eurowinds de stefano canuti

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euro winds eurowinds.de Ausgabe 6 /2012 (November/Dezember) · EUR 6,00 (DE) · E -14205 Deutschland EUR 6,00 · Österreich / Italien / Spanien / Benelux EUR 7,00 · Schweiz CHF 9,00 Bläsermusik in Europa Mit großem Länderteil PERFORMANCE World Band Festival Luzern PRAXIS Blätter bearbeiten • »Basic Steps« (2) PORTRAIT Stefano Canuti • Johnny Ekkelboom

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Revista Eurowinds

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  • eurowindseurowinds.de Ausgabe 6/2012 (November/Dezember) EUR 6,00 (DE) E -14205

    Deutschland

    EUR 6,00

    sterreich / Italien / Spa

    nien / Benelux EU

    R 7,00 Schweiz CH

    F 9,00

    Blsermusik in Europa

    Mit groem

    Ln

    derteil

    PERFORMANCEWorld Band Festival Luzern

    PRAXISBltter bearbeiten Basic Steps (2)

    PORTRAITStefano Canuti Johnny Ekkelboom

    1112_ew_Heft_1d_Heft 06.11.12 23:02 Seite 1

  • eurowinds November/Dezember 2012 3

    Edito

    rial Mnner mit Ecken und Kanten

    Ein wichtiges Thema im zurckliegenden Jahrwar der Deutsche Orchesterwettbewerb in Hil-desheim. In den vergangenen Ausgaben ha-ben wir Ihnen die Ensembles genauer vorge-stellt, die sich die Spitzenpltze sichern konn-ten. Unsere Orchesterportraits haben dabeiden Fokus vor allem auf die jeweilige Ausbil-dung und Wettbewerbsvorbereitung gelegt,getreu dem Motto: von den Besten lernen. Mitder vorliegenden Ausgabe mchten wir nundiese kleine Serie an Orchesterportraits ab-schlieen. Einer, der mit gleich zwei Orchesternin Hildesheim erfolgreich war, ist der DirigentJohnny Ekkelboom. Mit der Stadtkapelle Mem-mingen und der Brass Band A7 nahm er amWettbewerb teil und stellte sich dem Urteil derJury. Statt jedoch die beiden Ensembles im De-tail zu prsentieren, haben wir uns den Mannam Pult mal genauer angeschaut. Fnf ganzunterschiedliche Orchester dirigiert er zur Zeit.Ein Mann mit Ecken und Kanten, der genauwei was er will und was nicht. Und der esauch sagt. Lesen Sie mehr ber diese interes-sante Dirigentenpersnlichkeit ab Seite 22.

    Fagottisten hatte ich mir bisher immer ziem-lich, na sagen wir mal, brav vorgestellt. Bis ichStefan Canuti kennengelernt habe, den BadBoy, wie er von sich selbst sagt, unter denLiebhabern des Doppelrohrinstruments. Wenner nicht gerade an den Hochschulen von Man-tua, Zaragoza oder Manchester unterrichtetoder in solistischer Mission um die Welt fliegt,dann braust er mit dem Motorrad durch dieHgel seiner italienischen Heimat. Von den PS-starken Zweirdern hat er gleich eine ganzeSammlung, und Rennen fhrt er damit auchnoch. Aber er liebt auch Bach und das Fagott.Wie das alles zusammengeht, lesen Sie ab Seite16. Unsere Autorin Sandra Sinsch nimmt Siemit in die Region Parma.

    Auswahlorchester gibt es mittlerweile eineganze Menge. Sie kommen und gehen. Einelangjhrige Konstante dagegen ist das Landes-blasorchester Baden-Wrttemberg unter derLeitung von Isabelle Ruf-Weber. Warum das soist, klren wir bei einem Besuch in der Musik-akademie Krnbach, wo sich das LBO fr seineProbenwochenenden trifft. Besonders interes-siert hat uns, aus welchen BeweggrndenMenschen den Weg in ein Auswahlorchesterwie das LBO finden, was sie dort erwartet, wiesie sich einbringen knnen und welchen Nut-zen sie fr sich persnlich und ihre Arbeit vorOrt daraus ziehen knnen. Unser Autor BerndNeuschl hat in Krnbach viele interessanteAspekte eines solchen Klangkrpers zusam-mengetragen und dabei festgestellt: Es ist einGeben und Nehmen mit Begeisterung und kla-ren Zielen.

