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Frank Thomas Brinkmann Pop goes my heart Religions- und popkulturelle Gespräche im 21. Jahrhundert pop.religion: lebensstil – kultur – theologie

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Frank Thomas Brinkmann

Pop goes my heartReligions- und popkulturelle Gespräche im 21. Jahrhundert

pop.religion: lebensstil – kultur – theologie

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pop.religion: lebensstil – kultur – theologie

Herausgegeben von

F. T. Brinkmann, Gießen, Deutschland

A. Engelschalk, Aßlar, Deutschland

G. Fermor, Bonn, Deutschland

H.-M. Gutmann, Hamburg, Deutschland

I. Kirsner, Ludwigsburg, Deutschland

I. Nord, Paderborn, Deutschland

H. Schroeter-Wittke, Paderborn, Deutschland

Weitere Bände in dieser Reihe http://www.springer.com/series/13867

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Die Reihe ist ein Forum für den interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch zu Fragen der Religion in allen Bereichen der populären Kultur. Sie gründet in dem Arbeitskreis „Populäre Kultur und Religion“, der im März 1995 in der Ev. Akademie Hamburg gegründet wurde. Er ist eine Initiative, die ein regelmäßiges Forum schaffen will für den wissenschaftlichen Austausch zu Fragen der Religion in allen Gebieten der populären Kultur (Musik, Video, Film, Werbung, Literatur, Computer etc.). Seine Ausrichtung ist interdisziplinär mit besonderer Berücksichtigung von theologischen und religions-wissenschaftlichen Fragestellungen. Sein Ziel ist die Vernetzung der bestehenden Forschungsarbeit, die in Form von regelmäßigen Tagungen, Erstellung von Bibliographien und Literaturberichten sowie durch regionale Forschungsgruppen zu einzelnen Bereichen stärker kommunizierbar gemacht werden soll.

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Frank Thomas Brinkmann (Hrsg.)

Pop goes my heartReligions- und popkulturelleGespr che im 21. Jahrhundertä

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D OI 10.1007/978-3-658-10402-3

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016

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Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Herausgeber

I SBN 9 78-3-658-10402-3 (e Book)

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die

ISBN 978-3-658-10401-6

Universität GießenDeutschland

pop.religion: lebensstil - kultur - theologie

Lektorat: Cori Antonia Mackrodt, Katharina Gonsior

Prof. Dr. Frank Thomas Brinkmann

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Inhaltsverzeichnis

Poptheologie „in a cultural sense“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Ein VorwortFrank Thomas Brinkmann

I. Intro

Pop(p) goes my heart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Eine semiakademische Freestyle-Plauderei zwischen GenerationenFrank Thomas Brinkmann / Julian Sengelmann

II: „…is like a brick. you can build a house or sink a dead body.“ Poptheologische Variationen über den Judas von Lady Gaga (Session I)

Die Lady und das Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Ingo Reuter

Gagastyle: zwischen Eindeutigkeit und Entleerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Harald Schroeter-Wittke

Beziehungsklärungsversuche, angeregt von Lady Gaga . . . . . . . . . . . . . . 41Joachim Kunstmann

Gagas Medium is Gagas Message? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Ilona Nord

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VI Inhaltsverzeichnis

III … ‘til today and beyond. Soziologische und theologische Beats

Populärkultur. Übertreibung und Verfemung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Jörn Ahrens

Das Interesse der christlichen Theologie an einer Hermeneutik der populären Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99Andreas Kubik

IV „Even prophets forgave his goofy way.“ Poptheologische Variationen über den Judas von Lady Gaga (Session II)

Vagabunden. Anmerkungen zu einer Gratwanderung zwischen Marshall McLuhans Understanding Media und der Wiederkehr der Augenblicksgötter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125Christian Polke

Nothing Behind – die Ober äche als Ort der Freiheit. Anmerkungen zu Lady Gaga und dem Clip Judas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133Kristin Merle

Gagas Judas in der TransSocial Media, oder: Wie etwas im Netz sich ad in nitum zu dehnen vermag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147Simon Eckhardt

Die Sünder werden g eliebt. Jesus, Gaga und allerlei düstere musikalische Lebenswelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157Kristina Flieger

V What will be, will be! Poptheoretische und religionsästhetische Moves

Pop – terminologische, de nitorische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169Thomas Hecken

Zur (Pop-)kultur des Verrats und seiner (gefälligen) Inszenierung . . . . . 63Inge Kirsner

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VII Inhaltsverzeichnis

Ergreifende Herzensangelegenheiten und Sympathy for the Devil? . . . . 185Zur Dynamis einer Poptheologie des 21. JahrhundertsFrank Thomas Brinkmann

VI Fade out

AK POP – Status Quo Vadis?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207Tagungsbeobachtungen ITobias Braune-Krickau

AK POP – Status Quo Vadis?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211Tagungsbeobachtungen IIPatrik Mähling

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

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Poptheologie „in a cultural sense“?

