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D U R C H D I E W Ü S T E

K A R L M A Y ’ S

G E S A M M E L T E W E R K E BAND 1

K A R L - M A Y - V E R L A G B A M B E R G R A D E B E U L•

R E I S E E R Z Ä H L U N GV O N

K A R L M A Y

INHALT

Die vorliegende Erzählung spielt in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts.

Nach der Fassung von 1962neu herausgegeben von Lothar und Bernhard Schmid

2003 Karl-May-Verlag, BambergAlle Urheber- und Verlagsrechte vorbehalten

Deckelbild: Carl Lindeberg

ISBN (eBook-Ausgabe in pdf ) 978-3-7802-1701-1

1.2.3.4.5.6.7.8.9.

10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.20.

Der Tote im Wadi TarfauiEin TodesrittGerichtsbarkeit im MorgenlandIn Abrahim Mamurs GewaltWunderbare FügungEine EntführungAm ‚See Pharaos‘Der Vater des SäbelsMein treuer HalefBei den AtejbehIm heiligen MekkaAm TigrisRihAuf KundschaftDie Atejbeh kommenEine WüstenschlachtEine grausige EntdeckungBeim Pascha von MossulBei den TeufelsanbeternDas große Fest

5334875

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1. Der Tote im Wadi Tarfaui

„Und ist es wirklich wahr, Sihdi1, dass du ein Giaur blei-ben willst, ein Ungläubiger, der verächtlicher ist als einHund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frisst?“

„Ja.“„Sihdi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen,

dass sie nach ihrem Tode in die Dschehenna kommen, woder Teufel wohnt; aber dich möchte ich retten vor demewigen Verderben, das dich ereilen wird, wenn du dichnicht zum Ikrâr bi’l-lisân, zum heiligen Zeugnis, bekennst.Du bist so gut, so ganz anders als die Herren, denen ichfrüher gedient habe, und darum werde ich dich bekehren,du magst wollen oder nicht.“

So sprach Halef, mein Diener und Wegweiser, mit demich in den Schluchten und Klüften des Dschebel Auresherumgekrochen und dann nach dem Dra el Hauna hinun-tergestiegen war, um über den Dschebel Tarfaui nach Seddada,Kris und Dgasche zu kommen, von wo aus ein Weg überden berüchtigten Schott el Dscherid nach Fetnassa und Kbilliführt.

Halef war ein eigentümliches Kerlchen. Er war so klein,dass er mir kaum bis unter die Arme reichte, und dabei sohager und dünn, dass man hätte behaupten mögen, er habeein volles Jahrzehnt zwischen den Löschpapierblätterneines Herbariums gelegen. Dabei verschwand sein Gesicht-chen vollständig unter einem Turban, der drei volle Fußim Durchmesser hatte, und sein Burnus war jedenfalls füreinen weit größeren Mann gefertigt worden, sodass er ihn,sobald er vom Pferd gestiegen war und nun gehen wollte,empor nehmen musste. Aber trotz dieser äußeren Unan-sehnlichkeit musste man allen Respekt vor ihm haben. Erbesaß einen ungemeinen Scharfsinn, viel Mut und Ge-wandtheit und eine Ausdauer, die ihn die größten Be-schwerden überwinden ließ. Und da er auch außerdem alle

1 Herr

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Dialekte sprach, die zwischen dem Wohnsitz der UëladBu Seba und den Nilmündungen erklingen, so kann mansich denken, dass er meine volle Zufriedenheit besaßund dass ich ihn mehr als Freund denn als Diener behan-delte.

Eine Eigenschaft hatte er allerdings, die mir zuweilenrecht unbequem werden konnte: Er war ein fanatischerMuselman und hatte aus Liebe zu mir den Entschlussgefasst, mich zum Islam zu bekehren.

Eben jetzt hatte er wieder einen seiner fruchtlosen Ver-suche unternommen, und ich hätte lachen können, sokomisch sah er dabei aus.

Ich ritt einen kleinen, halbwilden Berberhengst undmeine Füße schleiften dabei fast am Boden; er aber hattesich, um seine Figur zu unterstützen, eine alte, dürre, aberhimmelhohe Hassi-Ferdschan-Stute ausgewählt und saßnun so hoch, dass er auf mich herabblicken konnte. Wäh-rend der Unterhaltung war er äußerst lebhaft; er wedeltemit den bügellosen Beinen, gestikulierte mit den dünnen,braunen Ärmchen und versuchte, seinen Worten durch einso lebhaftes Mienenspiel Nachdruck zu geben, dass ichalle Mühe hatte, ernst zu bleiben.

Als ich auf seine letzten Worte nicht antwortete, fuhr erfort:

„Weißt du, Sihdi, wie es den Giaurs nach ihrem Todeergehen wird?“

„Nun?“„Nach dem Tod kommen alle Menschen, sie mögen

Moslemin, Christen, Juden oder etwas anderes sein, in denBarasch.“

„Das ist der Zustand zwischen dem Tod und der Aufer-stehung?“

„Ja, Sihdi. Aus ihm werden sie alle mit dem Schall derPosaunen erweckt, denn el Jôm el achir, der Jüngste Tag,und el Achiret, das Ende, sind gekommen. Dann geht al-les zu Grunde, außer el Kurs, dem Sessel Gottes, er Ruh,

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dem heiligen Geist, el Lauh el mafus und el Kalâm, derTafel und der Feder der göttlichen Vorherbestimmung.“

„Weiter wird nichts mehr bestehen?“„Nein.“„Aber das Paradies und die Hölle?“„Sihdi, du bist klug und weise; du merkst gleich, was

ich vergessen habe, und daher ist es jammerschade, dassdu ein verfluchter Giaur bleiben willst. Aber ich schwörees bei meinem Bart, dass ich dich bekehren werde, du magstwollen oder nicht!“

Bei diesen Worten zog er seine Stirn in sechs drohendeFalten, zupfte sich an den sieben Fasern seines Kinns, zerrtean den acht Spinnfäden rechts und an den neun Partikelnlinks von seiner Nase, alles in allem Bart genannt, schlen-kerte die Beine unternehmend in die Höhe und fuhr mitder freien anderen Hand der Stute so kräftig in die Mäh-ne, als sei sie der Teufel, dem ich entrissen werden sollte.

Das so grausam aus seinem Nachdenken gestörte Tiermachte einen Versuch, vorn emporzusteigen, besann sichaber sofort auf die Ehrwürdigkeit seines Alters und ließsich stolz in seinen Gleichmut zurückfallen. Halef abersetzte seine Rede fort:

„Ja, Dschennet, das Paradies, und Dschehenna, dieHölle, müssen auch mit bleiben, denn wohin sollten dieSeligen und die Verdammten sonst kommen? Vorher abermüssen die Auferstandenen über die Brücke Ssiret, die überel Halâk, den Abgrund des Verderbens, führt und so schmalund scharf ist wie die Schneide eines gut geschliffenen Schwer-tes.“

„Du hast noch etwas vergessen.“„Was?“„Das Erscheinen des Deddschâl.“„Wahrhaftig! Sihdi, du kennst den Korân und alle heili-

gen Bücher und willst dich nicht zur wahren Lehre bekeh-ren! Aber trage nur keine Sorge: Ich werde einen gläubi-gen Moslem aus dir machen! Also, vor dem Gericht wird

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sich der Deddschâl zeigen, den die Giaur den Antichristnennen, nicht wahr, Sihdi?“

„Ja.“„Dann wird über jeden el Kitâb, das Buch, aufgeschla-

gen, in dem seine guten und bösen Taten verzeichnet ste-hen, und el Hisâb gehalten, die Musterung seiner Hand-lungen, die über fünfzigtausend Jahre währt, eine Zeit,die den Guten wie ein Augenblick vergehen, den Bösenaber wie eine Ewigkeit erscheinen wird. Das ist el Hukum,das Abwiegen aller menschlichen Taten.“

„Und nachher?“„Nachher folgt das Urteil. Die Menschen mit überwie-

gend guten Werken kommen in das Paradies, die ungläu-bigen Sünder aber in die Hölle, während die sündigenMoslemin nur auf kurze Zeit bestraft werden. Du siehstalso, Sihdi, was deiner wartet, selbst wenn du mehr guteals böse Taten verrichtest. Aber du sollst gerettet werden,du sollst mit mir in das Dschennet, in das Paradies, kom-men, denn ich werde dich bekehren, du magst wollen odernicht!“

Und wieder strampelte er bei dieser Versicherung soenergisch mit den Beinen, dass die alte Hassi-Ferdschan-Stute ganz verwundert nach ihm zu schielen suchte.

„Und was harrt meiner in eurer Hölle?“, fragte ich ihn.„In der Dschehenna brennt en Nar, das ewige Feuer;

dort fließen Bäche, die so sehr stinken, dass der Verdammtetrotz seines glühenden Durstes nicht aus ihnen trinkenmag, und dort stehen fürchterliche Bäume, unter ihnender schreckliche Baum Sakkum, auf dessen Zweigen Teu-felsköpfe wachsen.“

„Brrrrr!“„Ja, Sihdi, es ist schauderhaft! Der Beherrscher der

Dschehenna ist der Strafengel Thabek. Sie hat sieben Ab-teilungen, zu denen sieben Tore führen. Im Dschehennem,der ersten Abteilung, müssen die sündhaften Mosleminbüßen, bis sie gereinigt sind; Ladha, die zweite Abteilung,

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ist für die Christen, Hothama, die dritte Abteilung, fürdie Juden, Sair, die vierte, für die Sabier, Sakâr, die fünfte,für die Magier und Feueranbeter, und Gehim, die sechste,für alle, die Götzen oder Fetische verehren. Zaoviat aber,die siebente Abteilung, die auch Derk Asfal genannt wird,ist die allertiefste und fürchterlichste; sie wird alle Heuch-ler aufnehmen. In allen diesen Abteilungen werden dieVerdammten von bösen Geistern durch Feuerströme ge-schleppt, und dabei müssen sie vom Baum Sakkum dieTeufelsköpfe essen, die dann ihre Eingeweide zerbeißenund zerfleischen. O Sihdi, bekehre dich zum Propheten,damit du nur kurze Zeit in der Dschehenna zu steckenbrauchst!“

Ich schüttelte den Kopf und sagte:„Dann komme ich in unsere Hölle, die ebenso entsetz-

lich ist wie die eurige.“„Glaube das nicht, Sihdi! Ich verspreche dir beim Pro-

pheten und bei allen Kalifen, dass du in das Paradies kom-men wirst. Soll ich es dir beschreiben?“

„Tu es!“„El Dschennet liegt über den sieben Himmeln und hat

acht Tore. Zuerst kommst du an den großen BrunnenHawus Kewser, aus dem hunderttausend Selige zugleichtrinken können. Sein Wasser ist weißer als Milch, seinGeruch köstlicher als Moschus und Myrrha und an sei-nem Rand stehen Millionen goldener Trinkschalen, diemit Diamanten und Steinen besetzt sind. Dann kommstdu an Orte, wo die Seligen auf golddurchwirkten Kissenruhen. Sie erhalten von unsterblichen Jünglingen und ewigjungen Huri 1 köstliche Speisen und Getränke. Ihr Ohrwird ohne Aufhören von den Gesängen des Engels Israfilentzückt und von den Harmonien der Bäume, in denenGlocken hängen, die ein vom Thron Gottes gesendeterWind bewegt. Jeder Selige ist sechzig Ellen lang und im-merfort genau dreiunddreißig Jahre alt. Unter allen Bäu-

1 Die Mädchen des Paradieses, wörtlich ‚Die Weißen‘, Einzahl Haura

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men aber ragt hervor et Tuba, der Baum der Glückselig-keit, dessen Stamm im Palast des großen Propheten stehtund dessen Äste in die Wohnungen der Seligen reichen,wo an ihnen alles hängt, was zur Seligkeit erforderlich ist.Aus den Wurzeln des Baumes Tuba entspringen alle Flüssedes Paradieses, in denen Milch, Wein, Honig und Kaffeeströmen.“

Trotz der Sinnlichkeit dieser Vorstellung muss ich be-merken, dass Mohammed aus der christlichen Anschau-ung geschöpft und diese für sein Nomadenvolk umgemo-delt hat. Halef blickte mich jetzt mit einem Gesicht an, indem sehr deutlich die Erwartung zu lesen war, dass michseine Beschreibung des Paradieses überwältigt haben werde.

„Nun, was meinst du jetzt?“, fragte er, als ich schwieg.„Ich will dir aufrichtig sagen, dass ich nicht sechzig El-

len lang werden mag; auch mag ich von den Huri nichtswissen, denn ich bin ein Feind aller Frauen und Mädchen.“

„Warum?“, fragte er ganz erstaunt.„Weil der Prophet sagt: ‚Des Weibes Stimme ist wie der

Gesang der Bülbül1, aber ihre Zunge ist voll Gift wie dieZunge der Natter.‘ Hast du das noch nicht gelesen?“

„Ich habe es gelesen.“Er senkte den Kopf; ich hatte ihm mit den Worten sei-

nes eigenen Propheten geschlagen. Dann fragte er mit et-was weniger Zuversichtlichkeit:

„Ist nicht trotzdem unsere Seligkeit schön? Du brauchstja keine Haura anzusehen!“

„Ich bleibe ein Christ!“„Aber es ist nicht schwer zu sagen: La ilâha illa ’llâh we

Mohammed rasûl Ullah!“„Ist es schwerer, zu beten: Jâ abûna iledsi fi ’s semawâti,

jata – kaddeso ’smoka?“Er blickte mich zornig an.„Ich weiß es wohl, dass Isa Ben Marjam, den ihr Jesus

nennt, euch dieses Gebet gelehrt hat; ihr nennt es das Va-

1 Nachtigall

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terunser. Du willst mich stets zu deinem Glauben bekeh-ren, aber denke nur nicht daran, dass du mich zu einemAbtrünnigen vom Tauhîd, dem Glauben an Allah, machenwirst!“

Ich hatte schon mehrmals versucht, seinem Bekehrungs-versuch den meinigen entgegenzustellen. Zwar war ich vonder Fruchtlosigkeit vollständig überzeugt, aber es war daseinzige Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen. Das be-währte sich auch jetzt wieder.

