Grabwesen
Geburt und Tod, anfang und ende sind die wichtigsten ereig
nisse für jede menschliche existenz. Da sie eintritt in und
ausscheiden aus der Gemeinschaft bedeuten, werden sie
nahezu überall und zu allen Zeiten von riten begleitet.
so wenig sich der säugling selbst Geburtsurkunde, beschnei
dung oder Taufe aussucht, so wenig bestimmt der Verstorbe
ne selbst darüber, wie nach dem Tod mit ihm verfahren wird.
auch wenn er seinen „letzten willen“ geäußert haben mag,
entscheiden doch die Hinterbliebenen darüber, ob dieser
auch respektiert wird. Gräber sind daher kein spiegel des
Lebens des Verstorbenen. sie sind in erster Linie ein spiegel
der lebenden Hinterbliebenen in ihren riten und normen im
Umgang mit dem Verstorbenen.
Von diesem spiegel sind aber gleichsam nur scherben über
liefert, denn dem archäologen ist in den Grabfunden nur ein
kleiner, im boden über die Zeiten konservierter ausschnitt
dieser riten zugänglich. waschungen, aufbahrung, Gebete,
Klagelieder, Gedächtnisfeiern und vieles mehr mag es ge
geben haben – es bleibt uns aber praktisch unzugänglich.
Asche zu Asche – Bestattungssitten
wenn die Gemeinschaft den Verstorbenen symbolisch ent
lässt, kann das zum beispiel durch eine Veränderung des
(ursprünglichen?) Zustands des Leichnams ausgedrückt
werden. In nordwestdeutschland war es von der jüngeren
bronzezeit bis in die Völkerwanderungszeit allgemein üblich,
den Leichnam auf dem scheiterhaufen zu verbrennen.
bestattungen unverbrannter Körper wie in PetershagenIlse
(Kr. MindenLübbecke) ( seite 166 f.) oder in netphenDeuz
(Kr. siegenwittgenstein) ( seite 228 f.) haben keine Vorläu
fer in der jeweiligen region. sie bleiben während der eisenzeit
vereinzelte ausnahmen, die zumindest mittelbar die ankunft
fremder Personen anzeigen.
Gräber – SpieGel der noch lebenden
bestattungsarten der eisenzeit. 1: Urnengrab; 2: Leichenbrandnest/Knochenlager; 3: brandschüttungsgrab; 4: brandgrubengrab.
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ausschnitt aus dem Originalplan des Quadratgrabenfriedhofs Heeknienborg „wext“ von 1937.
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wie schon in der vorausgehenden jüngeren bronzezeit wird
während der frühen und mittleren eisenzeit der aus dem
scheiterhaufen ausgelesene, sorgfältig gereinigte Leichen
brand in einer kleinen Grabgrube entweder in einer Urne
(aus Ton) oder in einem behältnis aus vergänglichem (organi
schem) Material bestattet. In letzterem Fall sind in der regel
nur die brandreste als kompaktes „Leichenbrandnest“ bzw.
„Knochenlager“ überliefert. In der mittleren eisenzeit treten im
westlichen westfalen zunehmend brandschüttungsgräber in
erscheinung. bei diesen wird der ausgelesene Leichenbrand
ebenfalls in einer Urne oder als Knochenlager bestattet, in
die Grabgrube wird jedoch zusätzlich scheiterhaufenasche
gefüllt. In Ostwestfalen bildet das flächendeckende aufkom
men von brandschüttungsgräbern und brandgruben zu
beginn der späten eisenzeit eine markante Zäsur. nicht uner
wähnt bleiben soll, dass brandschüttungsgräber in gerin ge
rem Umfang auch schon vor der mittleren eisenzeit auftreten,
was vielleicht als Hinweis auf Zuwanderung einzelner oder
kleiner Gruppen zu sehen ist. so fällt zum beispiel bei einem
für die region völlig ungewöhnlichen früheisenzeitlichen
brandschüttungsgrab des Friedhofs MindenPäpinghausen
„specken“, Grab F 24 (Kr. MindenLübbecke) auf, dass die
Urne auf der schulter mit einem flächigen Dekor aus einge
glätteten rillen verziert ist, wie es sonst in Mittel und Ost
deutschland geläufig ist.
