-meinderat im Frühjahr 1976, dass die Auto-bahndirektion den ihr gehörenden Feringaseeentgegen aller Absprachen dem HamburgerBarakuda Club verpachtet hatte. Der Gemein-derat verlangte einen Plan, Parkplätze, sanitä-re Einrichtungen und eine vernünftige Erschlie-ßung des Sees. Im gleichen Sommer abermusste die Gemeinde sogar hinnehmen, dassdie Zufahrtsstraßen auf Ministerdruck für den„Anliegerverkehr“ freigegeben wurden. Weilder Barakuda Club das Baden ausdrücklich er-laubte, waren alle Seebesucher „Anlieger“, derGemeinde waren die Hände gebunden.

Von nun an tobte das Leben Sommer fürSommer am See, die Autos fuhren wie sie woll-ten, geparkt wurde irgendwo, es gab nur stau-bigeFeldwegemit tiefenSchlag löchern, aufde-nen sich Fußgänger, Radler, Autos und sogarReiter in Richtung See und wieder zurückdrängten. Toiletten gab es nicht, sein Geschäfterledigte man im oder um den See, Schafe hiel-

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Das von Deutschland, England, Frankreich und den Niederlandenentwickelte Passagierflugzeug Airbus A300 wird erstmals ausge-liefert • Hewlett Packard bringt den ersten programmierbaren Taschenrechner heraus • Walter Scheel wird Bundespräsident • Bundeskanzler Willy Brandt stürzt über seinen persönlichen Referenten Günter Guil-laume, der als DDR-Spi-on enttarnt wird, undtritt zurück • Waterga-te-Affäre führt zumRücktritt von US Präsi-dent Nixon zugunstendes Vizepräsidenten Ge-rald Ford • Fußballwelt-meisterschaft in Deutsch-land. Das Endspiel inMünchen gewinnt diedeutsche Mannschaft

1974

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Ganz links: Der Feringasee imJahr 1976. Oben: Das Surfer- und Wildpar-ker-Paradies in den 70er-Jahrenmit der Barakuda-Baracke.Links: Der See vom Autobahn-ring A99 aus gesehen. Aufnah-me 1979.

ten das Gras am Wasser kurz, was nicht geradezur Sauberkeit der Liegewiesen beitrug. ImSommer 1977 immerhin wurden schließlichMüllcontainer aufgestellt, ebenso drei Toilet-tenwagen. Ein Bereich für die Surfer wurde ab-getrennt, die illegalen Nackerten bekamen dasZugeständnis, dass sie in ihrem traditionellenBereich auf der Seehalbinsel bleiben durften.

Erst im Juni 1978 konnte der Gemeinderatein klein wenig aufatmen: Der Pachtvertragmit dem Barakuda Club sollte zum Ende desJahres gelöst werden und der Erholungsflä-chenverein das Gelände übernehmen. Auchdie Straßenplanung kam voran: Die M3 vomFöhringer Ring zur B 471 war in der Planungund so sollte endlich auch der Feringasee er-schlossen werden. Zum Januar 1980 kaufte derErholungsflächenverein den Feringasee samtGelände rundum von der Autobahndirektion.Die Gemeinde gewährte zu dem Kaufpreis vonrund 2,2 Millionen Mark ein zinsloses Darlehenvon einer Million und spendete dem Verein au-

ßerdem noch 150.000 Mark als Unterstüt-zung. Ein Kiosk, eine Gaststätte und eine Was-serwachtstation wurden geplant, der See wur-de an das Leitungsnetz angeschlossen.

Im Mai 1980 wurde das Nacktbaden perGemeindeverordnung an ausgewiesenen Stel-len erlaubt.

1991 erst war der erste Bauabschnitt derM3 bis zum Feringasee befahrbar. 1992 wur-de die Zufahrt zum See durch die Ortsmitte ge-sperrt und die Sperrung im Dezember 1996,nach Eröffnung der Mitterfeldallee, durch einBürgerbegehren zementiert.

