entscheidender faktor für die personalisierte medizin der ... · Übergewicht entscheidend vom...

4
12 Intestinale Mikrobiota Der menschliche Darm beherbergt eine enorme Masse (ca. 1,5 kg) und Anzahl ver- schiedenster Bakterien, Archaeen, Viren (Phagen), Hefen und Protozoen. Die Gesamt- heit dieser Mikroorganismen und ihrer Gene wird als das „intestinale Mikrobiom“ eines Individuums bezeichnet. Der Dickdarm ist der am dichtesten besiedelte Bereich des menschlichen Körpers. Dort stellen Bakte- rien mit bis zu 10 12 Zellen/g Darminhalt den weitaus größten Teil am Genpool des mikro- biellen Ökosystems. 1,2 Im Vergleich zum menschlichen Genom ist der Informationsgehalt des Mikrobioms mindestens um den Faktor 100 höher, wes- halb inzwischen häufig der Begriff „zweites Genom“ (second genome) gebraucht wird. Darüber hinaus zeichnet sich das Mikrobiom durch seine hohe Individualität aus: Mensch- liche Genome variieren zwischen Individuen nur in ca. 0,1 % ihrer Sequenz, humane Mik- robiome dagegen um mehr als 50 %. Die Diversität der Darmbakterien ist in allen gastrointestinalen Segmenten hoch. Auf der Speziesebene sind individuell mehrere hun- dert verschiedene Bakterien nachweisbar. Insgesamt wurden in Fäzes- und Schleim- hautproben des Menschen bereits über tau- send Arten identifiziert. Das menschliche Mikrobiom etabliert sich nach der Geburt innerhalb der ersten Jahre bis eine gewisse Stabilität und hohe Diversität erreicht sind. Allerdings können, besonders in den ersten drei Lebensjahren, zahlreiche Umwelteinflüsse, wie Ernährung, Erkrankungen (besonders Infektionen), Antibiotika und andere medizinische The- rapien zu ausgeprägten, manchmal bleiben- den Mikrobiomverschiebungen mit zum Teil erheblichen Konsequenzen für die Gesund- heit führen. Auch das relativ stabile Mikrobiom des Erwachsenen ist ein dynamisches System, welches sich an ständig wechselnde Umwelt- Im Jahr 2007 begann im Rahmen des ame- rikanischen Human Microbiome Projects und des europäischen MetaHIT*-Projekts die intensive und systematische Erforschung des „Mikrobioms“ mittels „Next Generation Sequencing“. Seitdem sind über 38 000 Pub- likationen zur Thematik in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen. Heute wissen wir: Der menschliche Körper beherbergt auf allen äußeren und inneren Oberflächen komplexe mikrobielle Ökosys- teme, auch in Bereichen, die früher als steril galten. Die meisten dieser Studien hatten den Einfluss der Darmbakterien, der sogenann- ten gastrointestinalen Mikrobiota, auf ver- schiedene Erkrankungen des Menschen zum Inhalt. Basierend auf Erkenntnissen, dass intestinale Mikroorganismen die Darmbarri- ere, den Stoffwechsel, und das Immunsystem des Wirts entscheidend beeinflussen, ist die gezielte Modulation des menschlichen Mikro- bioms ein vielversprechender Ansatzpunkt in der Prävention und Therapie zahlreicher Erkrankungen. Das Mikrobiom Entscheidender Faktor für die Personalisierte Medizin der Zukunft Prof. Dr. Dr. André Gessner, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Regensburg fotolia/ viktoriagavril Medizin von morgen | Das Mikrobiom | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 Alle äußeren und inneren Oberflächen des Körpers, insbesondere auch der Darm sind von mikrobiellen Ökosystemen besiedelt.

Upload: vutu

Post on 19-Aug-2019

216 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

12

Intestinale Mikrobiota Der menschliche Darm beherbergt eine enorme Masse (ca. 1,5 kg) und Anzahl ver-schiedenster Bakterien, Archaeen, Viren (Phagen), Hefen und Protozoen. Die Gesamt-heit dieser Mikroorganismen und ihrer Gene wird als das „intestinale Mikrobiom“ eines Individuums bezeichnet. Der Dickdarm ist der am dichtesten besiedelte Bereich des menschlichen Körpers. Dort stellen Bakte-rien mit bis zu 1012 Zellen/g Darminhalt den weitaus größten Teil am Genpool des mikro-biellen Ökosystems.1,2

Im Vergleich zum menschlichen Genom ist der Informationsgehalt des Mikrobioms mindestens um den Faktor 100 höher, wes-halb inzwischen häufig der Begriff „zweites Genom“ (second genome) gebraucht wird. Darüber hinaus zeichnet sich das Mikrobiom durch seine hohe Individualität aus: Mensch-liche Genome variieren zwischen Individuen nur in ca. 0,1 % ihrer Sequenz, humane Mik-robiome dagegen um mehr als 50 %.

