frühe antikoagulation schützt nicht vor dem reinsult

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Akuter ischämischer Schlaganfall Frühe Antikoagulation schützt nicht vor dem Reinsult -Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen Frühe Antikoagulation ist „out“ Diese individuelle Patienten-Metaanalyse belegt, was leider schon lange zu befürchten war: Es gibt keine Patientenunter- gruppe, die von einer frühen Antikoagulation nach einem ischämischen Insult profitiert, ohne gleichzeitig ein erhöhtes Blutungsrisiko aufzuweisen. Erhöhtes Lebensalter und Vorhof- flimmern und Schwere des Schlaganfalls waren sowohl Prädik- toren für einen schlechten Outcome und thrombotische Ereig- nisse nach ischämischem Insult als auch Prädiktoren für eine schwerwiegende Blutungskomplikation. Daher sollte, wie in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft empfohlen, keine frü- he Antikoagulation erfolgen. Dies gilt auch für Patienten die im Rahmen eines Vorhofflimmerns ihren Schlaganfall erlitten ha- ben. Die Zeit bis zur Initiierung der oralen Antikoagulation soll- te mit Acetylsalicylsäure überbrückt werden. Fragestellung: Ist eine frühe Antikoagulation mit Heparin, Heparinoiden oder niedermolekularem Heparin in der Lage, frühe Rezidivinsulte beim akuten ischämischen Insult zu ver- hindern? Hintergrund: Patienten, die einen akuten ischämischen Insult erlitten haben, haben ein hohes Rezidivrisiko für weitere isch- ämische Insulte. Dies gilt insbesondere für Patienten mit kardia- len Emboliequellen. Daher wurden eine Reihe von Studien durchgeführt, die die frühe Antikoagulation mit Heparin, Heparinoiden oder niedermolekularem Heparin untersuchten. Die meisten dieser Studien zeigten zwar eine Reduktion von Re- insulten. Dieser therapeutische Effekt wurde aber durch eine höhere Zahl von zerebralen Blutungen wieder aufgehoben. Es ist bisher nicht bekannt, ob es Patientencharakteristika gibt, die Patienten identifizieren, die von einer frühen Antikoagulation profitieren würden, ohne ein erhöhtes Blutungsrisiko aufzu- weisen. Patienten und Methodik: Es handelt sich um eine Metaanaly- se individueller Patientendaten aus den fünf größten randomi- sierten Studien zum Einsatz von unfraktärem Heparin, Hepa- rinoiden oder niedermolekularem Heparin im Vergleich zu Acetylsalicylsäure oder Placebo. Verglichen wurden prädiktive Faktoren für thrombotische Ereignisse wie Myokardinfarkt, Schlaganfall, tiefe Beinvenenthrombosen oder Lungenembolien im Vergleich zu symptomatischen intrakraniellen Blutungen oder schwerwiegenden extrakraniellen Blutungen. Der unter- suchte Zeitraum umfasste die ersten 14 Tage nach dem Schlaganfall. Endpunkt war Tod oder Pflegebedürſtigkeit. Der Begriff pflegebedürſtig war jedoch in den einzelnen Studien unterschiedlich defi- niert. Eingeschlossen in die Metaanalyse wurden die Stu- dien IST, TOAST, FISS-tris, HAEST und TAIST. Eine der Studien hatte eine Placebogruppe, in den anderen Studien er- folgte der Vergleich zu Acetylsalicylsäure. Ergebnisse: Patienten nach ischämischem Insult hatten mit zu- nehmenden Alter schwerere neurologische Ausfälle oder Vor- hofflimmern und ein erhöhtes Risiko für thrombotische Ereig- nisse sowie für Blutungskomplikationen. Patienten mit einem im CT-nachweisbarem Infarktareal hatten ebenfalls ein erhöh- tes Risiko für thrombotische Ereignisse. Es ließ sich kein prä- diktives Modell errechnen, das Patienten identifiziert, die einen therapeutischen Nutzen von einer frühen Antikoagulation hät- ten, ohne ein gleichzeitig erhöhtes Risiko für Blutungskompli- kationen aufzuweisen. Schlussfolgerungen: Durch prädiktive Modelle lässt sich keine Patientenpopulation identifizieren, die nach akutem ischämi- schem Insult von einer frühen Antikoagulation mit Heparin, He- parinoiden oder niedermolekularem Heparin profitieren würde. Whiteley WN, Adams HP Jr, Bath PM et al. Targeted use of heparin, heparinoids, or low- molecular-weight heparin to im- prove outcome after acute is- chaemic stroke: an individual patient data meta-analysis of randomised controlled trials. Lancet Neurol 2013; 12: 539–45 Prof. Dr. med. Hans-Christoph, Diener, Essen Direktor der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen E-Mail: [email protected] Weitere Infos auf springermedizin.de Herz oder Hirn? Der Artikel gibt klinische Entscheidungshilfen für Patienten an der Schnittstelle zwischen Kardiologie und Neurolgie (4381028). Diesen Artikel finden Sie, indem Sie den Titel oder die ID-Nummer in Klammern in die Suche eingeben. journal club 14 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2013; 15 (9)

