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Universität Bremen Fachbereich 10 Fach: Spanisch Schriftliche Hausarbeit im Fach Spanisch Interkulturelles Lernen in Online- Projekten im Fremdsprachenunterricht Vorgelegt am 18. März 2005 von Barbara Topf 1

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Fragestellung:

Universität Bremen

Fachbereich 10

Fach: Spanisch

Schriftliche Hausarbeit im Fach Spanisch

Interkulturelles Lernen in Online-Projekten im Fremdsprachenunterricht

Vorgelegt am 18. März 2005

von

Barbara Topf

[email protected]

Inhaltsverzeichnis

31Einleitung

52Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht

72.1Diskussion zur Stellung von interkulturellem Lernen im Fremdsprachenunterricht

92.2Landeskunde und interkulturelles Lernen

122.3Didaktische Ansätze des interkulturellen Lernens

122.3.1Didaktik des Fremdverstehens (Bredella/Delanoy)

122.3.1.1Defintion von „interkulturellem Lernen“

132.3.1.2Kulturverständnis

132.3.1.3Ziele

152.3.1.4Methoden

162.3.2Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit (Knapp/Knapp-Potthoff)

162.3.2.1Definition von „interkultureller Kommunikation“

162.3.2.2Kulturverständnis

172.3.2.3Ziele

202.3.2.4Methoden

212.4Aktuelle Entwicklungen

223Online-Projekte im Fremdsprachenunterricht

223.1Definition

233.2Didaktische Überlegungen

233.2.1Merkmale internetbasierter Kommunikation

243.2.2Merkmale von Projektunterricht

253.2.3Sprachliches Lernen

263.2.4Medienkompetenz

263.2.5Interkulturelles Lernen

273.3Organisation von Online-Projekten

294Untersuchung von drei Online-Projekten

294.1Überblick zu Untersuchungen über interkulturelles Lernen in Online-Projekten

314.2Erkenntnisinteresse

324.3Auswahlkriterien

334.4Vorannahmen

344.5Vorgehensweise und Untersuchungskriterien

364.6Untersuchung der Projekte

364.6.1Präsentation und Vergleich der Projekte

394.6.2Untersuchung der Projekte

554.7Ergebnisse

585Fazit und Ausblick

616Bibliografie

677Anhang

1 Einleitung

Im Januar diesen Jahres wurde das eTwinning - Portal (www.etwinning.net) von der Europäischen Kommission im Rahmen des eLearning Programms eröffnet. Es handelt sich um ein Portal, in dem europäische Schulpartnerschaften per Internet geschlossen werden. Laut der Europäischen Kommission sollen Schulpartnerschaften zum üblichen Unterrichtsstandard gehören. Zur Eröffnung des Portals wurde das Ziel formuliert, bis zum Jahre 2007 30 000 europäische Schulpartnerschaften aufzubauen. (http://www.etwinning.net/ww/de/pub/

etwinning/launch conferences/aims.htm)

In wie weit die bildungspolitischen Ziele der Europäischen Kommission umgesetzt werden, wird sich in nächster Zukunft zeigen. Sicher ist jedoch, dass in der erziehungswissenschaftlichen, fremdsprachendidaktischen und bildungspolitischen Diskussion in Europa der Einsatz des Computers als Informations- und Kommunikationsmedium sehr engagiert geführt wird und große Auswirkungen sowohl auf den schulischen Unterricht als auch Schulkontakte hat.

Trotz räumlicher Distanz kann Dank der neuen IKT (Informations- und Kommunikationsmedien) in Echtzeit kommuniziert und Material ausgetauscht werden.

· Doch bedeutet die Überbrückung der räumlichen Distanz durch IKT auch gleichzeitig eine gelungene Kommunikation?

· Wie können interkulturelle Kommunikation und interkulturelles Lernen in Online-Projekten initiiert und verstärkt werden?

Die Untersuchung von drei Online-Projekten im Rahmen des DaZ (Deutsch als Zweitsprache) – Projekts Das Bild des Anderen, soll folgende Fragen beantworten:

· Was für interkulturelle Lernprozesse finden in den Projekten statt?

· Und in wie weit hängen diese von dem Inhalt und den Kommunikationsdiensten ab?

Für eine differenzierte Beantwortung der Frage habe ich mich für einen Vergleich inhaltlich ähnlicher Projekte mit unterschiedlichen Ausführungen und Kommunikationswerkzeugen entschlossen. Da die Didaktik von DaZ eine Pionierstellung im Bereich des interkulturellen Lernens im Fremdsprachenunterricht besitzt und kaum Projekte aus dem Spanischunterricht dokumentiert sind, werden Projekte mit Deutschlernern analysiert. Die Ergebnisse können jedoch auch auf andere Sprachen übertragen und didaktisch bearbeitet werden.

Mit meiner Arbeit möchte ich einen Beitrag zu den wenigen durchgeführten Untersuchungen über interkulturelle Lernprozesse in internetbasierten Projekten leisten.

Dazu werde ich im zweiten Kapitel eine Einführung in die Didaktik des interkulturellen Lernens geben. Der Leser wird einen Einblick in die Ursprünge der interkulturellen Didaktik und deren Einbettung in bisherige landeskundliche Ansätze erhalten. Die Darstellung der Diskussion über den Stellenwert, den interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht einnehmen soll, wird dem Leser einen kritischen Blick auf die Thematik ermöglichen. Hier werden Standpunkte von aktuellen Fremdsprachendidaktikern (Bleyhl, De Florio-Hansen, Küster, etc.) und Sprachwissenschaftlern (Edmondson/House) dargestellt. Die darauf folgenden ausführlichen Beschreibungen der Didaktik des Fremdverstehens und der Befähigung zur interkulturellen Kommunikation (Kapitel 2.3.1 und 2.3.2) sollen dem Leser ein tieferes Verständnis über die Inhalte interkultureller Fremdsprachendidaktik geben. Abschließend werde ich die, u. a. von Küster und Kramsch repräsentierten, neueren Entwicklungen der interkulturellen Didaktik darstellen.

Im dritten Kapitel werden die Didaktik und Organisation von Online-Projekten ausgeführt. Die Besonderheiten der Kommunikation im virtuellen Raum sowie der Projektcharakter von Online-Kommunikationen werden auf ihre Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung hin untersucht. Dafür wird u. a. Literatur von Legutke und Wolff herangezogen. Der eher an der Praxis interessierte Leser erhält Information zur Organisation im Unterkapitel 3.3, die hauptsächlich auf den Veröffentlichungen des norddeutschen Englischlehrers Donath beruht.

Die Untersuchung von drei unterschiedlichen Online-Projekten mit Deutschlernern der Sekundarstufe I und II aus Schweden, Finnland, Dänemark, Serbien und Japan in den Zeiträumen von 1998/2000, 2001/2002 und 2004/2005 wird einen Einblick in die aktuelle Praxis geben und Ergebnisse über interkulturelles Lernen in Online-Projekten liefern. Ein Überblick über bisher durchgeführte Untersuchungen von interkulturellen Lernprozessen in E-Mail-Projekten wird eine Einbettung der Ergebnisse dieser Analyse ermöglichen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Ausblick für Unterricht und Forschung schließen die Arbeit ab.

2 Interkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht

Die Entwicklung von Konzepten und Verfahren des interkulturellen Lernens wurde in Deutschland entscheidend von der erziehungswissenschaftlichen Ausländer- und Migrationspädagogik beeinflusst, die als Antwort auf die Migrationsbewegung der 60er Jahre entstanden war. Sie betont die Gleichwertigkeit von Sprachen und Kulturen sowie deren bereichernde Bedeutung für alle Beteiligten. Diesem Ansatz wird jedoch heute eine zu statische Kulturauffassung vorgeworfen. Außerdem kann die interkulturelle Pädagogik auch euphemistische Züge tragen, wenn von den praktischen Problemen multinationaler Klassen abgelenkt und die Prestigeskala für Sprache und Kultur nicht berücksichtigt werden. (vgl. Krumm 2003: 139 und Buttjes 1991: 5) Der Einfluss der Migrationspädagogik (heute: interkulturelle Pädagogik) hat zur Folge, dass in der fremdsprachendidaktischen Interkulturalitätsdebatte allgemeine Bildungsziele und pädagogische Aspekte stärker zum Tragen kommen als bisher. (vgl. Krumm 2003: 139, Hu 1995: 20 und De Florio-Hansen 2000: 227).

Die wachsende Mobilität der europäischen Bürger und die beruflichen Anforderungen in einer globalisierten Welt lenken immer mehr die Aufmerksamkeit der europäischen Fremdsprachendidaktik auf die Ausbildung interkultureller Kompetenzen. Eine Förderung der interkulturellen Kompetenzen ist begrüßenswert, doch sollten diese nicht auf wirtschaftliche und berufliche Interessen reduziert werden. De Florio-Hansen warnt darüber hinaus vor einem „Eurozentrismus“. (De Florio Hansen 2000: 227)

Ein weiterer Impuls für die Interkulturalitätsdebatte ist die Stereotyp- und Vorurteilsforschung, die in der Landeskunde das Überwinden von Klischees und Vorurteilen in den Mittelpunkt stellt. (vgl. Krumm 2003: 139).

Die zentrale Dimension der Begrifflichkeit „Kultur“ in fremdsprachendidaktischen Überlegungen bringt einige Probleme mit sich. Erstens ist der Komplexitätsgrad kultureller Zusammenhänge sehr hoch, so dass eine klare Offenlegung von kulturellen Strukturen für didaktische Belange schwierig ist. (vgl. Hu 1995: 21) Zweitens ist eine Überprüfung des interkulturellen Lernens problematisch, wobei schon Versuche einer prüfungsrelevanten Operationalisierung vorliegen. (vgl. Krumm 2003: 143) Drittens kann es durch die Fokussierung auf kulturelle Aspekte zu einer zu starken Betonung des „anderskulturellen“ kommen, was zu Stereotypenbildung und zur Reduktion des Gegenübers auf seine Kultur führt. (vgl. auch Schinschke 1995: 36) „Kulturelle Fremdheit ist prinzipiell aber nicht von den anderen Formen von Fremdheit (s. o.) zu trennen.“ (ebd. 1995: 37)

Eine weitere Problematik ist, in wie weit Fremdverstehen überhaupt möglich ist. Vertreter der kontrastiven Hermeneutik (auch skeptische oder kritische Hermeneutik genannt) sind der Ansicht, dass der Versuch, den anderen zu verstehen, oft mit der Vereinnahmung des Fremden durch eigene, bekannte Bezeichnungen endet und deswegen das Respektieren der Andersartigkeit angestrebt werden sollte. (vgl. Küster 2003: 70) Küster hält dieser Auffassung entgegen, dass Hermeneutik auf dem Prinzip einer dialogischen Annäherung basiert. „Der Sinn von Gesagtem oder Geschriebenen enthüllt sich graduell und nie vollständig in einer wechselseitigen Befragung des Gegenüber (des Textes) und der Gültigkeit des eigenen Vorverständnisses.“ (Küster 2003: 70) Vertreter des radikalen Konstruktivismus sind der Meinung, dass ein absolutes Fremdverstehen nicht möglich ist, da es keine dritte Instanz gibt, die bestätigen kann, ob die eigene (immer subjektiv konstruierte) Wahrnehmung der Wirklichkeit oder gar der Wahrnehmung des „Gegenüber“ entspricht. (vgl. Eckerth/Wendt 2003: 12 f.) Dennoch ist eine „Viabilisierung“ im Kontakt mit dem Fremden möglich, indem gemeinsam Bedeutungen ausgehandelt werden und deutlich wird, dass die eigene Wirklichkeitskonstruktion eine Möglichkeit unter mehreren ist. Interkulturelles Lernen könnte hier auch als „Sozialisation über unseren engsten Umkreis hinausgehend“ (Eckerth/Wendt 2003: 13) beschrieben werden.