Ein Vorwort

Frank Thomas Brinkmann

(An)Gleichung:

Popreligion (plus) Religionsleben (plus) Lebenstil (plus) Stilkultur (plus) Kulturtheologie

= [Pop][religion]s[leben]s[stil][kultur][theologie]

= popreligionlebenstilkulturtheologie

= Poptheologie ????

In the most Biblical sense, I am beyond repentance

(…) But in the cultural sense, I just speak in future tense

(Lady Gaga – Judas)

Die (Wieder)Entdeckung von Sphären und Plateaus, auf denen sich Religiöses und Popkulturelles (in nahezu unbeschadeter Koexistenz?) für analytische und herme-neutische Zugänge sowie für interdisziplinär-intermediäre Diskurse bereit hält, hat Konjunktur – zumindest, wenn man sich auf das Potential bestimmter Internet-Re-cherchemaschinen verlässt: Wer in der jüngsten Dekade in geregelten Zeitinterval-len die Suchbegriffe „Religion“, „Popkultur“, „Populärkultur“, „Theologie“ (usw.) miteinander kombiniert und in beliebiger Zusammenstellung in die Suchmaske eingegeben hat, wird jedenfalls den Zuwachs an Sites, Blogs, Mags und Clips, aber auch an entsprechend platzierten Literatur- und Diskursreferenzen registriert haben, die auf irgendeiner Weise Stellung beziehen zu „Pop und Religion“.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 Hrsg.),

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2 Frank Thomas Brinkmann

Freilich ist die so suggerierte Aussagekraft von Beobachtungen, die sich auf Quantitätseinheiten xieren, weder außergewöhnlich ef zient noch sonderlich gegenwartsdiagnostisch potent. Schnell darf den beliebten quasi-statistischen Unternehmungen, die schematisch aus einem zunehmenden (Netz-)Aufkommen von X den Bedeutsamkeitszugewinn von X herleiten wollen, argumentativ ent-gegengehalten werden, dass dieses veri zierte Wachstum natürlich kein spezi -sches, sondern ein generelles ow-and-grow-Phänomen der digitalen Spätmoder-ne ist: In einem wieder unendlich gewordenen Kosmos, der sich über das Bild einer weltweiten Netzwerkwelt und unter der Signatur von Virtual Reality artikuliert, macht man sich eben nicht zwingend über eine Wortmeldung bemerkbar, sondern mit einer Pose! Dass dieser Sachverhalt sowohl von einem an Religionskultur inte-ressierten theologischen Wissenschaftsbetrieb als auch von einer sich um Zeitgeist und Gegenwartsdeutung bemühenden Popkultur-Forschungsszene gesehen und multiperspektivisch diskursiv entfaltet werden will, trifft tatsächlich einen ganz besonderen Kern der schlicht anmutenden Frage, „was Religion und Popkultur miteinander zu tun haben“ (können).

Dabei ist diese Frage natürlich alles andere als schlicht (gewesen). Von einer geistes- und theologiegeschichtlich fokussierenden Warte aus betrachtet war sie im Grunde eine verspätete Variation der Initiative, religiöse Volkskunde (P. Drews) in den Aufgabenkatalog der Theologie aufzunehmen: Der bereits mit dem ausgehen-den 19. Jahrhundert avisierte Forschungsauftrag, bezogen auf die Umgestaltung des Christentums beim Volk, war zwar Mitte des 20. Jahrhunderts wieder aus dem Portfolio der theologischen Disziplinen entfernt worden, aber er hatte sich in den religions- und kulturwissenschaftlichen Abteilungen, die ihre Vorgehendwei-se als psychologisch, soziologisch, anthropologisch, phänomenologisch und phi-losophisch-hermeneutisch präzisieren konnten, unterschwellig konservieren und modi zieren dürfen. Eigentlich war es, jedenfalls aus heutiger Perspektive, nicht wirklich überraschend, als sich – quasi an den Gärungspolen jenes akademischen Konglomerats, auf das sich die Theologie, um diskursfähig zu bleiben, zunehmend beziehen wollte – als Neuau age des besagten Impulses zu religiöser Volkskunde ein Trend zur theologischen Interpretation popkultureller Phänomene abzeichnete.