    Bildung und Kooperationen

    Mit Bildung und Kooperationen kann man dieZukunft der Musikvereine sichern. Davon istChristoph Karle berzeugt. Der Leiter der BDB-Musikakademie in Staufen hat das Kurspro-gramm seines Hauses konsequent nach dieserMaxime ausgerichtet. Kooperationen mit Kin-dergrten und Schulen strken nachhaltig dieNachwuchsarbeit der Vereine. Je frher Kinderber Musikgarten, Musikalische Frherzie-hung, Blserklasse und andere Modelle Kon-takt zur Musik bekommen, desto eher findensie in die Musikvereine, ist Karle berzeugt.Mehr als 120 Seiten stark ist das neue Kurspro-gramm der BDB-Akademie. Wie haben uns mitChristoph Karle ber die neue Ausrichtung desAngebots unterhalten und ab Seite 32 die Ro-sinen fr Sie herausgepickt.

    Ihr Gerhard Tenzer

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  • eurowinds November/Dezember 20121616

    Stefano Canuti

    Portrait

    Stefano Canuti

    Der Bad Boyunter den Fagottisten

    1112_ew_Heft_1d_Heft 06.11.12 23:02 Seite 16

  • Seurowinds November/Dezember 2012 17

    Portra

    it

    TEXT Sandra Sinsch FOTOS Gerhard Tenzer

    der menschlichen Stimme sehr nahe, also warich den Gefilden meiner Kindheit und meinerursprnglichen Begeisterung frs Singen ganznahe. Ich habe zwar keine besonders schneStimme, aber ich singe den ganzen Tag, lachtCanuti.

    Sein Studium mndete in eine Orchestert-tigkeit. Zunchst war er erster Fagottist imMaggio Musicale Florentino Orchester undwechselte spter zum Radio SinfonieorchesterTurin. Nchste Station war das Mahler Cham-ber Orchestra, einer der europischen Top-Klangkrper. Besonders die Zusammenarbeitmit Claudio Abbado hat Canuti als extrem be-fruchtend empfunden: Abbado ist imstandeeine unglaubliche Energie aufzubauen, er be-dient ein Orchester wie ein Instrument. DieseFhigkeit besitzen nur wenige Dirigenten,schwrmt Canuti und fhrt als Gegenbeispielden Stardirigenten Lorin Maazel an, unter demer bestimmt 200 Konzerte gespielt hat. MitMaazel sei alles perfekt gewesen, binnen weni-ger Stunden habe er ein Orchester komplettunter Kontrolle gehabt. Jede Note habe dortgesessen, wo sie hinmute, aber am nchstenTag habe Canuti sich kaum noch an die Musikerinnern knnen. Abbado hingegen hat eineBotschaft zu vermitteln, die Arbeit mit ihm istwie eine Reise. Natrlich braucht man mit ihmlngere und intensivere Proben; er ist kein Fh-rer, sondern ein Musiker, der auf Augenhheagiert. Er fliegt, und es ist mitunter schwierig,diesen Vogel einzufangen. Aber wenn man dashinbekommt, dann zehrt man eine ganze Wo-che von diesem einen Konzert, erklrt Canuti.

    Bewut fr Solistenlaufbahn entschieden

    Dennoch hat sich Canuti entschieden, seineOrchesterlaufbahn an den Nagel zu hngen.Denn Abbado ist fr ihn eine dirigentische Aus-nahme. Ich bin ein bad guy, lacht er, manch-mal will ich einen Dirigenten einfach nicht un-tersttzen. Selbst wenn das eine absolute Pult-gre ist, dem die ganze Musikwelt zu Fenliegt, kann es passieren, da ich diesen Dirigen-ten nicht mag. Unter ihm zu spielen, frustriertmich dann, und im Orchester kann man sicheben nicht aussuchen, wer da vorne das Sagenhat. Stefano Canuti hat sich bewut fr eineSolistenlaufbahn entschieden. Dazu ist, manmu es ehrlich sagen, das Fagott nicht gerade