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Tafel 40 RathausGestiftet von der Firma Überland Baugesellschaft mbH

nfang der 70er-Jahre – Unterföhringhatte immerhin schon gute 4.000Einwohner – war die Verwaltung,

nach guter alter Tradition, Untermieter derSchule. Im neuen Schulhaus an der Bahnhof-straße, dem „Blauen Kasten“, regierte der Bür-germeister die Gemeinde mit seiner damalsvierköpfigen Verwaltung von drei Zimmern imErdgeschoß aus. Er residierte in einem reprä-sentativen Erkerzimmer, sogar einen schönenTrausaal gab es. Der Gemeinderat traf sich zuseinen Sitzungen in einem Kellerraum derSchule. Der Gemeinde, das fühlte man schonlange, fehlte trotz der komfortablen Unter-kunft etwas. Eine Ortsmitte die der GemeindeIdentität verleiht, ein Rathaus, das von ihrer Ei-genständigkeit zeugt.

Schon Ende der 60er-Jahre gab es diesesGefühl, aber der Rat zögerte, schließlich woll-te man nicht Geld für ein reines Prestigeobjektausgeben, wenn es doch – man war ja beschei-den – auch so ging. Immerhin, 1968 hatte derGemeinderat eine Studie zur Entwicklung desgesamten Gemeindezentrums in Auftrag ge-geben. Auf dem großen, damals noch kom-plett unbebauten Gemeindegrundstück an derEcke Münchner-/Bahnhofstraße gegenüberder Schule, wollten sie, so die Studie, langfri-stig ein Rathaus mit Feuerwache, ein Senioren-zentrum, einen Kindergarten und die evange-lische Kirche unterbringen. In der Studie sprachder Architekt Hans Rach auch von der Not-wendigkeit, „das politische Faktum des sich-selbst-Verwaltens sinnfällig zu machen“.

Im Jahr 1971 mussten sich die Unterföhrin-ger Kommunalpolitiker mit Händen und Füßengegen Bestrebungen der Stadt München weh-ren, die attraktive Gemeinde an ihrem Nord-rand einzugemeinden. Sie waren erfolgreich.

Im Ort stieg die Schülerzahl, sodass die Ver-waltung einer Entwicklung der Schule in dieQuere kam. Zu guter Letzt wurde im dama-ligen Flächennutzungsplan der Gemeinde biszum Jahr 1990 eine Entwicklung auf bis zu 15.000 Einwohner zugeschrieben. Vor demHintergrund solcher Entwicklungen wurde einRathaus zu einem dringenden Posten auf

der Agenda des Gemeinderats. Eine derartigaufstrebende und große Gemeinde konntenicht mehr aus einem Kellersaal heraus regiertwerden.

DerGemeinderatbeauftragtedenArchitek-ten Hans Rach, der schon 1968 seine Visioneneiner Ortsmitte vorgestellt hatte, mit der Pla-nung. Rach trennte die Feuerwache vom Rat-haus und versuchte mit einem damals hoch

A

Bedingungslose Kapitulation Südvietnams und fluchtartiger Abzug der letzten US-Truppen und von ca. 30.000 Zivilisten aus Vietnam. Saigon wird in Ho-Chi-Minh-Stadt umbenannt • Ende der Diktatur in Spanien nach dem Tod von General Franco. Juan Carlos I. wird König von Spanien • Wiederwahl von HelmutSchmidt zum Bundes-kanzler • Den Amerika-nern gelingt mit derRaumsonde VIKING 1 eine weiche Landung aufdem Mars • Das LCD(Liquid Chrystal Display)kommt auf den Markt,und in den USA kannman den ersten Bausatzeines Personalcomputerskaufen

1975

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Oben. Das Rathaus im Jahr2007.Links: Bahnhofstraße mit Blickauf St. Valentin und Rathaus imJahr 1979.

modernen Entwurf ein fortschrittliches Unter-föhring zu versinnbildlichen. Ein weites Foyersollte danach Veranstaltungen im Haus ermög-lichen, die von einigen Lehrern aufgebaute„Volksbücherei“ sollteausderSchulegleichmitumziehen und angemessenen Raum einneh-men.DerEntwurf sahkaumeinen rechtenWin-kel vor und die Traditionalisten im Rat hattenschwer zu kämpfen. Das Haus wurde für den

Verwaltungsbedarf der Siebziger viel zu großkonzipiert, es sollte ja einemWachstumderGe-meindestandhalten. SpätestensdasArgument,dass die schiefen Winkel auch nicht mehr ko-sten würden als die normalen, überzeugtedann. Einstimmig beschloss der Rat Anfang der70er-Jahre den Bau und ging dabei von gutensechs Millionen Mark Gesamtbaukosten aus.