„So lass mir meinen Glauben, wie ich dir den deinigenlasse!“

Er knurrte etwas vor sich hin und brummte dann:„Aber ich werde dich dennoch bekehren, du magst wol-

len oder nicht. Was ich einmal will, das will ich, denn ichbin der Hadschi1 Halef Omar Ben Hadschi Abul AbbasIbn Hadschi Dawuhd al Gossarah!“

„So bist du also der Sohn von Abul Abbas, dem Sohnvon Dawuhd al Gossarah?“

„Ja.“„Und beide waren Pilger?“„Ja.“„Auch du bist ein Hadschi?“„Ja.“„So wart ihr alle drei in Mekka und habt die heilige

Kaaba gesehen?“„Dawuhd al Gossarah nicht.“„Ah! Und dennoch nennst du ihn einen Hadschi?”„Ja, denn er war einer. Er wohnte am Dschebel Schur-

Schum und machte sich als Jüngling auf die Pilgerreise.Er kam glücklich über el Dschuf, das man den Leib derWüste nennt; dann aber wurde er krank und musste amBrunnen Trasah zurückbleiben. Dort nahm er ein Weibund starb, nachdem er seinen Sohn Abul Abbas gesehenhatte. Ist er nicht ein Hadschi, ein Pilger, zu nennen?“

„Hm! Aber Abul Abbas war in Mekka?“

1 Mekkapilger

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„Nein.“„Und auch er ist ein Hadschi?“„Ja. Er trat die Pilgerfahrt an und kam bis in die Ebene

Admar, wo er zurückbleiben musste.“„Warum?“„Er erblickte da Amareh, die Perle von Dschunet, und

liebte sie. Amareh wurde sein Weib und gebar ihm HalefOmar, den du hier neben dir siehst. Dann starb er. War ernicht ein Hadschi?“

„Hm! Aber du selbst warst in Mekka?“„Nein.“„Und nennst dich dennoch einen Pilger!“„Ja. Als meine Mutter tot war, begab ich mich auf die

Pilgerschaft. Ich zog gen Aufgang und Niedergang derSonne; ich ging nach Mittag und nach Mitternacht; ichlernte alle Oasen der Wüste und alle Orte Ägyptens ken-nen; ich war noch nicht in Mekka, aber ich werde nochdorthin kommen. Bin ich also nicht ein Hadschi?“

„Hm! Ich denke, nur wer in Mekka war, darf sich einenHadschi nennen?“

„Eigentlich ja. Aber ich bin ja auf der Reise dorthin!“„Möglich! Doch du wirst auch irgendwo eine schöne

Jungfrau finden und bei ihr bleiben; deinem Sohn wird esebenso gehen, denn dies scheint euer Kismet1 zu sein, unddann wird nach hundert Jahren dein Urenkel sagen: ‚Ichbin Hadschi Mustafa Ben Hadschi Ali Ibn Hadschi SajdIbn Hadschi Tofail Ibn Hadschi Halef Omar Ibn HadschiAbul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah‘, und kei-ner von all diesen sieben Pilgern wird Mekka gesehen ha-ben und ein echter, wirklicher Hadschi geworden sein.Meinst du nicht?“

So ernst er sonst war, er musste doch über diese kleineBosheit lachen. Es gibt unter den Mohammedanern sehrviele, die sich, besonders dem Fremden gegenüber, alsHadschi gebärden, ohne die Kaaba gesehen, den Lauf zwi-

1 Schicksal, Vorausbestimmung

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schen Szafa und Merua vollbracht zu haben, in Arafahgewesen und in Minah geschoren und rasiert worden zusein. Mein guter Halef fühlte sich geschlagen, aber er nahmes mit guter Miene hin.

„Sihdi“, fragte er kleinlaut, „wirst du es ausplaudern,dass ich noch nicht in Mekka war?“

„Ich werde nur dann davon sprechen, wenn du wiederanfängst, mich zum Islam zu bekehren; sonst aber werdeich schweigen. Doch schau, sind das nicht Spuren imSand?“

Wir waren schon längst in das Wadi1 Tarfaui eingebo-gen und jetzt an eine Stelle gekommen, wo der Wüsten-wind den Flugsand über die hohen Felsenufer hinab-getrieben hatte. In diesem Sand war deutlich eine Fährtezu erkennen.

„Hier sind Leute geritten“, meinte Halef unbekümmert.„So werden wir absteigen, um die Spur zu untersuchen.“Er blickte mich fragend an.„Sihdi, das ist überflüssig. Es ist genug, zu wissen, dass

Leute hier geritten sind. Weshalb willst du die Hufspurenuntersuchen?“

„Es ist stets gut, zu wissen, welche Leute man vor sich hat.“„Wenn du alle Spuren, die du findest, untersuchen willst,

so wirst du unter zwei Monaten nicht nach Seddada kom-men. Was gehen dich die Männer an, die vor uns sind?“

„Ich bin in fernen Ländern gewesen, wo es viel Wildnisgibt und wo sehr oft das Leben davon abhängt, dass manalle Durub und Asâr, alle Spuren und Fährten, genau be-trachtet, um zu erfahren, ob man einem Freund oder ei-nem Feind begegnet.“

„Hier wirst du keinem Feind begegnen, Sihdi.“„Das kann man nicht wissen.“Ich stieg ab. Es waren die Fährten dreier Tiere zu be-

merken, eines Kamels und zweier Pferde. Das erste warjedenfalls ein Reitkamel, wie ich an der Zierlichkeit seiner

1 Tal, trockenes Flussbett

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Hufeindrücke bemerkte. Bei genauer Betrachtung fiel mireine Eigentümlichkeit der Spuren auf, die mich vermutenließ, dass das eine der Pferde am ‚Hahnentritt‘ leide. Diesmusste meine Verwunderung erregen, da ich mich in ei-nem Land befand, dessen Pferdereichtum zur Folge hat,dass man niemals Tiere reitet, die mit diesem Übel behaf-tet sind. Der Besitzer war entweder kein Araber oder einsehr armer Mann.

Halef lächelte über die Sorgfalt, mit der ich den Sanduntersuchte, und fragte, als ich mich wieder aufrichtete:

„Was hast du gesehen, Sihdi?“„Es waren zwei Pferde und ein Kamel.“„Zwei Pferde und ein Dschemel! Allah segne deine Au-

gen; ich habe ganz dasselbe gesehen, ohne dass ich vonmeinem Tier zu steigen brauchte. Du willst ein Alim1 seinund tust doch Dinge, über die ein Hammar2 lachen wür-de. Was hilft dir nun der Schatz des Wissens, den du hiergehoben hast?“

„Ich weiß zunächst, dass die drei Reiter vor ungefähr vierStunden hier vorübergekommen sind.“

„Wer gibt dir etwas für diese Weisheit? Ihr Männer ausdem Bilâd er Rum3 seid sonderbare Leute!“

Er schnitt bei diesen Worten ein Gesicht, aus dem ich dastiefste Mitleid lesen konnte, doch zog ich es vor, schwei-gend unsern Weg fortzusetzen.

Wir folgten der Fährte wohl eine Stunde lang, bis wirda, wo das Wadi eine Krümmung machte und wir nun umdie Ecke bogen, unwillkürlich unsere Pferde anhielten. Wirsahen drei Geier, die nicht weit vor uns hinter einer Sand-düne hockten und sich bei unserem Anblick mit heiserenSchreien in die Luft erhoben.

„El Büdsch4“, meinte Halef. „Wo er ist, da gibt es ganzsicher ein Aas.“

„Es wird dort irgendein Tier verendet sein“, antworteteich, während ich ihm folgte.

1 Gelehrter 2 Eseltreiber 3 Europa 4 Bartgeier

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Er hatte sein Pferd rascher vorwärts getrieben, sodassich hinter ihm zurückgeblieben war. Kaum hatte er dieDüne erreicht, so hielt er mit einem Ruck still und stießeinen Ruf des Schreckens aus.

„Maschallah1! Was ist das? Ist das nicht ein Mensch,Sihdi, der hier liegt?“

Er hatte Recht. Es war wirklich ein Mann, an dessenLeichnam die Geier ihr schauderhaftes Mahl gehalten hat-ten. Schnell sprang ich vom Pferd und kniete bei ihm nie-der. Seine Kleidung war von den Krallen der Vögel zer-fetzt. Aber lange konnte dieser Unglückliche noch nichttot sein, wie ich bei der Berührung sofort fühlte.

„Allah kerîm – Gott ist gnädig! Sihdi, ist dieser Manneines natürlichen Todes gestorben?“, fragte Halef.

„Nein. Siehst du nicht die Wunde am Hals und das Locham Hinterkopf? Er ist ermordet worden.“

„Allah verderbe den Menschen, der dies getan hat! Odersollte der Tote im ehrlichen Kampf gefallen sein?“

„Was nennst du ehrlichen Kampf? Vielleicht ist er das Opfereiner Blutrache. Wir wollen seine Kleider untersuchen.“

Halef half dabei. Wir fanden nicht das Geringste, bismein Blick auf die Hand des Toten fiel. Ich bemerkte ei-nen einfachen Goldreif von der gewöhnlichen Form derTrauringe und zog ihn ab. In seine innere Seite war klein,aber deutlich eingegraben: „E. P. juillet 1830.“

„Was findest du?“, fragte Halef.„Dieser Mann ist kein Ibn Arab2.“„Was sonst?“„Ein Franzose.“„Ein Franke, ein Christ? Woran willst du das erkennen?“„Wenn ein Christ sich ein Weib nimmt, so tauschen

beide je einen Ring ohne Stein, in dem der Name und derTag eingegraben ist, an dem die Ehe geschlossen wurde.“

„Und dies ist ein solcher Ring?“„Ja.“

1 „Was Gott will“ (Ausruf der Verwunderung) 2 Araber

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„Aber woran erkennst du, dass dieser Tote zum Volk derFranken gehört? Er könnte doch ebenso von den Inglisi1

oder den Nemsi2 stammen, zu denen auch du gehörst.“„Es sind französische Zeichen, die ich hier lese.“„Er kann dennoch zu einem anderen Volk gehören.

Meinst du nicht, Effendi, dass man einen Ring finden oderauch stehlen kann?“

„Das ist wahr. Aber sieh das Hemd, das er unter seinerKleidung trägt. Es ist das eines Europäers.“

„Wer hat ihn getötet?“„Seine beiden Begleiter. Siehst du nicht, dass der Boden

hier vom Kampf aufgewühlt ist? Bemerkst du nicht, dass...“Ich hielt mitten im Satz inne. Ich hatte mich aus meiner

knienden Stellung erhoben, um den Erdboden zu unter-suchen, und fand nicht weit von der Stelle, an der der Totelag, den Anfang einer breiten Blutspur, die sich seitwärtszwischen die Felsen zog. Ich folgte ihr mit schussbereitemGewehr, da die Mörder sich leicht noch in der Nähe be-finden konnten. Noch war ich nicht weit gegangen, so stiegmit lautem Flügelschlag ein Geier empor und ich bemerk-te an dem Ort, von dem er sich erhoben hatte, ein Kamel.Es war tot, in seiner Brust klaffte eine tiefe, breite Wunde.Halef schlug die Hände ineinander.

„Ein graues Hedschîn, ein graues Tuareg-Hedschîn, unddiese Mörder, diese Schurken, diese Hunde haben es getö-tet!“

Es war klar: Er bedauerte das prächtige Reittier viel mehrals den Franzosen. Als echter Sohn der Wüste, dem dergeringste Gegenstand kostbar werden kann, bückte er sichnieder und untersuchte den Sattel des Kamels. Er fandnichts, die Taschen waren leer.

„Die Mörder haben bereits alles weggenommen, Sihdi.Mögen sie in alle Ewigkeit in der Dschehenna braten.Nichts, gar nichts haben sie zurückgelassen als das Kamel– und die Papiere, die dort im Sand liegen.“

1 Engländer 2 Eigentlich Österreicher; hier sind die Deutschen gemeint.

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Durch diese Worte aufmerksam gemacht, bemerkte ichin einiger Entfernung von uns allerdings einige mit denHänden zusammengeballte und wohl als unnütz wegge-worfene Papierstücke. Sie konnten mir vielleicht einenAnhaltspunkt bieten, und ich ging, um sie aufzuheben. Eswaren mehrere Zeitungsbogen. Ich glättete die zusammen-geknitterten Fetzen und passte sie genau aneinander. Ichhatte zwei Seiten der „Vigie algérienne“ und ebenso vielvom „L’Indépendant“ und der „Mahouna“ in Händen. Daserste Blatt erschien in Algier, das zweite in Constantineund das dritte in Guelma. Trotz dieser örtlichen Verschie-denheit bemerkte ich bei näherer Prüfung eine mir auffäl-lige Übereinstimmung bezüglich des Inhalts der dreiZeitungsfetzen: Sie enthielten nämlich alle drei einen Be-richt über die Ermordung eines reichen französischen Kauf-manns in Blida. Des Mordes dringend verdächtigt war einarmenischer Händler, der die Flucht ergriffen hatte undsteckbrieflich verfolgt wurde.

Aus welchem Grund hatte der Tote, dem das Kamel ge-hörte, diese Blätter bei sich geführt? Ging ihn der Fall per-sönlich etwas an? War er ein Verwandter des Kaufmannsin Blida, war er der Mörder oder war er ein Polizist, derdie Spur des Verbrechers verfolgt hatte?

Ich nahm die Papiere an mich, wie ich auch den Ringan meinen Finger gesteckt hatte, und kehrte mit Halef zuder Leiche zurück. Über ihr schwebten beharrlich die Geier,die sich nun nach unserer Entfernung auf das Kamel nie-derließen.

„Was gedenkst du nun zu tun, Sihdi?“, fragte Halef.„Es bleibt uns nichts übrig, als den Mann zu begraben.“„Willst du ihn in die Erde scharren?“„Nein, dazu fehlen uns die Werkzeuge. Wir errichten

einen Steinhaufen über ihm, so wird kein Tier zu ihm ge-langen können.“

„Und du denkst wirklich, dass er ein Giaur ist?“„Er ist ein Christ.“

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„Es ist möglich, dass du dich dennoch irrst, Sihdi; erkann trotzdem auch ein Rechtsgläubiger sein. Darum er-laube mir eine Bitte!“

„Welche?“„Lass uns ihn so legen, dass er mit dem Gesicht nach

Mekka blickt!“„Ich habe nichts dagegen. Fass an!“Es war ein trauriges Werk, das wir in der tiefen Einsam-

keit vollendeten. Als der Steinhaufen, der den Unglückli-chen bedeckte, so hoch war, dass er der Leiche vollständi-gen Schutz gegen die Tiere der Wüste gewährte, fügte ichnoch so viel Geröll hinzu, dass er die Gestalt eines Kreu-zes bekam, und faltete dann die Hände, um ein Gebet zusprechen. Als ich damit geendet hatte, wandte Halef seinAuge gegen Morgen, um mit der hundertundzwölften Suredes Korâns zu beginnen:

„Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: Gottist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und ist nichtgezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich. Der Mensch liebtdas dahineilende Leben und lässt das zukünftige unbeach-tet. Deine Abreise aber ist gekommen, und nun wirst duhingetrieben zu deinem Herrn, der dich auferwecken wirdzum neuen Leben. Möge dann die Zahl deiner Sündenklein sein und die Zahl deiner guten Taten so groß wie derSand, auf dem du einschliefst in der Wüste!“

Nach diesen Worten blickte er zuerst nach rechts, dannnach links und sprach: „Gott gebe ihm Frieden!“ Schließ-lich bückte er sich nieder, um seine Hände, die er mit derLeiche verunreinigt hatte, mit dem Sand abzuwaschen.

„So, Sihdi, jetzt bin ich wieder tahir und darf wiederberühren, was rein und heilig ist. Was tun wir jetzt?“

„Wir eilen den Mördern nach, um sie einzuholen.“„Willst du sie töten?“„Ich bin ihr Richter nicht. Ich werde mit ihnen spre-

chen und dann erfahren, warum sie ihn getötet haben.Dann weiß ich, was ich tun werde.“

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„Es können keine klugen Männer sein, sonst hätten sienicht ein Hedschîn getötet, das wohl mehr wert ist als ihrePferde.“

„Das Hedschîn hätte sie vielleicht verraten. Hier siehstdu ihre Spur. Vorwärts! Sie sind fünf Stunden vor uns;vielleicht treffen wir morgen auf sie, noch ehe sie Seddadaerreichen.“

Wir jagten trotz der drückenden Hitze und des schwie-rigen, felsigen Bodens mit einer Eile dahin, als ob es gelte,Gazellen einzuholen, und es war dabei ganz unmöglich,ein Gespräch zu führen. Diese Schweigsamkeit aber konntemein guter Halef unmöglich lange aushalten.