    Stefano Canuti nennt sich selbst einen BadBoy, der lieber den Orchesterdienst quittier-te als unter Dirigenten spielen zu mssen, dieer nicht leiden mag. Also startete er erfolg-reich in eine Solokarriere, die ihm so ehrlichist er mit seinem Instrument Fagott auf dieDauer zu langweilig wurde. Erfllende Ergn-zung fand er in einer pdagogischen Ttig-keit, die ihn aktuell an gleich drei Hochschu-len bindet. Darber hinaus ist der Italienerauch im venezolanischen El Sistema enga-giert, das Straenkindern eine musikalischeAusbildung ermglicht, die bis zur Weltspitzegeht. Steht Stefano Canuti einmal nicht in ei-ner seiner Hochschulen beim Unterrichtenoder selbst hinter dem Notenstnder, brauster, wie sich das fr einen echten Bad Boy ge-hrt, mit seinem Motorrad durch die Gegend.

    Italien, la dolce vita und von der Wiege bis zurBahre eine Opernarie auf den Lippen so stelltman es sich zumindest vor, und im Falle vonStefano Canuti ist das auch so. Aufgewachsenist er in Parma und schon die Groeltern gin-gen einmal die Woche in die Oper, um Verdiund Puccini rauf und runter zu hren. Frmich war es ganz normal, da man zu HauseOpern gesungen hat, egal ob in der Kcheoder im Schlafzimmer, erinnert er sich. Anson-sten gab es in der Familie aber keinerlei profes-sionelle Ambitionen in punkto Musik. StefanoCanuti lernte zunchst Gitarre, was ihm zwarnicht schlecht gefiel, auf Dauer aber zu eint-nig war: Immer nur im stillen Kmmerlein zusitzen und fr sich alleine zu spielen war aufDauer nichts fr mich, ich wollte aber gerneKammermusik machen. Dazu hat man als Gi-tarrist leider nur selten Gelegenheit, sagt er.

    Beim Fagott waren noch Kapazitten frei...

    Da er erst mit knapp 17 Jahren diese Ambitionentdeckt hatte, war es ihm klar, da es zu sptwar, um in absehbarer Zeit prsentable Ergeb-nisse auf einem Streichinstrument zu errei-chen. Also hatte er sich die Klarinette ausge-guckt und wandte sich an das Konservatoriumseiner Heimatstadt Parma. Dort waren alle Plt-ze fr Klarinette schon belegt, aber beim Fa-gott waren noch Kapazitten frei. Also habeich Fagott gelernt, aber das habe ich nicht alszweite Wahl empfunden. Das Fagott kommt

    1112_ew_Heft_1d_Heft 06.11.12 23:02 Seite 17

  • Portrait

    n Wer gut singt, kann kein schlechter Blsersein. Denn das Spiel von Blasinstrumenten istnur eine Abart des Singens, wir imitieren. Sin-gen ffnet alles im Mund- und Halsraum undso, wie niemand auf die Idee kommt, mit hli-cher, flacher Stimme zu singen, sollten auch wirBlser uns am Belcanto orientieren. Deshalbempfiehlt es sich, vor dem ben Aufwrm-bungen von den Sngern abzuschauen, ger-ne auch am Klavier. Aber einfache Melodientun es ebenfalls. Wichtig ist, ein gutes Gefhlfr den Krper und den Klang zu entwickeln.

    Technik ist ein Thema, das viel diskutiert undmanchmal auch zu Tode diskutiert wird. Vielhilft nicht viel, es nutzt wenig, sich ber Stun-den mit einer Passage zu beschftigen, dienicht in die Finger gehen will. Das Gehirn hatschon nach kurzer Zeit einen Punkt erreicht, andem es in den Streik tritt und nicht mehr lernenwill, die neue Bewegung zu adaptieren. DieFolge ist, da Krper und Geist in den Streik

    treten und der Musiker frustriert ist, weil es ein-fach nicht klappen will. Ich habe darber inten-sive Gesprche mit einem Musikmediziner ge-fhrt und bin zu der Erkenntnis gelangt, da esvllig ausreicht, sich zwei bis drei Minuten aneiner schwierigen Passage aufzuhalten. In dernchsten berunde gibt es eine neue Chance...

