erwiderung zu den bemerkungen des herrn harms zu meinem aufsatz: das doppelauge

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Erwiderung zu den Bemerkungen des Herrn Harms zu meinem Aufsatz: Das Doppelauge. Von Dr. Fritz Weckert, Goslar. :Die Fusionsschw£che ist yon mir so sehr in den Vordergrund gestellt nicht deswegen, weft sie das Schielen auch verursacht. Sie ist vielmehr der Schliissel zum Schielen fiberhaupt. Wenn ich z.B. yon meiner persSn]ichen Uberzeugung im Gegcnsatz zu Worth schreibe, claI~ neben der angeborenen Fusionsschw~che ein best~ndiger Kampf besteht zwischen ~Iypermetropie, Heterophorie einerseits und dem Verha]ten der Bflder in Zusan~menste]]ung in den Deckschichten, glaube ich, doch damit hinreichend dokumentiert zu haben, wie ich mir den Beginn des Schielens vorstelle. Die Schwierigkeiten yon seiten der Augen, die GrSl~e der Widerst~nde, die der Verschmelzung entgegenstehen, lassen sie mit- unter nur im gr6i~ten Wachzustand zusammenbestehen, in der Ermiidung 15st sich die Verbindung in ~ den Deckschichten, das Begleitbild schwindet, und das Auge schwilnmt ab. I)a.mit sich aber diese Verbindung lSsen kalm, miissen wir eine gewisse Fusionsschw~che annehmen. Diese hat, wie ich hier hinzuffigen mSchte, mit Fusionsbreite nichts zu tun. Denn beim ~berschreiten der Fusionsbreite zerfi~llt das Bild, Doppelbilder treten auf, w~thrend bei der Fusionsschwi~che das eine Bild einfach verschwindet. Dieser gra- vierende Unterschied verdient besonders hervorgehoben zu werden. In dem einen Fall dokumentiert sich eine geradezu hervorragende Fusion, immer mit der Erganzung, dai~ zur Fusion auch die engrammatische Verwertung des Begleitbildes gehSrt. Die Fusion kann nicht ffir Fehler in der l~uhelage oder der Muskelinnervation verantwortlich gemacht werden. Ihre ~]unktion ist die Bildzusammensetzungsneigung , die Im- pulsgebung, nicht deren Ausfiihrung. Im Bildverschwinden haben wir dagegen die Schwache der Fusion. Auf die Art dieses Verschwindens werde ich hier noch genau zu sprechen kommen. Eben weft aber die Hauptursache, das Puncture saliens der Schielentstehung, die Fusions- schw~che ist, deswegen steIle ich sie so sehr in den Vordergrund. 13ber den Begriff Amblyopie miissen wir uns einmal ganz ktar auseinandersetzen. I)er Ausdruck schliel~t bei jeder Schielbetrachtung den Anhang in sich: ex anopsia. Die Schwachsichtigkeit entsteht aus dem dauernden Nichtgebrauch. Sie ist also eine sp~tere Erscheinung. Was mit der LSsung der Fusion im Begilm des Schielens einhergeht, ist ein ErlSschen des Beg]eitbildes in der I)eckstelte, sei es beim Strabismus altern~ns mit dem st~ndigen Wechsel oder beim gew5hnlichen Schielen dauernd auf einer Seite. Liegt ein Auge dauernd unti~tig in Schiel- stellung, entwickelt sich die Amblyopie.

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Page 1: Erwiderung zu den Bemerkungen des Herrn Harms zu meinem Aufsatz: Das Doppelauge

Erwiderung zu den Bemerkungen des Her rn H a r m s zu meinem Aufsatz: Das Doppelauge.

Von Dr. Fritz Weckert, Goslar.

:Die Fusionsschw£che ist yon mir so sehr in den Vordergrund gestellt nicht deswegen, weft sie das Schielen auch verursacht. Sie ist vielmehr der Schliissel zum Schielen fiberhaupt. Wenn ich z.B. yon meiner persSn]ichen Uberzeugung im Gegcnsatz zu Worth schreibe, claI~ neben der angeborenen Fusionsschw~che ein best~ndiger Kampf besteht zwischen ~Iypermetropie, Heterophorie einerseits und dem Verha]ten der Bflder in Zusan~menste]]ung in den Deckschichten, glaube ich, doch damit hinreichend dokumentiert zu haben, wie ich mir den Beginn des Schielens vorstelle. Die Schwierigkeiten yon seiten der Augen, die GrSl~e der Widerst~nde, die der Verschmelzung entgegenstehen, lassen sie mit- unter nur im gr6i~ten Wachzustand zusammenbestehen, in der Ermiidung 15st sich die Verbindung in ~ den Deckschichten, das Begleitbild schwindet, und das Auge schwilnmt ab.

