endoprothetik des rheumatischen kniegelenks

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Redaktion J. Grifka, Bad Abbach W. Rüther, Bad Bramstedt Z Rheumatol 2011 · 70:411–416 DOI 10.1007/s00393-011-0767-9 Online publiziert: 23. Juni 2011 © Springer-Verlag 2011 H.-D. Carl · K. Gelse · B. Swoboda Abteilung für Orthopädische Rheumatologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Waldkrankenhaus St. Marien, Erlangen Endoprothetik des rheumatischen Kniegelenks Leitthema Allgemeiner Teil Ein bundesweites Endoprothesenregister ist bislang nicht etabliert. Den Zahlen des schwedischen Endoprothesenregisters [8] ist zu entnehmen, dass einige demo- graphische Unterschiede zwischen Os- teoarthrose (OA) und rheumatoider Ar- thritis (RA) bestehen. So ist der prozen- tuale Anteil von Männern mit 42% bei OA höher als bei RA (25%). Insgesamt ist die Zahl der endoprothetischen Eingrif- fe bei RA seit etwa 2005 leicht rückläu- fig, während für OA seit den 80er-Jah- ren ein kontinuierlicher Anstieg beob- achtet wird [8]. Besonderheiten der  Indikationsstellung Bereits bei der Indikationsstellung zum Gelenkersatz sind bei RA-Patienten ver- schiedene Aspekte zu beachten, die bei primär degenerativen Gelenkerkran- kungen wie die Osteoarthrose meist nicht von Bedeutung sind. Problem: polytoper  Gelenkbefall bei RA Während bei primär degenerativen Er- krankungen meist nur wenige Gelenke betroffen sind, liegt bei RA-Patienten oftmals ein polytoper Gelenkbefall vor. Bei RA-Patienten finden sich gelegent- lich asymmetrische Achsenverhältnisse mit Konzidenz von Valgus- und Varus- deformität („Windschlagphänomen“; . Abb. 1), während bei OA-Patienten in der Regel seitengleiche Achsfehlstellungen vorliegen. Es sind nicht selten beide Hüft- gelenke und beide Kniegelenke betroffen; zusätzlich liegt meist auch eine rheuma- tische Fußdeformität beidseits vor. Dies erfordert eine exakte Anamnese sowie ei- ne ausführliche körperliche Befunderhe- bung, um ein für den jeweiligen Einzel- fall optimales und individuelles Behand- lungskonzept festzulegen. Bei beidseitiger Destruktion von Hüft- und Kniegelen- ken ist es unseres Erachtens sinnvoll, zu- nächst durch ipsilaterale Versorgung von Hüft- und Kniegelenk eine belastungsfä- hige Extremität herzustellen. Wenn medizinisch vertretbar, soll- te zunächst die endoprothetische Versor- gung des Hüftgelenks erfolgen. Dies er- möglicht, den späteren Kniegelenkser- satz exakt an der mechanischen Beinach- se (Mikulicz-Linie) auszurichten. Gerade bei der Notwendigkeit einer ipsilateralen endoprothetischen Versorgung von Hüft- und Kniegelenk sollte ein Endoprothesen- modell ohne langschaftige femorale Ver- ankerung, idealerweise als Oberflächen- ersatz, angestrebt werden. Somit kann die Gefahr von diaphysären Femurfrakturen zwischen den Implantaten im Sinne einer „Sollbruchstelle“ vermieden werden. > Zunächst sollte die endoprothetische Versorgung des Hüftgelenks erfolgen Zügige operative Versorgung  bei Knochendefekten Im Gegensatz zur OA finden sich bei RA-Patienten gehäuft ausgedehnte Zys- ten, welche meist im Tibiaplateau zent- ral zu finden sind und eine Ausdehnung von mehreren cm 3 erreichen können. In diesen Fällen sollte eine zügige operative Versorgung erfolgen, um eine Fraktur des Tibiakopfes zu vermeiden. Ist der Patient trotz radiologisch nachgewiesener Zysten- bildung nicht zum Gelenkersatz zu moti- vieren, sind neben einer sorgfältigen und ausreichend dokumentierten Aufklärung engmaschige klinische und radiologi- sche Befundkontrollen zu empfehlen, um eine klinisch stumme Befundprogredienz nicht zu übersehen (. Abb. 2). Intra- operativ ist bei erhaltener kortikaler Rand- umfassung („containment“) eine autolo- ge Spongiosaplastik indiziert, bei fehlen- dem Containment muss auf ein struktu- relles Allograft oder eine Augmentation am Implantat zurückgegriffen werden. Gefahr von Ermüdungsfrakturen  bei grober Achsdeformität Zusätzlich besteht bei RA-Patienten mit ausgeprägter Varus- (seltener) oder Val- gusdeformität (häufiger) die Gefahr von Ermüdungsfrakturen des Tibiakopfes oder der proximalen Tibia, welche zusätz- lich durch die oftmals vorhandene Osteo- porose begünstigt werden. Auch in die- sen Fällen sollte rechtzeitig die Indika- tionsstellung zum endoprothetischen Ge- lenkersatz erfolgen. Zeitgerechte Indikationsstellung  bei Knochendefekten Des Weiteren besteht bei ausgeprägter Achsdeformität die Gefahr eines progre- dienten Abbaus des lateralen bzw. media- len Tibiaplateaus, verbunden mit der Aus- bildung ausgeprägter Bandinstabilitäten. Derart fortgeschrittene knöcherne De- fektsituationen sind dann unter Umstän- den nicht mehr durch ungekoppelte Pro- 411 Zeitschrift für Rheumatologie 5 · 2011|