Die Diversität der Darmbakterien ist in allen gastrointestinalen Segmenten hoch. Auf der Speziesebene sind individuell mehrere hun-dert verschiedene Bakterien nachweisbar. Insgesamt wurden in Fäzes- und Schleim-hautproben des Menschen bereits über tau-send Arten identifiziert.

Das menschliche Mikrobiom etabliert sich nach der Geburt innerhalb der ersten Jahre bis eine gewisse Stabilität und hohe Diversität erreicht sind. Allerdings können, besonders in den ersten drei Lebensjahren, zahlreiche Umwelteinflüsse, wie Ernährung, Erkrankungen (besonders Infektionen), Antibiotika und andere medizinische The-rapien zu ausgeprägten, manchmal bleiben-den Mikrobiomverschiebungen mit zum Teil erheblichen Konsequenzen für die Gesund-heit führen.

Auch das relativ stabile Mikrobiom des Erwachsenen ist ein dynamisches System, welches sich an ständig wechselnde Umwelt-

Im Jahr 2007 begann im Rahmen des ame-rikanischen Human Microbiome Projects und des europäischen MetaHIT*-Projekts die intensive und systematische Erforschung des „Mikrobioms“ mittels „Next Generation Sequencing“. Seitdem sind über 38 000 Pub-likationen zur Thematik in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen. Heute wissen wir: Der menschliche Körper beherbergt auf allen äußeren und inneren Oberflächen komplexe mikrobielle Ökosys-teme, auch in Bereichen, die früher als steril galten. Die meisten dieser Studien hatten den Einfluss der Darmbakterien, der sogenann-ten gastrointestinalen Mikrobiota, auf ver-schiedene Erkrankungen des Menschen zum Inhalt. Basierend auf Erkenntnissen, dass intestinale Mikroorganismen die Darmbarri-ere, den Stoffwechsel, und das Immunsystem des Wirts entscheidend beeinflussen, ist die gezielte Modulation des menschlichen Mikro- bioms ein vielversprechender Ansatzpunkt in der Prävention und Therapie zahlreicher Erkrankungen.

Das MikrobiomEntscheidender Faktor für die Personalisierte Medizin der ZukunftProf. Dr. Dr. André Gessner, Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Regensburg

foto

lia/

vikt

oria

gavr

ilMedizin von morgen | Das Mikrobiom | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016

Alle äußeren und inneren Oberflächen des Körpers, insbesondere auch der Darm sind von mikrobiellen Ökosystemen besiedelt.

13

Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 | Das Mikrobiom | Medizin von morgen

faktoren (Art, Menge und Zeitpunkt der täglichen Nahrung, Medikamente) sowie an intrinsische Faktoren des Wirtes (individu-elles Genom, Gesundheits- und Ernährungs-status) anpasst. Die intestinalen Mikrobiota unterliegen sogar tageszeitlichen Schwan-kungen, vermutlich größtenteils verursacht vom Rhythmus der Nahrungsaufnahme.3 Im Normalfall sind die intraindividuellen Schwankungen aber deutlich geringer als interindividuelle Unterschiede.

Antibiotika haben kurzfristig gravierende Effekte auf die Darmflora. Ein gesundes mikrobielles Ökosystem von Erwachsenen zeichnet sich jedoch durch seine hohe Sta-bilität (Resilienz) aus, d. h. nach Absetzen der Antibiotika kehrt die prätherapeutische Mikrobiota meist relativ schnell zurück. Es können aber auch dauerhafte, potenziell schädliche Veränderungen des intestinalen Ökosystems ausgelöst werden.

Im Normalfall bildet der menschliche Orga-nismus mit seinem Mikrobiom eine Symbi-ose, also eine Koexistenz zum beiderseitigen Vorteil. Genetische Prädispositionen und/oder erworbene Störungen dieses Milieus (sog. Dysbiosen) jedoch können – wie wir mittlerweile wissen – an einem breiten Spek-trum verschiedener Erkrankungen ursäch-lich beteiligt sein.