    Das ben sanft beenden

    Im Gegensatz zu vielen anderen beende ichdas ben eher sanft. Nicht ein Feuerwerk derbrillanten Technik steht am Ende, sondern Ent-spannung mit Klang und langen Tnen. Ich set-ze mich ans Klavier, drcke das Pedal durchund spiele zum Beispiel ein tiefes G. Daraufbaue ich Akkorde auf, spiele Arpeggio odereben, wie es der Snger nennt, Vokalisen.Durch alle mglichen Tonarten. Das gibt zumAbschlu noch einmal ein gutes Gefhl fr denKrper und somit den Klang.

    Ich persnlich bin leider ein Sklave des Rohrs,zum Glck bernimmt die grobe Arbeit bis zurPuppe (dem halbfertigen Rohr) meine Frau,die ebenfalls Fagottistin ist. Ich vollende dasRohr nur noch. Wenn das Rohr nicht gut ist,kann ich auch nicht gut spielen. Daher ist esnatrlich immer eine gute Sache, wenn Musi-ker in der Lage sind, auch auf weniger gutenRohren klangschn und flexibel zu blasen.Oboisten und Fagottisten sind von Mundstk-ken leider sehr abhngig und die Fertigungs-zeit bersteigt bei vielen die bezeit um einVielfaches. Stefano Canuti

    Literaturtip

    Nazzareno Gatti: 22 Grandi Esercizi per fagottoRicordi, RICMI01461

    n www.di-arezzo.de

    Stefano Canuti

    betips Zwei bis drei Minuten an einer schwierigen Passage

    18 eurowinds November/Dezember 2012

    1112_ew_Heft_1d_Heft 06.11.12 23:03 Seite 18

  • eurowinds November/Dezember 2012 19

    n Das Solorepertoire fr Fagottisten ist rar. Da liegt es nahe, sich bei an-deren Instrumenten zu bedienen und Arrangements anzufertigen. Ge-nau das hat auch Stefano Canuti bei seinerjngsten Aufnahme getan. Johann SebastianBachs Gambensonaten BWV 1027, 1028 und1029 in der Fassung fr Fagott und Klavier (Ve-lut Luna, CVLD 222). Solch ein Experiment kannPuristen gleich zweifach auf die Palme treiben:Zum einen, weil Arrangements gegeben wer-den (auch wenn Canuti die Tonarten beibehlt,da Fagott und Gambe sich im selben Registertummeln).

    Zum anderen, weil Canuti entgegen desgroen Trends zur historischen Auffhrungs-praxis zum modernen Fagott greift und seinKlavierpartner Enrique Bagaria am Steinwaysitzt. Wrde ich eine Flten- oder Violinsonatetranskribieren, mte ich Tonarten wechseln, was die Seele der Musikzerstrt. Denn im Barock sind Tonart und Charakter des Werks unmittel-bar miteinander verknpft. Gambe und Fagott sind jedoch eine Klangfa-milie, meint Stefano Canuti.

    Bach ist fr ihn der grte unter den Komponisten. Gleichzeitig ist dieEinspielung ein Aufruf an die jngere Fagottistengeneration, sich ver-

    mehrt an Repertoire abseits der ausgetretenenPfade zu wagen. Auch wenn Canuti die Arbeitvon Kollegen auf historischem Instrumentari-um schtzt fr ihn selbst ist es nichts. Erbraucht den Klang des modernen Fagotts.

    Stilbruch braucht deswegen niemand zu be-frchten: Man hrt und sprt, wie sehr der Ita-liener in die Musik eingedrungen ist, sie verin-nerlicht hat und dem Hrer als eine spannendeKlangreise in ferne musikalische Welten pr-sentiert. Nichts ist hier knstlich oder auf denschnellen Effekt ausgelegt Bachs musikali-sches Universum ist bei Canuti und Bagaria inbesten Hnden. Unter seinen vielen Einspie-lungen sind die Bachsonaten fr Canuti viel-

    leicht am wichtigsten. Die CD ist eine Liebeserklrung an Komponist undInstrument gleichermaen, eine Musik ohne Grenzen in geradezu the-rischer Weise.