Gegenwärtig unterscheiden sich (noch) die Kulturkonzepte im wissenschaftlichen Diskurs und der Praxis. Während in der Praxis Kultur oft mit Nationalkultur gleichgesetzt und als eine kohärente Entität aufgefasst wird, die objektiv zu beschreiben und fixierbar ist, wird im wissenschaftlichen Bereich und in neueren schulpädagogischen Überlegungen die Multikulturalität sowie die Heterogenität, Dynamik und Subjektivität von Kultur berücksichtigt. (vgl. u. a. Gogolin 2003: 97; Raasch 1997: 71)

2.1 Diskussion zur Stellung von interkulturellem Lernen im Fremdsprachenunterricht

In der kontroversen Diskussion in der Fremdsprachendidaktik der 1990er Jahre wurde insbesondere der Stellenwert interkulturellen Lernens diskutiert. Zwar herrscht Übereinstimmung darüber, dass Sprache ein Kulturträger ist und somit Kultur im Sprachunterricht eine Rolle spielt, doch gehen die Meinungen über den Begriff des interkulturellen Lernens und die Wichtigkeit der Einbettung im Fremdsprachenunterricht auseinander. Bleyhl (1994) sowie Edmondson/House (1998) sind der Meinung, dass Fremdsprachenunterricht per se interkulturell ist. Für Bleyhl bedeutet die Umorientierung in der fremdsprachigen Landeskunde nur eine Fokussierung auf die Beziehung zwischen Sprache und kulturspezifischem Handeln. Edmondson/House (1998: 161 ff.) kritisieren an der interkulturellen Debatte, dass sozio-affektive Lernziele mit sprachlichen verknüpft werden. Sie verfolgen eine Didaktik, die sich auf „sprachbezogene Lernziele“ (Edmondson/House 1998: 179) konzentriert und interkulturelles Lernen auf sprachliche Merkmale, d. h. „Sprache-in-Funktion, Sprache-in-Situation und Sprache-in-Kultur“ (ebd.: 179), beschränkt. Kontrastive und lernerorientierte Diskursanalysen sollen die Grundlage für den Fremdsprachenunterricht bilden und der Erweiterung der kommunikativen Kompetenz des Lerners dienen. Hauptziel ist, divergierende sprachlich-kulturelle Phänomene deutlich zu machen, um Missverständnisse im interkulturellen Dialog zu vermeiden.

Die Kritik, die Bleyhl sowie Edmondson und House an der Überfrachtung der Begrifflichkeit von interkulturellem Lernen üben, wird auch von Freudenstein geteilt. In seinem etwas provokativen Artikel „Alles interkulturell - oder was?“ (1994: 56 ff.) schreibt er, dass interkulturelles Lernen nur ein Modewort für gängige Praktiken im Fremdsprachenunterricht ist. Auf den „inflationären Gebrauch“ des Begriffs weist auch Krumm (1994: 116 ff.) hin, wobei dieser ein Vertreter für die Implementierung neuer Aspekte in den landeskundlichen Fremdsprachenunterricht ist.

Heute hat sich die interkulturelle Landeskundedidaktik auch institutionell durchgesetzt. Im Europäischen Referenzrahmen für das Fremdsprachenlernen (Council of Europe 2001) wird neben der herkömmlichen faktenorientierten Wissensvermittlung die Ausbildung von interkultureller Kompetenz, „intercultural skills and know-how“ (Council of Europe 2001: 104 ), empfohlen. Auch hat der Beirat für Deutsch als Fremdsprache des Goethe-Instituts 1997 zwei wegweisende Angaben zu interkulturellen Aspekten des Fremdsprachenunterrichts in den „24 vermittlungsmethodische[n] Thesen und Empfehlungen“ (vgl. Biechele/Padrós 2003: 56) ausgesprochen.

2.2 Landeskunde und interkulturelles Lernen

Landeskunde im Fremdsprachenunterricht lässt sich grob in drei Typen kategorisieren. In der DaZ (Deutsch als Zweitsprache)-Didaktik unterscheidet man „Faktische Landeskunde“, „Kommunikative Landeskunde“ und „Interkulturelle Landeskunde“ (Biechele/Padrós 2003: 3). Die faktische Landeskunde umfasst die Vermittlung von

„systematischen Kenntnissen über die Kultur und Gesellschaft der Zielsprache in Form von Fakten, Daten, Zahlen [...]. Dahinter steht der (tatsächlich aber nie zu erfüllende) enzyklopädische Anspruch, die Zielkultur in ihrer Gesamtheit zu erfassen.“ (ebd. 2003: 27)

Im Zuge der kommunikativen Wende der 70er Jahre in der Fremdsprachendidaktik wird die faktische Landeskunde durch die kommunikative ersetzt. Die landeskundlichen Inhalte konzentrieren sich nun auf die fremde Alltagskultur und sollen den Fremdsprachenlerner befähigen, sich im fremdkulturellen Alltag verständigen zu können. „Die Kenntnis der Alltagskultur der Zielsprache dient als Referenzwissen, um sich in der Alltagskultur sprachlich angemessen verhalten zu können.“ (ebd. 2003: 43)

Dieser pragmatisch-funktionale Ansatz wird ab Mitte der 80er Jahre (vgl. Brunzel 2002: 98) um den interkulturellen Aspekt erweitert. Es wird festgestellt, dass das Wissen über adäquate Redemittel nicht automatisch zu einem Verständnis der anderen Kultur führt. Im Mittelpunkt der interkulturellen Landeskunde stehen deswegen das Fremdverstehen, der Perspektivenwechsel, die Befähigung zur Kommunikation in interkulturellen Kontakten und die Berücksichtigung der Multikulturalität und Mehrsprachigkeit von Kulturen und Individuen. (vgl. auch Gnutzmann/Königs 1992: 24) Eine der ersten Veröffentlichungen zu dieser neuen landeskundlichen Auffassung sind die Stuttgarter Thesen zur Rolle der Landeskunde im Französischunterricht (Robert-Bosch-Stiftung/Deutsch-Französisches Institut 1982). Dort wird die transnationale Kommunikationsfähigkeit in das Zentrum fremdsprachendidaktischer Überlegungen gestellt und auf deren wirtschaftliche, politische und kulturelle Notwendigkeit hingewiesen. (vgl. Baumgratz et al. 1982: 183 ff.)

Ebenso in den 80er Jahren ist der Ansatz von Wilma Melde (1987) entstanden, die eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Zielsprachenland anstrebt. Sie sieht einen persönlichen Zugang über „partnerbezogene Kommunikation im privaten Bereich“ als Einstieg in den Kontakt vor, der dann später durch „medial vermittelte Kommunikation der politisch-kulturellen Öffentlichkeit“ und „sozialwissenschaftliche[n] Beobachtungsperspektiven“ erweitert wird. (vgl. Melde 1987: 157) Interessant an diesem Ansatz ist der Zugang zur fremdsprachlichen Lebenswelt und Gesellschaft über die individuelle Sichtweise. Dabei ist als erster Schritt eine Auseinandersetzung mit der fremdkulturellen Perspektive vorgesehen, die so genannte „Perspektivenübernahme“ (ebd. 1987: 157), die dann durch einen Vergleich mit der eigenen Lebenswelt zu einer „Perspektivenkoordination“ (ebd. 1987: 157) führen soll. Die Betonung der sozialwissenschaftlichen Erklärung für kulturelle Phänomene kann aus heutiger Sicht insofern kritisiert werden, als dass sie sich auf eine Perspektive festlegt. (vgl. auch Brunzel 2002: 100)

Ende der 90er Jahre werden im Europäischen Referenzrahmen für Fremdsprachen (Council of Europe 2001: 104) neue Ziele der interkulturellen Landeskunde formuliert. Sie beinhalten das deklarative Wissen (declarative knowledge), das sich in Weltwissen, sozio-kulturelles Wissen und interkulturelles Bewusstsein aufteilen lässt, sowie die Fähigkeiten und Kompetenzen im Umgang mit interkulturellen Situationen (intercultural skills and know-how).

In der allgemeinen Diskussion stimmt man darüber ein, dass die Fähigkeiten und Kompetenzen für interkulturelle Kontakte das deklarative Wissen nicht ersetzen. (vgl. Brunzel 2002: 105) Dies wird auch deutlich an dem fünfstufigen Modell von Albert Raasch (1997):

1. Stufe: Faktenwissen über das Zielland: Geschichte, Geografie, Gesellschaft, Alltag, Sprache, Verhaltensmuster, Wertesystem etc.

2. Stufe: Kontrastive Landeskunde: Kontrastierung der fremden Kultur mit der eigenen.

3. Stufe: Empathiekompetenz: kognitives und emotionales Verständnis für das Andere aufbringen und die Gemeinsamkeiten wie Verschiedenheiten gemeinsam benennen.

4. Stufe: Interkulturelle Kompetenz: Fähigkeit zu Handlungen und Kommunikation in interkulturellen Gruppen.

5. Stufe: Intrakulturalität: Aufbau einer gemeinsamen Kultur, in der die individuellen Kulturen nicht aufgehoben, sondern mit eingebracht werden. (vgl. Raasch 1997: 71 ff.)

Raasch fragt sich, ob alle Stufen in der Schule umsetzbar sind, da beispielsweise die Entwicklung von interkultureller Kompetenz authentischen Kontakt zu anderssprachigen Personen voraussetzt. (vgl. ebd. 1997: 72) Wie De Florio-Hansen (2000: 227 ff.) jedoch zeigt, kann interkulturelle Kompetenz nicht nur im Rahmen von internationalen Kontakten entwickelt werden, sondern auch im mehrsprachigen und multikulturellen Klassenzimmer und durch Rollenspiele. Außerdem kann Raasch insofern kritisiert werden, dass er von einem interkulturellen Lernen ausgeht, dass bei dem Erwerb von landeskundlichem Faktenwissen beginnt.

2.3 Didaktische Ansätze des interkulturellen Lernens

2.3.1 Didaktik des Fremdverstehens (Bredella/Delanoy)

1991 wurde von L. Bredella und H. Christ das Gießener Graduierten-Kolleg „Didaktik des Fremdverstehens“ ins Leben gerufen, das die Begriffe des Fremdverstehens und des interkulturellen Lernens stark geprägt hat. In den bis jetzt erschienenen sechs Sammelbänden werden Fremdverstehen und interkulturelles Lernen theoretisch wie praktisch mit unterschiedlichen Fokussierungen behandelt.

2.3.1.1 Definition von interkulturellem Lernen

In der 14. Jahreskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts von 1994 definiert der Mitherausgeber Herbert Christ „interkulturelles Lernen“ als

„[...] ein[en] Lernprozess, in dem nicht der Informationsgewinn als ausschlaggebendes Kriterium dienen kann, an dem der Erfolg zu messen wäre, sondern die Veränderung des eigenen Standpunktes.“ (Christ 1994: 31)

Der Standpunkt macht die Perspektive auf die eigene und fremde Realität aus.

Die Einleitung des 1999 erschienen Sammelbandes des Gießener Graduierten-Kolleg verdeutlicht, was interkulturelles Lernen im Sinne der Didaktik des Fremdverstehens ausmacht. Nach Bredella und Delanoy ist interkulturelles Lernen ein Prozess und findet im Dialog statt. Sich von eigenen Vorstellungen zu lösen, diese zu modifizieren und neue zu übernehmen geschieht prozess- und dialoghaft im Aushandeln von Bedeutung. In der Auseinandersetzung mit dem Anderen wird der eigene Standpunkt relativiert, metasprachlich reflektiert und gegebenenfalls gewechselt. Voraussetzung dafür sind Empathiefähigkeit, Toleranz und Offenheit. (vgl. Bredella/Delanoy 1999: 13)

Im Gegensatz zu Vertretern der kontrastiven Hermeneutik, nehmen Bredella und Delanoy den Standpunkt ein, dass das Verhältnis zwischen dem Eigenem und dem Fremden einen „dynamischen und relationalen Charakter“ (ebd. 1999: 14) hat. Der Andere soll nicht als der „Fremde“ und nicht zu verstehende stigmatisiert werden. Das Fremde kann bekannt werden und Bekanntes kann fremd wirken. Weder soll das Andere auf das Eigene reduziert, noch soll das Andere völlig ausgegrenzt werden. Das Nichtverstehen des Anderen kann zwar teilweise an der „unzugänglichen Andersheit des Fremden“ liegen, jedoch auch an der „mangelnden Bereitschaft, sich auf andere Sichtweisen einzustellen und den eigenen Standpunkt zu relativieren“. (ebd. 1999: 14)

2.3.1.2 Kulturverständnis

In der Didaktik des Fremdverstehens wird heute das dichotome Kulturverständnis von Eigenem und Fremden zugunsten mehrdimensionaler Denkmodelle aufgegeben. (vgl. Hu 2003: 74) Sie folgt zum Teil den aktuellen Tendenzen der Ethnologie, Kulturwissenschaften, Interkulturellen Philosophie und Anthropologischen Literaturwissenschaft, die ein diskursiv-reflexives und anthropologisches Konzept von Kultur vertreten. (vgl. ebd. 2003: 53) Kultur wird definiert als strukturierende und deutende Aktivität von Personen, welche Bedeutungen verleihen, Interessen durchsetzen und Identität schaffen. (vgl. ebd. 2003: 54) Darüber hinaus sind Sprache und Kultur untrennbar miteinander verbunden. (vgl. ebd. 2003: 54 und Kramsch 1995: 54) Das bedeutet u. a., dass Sprache eine wesentliche Rolle in der Entstehung und im Wandel von Kulturen spielt. (ebd. 1995: 54) Hu weist darauf hin, dass Kulturen heutzutage auf Grund der starken Migration, sowie des globalen Informations- und Warenaustauschs keineswegs homogen sind. Die Individuen sind multikulturell geprägt, was sich auch auf interkulturelle Kontaktsituationen auswirkt. Darüber hinaus wird die Multikulturalität der Lerngruppen beim Fremdsprachenerwerb und bei der Behandlung von kulturellen Themen immer stärker berücksichtigt. Zudem wird die Beobachtung gemacht, dass Individuen nicht nur über ihre Kultur definiert werden können. (vgl. Bredella/Delanoy 1999: 15)

2.3.1.3 Ziele

Die Didaktik des Fremdverstehens stellt den Prozess des Perspektivenwechsels in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen und Forschungen.