Mikrobiom und EnergieaufnahmeZusammensetzung und Funktionalität der Darmflora beeinflussen wesentlich die Nährstoffextraktion aus der aufgenom-

menen Nahrung. Aufsehenerregende Stu-dien4 zeigten, dass die Entwicklung von Übergewicht entscheidend vom Spektrum der Darmbakterien abhängt und Fettlei-bigkeit durch den Transfer von Darmin-halt transplantierbar ist. Nach heutigem Kenntnisstand erklärt sich auch die erhöhte Gewichtszunahme von Masttieren durch niedrig dosierte Antibiotika im Futter und der dadurch veränderten Mikrobiom-Kom-position.

Durch die Verstoffwechselung unverdauli-cher Polysaccharide (Ballaststoffe) zu den kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) Acetat, Butyrat oder Propionat im Dickdarm liefern intestinale Bakterien ca. 10 % des täglichen Energiebedarfs ihres Wirtes. SCFA beein-flussen über spezifische Rezeptoren auch den Aktivierungsstatus von Epithel-, Ner-ven- und Immunzellen des Wirts.8,9

Mikrobiom und PathogenschutzBestimmte Bakterien der intestinalen Mikrobiota spielen eine wichtige Rolle im enterohepatischen Kreislauf der Gallensäu-ren, andere bei der Entgiftung schädlicher Stoffwechselprodukte, und wieder andere produzieren selbst schädliche Stoffwech-selprodukte, Toxine oder Mutagene.

Die intestinale Mikrobiota übt eine essenzi-elle Schutzfunktion aus. Sie unterdrückt das Wachstum und die Aktivität von Pathogenen durch O den Wettbewerb um essenzielle

Nährstoffe und Adhäsionsstellen

O die Ansäuerung des intestinalen Milieus

O die direkte antimikrobielle Aktivität (Kolonisationsresistenz, pathogen exclusion) von Substanzen, mit denen sich Bakterien gegenseitig kontrollieren (z. B. Bakteriozine).

Die erhöhte Infektionsanfälligkeit, z. B. für lebensgefährliche Erkrankungen durch Clos-tridium difficile nach antibiotisch gestörter Darmflora, macht diese wichtigen Funktio-nen für die Pathogenabwehr deutlich.

Mikrobiom und CEDZahlreiche Studien beschäftigten sich mit dem Zusammenhang von chronisch ent-zündlichen Darmerkrankungen (CED, wie Colitis ulcerosa, Morbus Crohn) und den individuellen Mikrobiota. Noch sind die genauen Mechanismen für Entstehung und Entwicklung der chronisch-entzündlichen Prozesse unklar, derzeitige Hypothesen gehen jedoch von einer aberranten (falsch ablaufenden) Immunantwort gegen Mikro-biota aus. Dies könnte in genetisch emp-fänglichen Personen durch Umweltfaktoren getriggert sein.

Die entsprechenden Untersuchungen doku-mentierten im Detail zwar unterschiedliche Störungen der Darmmikrobiota bei Betrof-fenen, beobachteten jedoch reproduzierbar O eine generelle Reduktion der Mikro-

biomdiversität O eine Reduktion der Firmicutes-Bakterien O eine Zunahme von Proteobakterien

Das intestinale Mikrobiom beinhaltet u. a. über tausend Bakterienarten und einen 100-fach größeren Informations-gehalt als das humane Genom.

foto

lia/

Axe

l Koc

k

foto

lia/

Dig

italG

enet

ics

14

foto

lia/

Phot

ogra

phee

.eu

Menschliche Genome variieren zwischen Individuen

nur in ca. 0,1 % ihrer Sequenz, humane Mikrobiome dagegen

zu mehr als 50 %.

Diese Beobachtungen passen zu Befunden, wonach Suszeptibilitätsgene** des Menschen wichtig für die Erkennung und Prozessie-rung von Bakterien sind.

Eine Reihe klinischer Studien zur therapeu-tischen Korrektur der Dysbiose, z. B. durch Fäkaltransplantation oder Probiotika brach-ten erste vielversprechende Ergebnisse (Zitat Matsuoka et al. 2015).