Die 1990er Jahre sind diesbezüglich als eine Art Wendezeit zu markieren. Mit einem überarbeiteten Theoriedesign, das sich mit allerlei Anleihen – etwa aus mu-sik- und lmwissenschaftlichen Studien oder aus medien- und kommunikations-theoretischen Re exionen – verstärkt hatte, vor allem aber mit explizit plakatierten persönlichen Erlebnispräferenzen und einer ganz eigenen, beinahe überschüssigen Leidenschaft ging man nun episodisch an das Etappenwerk einer Spurensuche. Konzentriert exemplarisch, bisweilen jedoch auch arg deutungsimperialistisch wurden die substantiellen und funktionalen Gemeinsamkeiten von poppiger Reli-

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3Poptheologie „in a cultural sense“?

gion und religiösem Pop herausgestellt, das Zeichenrepertoire der medial konstitu-ierten Gegenwartskulturen mit dem traditionellen symbolischen Fundus und dem konservativen Basismaterial der Religionen abgeglichen, die Transformationen religiöser Motive und Sinnsequenzen skizziert – und das zu erweiternde Inventar einer modernisierten (Praktischen) Theologie plausibilisiert. Abgesehen davon, dass es offenbar längst an der Zeit war, Schwanengesänge auf die konservative Gleichung „Christliche Religion = Hochkultur“ anzustimmen, sollte es am Ende wohl auch darum gehen, sich auf kulturwissenschaftlich usurpierten großen Foren wieder bemerkbar zu machen – bzw. sich mit quali zierten, weil religionsherme-neutisch, religionsphänomenologisch und religionsästhetisch ausgewiesenen Bei-trägen zurückzumelden.

1995 wurde der Arbeitskreis Populäre Kultur und Religion – die längst ein-gep egte Abkürzung AK POP (sprich: Ah-Kah-Popp) ist zwar noch poppig-ori-ginell, aber in der Scienti c Community kaum gesellschaftsfähig! – gegründet als Forum für den interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch zu Fragen der Religion in allen Bereichen der populären Kultur, oder, um einer auf der AK POP-Website praktizierten Redundanz nachzukommen, als Initiative, die ein regelmä-ßiges Forum schaffen will für den wissenschaftlichen Austausch zu Fragen der Religion in allen Gebieten der populären Kultur (Musik, Video, Film, Werbung, Literatur, Computer etc.). Seit seiner Gründung verfolgen die Mitglieder des AK POP, derzeit über siebzig wissenschaftlich arbeitende Personen, das formale Ziel einer Vernetzung: Forschungserträge sollen publiziert und zugängig gemacht, For-schungsprojekte kommuniziert und in offenen Diskursen plausibilisiert werden; Veranstaltungsformate wie der Jahreskongress oder die Poster-Konferenz, Publi-kationsformate wie der Tagungsband oder der Forschungsbericht, soziale Formate wie die regionale Forschungsprojektgruppe oder das themenzentrierte Tagungs-team sind diesem formalen Ziel der Vernetzung zugeordnet.

Und die Inhalte? Was ist mit der inhaltlichen Zielsetzung? Nun, ein Pro l im klassischen Sinn gibt es nicht, aber womöglich könnte das der Gesamtveranstal-tung auch als Stärke und Charme ausgelegt – und mit einem Hinweis auf die the-matische Vielseitigkeit bisheriger AK POP-Kongresse und -Publikationen veran-schaulicht werden. Es war eine Art unmittelbarer Bedarfs- und Gebrauchslogik, die gerade solche Veranstaltungen aufeinander hat folgen lassen, bei denen keiner-lei Gemeinsamkeit erkennbar sein wollte – obwohl sich dann, Jahre später, doch wieder ein roter Faden aufnehmen und zurückverfolgen ließ. Wenngleich biswei-len die tagungsabhängige Tagesform von Mitgliedern einer AK POP-Hauptver-sammlung über den thematischen Fokus der nächsten Jahrestagung entscheiden musste, hielten sich dennoch jene größeren Trends, die sich durch Wiederaufnah-me bestätigten durften – wie ersichtlich etwa

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4 Frank Thomas Brinkmann

• auf Tagungen und Veröffentlichungen zur Religion im Unterhaltungs lm (1995, 1996), in der Werbung (1997), in der Kunst, der Musik und in Comics (2010),

• auf Veranstaltungen zu Body & Soul (1998), Liebe & Tod (2004), Erwachsen-werden & Altern (2008), Krankheit & Gesundheit (2011),

• auf Tagungen zur ungenauen Lage des Paradieses (2002) und zu politischen Kulturen (2009),

• auf Konferenzen und Veröffentlichungen zu Multi-Media (2000) und Social-Media (2013), zu Reality-TV (2012) und Event-Massenphänomenen (2014).