Das Jahr 1973 war geprägt von Planungenund Auftragsvergaben; der Baubeginn wurdeauf das Frühjahr 1974 festgelegt. Es war das bis-her größte Bauvorhaben der Gemeinde. Als dasHausschließlichstand, imRichtspruchwirdvom„Lockeren,LeichtenundBizarren“gesprochen,waren nicht alle Bürger begeistert. Schnell be-kommtdasaußergewöhnlicheHaus imrespekt-losenBürgermunddenNamen„FöhringerKlet-tergarten“ oder „Burg Eckhardtstein“ (nachBürgermeister Ernst Eckhardt).

Im September 1975 zog die Verwaltung inihr Rathaus. Weil die Verwaltung damals nochnicht so groß war, wurden nur Erdgeschoß underster Stock belegt, zweiter und dritter Stockwurden vermietet. 6,3 Millionen Mark (3 MioEuro) kostete das Haus letztlich, die Baukostenwurden – der Beginn einer Unterföhringer Tra-dition – ohne Kreditaufnahme aus eigener Ta-sche finanziert.

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Tafel 42 Evangelische RafaelkircheGestiftet von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde

vangelisch, das war man in Bayernund auch im katholischen Unterföh-ring lange Zeit eher nicht. In Mün-

chen ließ sich der erste Protestant, der PfälzerWeinwirt Michl, anno 1800 nieder, nach dennapoleonischen Kriegen entstand in Feldkir-chen die erste protestantische Gruppe im Um-kreis der Stadt München. Als dann in den spä-ten 20er-Jahren die ersten Evangelischen auchim Bauerndorf Unterföhring sesshaft wurden,da geschah etwas, womit die katholischen Ur-einwohner nie gerechnet hätten: Unterföhringlebte die Ökumene, also die Beziehungen zwi-schen den Glaubensrichtungen, bevor man da-von sprach.

Um 1930 lebten in Unterföhring etwa sechsevangelische Familien, schnell wurden esmehr. Die evangelischen Kinder durften in derkatholischen Bekenntnisschule von Unterföh-ring lernen, nur zum Religionsunterricht wur-den sie hinausgeschickt, wenn sie nicht darumbaten, bleiben zu dürfen. Die Gemeinde ge-hörte damals zum Sprengel der evangelischenDreieinigkeitskirche in Bogenhausen und wur-de später der Immanuelkirche in Denning zu-geschlagen. Trotzdem bekamen die Mitgliederder evangelischen Gemeinde bei Bedarf für ihre Gottesdienste einen Raum in der Unter-föhringer Schule gestellt und die Kinder fuh-ren zum Religionsunterricht nach Ismaning indie dortige Papierfabrik Kurz. Noch in den60er-Jahren wurden Kinder nach Konfessionengetrennt unterrichtet, erst 1968 wurde die Ga-rantie der Bekenntnisschule in der BayerischenVerfassung abgeschafft.

Ohne den Segen des katholischen Pfarr-herrn von damals, Pfarrer Adolf Pschorr, wärediese frühe Ökumene nicht denkbar gewesen.Adolf Pschorr war es, der dafür sorgte, dass dievielen Heimatvertriebenen in Unterföhring gutaufgenommen wurden. Seiner Initiative undOffenheit ist es auch zuzuschreiben, dass 1948Georg Hofmann der erste evangelische Schul-rektor der Gemeinde wurde. Seine Frau Elisesang im katholischen Kirchenchor.