I)a.mit sich aber diese Verbindung lSsen kalm, miissen wir eine gewisse Fusionsschw~che annehmen. Diese hat, wie ich hier hinzuffigen mSchte, mit Fusionsbreite nichts zu tun. Denn beim ~berschreiten der Fusionsbreite zerfi~llt das Bild, Doppelbilder treten auf, w~thrend bei der Fusionsschwi~che das eine Bild einfach verschwindet. Dieser gra- vierende Unterschied verdient besonders hervorgehoben zu werden. In dem einen Fall dokumentiert sich eine geradezu hervorragende Fusion, immer mit der Erganzung, dai~ zur Fusion auch die engrammatische Verwertung des Begleitbildes gehSrt. Die Fusion kann nicht ffir Fehler in der l~uhelage oder der Muskelinnervation verantwortlich gemacht werden. Ihre ~]unktion ist die Bildzusammensetzungsneigung , die Im- pulsgebung, nicht deren Ausfiihrung. Im Bildverschwinden haben wir dagegen die Schwache der Fusion. Auf die Art dieses Verschwindens werde ich hier noch genau zu sprechen kommen. Eben weft aber die Hauptursache, das Puncture saliens der Schielentstehung, die Fusions- schw~che ist, deswegen steIle ich sie so sehr in den Vordergrund.

13ber den Begriff Amblyopie miissen wir uns einmal ganz ktar auseinandersetzen. I)er Ausdruck schliel~t bei jeder Schielbetrachtung den Anhang in sich: ex anopsia. Die Schwachsichtigkeit entsteht aus dem dauernden Nichtgebrauch. Sie ist also eine sp~tere Erscheinung. Was mit der LSsung der Fusion im Begilm des Schielens einhergeht, ist ein ErlSschen des Beg]eitbildes in der I)eckstelte, sei es beim Strabismus altern~ns mit dem st~ndigen Wechsel oder beim gew5hnlichen Schielen dauernd auf einer Seite. Liegt ein Auge dauernd unti~tig in Schiel- stellung, entwickelt sich die Amblyopie.

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59G l~ritz Weekert:

Nun hei6t es welter, dM~ mir das Ph~nomen der anomMen Netzhau~- beziehung unbekann~ ware, weiI ich es nicht erw£hne. Ich habe es nieht erw/ihnt, weil es in der Ent.stehung des Schielens keine Rolle spielt. DaI3 i c h e s sehr wohl kenne, dtirfte gerade aus meiner Diskussions- bemerkung zum Vortrag: Die Entstehungsweise der einseitigen Ambly- opie 1, hervorgehen. Hier heis t es: Lediglich das zeitweilige Zusammen- klingen einer Netzhautstelle des schielenden Auges rait dem Fixations- zentrum auf dem anderen l~tl~t diese Stelle als etwas Besonderes erschei- nen, und so kommt die parazentrale Fixation mit einer fiber die anderen Stellen erhabenen Sehseh~rfe zustande. Da ich iiberhaupt zum Ver- st~tndnis des Schielens vielmehr die Deckstellen in der CMearina in Betracht ziehe und hier zwa.ngsgegeben ebenfMls Maculabezirke an- nehme, so kann aueh das Ph~nomen der anomMen ~*etzhautbeziehung vim besser Ms dureh jede andere Erkl~rung darin seine Begriindung linden, da$ das dem anderen Auge immer folgende Bild sowohl in der Netzhaut Ms besonders in der Deekschicht an entspreehenden P1/~tzen ansetzt.

Ieh habe nie in Abrede gestellt, daI~ der Begleitsehielende sp/iterhin beide Augen bentttzt, soweit er eben k a n n - der Ansbau der para- zentrMen Macula spricht eine zu deutliche, unwiderlegliche S p r a c h e - - , a, ber ebenso sieher steht es fiir reich lest, dal~ das Entstehen der Sehiet- stellung Yon einem Versagen tier Fusion, d, h. Versagen der engram- matischen Verwertung ausgelSst wird. So ist die parazentrale Fixation nur ein Erwachen oder Wiedererwaehen der Fusion, wobei sich zu einem maeularen ein anomM maculares Bild gesellt. Schon aus der Dis- kussionsbemerkung yon H a r m s zu meinem letzten Vortrag in Kiel: (~ber die Fusion '~, war mir klar, dal~ bier das sp/~tere Verhalten, die Verarbeitung der Eindriieke des Sehielauges, mit tier Entstehung ver- wechselt wird. Bleiben wit bei der Entstehung des Schielens, wie es uns in Reinkultur jeden Augenblick das alternierende Sehielen darstellt, dann behaupte ich nicht nur, sondern beweise sogar das rein einseitige Funktionieren des fixierenden Auges, w~hrend das andere nut im Ex- perimentalversueh Zeiehen einer anomalen Korrespondenz verri~t.