2015 feiert dieser Arbeitskreis sein zwanzigjähriges Bestehen, oder, wie es auch gern heißt, seinen zweiten runden Geburtstag. Doch beinahe wäre dieses Jubiläum ähnlich unkommentiert geblieben wie alle Inszenierungen der Vorjahre, ähnlich unregistriert wie die Geburtsstunde selbst. Und beinahe wären auch keine Gäste erschienen. Denn der Arbeitskreis Populäre Kultur und Religion war erstaunlich unpopulär geblieben – und hatte sich womöglich zu lange mit einem zwar populä-ren, aber doch reichlich unterbestimmten Pop-Begriff aufgehalten, der eben, wie es die Tagungstitel ahnen lassen, oszillierte zwischen Volkstümlichkeit und Triviali-tät, Alltag und Mainstream, Subversivität und Gegenkultur, Masse, Proletariat und Prekariat, Rock’n’Roll und Schlager. Auf eine Formel gebracht lässt sich festhal-ten, dass die je aufgeworfenen Begriffe von Popkultur stets im Kontext der Erleb-nispräferenzen beteiligter Referentinnen und Referenten befangen blieben. Glei-ches galt selbstverständlich auch von Theologiebegriff(en), Religionskonzept(en) und Kulturmodell(en), und doch gab es hier einen kleinen Unterschied: Wer sich der akademischen Theologie und den Religionswissenschaften verschrieben hatte, war per se und per de nitionem als ortskundig auf diesem Gebiet ausgewiesen – während die De nitions- und Diskurshoheit für die Ge lde der Pop(ulär)kultur eben anderorts, und zwar mit literatur- und musikwissenschaftlichen, kunst- und medientheoretischen, soziologischen und philosophischen Voten erstritten wor-den war. Großartige Literatur war entstanden, man hatte einschlägige Magazine gegründet und ambitionierte Debatten vom Zaune gebrochen, Mechanismen der Popkultur beschrieben, Theorien zur Popkultur vorgelegt und ganzheitliche Deu-tungsintegrale unter der Pop-Signatur zusammengefasst.

Es wurde Zeit für den AK POP, sich mit seinen kulturtheoretisch offenen, theo-logisch und religionswissenschaftlich elaborierten Perspektiven in einen Diskurs einzubringen – und im Gegenzug etwas mehr über POP itself zu erfahren. „Wie bitte? Es gibt einen Arbeitskreis für Popkultur und Religion? Nie gehört! Obwohl es doch sehr interessant wäre, wenn die Theologie…“ – Dies war eine Erfahrung, der man entgegenwirken wollte. Das Jubiläum des AK POP – im zwanzigsten Jahr seiner Existenz – musste einen Neuanfang markieren!

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5Poptheologie „in a cultural sense“?

„Pop goes my heart!“, mit diesem Textzitat aus einem Videoclip, der wiede-rum als Anspielung auf eine Hochzeit des POP in den Eighties konzipiert war, wollte die absolute Leidenschaft, aber auch die Herzensoffenheit aller Beteilig-ten indiziert und übertitelt werden. Zur Veranschaulichung und Präzisierung der seriösen Absichten freilich war diese prätentiöse Überschrift mit einem zurück-haltend-sachbezogenen Untertitel zu stützen. Zum Vorschlag, letztlich auch zur Anwendung kamen derer zwei, die in ihrer Zielsetzung nur subtil miteinander kon-kurrierten: „Religion2.0, Popkultur2.0 und die spätmoderne Theologie des frühen 21. Jahrhunderts“ sollte spektakulär die Bereitschaft anzeigen, alle vorhandenen starken Begriffe einer vollständigen Überarbeitung zu unterziehen, wohingegen „Religions- und popkulturelle Gespräche im 21. Jahrhundert“ eher den Akzent le-gen wollte auf jene sensiblen Nuancenverschiebungen, die sich auf einer gep egten und wohlwollenden Gesprächsebene gemeinsam erarbeiten lassen müssten. Weil beide Optionen ihre Argumente, v. a. jedoch ihre User fanden, landeten letztlich auch (mindestens) zwei Untertitel auf allen Plakaten, Flyern und Netzposts, die für die Jubiläumstagung des AK POP werben sollten. Honi soit qui mal y pense, denn immerhin war darin doch auch ein nettes Signal für eine offene und spannungs-reiche Diskurskultur versteckt!