„Sihdi“, rief er hinter mir, „Sihdi, willst du mich verlas-sen?“

Ich drehte mich nach ihm um.„Verlassen?“„Ja. Meine Stute hat ältere Beine als dein Berberhengst.“Wirklich triefte die alte Hassi-Ferdschan-Stute bereits

von Schweiß und der Schaum flog ihr in großen Flockenvom Maul.

„Aber wir können heute nicht wie gewöhnlich währendder größten Hitze Rast machen, sondern müssen bis zurNacht reiten, sonst holen wir die beiden nicht ein.“

„Wer zu viel eilt, kommt auch nicht früher als der Be-dächtige, Sihdi, denn – Allah akbar, sieh da hinunter!“

Wir befanden uns vor einem jähen Sturz des Wadi undsahen in der Entfernung von vielleicht einer viertel Weg-stunde unter uns zwei Männer an einer kleinen Lache sit-zen, in der sich etwas brackiges Wasser erhalten hatte. IhrePferde knabberten an den dürren, stacheligen Mimosenherum, die in der Nähe standen.

„Ah, sie sind es!“„Ja, Sihdi, es sind die Mörder. Auch ihnen ist es zu heiß

gewesen und sie haben beschlossen zu warten, bis die größ-te Glut vorüber ist.“

„Oder sie haben sich verweilt, um die Beute zu teilen.

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Zurück, Halef, zurück, damit sie dich nicht bemerken! Wirwerden das Wadi verlassen und ein wenig nach West rei-ten, um zu tun, als ob wir vom Schott Rharsa kämen.“

„Warum, Sihdi?“„Sie sollen nicht ahnen, dass wir die Leiche des Ermor-

deten gefunden haben.“Unsere Pferde erklommen das Ufer des Wadi und wir

ritten stracks nach Westen in die Wüste hinein. Dannschlugen wir einen Bogen und hielten auf die Stelle zu, ander sich die beiden befanden. Sie konnten uns nicht kom-men sehen, da sie in der Tiefe des Wadi saßen, musstenuns aber hören, als wir nahe genug gekommen waren.

Wirklich hatten sie sich, als wir den Rand der Vertiefungerreichten, bereits erhoben und nach ihren Gewehren gegrif-fen. Ich tat natürlich, als sei ich ebenso überrascht wie sie,hier in der Einsamkeit der Wüste so plötzlich auf Men-schen zu treffen, hielt es jedoch nicht für nötig, nach mei-nem Stutzen zu langen.

„Es selâm ’alejkum!“, rief ich, mein Pferd anhaltend, zuihnen hinab.

„We ’alejkum es selâm!“, antwortete der Ältere von ih-nen. „Wer seid ihr?“

„Wir sind friedliche Reiter.“„Woher kommt ihr?“„Von Westen.“„Und wohin wollt ihr?“„Nach Seddada.“„Von welchem Stamm seid ihr?“Ich deutete auf Halef und antwortete:„Dieser hier stammt aus der Ebene Admar und ich ge-

höre zu den Beni Sachsa. Wer seid ihr?“„Wir sind von dem berühmten Stamm Uëlad Hamalek.“„Die Uëlad Hamalek sind gute Reiter und tapfere Krie-

ger. Woher führt euch der Weg?“„Von Gafsa.“

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„Da habt ihr eine weite Reise hinter euch. Wohin wolltihr?“

„Nach dem Bir 1 Sauidi, wo wir Freunde haben.“Beides, dass sie von Gafsa kamen und nach dem Brun-

nen Sauidi wollten, war eine Lüge, doch tat ich, als ob ichihren Worten glaubte, und fragte:

„Erlaubt ihr uns, bei euch zu rasten?“„Wir bleiben hier bis zum frühen Morgen“, lautete die

Antwort, die also auf meine Frage weder ein Ja noch einNein enthielt.

„Auch wir gedenken bis zum Anfang der nächsten Son-ne hier auszuruhen. Ihr habt genug Wasser für uns alleund auch für unsere Pferde. Dürfen wir bei euch bleiben?“

„Die Wüste gehört allen. Marhaba, du sollst uns will-kommen sein!“

Es war ihnen trotz dieses Bescheides leicht anzusehen,dass ihnen unser Gehen lieber gewesen wäre als unser Blei-ben; wir aber ließen unsere Pferde den Abhang hinunter-klettern, stiegen am Wasser ab und nahmen sofort unbe-kümmert Platz.

Die beiden Physiognomien, die ich nun studieren konn-te, waren keineswegs Vertrauen erweckend. Der Ältere, derbisher das Wort geführt hatte, war lang und hager gebaut.Der Burnus hing ihm am Leib wie an einer Vogelscheu-che. Unter dem schmutzig blauen Turban blickten zweikleine, stechende Augen unheimlich hervor; über denschmalen, blutleeren Lippen fristete ein dünner Bart einkümmerliches Dasein; das spitze Kinn zeigte eine auffal-lende Neigung, nach oben zu steigen; und die Nase, ja,diese Nase erinnerte mich lebhaft an die Geier, die ich vorkurzer Zeit von der Leiche des Ermordeten vertrieben hatte.Das war keine Adler- und auch keine Habichtsnase, siehatte wirklich die Form eines Geierschnabels. Der anderewar ein junger Mann von auffallender Schönheit; aber dieLeidenschaften hatten sein Auge umflort, seine Nerven ent-

1 Brunnen

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kräftet und seine Stirn und Wangen zu früh gefurcht. Mankonnte unmöglich Vertrauen zu ihm haben.

Der Ältere sprach das Arabische mit jenem Akzent, wieman ihn am Euphrat hört, und der Jüngere ließ mich ver-muten, dass er überhaupt kein Orientale, sondern einEuropäer sei. Ihre Pferde, die in der Nähe standen, warenschlecht und sichtlich abgetrieben; ihre Kleidung hatte einsehr mitgenommenes Aussehen, aber ihre Waffen warenausgezeichnet. Da, wo sie vorhin gesessen, lagen verschie-dene Gegenstände, die sonst in der Wüste selten sind undwohl nur deshalb liegen geblieben waren, weil die beidenkeine Zeit gefunden hatten, sie zu verbergen: ein seidenesTaschentuch, eine goldene Uhr nebst Kette, ein Kompass,ein prachtvoller Revolver und ein in Maroquin gebunde-nes Taschenbuch.

Ich tat, als ob ich diese Gegenstände gar nicht bemerkthätte, nahm aus der Satteltasche eine Hand voll Dattelnund begann sie mit gleichgültiger und zufriedener Mienezu verzehren.

„Was wollt ihr in Seddada?“, fragte mich der Lange.„Nichts. Wir gehen weiter.“„Wohin?“„Über den Schott el Dscherid nach Fetnassa und Kbilli.“Ein unbewachter Blick, den er auf seinen Gefährten warf,

sagte mir, dass ihr Weg der gleiche war. Dann fragte erweiter:

„Hast du Geschäfte in Fetnassa oder Kbilli?“„Ja.“„Du willst deine Herden dort verkaufen?“„Nein.“„Oder deine Sklaven?“„Nein.“„Oder vielleicht die Waren, die du aus dem Sudan kom-

men lässt?“„Nein.“„Was sonst?“

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„Nichts. Ein Sohn meines Stammes treibt mit Fetnassakeinen Handel.“

„Oder willst du dir ein Weib dort holen?“Ich setzte eine zornige Miene auf.„Weißt du nicht, dass es eine Beleidigung ist, zu einem

Mann von seinem Weib zu sprechen! Oder bist du einGiaur, dass du dies nicht erfahren hast?“

Wahrhaftig, der Mann erschrak förmlich, und ich be-gann infolgedessen die Vermutung zu hegen, dass ich mitmeinen Worten das Richtige getroffen hatte. Er hatte ganzund gar nicht die Physiognomie eines Beduinen; Gesich-ter wie das seinige waren mir vielmehr bei Männern vonarmenischer Herkunft aufgefallen und – ah, war es nichtein armenischer Händler, der den Kaufmann in Blida er-mordet hatte und dessen Steckbrief ich in der Tasche trug?Während mir diese Gedanken blitzschnell durch den Kopfgingen, fiel mein Blick nochmals auf den Revolver. In sei-nem Griff befand sich eine silberne Platte, in die ein Nameeingraviert war.

„Erlaube mir!“Dabei griff ich auch schon nach der Waffe und las: „Paul

Galingré, Marseille“. Das war ganz sicher nicht der Nameder Fabrik, sondern des Besitzers. Ich verriet aber meinInteresse durch keine Miene, sondern fragte leichthin:

„Was ist das für eine Waffe?“„Ein – ein – ein Drehgewehr.“„Magst du mir zeigen, wie man mit ihm schießt?“Er erklärte es mir. Ich hörte ihm sehr aufmerksam zu

und meinte dann:„Du bist kein Uëlad Hamalek, sondern ein Giaur.“„Warum?“„Sieh, dass ich recht geraten habe! Wärst du ein Sohn

des Propheten, so würdest du mich niederschießen, weilich dich einen Giaur nannte. Nur die Ungläubigen habenDrehgewehre. Wie soll diese Waffe in die Hände einesUëlad Hamalek gekommen sein! Ist sie ein Geschenk?“

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„Nein.“„So hast du sie gekauft?“„Nein.“„Dann war sie eine Beute?“„Ja.“„Von wem?“„Von einem Franken.“„Mit dem du kämpftest?“„Ja.“„Wo?“„Auf dem Schlachtfeld.“„Auf welchem?“„Bei El Guerara.“„Du lügst!”Jetzt riss ihm doch endlich die Geduld. Er erhob sich

und griff nach dem Revolver.„Was sagst du? Ich lüge? Soll ich dich niederschießen

wie...“„Wie den Franken da oben im Wadi Tarfaui?“, fiel ich

ihm in die Rede.Die Hand, die den Revolver hielt, sank wieder nieder

und eine fahle Blässe bedeckte das Gesicht des Mannes.Doch raffte er sich zusammen und fragte drohend:

„Was meinst du mit diesen Worten?“Ich langte in meine Tasche, zog die Zeitungen heraus

und tat einen Blick in die Blätter, um den Namen desMörders zu finden.

„Ich meine, dass du ganz gewiss kein Uëlad Hamalek bist.Dein Name ist mir sehr bekannt, er lautet Hamd el Amasat.“

Jetzt fuhr er zurück und streckte beide Hände wie zurAbwehr gegen mich aus.

„Woher kennst du mich?“„Ich kenne dich, das ist genug.“„Nein, du kennst mich nicht; ich heiße nicht so, wie du

sagtest, ich bin ein Uëlad Hamalek!“Ich wehrte nachlässig ab und fragte weiter:

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„Wem gehören diese Sachen?“„Mir.“Ich ergriff das Taschentuch. Es war mit „P. G.“ gezeich-

net. Ich öffnete die Uhr und fand auf der Innenseite desDeckels ganz dieselben Buchstaben eingraviert.

„Woher hast du sie?“„Was geht es dich an? Leg sie wieder hin!“Anstatt ihm zu gehorchen, öffnete ich auch das Notiz-

buch. Auf dem ersten Blatt las ich den Namen PaulGalingré; der Inhalt aber war stenografiert und ich kannStenografie nicht lesen.

„Weg mit dem Buch, sage ich dir!“, drohte er.Dabei schlug er es mir aus der Hand, sodass es in die

Lache flog. Ich erhob mich, um den Versuch zu machen,es zu retten, fand aber jetzt doppelten Widerstand, da sichnun auch der jüngere der beiden Männer zwischen michund das Wasser stellte.

Halef hatte dem Wortwechsel bisher scheinbar gleich-gültig zugehört, aber ich sah, dass sein Finger am Drückerseiner langen Flinte lag. Es bedurfte nur eines Winks vonmir, um ihn zum Schuss zu bringen. Ich bückte mich, umauch den Kompass noch aufzunehmen.

„Halt, das ist mein! Gibt diese Sachen heraus!“, rief derArmenier.

Er fasste meinen Arm, um seinen Worten Nachdruck zugeben; ich aber sagte so ruhig wie möglich:

„Setz dich wieder! Ich habe mit dir zu reden.“„Ich habe mit dir nichts zu schaffen!“„Aber ich mit dir. Setz dich, wenn dir dein Leben lieb

ist!“Diese Drohung, die von einem bedeutsamen Blick auf

Halef begleitet war, schien doch nicht ganz unwirksam zusein. Er ließ sich wieder zur Erde nieder und ich tat das-selbe. Dann zog ich meinen Revolver und begann:

„Sieh, dass auch ich ein solches Drehgewehr habe! Legdas deinige weg, sonst geht das meinige los!“

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Er legte die Waffe langsam neben sich hin aus der Hand,hielt sie aber zum augenblicklichen Griff bereit.

„Du bist kein Uëlad Hamalek?“„Ich bin einer.“„Du kommst nicht von Gafsa?“„Ich komme von dort.“„Wie lange reitest du bereits im Wadi Tarfaui?“„Was geht es dich an!“„Es geht mich sehr viel an. Da oben liegt die Leiche ei-

nes Mannes, den du ermordet hast.“Ein böser Zug durchzuckte sein Gesicht.„Und wenn ich es getan hätte, was hättest du darüber zu

sagen?“„Nicht viel, nur einige Worte.“„Welche?“„Wer war der Mann?“„Ich kenne ihn nicht.“„Warum hast du ihn und sein Kamel getötet?“„Weil es mir so gefiel.“„War er ein Rechtgläubiger?“„Nein. Er war ein Giaur.“„Du hast genommen, was er bei sich trug?“„Sollte ich es bei ihm liegen lassen?“„Nein, denn du hattest es für mich aufzuheben.“„Für dich? Ich verstehe dich nicht.“„Du sollst mich verstehen. Der Tote war ein Giaur, ich

bin auch ein Giaur und werde sein Rächer sein.“„Sein Bluträcher?“„Nein; wenn ich das wäre, so hättest du bereits aufge-

hört zu leben. Wir sind in der Wüste, wo kein Gesetz giltals nur das des Stärkeren. Ich will nicht erproben, wer vonuns der Stärkere ist; ich übergebe dich der Rache Gottes,des Allwissenden, der alles sieht und keine Tat unvergoltenlässt. Aber das eine fordere ich von dir: Du gibst alles her-aus, was du dem Toten abgenommen hast.“

Er lächelte überlegen.

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„Meinst du wirklich, dass ich das tue?“„Ich meine es.“„So nimm dir, was du haben willst!“Er zuckte mit der Hand, um nach dem Revolver zu grei-

fen; schnell aber hielt ich ihm die Mündung des meinigenentgegen.

„Halt, oder ich schieße!“Es war jedenfalls eine sehr eigentümliche Situation, in

der ich mich befand. Glücklicherweise aber schien meinGegner mehr Verschlagenheit als Mut zu besitzen. Er zogdie Hand wieder zurück und schien unentschlossen zuwerden.