Ob man nun dieses Versagen damit begrfinden will, dal~ das Schiel- augenbild gehemmt wird, oder ob ich, zum mindesten pr/~ziser, erkl~re, in der Calearina gibt es keine Doppelbilder, bei dem Versagen der Fusion finder ein schatten-sehemenhaftes Versehwinden des BegleitbiIdes start, diirfte im Prinzip gteieh sein. Ieh weiI~ aber nieht, warum dieses Ver- sehwinden so gestaltet wird, alas nur ein zentrMes Skotom bestehen soil Es besteht vielmehr alas totale Versagen, wie uns intelligente Sehietf/~lle ganz genau auseinandersetzen. Ja, es rnui3 die vollkommene Anullierung des Begleitbildes erfolgen, denn die Bilder h/~ngen doeh

1 Weckert, Fritz: Bet. dtsch. Ophth. Ges. 1@88. 41, zweiter Absatz der Aus- sprache. - - 2 Weckert, t~ritz: Diese Zeitschrift, 1989, It. 3, 553.

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Erwiderung zu den Bemerkungen des Herrn Harms. 597

nicht nur mi.t dem Fixationszentrura, sondern mit allen Netzhaut- und entspreehenden Deckstellen zusulnmen.

Beim ulternierenden Schielen ist es doeh so, daft zuerst beim ein- angigen Sehen und ~3bergang veto einen Auge zum undern gar nichts wuhrgenommen wird, so dab eine Amblyopie vorzuliegen seheint. Und im n£chsten Augenbliek ist die volle Sehsch~trfe vorhanden. Deutticher kunn doch dus rein einseitige Sehen im Beginn des Schietens nieht mehr bewiesen werden.

Es sell aber das zentraIe Skotom nicht die Ursache, sondern die Erkl~rung des schlechten Sehens sein. Meines Erachtens ein Streit um Worte, denn wenn ich dus schlech~e Sehen mit dem zentralen Skotom erklare, mnl~ es doch vorher da sein. Wieder lesen wir als Vorans- setznng, daft die Hemmung und die Amblyopie ihrem Wesen nuch gleieh sind. Das stimmt nicht nur mit meiner Auffassung, sondern auch nicht mit, dem ullgemeinen Sprachgebranch tiberein, denn die Hemmung oder, wie ich sage, das Versagen in der Calcarina gibt es nur in der Entstehung, die Amblyopie dagegen ist ein lunge wahrender Dauerzustand, der bezeichnenderweise beim alternierenden Typ ganzlich fehlt.

Die praktische Erfahrung lehrt uns, daf~ bei der Amblyopie kein einziges Sehnervenglied riohtig leitet, uns allen f~llt immer wieder der Unterschied auf, der bei der Amblyopie ira Gegensatz zum zentralen Skotora besteht. Ein Auge mit einem zentrulen Skotom sieht seine bestimm~e Sehprobenreihe, die uber so sieher, eine Zahl neben der andern, ein Schielschwaehsichtiger dagegen wirft alle dureheinander, holt Zahlen irgendwoher arts der Nachbarschaft, well eben nieht blot] das zentrale, sondern vielmehr jedes Sehnervenglied nicht an die ihm wertgem~l~ zustehende I)eekstelle leitet; die Desorgunisation und Des- orientiertheit hat nile Teile saint nnd senders ergriffen. Es ist sehon so, wie ich in der Anssprache bemerkte, daft man den 1Vfaculafasern keine Besonderheit in der Sehielerkl/~rnng einr~umen daft.

Wenn ich yon einer relativen Rindenblindheit des Doppelauges sp~eohe, so setzt der Begriff Doppeluuge ein gleichzeitig wahrgenom- menes gleiches Bild voraus. Was abet entsteht bei l~ngerem Schielen ? Miihsetig und kfimmerlieh bildet sich im Lanf der Jahre ein nenes Zen~rum aus, ein Sehen wird vermittelt, das weit unter der Funktion des Anges ira Verband des Doppetanges ist.