1971 erwarb die Evangelische Landeskirchedas Grundstück an der St.-Florian-Straße (seit

1979 Standort des Feuerwehrhauses) für denBau eines Gemeindezentrums. Der Baubeginnverschob sich bis Ende der 70er-Jahre immerwieder, sehr zum Kummer und auch Ärger derUnterföhringer Gläubigen. Immerhin wurdenIsmaning und Unterföhring 1973 eine eigen-ständige evangelische Gemeinde unter demPfarrer Hans Gerch Philippi. In einem Keller-raum der neu gebauten Gemeindehalle fanddie junge Gemeinde einen Platz für ihre Gottes-dienste – wie auch bisher schon kostenlos un-tergebracht von der Gemeinde Unterföhring.

Von den ewigen Debatten über einen Kir-chenbau ermüdet, begann die evangelischeGemeinde in Unterföhring 1980 mit dem Sam-meln von Spenden und dem Planen eines Ge-meindezentrums, um etwas Druck zu machen.

E

1980 800-Jahrfeier in Unterföhring • 1983 Die UhrenmarkeSwatch wird eingeführt • Die Computer-Maus wird erfunden(Apple) • Der IBM XT hat als erster PC einen fest eingebautenPlattenspeicher von 10 MB Kapazität • Microsoft stellt Windows1.0 vor • 1984 Die ersten erfolgreichen Verpflanzungen menschlicher Embryoswerden vorgenommen • Das erste künstlicheChromosom wird erzeugt• Die Neuwahlen desBundestags ergeben einen erdrutschartigenSieg der CDU/CSU mitHelmut Kohl • Die An-schnallpflicht in Autoswird eingeführt • Startdes Privatfernsehens inDeutschland

1984

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Das evangelische Gemeinde-zentrum und die Rafaelkirchemit Glockenturm im Jahr 2007.

Immerhin erreichte sie, dass das Kirchenbau-amt 1983 grünes Licht gab.

Noch im Juli 1983 wurde in Unterföhringder Grundstein zum evangelischen Gemeinde-zentrum gelegt, am 1. Advent 1984 wurde dasHaus mit einem großen Fest eingeweiht. Imevangelischen Gemeindezentrum bekamennun die Katholiken, die zwar eine schöne Kir-che, ein tolles Pfarrhaus, aber keinen Ver-sammlungsraum hatten, einen eigenen Raumzugewiesen und hielten dort auch ihre Festeab. Viele Jahrzehnte später also konnte sich dieevangelische bei der katholischen Gemeindefür die vorausgegangene Gastfreundschaft revanchieren.

Einen Glockenturm hatte die Kirchenge-meinde schon 1984 von ihren Baufirmen ge-

schenkt bekommen. Die Glocken allerdingsfehlten ganze zehn Jahre, weil kein Geld auf-getrieben werden konnte. Als das Haus abbe-zahlt war, ergriff Pfarrer Leo Volleth (1985 bis2007) die Initiative und suchte Spender. DieGemeindemitglieder, die Allianz und die FirmaMoll brachten schließlich das nötige Geld aufund am 1. Advent 1994 wurden die beidenGlocken geweiht. 2004 endlich bekam dasHaus auch einen Namen: Rafaelkirche.

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Tafel 41 Seniorenbegegnungsstätte FeringahausGestiftet vom Seniorenaktiv-Kreis Unterföhring

u einer Zeit, in der man noch garnicht so richtig daran dachte, dass al-te Menschen sich überhaupt treffen

müssen, kamen die Senioren der GemeindeUnterföhring Dank einer Initiative der Arbei-terwohlfahrt (AWO) zusammen. Denn einigeJahre nach Kriegsende zeigte sich, dass viele al-te Menschen vereinsamten. Familien warendurch Vertreibung zerrissenen und die früherüblichen Großfamilien hatten sich aufgelöst.Die Männer hatten es etwas besser, sie konn-ten ihr Bier am Stammtisch in der Wirtschafttrinken, aber die Frauen waren sehr häufig alleine zu Hause.

Anfang der 60er-Jahre stellte der Gemein-derat auf Anfrage der AWO den Büchereiraumin der Gemeindehalle zur Verfügung, in demsich die alten Menschen Unterföhrings künf-tig regelmäßig trafen. Von hier aus unternah-men sie Ausflüge, halfen aber auch bei Behör-dengängen und anderen Schwierigkeiten.1975 dann zog der Altenclub von der Gemein-dehalle in das neue Rathaus um. Jeden Mitt-

wochnachmittag tagte der Club nun dort, ver-anstaltete seinen Spiel- und Unterhaltungs-nachmittag.