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Page 1: Endoprothetik des rheumatischen Kniegelenks

RedaktionJ. Grifka, Bad Abbach W. Rüther, Bad Bramstedt

Z Rheumatol 2011 · 70:411–416DOI 10.1007/s00393-011-0767-9Online publiziert: 23. Juni 2011© Springer-Verlag 2011

H.-D. Carl · K. Gelse · B. SwobodaAbteilung für Orthopädische Rheumatologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Waldkrankenhaus St. Marien, Erlangen

Endoprothetik des rheumatischen Kniegelenks

Leitthema

Allgemeiner Teil

Ein bundesweites Endoprothesenregister ist bislang nicht etabliert. Den Zahlen des schwedischen Endoprothesenregisters [8] ist zu entnehmen, dass einige demo-graphische Unterschiede zwischen Os-teoarthrose (OA) und rheumatoider Ar-thritis (RA) bestehen. So ist der prozen-tuale Anteil von Männern mit 42% bei OA höher als bei RA (25%). Insgesamt ist die Zahl der endoprothetischen Eingrif-fe bei RA seit etwa 2005 leicht rückläu-fig, während für OA seit den 80er-Jah-ren ein kontinuierlicher Anstieg beob-achtet wird [8].

Besonderheiten der Indikationsstellung

Bereits bei der Indikationsstellung zum Gelenkersatz sind bei RA-Patienten ver-schiedene Aspekte zu beachten, die bei primär degenerativen Gelenkerkran-kungen wie die Osteoarthrose meist nicht von Bedeutung sind.

Problem: polytoper Gelenkbefall bei RA

Während bei primär degenerativen Er-krankungen meist nur wenige Gelenke betroffen sind, liegt bei RA-Patienten oftmals ein polytoper Gelenkbefall vor. Bei RA-Patienten finden sich gelegent-lich asymmetrische Achsenverhältnisse mit Konzidenz von Valgus- und Varus-deformität („Windschlagphänomen“; . Abb. 1), während bei OA-Patienten in der Regel seitengleiche Achsfehlstellungen vorliegen. Es sind nicht selten beide Hüft-gelenke und beide Kniegelenke betroffen;

zusätzlich liegt meist auch eine rheuma-tische Fußdeformität beidseits vor. Dies erfordert eine exakte Anamnese sowie ei-ne ausführliche körperliche Befunderhe-bung, um ein für den jeweiligen Einzel-fall optimales und individuelles Behand-lungskonzept festzulegen. Bei beidseitiger Destruktion von Hüft- und Kniegelen-ken ist es unseres Erachtens sinnvoll, zu-nächst durch ipsilaterale Versorgung von Hüft- und Kniegelenk eine belastungsfä-hige Extremität herzustellen.