Zwanzig Jahre nach einer Gründungstagung galt es, alle Variablen eines Pop-Diskurses, an dem sich die Theologie als religionskundige Wissenschaft betei-ligen sollte und wollte, neu zu bestimmen und zu vermessen. Die Protagonisten der „ersten Generation“ des AK POP hatten ihre Schuldigkeit getan, waren aber noch quicklebendig und beredt geblieben, während sich zahlreiche Akteure einer zweiten (Next) Generation bereits erfolgreich ihrer Erlebnisschemata und ihrer (pop-)ästhetischen Präferenzen, ihrer religionswissenschaftlichen Kompetenzen und ihrer theologischen Theoriearchitektur sicher geworden waren und nun in den Startlöchern ausharrten, um Strukturwandel, Wachablösung und Paradigmen-wechsel vorzubereiten. Zugleich war man natürlich brennend daran interessiert, was (erstens) außerhalb der professionell religionskundlichen Beratungszirkel über POP – bzw. über Popular-, Populär- und Popkultur – zusammengetragen und erörtert worden war und womöglich (zweitens) von einer Wissenschaft erwartet wurde, die sich auf Religion und Religiosität, auf das Numinose und das Trans-zendente versteht und mit den Codes und Symbolmengen umzugehen weiß, die das Göttliche versinnbildlichen. (Es war ein Segen, dass der Kulturwissenschaftler und Kultursoziologe Prof. Dr. Jörn Ahrens und der Literaturwissenschaftler und Poptheoretiker Prof. Dr. Thomas Hecken – beide gelten als einschlägig ausgewie-sene Pop-Diskursteilnehmende – den AK POP bei seiner Selbstneuvermessung auf der Jubiläumstagung maßgeblich unterstützt haben.)

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6 Frank Thomas Brinkmann

„Pop goes my heart! Religions- und popkulturelle Gespräche im 21. Jahrhun-dert“ – die Tagung (und insofern auch die vorliegende Publikation als der autori-sierte Tagungsband) – folgt der Logik einer Suchbewegung, die sich als mindes-tens dialogisch angelegte approximative „Inter-Logik“ präsentiert:

Bereits die Einstimmung ist ein anschauliches Exempel; in einem schillernden Dialog ringen Julian Sengelmann und Frank Thomas Brinkmann als zwei Pop-theologen aus zwei Generationen mit wohlwollendem Augenzwinkern um An-näherungen und Distanzen, aber auch um Sympathien des Auditoriums und der Lesendenschar. Gegenseitig erzählen sie sich von ihrer Popper-Geschichte, werfen in unsortierter Folge Lebensideen ab, präsentieren Lesefrüchte und Hörproben, Sehgewohnheiten und Geschmacksvorlieben.

Nach ihrem Praeludium zur Einstimmung versuchen sich sodann Theologinnen und Theologen der ersten AK POP-Generation auf ganz unterschiedliche, teils assoziative, teils aphoristische, teils stark systematisierende Art und Weise daran, ihre religions- und popkulturkundige Visitenkarte abzugeben, und zwar in exem-plarischer Auseinandersetzung mit dem Song-Clip Judas von Lady Gaga – jener Dame, die immerhin ihr drittes Album (2013) Artpop genannt hatte! Dass Ingo Reuter, Harald Schroeter-Wittke, Joachim Kunstmann, Ilona Nord und Inge Kirs-ner dabei jeweils mehr oder weniger subtil einen starken Begriff ihrer frühen AK POP-Forschungen (Evangelium, Religion, Postmoderne, Medium, Inszenierung) zentrieren, ist durchaus gewollt, ebenso wie die im weiteren Verlauf von Tagung und Tagungsband geradezu notwendige Reaktion der jungen, nicht nur theologisch ausgebildeten Wissenschaftlerinnen einer „Next Generation“: Christian Polke, Kristin Merle, Simon Eckhardt und Kristina Flieger fokussieren ihrerseits jeweils neue zentrale Denkbilder (Grat / Schwelle, Remix / Konstruktion, TransSocial-Media, Lebenswelt) – und zeigen, wie sich dies in Spannung zu den Beiträge ihrer Vorredenden, v. a. aber Gewinn bringend auf POP und den Gaga’schen Clipsong anwenden lässt.

Aus guten Gründen war während der Tagungsvorbereitung stets der ganz be-sondere Debattenstil bisheriger AK POP-Konferenzen in Erinnerung geblieben, ebenso die diesem Style durchaus kompatiblen Präsentations- und Publikations-formate. Nicht um störende Gegengewichte zu setzen, sondern die erwünschte Kontrastharmonie zu befördern, sind die obig angedeuteten Scharmützel der Ge-nerationen und Positionen (die im Laufe der Tagung so genannten „Gaga-Battles“) durch zusammenfassende, Ergebnis sichernde, aber auch vorausschauende Bei-träge unterbrochen worden: Von einer ersten Flurstückbereinigung, bewusst rubri-ziert als „Was bisher geschah“, zeugen die Aufsätze von Jörn Ahrens und Andreas Kubik als eher großkalibrige Theoriegeschütze soziologischer und theologischer Provenienz, wohingegen Thomas Hecken und Frank Thomas Brinkmann mit

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7Poptheologie „in a cultural sense“?

ihren poptheoretisch und religionsästhetisch prononcierten Referaten versuchen, ein Licht auf die „What will be, will be“-Situationen zu werfen.