„Was willst du mit den Sachen tun?“„Ich werde sie den Verwandten des Toten zurückgeben.“Es war fast eine Art von Mitleid, mit der er mich jetzt

ansah.„Du lügst. Du willst sie für dich behalten!“„Ich lüge nicht.“„Und was wirst du gegen mich unternehmen?“„Jetzt nichts; aber hüte dich, mir jemals wieder zu be-

gegnen!“„Du reitest wirklich von hier nach Seddada?“„Ja.“„Und wenn ich dir die Sachen gebe, wirst du mich und

meinen Gefährten ungehindert nach dem Bir Sauidi ge-hen lassen?“

„Ja.“„Du versprichst es mir?“„Ja.“„Beschwöre es!“„Ein Giaur schwört nie, sein Wort ist auch ohne Schwur

die Wahrheit.“„Herr, nimm das Drehgewehr, die Uhr, den Kompass

und das Tuch.“„Was hatte er noch bei sich?“„Nichts.“

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„Er hatte Geld.“„Das werde ich behalten.“„Ich habe nichts dagegen; aber gib mir den Beutel oder

die Börse, in der es sich befand.“„Du sollst sie haben.“Er griff in seinen Gürtel und zog eine gestickte Perlen-

börse hervor, die er leerte und mir dann reichte.„Weiter hatte er nichts bei sich?“„Nein. Willst du mich aussuchen?“„Nein.“„So können wir gehen?“„Ja.“Er schien sich jetzt noch leichter zu fühlen als vorhin; sein

Begleiter aber war ganz sicher ein furchtsamer Mensch, dersehr froh war, auf diese Weise davonzukommen. Sie nahmenihre Habseligkeiten zusammen und bestiegen ihre Pferde.

„Es selâm ’alejkum!“Ich antwortete nicht und sie nahmen diese Unhöflich-

keit sehr gleichgültig hin.In wenigen Augenblicken waren sie hinter dem Rand

des Wadi-Ufers verschwunden.Halef hatte bis jetzt kein einziges Wort gesprochen, nun

brach er sein Schweigen.„Sihdi!“„Was?“„Darf ich dir etwas sagen?“„Ja.“„Kennst du den Strauß?“„Ja.“„Weißt du, wie er ist?“„Nun?“„Dumm, sehr dumm.“„Weiter!“„Verzeih mir, Sihdi, aber du kommst mir noch schlim-

mer vor als der Strauß.“„Warum?“

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„Weil du diese Schurken laufen lässt.“„Ich kann sie nicht halten und auch nicht töten.“„Warum nicht? Hätten sie einen Rechtgläubigen ermor-

det, so kannst du dich darauf verlassen, dass ich sie zumSchejtan1 geschickt hätte. Da es aber ein Giaur ist, so istes mir sehr gleichgültig, ob sie Strafe finden oder nicht.Du aber bist ein Christ und lässt die Mörder eines Chris-ten entkommen!“

„Wer sagt dir, dass sie entkommen werden?“„Sie sind ja bereits fort! Sie werden den Bir Sauidi errei-

chen und von da nach Debila und El Uëd gehen, um inder Areg2 zu verschwinden.“

„Das werden sie nicht.“„Was sonst? Sie sagten ja, dass sie nach Bir Sauidi gehen

werden.“„Sie logen. Sie werden nach Seddada gehen.“„Wer sagte es dir?“„Meine Augen.“„Allah segne deine Augen, mit denen du die Stapfen im

Sand betrachtest. So wie du kann nur ein Ungläubigerhandeln. Aber ich werde dich schon noch zum rechtenGlauben bekehren, du magst wollen oder nicht!“

„Dann nenne ich mich einen Pilger, ohne in Mekka ge-wesen zu sein.“

„Sihdi –! Du hast mir versprochen, das nicht zu sagen!“„Ja, solange du mich nicht bekehren willst!“„Du bist der Herr“, seufzte der Kleine, „und ich muss es

mir gefallen lassen. Aber was tun wir jetzt?“„Wir sorgen zunächst für unsere Sicherheit. Hier kön-

nen wir leicht von einer Kugel getroffen werden. Wirmüssen uns überzeugen, ob diese beiden Schurken auchwirklich fort sind.“

Ich erstieg den Rand der Schlucht und sah allerdingsdie beiden Reiter in bereits sehr großer Entfernung vonuns auf Südwest zuhalten. Halef war mir gefolgt.

1 Teufel 2 Gebiet der Dünen

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„Dort reiten sie“, meinte er. „Das ist die Richtung nachBir Sauidi.“

„Wenn sie sich weit genug entfernt haben, werden siesich nach Osten wenden.“

„Wenn sie das täten, müssten sie uns ja wieder in dieHände kommen!“

„Sie meinen, dass wir erst morgen aufbrechen, und glau-ben also, einen guten Vorsprung vor uns zu erlangen.“

„Du rätst und wirst doch das Richtige nicht treffen.“„Meinst du? Sagte ich dir nicht da oben, dass eins ihrer

Pferde den Hahnentritt habe?“„Ja, das sah ich, als sie davonritten.“„So werde ich auch jetzt Recht haben, wenn ich sage,

dass sie nach Seddada gehen.“„Warum folgen wir ihnen nicht sofort?„Wir kämen ihnen sonst zuvor, da wir den geraden Weg

haben; dann würden sie auf unsere Spur stoßen und sichhüten, mit uns wieder zusammenzutreffen.“

„Lass uns also wieder zum Wasser gehen und ruhen, bises Zeit zum Aufbruch ist.“

Wir stiegen wieder hinab. Ich streckte mich auf meine amBoden ausgebreitete Decke aus, zog das Ende meines Tur-bans als Schleier über das Gesicht und schloss die Augen,nicht um zu schlafen, sondern um über unser letztes Aben-teuer nachzudenken. Aber wer vermag es, in der fürchterli-chen Glut der Sahara seine Gedanken längere Zeit mit eineran sich schon unklaren Sache zu beschäftigen? Ich schlum-merte wirklich ein und mochte über zwei Stunden geschla-fen haben, als ich wieder erwachte. Wir brachen auf.

Das Wadi Tarfaui mündet in den Schott Rharsa; wirmussten es also nun verlassen, wenn wir, nach Osten zu,Seddada erreichen wollten.

Nach Verlauf von vielleicht einer Stunde trafen wir aufdie Spur zweier Pferde, die von West nach Ost führte.

„Nun Halef, kennst du diese Asar1?“

1 Fährte

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„Maschallah, du hattest Recht, Sihdi! Sie gehen nachSeddada.“

Ich stieg ab und untersuchte die Eindrücke.„Sie sind erst vor einer halben Stunde hier vorüber-

gekommen. Lass uns langsamer reiten, sonst sehen sie unshinter sich.“

Die Ausläufer des Dschebel Tarfaui senkten sich allmäh-lich in die Ebene hernieder, und als die Sonne untergingund nach kurzer Zeit der Mond emporstieg, sahen wirSeddada zu unseren Füßen liegen.

„Reiten wir hinab?“, fragte Halef.„Nein. Wir schlafen unter den Oliven dort am Abhang

des Berges.“Wir bogen ein wenig von unserer Richtung ab und fan-

den unter den Ölbäumen einen prächtigen Platz zumNachtlager. Wir waren beide an das heulende Bellen desSchakals, an das Gekläff des Fennek und an die tieferenTöne der schleichenden Hyäne gewöhnt und ließen unsvon diesen nächtlichen Lauten nicht im Schlaf stören. Alswir erwachten, war es mein Erstes, die gestrige Fährte wie-der aufzusuchen. Ich war überzeugt, dass sie mir hier inder Nähe eines bewohnten Ortes nicht mehr von Nutzensein würde, fand aber zu meiner Überraschung, dass sienicht nach Seddada führte, sondern nach Süden bog.

„Warum sind sie nicht dort hinabgeritten?“, fragte Halef.„Um sich nicht sehen zu lassen. Ein verfolgter Mörder

muss vorsichtig sein.“„Aber wohin gehen sie denn?“„Jedenfalls nach Kris, um über den Schott el Dscherid

zu reiten. Dann haben sie Algerien hinter sich und sind inleidlicher Sicherheit.“

„Wir sind doch bereits in Tunesien. Die Grenze gehtvom Bir el Khalla zum Bir Auidi über den Schott Rharsa.“

„Das kann solchen Leuten noch nicht genügen. Ich wet-te, dass sie über Fessan nach den Kufra-Oasen reiten, dennerst dort sind sie vollständig sicher.“

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„Sie sind auch hier bereits sicher, wenn sie ein Bujrultu 1

des Sultans haben.“„Das würde ihnen einem Konsul oder Polizeibeamten

gegenüber nicht viel nützen.“„Meinst du? Ich möchte es keinem raten, gegen das

mächtige ‚Padyschahyn gölgeßinde‘2 zu sündigen!“„So sprichst du, obwohl du ein freier Araber sein willst?“„Ja. Ich habe in Ägypten gesehen, was der Großherr ver-

mag; aber in der Wüste fürchte ich ihn nicht. Werden wirjetzt nach Seddada gehen?“

„Ja, um Datteln zu kaufen und einmal gutes Wasser zutrinken. Dann aber setzen wir den Weg fort.“

„Nach Kris?“„Nach Kris.“Bereits eine Viertelstunde später hatten wir uns mit dem

Nötigen versehen und folgten dem Reitweg, der vonSeddada nach Kris führt. Zu unserer Linken glänzte dieFläche des Schott el Dscherid zu uns herauf, ein Anblick,den ich vollständig auskosten wollte.

1 Reisepass 2 Wörtlich: „Im Schatten des Padyschah“

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2. Ein Todesritt

Die Sahara ist ein großes, noch immer nicht gelöstesRätsel. Schon seit Virlet d’Aoust im Jahr 1845 besteht dasProjekt, einen Teil der Wüste in ein Meer und dadurchdie anliegenden Gebiete in fruchtbares Land zu verwan-deln und so auch die Bewohner dieser Strecken dem Fort-schritt der Zivilisation näher zu bringen. Ob aber dieses Pro-jekt ausführbar und dann von den beabsichtigten Erfolgengekrönt sein wird, darüber lässt sich noch immer streiten.

Am Fuß des Südabhangs des Dschebel Aures und deröstlichen Fortsetzung dieser Bergmasse, also des Dra elHaua, Dschebel Tarfaui, Dschebel Situna und DschebelHadifa, dehnt sich eine einheitliche unübersehbare, hierund da leicht gewellte Ebene aus, deren tiefste Stellen mitSalzkrusten und Salzauswitterungen bedeckt sind, die alsÜberreste einstiger großer Binnengewässer im algerischenTeil den Namen Schott und im tunesischen Teil den Na-men Sobha oder Sebcha führen. Die Grenze dieses eigen-tümlichen und hochinteressanten Gebietes bilden im Wes-ten die Ausläufer des Beni-Msab-Plateau, im Osten dieLandenge von Gabes und im Süden die Dünenregion vonSsuf und Nifsaua nebst dem lang gestreckten DschebelTebega. Vielleicht ist unter dieser Einsenkung der Golfvon Triton zu verstehen, von dem Herodot, der Vater derGeschichtsschreibung, berichtet.

Außer einer großen Anzahl kleiner Sümpfe, die im Som-mer ausgetrocknet sind, besteht dieses Gebiet aus drei grö-ßeren Salzseen, nämlich von West nach Ost verfolgt, ausdem Schotts Melghir, Rharsa und Dscherid, von denender letztgenannte auch mit El Kebir 1 bezeichnet wird.Diese drei Becken bilden eine Zone, deren westliche Hälftetiefer liegt als das Mittelmeer bei Gabes zur Zeit der Ebbe.

Die Einsenkung des Schottgebiets ist heutzutage zumgroßen Teil mit Sandmassen gefüllt und nur in der Mitte

1 Der Große

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der einzelnen Bassins hat sich eine ziemlich beträchtlicheWassermasse erhalten, die durch ihr Aussehen den arabi-schen Schriftstellern und Reisenden Veranlassung gab, siebald mit einem Kampferteppich oder einer Kristalldecke,bald mit einer Silberplatte oder der Oberfläche geschmol-zenen Metalls zu vergleichen. Dieses Aussehen erhaltendie Schotts durch die Salzkruste, mit der sie bedeckt sindund deren Dicke sehr verschieden ist, sodass sie zwischenzehn und höchstens zwanzig Zentimetern schwankt. Nuran einzelnen Stellen ist es möglich, sich ohne Lebensge-fahr auf sie zu wagen. Wehe dem, der auch nur eine Hand-breit von dem schmalen Pfad abweicht! Die Kruste gibtnach, und der Abgrund verschlingt augenblicklich seinOpfer. Unmittelbar über dem Kopf des Versinkendenschließt sich alsbald die Decke wieder. Die schmalen Fur-ten, die über die Salzdecke der Schotts führen, werdenbesonders in der Regenzeit höchst gefährlich, weil derRegen die vom Flugsand überdeckte Kruste bloßlegt undauswäscht.

Das Wasser dieser Schotts ist grün und dickflüssig undbei weitem salziger als das des Meeres. Ein Versuch, dieTiefe des Abgrunds unter ihnen zu messen, würde desGeländes halber zu keinem Resultat führen, doch darf wohlangenommen werden, dass keiner der Salzmoräste tieferals fünfzig Meter ist. Die eigentliche Gefahr beim Einbre-chen durch die Salzdecke ist bedingt durch die Masseneines flüssigen, beweglichen Sandes, der unter der hell-grünen Wasserschicht schwimmt und ein Produkt derjahrtausendelangen Arbeit des Samûms ist, der den Sandaus der Wüste in das Wasser trieb.

Schon die ältesten arabischen Geografen, wie Ibn Dschu-bair, Ibn Battûta, el Bekri, el Istachri und Ibn el Wardi,stimmen in der Gefährlichkeit dieser Schotts für die Rei-senden überein. Der Dscherid verschlang schon Tausendevon Kamelen und Menschen, die in seiner Tiefe spurlosverschwanden. Im Jahr 1826 musste eine Karawane, die

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aus mehr als tausend Lastkamelen bestand, den Schottüberschreiten. Ein unglücklicher Zufall brachte dasLeitkamel, das an der Spitze des Zuges schritt, vom schma-len Weg ab. Es verschwand im Abgrund des Schotts undihm folgten alle anderen Tiere, die rettungslos in der zähen,seifigen Masse verschwanden. Kaum war die Karawaneverschwunden, so nahm die Salzdecke wieder ihre frühereGestalt an und nicht die kleinste Veränderung, das min-deste Anzeichen verriet den grässlichen Unglücksfall. Einsolches Vorkommnis könnte unmöglich erscheinen, aberum es zu glauben, muss man sich nur vergegenwärtigen,dass jedes Kamel gewohnt ist, dem voranschreitenden, mitdem es ja meist auch durch Stricke verbunden ist, blindund unbedingt zu folgen und dass der Pfad über die Schottsoft so schmal ist, dass es einem Tier oder gar einer Kara-wane ganz unmöglich wird, wieder umzukehren.

Der Anblick dieser tückischen Flächen, unter denen derTod lauert, erinnert an einzelnen Stellen an den bläulichschillernden Spiegel geschmolzenen Bleis. Die Kruste istzuweilen hart und durchsichtig wie Flaschenglas und klingtbei jedem Schritt wie der Boden der Solfatara bei Neapel;meist aber bildet sie eine weiche, breiige Masse, die voll-ständig sicher zu sein scheint, aber doch nur so viel Fes-tigkeit besitzt, um einen leichten Anflug von Sand zu tra-gen.

Den Führern dienen kleine, hier und da aufgehäufteSteine als Wegzeichen. Früher gab es auf dem Schott ElKebir auch eingesteckte Palmenäste. Der Ast der Dattel-bäume heißt Dscherid und diesem Umstand hat der Schottseinen zweiten Namen zu verdanken. Die Steinhäufchenheißen ‚Gmaïr‘ und auch sie fehlen an solchen Punkten,wo auf mehrere Meter Länge der Boden von einer denPferden bis an die Brust reichenden Wasserfläche bedecktwird.