Wenn medizinisch vertretbar, soll-te zunächst die endoprothetische Versor-gung des Hüftgelenks erfolgen. Dies er-möglicht, den späteren Kniegelenkser-satz exakt an der mechanischen Beinach-se (Mikulicz-Linie) auszurichten. Gerade bei der Notwendigkeit einer ipsilateralen endoprothetischen Versorgung von Hüft- und Kniegelenk sollte ein Endoprothesen-modell ohne langschaftige femorale Ver-ankerung, idealerweise als Oberflächen-ersatz, angestrebt werden. Somit kann die Gefahr von diaphysären Femurfrakturen zwischen den Implantaten im Sinne einer „Sollbruchstelle“ vermieden werden.

> Zunächst sollte die endoprothetische Versorgung des Hüftgelenks erfolgen

Zügige operative Versorgung bei Knochendefekten

Im Gegensatz zur OA finden sich bei RA-Patienten gehäuft ausgedehnte Zys-ten, welche meist im Tibiaplateau zent-ral zu finden sind und eine Ausdehnung von mehreren cm3 erreichen können. In diesen Fällen sollte eine zügige operative

Versorgung erfolgen, um eine Fraktur des Tibiakopfes zu vermeiden. Ist der Patient trotz radiologisch nachgewiesener Zysten-bildung nicht zum Gelenkersatz zu moti-vieren, sind neben einer sorgfältigen und ausreichend dokumentierten Aufklärung engmaschige klinische und radiologi-sche Befundkontrollen zu empfehlen, um eine klinisch stumme Befundprogredienz nicht zu übersehen (. Abb. 2). Intra- operativ ist bei erhaltener kortikaler Rand- umfassung („containment“) eine autolo-ge Spongiosaplastik indiziert, bei fehlen-dem Containment muss auf ein struktu-relles Allograft oder eine Augmentation am Implantat zurückgegriffen werden.

Gefahr von Ermüdungsfrakturen bei grober Achsdeformität

Zusätzlich besteht bei RA-Patienten mit ausgeprägter Varus- (seltener) oder Val-gusdeformität (häufiger) die Gefahr von Ermüdungsfrakturen des Tibiakopfes oder der proximalen Tibia, welche zusätz-lich durch die oftmals vorhandene Osteo- porose begünstigt werden. Auch in die-sen Fällen sollte rechtzeitig die Indika-tionsstellung zum endoprothetischen Ge-lenkersatz erfolgen.

Zeitgerechte Indikationsstellung bei Knochendefekten

Des Weiteren besteht bei ausgeprägter Achsdeformität die Gefahr eines progre-dienten Abbaus des lateralen bzw. media-len Tibiaplateaus, verbunden mit der Aus-bildung ausgeprägter Bandinstabilitäten. Derart fortgeschrittene knöcherne De-fektsituationen sind dann unter Umstän-den nicht mehr durch ungekoppelte Pro-

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thesenmodelle beherrschbar, sodass ein teilgekoppeltes oder gekoppeltes Implan-tat erforderlich wird (. Abb. 3). Unse-res Erachtens sollte jedoch, wenn immer möglich, bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen ein ungekoppelter Gelenk-ersatz angestrebt werden, um Hebelwir-kungen durch den Koppelungsmechanis-mus auf das Implantatlager und die damit verbundene Gefahr einer Implantatlocke-rung zu vermeiden. Daher ist es wichtig, die Indikation zum Gelenkersatz zeitge-recht zu stellen und noch vor der Entste-hung fortgeschrittener knöcherner Defek-te die Versorgung mit ungekoppelten Mo-dellen zu ermöglichen.

> Bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen sollte ein ungekoppelter Gelenkersatz angestrebt werden

Perioperatives Management der RA-Patienten als Herausforderung

Das perioperative Management von RA-Patienten stellt in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Eine kompeten-te und qualitativ hochwertige Versor-gung ist nur in einer Einrichtung mög-lich, in der alle relevanten Fachdiszipli-

nen eine ausreichende Erfahrung in der Versorgung von Patienten mit entzünd-lich-rheumatischen Erkrankungen ha-ben. Durch die potenziellen pathologi-schen Veränderungen der Halswirbel-säule, die mit einer Häufigkeit von bis zu 86% vorliegen und häufig asymptoma-tisch verlaufen ([15]; vertikale oder hori-zontale atlantoaxiale Instabilität), sowie stattgehabte zervikale bzw. okzipitozer-vikale Spondylodesen ist ggf. eine primär endoskopische transnasale Intubation er-forderlich. Von zugewiesenen Patienten wurde berichtet, dass in auswärtigen Kli-niken geplante Operationen aufgrund er-folgloser Intubation nicht durchzuführen waren und die Betroffenen ohne opera-tive Versorgung erneut aus dem Opera-tionstrakt ausgeschleust werden muss-ten.

Kompetente postoperative Betreuung

Bei der postoperativen Rehabilitation der RA-Patienten sind auf Seiten der Physio-therapie Kenntnisse über die speziellen Anforderungen (Arthritisgehstützen, Be-achtung des polytopen Gelenkbefalls) un-abdingbar. Auch auf Seiten der Pflege ist eine ausreichende Erfahrung im Umgang mit den Komorbiditäten der Betroffenen (Pergamenthaut bei langjähriger Steroid-anwendung, erhöhter Pflegebedarf bei po-lytopem Gelenkbefall mit multiplen Be-hinderungen, intensiver Pflegeaufwand) zu beachten. Schließlich sollte eine fun-dierte ergotherapeutische Mitbetreuung der Patienten gewährleistet sein, um auf Stationsebene ein höchstmögliches Maß an Selbständigkeit für die Betroffenen zu gewährleisten.

Bei einer Koinzidenz von Genu valgum und rheumatischem Pes planovalgus ist zu beachten, dass durch Korrektur der Bein-achse eine Änderung der Fußstatik ein-tritt, sodass eine Anpassung der orthopä-die(schuh)technischen Versorgung erfor-derlich werden kann.

Auf das perioperative medikamentö-se Management soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden; es sei lediglich auf die perioperative Erhöhung der Steroid-dosis bei Langzeitsteroidtherapie zur Ver-meidung einer sekundären Nebennieren-rindeninsuffizienz hingewiesen.

Wichtige regelmäßige Nachsorge

Bei regelhaftem Heilungsverlauf sind un-seres Erachtens jährliche klinische Kon-trollen der Endoprothese mit Doku-mentation des Bewegungsumfangs aus-reichend. Bei Beschwerden ist eine Vor-stellung beim Operateur erforderlich, der dann die erforderlichen diagnostischen Maßnahmen einleitet.

> Bei regelhaftem Heilungsverlauf sind jährliche klinische Kontrollen der Endoprothese ausreichend

Spezieller Teil

Wie viel Wissen über Operationstechnik braucht der internistische Rheumatologe?

Im speziellen Teil soll dem nichtoperativ tätigen, internistischen Rheumatologen ein Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft bezüglich der endopro-thetischen Versorgung des rheumatischen Kniegelenks gegeben werden. Ziel ist es, den überweisenden Kollegen ohne allzu viel Detailinformationen auf einen Kennt-nisstand zu bringen, der es ihm gestattet, seine Patienten bei Fragen „rund um die Totalendoprothese (TEP) des Rheuma-knies“ kompetent zu beraten.