Die beiden abschließenden Kurzartikel von Patrik Mähling und Tobias Braune-Krickau geben wieder, wie zwei Tagungsgäste – übrigens ohne Vorwarnung mit dieser Aufgabe konfrontiert – ihre räsonierenden Beobachtungsspaziergänge mit resümierenden Worten zu Resonanzen gemacht und sich zu dem „Wandering in the chaos the battle has left“ ins Verhältnis gesetzt haben.

Wie nun mehrfach erwähnt sind alle versammelten Beiträge ursprünglich Vor-träge gewesen. Zumeist sind sie es auch noch geblieben. Sie mögen die geneigten Lesenden hier und da verwirren, zueinander inkompatibel scheinen, und doch zeu-gen die Aufsätze in ihrer Gesamtheit von der bereits ausgeloben offenen, krea-tiven, spannungsreichen und Gewinn bringenden Diskurskultur – und natürlich auch von den ganz persönlichen, individuellen Styles der Referierenden.

Dem Springer-Verlag sei zu danken, dass er nicht nur die Tagungsbände des AK POP, sondern auch die aus dieser speziellen Community hervorgehenden For-schungserträge in einer eigenen Reihe mit dem Titel pop.religion: lebenstil-kultur-theologie verlegen wird. Der Herausgeber des vorliegenden Starter-Bandes freut sich für das Team der Reihenherausgebenden (Prof. Dr. Frank Thomas Brink-mann, Gießen / Andreas Engelschalk, Wetzlar / Prof. Dr. Gotthard Fermor, Bonn / Prof. Dr. Hans-Martin Gutmann, Hamburg / Prof. Dr. Inge Kirsner, Stuttgart / Prof. Dr. Ilona Nord, Würzburg / Prof. Dr. Harald Schröter-Wittke, Paderborn), dass dieses großartige Projekt für die Zukunft gut angelegt ist. In Anlehnung an den Titel dieses Buches gilt Frau Dr. Cori Antonia Mackrodt, der klugen, freund-lichen und kreativen Che ektorin, unser „heartful of thanks“, ebenso der sachkun-digen und ideenreichen Projektmanagerin Katharina Gonsior!

Dem vielgelobten Pop-Spraykünstler Robert Seidel ist es gelungen, mit Intensi-tät und Feingefühl ein Artwork für die begonnene Reihe zu kreieren; als Geschenk ziert es nun das Cover. Dem großzügigen Artisten gehört für diese feine Arbeit wertschätzend-dankbarer Applaus!

Anna Lena Veit und Mirjam Stahl haben durch ihr (mehr als nur) zwischenre-daktionelles Engagement dieses Buch zu dem gemacht, was es ist. Mehr kann man nicht, weniger darf man nicht sagen: unglaublich viel Dynamik, Esprit und Herz-blut ist von ihnen investiert worden, und wenn dieser Tagungs- und Aufsatzband auch aufgrund seiner Lesbarkeit erfolgreiche Kreise zieht, dann gebührt genau diesen beiden Damen unser großer Dank zu Recht!

Möge er!

Gießen, am 31. Oktober 2015

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I Intro

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Pop(p) goes my heart

Eine semiakademische Freestyle-Plauderei zwischen Generationen

(Zugleich ein Gesprächsgang, der sich off enbar nur unwesentlich an spätmodernen Religionsbegriff en und popkulturellen Diskursen im 21. Jahrhundert versuchen will. Und der in seiner Printversion sensationell viele Gänsefüßchen verbraucht.)

Frank Thomas Brinkmann / Julian Sengelmann

Pop goes my heart. Auf gut deutsch erklärt bedeutet das: Mein Herzschlag wird onomatopoetisch1 veranschaulicht durch einen Platzlaut, der bilabial (Ober- und Unterlippe) oder apikolabial (Lippe und Zungenspitze) gebildet wird. Richtig?

Ja. Und nein. Denn mit etwas mehr Mut zu jener Romantik, die sich immer schon weniger onomatopoetisch als vielmehr progressiv-universalpoetisch, lebendig und gesellig aufstellen wollte2, müssten wir schlicht übersetzen: Pop ist eine Herzensangelegenheit.

1 Vgl. Kluge 2002, S. XV.

2 Dies entspricht u. a. der berühmten Definition im so genannten Athenäums-Fragment 116; Vgl. Behler et al. 1974, S. 182f.

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 Hrsg.),

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12 Frank Thomas Brinkmann / Julian Sengelmann

Was wiederum keineswegs schlicht ist. Es wird uns noch beschäftigen müssen in der Theologie, insbesondere wenn wir es sind, die Pop als Herzensangelegenheit ausrufen.