„Ausgangspunkt des interkulturellen Fremdsprachenunterrichts bildet das wechselseitige Verhältnis von Fremden und Eigenem.“ (Bredella et al. 2000: XXXVII) Die Wechselwirkung von fremder und eigener Kultur wahrzunehmen ist wichtig, um Kulturkompetenz zu erlangen. Darüber hinaus sind allgemeine Bildungsziele wie Toleranzentwicklung, Entwicklung von Empathie und der Fähigkeit zur Konfliktbewältigung von Wichtigkeit. (vgl. Brunzel 2002: 54) Auch politische Bildung, die Aufhebung von Ethnozentrismus und Kulturkonflikten sollen im Fremdsprachenunterricht behandelt werden (vgl. De Florio-Hansen 2000: 227). Ebenso kann der Fremdsprachenunterricht Beiträge zur Persönlichkeitsentwicklung leisten, da der Umgang mit Unterschieden und der zeitweilige bis dauerhafte Wechsel der Perspektive dem Lerner zu einer autonomen und starken Persönlichkeit verhelfen können. (vgl. De Florio-Hansen 2000: 228)

Im Fremdsprachenunterricht sollten, laut Bredella und Delanoy, sprachliche Probleme, die Barrieren für eine gut verlaufende interkulturelle Kommunikation sein können, mehr Gewicht bekommen. Zu diesen sprachlichen Inhalten gehören semantische Unterschiede, Differenzen bei der Realisierung von Sprachfunktionen, wie Einladungen aussprechen und annehmen, und non-verbale Verständigungssignale.

Neben Bildungszielen und sprachlichen Zielen strebt die Didaktik des Fremdverstehens eine Verbesserung von interkulturellen Kommunikationsprozessen an. Sie distanziert sich vom native speaker als Modell und bildet den Begriff des intercultural speaker, ein Sprecher der nicht versucht, genauso perfekt wie ein Muttersprachler zu sprechen, sondern die interkulturelle Situation, die das Verwenden einer Fremdsprache (Vermittlersprache) erfordert, zu meistern. „Interkultureller Fremdsprachenunterricht orientiert sich daher an einem model speaker, der über ein hohes Maß an interkulturellen Vermittlungskompetenzen verfügt.“ (Bredella/Delanoy 1999: 17). Nach Byram (1999) sollte der intercultural speaker drei Teilkompetenzen entwickeln:

· Die linguistische Kompetenz

· Die soziolinguistische Kompetenz

· Die Diskurskompetenz

2.3.1.4 Methoden

Zwei Ziele stehen in der Didaktik des Fremdverstehens im Vordergrund:

Zum einen wird ein Vergleich zwischen zwei oder mehreren Kulturen angestrebt.

„Aus methodischer Sicht besteht ein wichtiger Vorzug von gezielten Kulturvergleichen darin, dass Lernende dadurch ein Bewusstsein von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen der eigenen und der fremden Kultur entwickeln.“ (ebd. 2000: XL)

Bredella und Meißner (u. a.) sehen in diesem Vorgehen den Vorteil, dass der Lernende einen ständigen Perspektivenwechsel durchführen muss, will er seine Kultur aus der Fremdperspektive betrachten, um sie beschreiben und vergleichen zu können. Darüber hinaus wird der Lerner eine kritische Einstellung gegenüber Stereotypen einnehmen, da er die Vielschichtigkeit der eigenen und der Zielkultur kennen lernt.

Zum anderen soll der Fremdsprachenunterricht „Lernende dazu befähigen […], transferierbare methodische Fähigkeiten im Verstehen fremder Kulturen zu erwerben“ (ebd. 2000: XLI), ohne sich auf eine bestimmte Kultur zu beziehen. Der Untersuchungsschwerpunkt der Didaktik des Fremdverstehens liegt auf der Literaturdidaktik, was jedoch nicht die Auseinandersetzung mit anderen Unterrichtsinhalten ausklammert (vgl. Veröffentlichungen des Giessener Graduierten-Kolleg). Literarische Texte können „Möglichkeiten zur gezielten Förderung der Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel und zur Perspektivenübernahme eröffnen.“ (ebd. 2000: XLII)

Eine Einigung, welche methodischen Herangehensweisen ein Fremdverstehen ermöglichen, gibt es noch längst nicht.

„Obgleich es unbestreitbar ist, dass die Förderung des Fremdverstehens maßgeblich von den Aufgaben bzw. tasks abhängt, die den Lernenden bei der Beschäftigung mit fremdkulturellen Texten gestellt werden, ist keineswegs geklärt, welche Herangehensweisen in diesem Zusammenhang besonders geeignet sind.“ (ebd. 2000: XLIV)

In vielen Beiträgen der Veröffentlichungen des Graduierten-Kolleg wird die Meinung vertreten, dass Lernende durch Sprechen Perspektiven (teilweise bewusst) wechseln können. (ebd. 2000: XLIV) Die Aufgaben sollen vor allem durch schülerorientierte, kreative und produktorientierte Herangehensweisen die Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel schulen.

2.3.2 Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit (Knapp/Knapp-Potthoff)

Knapp-Potthoff spricht nicht von interkulturellem Lernen, sondern untersucht die interkulturelle Kommunikation. In ihrem Aufsatz „Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit als Lernziel“ von 1997 entwickelt sie ein fortschrittliches Konzept

„einer dynamischen interkulturellen Kommunikationsfähigkeit [...], das auf der Vorstellung von interkultureller Kommunikation als Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kommunikationsgemeinschaften basiert.“ (Knapp-Potthoff 1997: 183)

2.3.2.1 Definition von interkultureller Kommunikation

Sehr differenziert untersucht Knapp-Potthoff den aktuellen Stand der Diskussion und stellt die Frage:

„Gibt es so etwas wie eine interkulturelle Kommunikationsfähigkeit? Was ist sie – gegebenenfalls – mehr oder anderes, als sich einigermaßen souverän einer weiteren Sprache bedienen zu können, und in welchem Maße ist sie überhaupt erlern- bzw. verbesserbar?“ (Knapp-Potthoff 1997: 182)

Da sie einen Strategien-Katalog für interkulturelle Kommunikation vorgibt, gehe ich davon aus, dass Knapp-Potthoff diese Frage bejaht. Karlfried Knapp und Annelie Knapp-Potthoff definieren interkulturelle Kommunikation als

„interpersonale Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen, die sich mit Blick auf die ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und sprachlichen Formen symbolischen Handelns unterscheiden.“ (Knapp/Knapp-Potthoff 1990: 66)

Aus linguistischer Perspektive wird Kommunikation als interpersonale Interaktion mit sprachlichen und nicht-sprachlichen Mitteln verstanden, die sich zu einer komplexen Handlung zusammenfügen.

2.3.2.2 Kulturverständnis

Knapp und Knapp-Potthoff vertreten, wie die Didaktik des Fremdverstehens, einen anthropologischen Ansatz, der Kultur definiert als ein System von Wissensbeständen und Standards des Wahrnehmens, Glaubens, Bewertens und Handelns, das nicht „übergestülpt“, sondern von den Kulturmitgliedern kreiert und gelebt wird.

Eine Kultur kann nicht mit Nation gleich gesetzt werden. Nationen bestehen aus einem heterogenen Kulturenkomplex. Deswegen ist eine Aussage über nationalkulturelle Phänomene so zu formulieren, dass es nicht zur Stereotypenbildung kommt. Ebenso wie Edmondson/House (1998) beobachtet Knapp-Potthoff, dass Kulturen sich aus verschiedenen Ebenen konstituieren, wie die geschlechtliche, soziale oder generationale Ebene. (Knapp-Potthoff 1997: 186) Wie Hu (2003) weist Knapp-Potthoff darauf hin, dass sowohl Kulturen als auch Individuen heterogen sind. Sie kritisiert, dass diese gesellschaftliche Veränderung in den wenigsten praktischen Arbeiten angemessen berücksichtigt wird. (vgl. ebd. 1997: 186) Z. B. können sich in einem spanisch-deutschen Schülerkontakt eine Ecuadorianerin und ein Russlanddeutscher gegenüberstehen, und somit nicht Mitglieder einer sozialen Subkultur der spanischen und der deutschen Kultur sein.

Für ihre weitere Arbeit führt Knapp-Potthoff an Stelle des Kulturbegriffs den Begriff der Kommunikationsgemeinschaft ein

„Unter Kommunikationsgemeinschaften verstehe ich Gruppen von Individuen, die jeweils über durch regelmäßigen kommunikativen Kontakt etablierte Mengen an gemeinsamen Wissen sowie Systeme von gemeinsamen Standards des Wahrnehmens, Glaubens, Bewertens und Handelns - m. a. W.: ‚Kulturen’ – verfügt.“ (Knapp-Potthoff 1997: 194)

In dieser Formulierung von Kulturgemeinschaften, wird der Nationencharakter, der bei dem Begriff „Kultur“ mitschwingt, ausgeklammert.

2.3.2.3 Ziele

In ihrem Aufsatz von 1997 entwickelt Knapp-Potthoff die schon 1994 mit Karlfried Knapp gemachte Beobachtung weiter, dass in der Befähigung zur interkulturellen Kommunikation zwei unterschiedliche Ziele verfolgt werden können. Entweder ist interkulturelle Kommunikation die „Fähigkeit zur Teilhabe an einer bisher fremden KG [Kommunikationsgemeinschaft, B.T.].“ (Knapp-Potthoff 1997: 196) oder die „Fähigkeit, trotz mangelhafter Kenntnis fremder KG mit ihren Mitgliedern eine befriedigende Verständigung zu erzielen und ggf. neue Kommunikationsgemeinschaften aufzubauen.“ (ebd. 1997: 197) Das Anstreben der ersten Art von interkultureller Kommunikationsfähigkeit ist sinnvoll, wenn eine Person eine Anpassung oder einen länger andauernden Kontakt mit der fremden KG anstrebt und diese KG wenige Mitglieder mit weiteren KG-Zugehörigkeiten aufweist. Die Verfolgung der zweiten Variante ist angebracht, wenn es sich um einen kurzen oder längerfristigen Kontakt mit einer Gesellschaft handelt, deren Mitglieder vielen unterschiedlichen KG zugehören und im interkulturellen Kontakt erfahren sind.

Knapp-Potthoff hat sich auf die Befähigung zur interkulturellen Kommunikation, die nicht auf den Kontakt mit einer bestimmten fremden Kultur reduziert ist, spezialisiert und vertritt einen interaktionistischen Ansatz; anders als Edmondson/House (1998), die interkulturelle Kommunikation von einem kontrastiven Ansatz aus angehen. (vgl. Knapp/Knapp-Potthoff 1994: 69 ff.) Zur Erzielung der interaktionistischen interkulturellen Kommunikationsfähigkeit sind vier Komponenten konstituierend: die affektive Komponente, das kulturspezifische Wissen, allgemeines Wissen über Kultur und Kommunikation sowie Strategien. (vgl. Knapp-Potthoff 1997: 199 ff.)