Die Kruste der Schotts bildet übrigens nicht etwa eineeinheitliche, flache Ebene, sondern zeigt im Gegenteil

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Wellen, die selbst dreißig Meter Höhe erreichen. Die Käm-me dieser Bodenwellen bilden eben die Furten, die vonden Karawanen benutzt werden, und zwischen ihnen, inden tiefer liegenden Stellen, lauert das Verderben. Dochgerät schon bei einem mäßigen Wind die Salzdecke in eineschwingende Bewegung und lässt das Wasser aus einzel-nen Öffnungen und Löchern mit der Macht einer Quellehervorbrechen.

Also diese freundlich glitzernde, aber trügerische Flächelag zu unserer Linken, als wir den Weg nach Kris verfolg-ten, von wo aus eine Furt über den Schott nach Fetnassaauf der gegenüberliegenden Halbinsel Nifsaua führt. Halefstreckte die Hand aus und deutete hinab.

„Siehst du den Schott, Sihdi?“„Ja.“„Bist du schon einmal über den Schott geritten?“„Nein.“„So danke Allah, denn vielleicht wärst du sonst bereits

zu deinen Vätern versammelt! Und wir wollen wirklichhinüber?“

„Allerdings.“„B’ism’illah, in Gottes Namen! Mein Freund Sadek wird

wohl noch am Leben sein.“„Wer ist das?“„Mein Bruder Sadek ist der berühmteste Führer über

den Schott el Dscherid, er hat noch niemals einen falschenSchritt getan. Er gehört zum Stamm der Merasi und ist inMui Hamed geboren, lebt aber mit seinem Sohn, der einwackerer Krieger ist, in Kris. Er kennt den Schott wie keinZweiter und er ist es ganz allein, dem ich dich anvertrau-en möchte, Sihdi. Reiten wir direkt nach Kris?“

„Wie weit haben wir noch dorthin?“„Etwas über eine Stunde.“„So biegen wir jetzt nach Westen ab. Wir müssen sehen,

ob wir eine Spur der Mörder finden.“„Du meinst wirklich, dass sie auch nach Kris gegangen sind?“

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„Auch sie haben jedenfalls im Freien ihr Lager gehaltenund werden bereits vor uns sein, um über den Schott zugehen.“

Wir verließen den bisherigen Weg und eilten nach Wes-ten. In der Nähe des Pfades fanden wir viele Spuren, diewir zu überqueren hatten; dann aber wurden sie wenigerzahlreich und hörten endlich ganz auf. Da schließlich, woder Reitpfad nach El Hamma führt, erblickte ich die Fährtezweier Pferde im Sand, und nachdem ich sie gehörig ge-prüft hatte, gelangte ich zu der Überzeugung, dass es diegesuchte sei. Wir folgten ihr bis in die Nähe von Kris, wosie sich im breiten Weg verlor. Ich hatte also die Gewissheit,dass sich die Mörder hier befanden.

Halef war nachdenklich geworden.„Sihdi, soll ich dir etwas sagen?“, meinte er. „Es ist doch

gut, wenn man im Sand lesen kann.“„Es freut mich, dass du zur Erkenntnis kommst. Doch

da ist Kris! Wo ist die Wohnung deines Freundes Sadek?“„Folge mir!“Er ritt um den Ort, der aus einigen unter Palmen lie-

genden Zelten und Hütten bestand, bis zu einer Gruppevon Mandelbäumen, in deren Schutz eine breite, niedereHütte lag, aus der bei unserem Anblick ein Araber tratund meinem kleinen Halef freudig entgegeneilte.

„Sadek, mein Bruder, du Liebling der Kalifen!“„Halef, mein Freund, du Gesegneter des Propheten!“Dann wandte sich der Araber zu mir:„Verzeih, dass ich dich vergaß! Trete ein in mein Haus,

es ist das eurige!“Wir folgten seiner Einladung. Er war allein und bot uns

allerhand Erfrischungen an, denen wir fleißig zusprachen.Jetzt glaubte Halef die Zeit gekommen, mich seinemFreund vorzustellen.

„Das ist Kara Ben Nemsi, ein großer Alim aus dem Abend-land, der mit den Vögeln redet und im Sand lesen kann.Wir haben schon viele große Taten vollbracht, ich bin sein

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Freund und Diener und soll ihn zum wahren Glaubenbekehren.“

Der brave Mensch hatte mich einmal nach meinemNamen gefragt und wirklich das Wort Karl im Gedächt-nis behalten. Da er es aber nicht auszusprechen vermoch-te, so machte er rasch entschlossen ein Kara daraus undsetzte Ben Nemsi, Nachkomme der Deutschen, hinzu. Woich mit den Vögeln geredet hatte, konnte ich mich leidernicht entsinnen; jedenfalls sollte mich diese Behauptungebenbürtig an die Seite des weisen Salomo stellen, der jaauch die Gabe gehabt haben soll, mit den Tieren zu spre-chen. Auch von den großen Taten, die wir vollbracht ha-ben sollten, wusste ich weiter nichts, als dass ich einmalim Gestrüpp hängen geblieben und dabei gemächlich vonmeinem kleinen Berbergaul gerutscht war, der diese Gele-genheit dann benutzte, einmal mit mir Haschen zu spie-len. Der Glanzpunkt von Halefs Rede war nun allerdingsdie Behauptung, dass ich mich von ihm bekehren lassenwolle. Er verdiente dafür eine Zurechtweisung, daher fragteich Sadek:

„Kennst du den ganzen Namen deines Freundes Halef?“„Ja.“„Wie lautet er?“„Er lautet Hadschi Halef Omar.“„Das ist nicht genug. Er lautet Hadschi Halef Omar Ben

Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah.Du hörst also, dass er zu einer frommen, verdienstvollenFamilie gehört, deren Glieder alle Hadschi waren, ob-gleich...“

„Sihdi“, unterbrach mich Halef mit einer ganz unbe-schreiblichen Gebärde des Schreckens, „sprich nicht vonden Verdiensten deines Dieners! Du weißt, dass ich dirstets gern gehorchen werde.“

„Ich hoffe es, Halef. Du sollst nicht von dir und mir spre-chen; frage lieber deinen Freund Sadek, wo sich sein Sohnbefindet, von dem du mir erzählt hast!“

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„Hat er wirklich von ihm gesprochen, Effendi?“, fragteder Araber. „Allah segne dich, Halef, dass du derer ge-denkst, die dich lieben! Omar Ben Sadek, mein Sohn, istüber den Schott nach Seftimi gegangen und wird nochheute wiederkehren.“

„Auch wir wollen über den Schott und du sollst uns füh-ren“, meinte Halef.

„Ihr? Wann?“„Noch heute.“„Wohin, Effendi?“„Nach Fetnassa. Wie ist der Weg hinüber?“„Gefährlich, sehr gefährlich. Es gibt nur zwei wirklich

sichere Wege hinüber an das jenseitige Ufer, nämlich ElToserija zwischen Toser und Fetnassa und Es Suida zwi-schen Nefta und Sarsin. Der Weg von hier nach Fetnassaaber ist der allerschlimmste, und nur zwei gibt es, die ihngenau kennen; das bin ich und Arfan Rakedîm hier inKris.“

„Kennt dein Sohn den Weg nicht auch?“„Ja.“„Wenn wir am Mittag aufbrechen, bis wann sind wir in

Fetnassa?“„Vor Anbruch des Morgens, wenn deine Tiere gut sind.“„Du gehst auch während der Nacht über den Schott?“„Wenn der Mond leuchtet, ja. Ist es aber dunkel, so

übernachtet man auf dem Schott, und zwar da, wo dasSalz so dick ist, dass es das Lager tragen kann.“

„Willst du uns führen?“„Gern, Effendi.“„So lass uns zunächst den Schott besehen!“„Du hast noch keinen Schott überschritten?“„Nein.“„So komm! Du sollst den Sumpf des Todes sehen, den

Ort des Verderbens, das Meer des Schweigens, über dasich dich mit sicherem Schritt hinwegführen werde.“

Wir verließen die Hütte und wandten uns nach Osten.

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Nachdem wir einen breiten, sumpfigen Rand überschrit-ten hatten, gelangten wir an das eigentliche Ufer desSchott, dessen Wasser vor der Salzkruste, die es deckte,nicht zu sehen war. Ich stach mit meinem Messer hindurchund fand das Salz vierzehn Zentimeter dick. Dabei war esso hart, dass es einen mittelstarken Mann zu tragen ver-mochte. Es wurde verhüllt von einer dünnen Lage vonFlugsand, der an vielen Stellen weggeweht war, die dannin bläulichweißem Schimmer erglänzten.

Noch während ich mit dieser Untersuchung beschäftigtwar, ertönte hinter uns eine Stimme:

„Es selâm ’alejkum!“Ich wandte mich um. Vor uns stand ein schlanker,

krummbeiniger Beduine, dem irgendeine Krankheit oderwohl auch ein Schuss die Nase weggenommen hatte.

„We ’alejkum es selâm!“, antwortete Sadek. „Was tut meinBruder Arfan Rakedîm hier am Schott? Er trägt die Reise-kleider. Will er fremde Wanderer über die Sobha führen?“

„So ist es“, antwortete der Gefragte. „Zwei Männer sindes, die gleich kommen werden.“

„Wohin wollen sie?“„Nach Fetnassa.“Der Mann war also der andere Führer, von dem Sadek

gesprochen hatte. Er deutete jetzt auf mich und Halef undfragte:

„Wollen diese Fremdlinge auch über den See?“„Ja.“„Wohin?“„Auch nach Fetnassa.“„Und du sollst sie führen?“„Du errätst es.“„Sie können gleich mit mir gehen, dann ersparst du dir

die Mühe.“„Es sind Freunde, die mir keine Mühe machen werden.“„Ich weiß es: Du bist geizig und gönnst mir nichts. Hast

du mir nicht stets die reichsten Reisenden weggefangen?“

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„Ich fange keinen weg; ich führe nur die Leute, die frei-willig zu mir kommen.“

„Warum ist Omar, dein Sohn, Führer nach Seftimi ge-worden? Ihr nehmt mir mit Gewalt das Brot hinweg, da-mit ich verhungern soll. Allah aber wird euch strafen undeure Schritte so lenken, dass euch der Schott verschlingenwird.“

Es mochte sein, dass die Konkurrenz hier eine Feind-schaft entwickelt hatte, aber dieser Mann besaß überhauptkeine guten Augen, und so viel war sicher, dass ich michihm nicht gern anvertraut hätte. Er wandte sich von unsund schritt am Ufer hin, wo in einiger Entfernung die bei-den Reiter erschienen, die er führen sollte. Es waren diebeiden Männer, die wir in der Wüste getroffen und dannverfolgt hatten.

„Sihdi“, rief Halef. „Kennst du sie?“„Ich kenne sie.“„Wollen wir sie ruhig ziehen lassen?“Er hob bereits das Gewehr. Ich hinderte ihn.„Lass! Sie werden uns nicht entgehen.“„Wer sind die Männer?“, fragte unser Führer.„Mörder“, antwortete Halef.„Haben sie jemand aus deiner Familie oder aus deinem

Stamm getötet?“„Nein.“„Hast du über Blut mit ihnen zu rechten?“„Nein.“„So lass sie ruhig ziehen! Es taugt nicht, sich in fremde

Händel zu mischen.“Der Mann sprach als ein echter Beduine. Er hielt es nicht

einmal für nötig, die Männer, die ihm als Mörder geschil-dert worden waren, mit einem Blick zu betrachten. Auchsie hatten uns bemerkt und erkannt. Ich sah, wie sie sichbeeilten, auf die Salzdecke zu kommen. Als dies gesche-hen war, hörten wir ein verächtliches Lachen, mit dem sieuns den Rücken kehrten.

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Wir gingen in die Hütte zurück, ruhten noch bis Mittagaus, versahen uns dann mit dem nötigen Proviant und tra-ten die gefährliche Wanderung an.

Ich habe auf fremden, unbekannten Strömen zur Winters-zeit mit Schneeschuhen meilenweite Strecken zurückgelegtund musste jeden Augenblick gewärtig sein, einzubrechen,habe aber dabei niemals die Empfindung wahrgenommen,die mich beschlich, als ich jetzt den heimtückischen Schottbetrat. Es war nicht etwa Furcht oder Angst, sondern mochteungefähr das Gefühl eines Seiltänzers sein, der nicht genauweiß, ob das Tau, welches ihn trägt, auch gehörig befestigtworden ist. Statt des Eises eine Salzdecke – das war mirmehr als neu. Der eigentümliche Klang, die Farbe, die kris-tallische Struktur dieser Kruste – das alles erschien mir zufremd, als dass ich mich hätte sicher fühlen können. Ichprüfte bei jedem Schritt und suchte nach sicheren Merk-malen für die Festigkeit unseres Fußbodens. Stellenweisewar er so hart und glatt, dass man Schlittschuhe hätte be-nutzen können, dann aber hatte er wieder das schmut-zige, lockere Gefüge von niedergetautem Schnee und ver-mochte nicht die geringste Last zu tragen.

Erst nachdem ich mich über das so Ungewohnte eini-germaßen orientiert hatte, stieg ich zu Pferd, um mich nebendem Führer noch zugleich auf den Instinkt meines Tieres zuverlassen. Der kleine Hengst schien nicht zum ersten Maleinen solchen Weg zu machen. Er trabte, wo Sicherheitvorhanden war, höchst wohlgemut los und zeigte dann, wennsein Vertrauen erschüttert war, einen sicheren Instinkt fürdie besten Stellen des oft nur fußbreiten Pfades. Er legtedann die Ohren vor oder zurück, beschnupperte denBoden, schnaubte zweifelnd oder überlegend und triebdie Vorsicht mehrmals so weit, eine zweifelhafte Stelleerst durch einige Schläge mit dem Vorderhuf zu prüfen.

Der Führer schritt voran, ich folgte ihm und hinter mirritt Halef. Der Weg nahm unsere Aufmerksamkeit so inAnspruch, dass nur wenig gesprochen wurde. So waren

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wir bereits über drei Stunden unterwegs, als sich Sadek zumir wandte:

„Nimm dich in Acht, Sihdi! Jetzt kommt die schlimmsteStelle des ganzes Weges.“

„Warum schlimm?“„Der Pfad geht oft durch hohes Wasser und wird dabei

auf eine lange Streckte so schmal, dass man ihn mit zweiHänden bedecken kann.“

„Bleibt der Boden stark genug?“„Ich weiß es nicht genau, die Stärke unterliegt oft gro-

ßen Veränderungen.“„So werde ich absteigen, um die Last zu halbieren.“„Effendi, tu das nicht! Dein Pferd geht sicherer als du.“Hier war der Führer Herr und Meister, ich gehorchte

ihm also und blieb sitzen. Doch noch heute denke ich mitSchaudern an die zehn Minuten, die nun folgten; zehnMinuten nur, aber unter solchen Verhältnissen wahrhafteine Ewigkeit.