Mikrobiom und ImmunsystemBestandteile und Metabolite der intestina-len Mikroorganismen steuern entscheidend die Entwicklung effizienter, darmspezi-fischer Barriere- und Immunfunktionen. Das verhindert zum einen das Eindrin-gen der Mikroben in den Organismus, zum anderen ist es Voraussetzung für die normale Entwicklung des Immunsystems. Eine Dysbiose kann zu immunologischen Erkrankungen führen. Zahlreiche Studien an Menschen und gnotobiotischen Mäusen (gezielt bakteriell besiedelte, zuvor keim-frei gehaltene Tiere) belegen, dass Allergien wie das Asthma bronchiale und Autoim-munkrankheiten wie die Multiple Sklerose und die Rheumatoide Arthritis in uner-wartet starkem Maß von der Komposition und Diversität des Mikrobioms abhängen. Zugrunde liegende Mechanismen betreffen die Stimulation verschiedener Zelltypen des angeborenen und adaptiven Immunsystems durch bakterielle Liganden und Metabolite, die unter anderem die Differenzierung und Proliferation von T-Helferzellen und regu-latorischen T-Zellen stark beeinflussen.

Die interessante Studie (Diabimmune)5 eines internationalen Wissenschaftlerkonsortiums offenbarte kürzlich mit einem Vergleich zwischen estnischen bzw. finnischen und russischen Kindern, dass die Entwicklung von Typ-1-Diabetes und Nahrungsmittel- allergien vom Darmmikrobiom abhängt. Bei russischen Kindern sind immunolo-gische Erkrankungen signifikant seltener, erklärbar durch das geringere Vorkommen bestimmter Bakterienarten (Bacteroides Species), deren Zellwandbestandteile bei den finnischen und estnischen Kindern zu einer Immundysregulation beitragen.

Die weltweit zivilisationsbedingte, durch Antibiotika und Ernährungsgewohnheiten veränderte Komposition und Diversität des menschlichen Mikrobioms während der letzten Jahrzehnte könnte somit ein wesent-licher Faktor für die beobachtete Zunahme immunologisch bedingter Erkrankungen sein.

Mikrobiom und KrebsDie Darmflora kann die Entstehung von Krebserkrankungen sowohl fördern als auch hemmen. Die genauen Zusammenhänge zwischen Mikrobiom und Tumorentwick-lung oder therapeutischen Erfolgsfaktoren bei Krebs sind allerdings komplex und erst teilweise verstanden.

Als Krebsursachen gelten landläufig Umwelteinflüsse und genetische Verände-rungen, obwohl nach derzeitigem Kenntnis-stand in ca. 20 % der Fälle Mikroorganismen

entscheidend beteiligt sind. Mikrobiota auf Schleimhautoberflächen können Teil des Tumormikromilieus in den Atemwegen und im Gastrointestinaltrakt werden und dort direkt oder durch resorbierte Moleküle auch in anderen Körpergeweben Krebser-krankungen beeinflussen. Hierbei sind drei Wirkungskategorien beschrieben: O Steuerung von Proliferation und Tod von

Tumorzellen durch z. B. die Produktion genotoxischer und mutagener Substanzen

O Stärkung oder Schwächung der antitu-moralen Immunfunktionen

O Metabolisierung von Wirtsmolekülen, Nahrungsbestandteilen oder Medika-menten, die für die Krebsentstehung oder Therapie entscheidend sind.

Neben den sogenannten Onkomikroben, die z. B. durch Onkogene oder chronische Entzündungsprozesse direkt die maligne Entartung von Zellen auslösen (Papillom-viren, Hepatitisviren, Helicobacter pylori u. a.) gibt es offensichtlich zusätzlich indi-viduelle Mikrobiomkonstellationen, die eine Krebsentstehung maßgeblich mitbeeinflus-sen. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang aktuelle Veröffentlichun-gen, wonach der Erfolg moderner Krebs-therapien vom individuellen Mikrobiom abhängt.

Zwei Arbeitsgruppen haben unabhängig voneinander herausgefunden,6,7 dass der Erfolg einer Therapie mit Checkpoint-Inhi-bitoren (s.  a. Seite 4 und 8 in dieser Aus-gabe) gegen Melanome oder Lungenkrebs

Medizin von morgen | Das Mikrobiom | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016

15

Literatur 1 Qin J et al: Nature (2010); 464(7285): 59-65 2 Lozupone CA et al: Nature (2012); 489(7415): 220-230 3 David LA et al: Nature (2014); 505(7484): p 559-563 4 Turnbaugh PJ et al: Nature (2006); 444(7122): 1027-1031 5 Vatanen T et al: Cell (2016); 165(4): 842-853 6 Sivan A et al: Science (2015); 350(6264): 1084-1089 7 Vétizou M et al: Science (2015); 350(6264): 1079-1084 8 Hsiao EY et al: Cell (2013); 155(7): 1451-1463 9 Zheng P et al: Mol Psychiatry. (2016); 21(6): 786-796 10 Wong ML: Mol Psychiatry (2016), 21(6): 797-805