Die affektive Komponente impliziert „Empathiefähigkeit und Toleranz – nicht jedoch kritiklose Übernahme beliebiger Standards anderer KG“. (ebd. 1997: 199) Dies ist notwendig für die Aufrechterhaltung des Kontakts, der u. a. aus der probeweisen Übernahme der Fremdperspektive und aus dem gemeinsamen Aushandeln von Grundlagen der sich neu entwickelnden KG besteht.

Kulturspezifisches Wissen bezieht sich sowohl auf andere Kommunikationsgemeinschaften als auch auf die eigene KG. Das Wissen über andere KGs hat drei Funktionen: Das kulturspezifische Wissen kann bei der Interpretation von Äußerungen und Handlungen der Angehörigen anderer KGs herangezogen werden. Es kann darüber hinaus als Basis für Präventionen und Reparaturen von Missverständnissen dienen. Auch kann das eigene Verhalten verändert werden, um Kommunikationsbereitschaft zu signalisieren, sprich, die Verwendung der anderen Sprache, die Einhaltung von Ritualen oder die Respektierung von Tabus. Das spezifische Wissen über die eigene KG ist notwendig für das Aufdecken von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen der eigenen und der anderen KG und die antizipierte Reflektion darüber, was ein Mitglied einer anderen KG an den eigenen kommunikativen Akten stören könnte. Ebenso kann das kulturspezifische Wissen nützlich sein für die metakommunikative Unterhaltung über kulturelle Standards.

Ganz wichtig, und in dieser Explizitheit an anderen Stellen selten formuliert, ist die Forderung Knapp-Potthoffs, dass „kulturspezifisches Wissen [...] als prinzipiell unvollständiges und daher beständig ergänzungs- und revisionsbedürftiges in Form flexibler kognitiver Schemata organisiert sein [sollte].“ (Knapp-Potthoff 1997: 200) Das unvollständige spezifische Wissen über eine Kommunikationsgemeinschaft kann ausgebaut werden durch allgemeines Wissen darüber, wie Kommunikation stattfindet und Kultur in den Kommunikationsablauf mit hineinspielt. Dabei ist das Wissen über die Abhängigkeit von Denken, Handeln, Wahrnehmen und Deuten von kulturspezifischen Schemata hilfreich. Kenntnisse über die Dimensionen, in denen sich Kulturen grundsätzlich unterscheiden können und Kenntnisse über unterschiedliche kommunikative Stile können bei der Interpretation von Äußerungen hilfreich sein. Die Aufklärung über Mechanismen interpersonaler Kommunikation, wie Unsicherheitsreduktion, Attribution und Stereotypenbildung kann dazu beitragen, die Abläufe einer Kommunikation zu verstehen. Außerdem ist das Wissen über Probleme der Lernersprache- und lingua-franca-Kommunikation sowie des Einflusses eines Sprachmittlers auf die Kommunikation wünschenswert.

Diese allgemeinen Ziele hat Knapp-Potthoff in eine Reihe von Strategien zu Teilzielen konkretisiert, die für die didaktische und sprachwissenschaftliche Arbeit genutzt werden sollen.

„Ihr Ziel ist es, jenseits allgemein gehaltener und vager Zielformulierungen über Toleranz, awareness, Perspektivenwechsel und kulturellem Wissen spezifischere Hypothesen darüber zu formulieren, was Individuen wissen und können müssen, um Kommunikationen mit Mitgliedern fremder KG zu bewältigen, damit gleichzeitig die Funktionen linguistischer Analysen für eine solche didaktische Aufgabe präziser zu lokalisieren [...].“ (ebd. 1997: 203)

An möglichen Verhaltensweisen unterscheidet sie zwischen „interaktionsbezogenen Strategien“ (ebd. 1997: 202), die auf einen erfolgreichen Ablauf des Gespräches abzielen, und „lern- und rudimentäre Forschungsstrategien zur Erweiterung und Differenzierung des Wissens von fremden KG“. (ebd. 1997: 202)

Um eine erfolgreiche Kommunikation zu haben, sollten die Gesprächspartner die gegenseitige Kommunikationsbereitschaft erhalten, indem sie

· Tabuverletzungen vermeiden und Annäherungsbereitschaft an die andere KG signalisieren, z. B. indem Rituale übernommen werden,

· nach Gemeinsamkeiten suchen. Das können die Teilhabe an einer KG und gemeinsame Erfahrungshintergründe sein,

· in der Interpretation von Äußerungen des Kommunikationspartners sich so spät wie möglich festlegen,

· erwarten, dass die Äußerungen missverstanden werden können, und auf Indizien des Missverstehens achten,

· das Wissen über die agierenden Kulturen und allgemeines Wissen über die Dimensionen, in denen sich Kulturen unterscheiden, für Auslegung von Äußerungen nutzen,

· metakommunikative Verfahren zur Vorbeugung oder Reparatur von Missverständnissen nutzen, ohne dass der Gesprächspartner das Gesicht verliert,

· Sprachmittler einsetzen.

Die Hauptstrategien zur Erweiterung des Wissens über fremde Kulturen sind die gezielte Beobachtung und Befragung der Zielkultur unter Berücksichtigung des eigenen kulturellen „Filters“. Damit kann der Gültigkeitsbereich der kulturellen Standards der anderen Kultur überprüft werden. Knapp-Potthoff denkt daran, dass auch die angenommenen Tabus oder Verhaltensvorgaben probeweise verletzt werden könnten, um die kulturellen Standards zu erkennen. Dies ist aber nur in einem „gesicherten“ Kontext möglich. (vgl. ebd. 1997: 203)

2.3.2.4 Methoden

Knapp und Knapp-Potthoff schlagen keine Methoden zum Training interkultureller Kommunikationsfähigkeit vor:

„Über Möglichkeiten des Erlernens und Wege dazu ist hier freilich noch nichts gesagt. Eines deutet sich jedoch an: Die Entwicklung interkultureller Kommunikationsfähigkeit ist nichts, wofür jeweils Einzelphilologien zuständig wären.“ (Knapp-Potthoff 1997: 203)

2.4 Aktuelle Entwicklungen

Immer stärker wird die Hybridisierung der Kulturen in der fremdsprachendidaktischen Diskussion betont. Welsch und Roche (in: Eckerth/Wendt 2003: 11) ziehen deshalb den Begriff der Transkulturalität dem der Interkulturalität vor, da das Konzept „Interkulturalität“ die Vorstellung von gegeneinander abgrenzbaren Kulturen der essentialistischen Konzepte beibehält. Ebenso wird die aus dem postkolonialen Diskurs übernommene Begrifflichkeit des Dritten Raumes(vgl. Küster 2003: 83) eingesetzt, um die Prozesshaftigkeit und Heterogenität von Kulturen zu beschreiben. (u. a. Küster 2003, Kramsch 1993) Gogolin (2003: 97) kritisiert, dass diese, der lebensweltlichen Realität entsprechende Auffassung von Kultur, in der fremdsprachlichen Unterrichtspraxis kaum umgesetzt wird. Zu wenig wird die Mehrsprachigkeit der Fremdsprachenlerner bis jetzt bei der Sprachvermittlung beachtet. Ebenfalls als Dritten Raum beschreibt Kramsch den individuellen Bewusstseinszustand, der die Dichotomie des Eigenen und Fremden überwindet und die Entwicklung neuer Auffassungen ermöglicht. (vgl. Kramsch 1995: 63) Der Dritte Raum „steht dann für einen Erfahrungsraum, der jenseits der eigenen und der fremden Perspektive in einem dialektischen Verständigungsprozess sich ergeben kann.“ (Küster 2003: 84) Delanoy (1999: 121 ff.) greift den Gedanken von Kramsch auf und transferiert den individualpsychologischen gedachten Ort in einen fass- und didaktisch messbareren Ort: Das Klassenzimmer oder andere Aktivitäten im schulischen Rahmen. Auch Gerhard Bach bedient sich des Begriffs, um die Kontaktzone in E-Mail-Projekten zu beschreiben. (vgl. Bach 2002: 190)

3 Online-Projekte im Fremdsprachenunterricht

Online-Projekte sind eine Möglichkeit, Computer und Internet für Klassenkorrespondenzen zu einem bestimmten Thema im Fremdsprachenunterricht einzusetzen.

Klassenkorrespondenzen im Fremdsprachenunterricht wurden schon Anfang des 20. Jahrhunderts von Freinet per Post und Brief durchgeführt (vgl. Legutke 2003: 260) und in den letzten Jahrzehnten durch andere Medien, wie Tonkassette, Video, E-Mail und Videokonferenz erweitert. (vgl. Wicke 2003: 272) Die ersten telekommunikativen Schulprojekte fanden in den 80er Jahren in den USA und Großbritannien statt, als in Deutschland noch keine Anzeichen von Computernutzung im Unterricht zu erkennen waren. (vgl. Donath 2003: 134). Seit Beginn der 90er Jahre (vgl. Donath 2003: 133) werden auch in Deutschland Online-Projekte durchgeführt. Datenbanken im Netz stellen Projekte vor und unterstützen die Partnersuche. Jedoch ist man sich in der didaktischen Diskussion darüber einig, dass der Computer nichts weiter als ein Medium ist, das didaktisch kompetent eingesetzt werden muss, um entsprechende Lernerfolge zu erzielen und einen schülerzentrierten Unterricht zu ermöglichen. (vgl. u. a. Grünewald 2004: 10 ff.)

3.1 Definition

Der Begriff „Online-Projekt“ wird in dem Buch von Reinhard Donath und Ingrid Volkmer Das Transatlantische Klassenzimmer. Tipps und Ideen für Online-Projekte in der Schule (1997) verwendet, und bezeichnet einen Austausch zwischen Schulklassen per Internet, der neben E-Mail auch aus einem Diskussionsforum besteht. Unter Online-Projekte sind also E-Mail-Projekte, die weitere Kommunikationsdienste (wie z. B. Diskussionsforen) nutzen, zu verstehen. Die sich immer weiter entwickelnden Kommunikationsdienste sollten im Fremdsprachenunterricht noch mehr genutzt werden als bisher: „Gerade die mündliche Anwendung der Fremdsprachenkenntnisse kommt in E-Mail-Projekten noch zu kurz, obwohl die Technologien hier didaktisches Neuland anbieten.“ (Donath 2003: 148) Chats, Webforen, Newsletters, Arbeitsplattformen sowie Übertragungen von visuellen und akustischen Informationen über Videokonferenzen oder Voice-Mails können mit einbezogen werden. (vgl. Pachler 2002: 15)

3.2 Didaktische Überlegungen

Online-Projekte unterscheiden sich in den methodischen Planungsschritten nur in wenigen Dingen von Projekten ohne Nutzung digitaler Technologien. (vgl. Donath 2003: 147) Doch dass die Kommunikation in einem virtuellen Raum stattfindet und eine besondere Technik erfordert, bringt neue Aspekte in die Schülerkorrespondenz.

3.2.1 Merkmale internetbasierter Kommunikation

Eine markante Eigenschaft von Kommunikation im virtuellen Raum per E-Mail, in Chats und Foren ist die Vermischung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit.

„Was den Umgang mit E-Mail-Texten reizvoll und schwierig zugleich macht, ist ihre zwitterhafte Textgestalt, dass sie nämlich als schriftliche Zeugnisse zugleich viele Merkmale gesprochener Äußerungen haben: Spontaneität, Flüchtigkeit und Umgangssprachlichkeit.“ (Legutke 1997: 106)

Für den Sprachunterricht hat dies den Vorteil, dass die Schülerinnen und Schüler für den mündlichen Kontakt typische Ausdrucksweisen und Sprachelemente (wie Fragen, Aufforderungen, Stellungnahmen) anwenden und gegebenenfalls umgangssprachliche Ausdrücke der muttersprachlichen Partner übernehmen können. (vgl. Eck et al. 1995: 116)

Ein weiteres Merkmal, das Mündlichkeit ausmacht, ist die nonverbale Kommunikation (Koch/Oesterreicher 1990: 5 ff.), die im E-Mail-Kontakt jedoch nicht gegeben ist.