Präoperative Planung

Die präoperative Planung der Knie-TEP erfolgt anhand von Röntgenaufnahmen des betroffenen Kniegelenks a.p. stehend und seitlich, einer Patellatangenzialauf-nahme sowie einer Becken-Bein-Ganz-aufnahme stehend. Insbesondere bei mit-tel- oder hochgradiger Achsdeformität ist eine praeoperative Planung mit Festle-gung der Resektionshöhen femoral und tibial sowie der Differenz zwischen me-chanischer und anatomischer Femurach-se für eine korrekte Implantation unver-zichtbar. Bei adulten Patienten mit juve-niler Arthritis und Minderwuchs ist prae- operativ sicherzustellen, dass die Implan-tate in der erforderlichen Größe verfüg-bar sind.

Abb. 1 8 Bei der 67-jährigen Rheumatikerin bestand bei Erstvorstellung eine massive Val-gusdeformität linksseitig, während rechtssei-tig eine Varusdeformität vorlag („Windschlag-phänomen“)

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Leitthema

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Intraoperative Besonderheiten bei RA-Patienten

Intraoperativ ist bei Patienten mit ent-zündlich-rheumatischen Erkrankungen eine komplette ventrale und dorsale Syn-ovektomie durchzuführen, um Synoviti-den mit rezidivierender Ergussbildung postoperativ zu vermeiden. Die oftmals begleitende Osteoporose verlangt ein sehr sorgfältiges Setzen der Hebel, um ia-trogene Schädigungen (knöcherne Aus-risse der Kollateralbänder) zu vermeiden. Der Hautverschluss erfolgt bei deutlicher Atrophie des Subkutangewebes und/oder Pergamenthaut bevorzugt durch Haut-naht und nicht durch Klammern. Zum Lösen von klebenden Verbänden oder der Operationsabdeckung sind spezielle Pflas-terentferner (z. B. Dermasol®, Coloplast, Hamburg) verfügbar. Postoperativ ist bei RA-Patienten häufiger als bei OA-Pati-enten eine Bluttransfusion erforderlich, bedingt durch die chronische Anämie im Rahmen der Grunderkrankung [14] oder das größere intraoperative Trauma durch die komplette Synovektomie. Durch mini-mal-invasive Operationstechnik kann die Häufigkeit postoperativer Bluttransfusio-nen reduziert werden [15].

Wenn operativ die Korrektur einer ausgeprägten Valgusdeformität erforder-lich ist, muss der Patient sehr sorgfältig und ausführlich über die Gefahr eines Dehnungsschadens des Nervus perone-us aufgeklärt werden. Bei sehr kontrak-ten Verhältnissen kann eine Neurolyse mit Dekompression des Nervs am Fibula-köpfchen erfolgen. In derartigen Fällen ist postoperativ eine Lagerung des Kniege-lenks in Flexion zur Entlastung des N. pe-roneus sinnvoll.

Gutes Implantatüberleben bei RA-Patienten

Im deutschsprachigen Raum erfolgt die endoprothetische Versorgung des rheu-matischen Kniegelenks in der Regel bi-kondylär in hybrider (femoral zement-frei, tibial zementiert) oder zementierter Technik. Ist aufgrund fortgeschrittener Instabilität, Achsfehlstellung oder Beu-gekontraktur keine Versorgung mit un-gekoppelten Implantaten mehr möglich, muss auf teilgekoppelte oder gekoppelte

Modelle ausgewichen werden. Die Indi-kation für eine rein mediale oder latera-le Prothese („Monoschlitten“) ist bei RA-Patienten eine Seltenheit, da die durch die Synovialitis bedingte Gelenkschä-digung das gesamte femorotibiale und auch das patellofemorale Kompartiment betrifft. Der Wechsel von einer unikom-partimentellen Prothese auf ein bikondy-läres Modell beinhaltet zudem ein 2-fach erhöhtes Komplikationsrisiko im Ver-gleich zur primären bikondylären Ver-sorgung [8].