Weil es eigentümlich ist.

Genau. Dabei ist freilich nicht eigentümlich, dass die Theologie grundsätzlich ihre Herzensangelegenheiten thematisieren und kommunizieren will. Gerade dies wird ja von ihr erwartet. Zur großen Überraschung kommt es erst in dem Moment, in dem eine bestimmte Theologie, auf ihre Herzensangelegenheit befragt, zwar eine eindeutige, so doch aber eine „ganz andere“ Antwort geben wird.

Wobei natürlich das „ganz Andere“ eigentlich die richtige Antwort auf die Fra-ge nach der Herzensangelegenheit ist.

Zumindest, wenn dieses „ganz Andere“ unter traditioneller Rubrik verhandelt – und früher oder später mit der klassischen Gottesidee assoziiert werden kann.

Und falsch wäre es demnach, „Pop“ als theologische Herzensangelegenheit zu beziffern, auch wenn „Pop“ das „ganz Andere“ wäre?

Wir werden sehen. Und zwar auf die Geschichte dieser Geschichte. In Wirklich-keit nämlich begann diese besonders befremdende Herzensangelegenheit durch-aus als eine schüchterne Affäre: Öffentlich gepoppt wurde erst, nachdem man sich angeschickt hatte, die persönlichen ästhetischen Präferenzen, alle möglichen privatsphärischen Lebensgestaltungsvorlieben auch den anderen vorzuführen, und zwar unter der Signatur von Religionsaf nität und theologischer Valenz:

Was sich bis dato als Musikfaible, Kinoliebhaberei oder leidenschaftliche Fern-sehschwäche eher unterschwellig im Sektor des individuellen Geschmacks ko-kett manieriert hatte, wurde nun in den 1990er Jahren in einer akademischen Charmeoffensive überführt in ein Theoriekonstrukt, das die „Wahrnehmung popkultureller Phänomene“ zentrierte und auf eine theologische Würdigung, Wertschätzung und Verarbeitung abzielte:

Integral dieses – innerhalb des betreffenden Diskurses gern als Ausläufer einer „ästhetischen Wende“ apostrophierten – Forschungstrends wurde ein verhältnis-mäßig unscharfer Begriff von „Popkultur“: Mit nahezu ächendeckendem An-spruch wurde betont, was für diese Popkultur gilt, nämlich: dass etwas, was „an

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den Rändern der Gesellschaft seinen Ursprung hatte“3, ebenso Pop sein kann wie alles andere, was eine „Unterhaltungsindustrie hervorbringt“4, eine Moral Majori-ty einfordert oder eine Zivilreligion absondert.5

Also alles, oder?

Einerseits alles. Andererseits eben nichts. Beziehungsweise ein ziemlich nichtiges „Etwas“.

Ziemlich nichtig wurde es wohl erst in dem Maße, in dem die Theologie ihre „Pop“-Affären abtun wollte als etwas, auf das sich tatsächlich ein Blick richten lässt. Etwas, das man wahrnehmen kann.

Erfahren und erschließen,im freien Fall genießen,im „ ow to go“ durchschreiten,verstehend aufbereiten.Weil ich ihm überlegen bin,dem poppig bunten Treiben,das mich mal mitnahm. Ohne Sinn?Egal. Heut lass ich’s bleiben.Von Fern nur richt’ ich meinen Blickauf eine geile Zeit zurück:Ich hab dich wirklich sehr geliebt.Schön, dass es dich --- so gar nicht gibt!

Fein. Ein netter Reim, der offenbar auf ein Zwischenresümee abzielt: Die Theo-logie hat mit ihrem großen popkulturellen Etwas Spaß gehabt, es angeschaut und „erkannt“ fast schon im Sinne des alttestamentlichen Sprachgebrauchs , aber selbst nicht zu Wort kommen lassen?

Na ja. Eine Theologie, die uns allerlei popkulturelle Phänomene erklärt, gibt es. Aber gibt es auch eine Popkultur, die Wahrnehmungsinteresse hat an der Theo-logie?

3 Bieler 2009, S. 449.

4 Bieler 2009, S. 449.

5 Vgl. Bieler 2009, S. 453.

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Und zwar so sehr, dass sie sich ihrerseits gern anschickt, „auf theologische Phänomene einen Blick zu richten“? Oder all die Sinnpointen, zu denen sich die Theologie re exiv verhält, all das Deutungswissen, für das die Theologie steht, sich popkulturell neu zu erschließen?