    n www.ludomentis.com

    Portra

    it

    Musikalische Liebeserklrung an das Fagott

    das ideale Instrument: Unser Repertoire istsehr begrenzt, wir verfgen einfach nicht berdiese Flle an Werken wie Pianisten und Strei-cher. Mit etwa zehn solistischen Verpflichtun-gen im Jahr ist dann auch alles gesagt. Mandarf sich auch nicht vorstellen, da ich stun-denlang hinter dem Notenstnder klebe, ein-einhalb Stunden am Tag reichen mir vllig aus,vieles wiederholt sich ja, sagt Canuti ehrlich.

    Kammermusik begeistert ihn nach wie vor,doch ist er nirgendwo festes Ensemblemit-glied. Man kommt projektweise fr Festivalszusammen und geht dann wieder seiner Wege.Eine feste Gruppe wie ein Blserquintett ist ameinfachsten aus einem Orchester heraus orga-nisierbar, wenn die Mitglieder in alle Winde zer-streut sind, ist das logistisch fast nicht durch-fhrbar. Auerdem ist auch hier das Repertoireziemlich begrenzt, meint er. Als er sich ent-schieden hatte, nicht mehr im Orchester zuspielen, empfand Canuti sein musikalisches Le-

    ben als leer. Der Griff zu historischen Instru-menten, den viele seiner Kollegen ttigen, hatihn nicht gereizt. Natrlich habe ich michauch einmal auf dem Barockfagott ausprobiert,aber das berlasse ich lieber den Spezialisten.Mir gibt es nichts, ich finde die instrumenten-technischen Mglichkeiten sehr beschrnkt.

    El Sistema ein Wunder mit Problemen

    Erfllung hat Canuti in seiner ausgedehntenpdagogischen Ttigkeit gefunden. Aktuell un-terrichtet er an drei Hochschulen gleichzeitig.Angefangen hat es am Royal Northern Collegeof Music in Manchester, dann folgte in seineritalienischen Heimat das Conservatorio di Mu-sica Campiani in Mantua und schlielich dasConservatorio Superieur im spanischen Zara-goza. Die Ttigkeit in Spanien nimmt zur Zeitden grten Raum in Canutis pdagogischemSchaffen ein. Zwar bin ich der Lehrer, doch ich

    bleibe stets ganz Musiker. Ich habe das Glck,mit sehr fortgeschrittenen Studenten arbeitenzu drfen. Ich mache Musik mit meinen Stu-denten und im selben Moment unterrichte ichund lerne noch etwas dazu, erklrt er.

    Als ob das Pendeln zwischen drei Unter-richtsorten und den Konzertverpflichtungennicht ausreichen wrde, ist Canuti seit sechsJahren als Pdagoge bei der Fundacion desEstadora para el Sistema Nacional des las Or-questas Juveniles e Infantiles de Venezula alsFagottdozent mit von der Partie. Dieses welt-weit einmalige und hoch gerhmte System (ElSistema) ermglicht vielen Kindern,die sonst niemals zu dieser WeltZugang htten, eine musikali-sche Ausbildung. Aushnge-schild ist das von GustavoDudamel geleitete Jugend-orchester, das auf der gan-zen Welt fr Furore sorgtund das Publikum gleicher-maen zu Begeisterungsstr-men wie Trnen hinreit. Ich ha-be in diesen Jahren tiefgreifende Erfah-rungen gesammelt, schlielich bin ich einmalim Monat fr eine Woche in Caracas zum Un-terrichten. El Sistema ist eine Art Wunder,vielleicht das Grte und Schnste, was manmit Musik tun kann. Es kann mich noch nachall den Jahren zu Trnen rhren, ich liebe dieArbeit mit den jungen Leuten, sagt Canuti.

    Ich mache Musik mit meinen Studentenund im selben Moment unterrichte ich

    und lerne noch etwas dazu!