Wir hatten ein Gelände erreicht, auf dem Tal und Hü-gel wechselten. Die wellenförmigen Erhebungen bestan-den zwar aus hartem, haltbarem Salz, die Talmulden aberaus einer zähen, breiartigen Masse, in der sich nur einzel-ne schmale Punkte befanden, auf denen Mensch und Tiernur unter höchster Aufmerksamkeit und mit der größtenGefahr zu fußen vermochten. Und dabei ging mir, obwohlich auf dem Pferd saß, das grüne Wasser oft bis an dieOberschenkel, sodass die Stellen, auf denen man sicherwar, erst unter der Flut gesucht werden mussten. Dabeiwar das Allerschlimmste, dass der Führer und dann wie-der auch die Tiere, diese Stellen erst prüfen mussten, ehesie sich mit dem ganzen Gewicht darauf wagen konnten.Und doch war dieser Halt so gering, so trügerisch undverräterisch, dass man keinen Augenblick zu lange daraufverweilen durfte, wenn man nicht versinken wollte – eswar fürchterlich.

Jetzt kamen wir an eine Stelle, die uns auf wohl zwanzig

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Meter Länge kaum einen zehn Zoll breiten, halbwegs zu-verlässigen Pfad bot.

„Effendi, aufgepasst! Wir stehen mitten im Tode“, riefder Führer. Er wandte sich während des Forttastens mitdem Gesicht nach Morgen und betete nun mit lauter Stim-me die heilige Fâtiha:

„Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Lob und Preissei Gott, dem Weltherrn, dem Allerbarmer, der da herrschetam Tage des Gerichts. Wir wollen dir dienen und zu dirwollen wir flehen, auf dass du uns führest den rechten Wegderer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Wegderer, über die...“

Halef war hinter mir in das Gebet eingefallen, plötzlichaber verstummten beide zu gleicher Zeit – zwischen denzwei nächsten Wellenhügeln hervor fiel ein Schuss. DerFührer warf beide Arme empor, stieß einen unartikulier-ten Schrei aus, trat fehl und war im nächsten Augenblickunter der Salzdecke verschwunden, die sich sofort wiederüber ihm schloss.

In solchen Augenblicken erhält der menschliche Geisteine Spannkraft, die ihm eine ganze Reihe von Gedankenund Schlüssen, zu denen sonst Viertelstunden oder garStunden gehören, mit der Schnelligkeit des Blitzes undtagesheller Deutlichkeit zum Bewusstsein bringt. Noch warder Schuss nicht verhallt und der Führer nicht ganz ver-sunken, so wusste ich bereits alles. Die beiden Mörderwollten ihre Ankläger verderben; sie hatten ihren Führerumso leichter gewonnen, als dieser auf den unsrigen eifer-süchtig war. Sie brauchten uns gar kein Leid zu tun; wennsie unseren Führer töteten, waren wir unbedingt verloren.Sie lauerten also hier bei der gefährlichsten Stelle des gan-zen Weges und schossen Sadek nieder. Nun brauchten sienur zuzusehen, wie wir versanken.

Dass Sadek von der Kugel in den Kopf getroffen war,merkte ich trotz der Schnelligkeit, mit der alles geschah.Hatte die durchfahrende Kugel auch mein Pferd gestreift

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oder war es der Schreck über den Schuss? Der kleineBerberhengst zuckte heftig zusammen, verlor hinten denHalt und brach ein.

„Sihdi!“, brüllte hinter mir Halef in unbeschreiblicherAngst.

Ich war verloren, wenn mich nicht eins rettete: Nochwährend das Pferd im Versinken war und sich mit denVorderhufen vergeblich anzuklammern suchte, stützte ichdie beiden Hände auf den Sattelknopf, warf die Beine hin-ten in die Luft empor und schlug eine Volte über den Kopfdes armen Pferdes hinweg, das durch den hierbei ausge-übten Druck augenblicklich unter den Salzboden gedrücktwurde. In dem Augenblick, in dem ich durch die Luft flog,hat Gott das inbrünstigste Gebet meines ganzen Lebensgehört.

Ich bekam festen Boden, er wich aber augenblicklichunter mir; halb schon im Versinken, fußte ich wieder undraffte mich empor; ich sank und erhob mich, ich strau-chelte, ich trat fehl, ich fand dennoch Grund; ich wurdehinabgerissen und kam dennoch vorwärts und ging den-noch nicht unter; ich hörte nichts mehr, ich fühlte nichtsmehr, ich sah nichts mehr als nur die drei Männer dort ander Salzwelle, von denen zwei mit angeschlagenem Ge-wehr mich erwarteten.

Da, da endlich hatte ich festen Boden unter den Füßen,festen, breiten Boden, zwar auch nur Salz, aber es trugmich sicher. Zwei Schüsse krachten – Gott wollte, dassich noch leben sollte; ich war gestolpert und niedergestürzt,die Kugeln pfiffen an mir vorüber. Ich trug meine Geweh-re noch auf dem Rücken; es war ein Wunder, dass ich sienicht verloren hatte; aber ich dachte jetzt gar nicht an sie,sondern warf mich gleich mit geballten Fäusten auf dieSchurken. Sie erwarteten mich nicht einmal. Der Führerfloh; der Ältere der beiden wusste, dass er ohne Führerverloren war, und folgte ihm augenblicklich; ich fasste nurden Jüngeren. Er riss sich los und sprang davon, ich blieb

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hart hinter ihm. Ihm blendete die Angst und mir der Zorndie Augen; wir achteten nicht darauf, wohin uns unser Laufführte – er stieß einen entsetzlichen, heiseren Schrei ausund ich warf mich sofort zurück. Er verschwand unter demsalzigen Gischt und ich stand kaum dreißig Zoll vor sei-nem heimtückischen Grab.

Da ertönte hinter mir ein angstvoller Ruf.„Sihdi, Hilfe, Hilfe!“Ich wandte mich um. Gerade an der Stelle, wo ich fes-

ten Fuß gefasst hatte, kämpfte Halef um sein Leben. Erwar zwar eingebrochen, hielt sich aber an der dort zumGlück sehr starken Salzkruste noch fest. Ich sprang hinzu,riss die Büchse herab und hielt sie ihm entgegen.

„Fass den Riemen!“„Ich habe ihn, Sihdi! O Allah, Allah!“„Wirf die Beine empor, ich kann nicht ganz hin zu dir.

Halt aber fest!“Er wandte seine letzte Kraft an, um seinen Körper in die

Höhe zu schnellen; ich zog zu gleicher Zeit scharf an undes gelang – er lag auf der sicheren Decke des Sumpfes.Kaum hatte er Atem geschöpft, so erhob er sich auf dieKnie und betete die vierundsechzigste Sure:

„Alles, was im Himmel und auf Erden ist, preiset Gott;sein ist die Herrschaft und ihm gehört das Lob, denn er istaller Dinge mächtig!“

Er, der Moslem, betete; ich aber, der Christ, ich konntenicht beten, ich konnte keine Worte finden, wie ich auf-richtig gestehe. Hinter mir lag die fürchterliche Salzflächeso ruhig, so bewegungslos, so gleißend, und doch hatte sieunsere beiden Tiere, und doch hatte sie unseren Führerverschlungen, und vor uns sah ich den Mörder entkom-men, der dies alles verschuldet hatte! Jede Faser zucktein mir und es dauerte eine geraume Weile, bis ich ruhigwurde.

„Sihdi, bist du verwundet?“„Nein. Aber auf welche Weise hast du dich gerettet?“

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„Ich sprang vom Pferd, ganz so wie du, Sihdi. Und wei-ter weiß ich nichts. Ich konnte erst dann wieder denken,als ich dort am Rand hing. Aber wir sind nun dennochverloren.“

„Warum?“„Wir haben keinen Führer. O Sadek, Freund meiner

Seele, dein Geist wird mir verzeihen, dass ich schuld andeinem Tod bin. Aber ich werde dich rächen, das schwöreich dir beim Bart des Propheten; rächen werde ich dich,wenn ich nicht hier verderbe.“

„Du wirst nicht verderben, Halef.“„Wir werden verderben, wir werden verhungern und

verdursten.“„Wir werden einen Führer haben.“„Wen?“„Omar, den Sohn Sadeks.“„Wie soll er uns hier finden?“„Hast du nicht gehört, dass er nach Seftimi gegangen ist

und heute wieder zurückkehren wird?“„Er wird uns dennoch nicht finden.“„Er wird uns finden. Sagte nicht Sadek, dass der Weg

nach Seftimi und nach Fetnassa auf zwei Drittel derselbesei?“

„Sihdi, du gibst mir neue Hoffnung und neues Leben.Ja, wir werden warten, bis Omar hier vorüberkommt.“

„Für ihn ist es ein Glück, wenn er uns findet. Er würdehier hinter uns untergehen, da der frühere Pfad versunkenist, ohne dass er es weiß.“

Wir lagerten uns nebeneinander. Die Sonne brannte soheiß, dass unsere Kleider in wenigen Minuten getrocknetund mit einer salzigen Kruste überzogen wurden.

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3. Gerichtsbarkeit im Morgenland

Obgleich ich die Überzeugung hegte, dass der Sohn desermordeten Führers kommen werde, konnte er doch stattüber den See um ihn herumgegangen sein. Wir wartetenalso mit großer, ja mit ängstlicher Spannung. Der Nach-mittag verging; es waren nur noch zwei Stunden bis zumAbend, da ließ sich eine Gestalt erkennen, die von Ostenher langsam der Stelle nahte, an der wir lagerten. Sie kamnäher und näher und erblickte nun auch uns.

„Er ist es“, meinte Halef, legte die Hände wie ein Sprach-rohr an den Mund und rief:

„Omar Ben Sadek, herbei!“Der Gerufene verdoppelte seine Schritte und stand bald

vor uns. Er erkannte den Freund seines Vaters.„Sei willkommen, Halef Omar!“„Hadschi Halef Omar!“, verbesserte Halef.„Verzeih mir! Die Freude, dich zu sehen, ist schuld an

diesem Fehler. Du kamst nach Kris zum Vater?“„Ja.“„Wo ist er? Wenn du auf dem Schott bist, muss er in der

Nähe sein.“„Er ist in der Nähe“, antwortete Halef feierlich.„Wo?“„Omar Ben Sadek, dem Gläubigen geziemt es, stark zu

sein, wenn das Kismet ihn trifft.“„Rede, Halef, rede! Es ist ein Unglück geschehen?“„Ja. Allah hat deinen Vater zu seinen Vätern versam-

melt.“Der Jüngling stand vor uns, keines Wortes mächtig. Sein

Auge starrte den Sprecher entsetzt an, und sein Gesichtwar bleich geworden. Endlich gewann er die Sprache wie-der, aber er benutzte sie auf ganz andere Weise, als ichvermutet hatte.

„Wer ist dieser Mann?“, fragte er.„Es ist Kara Ben Nemsi, den ich zu deinem Vater brach-

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te. Wir verfolgten zwei Mörder, die über den Schott gin-gen.“

„Mein Vater sollte euch führen?“„Ja, er führte uns. Die Mörder bestachen Arfan Rakedîm

und stellten uns hier einen Hinterhalt. Sie schossen dei-nen Vater nieder; er und die Pferde versanken im Sumpf,uns aber hat Allah gerettet.“

„Wo sind die Mörder?“„Der eine starb im Salz, der andere aber ist mit dem

Chabir1 nach Fetnassa.“„So ist der Pfad hier verdorben?“„Ja. Du kannst ihn nicht betreten.“„Wo versank mein Vater?“„Dort, dreißig Schritte von hier.“Omar ging so weit vorwärts, wie die Decke trug, starrte

eine Weile vor sich nieder und wandte sich dann nachOsten:

„Allah, du Gott der Allmacht und Gerechtigkeit, höremich! Mohammed, du Prophet des Allerhöchsten, höremich! Ihr Kalifen und Märtyrer des Glaubens, hört mich!Ich, Omar Ben Sadek, werde nicht eher lachen, nicht ehermeinen Bart beschneiden, nicht eher die Moschee besu-chen, als bis die Dschehenna den Mörder meines Vatersaufgenommen hat! Ich schwöre es!“

Ich war tief erschüttert von diesem Schwur, durfte abernichts dagegen sagen. Nun setzte er sich zu uns und batmit beinahe unnatürlicher Ruhe:

„Erzählt!“Halef folgte seinem Wunsch. Als er fertig war, erhob

sich der Jüngling.„Kommt!“Nur das eine Wort sprach er, dann schritt er voran, wie-

der in die Richtung zurück, aus der er gekommen war.Wir hatten bereits vorher die schwierigsten Stellen des

Weges überwunden; es war keine große Gefahr mehr zu

1 Führer

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befürchten, obwohl wir den ganzen Abend und die ganzeNacht hindurch marschierten. Am Morgen betraten wirdas Ufer der Halbinsel Nifsaua und sahen Fetnassa voruns liegen.

„Was nun?“, fragte Halef.„Folgt mir nur!“, antwortete Omar.Dies war das erste Wort, das ich seit gestern von ihm

hörte. Er schritt auf die dem Strand zunächst gelegeneHütte zu. Ein alter Mann saß davor.

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte Omar.„We ’alejkum es selâm“, dankte der Alte.„Du bist Abdullah el Hamis, der Salzverwieger?“„Ja.“„Hast du den Chabir Arfan Rakedîm aus Kris gesehen?“„Er betrat bei Tagesanbruch mit einem fremden Mann

das Land.“„Was taten sie?“„Der Chabir ruhte bei mir aus und ging dann nach Bir

Rekeb, um von da nach Kris zurückzukehren. Der Frem-de aber kaufte sich bei meinem Sohn ein Pferd und fragtenach dem Weg nach Kbilli.“

„Ich danke dir, Abu ’l milh1.“Er ging schweigend weiter und führte uns in eine Hüt-

te, wo wir einige Datteln zu essen und eine Schale Lagmizu trinken bekamen. Dann ging es nach Beschni, Neguaund Mansura, wo wir auf unsere Erkundigungen überallin Erfahrung brachten, dass wir dem Gesuchten auf denFersen waren. Von Mansura ist es gar nicht weit bis zurgroßen Oase Kbilli. Dort gab es damals noch einen türki-schen Wekil2, der unter der Aufsicht des Bej von Tunis dieHalbinsel Nifsaua verwaltete. Hierzu waren ihm zehn Sol-daten zur Verfügung gestellt worden.

Wir begaben uns zunächst in ein Kaffeehaus. Omar aberhatte nicht lange Ruhe. Er verließ uns, um Erkundigungeneinzuziehen, und kehrte erst nach einer Stunde zurück.

1 Vater des Salzes 2 Statthalter

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„Ich habe ihn gesehen“, meldete er.„Wo?“, fragte ich.„Beim Wekil. Er ist sein Gast und trägt sehr prächtige

Kleidung. Wenn ihr mit ihm reden wollt, so müsst ihrkommen, denn es ist jetzt die Zeit der Audienz.“

Mein Interesse war im höchsten Grad erregt. Ein steck-brieflich verfolgter Mörder war der Gast eines groß-herrlichen Statthalters!

Omar führte uns über einen freien Platz hinweg zu ei-nem steinernen, niedrigen Haus, dessen Umfassungsmau-ern keine Spur von Fenstern zeigten. Vor der Tür standenSoldaten, die vor einem Onbaschy1 exerzierten, während derTabbâl an der Tür lehnte. Wir wurden ohne Widerstand ein-gelassen und von einem Neger nach unserem Begehr befragt.Er führte uns in das Sselamlyk, einen kahlwandigen Raum,dessen einzige Ausstattung in einem alten Teppich bestand,der in einer Ecke des Zimmers ausgebreitet war. Daraufsaß ein Mann mit verschwommenen Gesichtszügen, deraus einer uralten persischen Hukah Tabak rauchte.