In südwestfalen bleiben Urnen und Knochenlager bis zum
ende der eisenzeit vorherrschend. beispielhaft hierfür ist die
Hunderte Jahre genutzte nekropole netphenDeuz (Kr. sie
genwittgenstein) ( seite 228 f.). Insgesamt überwiegen
einzelbestattungen bei weitem, vereinzelt lassen sich bei
der anthropologischen analyse des Leichenbrandes aber
Doppelbestattungen nachweisen, bei denen die Leichen
brände zweier Personen gemeinsam beigesetzt wurden.
In der nördlichen Hälfte von westfalen kommt es um 300 v.
Chr., wohl unter ostkeltischem einfluss, zu einem neuen Phä
nomen in der bestattungssitte. statt der beisetzung des ge
reinigten Leichenbrandes wird nun oft ein Teil des Leichen
Urne mit beigefäß aus dem früheisenzeitlichen brandschüttungsgrab F 24 in MindenPäpinghausen „specken“.
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Grabwesen
brandes regellos zusammen mit resten des scheiterhaufens
in eine Grube gefüllt (brandgrubengrab). Möglicherweise
steht jetzt weniger die beerdigung als vielmehr die Verbren
nung selbst im Mittelpunkt des Totenritus. neben brandgru
bengräbern bleiben brandschüttungsgräber aber weiterhin
üblich. beide Grabformen sind in Ostwestfalen typisch für die
späte eisenzeit, sie kommen aber regional und zeitlich unter
schiedlich häufig vor. Ihre anteile auf den Friedhöfen – nicht
etwa eine Kartierung der einzelnen Grabformen wie es die
ältere Forschung versuchte – helfen, regionale Gruppen zu
unterscheiden. so überwiegen zum beispiel in der eilshauser
Gruppe bei weitem die brandgrubengräber, in der Oberems
gruppe dagegen brandschüttungsgräber ( seite 35 ff.).
bemerkenswert ist, dass die brandschüttungs und vor allem
brandgrubengräber oft viel weniger Leichenbrand enthalten,
als üblicherweise zu der Zeit nach einer Verbrennung auf dem
scheiterhaufen zu erwarten wäre (ca. 1,2–3 kg). Im brand
grubenfriedhof von PetershagenLahde (Kr. MindenLübbe
cke) enthalten über 50 % der brandgrubengräber weniger als
40 g Leichenbrand, oft noch viel weniger. an erklärungsversu
chen für dieses Phänomen hat es nicht gemangelt. so wurde
erwogen, ob die reste einer Leichenverbrennung auf mehre
re Gruben verteilt worden sein könnten. In der Tat findet sich
hierfür ein beleg in westerkappeln (Kr. steinfurt) ( seite
213). Die beiden Grabgruben in westerkappeln sind sichtlich
aufeinander bezogen. allerdings dürfte es sich kaum um ei
nen regelfall handeln, der auch ohne entsprechenden Lage
bezug übertragen werden kann. sonst hätte man vielleicht
häufiger bruchstücke derselben beigabe (zum beispiel von
Keramik oder Trachtbestandteilen) auf mehrere Gruben ver
teilt gefunden. auch bei der anthropologischen Untersuchung
der Leichenbrände hätten sich zumindest gelegentlich
anhaltspunkte ergeben müssen.
ein anderes erklärungsmodell sieht in den brandgrubengrä
bern scheiterhaufenreste, aus denen der Leichenbrand
schon mehr oder weniger sorgfältig ausgelesen wurde. wo
dieser bestattet wurde, ob am Ort – zum beispiel direkt auf
der alten Oberfläche – oder anderswo, bleibt offen. einen
(ersten) Hinweis könnte hier ein Knochenlager aus der spät
eisenzeitlichen siedlung von MindenPäpinghausen (Kr. Min
denLübbecke) geben, das über eine 14Canalyse in das
3. Jahrhundert v. Chr. datiert wurde. Zumindest in diesem Fall
wurde der Leichenbrand letztlich in die siedlung mitgenom
men, während die scheiterhaufenreste auf dem Friedhof
geblieben sein dürften.