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Page 1: Frühe Antikoagulation schützt nicht vor dem Reinsult

Akuter ischämischer Schlaganfall

Frühe Antikoagulation schützt nicht vor dem Reinsult

−Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

Frühe Antikoagulation ist „out“Diese individuelle Patienten-Metaanalyse belegt, was leider schon lange zu befürchten war: Es gibt keine Patientenunter-gruppe, die von einer frühen Antikoagulation nach einem ischämischen Insult pro�tiert, ohne gleichzeitig ein erhöhtes Blutungsrisiko aufzuweisen. Erhöhtes Lebensalter und Vorhof-�immern und Schwere des Schlaganfalls waren sowohl Prädik-toren für einen schlechten Outcome und thrombotische Ereig-nisse nach ischämischem Insult als auch Prädiktoren für eine schwerwiegende Blutungskomplikation. Daher sollte, wie in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft empfohlen, keine frü-he Antikoagulation erfolgen. Dies gilt auch für Patienten die im Rahmen eines Vorho�immerns ihren Schlaganfall erlitten ha-ben. Die Zeit bis zur Initiierung der oralen Antikoagulation soll-te mit Acetylsalicylsäure überbrückt werden.

Fragestellung: Ist eine frühe Antikoagulation mit Heparin, Heparinoiden oder niedermolekularem Heparin in der Lage, frühe Rezidivinsulte beim akuten ischämischen Insult zu ver-hindern?

Hintergrund: Patienten, die einen akuten ischämischen Insult erlitten haben, haben ein hohes Rezidivrisiko für weitere isch-ämische Insulte. Dies gilt insbesondere für Patienten mit kardia-len Emboliequellen. Daher wurden eine Reihe von Studien durchgeführt, die die frühe Antikoagulation mit Heparin, Heparinoiden oder niedermolekularem Heparin untersuchten. Die meisten dieser Studien zeigten zwar eine Reduktion von Re-insulten. Dieser therapeutische E�ekt wurde aber durch eine höhere Zahl von zerebralen Blutungen wieder aufgehoben. Es ist bisher nicht bekannt, ob es Patientencharakteristika gibt, die Patienten identi�zieren, die von einer frühen Antikoagulation pro�tieren würden, ohne ein erhöhtes Blutungsrisiko aufzu-weisen.

Patienten und Methodik: Es handelt sich um eine Metaanaly-se individueller Patientendaten aus den fünf größten randomi-sierten Studien zum Einsatz von unfraktärem Heparin, Hepa-rinoiden oder niedermolekularem Heparin im Vergleich zu Acetyl salicylsäure oder Placebo. Verglichen wurden prädiktive Faktoren für thrombotische Ereignisse wie Myokardinfarkt, Schlaganfall, tiefe Beinvenenthrombosen oder Lungenembo lien im Vergleich zu symptomatischen intrakraniellen Blutungen oder schwerwiegenden extrakraniellen Blutungen. Der unter-

suchte Zeitraum umfasste die ersten 14 Tage nach dem Schlaganfall. Endpunkt war Tod oder P�egebedür�igkeit. Der Begri� p�egebedür�ig war jedoch in den einzelnen Studien unterschiedlich de�-niert. Eingeschlossen in die Metaanalyse wurden die Stu-dien IST, TOAST, FISS-tris, HAEST und TAIST. Eine der

Studien hatte eine Placebogruppe, in den anderen Studien er-folgte der Vergleich zu Acetylsalicylsäure.

Ergebnisse: Patienten nach ischämischem Insult hatten mit zu-nehmenden Alter schwerere neurologische Ausfälle oder Vor-ho�immern und ein erhöhtes Risiko für thrombotische Ereig-nisse sowie für Blutungskomplikationen. Patienten mit einem im CT-nachweisbarem Infarktareal hatten ebenfalls ein erhöh-tes Risiko für thrombotische Ereignisse. Es ließ sich kein prä-diktives Modell errechnen, das Patienten identi�ziert, die einen therapeutischen Nutzen von einer frühen Antikoagulation hät-ten, ohne ein gleichzeitig erhöhtes Risiko für Blutungskompli-kationen aufzuweisen.

Schlussfolgerungen: Durch prädiktive Modelle lässt sich keine Patientenpopulation identi�zieren, die nach akutem ischämi-schem Insult von einer frühen Antikoagulation mit Heparin, He-parinoiden oder niedermolekularem Heparin pro�tieren würde.

Whiteley WN, Adams HP Jr, Bath PM et al. Targeted use of heparin, heparinoids, or low-molecular-weight heparin to im-prove outcome after acute is-chaemic stroke: an individual patient data meta-analysis of randomised controlled trials. Lancet Neurol 2013; 12: 539–45

Prof. Dr. med. Hans-Christoph, Diener, Essen

Direktor der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum EssenE-Mail: [email protected]

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Herz oder Hirn?

Der Artikel gibt klinische Entscheidungshilfen für Patienten an der Schnittstelle zwischen Kardiologie und Neurolgie (4381028). Diesen Artikel finden Sie, indem Sie den Titel oder die ID-Nummer in Klammern in die Suche eingeben.

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14 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2013; 15 (9)