„Was wollt ihr?“, fragte er.Der Ton, in dem diese Frage ausgesprochen wurde, be-

hagte mir nicht. Ich antwortete daher mit einer Gegenfrage:„Wer bist du?“Er sah mich in starrem Erstaunen an und antwortete:„Der Wekil!“„Wir wollen mit dem Gast reden, der heute oder ges-

tern bei dir angekommen ist.“„Wer bist du?“„Hier ist mein Pass.“Ich gab ihm das Dokument in die Hand. Er warf einen

Blick darauf, faltete es zusammen und steckte es in dieTasche seiner weiten Pumphosen.

„Wer ist dieser Mann?“, fragte er dann weiter und deu-tete auf Halef.

„Mein Diener.“

1 Korporal

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„Wie heißt er?“„Er nennt sich Hadschi Halef Omar.“„Wer ist der andere?“„Er ist der Führer Omar Ben Sadek.“„Und wer bist du selbst?“„Du hast es ja gelesen!“„Ich habe es nicht gelesen.“„Es steht in meinem Pass.“„Er ist mit den Zeichen der Ungläubigen geschrieben.

Von wem hast du ihn?“„Vom französischen Gouvernement in Algier.“„Das französische Gouvernement in Algier gilt hier

nichts. Dein Pass hat den Wert eines leeren Papiers. Also,wer bist du?“

Ich beschloss, den Namen zu behalten, den mir Halefgegeben hatte.

„Ich heiße Kara Ben Nemsi.“„Du bist ein Sohn der Nemsi? Ich kenne sie nicht. Wo

wohnen sie?“„Vom Westen der Türkei bis an die Länder der Franßisler

und Ingilisler.“„Ist die Oase groß, in der sie leben, oder haben sie meh-

rere kleine Oasen?“„Sie bewohnen eine einzige Oase, die aber so groß ist,

dass fünfzig Millionen Menschen auf ihr wohnen.“„Allah akbar – Gott ist groß! Es gibt Oasen, in denen es

von Geschöpfen wimmelt. Hat die Oase auch Bäche?“„Sie hat fünfhundert Flüsse und Millionen Bäche. Viele

von diesen Flüssen sind so groß, dass Schiffe auf ihnenfahren, die mehr Menschen fassen, als Basma oder RahmatEinwohner hat.“

„Allah kerîm – Gott ist gnädig! Welch ein Unglück, wennalle diese Schiffe in einer Stunde von den Flüssen ver-schlungen würden! An welchen Gott glauben die Nemsi?“

„Sie glauben an deinen Gott, aber sie nennen ihn nichtAllah, sondern Vater.“

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„So sind sie wohl nicht Sunniten, sondern Schiiten?“„Sie sind Christen.“„Gott verbrenne sie! So bist du also auch ein Christ?“„Ja.“„Ein Giaur? Und du wagst es, mit dem Wekil von Kbilli

zu reden! Ich werde dir die Bastonade geben lassen, wenndu nicht sogleich dafür sorgst, dass du mir aus den Augenkommst!“

„Habe ich etwas getan, was gegen die Gesetze ist oderwas dich beleidigt?“

„Ja. Ein Giaur darf sich niemals unterstehen, mir unterdie Augen zu treten. Also wie heißt dieser dein Führer?“

„Omar Ben Sadek.“„Gut! Omar Ben Sadek, wie lange dienst du diesem

Nemsi?“„Seit gestern.“„Das ist nicht lange. Ich will also gnädig sein und dir

nur zwanzig Hiebe auf die Fußsohlen geben lassen.“Zu mir gewandt, fuhr er fort.„Und wie heißt dieser dein Diener hier?“„Allah akbar – Gott ist groß, aber er hat leider dein

Gedächtnis so klein gemacht, dass du dir nicht einmal zweiNamen merken kannst! Mein Diener heißt, wie ich dirbereits gesagt habe, Hadschi Halef Omar.“

„Du willst mich beschimpfen, Giaur? Ich werde nach-her dein Urteil fällen! Also, Halef Omar, du bist einHadschi und dienst einem Ungläubigen? Das verdientdoppelte Streiche. Wie lange bist du bereits bei ihm?“

„Fünf Wochen.“„So wirst du sechzig Hiebe auf die Fußsohlen erhalten

und darauf fünf Tage hungern und dürsten müssen! Undnun wieder zu dir; wie war dein Name?“

„Kara Ben Nemsi.“„Gut, Kara Ben Nemsi, du hast drei große Verbrechen

begangen.”„Welche, Sihdi?“

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„Ich bin kein Sihdi; du hast mich Dschenablarynys oderHasretlerinis, also Euer Gnaden oder Euer Hoheit zu nen-nen! Deine Verbrechen sind folgende: Du hast erstens zweiRechtgläubige verführt, dir zu dienen; macht fünfzehnStockschläge. Du hast es zweitens gewagt, mich in mei-nem Kef1 zu stören; macht wieder fünfzehn Stockschläge.Du hast drittens an meinem Gedächtnis gezweifelt; machtzwanzig Stockschläge; zusammen also fünfzig Hiebe aufdie Fußsohlen. Und da es mein Recht ist, für jeden Rich-terspruch das Wergi, die Abgabe, zu verlangen, so wirdalles, was du besitzt und bei dir trägst, von jetzt an mirgehören; ich beschlagnahme es.“

„O großer Herrscher, ich bewundere dich; deine Gerech-tigkeit ist erhaben, deine Weisheit ganz erhaben, deineGnade noch erhabener und deine Klugheit und Schlau-heit am allererhabensten! Aber ich bitte dich, edler Bejvon Kbilli, lass uns deinen Gast sehen, ehe wir die Strei-che erhalten.“

„Was willst du von ihm?“„Ich vermute, dass er ein Bekannter von mir ist, und

möchte mich an seinem Anblick weiden.“„Er ist kein Bekannter von dir. Denn er ist ein großer

Krieger, ein edler Sohn des Sultans und ein strenger An-hänger des Korân; er ist also nie der Bekannte eines Un-gläubigen gewesen. Aber damit er sehe, wie der Wekil vonKbilli Verbrechen bestraft, werde ich ihn kommen lassen.Nicht du sollst dich an seinem Anblick weiden, sonderner soll sich an den Hieben ergötzen, die ihr erhaltet. Erwusste, dass ihr kommen würdet.“

„Ah! Woher wusste er es?“„Ihr seid vorhin an ihm vorübergegangen, ohne ihn zu se-

hen, und er hat euch sofort bei mir angezeigt. Wärt ihr nichtvon selbst gekommen, so hätte ich euch holen lassen.“

„Er hat uns angezeigt? Weshalb?“„Das werdet ihr noch hören. Ihr sollt dann eine zweite

1 Mittagsruhe

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Strafe erhalten, die noch größer ist als diejenige, die ich euchjetzt diktiert habe.“

Das war nun allerdings ein eigentümlicher, wunderli-cher Verlauf, den unsere Audienz bei diesem Beamtennahm. Ein Wekil mit zehn Stück Soldaten in einer so vor-geschobenen, vergessenen Oase – er war jedenfalls einmalnichts anderes gewesen, als höchstens Tschausch1 oderMülasim2, und diese Dienstgrade waren damals in derTürkei nichts anderes als die Stiefelputzer und Pfeifen-stopfer der höheren Chargen. Man hatte den guten Mannnach Kbilli gesetzt, um ihm Gelegenheit zu geben, für sichselbst zu sorgen, und dann jedenfalls niemals wieder anihn gedacht, denn der Bej von Tunis hatte bereits alle tür-kischen Soldaten aus dem Land gejagt, und die Beduinen-stämme standen nur in der Weise unter dem Schutz desGroßherrn, dass er ihren Häuptlingen jährlich die ausbe-dungenen Ehrenburnusse schickte, während sie sich ihmdadurch dankbar erwiesen, dass sie gar nicht mehr an ihndachten. Der brave Wekil war also in Beziehung auf sei-nen Unterhalt auf Erpressung angewiesen, und da dies denEingeborenen gegenüber immer eine gefährliche Sache war,so musste ihm ein Fremder wie ich sehr gelegen kommen.Er wusste nichts von Deutschland; er kannte nicht dieBedeutung der Konsulate; er wohnte unter räuberischenNomaden, glaubte mich schutzlos und nahm also an, un-gestraft tun zu können, was ihm beliebte.

Allerdings hatte es seine Richtigkeit, dass ich nur aufmich selbst angewiesen war, aber es fiel mir doch nichtein, mich vor ‚Seiner Hoheit‘ zu fürchten, vielmehr machtees mir Spaß, dass er uns in so genialer Unverfrorenheit mitder Bastonade beglücken wollte. Zugleich war ich neugie-rig, ob sein Gastfreund uns angezeigt hatte. Welches Verbre-chens er uns bezichtigt hatte, ahnte ich. Jedenfalls war er einfrüherer Bekannter des Wekil und benutzte dies, uns aufirgendeine Weise unschädlich zu machen.

1 Feldwebel 2 Leutnant

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Der Statthalter klatschte in die Hände und sogleich er-schien ein schwarzer Diener, der sich vor ihm wie vor demSultan auf die Erde warf. Der Wekil flüsterte ihm einigeWorte zu, worauf er sich entfernte. Nach einiger Zeit öff-nete sich die Tür und die zehn Soldaten mit ihrem Onba-schy traten ein. Sie boten einen kläglichen Anblick in ihrenaus allen möglichen Fetzen zusammengesetzten Kleidern,die nicht im Mindesten einer militärischen Uniform gli-chen; die meisten von ihnen waren barfuß und alle trugenGewehre, mit denen man alles eher tun konnte als schie-ßen. Sie warfen sich kunterbunt durcheinander vor demWekil nieder, der sie zunächst mit einem möglichst mar-tialischen Blick musterte und dann seinen Befehl aus-sprach:

„Kalkynys – steht auf!“Sie erhoben sich und der Onbaschy riss seinen mächtigen

Sarras aus der Scheide.„Ssyrajy kylynys – bildet eine Reihe!“, brüllte er mit Sten-

torstimme.Sie stellten sich nebeneinander und hielten die Flinten

nach Belieben in den braunen Händen.„Ssilah omusa – das Gewehr über!“, kommandierte er

nun.Die Flinten flogen empor, stießen gegeneinander, gegen

die Mauer oder gegen die Köpfe der stattlichen Helden,kamen aber doch nach einiger Zeit glücklich auf die Achselnihrer Besitzer zu liegen.

„Sselam dur – präsentiert das Gewehr!“Wieder bildeten die Flinten einen wirren Knäuel, bei

dessen Unentwirrbarkeit es kein Wunder war, dass die eineihren Lauf verlor. Der Soldat bückte sich gemächlich nie-der, hob ihn in die Höhe, betrachtete ihn von allen Seiten,hielt ihn dann gegen das Licht, um hindurchzuguckenund sich zu überzeugen, dass das Loch, aus dem geschos-sen wird, noch vorhanden sei, zog dann eine Palmen-faserschnur aus der Tasche und band den desertierten Lauf

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behutsam dahin fest, wohin er gehörte, nämlich an denSchaft. Dann endlich brachte er die restaurierte Waffe mithöchst befriedigter Miene in diejenige Lage, die von demletzten Kommandowort vorgeschrieben worden war.

„Rahat durun! Laf etmejin – steht still und schwatztnicht!“

Bei diesem Ruf drückten sie die Lippen mit sichtlicherKraft und Energie zusammen und ließen durch ein sehrernsthaftes Augenzwinkern erkennen, dass es ihr unum-stößlicher Wille sei, keinen Laut von sich zu geben. Siemerkten, dass sie geholt worden waren, drei Verbrecher zubewachen, und da galt es also, uns zu imponieren.

Ich musste mir wirklich Mühe geben, bei dieser sonder-baren Veranstaltung ernst zu bleiben, und wie ich deut-lich bemerkte, hatte meine heitere Laune zugleich denErfolg, den Mut meiner beiden Begleiter zu festigen.

Und wieder öffnete sich die Tür. Der Erwartete trat ein.Es war Hamd el Amasat.

Ohne uns eines Blickes zu würdigen, ging er zum Tep-pich, ließ sich an der Seite des Wekil nieder und nahm diePfeife aus der Hand des Schwarzen, der mit ihm eingetre-ten war und sie ihm anbrannte. Dann erst hob er den Blickund musterte uns mit einer Verachtung, die gar nicht grö-ßer gedacht werden konnte.

Jetzt nahm der Statthalter das Wort, er fragte mich:„Dieser Mann ist es, den ihr sehen wolltet. Ist er ein

Bekannter von dir?“„Ja.“„Du hast recht gesprochen; er ist ein Bekannter von dir,

das heißt, du kennst ihn. Aber dein Freund ist er nicht.“„Ich würde mich auch für seine Freundschaft sehr be-

danken. Wie nennt er sich?“„Er heißt Abu en Naßr.“„Das ist nicht wahr! Sein Name ist Hamd el Amasat.“„Giaur, wage es nicht, mich der Lüge zu zeihen, sonst

erhältst du zwanzig Hiebe mehr! Allerdings heißt mein

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Freund Hamd el Amasat; aber wisse, du Hund von einemUngläubigen, als ich noch als Miralaj in Stambul stand,wurde ich einst des Nachts von griechischen Banditen an-gefallen; da kam Hamd el Amasat dazu, sprach mit ihnenund rettete mir das Leben. Seit jener Nacht heißt er Abuen Naßr, der Vater des Sieges, denn niemand kann ihmwiderstehen, nicht einmal ein griechischer Bandit.“

Ich konnte mich nicht enthalten, lachend den Kopf zuschütteln und fragte:

„Du willst in Stambul Miralaj, also Oberst, gewesen sein?Bei welcher Truppe?“

„Bei der Garde, du Sohn eines Schakals.“Ich trat einen Schritt näher zu ihm heran und erhob die

Rechte.„Wage es noch einmal, mich zu beschimpfen, so gebe

ich dir eine solche Ohrfeige, dass du morgen deine Nasefür ein Minarett ansehen sollst! Du wärst mir der Kerl,Oberst gewesen zu sein! So etwas kannst du hier deinenOasenhelden weismachen, mir nicht; verstanden!“

Er erhob sich mit ungewöhnlicher Schnelligkeit. Das warihm noch nie vorgekommen, das ging über alle seine Be-griffe; er starrte mich an, als ob ich ein Gespenst sei, undstotterte dann, ich weiß nicht, ob vor Wut oder vor Verle-genheit:

„Mensch, ich hätte sogar Liwa-Pascha1 werden können,wenn mir die Stelle hier in Kbilli nicht lieber gewesenwäre!“

„Ja, du bist ein wahrer Ausbund von Mut und Tapfer-keit. Du hast mit Banditen gekämpft, die dein Freund mitbloßen Worten besiegte, hörst du es? Er ist also jedenfallsein sehr guter Bekannter von ihnen gewesen oder gar einMitglied ihrer Sippe. Er hat einen Mann getötet; er hatauf dem Schott el Dscherid meinen Führer, den Vater die-ses Jünglings, erschossen, weil er mich verderben wollte;er ist von mir verfolgt worden bis nach Kbilli und ich

1 Generalmajor

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finde diesen Menschen wieder als den Freund eines Man-nes, der ein Oberst im Dienst des Großherrn gewesen zusein behauptet. Ich klage ihn des Mordes bei dir an undverlange, dass du ihn gefangen nimmst!“

Jetzt erhob sich auch Hamd el Amasat. Er rief:„Dieser Mensch ist ein Giaur. Er hat Wein getrunken

und weiß nicht, was er redet. Er mag seinen Rausch ver-schlafen und sich dann verantworten.“

Das war mir denn doch zu viel. Im Nu hatte ich ihngepackt, hob ihn empor und warf ihn zu Boden. Er sprangauf und zog sein Messer.