„Ein eingeschränkter ‚Informationsreichtum’ wird dem Medium E-Mail insofern zugesprochen, als durch die räumliche Distanz nicht alle Kanäle der körpergebundenen Kommunikation zur Verfügung stehen.“ (Goll 2002: 17)

Dadurch, dass wenig über den sozialen Hintergrund der Partner erfahren wird (Kleidung, Statusmerkmale) haben Experimente gezeigt, dass sich die Probanden freier als in einer Face-to-face-Situation äußern und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleichmäßiger zu Wort kommen. (vgl. Kerr/Hiltz 1982 in: Goll 2002: 17) Dies kann eine Chance für mündlich schwache Schülerinnen und Schüler bedeuten. Interessant ist das Resultat von empirischen Untersuchungen, dass in der E-Mail-Kommunikation im Gegensatz zur Face-to-face-Kommunikation „offener, konfrontativer und auch emotionaler diskutiert wird.“ (Goll 2002: 17)

Deswegen betont Donath, wie wichtig es ist, die Schülerinnen und Schüler darauf hinzuweisen, seine Meinung freundlich und vorsichtig zu äußern. (Donath 1996: 22) Durch das Fehlen von nonverbaler Kommunikation, können erfahrungsgemäß schnell (u. U. kulturell bedingte) Missverständnisse entstehen. (vgl. 1996: 22) Die räumliche Distanz in der netzbasierten Kommunikation führt zu einer Anonymität, die die Aufrechterhaltung des Kontakts beeinträchtigen kann. (vgl. ebd. 1996: 22 und Eck et al. 1995: 110)

3.2.2 Merkmale von Projektunterricht

Abgesehen von den beiden Besonderheiten – Kommunikation im virtuellen Raum und technische Voraussetzungen – entspricht ein Online-Projekt weitgehend den Charakteristika von herkömmlichen Projekten. Legutke beschreibt Projektunterricht als „eine offene und themenzentrierte Unterrichtsform, die ein hohes Maß an Selbstverantwortung und Mitbestimmung der Lernenden erlaubt“. (Legutke 2003: 259) Donath weist auf die große Verantwortung der Schülerinnen und Schüler für das Gelingen und die Intensität des Austausches in E-Mail-Projekten hin. (vgl. Donath 2003: 136) Ebenso wird die Lernerzentriertheit von E-Mail-Projekten betont, da der Lernende teilweise seinen Lernprozess selbstständig gestaltet und die Lernertexte im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stehen. (vgl. Lüning 2004: 31 f.) Als Projektunterricht kann der Austausch in unterschiedlichen Sozialformen durchgeführt und fächerübergreifend angegangen werden, um eine thematische Vertiefung zu ermöglichen. (vgl. Donath 1996: 23)

Online-Projekte erfordern, im Unterschied zu klasseninternen Projekten, die Kooperation der räumlich distanzierten Partnerlehrkräfte, die das Thema, den zeitlichen Rahmen, die Häufigkeit der Korrespondenz und weitere Erwartungen an den Austausch besprechen müssen. Außerdem finden die Lernschritte nicht nur in den Klassenräumen, sondern auch im virtuellen Raum statt. Den Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern fällt im Projektunterricht eine neue Rolle zu. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich eigenständig Inhalte und sprachliche Ausdrucksformen aneignen, Lehrerinnen und Lehrer nehmen die Rolle des Projektkoordiantors ein (vgl. Legutke 2003: 259), die bei Online-Projekten u. a. die Organisation mit dem Partner, die technische Betreuung und das Korrekturlesen der E-Mails beinhaltet. (vgl. Mohn 2001: 24)

3.2.3 Sprachliches Lernen

Der Hauptreiz der medienbasierten Kommunikation im Fremdsprachenunterricht ist sicherlich die Authentizität. Die Schülerinnen und Schüler befinden sich in einer authentischen Kommunikationssituation, die sich sehr motivierend auswirkt. (vgl. Frech 2000: 270; Donath 1996: 9; Lüning 2004: 32) Denn die Kommunikation ist mitteilungsbezogen, die Texte werden öffentlich gemacht und der Anreiz, die Texte der Partner zu verstehen, ist sehr hoch. (vgl. auch Legutke 1997: 106)

Online-Projekte haben eine eindeutige Position im Fremdsprachenunterricht: Sie sind „integraler Bestandteil des sprachlichen Lernprozesses“ (Donath 2003: 144), in dem in kommunikativen Situationen die notwendige Grammatik und der notwendige Wortschatz angewandt, wiederholt und neu erlernt wird. (vgl. auch Frech 2000: 170) Dies geschieht einerseits durch die Korrektur der E-Mail-Texte (durch die Lehrkraft und u. U. auch die Lernenden) und andererseits durch vertiefende Wiederholungen oder durch Einführungen von Sprachlichen Mitteln. Die Korrektur der Mails sollte

„möglichst so [sein], dass die Schülerinnen und Schüler aus der Korrektur lernen und dabei tiefer eindringen in die komplexen Gegebenheiten der englischen Sprache. Dazu gehören auch eindeutig definierte Sprachlernphasen […].“ (Donath 2003: 145)

In den Plenarsitzungen kann die mündliche Fertigkeit bei der Besprechung der Partnermails geübt werden. In Zukunft können verstärkt Voice-Mails für das Hörverstehen verschickt werden. Zusätzlich kann bei E-Mail-Projekten das Sprachbewusstsein geschult werden, indem auf die unterschiedlichen Register und Varietäten in den Texten der Partner hingewiesen wird, und auch deren Probleme mit der Fremdsprache oder gelegentlich mit der Rechtschreibung in der eigenen Sprache aufgezeigt werden. (vgl. Donath 2003: 145 und Lüning 2004: 32)

3.2.4 Medienkompetenz

Durch die Nutzung internetbasierter Kommunikationsdienste erwerben die Schülerinnen und Schüler die nötige Medienkompetenz für das Berufsleben. Eine kritische Betrachtung der Vor- und Nachteile einer virtuellen Kommunikation (basierend auf den eigenen Erfahrungen) kann zu einem adäquaten Umgang mit den neuen Kommunikationsdiensten qualifizieren.

3.2.5 Interkulturelles Lernen

Der Kontakt per Internet mit anderskulturellen Schulklassen kann zu interkulturellen Lernprozessen führen. Die Intensität und Art des Lernprozesses hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, wie das Interesse der Beteiligten, die Inhalte und die methodische Herangehensweise. Um zu wissen, welchen Einfluss die Inhalte und die Kommunikationsdienste solcher Projekte auf den interkulturellen Lernprozess haben, werden in Kapitel 4.6 drei Erfahrungsbeispiele untersucht.

3.3 Organisation von Online-Projekten

Die Suche eines Projektpartners kann über viele unterschiedliche Anbieter laufen. Die „klassischen“ Projektpartnerbörsen, die im deutschsprachigen Raum genutzt werden, sind die ehemalige St. Olaf-Liste (heute IECC http://www.teaching.com/iecc/home.cfm) und das Berliner Portal (http://www.lo-net.de/home/plattform/index.html) (vgl. Donath 1996: 20), doch gibt es sehr hilfreiche und z. T. übersichtlichere internationale und europäische Portale, wie Epals (http://www.epals.com), eTwinning (http://www.etwinning.de) oder Eduprojects (http://www.eduprojects.net).

Zu Beginn jedes Projekts ist eine verlässliche Absprache der beteiligten Lehrerinnen und Lehrer zum Zeitraum, Thema, Häufigkeit und Zielsetzung des Austausches nötig. Insbesondere die Kommunikationssprachen müssen festgelegt werden. Während Reinhard Donath (2002: http://www.englisch.schule.de/tipps_neu.htm) empfiehlt, die Projekte relativ kurz zu halten (zwei bis drei Wochen), da diese problemloser zu realisieren sind, plädiert Müller-Hartmann (1999: 58 ff.) für längere Projekte. Online-Projekte können nur erfolgreich realisiert werden, wenn die Partnerlehrkräfte ihre unterschiedlichen Erwartungen auf einen Nenner bringen und die Abmachungen einhalten. Oft scheitern Projekte an der Unregelmäßigkeit oder dem Abbruch des Kontakts. Deswegen sollte die Aufrechterhaltung der Kommunikation bei der Absprache als eines der Hauptziele festgelegt werden. (vgl. Donath 2002: http://www.englisch.schule.de/tipps_neu.htm; Das Bild des Anderen: http://www.bild-online.dk)

Für ein dreiwöchiges Projekt schlägt Donath folgende Zeitstruktur vor:

1. Woche: persönliche Vorstellung der Schülerinnen und Schüler, der Schule und der Umgebung, sowie erste Informationen zum ausgewählten Thema.

2. Woche: Austausch von recherchierter Information, Nachfragen sowie Diskussion der Lernergebnisse.

3. Woche: Erstellung eines Endprodukts (Reader, Webseite) und gemeinsame Auswertung des Projekts. (vgl. Donath 1996: 21)

Die Inhalte können entweder lehrbuchergänzend sein oder aus den Interessen der Schülerinnen und Schüler entwickelt werden.

„Wichtig ist, dass es den Lebens- und Erfahrungszusammenhängen der Schülerinnen und Schüler entspricht, damit überhaupt ein Kommunikations- und Informationsbedürfnis vorhanden ist. Abstrakte Themen sind in der Sekundarstufe I wenig erfolgreich. […] Gleichzeitig sollte das Thema breit genug sein, um aus verschiedenen Perspektiven und mit genügend Material in Gruppen bearbeitet werden zu können. […] Für die Sekundarstufe II können, altersadäquat umgesetzt, ähnliche Themen bearbeitet werden, aber auch Bereiche wie Berufswünsche, Ausbildungssysteme, das Bild vom Anderen, Immigration, Migration, Wanderarbeit, aktuelle politische Themen, Fächer übergreifende Projekte mit Erdkunde, Sozialkunde etc.“ (Donath 1996: 22)

Online-Projekte implizieren viele Schreibanlässe, Recherchen und mündliche Kommunikation. Eine gute Organisation der Lerngruppe für das Projekt ist deswegen unabdingbar. Hat die Klasse eine Schülerstärke von 20 bis 30 Schülerinnen und Schülern, sollte sie in mindestens vier Gruppen aufgeteilt werden. Diese Gruppen kommunizieren mit einer festen Gruppe der Partnerklasse. Neben der Gruppenarbeit sollte es Plenarsitzungen geben, in denen die Schülertexte im Mittelpunkt stehen oder lexikalische und grammatikalische Probleme geklärt werden. In bestimmten Stunden sollte der Austausch mit zusätzlichem Informationsmaterial ergänzt werden.

Eine gut funktionierende Technik ist bei Online-Projekten die unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation und sollte deswegen schon in der Planungsphase geprüft werden. (vgl. Peper 2001: 17) Die Möglichkeit der Computernutzung im schulischen Unterricht hat sich seit den 90er Jahren durch das Projekt „Schulen ans Netz“ immens verbessert. Seit 2001 hat jede deutsche Schule einen Internetzugang. (vgl. Grünewald 2004: 10) Zur Durchführung eines Online-Projekts sind eigene Computerkenntnisse, Internetzugang mit entsprechendem Provider, genügend Arbeitsplätze für die Schülerinnen und Schüler und eine Anmeldung bei einem Kommunikationsdienst (E-Mail-Anbieter, Arbeitsplattform, Forum, etc.) nötig. (vgl. auch Peper 2001: 17)

Zu Beginn des Projekts muss sichergestellt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler die notwendige Kompetenz für den E-Mail-Austausch, die Kommunikation im Forum oder die Nutzung der Arbeitsplattform haben, um einen Austausch zu gewährleisten. Dazu empfiehlt sich eine Einführung, für die je nach Komplexität des Kommunikationswerkzeugs genügend Zeit eingeplant werden sollte.

Reinhard Donath empfiehlt, auch Online-Projekte mit einer Lernzielkontrolle abzuschließen, um den Schülerinnen und Schülern die sprachliche Relevanz des Projekts deutlich zu machen. Dazu bieten sich Texte aus dem Projekt sowie die in den Projekten behandelten sprachlichen Mittel an. (vgl. ebd. 1996: 23) Am Ende jedes Projekts sollten außerdem ein Endprodukt und eine Evaluation der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler stehen.

4 Untersuchung von drei Online-Projekten

4.1 Überblick zu Untersuchungen über interkulturelles Lernen in Online-Projekten

Über interkulturelle Lernprozesse in Online-Projekten sind mir, ausgehend von den Literaturangaben von Viebrock (2003), Bach (2002), Donath (1997 ff.) und Müller-Hartmann (1999 ff.), insgesamt sieben Untersuchungen bekannt. Untersuchungen zu computergestützter Kommunikation liegen in großer Anzahl vor und werden von Warschauer (vgl. 1997: 470 ff.) in einem knappen Überblick bis 1997 zusammengefasst. Des Weiteren gibt es zahlreiche Erfahrungsberichte über Online-Projekte, die sich größtenteils auf organisatorische, didaktische und methodische Vorgehensweisen konzentrieren.