Weblinks The Human Microbiome Project: http://hmpdacc.org/ European MetaHit Consortium: http://www.metahit.eu/ Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungs-

gemeinschaft (SPP1656): www.intestinal-microbiota.de

u. a. von der Anwesenheit von Bifidobakte-rien im Darm abhängt. Bestimmte Moleküle dieser Bakterien sind für eine effektive Anti-Tumor-Immunantwort in Tiermodellen erforderlich und es wird spannend werden, zu überprüfen, ob auch bei Tumorpatien-ten die Komposition der Mikrobiota für die Wirkung immunmodulierender Krebsthera-pien eine Rolle spielt.

Mikrobiom und PsycheÜberraschende Zusammenhänge präsentie-ren sich zwischen psychatrischen Erkran-kungen und der Intestinalflora. Kleinere Studien an Patienten mit bestimmten For-men des Autismus offenbarten auffällige Abweichungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms, was evtl. auch die Erklärung für die typischen gastrointesti-nalen Begleitsymptome liefern könnte.

Als Folge einer starken Immunaktivierung von Muttertieren konnten in aufwändigen Experimenten bei neugeborenen Mäusen Autismus-ähnliche Verhaltensweisen, wie die ängstliche Kontaktvermeidung, ausgelöst werden. Die orale Gabe bestimmter Darm-bakterien (Bacteroides fragilis) dagegen hat das Auftreten dieser Störungen verhindert.8

Neue Publikationen belegen darüber hin-aus einen Einfluss der Darmmikrobiota auf depressive Erkrankungen des Menschen. O Depressive Patienten weisen im Ver-

gleich zu einer Kontrollgruppe signifi-kante Änderungen der Darmmikrobiom-Komposition auf. 9

O Depressive Verhaltensweisen ließen sich durch Darmbakterien von Patienten, nicht aber von gesunden Kontrollperso-nen auf keimfreie Mäuse übertragen.9

O Minocyclin, ein antibiotisch aktives Medikament zur Depressionsbehand-lung, induzierte in Depressions-Tier- modellen Mikrobiomveränderungen, die stressbedingte Entzündungsprozesse und depressives Verhalten besserten.10

Ausblick Zahlreiche, häufig unerwartete Befunde legen Zusammenhänge zwischen verschie-densten Erkrankungen des Menschen und seiner Mikrobiota nahe. Dies ist weltweit Motivation für die Entwicklung neuer The-rapien zur gezielten Veränderungen des Mikrobioms. Mögliche Ansatzpunkte sindO Wirkstoffe, die die Darmbakterien in

Vermehrung oder Aktivität beeinflussen (Präbiotika)

O Behandlung mit gezielt ausgewählten, lebenden Bakterien (Probiotika)

O Fäkal- oder Mikrobiotatransfer von gesunden Spendern.

Die Mikrobiomforschung steht noch am Anfang. Detailzusammenhänge mit Erkrankungen sind oft unklar, die intesti-nalen Mikroorganismen sind zum größten Teil bis heute nicht anzüchtbar, es steht keine ausreichend standardisierte Routine- diagnostik zur Verfügung und vermutlich müssen wir auch Rückschläge verkraf-tet. Dennoch: Mikrobiomdiagnostik und -therapie sind hochattraktive relevante

Diagnostik im Dialog • Ausgabe 51 • 12/2016 | Das Mikrobiom | Medizin von morgen

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Dr. André Gessner Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie u. Hygiene Franz-Josef-Strauss-Allee 11 93053 Regensburg [email protected] www.imhr.de/ www.mvz-r.de

Bausteine der Personalisierten Medizin des 21. Jahrhunderts.

* MetaHIT: Metagenomics of the Human Intestinal Tract.

** Suszeptibilitätsgene: Gene mit erblich bedingter erhöhter Erkrankungswahrschein-lichkeit

foto

lia/

Bill

ionP

hoto

s.co

m

Darmmikrobiota beeinflussen offenbar z. B.

die Entstehung von Übergewicht und

depressive Erkrankungen.

foto

lia/

Paol

ese