> Die endoprothetische Versorgung des rheumatischen Kniegelenks erfolgt in der Regel bikondylär in hybrider oder zementierter Technik

Das Implantatüberleben von bikondy-lären Endoprothesen bei RA-Patienten wurde in verschiedenen Studien unter-sucht. Bei einem heterogenen Kollektiv mit zementierten, unzementierten und hybridfixierten Knieendoprothesen wur-de bei RA-Patienten eine Überlebensrate von knapp 82% nach 12 Jahren beschrie-ben [16]. Eine aktuelle vergleichende Stu-die zwischen OA- und RA-Patienten be-schreibt bei vollständig zementierter Verankerung einer bikondylären Prothe-se mit Retropatellarersatz ein Implantat-überleben von knapp 90% nach 13 Jahren, unabhängig von der Grunderkrankung [3]. Für ein komplett zementfreies Im-plantat (Profix®, Smith and Nephew Inc, Memphis, TN, USA) wird in einer Unter-suchung mit RA-Patienten eine Überle-bensrate von über 98% nach 10 Jahren berichtet. Die Standzeit zementfreier fe-moraler Komponenten war in eine Studie aus dem Jahr 2000 allerdings signifikant schlechter als bei zementierter Veranke-rung mit einer Lockerungsrate von 10% nach 6 Jahren bei zementfreier Implan-tation gegenüber 0,6% bei zementierten femoralen Komponenten [5]. Verglei-chende Studien zur Standzeit von unge-koppelten vs. teilgekoppelten Endopro-thesen finden sich in der Literatur nicht. Gemäß dem schwedischen Endoprothe-senregister ist das relative Risiko für eine Revision aufgrund septischer Komplika-tionen bei RA gegenüber OA erhöht (RR 1,7 [8]).

Zusammenfassung · Abstract

Z Rheumatol 2011 · 70:411–416DOI 10.1007/s00393-011-0767-9© Springer-Verlag 2011

H.-D. Carl · K. Gelse · B. Swoboda

Endoprothetik des rheumatischen Kniegelenks

ZusammenfassungIn Deutschland werden jährlich etwa 150.000 primäre Knieendoprothesen implantiert. Es sind wenig evidenzbasierte Daten verfügbar, was mögliche Unterschiede in der endopro-thetischen Versorgung des Kniegelenks bei Osteoarthrose (OA) und rheumatoider Arthri-tis (RA) betrifft. Der folgende Artikel soll ei-ne Übersicht über den aktuellen Stand der Knieendoprothetik mit Schwerpunkt auf den Besonderheiten des rheumatischen Kniege-lenks geben.

SchlüsselwörterRheumatoide Arthritis · Totalendoprothese · Knie · Operation

Total knee arthroplasty for rheumatoid arthritis

AbstractA total of 150,000 primary total knee arthro-plasties are performed in Germany each year. There is only a limited amount of evi-dence-based data available on possible sur-gery-related differences between osteoarthri-tis (OA) and rheumatoid arthritis (RA) of the knee joint. The following review summariz-es the recent literature on total knee arthro-plasty with a focus on special features of RA patients.

KeywordsRheumatoid arthritis · Total knee arthroplasty · Knee · Surgery

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Page 4: Endoprothetik des rheumatischen Kniegelenks

Retropatellarersatz wohl nicht vorteilhaft

Die Implantation eines retropatellaren Er-satzes wird in einer finnischen Studie aus dem Jahre 2004 für Patienten mit juveni-ler Arthritis empfohlen, um den vorde-ren Knieschmerz nach Kniegelenkersatz zu vermeiden [10]. Demgegenüber konn-te eine in 2010 veröffentlichte Studie kei-nen positiven Einfluss des Retropatellar-ersatzes auf den postoperativen Schmerz oder die Funktion nach Kniegelenkersatz nachweisen, wobei sich diese Aussage auf OA-Patienten des norwegischen Prothe-senregisters stützt [11]. Für Patienten mit adulter RA existieren vergleichende Stu-dien nicht. Die generellen Risiken bei Im-

plantation eines Retropatellarersatzes wie Lockerung oder Patellafraktur scheinen bei RA-Patienten aufgrund der oftmals begleitenden Osteoporose besonders re-levant, und ein Vorteil des Retropatellar-ersatzes für RA-Patienten ist, wie oben er-wähnt, bislang nicht gezeigt worden. Da-her verzichten wir standardmäßig auf die-se Maßnahme.