Anf die groBen Untersehiede zwischen Schielsehwachsiehtigkeit nnd gewShnliehem zentralen Skotom bin ich bereits eingegangen. Es bleibt mir noeh zu sprechen yon der yon Harms angegebenen objektiven Naehweisburkeit des zentralen Skotoms. Harms ging aus yon einem Strabismus alternans-Falt, der er entsprechend dera Schielwinkel vor das Maddoxkrenz so stellte, dab ein Ange das zent:rale Lieht fixierte, das andere einen Punkt, der gerade vor dem abgelenkten Auge lag. Bei Ver- legung der Fixution anf das vor dem Lieht befindliche Auge w~re stets

v. Graefes Arch ly ]:fir Ophtha lmolog ie . 140. Bd. 38~

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598 Fritz Weekert: Erwiderung zu den Bemerkungen des Hen~ Harms.

eine Kontraktion der Pupillen erfolgt, bei Verlegung der Fixation auf d~s andere Auge, die ohne Bewegung erfolgt sein soil, w~re die Pupi]lenver- engernng weggeb]ieben. Der Versueh sei im halbdunklen Raum erfolgt. Er ist nur einmal gegliickt 1. Wollen wir uns klar sein, wieviel Alternansf£11e in unsere Spreehstunde kommen, wo]len wir uns ferner der nngeheuren Fehlerquel]en bewuBt sein, die bei dem Versnch unabdingb~r bestehen.

Harms spricht selbst yore sofortigen Absinken der pupillomotorischen Werte, sobald er nnr einige ~rinkelgrade aus dem Maculabereich heraus- kommt. Er beobachtet im Hatbdunkel und erklArt, dab d~e Augen keine Bewegung maehen. Die geringste Hinwendung zum Objekt genfigt, eine Bewegung, die so klein is~, dab man sie aneh mit dem Fernrohr nicht wahrzunehmen braueht, und die neue Einstellung pr/isentiert, die grSBeren Pupillenwerte der Macula dem Lich t , die Pupille zieht sich zusammen. Wie klein ist d e r Maeu]abezirk! Die feinste Liehtquelle, zentriert dureh ein R6hren- und GI~sersystemi kann nicht die Macula so isoliert treffen, dub die Nebenstellen nieht auch einen Lichtreiz ab- bekommen. Die Diffusion, die sehr wohl in Reehnung gestellt wird, ist undefinierbar. Diese Bedenken sind schon Carl v. Hess gegeniiber aus berufenerem Munde ge/~uBert worden. Ich muB sie wiederholen und dazu das Zweite:hinzufiigen, dab im halbdunklen Raum kein Menseh festzuste]len in der Lage ist, ob das zuerst abgewandte Auge bei Uber- nahme der Fixation nicht eine kleine Einstellung macht, die alle darauf aufgebanten Erkenntnisse als fragw/irdig erseheinen lg~t.

Wenn Harqsz anatomisehe Ver/~nderungen beim Sehielenden f/ir m6glich h~lt, mSchte ich mir die Frage erlauben, wo er sie vermutet. Im Auge, im Sehnerven, in der Gratioletsehen Aufteilung oder in der Calearina. Meiner ~berzeugung naeh kann eine solche nie gefunden werden. Denn aueh in sp£teren Lebensjahren stellt sich bei Verlus~ des Fixationsauges eine so :weitgehende Sehsch~rfe auf dem ambly- opischen Ange wieder her, als sie dem Zustand der Augen entspricht. Wo ist der Sitz der gesamten Schielentstehung ? Nur an der Stelle d e r Sehbahn, wo die Deckfl~ehen in Breite aneinanderliegen. Hier nur kann ans den zwei gesonderten Wahrnehmungen das Bild entstehen, das sieh in einfacher Form dem BewuBtsein pr~sen~iert. Meine Auf- f~ssung yore Sehielen tgBt in der kaus~len Genese nur die Rindenschieht in der Calcarina gelten. Hier in dieser cerebralen Retina ist der ana- tomische Reinbegriff des Doppelauges.

Ich habe bis jetzt nur die Ent.stehung des Sehielens im Auge gehubt. In einem weiteren Vortrag werde ieh anf das Verhalten des Sehiel- auges eingehen und dubei zu beweisen versuehen, dub aueh die Phgno- mene der anomMen Korrespondenz und parazentralen Maeula sehr wohl mit meinen Ansiehten in Einklang zu bringen sind.

Harms: Oft und Wesen der Biidhemmung bei Schielenden~ Graefes Arch. 138, 154.