    1112_ew_Heft_1d_Heft 06.11.12 23:03 Seite 19

  • eurowinds November/Dezember 201220

    Wieviel Zeit verbringen Sie mit Musik?Das hngt ganz davon ab, wie man Musik defi-niert. Ist es nur die reine Beschftigung mit demInstrument? Dann ber ich derzeit etwa einein-halb Stunden am Tag. Manchmal be ich aberauch, wenn ich andere Dinge mache, Motorradfahre oder Laufen gehe. Im Kopf dreht sich im-mer irgendetwas um Musik, deshalb kann ichdafr schon 80 Prozent des Tages ansetzen.

    Welche Musik spielen Sie am liebsten?Als Berufsmusiker hat man in den seltensten Fl-len die Wahl, was man spielen mchte. So habeich mir angewhnt, das gerade Aktuelle in ge-nau die Musik zu transformieren, die ich im Mo-ment eben spielen mchte. Mein Respekt vorKomponisten ist gro, ich dringe tief in das Werkein und mache es zu meiner Lieblingsmusik.

    Welche Musik hren Sie am liebsten?La bella musica, nein, in solchen Kontextentaucht immer die Frage auf, welche drei CDs manauf eine einsame Insel mitnehmen wrde. Inmeiner Jugend htte ich Tonnen von Musik mit-geschleppt, hrte querbeet alles von den RollingStones bis Beethoven. Heute halte ich mir denKopf lieber freier, aber manchmal mu es einfachVerdi sein. Ich kann eben nicht verleugnen, da

    ich aus Parma komme.

    Welches war Ihr positivstes,welches Ihr negativstes Erlebnis mit Musik?Als ich vor etwa 14 Jahren in

    Chicago auf einem Festival war,hatte ich einen emotionalen Tief-

    punkt in meiner Karriere. Ich funktio-nierte perfekt, aber ich hatte die Freude am Mu-sizieren verloren. Am Abend hrte ich Blues in ei-nem Pub, nach zehn Minuten war ich hin undweg, heulte, das war es. Genau nach dieser Art,wie da musiziert wurde, habe ich mein ganzesLeben lang gesucht. Diese Begegnung hat allesverndert. Schlechte Erfahrungen kenne ichnicht wirklich, nicht immer kommt man mit Kol-legen oder Dirigenten klar, aber das ist Alltag.

    Was zeichnet einen guten Dirigenten aus?Die meisten Dirigenten verlieren sich in unnti-gen Gesten und wollen mit aller Kraft gestalten.Die Leidenschaft kommt jedoch aus dem Orche-ster, von jedem einzelnen Musiker. Da gibt es ge-nug Kreativitt und Energie. Ein guter Dirigentsollte daher seinen Musikern Freiheit geben undansonsten durch Klarheit und sichere Schlag-technik bestechen.

    Wie oft kaufen Sie ein neues Instrument?Das plane ich nicht. Ich sehe beim Instrumenten-bauer etwas, das mich anspricht und schlage zu,wenn ich mich verliebe. Durch meine Zusam-menarbeit mit Pchner sitze ich natrlich an derQuelle und kann eigene Anregungen beisteuern.

    Was wre aus Ihnen wohl geworden, wenn nicht Musiker?Fr mich gab es nie eine andere Option.

    Geben Sie Ihr Wissen in Form von Workshopsund Seminaren weiter?Ja, in Italien, Spanien, China, ich unterrichte imEl Sistema in Venezuela, daneben an den Hoch-schulen von Mantua, Zaragoza und Manchester.Unterrichten nimmt zur Zeit einen breiten Raumin meinem Leben ein.

    Was machen Sie in Ihrer Freizeit?Freizeit bedeutet fr mich, mit meiner Familiezusammen sein zu knnen. Daneben ist Motor-radfahren meine Leidenschaft, das bedeutet frmich Freiheit, das ldt meine Batterien auf.