Ende der 70er-Jahre entschied der Gemein-derat auf Drängen des damaligen Bürgermei-sters Ernst Eckardt, nach Garchinger Vorbild ei-ne Seniorenwohnanlage zu bauen. Auf dergroßen Wiese zwischen Rathaus und St.-Flori-an-Straße sollte ein Haus entstehen, in dem so-wohl eine Altenwohnanlage als auch eine Be-gegnungsstätte für die Unterföhringer Senio-ren untergebracht sein sollten. Ein Altenheimmit Gemeinschaftseinrichtungen wollte derGemeinderat ausdrücklich nicht.

Am 14. November 1980 beschloss der Gemeinderat, die Altenwohnanlage an der St.-Florian-Straße mit zweiunddreißig Woh-nungen, Bastel- und Gymnastikraum im Keller,einem großen, unterteilbaren Saal für Veran-staltungen und vielen anderen Details zu bau-en. Im Herbst 1982 wurde der erste Spaten-stich getan, die ersten Appartements konntenim Herbst 1983 bezogen werden. Im Februar1984 dann feierte die Seniorenbegegnungs-stätte Feringahaus ihr Eröffnungsfest.

Z

Der Vertrag über die Rückgabe von Hong Kong an China wird zwischen Großbritannien und China ausgehandelt • Im indischenBhopal ereignet sich in einer Fabrik für Pflanzenschutzmittel diebis dahin größte zivile Giftgaskatastrophe • Olympische Spiele inLos Angeles • Apple bringt den Macintosh-Computer auf denMarkt, IBM den MegabitRAM-Chip und den PC-AT, der optische Platten-speicher wird (CD) erfun-den • Richard von Weiz-säcker wird neuer Bundes-präsident • Das erste reindurch Werbung finanzier-te Fernsehprogramm RTLgeht auf Sendung • 1986Atomkatastrophe vonTschernobyl

1984

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Links: Die Altenwohnanlage und(oben) die Seniorenbegegnungs-stätte Feringa-Haus. Aufnahmevon 2007.

Recht bald stellte der Gemeinderat eine So-zialpädagogin ein, die das bisher schon sehrbreite Angebot der Einrichtung betreuen soll-te. Das Feringahaus wie bisher ehrenamtlich zuorganisieren, wäre eine zu große Aufgabe ge-wesen. Wies die Statistik des Feringahauses imAnfangsjahr 1984 noch 223 Veranstaltungenmit 3.377 Besuchern aus, so war schon im Jahr1985 die Zahl der Angebote auf 363 gestiegen,die von 5.460 Besuchern angenommen wur-den. Das Feringahaus wurde schnell zu einemwichtigen Punkt im Leben vieler Unterföhrin-ger Senioren.

Ein Jahr nach der Einweihung erschien imFebruar/März 1985 das erste Programmheftdes Feringahauses, das „Senioren Aktiv“. Soein Heft war nötig geworden, um einen Über-blick über die zahlreichen Angebote des Hau-ses erhalten zu können. Schließlich wurde undwird regelmäßig gewandert, gesungen, ge-malt, getöpfert, es gibt Gedächtnistraining,Gymnastik und Yoga. Bis heute hat sich dasBlatt sehr bewährt und ist inzwischen viertel-jährlich mit einer Auflage von 1.350 Exempla-

ren eine gern gelesene „Seniorenzeitung“ imOrt. Das Feringahaus ist mit seinen Angebotenein wichtiger Anlaufpunkt für die Unterföhrin-ger Senioren geworden: Sie basteln regelmä-ßig für den Christkindlmarkt und betreibendort ihren eigenen Stand, sie veranstalten Fe-ste und Informationsnachmittage. Seit 1995berichtet der Bürgermeister allmonatlich ausdem politischen Leben der Gemeinde. Ein Hos-pizkreis für trauernde Angehörige und eine regelmäßige Beratung zum Thema Demenzwaren die Schwerpunktthemen der vergange-nen Jahre.

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