Sonderbare Praktiken – Sonderbestattungen?
Unverbrannte menschliche Knochen eisenzeitlichen alters
wurden in sauerländischen Höhlen zusammen mit asche,
verkohltem Getreide und Gefäßscherben gefunden. Ging die
ältere Forschung noch davon aus, dass es sich bei den Höh
lenfunden um Opfer handele, gilt heute die Deutung als be
stattungsplätze im weiteren sinne als wahrscheinlicher (
seite 195 ff.). bemerkenswert ist, dass seit der älteren eisen
zeit keine vollständigen skelette, sondern nur skelettteile in
die Höhlen gebracht wurden. Möglicherweise sind die Toten
zunächst an einem anderen Ort bestattet worden und erst
nach ihrer skelettierung wurden Teile der Gebeine in den Höh
len niedergelegt. Dies klingt aus heutiger sicht ungewöhnlich.
allerdings ist für die eisenzeit des keltischen Kulturraums
vielfach nachgewiesen, dass ebensolche Praktiken vollzogen
wurden.
auch im Umfeld von Gewässern wurden einzelne Gebeine an
getroffen. so soll in der aue des Körnebachs bei Kamen (Kr.
Unna) unter einem importierten Dolch mit prunkvollem bron
zegriff das schädeldach eines Kindes gelegen haben, welches
über eine 14Canalyse in die frühe eisenzeit datiert werden
konnte ( seite 175). ein weiterer, ebenso in die frühe eisen
zeit datierter schädel eines 20–30 Jahre alten Mannes
stammt aus der seseke bei Kamenwestick (Kr. Unna). eisen
zeitliche skelettreste sind auch aus anderen Gewässern be
kannt, etwa aus der emscher bei CastroprauxelIckern (Kr.
recklinghausen) sowie der ems bei emsdetten (Kr. steinfurt)
und warendorfneuwarendorf (Kr. warendorf). auf dem
Mooropferplatz in HilleUnterlübbe (Kr. MindenLübbecke)
( seite 188) wurden ebenfalls einzelne unverbrannte Men
schenknochen festgestellt. Liegt hier auch der Gedanke an
Opferhandlungen nahe, so bleiben uns doch die Hintergründe
dieser Funde letztendlich verschlossen.
Urnen – mehr als Totenbehältnisse?
als Urnen dienen in der regel größere Tongefäße. Manchmal
wird aber auch eine zeitlich oder regional typische auswahl
von Gefäßen erkennbar, die möglicherweise nicht zufällig
und absichtslos ist, sondern symbolische Hintergründe und
Lebenskonzepte ausdrücken sollte.
während der frühen und mittleren eisenzeit werden in der
westfälischen bucht und in Ostwestfalen häufig geraute,
fassförmige Vorratsgefäße als Urnen ausgewählt. Da es sich
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Grabwesen
eiserne Lanzenspitze und Lanzenschuh aus den brandgrubengräbern
F 14 und F 11 in bielefeldJöllenbeck.
hierbei wahrscheinlich um Vorratsgefäße für Getreide handelt
und zu dieser Zeit in anderen regionen miniaturisierte Getrei
despeicher als Urnen aufkommen, liegt die Vermutung nahe,
dass hier der menschliche Tod symbolisch mit dem neues
Leben schaffenden saatgut des Getreides gleichgesetzt
wurde. entsprechendes ist nicht nur uns (Joh. 12, 24: „wahr
lich, wahrlich ich sage euch: es sei denn, dass das weizen
korn in die erde falle und ersterbe, so bleibt‘s allein; wo es
aber erstirbt, so bringt es viele Früchte“), sondern weltweit
vielen Gesellschaften vertraut, deren Lebensgrundlage der
Getreideanbau bildet.