Die ältesten mir bekannten Untersuchungen beziehen sich auf ein Projekt zwischen zwölf Schulen in Kanada, Deutschland und den USA, unterstützt vom AT&T Learning Network mit dem Curriculumbaustein Places and Perspectives. (vgl. Legutke 1996: 95) Die drei Auswertungen dieses Projekts, in dem u. a. die gegenseitigen Stereotype ausgetauscht werden, fallen sehr unterschiedlich aus. Leiningen und Müller (1993) stellen eine reflektierte und aufschlussreiche Diskussion über die herrschenden Stereotypen vom jeweils anderen Land dar. (vgl. Ratenhaus 1995: 317) Gerd Fischer (1994) hingegen beobachtet eine Verhärtung der bestehenden Vorurteile. Fischer begründet die fehlgeschlagene Verständigung dadurch, dass die kulturell bedingten, unterschiedlichen Konzepte und Konnotationen der Begriffe in der Diskussion nicht berücksichtigt werden. Legutke (1996) stimmt Fischer in dieser Hinsicht zu. Das Vorurteil z. B. eines deutschen Schülers, dass die amerikanische Schule anspruchslos sei, sollte differenziert diskutiert werden, indem beispielsweise die Wertvorstellungen, die bei dieser Aussage mitschwingen, ausgesprochen werden.

Einen ähnlichen Ansatz vertritt Claire Kramsch (1999 in Bach 2002: 190) bei der Auswertung eines Projekts zwischen französischen Englischlernern und universitären amerikanischen Französischlernern, die auf Basis des Films „La Haine“ über Rassismus und Xenophie diskutieren. Sie plädiert für eine Konzentration auf einen Perspektivenwechsel beim Kommunikationsprozess, in dem Missverständnisse durch die Berücksichtigung der fremden Begriffskonzepte beseitigt werden. Beispielsweise sollten die Unterschiede zwischen den französischen banlieues und den amerikanischen suburbs deutlich gemacht werden, bevor Misstöne in der Kommunikation auftreten.

Müller-Hartmann (2000, 1999, 1999a) untersucht in einem qualitativen Forschungsprojekt neun E-Mail-Projekte an verschiedenen Schultypen in Hessen. Es sind Projekte zwischen deutschen, kanadischen und US-amerikanischen Klassen, die auf dem Roman „Toronto at Dreamer´s Rock“ von Drew Hayden Taylor basieren. Die Untersuchung zeichnet sich durch eine Datentriangulation aus, bestehend aus der Analyse der Korrespondenz, dem klasseninternen Unterrichtsgeschehen und der organisatorischen Ebene. Dadurch können die Bedingungsgefüge der vernetzten Lernorte gut beobachtet werden, was in den oben genannten Untersuchungen nicht vorkommt. Müller-Hartmann hebt die Bedeutung der Betreuung und der Aufgabenstellung hervor und zieht den Schluss, dass literarische Werke sich gut für Bedeutungsaushandlungen via E-Mail eignen. Er gehört zu den Entwicklern der Methodik der Didaktik des Fremdverstehens, die besonders der Literatur ein großes Potential für interkulturelle Lernprozesse zuspricht und die tasks in den Mittelpunkt stellt.

Die Analyse des vor zwei Jahren durchgeführten Projekts (Scottland Telephone Partnership Project) per Telefon und Internet zwischen französischen und britischen Studenten spricht insbesondere die Problematik des national orientierten Kulturbegriffs an. Pennmann und Conacher (2003) bemerken eine eigene Zuordnung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Subkulturen (Alter, Geschlecht, etc.) bei der Kontaktaufnahme. Die Thematisierung von national orientierten Stereotypen im Projekt wird als positiv eingeschätzt, da die Ungenauigkeit und Schnelllebigkeit dieser Konzepte deutlich werden.

4.2 Erkenntnisinteresse

Wie können bei der Durchführung von Online-Projekten interkulturelle Lernprozesse initiiert und verstärkt werden? Diese Leitfrage möchte ich beantworten, indem ich die theoretischen Überlegungen der Didaktik des Fremdverstehens und Knapp-Potthoffs nutze, um aufzuzeigen, in welcher Form interkulturelle Lernprozesse stattfinden und wie diese von den Kommunikationswerkzeugen und den Inhalten abhängen. Dazu werde ich die Untersuchung unter folgender Fragestellung durchführen:

1. Welche interkulturellen Lernprozesse finden statt?

2. Zu welcher Art von Kommunikation führen die unterschiedlichen Kommunikationsdienste? Haben sie Einfluss auf den interkulturellen Lernprozess?

3. Welche Inhalte haben die Projekte und bei welchen findet interkulturelles Lernen statt?

4. Welche Fähigkeiten und Kenntnisse werden erworben, die Knapp-Potthoff als Ziele einer interaktionistischen interkulturellen Kommunikationsfähigkeit nennt?

4.3 Auswahlkriterien

Ziel dieser Hausarbeit ist, einen Beitrag zu dem noch wenig analysierten Feld des interkulturellen Lernens bei Online-Projekten im schulischen Fremdsprachenunterricht zu leisten. Für die Analyse mussten demzufolge Projekte ausgewählt werden, die der Definition von Online-Projekten entsprechen, im schulischen Fremdsprachenunterricht durchgeführt worden sind und den interkulturellen Lernprozess durch die Dokumentation des Austausches sichtbar machen. Da kein Kontakt zu einem laufenden Projekt in Bremen oder Umgebung hergestellt werden konnte, beschränkt sich die Untersuchung auf im Internet dokumentierte Projekte.

Die Projekte wurden nach folgenden Kriterien ausgesucht:

1. Das Projekt findet im Rahmen eines Fremdsprachenunterrichts einer Sekundarstufe I oder II statt.

2. Es nehmen mindestens zwei gleichaltrige Gruppen teil.

3. Es tauschen sich mindestens zwei kulturell unterschiedliche Gruppen aus.

4. Dabei wird schriftlich per Internet kommuniziert und auditive Dateien, Videos oder Bilder versandt.

5. Das Projekt ist themengebunden und findet in einem vorher festgelegten zeitlichen Rahmen statt.

6. Die zu untersuchenden Projekte nutzen unterschiedliche Kommunikationsdienste.

7. Die E-Mails und Forumeinträge sind dokumentiert.

Ausgangspunkt für die Suche nach Projekten waren die Webseite von Reinhard Donath (http://www.englisch.schule.de/email.htm) und dem niedersächsischen Bildungsserver unter der Rubrik Internationale Partnerschaften (http://nibis.ni.schule.de/nibis.phtml?menid=198). Dabei stellte sich heraus, dass die Projekte meistens mit den wichtigsten Eckdaten dokumentiert sind, jedoch keinen Einblick in den Kommunikationsprozess der Schülerinnen und Schüler erlauben, was für das Untersuchungsanliegen problematisch ist. Die Auswahl der Projekte beschränkt sich daher auf Projekte von DaZ (Deutsch als Zweitsprache) und Dafnord, die die E-Mail-Texte oder die Kommunikation im Forum komplett oder zumindest teilweise dokumentieren.

4.4 Vorannahmen

Auf Grund der wissenschaftlichen Annahme, dass Fremdverstehen nur im Dialog möglich ist (vgl. u. a. Bredella/Delanoy 2000; Küster 2003) und den praktischen Erfahrungen (Donath 2001; Fischer 1994), dass interkulturelles Lernen erst stattfindet, wenn die Schülerinnen und Schüler in eine fragende Haltung versetzt werden, formuliere ich folgende zwei Thesen:

· Je höher die Interaktion zwischen den Schülerinnen und Schülern, umso intensiver ist das Fremdverstehen.

· Kommunikationsdienste, mit denen die Schülerinnen und Schüler Dialoge führen können, fördern den interkulturellen Lernprozess.

In der didaktischen Diskussion ist man sich einig, dass eine Relativierung der Stereotypen für eine interkulturelle Kommunikation erstrebenswert ist. (Brunzel 2002: 89) Dazu ist zunächst wichtig, die Stereotypen der eigenen und der fremden Kultur kennen zu lernen. (ebd. 2002: 89) Bisherige Untersuchungen haben gezeigt (vgl. u. a. Legutke 1997; Kramsch 1999), dass die Thematisierung von Stereotypen differenziert durchgeführt werden muss, um ein Eigen- und Fremdverstehen zu ermöglichen.

· Werden Stereotypen und Vorurteile über die andere kulturelle Gemeinschaft differenziert besprochen, können diese richtig gestellt werden.

4.5 Vorgehensweise und Untersuchungskriterien

Die Projekte werden in der Weise untersucht, dass zuerst das Kommunikationswerkzeug und der inhaltliche Rahmen der Projekte und anschließend die interkulturellen Lernprozesse analysiert werden.

Für die Beschreibung der interkulturellen Prozesse im Austausch werden fünf Kriterien angewandt:

1. Informationsart

2. Inhalt

3. Grad der Interaktion

4. Grad der Kenntnisse über die eigene Kultur

5. Grad und Art des Standpunktwechsels

Das Kriterium der Informationsart beschreibt, ob die Information als Schrifttext oder Fotografie weitergegeben wird.

Inhalt und Interaktion sind im Sinne von Müller-Hartmann zu verstehen, der auf der Textebene mindestens zwei Bereiche ausmacht.

„Das sind zum einen die verschiedenen Referenzmöglichkeiten der Briefe untereinander, die auf mehr oder weniger intensive Verstehensprozesse hindeuten. Zum anderen sind es die inhaltlichen Aspekte in der Auseinandersetzung mit dem literarischen Text sowie in der Beschäftigung mit eigenen- und fremdkulturellen Fakten und Konzepten.“ (Müller-Hartmann 1999a: 73).

Das Kriterium Interaktion wird zusätzlich anhand folgender Parameter betrachtet:

Existenz einer Antwort (E-Mail) oder Kommentars (Ejournal),

· Häufigkeit des Schriftwechsels

· direkte Fragen und Antworten

· Bitte um Klarstellung und nähere Ausführungen

· Ähnlichkeit mit einem mündlichen Dialog

· Bezug auf kulturelle, regionale und persönliche Inhalte, die nicht direkt etwas mit dem vorgegebenen Thema zu tun haben und Humor und Slang beinhalten.

Das vierte Kriterium sind die Kenntnisse über die eigene Kultur. Sie unterstützen die interkulturelle Kommunikation, da metasprachlich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kulturen gesprochen, Stereotypen richtig gestellt und kulturspezifische Verhaltensweisen erklärt werden können. (vgl. Knapp-Pottthoff 1997: 199 f.)