Aktuelle Trends in der Knieendoprothetik – Nutzen für RA-Patienten?

Minimal-invasiv oder konventionell?Als Alternative zum konventionellen Operationszugang über eine mediale pa-

rapatellare Kapsulotomie stehen seit ei-nigen Jahren verschiedene Verfahren zur Verfügung, die als minimal-invasive Chirurgie („minimal incision surgery“; MIS) bezeichnet werden. Hierbei erfolgt die Prothesenimplantation über modi-fizierte Zugänge mit 1 oder 2 kleineren Hautschnitten. Studien zur MIS bei RA-Patienten liegen nicht vor; sämtliche Pu-blikationen beziehen sich auf OA-Pati-enten. Im Allgemeinen werden als Vor-teile der der MIS ein geringeres Weich-teiltrauma intraoperativ mit geringerem Blutverlust, eine schnellere Rehabilita-tion der Patienten sowie ein höherer Be-wegungsumfang postoperativ genannt. Die aktuellen Studien zum Thema zei-gen, dass die Funktion der Endoprothe-

Abb. 2 8 73-jährige Rheumatikerin: a Valgusgonarthrose mit ausgedehnter Zyste am Tibiakopf, bei kompensierten Beschwerden kein Operationswunsch; b akute Beschwerdezunahme ohne Trauma nach 4 Monaten, Zunahme der Valgusfehl-stellung, radiologisch Nachweis einer Ermüdungsfraktur des Tibiakopfes; c Versorgung mit bikondylärer Knieendoprothese, Stemverlängerung, mit Wiederherstellung der physiologischen Beinachse

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Leitthema

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se bei MIS nach 6 und 12 Wochen besser ist als bei konventionellem Zugang, dies jedoch nicht mehr nach 6 Monaten [4]. Allerdings werden verzögerte Wundhei-lung und Infekte nach MIS häufiger be-obachtet [4], und die Implantatlage bei schwerer Varusdeformität war bei MIS weniger exakt. In einer US-amerikani-schen Multizenterstudie wurde MIS als Risikofaktor für ein frühes Implantatver-sagen identifiziert [1].

> „Minimal incision surgery“ wurde als Risikofaktor für ein frühes Implantatversagen identifiziert

Aus der eigenen Erfahrung erfordern ausgeprägte Gelenkdeformierungen bei RA die bestmögliche Übersicht über den

Operationssitus, zur kompletten Synovek-tomie ebenso wie für suffizientes Weich-teil-Balancing und die korrekte Positio-nierung der Implantate. Dies kann unse-res Erachtens insbesondere bei RA-Pa-tienten nur über den konventionellen Zu-gang erreicht werden.

„High-flexion“ oder Standard?Verschiedene Hersteller bieten Implan-tate an, die über ein modifiziertes Design (kürzerer Radius der femoralen Kompo-nente) eine verbesserte Flexion ermög-lichen sollen. Eine aktuelle Metaanalyse konnte nach einem Follow-up von 12 Mo-naten jedoch keinen Vorteil dieser Prothe-sentypen im Vergleich zu konventionellen Designs belegen [9].