Kostbare, aus bronzeblech getriebene Gefäße, wie die an der
wende von der bronze zur eisenzeit entstandene amphore
von Gevelinghausen ( seite 57 f.) sowie zylindri sche ge
rippte oder konische glattwandige eimer ( seite 209) der
mittleren eisenzeit, dienten in ihren südlichen Herkunftsregi
onen als behälter für rauschgetränke bei festlichen Trinkge
lagen. In westfalen sind sie durchweg importiert, sehr selten
und wurden hier zuletzt als Urnen verwendet. wie vielfache
reparaturen zeigen, wurden diese Gefäße über weite stre
cken von Hand zu Hand weitergegeben und oft lange verwen
det. sie hatten so eine eigene bewegte Geschich te und waren
in nordwestdeutschland wohl mindestens ebenso kostbar
wie in ihren südlichen Herkunftsregionen. nur wenige wurden
in einem solchen Gefäß beigesetzt, mit dem wohl nicht allein
die Hoffnung auf ein Fest im Jenseits, sondern auch reich
tum und ansehen der bestattenden Familie ausgedrückt wer
den sollte.
In der späten eisenzeit und Übergangszeit kommen nach
elbgermanischem brauch pokalartige Tonsitulen als Leichen
brandbehälter auf, die wegen des kleineren Fassungsvermö
gens vielleicht Trinkgefäße für einzelne Personen waren. aus
dem Mittelrheingebiet und der wetterau strahlt in der späten
eisenzeit nach südwestfalen die sitte aus, den Leichenbrand
in schüsseln zu bestatten, die im Leben als essgeschirr ge
dient haben könnten.
Grabbeigaben – Gaben oder der Rest vom Fest?
Größere Grabbeigaben sind während der frühen bis mittleren
eisenzeit unüblich. In der frühen eisenzeit fügt man dem
sorgfältig ausgelesenen Leichenbrand gelegentlich eine un
verbrannte nadel oder ein kleines Tongefäß hinzu. seit der
mittleren eisenzeit werden Trachtgegenstände und schmuck
zunehmend auf dem scheiterhaufen mitverbrannt und gelan
gen in seltenen Fällen als bruchstücke bzw. schmelzreste in
Urnen und Knochenlager. Ob auf dem scheiterhaufen eine rei
chere ausstattung verbrannt und nur nicht ausgelesen wurde,
wissen wir nicht. erst als brandschüttungs und brandgru
bengräber in weiten Teilen westfalens während der mittleren
eisenzeit einzug halten und die scheiterhaufenreste mit in
die Grabgrube gegeben werden, wird eine größere Fülle von
beigaben erkennbar: Keramikgefäße, Fibeln, ringschmuck,
Glasperlen, bisweilen sogar wagenbestandteile wie Ösen
stifte ( seite 168 f.). waffen bleiben jedoch seltenste aus
nahmen, allein aus bielefeldJöllenbeck sind brandgruben
mit Lanzenspitze und endbeschlag (sogenannter Lanzen
schuh) bekannt. anders als zuvor sind diese beigaben
meist nur in einzelnen Fragmenten vorhanden, angebrannt,
durchgeglüht oder bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen.
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Grabwesen
Dass man in nordwestdeutschland gerade die Gräber von Frauen in fortgeschrittenem alter am
reichsten mit beigaben ausstattete, wurde für die späte bronze und frühe eisenzeit schon vor
Längerem herausgearbeitet, bestätigte sich unlängst bei der Untersuchung der Leichenbrände
des Friedhofs von Harsewinkel (Kr. Gütersloh) auch für die jüngeren Phasen der eisenzeit (
seite 211 f.) und könnte auch für das reiche Frauengrab von Hiddenhauseneilshausen (Kr. Her
ford) ( seite 58 und 210) zutreffen, sofern die anthropologische bestimmung dieses unter
mauert. Die Mehrheit der Gräber enthält aber bis auf den Leichenbrand und – wenn überhaupt –
der Urne, weiterhin so gut wie nichts.