Als Letztes wird die Frage nach einem Standpunktwechsel gestellt. Nach dem Verständnis der Didaktik des Fremdverstehens ist er ein Indiz für interkulturelles Lernen. „In der Auseinandersetzung mit dem Anderen wird zuerst einmal der eigene Standpunkt relativiert.“ (Bredella/Delanoy 1999: 13) Der Standpunktwechsel kann unterschiedliche Qualitäten haben. Er kann sich auf den Erwerb von landeskundlichem Faktenwissen im Sinne von geografischen Merkmalen, Geschichte, Menschen, Gesellschaft, usw. (Raasch 1997: 71 f.) beziehen, auf den Abbau von Stereotypen sowie auf eine Veränderung der Wahrnehmung so wie Bredella und Delanoy sie fordern. „Ziel des Verstehens ist nicht eine kritische Analyse der fremden Kultur [...], sondern vielmehr die Fähigkeit, die Welt mit den Augen der Mitglieder dieser Kultur zu sehen.“ (Bredella/Delanoy 1994: 66 in Brunzel 2003: 78)

4.6 Untersuchung der Projekte

4.6.1 Präsentation und Vergleich der Projekte

4.6.1.1 Projekt 1: Japan – Schweden

(http://www.myejournal.net/japan/index.php?action[]=IBrowsing::gotoFolder(1032))

Dauer

September 2004 bis Januar 2005

Teilnehmer

Gaigo Oberschule, Yokohama, Japan

Gymnasium Lysekil, Schweden

Kommunikations-sprache

Deutsch

Schüler

Gaigo-Oberschule (=Sek. II): sechs Schülerinnen, 17-18 Jahre alt

Gymnasium Lysekil: acht Schülerinnen und Schüler, 17 Jahre alt

Sprachniveau

Gaigo-Oberschule: Drittes Schuljahr

Gymnasium Lysekil: keine Angaben

Organisatorischer Rahmen

Das Bild des Anderen

Plattform

eJournal

Kommunikationswerkzeug

Veröffentlichung von Artikeln im eJournal mit Kommentierungsmöglichkeit

Unterhaltung im Forum

Inhalte

· Vorstellung

· Das Bild der japanischen Schülerinnen von Schweden

· Quiz über Japan und Schweden

· Schwedisches und japanisches Essen (Rezepte)

· Essen und Feste in Japan

· Päckchen nach Schweden und Japan

· Deutsche Kultur in Japan

· Fortsetzungsgeschichte (wurde nicht zu Ende geführt)

· Persönliche Zukunftsvision der japanischen und schwedischen Schülerinnen und Schülern

· Alltag in Japan und Schweden

· Allgemeine Zukunftsvision der schwedischen Schülerinnen und Schüler

· Tradition und Moderne in Japan

· Artikel über Sprachen in Brasilien (von einer brasilianischen Austauschschülerin)

· Japanische Schülerinnen kochen nach einem schwedischen Rezept

· Meinungen zum Projekt

4.6.1.2 Projekt 2: Japan – Finnland

(http://www.markus-grasmueck.de/projekte/gaigomailprojekt.html)

Dauer

Oktober 2001 bis Januar 2002

Teilnehmer

Gaigo Oberschule Yokohama, Japan

Schule in Espoo, Finnland

Kommunikations-sprache

Deutsch

Schüler

Gaigo Oberschule Yokohama: Sechs Schülerinnen, 17-18 Jahre alt

Schule in Espoo: Acht Schülerinnen und Schüler, 14-15 Jahre alt

Sprachniveau

Gaigo Oberschule Yokohama: Drittes Lernjahr

Schule in Espoo: Siebtes Lernjahr (EU-Portfolio: A-Deutsch)

Organisatorischer Rahmen

Das Bild des Anderen

Kommunikationswerkzeug

E-Mail-Kontakt

Inhalte

· Vorstellung

· Umfrage über Deutschland in Japan

· Antwort auf die Umfrage in Japan von der finnischen Klasse

· Fotos vom Alltag in Japan und in Finnland

· Feste und Feiertage in Japan und Finnland

· Tagebuch über das Leben in Japan und Finnland

· Finnland-Quiz und Antworten auf das Finnland-Quiz

· Meinungen zum Projekt in Japan und Finnland

· Evaluation des Projekts durch die Lehrer

4.6.1.3 Projekt 3: Serbien – Dänemark

(http://www.bild-online.dk/virdjinija-inge.htm)

Dauer

August 1998 – Mai 2000 (Unterbrechung des Projekts auf Grund des Jugoslawien-Krieges)

Teilnehmer

Rønde Gymnasium, Dänemark (Inge Kjaer Nielsen, Deutschlehrerin)

Gimnazija "Borislav Petrov Braca", Serbien (Virdjinija Pasku, Deutschlehrerin)

Kommunikations-sprache

Deutsch

Schüler

Rønde Gymnasium: 16 Schülerinnen und Schüler, im Durchschnitt 15 Jahre alt

Borislav Petrov Braca Gymnasium: 20 Schülerinnen und Schüler, 16 Jahre alt

Sprachniveau

Rønde Gymnasium: keine Angaben

Borislav Petrov Braca Gymnasium: zweites Lernjahr Deutsch

Organisatorischer Rahmen

Das Bild des Anderen

Art der Information

E-Mails und Video (von Dänemark zum Thema „Schule“)

Inhalte

· Vorstellung

· Meine Familie

· Hobby und Weihnachtskarten

· Mein Haus

· Meine Schule

· Mein Land

Alle drei Projekte wurden im Rahmen des Projekts Das Bild des Anderen durchgeführt, das seit 1990 im Rahmen des European School Projects existiert. Das Bild des Anderen wurde für jugendliche Deutschanfänger konzipiert. Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre Sprachkenntnisse erweitern, kommunikative Fähigkeiten entwickeln und sich dadurch ein „Bild“ des E-Mail-Partners und seiner Kultur machen. Deutsch wird dabei als Kommunikationssprache angewandt. (vgl. http://www.bild-online.dk)

Die beiden Projekte der Gaigo-Oberschule unterscheiden sich in der Wahl der Kommunikationswerkzeuge. Im jüngeren Projekt von 2004/05 wird das Ejournal, im älteren Projekt von 2001/2002 E-Mail für den Austausch genutzt. Das Projekt zwischen Serbien und Dänemark nutzt ebenfalls E-Mail. Die Inhalte des serbisch-dänischen Projekts beschränken sich auf die empfohlenen Inhalte von Das Bild des Anderen. Im Gegensatz dazu werden in den japanischen Projekten die Vorschläge von Das Bild des Anderen erweitert. Dabei werden gemeinsame und unterschiedliche Inhalte entwickelt, deren Vergleich zu aussagekräftigen Schlüssen führt.

4.6.2 Untersuchung der Projekte

4.6.2.1 Projekt 1: Japan – Schweden

Die Projektdokumentation umfasst die Artikel und deren Kommentare sowie die Forumeinträge. Die Datierung der Artikel und Forumeinträge ermöglicht, den Ablauf des Austausches exakt nachzuvollziehen.

Das Projekt hat als übergeordnetes Thema das Alltagsleben in Schweden und Japan. Dazu werden Artikel über allgemeine sozio-kulturelle Gewohnheiten und über persönliche Ziele, Eigenschaften und Gewohnheiten geschrieben. Die Quiz über Japan und Schweden, die Artikel über japanische und schwedische Rezepte, die Texte über Essen und Feste in Japan sowie die Aufsätze über das Alltagsleben in Japan und Schweden führen zum Wissenserwerb über die eigene Kultur (für die Verfasser) und die fremde Kultur (für die Partnerklasse).

Der Austausch findet über das von Eduprojects zur Verfügung gestellte Ejournal statt, in dem Artikel veröffentlicht und kommentiert sowie Forumeinträge gemacht werden können. Die Artikel werden in diesem Projekt kaum oder nicht kommentiert, im Forum hingegen findet eine intensivere Auseinandersetzung statt. Jedoch sind die Dialoge im Forum sehr kurz und oberflächlich gehalten.

Allgemein lässt sich sagen, dass die Kontaktimpulse überwiegend von der japanischen Klasse ausgehen, was auch in der Evaluation des Projekts durch die Schülerinnen und Schüler deutlich wird.

Die Schülerinnen und Schüler präsentieren sich anfangs gegenseitig ihrer Partnerklasse. Die schwedischen Vorstellungen sind ausschließlich schriftlich. Die japanischen hingegen sind mit einem Porträtfoto ergänzt, ähnlich wie Donath einen Projektbeginn empfiehlt, um die anfängliche Anonymität zu vermindern. (vgl. Donath 1996: 22) Die Texte beinhalten Name, Geburtstag, Alter, Hobbys, Familie, Wohnort, Charakter und Zukunftspläne und werden nicht kommentiert.

Der zaghafte Versuch von japanischer Seite aus, die Stereotypen der japanischen Schülerinnen über Schweden zu thematisieren, wird von der schwedischen Lehrkraft nicht aufgenommen.

Der Austausch wird mit einem Quiz über Japan und Schweden, das die Schülerinnen und Schüler selbst verfassen, weitergeführt. Die schriftlichen Fragebögen ohne Bilder werden an die Partnerklasse geschickt, von dieser beantwortet und daraufhin korrigiert. Die Fragen beziehen sich ausschließlich auf deklaratives Wissen (Geografie, Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur und Alltag), wobei die japanischen Schülerinnen drei Fragen stellen, die auf mögliche Stereotypen über Japan abzielen.

„6. Wo wohnen die Samurai? a) In Tokio b) In Osaka c) nirgendwo“

„7. Welche Sportart mögen wir in Japan am liebsten? a) Hockey b) Sumo c) Baseball“

„10. Welche Hamburger kann man in [im] japanischen MacDonald kaufen? a) Teriyaki Burger b) Sushi Burger c) Tofu Burger“

(Markus Grasmück: Japan Quiz, 11.09.04)

Die Schülerinnen und Schüler können zwar ihr deklaratives Wissen über die Partnerkultur erweitern, doch werden weder das landeskundliche Faktenwissen noch die möglichen Stereotypen der schwedischen Schülerinnen und Schüler über Japan thematisiert. Möglicherweise werden die Inhalte jedoch klassenintern weiter besprochen.

Das Thema „Essen“ nimmt einen großen Platz in diesem Projekt ein. Die Partnerklassen senden sich Rezepte und Abbildungen von Lieblingsgerichten und traditionellen Speisen zu. Die japanischen Schülerinnen ergänzen die Rezepte mit Informationen über traditionelle Feste, an denen man die aufgeführten Speisen isst. Auf Grund der Namen und Zutaten der Gerichte sowie der Beschreibung der traditionellen Feste, können die Schülerinnen und Schüler ihr Faktenwissen über die traditionellen Gerichte des Partnerlandes erweitern. Darüber hinaus tauchen im Forum mehrere Dialoge über Essen auf. Außerdem wird spontan von einer japanischen Schülerin der Wunsch ausgesprochen, die schwedischen Rezepte auszuprobieren. Auch wenn zu den Artikeln nur ein Kommentar gemacht wird, gibt es im Forum eine rege Interaktion mit Fragen und Nachfragen über dieses Thema.

Nach dem Austausch von traditionellen Rezepten schicken sich die Partnerklassen Pakete mit Lebensmitteln und Gegenständen, wie Bücher, Mangas, Modemagazine, Fächer und eine CD. Die Inhalte der Pakete werden in Artikeln vorgestellt, wobei die schwedische Klasse Fotos hinzufügt. Teilweise werden die Gegenstände sogar erklärt und in einen sozio-kulturellen Zusammenhang gestellt. Ryoko beschreibt beispielsweise die japanischen Fächer. „Ich möchte Fächer schicken, weil sie sehr typisch in Japan sind […]. Japanische Fächer könnt ihr schließen und kleiner machen, wenn ihr sie in deine Tasche stecken möchtet.“ (Ryoko, in: Päckchen nach Schweden, 15.10.04) Und Mikiko stellt die Mangas in einen sozio-kulturellen Zusammenhang: „In Japan ist Manga sehr beliebt. […] Kennen Sie etwas von japanische Mangas? Ich habe gehört, dass japanische Manga auch beliebt in Europa sind. Japanische Manga haben verschiedene Gattungen. […]“ (Mikiko, in: Päckchen nach Schweden, 15.10.04) Die Partnerklassen erhalten landeskundliches Faktenwissen über die Partnerkultur, was sie jedoch nicht im Dialog (durch Kommentare oder Forumeinträge) weiter vertiefen. Trotzdem entwickelt sich im Forum die intensivste Interaktion zwischen den Schulklassen, als die Klassen die Pakete erhalten.

“Hallo! Haben sie Schokolade in Japan? Ich mag Schokolade oder Lakritz am besten. Ich denke unsere Süßigkeiten nicht schmeckt wie Süß als ihre daß wir von euch gekriegt. Wir haben nicht ihre Rezepten gemacht, aber ich denke die schmecken gut!“

(Elin: Euren Paket, Antwort auf Euren Paket von Akiko, in: Forum, 30.11.04).

„Die Nuesse schmeckt mir sehr gut! In Japan gibt es ähnlichen Kuchen.“ (Yumiko: Hallo, in: Forum, 26.11.04) „Lakritz schmeckt sehr komisch!! Schokolade schmeckt mir sehr gut und ich finde CD sehr cool.“ (Ryoko: Das Paket, in Forum, 26.11.04)

Die Schülerinnen und Schüler lernen einige Lebensmittel der anderen Kultur kennen, nehmen Stellung zum Geschmack und vergleichen die eigenen und fremden Süßigkeiten.