„Mobile bearing“ oder „fixed bearing“?Als Alternative zum fixen Polyaethy-len-Inlay wurden Prothesenmodelle mit mobilen Inlays unterschiedlichen Desi-gns propagiert, welche Gleit- oder Rotati-onsbewegungen zulassen und so zu einer besseren Beweglichkeit sowie geringerem Verschleiß (Abrieb) des Inlays führen sol-len. Ein langfristiger Vorteil dieser Desi-gns ist jedoch nicht belegt, weder in Be-zug auf den Bewegungsumfang [6] noch hinsichtlich des Abriebs [7]. Die deutlich höheren Implantatkosten für Modelle mit mobilen Inlays sind nach Stand der Wis-senschaft daher nicht gerechtfertigt.

Navigiert oder nichtnavigiert?In der Literatur werden als Vorteile der computerassistierten, navigierten Implan-

Abb. 3 7 Bei der 55-jäh-rigen Rheumatikerin be-stand bei Erstvorstellung eine massive Destruktion

des medialen Tibiaplateaus mit höchstgradiger Insta-

bilität des Kniegelenks (a); Versorgung mit teilgekop-

pelter Knieprothese (b)

415Zeitschrift für Rheumatologie 5 · 2011  | 

Page 6: Endoprothetik des rheumatischen Kniegelenks

tation eine verbesserte Ausrichtung der femoralen [13] und tibialen Komponen-te [12] sowie eine geringere Abweichung bei der Rekonstruktion der mechanischen Beinachse [13] beschrieben. Demgegen- über werden als Nachteil längere Opera-tionszeiten sowie Frakturen im Bereich der eingebrachten Markierungsnägel [2] beschrieben. Bislang ist eine überlege-ne Standzeit von navigiert implantierten Knieendoprothesen nicht belegt.

Am Ende entscheidend: Funktion, Schmerzfreiheit und Standzeit der Knie-TEP

Aus unserer Sicht sind Funktion und Haltbarkeit der Knie-TEP von entschei-dender Bedeutung. Die konventionell im-plantierte bikondyläre Endoprothese mit fixem Inlay hat in Langzeitstudien gute Ergebnisse belegt [3, 5, 16]. Sämtliche In-novationen wie computerassistierte Na-vigation, „High-flexion“-Modelle, MIS oder mobile Inlays sind bislang den Be-weis schuldig geblieben, im Hinblick auf Funktion und Haltbarkeit eine langfristi-ge Verbesserung erzielen zu können; nach Studienlage ist die Komplikationsrate der innovativen Verfahren teilweise erhöht. Zusätzlich liegen die Kosten für derartige Implantate deutlich über denen konventi-oneller Modelle.

Fazit für die Praxis

Der Kniegelenkersatz bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkran- kungen weist im Gegensatz zur Osteo- arthrose Unterschiede auf. Die opera- tive Versorgung dieser Patienten durch den versierten orthopädischen Rheuma-tologen sollte in Einrichtungen erfolgen, innerhalb derer eine entsprechende Er-fahrung mit den Besonderheiten dieses Patientenkollektivs besteht. Dies betrifft Anästhesie sowie Pflege, Physiotherapie und Ergotherapie. Wann immer möglich, sollten ungekoppelte Implantate zur An-wendung kommen. Die Standzeit kon-ventioneller bikondylärer Knieendopro-thesen bei RA-Patienten kann durchweg als gut bewertet werden, mit Standzei-ten zwischen 80 und 98% nach 10 Jah-ren. Technische Innovationen wie com-puterassistierte Navigation, „High flexi-

on“-Modelle, MIS oder mobile Inlays sind teilweise mit erhöhter Komplikationsra-te assoziiert und bleiben bislang den Be-weis schuldig, im Hinblick auf Funktion und Haltbarkeit eine dauerhafte Verbes-serung zu erzielen.

KorrespondenzadressePD Dr. H.-D. CarlAbteilung für Orthopädische Rheumatologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg, Waldkrankenhaus St. MarienRathsberger Str. 57, 91054 ErlangenHans-Dieter.Carl@ ortho-rheuma.med.uni-erlangen.de

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenskonflikt besteht.

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416 |  Zeitschrift für Rheumatologie 5 · 2011

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