Ich fasse zusammen: Die popkulturellen Affären der Theologie blieben jenes an-dere „leichte Etwas“, das sich letzten Endes nicht mit den metaphysisch übersättig-ten Vorstellungen einer alleinigen hohen Wahrheit, einer einzigen großen Liebe in Einklang bringen ließ. Im Vergleich zu dem Proprium der Theologie, zu Gott, Heil und Segen, hatte alles andere diese Verruchtheit, fast schon eine Aura von Sünde, ein Taste of Uneigentlichkeit, Leichtigkeit, Trivialität.

Ober äche.

Genau. Ober äche, aber extrem schillernd.

Schein?

Sehr schöner Schein. Eigentlich nicht zu schön, um wahr zu sein, sondern zu schön, um unwahr zu werden.

Aha. Am Ende wird daraus vermutlich (erstens) ein Plädoyer gegen den Miss-brauch aller besagten verhältnismäßig unscharfen Begriffe von „Popkultur“, (zweitens) ein Votum für die Preisgabe des theologischen Anspruchs auf tie-fen- und religionshermeneutische Deutungshoheiten und (drittens) die Auf-forderung, interdisziplinär-diskursiv an einer popkulturellen Perspektive auf die Theologie des 21. Jahrhunderts zu arbeiten.

Du sagst es.

Ich sehe schon, Du bist auch ein Popper!

Witzig. Das habe ich schon mal gehört…

Vorhang auf für eine Erzählung…

Du bist ein Popper! Obwohl es jene berühmte Ewigkeit her ist, die in zeitdiagnos-tischen Erinnerungsschwelgereien so gern beschworen wird, kommt mir dieser Satz – und mit ihm ein ganzer Schwall an Sequenzen und Sentenzen – tatsächlich

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in den Sinn, als sei jener späte Nachmittag in unserem geliebten Szenejugendtreff gestern gewesen: Du bist ein Popper! Zur Sicherheit musste er es wohl noch ein-mal vorgetragen haben, dieser Sprössling einer bekannten Doppelnamen-Fami-lie6: Ein adoleszierender Besserwisser, der sich da so keck und überlegen vor mir aufgebaut hatte, und als sei seine Redundanz nicht schon unnötig und belästigend genug gewesen, sollte er sich Beifall heischend im Raume umschauen, zu seiner Corona zwinkern und ein drittes Mal den Mund öffnen: „So ein echter Popper, wie man sie jetzt in jeder Zeitschrift ndet!“

Ganz nebenbei, seine Aktion war von Erfolg gekrönt – zumindest, wenn man unter Erfolg das dümmliche Kichern von weiblichen Teenies mit leichtem Schweißgeruch trotz intensivstem Drogeriemarkt-Parfumnebel sowie das über-hebliche Grinsen auf Milchgesichtern nach ersten Akne-Behandlungserfolgen ver-steht. Beides, also Kichern und Grinsen, verdichtete sich schnell zu einem Inferno schrillspöttischen Gelächters, als ich unschuldig zu fragen wagte, was denn ein Popper überhaupt sei.

Dabei war diese Unschuld anteilig geheuchelt, denn ich glaubte insgeheim zu wissen, dass sich das Wesen eines Poppers wohl in seiner Tätigkeit erschließt. Durchaus geläu g war mir die Vokabel „poppen“, auch wenn ich sie bis dato de- nitiv nicht auf meine bisherigen Freizeitgestaltungen hätte applizieren können.

In dieser Beziehung, also: was das „poppen“ anbelangt, waren mir einige meiner Klassenkameraden um Lichtjahre voraus gewesen. Insofern fühlte ich mich zu-nächst, so als Popper betitelt, in gewisser Weise geehrt und geschmeichelt, aber gleichzeitig auch zu Unrecht geadelt. Allerdings war ich zu einem Dementi nicht bereit, denn: „Ich bin gar kein Popper, weil … ich noch nie … bisher … also ihr wisst schon…“ – hätte mir ein solcher Einwand nicht noch mehr Spott eingebracht?

Erst nach einigen Wochen wollte mir die vollständige Wahrheit einsichtig wer-den. So lange nämlich musste es dauern, bis (erstens) die publizistische Quint-essenz aus einem lokalen Randphänomen gezogen und von überregionalen Zeit-schriften und Magazinen zu einer Zeitgeistparole plattgewalzt und verbreitet, und (zweitens), bis das Feuilleton-Wissen aller akademischen Ehepaare meiner Hei-matstadt auf ihre naseweise Brut heruntergebrochen, und sich, von Lehrerkindern kolportiert, in das lückenlose Gros meiner sämtlichen Mitschülerinnen und Mit-schüler eingespeist hatte. Mit anderen Worten? Nun, der Vater meines Peinigers war ---

--- lass es mich bitte sagen: --- war einer dieser ambitionierten Halbintellektu-ellen gewesen, die ein ZEIT-Abonnement besaßen – und am Wochenende das

6 Das gab es schon in jenen Tagen. Ehrenwort!