Grabbauten – Erinnerungsorte in der Landschaft
schon seit dem endneolithikum sind Hügel mit Kreisgräben und Pfostensetzungen bekannt. In
der jüngeren bronzezeit sind in der westfälischen bucht, vereinzelt auch bis an die weser man
nigfaltige Grabeinhegungen, insbesondere Gräben in schlüssellochform verbreitet. In der eisen
Hiddenhauseneilshausen: auswahl von beigaben aus dem reich ausgestatteten Frauengrab F 1250. 1–2: Drahtfi
beln vom Mittellatèneschema; 3: bügelplattenfibel; 4: reparierter Gürtelhaken; 5: Hängebrosche vom „Typ babilonie“;
6: segelohrring mit hellblauer Glasperle.
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Grabwesen
zeit erscheinen weiterhin Kreisgräben, oft mit einer Öffnung
nach südosten. Typisch für das westliche Münsterland und
die Tecklenburger region sind rechteckgräben, die sich oft
wie kleine Parzellen aneinander schließen ( seite 206 ff.).
Unabhängig davon erscheinen in der späten eisenzeit in
südwestfalen rechteckige Grabeinfriedungen mit Trocken
mauern (Grabgärten) ( seite 203 f.). Hier handelt es sich
offensichtlich um einflüsse aus der wetterau und dem
Lahngebiet, wo solche rechteckigen Grabgärten verbreitet
sind.
bei den Kreis oder rechteckgräben westfalens ist damit zu
rechnen, dass der Grabenaushub dazu verwendet wurde, Hü
gel über den beisetzungen aufzuwerfen. neben dieser durch
aus praktischen Funktion dürften die Gräben aber vor allem
eine rituelle oder rechtliche Grenze der Gräber markiert ha
ben: sie trennten, ebenso wie die Mauern der Grabgärten, die
welt der Lebenden von der der Toten.
In unbeackertem wald oder wiesengelände hat sich noch
eine größere Zahl von eisenzeitlichen Hügelgräbern erhalten.
Für die frühe bis mittlere eisenzeit nordostwestfalens sind
sogenannte Familienhügel charakteristisch, in denen meh
rere Gräber in der Hügelschüttung verteilt sind, deren beiset
zungsart oder ausstattung keine sozialen Unterschiede der
bestatteten erkennen lässt.
Überall dort, wo ein über viele Generationen sichtbares Grab
monument errichtet wurde, muss davon ausgegangen wer
den, dass hier die fortdauernde Präsenz der Toten im Ge
dächtnis der Lebenden als wichtig erachtet wurde. Gräber von
ahnen – und seien es nur fiktive – könnten besitzansprüche
auf Land untermauert haben. Hügelgräber waren so bedeut
sam, dass selbst viel ältere Monumente des endneolithikums
oder der mittleren bronzezeit zu einem Kristallisationspunkt
für die anlage eines neuen, jungbronze oder eisenzeitlichen
Friedhofs werden konnten ( seite 214 f.).
Nekropolen – Städte der Toten
Im Gegensatz zu den meisten siedlungen, die zumeist aus
kleinen Gehöften und möglicherweise auch nur über wenige
Generationen bestanden, konnten Friedhöfe erheblich länger
belegt werden. wenn bereits eine kleine Gemeinschaft von
Lebenden über mehr als ein Jahrtausend standorttreu einen
bestattungsplatz nutzte, entstand eine große und viele Hun
derte von Gräbern umfassende nekropole, im wörtlichen sinn
eine Totenstadt.
bestattungssitten auf dem Gräberfeld PetershagenOvenstädt.
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Grabwesen
wie bei einer stadt der Lebenden können die Dauer, Größe,
Topografie und entwicklung einer nekropole viel über histo
rische und soziale Prozesse verraten.