    Ihre Zukunftsplne?Seit einiger Zeit dirigiere ich, und das ist eine gu-te Erfahrung fr mich. Eigentlich bevorzuge iches zu spielen. Aber manchmal will man ebenganz in eine Partitur eintauchen, und dann reichtes nicht mehr, nur ein Fagott in der Hand zu ha-ben. Deshalb wird man mich in Zukunft wohl f-ters mit dem Taktstock in der Hand antreffen.

    n [email protected]

    Kurzinterview

    Aber er sieht auch die Probleme. El Sistemaproduziert unglaublich viele Musiker. Das istauf der einen Seite natrlich schn, weil vieleKinder und Jugendliche mit Musik in Berh-rung kommen. Bis Ende 20 kann man im Or-chester bleiben, tourt um die ganze Welt, wirdgefeiert wie ein Superstar. Danach bleibt ei-nem vielleicht ein mittelmiges Orchester in

    Venezuela, weil der Markt nicht mehr hergibt.Ein weiteres Problem sei, da die jungen Leuteviel Orchester spielen wrden, aber kein Raumfr weitere Entwicklung bleibe, was hinderlichsei, um auf dem internationalen Markt konkur-renzfhig zu sein, ergnzt Canuti. Wer es ver-standen hat, geht nach Europa zum Studium,viele aus La Sistema studieren in Deutschland,

    Frankreich oder Spanien, meint er. In seinerKlasse in Zaragoza studieren aktuell vier vene-zolanische Fagottisten.

    Seit einiger Zeit hat Canuti das Dirigieren frsich entdeckt. Der Zufall half ihm dabei auf dieSprnge: Ein Dirigent war kurzfristig ausgefal-len und ein Bekannter wandte sich in seinerNot an Stefano Canuti. Der holte sich danachsein Feedback ab, das da lautete: Es war gut,du hast nicht zuviel gemacht. Fr Canuti derpassende Ansporn, diesen Weg weiterzuverfol-gen, schlielich sind ihm und seinem Freiheits-drang beraktive Dirigenten ein Dorn im Auge.Ich mache ja keinen Hehl daraus, da dieMglichkeiten des Fagotts begrenzt sind. Diri-gieren ist da ein guter Ausgleich, auch wenn esdarum geht, Musik in all ihren Dimensionenund nicht nur von der Einzelstimme aus zu er-fassen, sagt er.

    Demnchst dirigiert er Mozarts Gran Parti-ta in Spanien, dort arbeitet er seit kurzem re-gelmig mit einem Kammerensemble zusam-men, der Sinfonietta Aragon, einer aus Strei-chern und Blsern bestehenden Gruppe. Nunliegt bei der Verbindung Fagott und Dirigierendas Blasorchester ja in greifbarer Nhe. Dasreizt mich nicht, meint Canuti in seiner direk-ten Art und ergnzt: Natrlich hat das Blasor-chesterwesen auch tolle Eigenschaften, vielejunge Leute kommen so an ein Instrument.Aber bleibt man zu lange, wird es schwer, wirk-lich gut zu spielen. Denn 80 Prozent aller Blas-orchester spielen einfach vllig an der Intona-tion vorbei, das setzt sich in einem dann natr-lich fest.

    Ich bin kein durchgeknallter Knstlertyp

    Entspannung findet der aus dem Koffer leben-de Hochschuldozent und Musiker im Kreise sei-ner Familie, oder wenn er auf seinem Motorraddurch die Hgel seiner italienischen Heimatbraust, Rennen fhrt oder Fuball spielt. Dasldt meine Batterien auf, da finde ich zu mirselbst, ich nenne mein Motorrad gerne meineisernes Pferd, lacht er. Das erdet ihn ebensowie der Kontakt zu Nachbarn und normalenMenschen in seiner Umgebung. Ich bin keindurchgeknallter Knstlertyp, ich mchte in er-ster Linie ein normaler Mensch sein und nichtdauernd mit jedem ber Musik und die hoheKunst sprechen mssen, sagt er. Sich nur mitKollegen auszutauschen, mache nicht nur dieBatterie auf Dauer leer, sondern lasse einenauch in eine Scheinwelt abdriften. Die Mi-schung mache es, genau wie beim Essen: Malbrauche man Fastfood, mal Hausmannskostund mal ein exklusives Men, ergnzt er. z

    Portrait

    Stefano Canuti

    Jgers Lust, Jagd-Galopp op. 82

    J

    Les Patineurs, Walzer

    J

    Leichte Kavallerie, Ouvertre

    J

    Stadt und Land, Polka mazur

    J

    Gold und Silber, Walzer

    J

    Cancan aus Orpheus in der Unterwelt

    1112_ew_Heft_1d_Heft 06.11.12 23:03 Seite 20