In der Auswertung des Projekts wird deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler die sinnliche Erfahrung der anderen Kultur als sehr positiv bewerten. „Es war sehr Spaß zu schmecken ihren japanischen Chips.“ (Julia, in: Meinungen zu unserem Projekt in Schweden) Ebenso wird in einem weiteren Projekt der Gaigo-Oberschule von 2002/2003 das Versenden von Paketen als sehr fördernd für den interkulturellen Lernprozess eingeschätzt. (http://www.markus-grasmueck.de/gaigo/projekt02-03/index.html)

Zusätzlich zu den Artikeln über traditionelle Feste und Speisen in Japan, setzt die japanische Klasse die Artikel Deutschland und Japan (Schrifttext mit Bildern) sowie Tradition und Moderne (Schrifttext) in das Ejournal, die die Einflüsse anderer Kulturen und die Entwicklung der japanischen Kultur thematisieren. Akiko schreibt in Bezug auf die Essensgewohnheiten:

„Jetzt können wir fast alles in Japan essen, japanisch, französisch, italienisch, chinesisch, usw. Früher haben die Leute in Japan nur das Essen mit sehr wenig Öl gegessen, z. B. Reis, Gemüse, Fisch und fast kein Fleisch.“ (Akiko: Essen von früher und heute, in: Tradition und Moderne, 26.11.04)

Von gesellschaftlichen Veränderungen berichtet Natsuko:

„Jetzt der Videospiel ist populärerer spielen. Aber spielen die Kinder nicht draußen. Also kommen Japanisch traditionell spielen aus der Mode. [...] (Natsuko: Spielen, in: Tradition und Moderne, 26.11.04)

Von schwedischer Seite werden keine Artikel veröffentlicht, die „Multiperspektivität und Dynamik“ (vgl. Brunzel 2002: 103) berücksichtigen.

Es wird deutlich, dass die Auswahl der Inhalte den interkulturellen Lernprozess beeinflusst.

„Es gibt offenbar keine ‚objektive’ oder ‚wertneutrale’ Darstellung der Landeskunde des Zielsprachenlandes im Fremdsprachenunterricht. Die Auswahl, Gewichtung und Perspektivierung der Unterrichtsinhalte ist immer dominiert von – veränderbaren – übergreifenden gesellschaftlich-politischen bzw. pädagogischen Leitvorstellungen [...].“ (Neuner 1999: 268)

Im Themenblock „Alltag in Japan und Schweden“ geben die japanischen Schülerinnen einen Einblick in ihre Lebenswelt, indem sie das persönliche Erleben von Schule und Freizeit sowie der Rushhour und der Mode in Japan beschreiben und in einen gesellschaftlichen Zusammenhang stellen. Die schwedischen Artikel über den Alltag sind hingegen zu subjektbezogen, als dass sich der Leser ein Bild von gesellschaftlichen Alltagsgewohnheiten machen könnte. Erst wenn ein Bogen von individuellen Gewohnheiten zur „fremdkulturellen Lebenswelt“ (vgl. Melde 1997: 154 ff.) gezogen wird, kann ein Wissenszuwachs über die andere Kultur stattfinden. Dasselbe Ungleichgewicht tritt in den Artikeln über die persönliche Zukunftsvision auf. Während die japanischen Schülerinnen beispielsweise ausführlich die Aufnahmeprüfungen für das Studium beschreiben, notieren die finnischen Partner nur kurz ihre Zukunftspläne. (vgl. Zukunft (Japan), 05.11.04 und Elin in 10 Jahren, 16.11.04) Weder zu den Artikeln noch im Forum stellen die Schülerinnen und Schüler „follow-up“ Fragen (Viebrock 2003: 254), die nach Ursachen und Bedeutungen von Unterschieden forschen. Eine höhere Stufe des Fremdverstehens, in der die Perspektive des Partners übernommen wird, findet hier dementsprechend nicht statt.

Die Interaktion im Projekt zwischen den japanischen und schwedischen Schülerinnen und Schülern ist gering. Besonders auf der Ebene der Artikel findet kaum ein dokumentierter Dialog statt. Eine Kommentierung der Artikel wird hauptsächlich von den japanischen Schülerinnen vorgenommen. Eine Antwort der schwedischen Partner erfolgt äußerst selten. Die Schülerinnen und Schüler stellen dies selbst in der Evaluation des Projekts fest. „Wir haben jede Woche den schwedischen Schülerinnen und Schüler viel geschrieben aber sie haben nicht so viel. Das war aber schade. Ich dachte, dass wir mehr Antworten bekommen können.“ (Akiko Oi, in: Meinungen zum Projekt mit Schweden, 17.01.04) Es wird deutlich, dass der Grad der Interaktion maßgeblich von den beteiligten Lernenden und Lehrenden abhängt. Andererseits hat das Kommunikationswerkzeug Einfluss auf den Interaktionsgrad. Die Artikel selbst beinhalten keine Fragen oder Antworten, noch beziehen sie sich auf entsprechende Beiträge der Partner. Ebenso wenig hat die Textform Charakteristika, die an einen mündlichen Dialog erinnern oder außerthematische Inhalte erlauben. Das talking writing verlagert sich auf die Forumeinträge, in denen persönliche, außerthematische Fragen an die Partner gestellt werden. Zwei schwedische Schülerinnen schreiben hierzu: „Es war nicht so viel Kommunikation. Es war langweilig aber das Forum war gut.“ (Vladica und Maria, in: Meinungen zum Projekt in Schweden, 28.01.04)

Im Vergleich zu einem E-Mail-Kontakt, bei dem jeder Beteiligte einen festen Partner hat, richten sich die Artikel und Forumeinträge an die Öffentlichkeit. Dies wird von den japanischen Schülerinnen eher als negativ empfunden. Viele schätzen das Projekt als Informationsaustausch ein, und nicht als ein Kennen lernen der schwedischen Partner.

„Das eMail Projekt mit Schweden war sehr interessant, zum Beispiel die Anschlagtafel, weil ich da den direkt Kontakt haben konnte. Aber ich glaube, dass das besser ist, mehr Freundschaft zu haben. Wir haben sehr viel Information von Schweden und auch von Japan gehabt, aber nicht so viel Freundschaft! Ich denke, dass wir einen Partner oder eine Partnerin haben sollen. Hoffentlich können wir Schweden besuchen!!“ (Ryoko, in: Meinung zum Projekt mit Schweden, 17.01.05)

Die Kommunikation wurde in diesem Projekt offensichtlich als anonym empfunden, was oft als Problem bei Kontakten via Internet genannt wird. (vgl. Donath 1996; Eck/Legenhausen/Wolff 1995)

Insbesondere die japanischen Schülerinnen wenden Strategien zur Kontaktaufnahme und Wissenserweiterung an. Sie initiieren den Dialog sowohl im Forum als auch bei den Artikeln, stellen Interessens- und Verständnisfragen. Außerdem weisen sie die Fähigkeit auf, ihre persönliche Lebensweise in einen sozio-kulturellen Kontext zu stellen. Sie versuchen ebenfalls, im Sinne Knapp-Potthoffs, einen persönlichen Kontakt aufzubauen, indem sie persönliche Fragen formulieren und Gemeinsamkeiten (Hobbys, Musik) feststellen. (vgl. Knapp-Potthoff 1997) Jedoch entwickeln die Schülerinnen und Schüler keine follow-up Fragen, so dass der Perspektivenwechsel sich auf die Erweiterung von landeskundlichem Faktenwissen beschränkt.

4.6.2.2 Projekt 2: Finnland – Japan

Die Dokumentation dieses Projekts umfasst den E-Mail-Kontakt, die Forumeinträge und eine Evaluation des Projekts des Schülerinnen und Schüler sowie beiden beteiligten Lehrer. Teilweise werden nicht alle E-Mails aufgeführt, was die Analyse des Projekts jedoch nicht beeinträchtigt.

Die Inhalte des Projekts zwischen Japan und Finnland ähneln denen mit Schweden, wobei in keinem „Kapitel“ Kultur als ein dynamisches und beeinflussbares System dargestellt wird. Ebenso nimmt Essen keine so dominante Rolle wie im ersten Projekt ein. Deutschland wird in beiden Projekten angesprochen. Doch unterscheidet sich die Herangehensweise: Während im ersten Projekt der Kontakt Deutschland – Japan aufgezeigt wird, werden im Projekt 2 das Wissen und die Stereotypen über Deutschland in Finnland und in Japan behandelt. Projekt 2 gibt ganz interessanten Einblick in die alltägliche Lebenswelt der japanischen Schülerinnen und Schüler. Dieser wird durch Fotos des Alltaglebens und Schulalltags sowie die Darstellung von traditionellen Festen und Feiertagen ergänzt. Die Evaluation des Projekts zeigt, dass die Schülerinnen und Schüler sich besonders an die Beschreibung der traditionellen kulturellen Güter und Riten erinnern.

Der Informationsaustausch findet in diesem Projekt auf zwei Ebenen statt. Einerseits werden Aufsätze und Fotos zu den o. g. (siehe auch Tabelle) landeskundlichen Themen ausgetauscht. Andererseits findet ein persönlicher E-Mail-Kontakt zwischen festen Partnern statt, in dem persönliche und allgemeine Fragen gestellt und beantwortet werden. Darüber hinaus wird ein Forum für weiteren, freien Kontakt zur Verfügung gestellt, das jedoch von den Schülerinnen und Schülern kaum genutzt wird.

Die Vorstellungsmails zu Beginn des Projekts ähneln inhaltlich denen der anderen untersuchten Projekte: Name, Schule, Alter, Familie, Wohnort, Hobbys, Vorlieben und Charakterisierung der Person. Jedoch sind sie mit Fotografien der einzelnen Schülerinnen und Schüler ergänzt. Die Schülerinnen und Schüler nehmen keine Stellung zu den Angaben ihrer Partner – es handelt sich hier mehr um ein reines „Sich bekannt machen“, wie Donath es für die erste Woche eines Projekts vorsieht. (vgl. Donath 1996: 23)

Die „Kapitel“ Fotos zum Schulalltag und Fotos vom Alltag in Finnland zielen auf eine Visualisierung der Lebenswelt der finnischen Schülerinnen und Schüler ab und geben somit einen Beitrag zur Wissenserweiterung über die andere Lebenswelt. Eine Reaktion auf die Fotografien von den japanischen Partnern ist nicht dokumentiert. Das soziokulturelle Wissen über Finnland kann durch die Darstellungen des Arbeitspraktikums und der Feste und Feiertage der finnischen Schülerinnen und Schüler erweitert werden. Die japanischen Partner erfahren insbesondere durch die Texte und Fotografien etwas über die Konfirmation, Weihnachten, den nationalen Feiertag, Luciatag, Ostern und Mittsommer. Die Berichterstattungen über das Praktikum enthalten hingegen nur wenig Information. Die japanischen Schülerinnen nehmen keinen Bezug auf die Texte.

Dasselbe gilt für die Präsentation der japanischen Lebenswelt in den Kapiteln Fotos von unserem Alltag in Japan und Feste und Feiertage in Japan. Die finnischen Partner bekommen Informationen in Form von Schrifttext und Bild, wobei die schriftlichen Beschreibungen teilweise detaillierter sind als die der finnischen Schülerinnen und Schüler. Es werden eine Kneipe, Sehenswürdigkeiten, die Melonenernte und sechs typische Feste beschrieben und somit deklaratives Wissen über Japan vermittelt.

Die japanischen Schülerinnen erklären sehr ausführlich die Begriffe und die Tradition, die hinter den Festen stehen. Dies wird von allen finnischen Schülerinnen und Schülern bei dem Vergleich zwischen Japan und Finnland am Ende des Projekts in der Form aufgefasst, dass für Japaner die Traditionen wichtiger sind als für die Finnen. „Die Traditionen sind wichtiger für Japanische Leute als Finnen“ (Kalle und Perttu: Gedanken über das Projekt, in: Meinungen zu unserem Projekt in Finnland). Zwei Schülerinnen sind auch der Meinung, dass die Japaner mehr über ihre Traditionen wissen als die Finnen. „In Finnland haben leute der Meinung aus Feiertagen vergessen“ (Ella, in: Meinungen zu unserem Projekt in Finnland). Neben den Unterschieden stellen alle finnischen Schülerinnen und Schüler ebenso fest, dass einige Traditionen in Finnland und Japan sich ähneln sind. Z. B schreibt Ella „Hochzeit ist gleich wie in Finnland denke ich.“ (Ella, in: Meinungen zu unserem Projekt in Finnland)

Die kontrastive Gegenüberstellung von kulturellen Gewohnheiten ist ein Teil des Prozesses des Fremdverstehens. Die didaktische Frage der Lehrkraf