Die eisenzeitlichen Gräberfelder westfalens sind aber bislang
dahingehend kaum systematisch untersucht. Dies mag vor
allem daran liegen, dass viele lediglich in kleinen, zufälligen
ausschnitten bekannt wurden und nur wenige umfassend
publiziert sind.
so können im Folgenden nur einige häufig wiederkehrende
Phänomene benannt werden. In der nördlichen Hälfte west
falens sind einige Gräberfelder über erstaunlich lange Zeit,
zum Teil über mindestens ein Jahrtausend belegt, wogegen
beispielsweise einzelgräber neben einem einphasigen Gehöft
oder lediglich einphasige Gräberfelder deutlich seltener sind.
Innerhalb der großen nekropolen ist durch die Zeit hindurch
häufig eine räumliche Verlagerung des bestattungsareals –
eine sogenannte Horizontalstratigrafie – erkennbar, wofür
das Gräberfeld von warendorfneuwarendorf (Kr. warendorf)
ein gutes beispiel bietet ( seite 216 f.).
Der Friedhof von warendorf ist auch insofern topografisch in
teressant, als er von einem alten weg durchquert wird. einer
seits gruppieren sich die Gräber längs des weges, anderer
seits gliedert er das Gräberfeld auch, da sich die jüngsten
Gräber nur südlich des weges finden. In anderen Fällen war
offenbar das Geländerelief für die wahl und die entwicklung
des bestattungsplatzes ausschlaggebend. so wurden in
westerkappeln (Kr. steinfurt) ( seite 213) zunächst die
höchsten und damit weithin sichtbaren bereiche belegt,
während die jüngeren bestattungen in den noch freien räu
men zunehmend tiefer am Hang angelegt wurden.
bemerkenswert ist, dass sich gelegentlich in einem Gräber
feld mehrere bestattungen zu kleineren Gruppen zusammen
schließen, wie es zum beispiel am Gräberfeld von erndte
brückbirkefehl (Kr. siegenwittgenstein) zu erkennen ist (
seite 226 f.). Gerne möchte man hierin Familien im weitesten
sinne, Haus oder Hofgemeinschaften erkennen, doch sind
auch andere Möglichkeiten denkbar und es mangelt meist an
anthropologischen auswertungen, die die Palette der Mög
lichkeiten einschränken könnten. Von besonderer bedeutung
ist hier der Friedhof von PetershagenOvenstädt (Kr. Minden
Lübbecke), wo sich die bestattungen nach unterschiedlichen
kulturellen Traditionen gruppieren. Die eine Gruppe (a) wurde
in verzierten Gefäßen bestattet, die für die nienburger
Gruppe des nordwestdeutschen Tieflandes charakteristisch
sind. eine andere Gruppe (b) bestattete man hingegen in
unverzierten Gefäßen, wie man sie auch im ravensberger
Hügelland antrifft. In dem archäologisch und anthropologisch
exzellent untersuchten Friedhof von Harsewinkel (Kr. Güters
loh) zeigte sich, dass Kinder in kleinen Gruppen bestattet
wurden ( seite 211 f.).
wie auf den vorigen seiten skizziert, bieten die Gräber beson
ders vielfältige Untersuchungsmöglichkeiten und es stellen
sich komplexe Fragen. Die antworten werden kaum je eindeu
tig sein, sondern lassen sich oft nur grob eingrenzen, wobei
mehrere nebeneinander bestehen bleiben können. Doch sind
die Gräber wohl für viele archäologen ein bevorzugtes For
schungsfeld, weil sie vielleicht den unmittelbarsten Zugang
zum eisenzeitlichen Menschen bieten.
Daniel Bérenger / Jürgen Gaffrey / Bernhard Sicherl / Manuel
Zeiler
Literatur: bérenger 1989; bérenger 2000a; bérenger 2000c; Jockenhövel 1995;
rüschoffThale 2004; scheelen 2013.
westerkappeln „Im Paradies“: Viereckgräben im nördlichen Teil des
Gräberfeldes.
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