„Hund, du hast dich an einem Gläubigen vergriffen, dumusst sterben!“

Mit diesen Worten warf er sich mit aller Gewalt auf mich.Ich aber gab ihm einen so wohlgezielten Faustschlag, dasser niederstürzte und regungslos liegen blieb.

„Fasst ihn!“, gebot der Wekil seinen Soldaten.Ich erwartete, dass sie mich sofort packen würden, sah

aber zu meiner Verwunderung, dass es ganz anders kam.Der Unteroffizier nämlich trat vor die Front der Seinigenund kommandierte:

„Ssilahlary jere kojun – legt die Gewehre weg!“Alle bückten sich zugleich, legten ihre Flinten auf den

Boden und kehrten dann in ihre vorige Haltung zurück.„Ssagha dön – rechts umgedreht!“Sie machten halbe Wendung rechts und standen nun in

einer Reihe hintereinander.„Adamy ortaja alynys, marsch – nehmt den Mann in

die Mitte, marsch!“Wie auf dem Exerzierplatz hoben sie den linken Fuß,

der Flügelmann gab den Takt an „Ssol – ßagh, ßol – ßagh– links – rechts, links – rechts!“, sie marschierten um michherum und blieben, als der Kreis gebildet war, auf dasKommando des Korporals stehen.

„Tutunus – ergreift ihn!“Zwanzig Hände mit hundert braunen, schmutzigen Fin-

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gern streckten sich von hinten und vorn, von rechts undlinks nach mir aus und fassten mich am Burnus. Die Sa-che war zu komisch, als dass ich eine Bewegung zu meinerBefreiung hätte machen mögen.

„Bej hasretleri, herifi tuttuk – Hoheit, wir haben denKerl!“, meldete der Befehlshaber der tapferen Truppe.

„Bir daha ßerbest byrakmajyn – lasst ihn nicht wiederfrei!“, gebot der Statthalter mit strenger Miene.

Die hundert Finger krallten sich noch fester und tieferin meinen Burnus und gerade die steife, orientalischeWürde, mit der alles geschah und die etwas urkomischMarionettenhaftes hatte, war schuld, dass ich beinahe lautaufgelacht hätte.

Während dieses Vorgangs hatte sich Abu en Naßr wie-der erhoben. Seine Augen funkelten vor Wut und Rach-gier, als er zum Wekil sagte:

„Du wirst ihn erschießen lassen!“„Ja, er soll erschossen werden; vorher aber werde ich ihn

verhören, denn ich bin ein gerechter Richter und mag nie-mand ungehört verurteilen. Bring deine Anklage vor!“

„Dieser Giaur“, begann der Mörder, „ging mit einemFührer und seinem Diener über den Schott; er traf auf unsund stürzte meinen Gefährten in die Fluten, sodass dieserelend ertrinken musste.“

„Warum tat er dies?“„Aus Rache.“„Wofür wollte er sich rächen?“„Er hat im Wadi Tarfaui einen Mann getötet; wir ka-

men dazu und wollten ihn festnehmen, er aber entwischteuns.“

„Kannst du deine Worte beschwören?“„Beim Bart des Propheten!“„Das ist genug! – Hast du diese Worte vernommen?“,

fragte er mich dann.„Ja.“„Was sagst du dazu?“

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„Dass er ein Schurke ist. Er war der Mörder und hat inseiner Anklage die Personen geradezu verwechselt.“

„Er hat geschworen und du bist ein Giaur. Ich glaubenicht dir, sondern ihm.“

„Frage meinen Diener! Er ist mein Zeuge.“„Er dient einem Ungläubigen, seine Worte gelten nichts.

Ich werde den großen Rat der Oase einberufen lassen, dermeine Worte hören und über dich entscheiden wird.“

„Du willst mir nicht glauben, weil ich ein Christ bin,und schenkst dennoch einem Giaur dein Vertrauen. Die-ser Mensch ist ein Armenier und also kein Moslem, son-dern ein Christ.“

„Er hat beim Propheten geschworen.“„Das ist eine Niederträchtigkeit und eine Sünde, für die

ihn Gott bestrafen wird. Wenn du mich nicht hören willst,so werde ich ihn beim Rat der Oase verklagen.“

„Ein Giaur kann keinen Gläubigen verklagen und derRat der Oase könnte ihm nicht das Geringste tun, dennmein Freund besitzt ein Bujrultu und steht somit im Schat-ten des Großherrn.“

„Und ich bin einer, der im Schatten seines Königs wan-delt. Auch ich habe einen ordnungsgemäßen Pass, du hastihn in deiner Tasche.“

„Er ist in der Sprache der Giaurs geschrieben; ich würdemich verunreinigen, wenn ich ihn läse. Deine Sache wirdnoch heute untersucht werden, zunächst aber erhaltet ihrdie Bastonade: du fünfzig, dein Diener sechzig und deinFührer zwanzig Hiebe auf die Fußsohlen. Führt sie hinabin den Hof; ich werde nachkommen!“

„Tschekin elleri – nehmt die Hände zurück!“, gebot so-fort der Unteroffizier.

Die hundert Finger ließen augenblicklich von mir ab.„Tüfekleri kaldyrynys – hebt die Flinten auf!“Die Helden stürzten auf ihre Gewehre zu und nahmen

sie wieder an sich.„Her ütschünü ortaja alynys – umschließt alle drei!“

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Im Nu hatten sie mich, Halef und Omar umringt. Wirwurden hinaus in den Hof geführt, in dessen Mitte sichein bankartiger Block befand. Seine Beschaffenheit deute-te darauf hin, dass er zur Aufnahme derjenigen bestimmtsei, die die Bastonade erhalten sollten. Weil ich selbst michruhig gefügt hatte, waren auch meine beiden Gefährtenohne allen Widerstand gefolgt, aber ich sah es in ihrenAugen, dass sie nur auf mein Beispiel warteten, um derPosse ein Ende zu machen.

Als wir eine Weile vor dem Block gehalten hatten, er-schien der Wekil mit Abu en Naßr. Der Schwarze trugden Teppich vor ihnen her, breitete ihn auf dem Bodenaus und reichte den beiden, als sie sich gesetzt hatten, Feuerfür ihre ausgegangenen Pfeifen. Jetzt deutete der Wekilauf mich.

„Ona elli dajak wurun – gebt ihm fünfzig!“Jetzt war es Zeit.„Hast du meinen Pass noch in der Tasche?“, fragte ich ihn.„Ja.“„Gib ihn mir!“„Du wirst ihn niemals zurückerhalten!“„Warum nicht?“„Es soll sich kein Gläubiger daran verunreinigen.“„Du willst mich wirklich schlagen lassen?“„Ja.“„So werde ich dir zeigen, wie es ein Nemsi macht, wenn

er gezwungen ist, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen.“Der kleine Hof war an drei Seiten von einer hohen Mauer

und an der vierten von dem Gebäude umschlossen; er hattezur Straße keinen anderen Ausgang als den, durch den wireingetreten waren. Zuschauer gab es nicht, wir waren alsodrei gegen dreizehn. Die Waffen hatte man uns gelassen,so erforderte es der ritterliche Brauch der Wüste; der Wekilwar völlig unschädlich, ebenso auch seine Soldaten, undnur Abu en Naßr konnte gefährlich werden. Ihn mussteich vor allen Dingen kampfunfähig machen.

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„Hast du eine Schnur?“, fragte ich Omar leise.„Ja, meine Burnusschnur.“„Mach sie los!“ Und für Halef fügte ich hinzu: „Du springst

zum Ausgang und lässt keinen Menschen durch!“„Verschaffe sie dir!“, hatte indessen der Wekil geantwortet.„Sogleich!“Mit diesen Worten sprang ich ganz plötzlich zwischen

den Soldaten hindurch und auf Abu en Naßr zu, riss ihmdie Arme auf den Rücken und drückte ihm das Knie sofest auf den Nacken, dass er sich in seiner sitzenden Stel-lung nicht zu rühren vermochte.

„Binde ihn!“, gebot ich Omar.Dieser Befehl war eigentlich überflüssig, denn Omar

hatte mich sofort begriffen und war bereits dabei, seineSchnur um die Arme des Armeniers zu schlingen. Ehe nureine Bewegung gegen uns geschehen konnte, war er gefes-selt. Mein plötzlicher Angriff hatte den Wekil und seineLeibwache ganz perplex gemacht. Ich zog jetzt mit derRechten mein Messer und fasste ihn mit der Linken amGenick. Er streckte vor Entsetzen Arme und Beine vonsich, als sei er bereits vollständig tot; desto mehr Lebenaber kam in die Soldaten.

„Koschun, imdad arajyn – reißt aus, bringt Hilfe!“, brüll-te der Onbaschy, der zuerst die Sprache wieder gefundenhatte.

Sein Säbel wäre ihm hinderlich geworden, er warf ihnweg und rannte dem Ausgang zu, die andern folgten ihm.Dort aber stand bereits der wackere Halef mit schussfertigemGewehr.

„Gerije tschekilin, burada duradschakßynys – zurück!Ihr bleibt hier!“, rief er ihnen entgegen.

Sie stutzten, wandten sich um und sprangen nach allenvier Richtungen auseinander, um Schutz in den Mauer-ecken zu suchen. Auch Omar hatte sein Messer gezogenund stand mit finsterem Blick bereit, es Abu en Naßr insHerz zu stoßen.

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„Bist du tot?“, fragte ich den Wekil„Nein, aber du wirst mich töten?“„Das kommt auf dich an, du Inbegriff aller Gerechtig-

keit und Tapferkeit. Aber ich sage dir, dass dein Leben aneinem dünnen Haar hängt.“

„Was verlangst du von mir, Effendi?“Noch ehe ich antwortete, erscholl der angstvolle Ruf ei-

ner Weiberstimme. Ich blickte auf und bemerkte eine kleinedicke, weibliche Gestalt, die vom Eingang her mit sichtli-cher Anstrengung auf uns zugekugelt kam.

„Dur – Halt!“, rief sie mir kreischend zu. „Öldürme onu,benim kodschamdyr – töte ihn nicht, er ist mein Mann!“

Also diese dicke, runde Madame, die unter ihrer dich-ten Kleiderhülle mit wahrhaft schwimmähnlichen Bewe-gungen auf mich zusteuerte, war die gnädige Frau Statt-halterin. Jedenfalls hatte sie von dem mit einem Holzgitterversehenen Frauengemach aus der interessanten Exekuti-on zusehen wollen und zu ihrem Entsetzen bemerkenmüssen, dass diese jetzt an ihrem Ehegatten vollzogenwerden sollte. Ich fragte ihr ruhig entgegen:

„Wer bist du?“„Wekilin karyßyjym – ich bin das Weib des Wekil“, ant-

wortete sie.„Ewwet, awretimdir, Kbillinin gülü – ja, sie ist mein

Weib, die Rose von Kbilli“, bestätigte ächzend der Statt-halter.

„Wie heißt sie?“„Adym Aïschadyr – ich heiße Aïscha“, berichtete sie.„Ewwet, ady Aïschadyr – ja, sie heißt Aïscha“, ertönte

das Echo aus dem Mund des Türken.Also sie war die ‚Rose von Kbilli‘ und hieß Aïscha. Ei-

nem so zarten Wesen gegenüber musste ich nachgiebig sein.„Wenn du mir die Morgenröte deines Antlitzes zeigst, o

Blume der Oase, so werde ich meine Hand von ihm neh-men“, sagte ich.

Sofort flog der Jaschmak, der Schleier, von ihrem Ge-

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sicht. Sie hatte lange Zeit unter den Arabern gelebt, derenFrauen unverhüllt gehen, und war also weniger zurück-haltend geworden, als unter andern Verhältnissen die Tür-kinnen sein müssen. Im Übrigen handelte es sich hier, wiesie dachte, um das kostbare Leben ihres Eheherrn.

Ich blickte in ein farbloses, mattes, verschwommenesFrauengesicht, das so fett war, dass man die Augen kaumund das Stumpfnäschen beinahe gar nicht unterscheidenkonnte. Madame Aïscha war vielleicht vierzig Jahre alt,hatte aber die Folgen dieses Alters durch hochgemalteschwarze Augenbrauen und rot angestrichene Lippen aus-zugleichen gesucht. Ein schwarzer Punkt auf der Mitte je-der Wange hervorgebracht, gab ihr ein pittoreskes Ausse-hen, und als sie jetzt die Vorderarme aus der Hülle streck-te, bemerkte ich, dass sie nicht bloß die Nägel, sondernauch die ganzen Hände mit Henna rot gefärbt hatte.

„Ich danke dir, du Sonne von Dscherid!“, schmeichelteich. „Wenn du mir versprichst, dass der Wekil ruhig sitzenbleibt, soll ihm jetzt kein Leid geschehen.“

„Oturadschak; ßana ßös weririm – er wird sitzen blei-ben; ich verspreche es dir!“

„So mag er es deiner Lieblichkeit danken, dass ich ihnnicht zerdrücke wie eine Indschir 1, die in der Presse liegt,um getrocknet zu werden. Deine Stimme gleicht der Stim-me einer Flöte, dein Auge glänzt wie das Auge der Sonne,deine Gestalt ist wie die Gestalt von Scheheresade. Nurdir allein bringe ich das Opfer, dass ich ihn leben lasse!“

Ich nahm die Hand von ihm; er richtete sich auf undstöhnte erleichtert, blieb aber gehorsam in seiner sitzen-den Stellung. Sie betrachtete mich sehr aufmerksam vomKopf bis zu den Füßen herab und fragte dann mit freund-lichem Ton:

„Wer bist du?“„Ich bin ein Nemsi, ein Fremdling, dessen Heimat weit

drüben über dem Meer liegt.“

1 Feige

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„Sind eure Frauen schön?“„Sie sind schön, aber sie gleichen doch nicht den Frau-

en am Schott el Kebir.“Sie nickte, befriedigt lächelnd, und ich sah es ihr an,

dass ich Gnade vor ihren Augen gefunden hatte.„Die Nemsi sind sehr kluge, sehr tapfere und sehr höfli-

che Leute; das habe ich schon oft gehört“, entschied sie.„Du bist uns willkommen! Doch warum hast du diesenMann gebunden, warum fliehen unsere Soldaten vor dirund warum wolltest du den mächtigen Statthalter töten?“

„Ich habe diesen Mann gebunden, weil er ein Mörderist; deine Soldaten flohen vor mir, weil sie merkten, dassich sie alle elf besiegen würde, und den Wekil habe ichgebunden, weil er mich schlagen und dann vielleicht so-gar zum Tode verurteilen wollte, ohne mir Gerechtigkeitzu geben.“

„Du sollst Gerechtigkeit haben!“Da wollte sich mir die Überzeugung aufdrängen, dass

der Pantoffel im Orient dieselbe zauberische Kraft besitztwie im Abendland. Der Wekil sah seine Autorität bedrohtund machte einen Versuch, sie wiederherzustellen:

„Ich bin ein gerechter Richter und werde...“„Ssen ßus – du wirst schweigen!“, gebot sie ihm. „Du

weißt, dass ich diesen Menschen kenne, der sich Abu enNaßr, Vater des Sieges, nennt; er sollte sich aber Abu elJalan, Vater der Lüge, nennen. Er war schuld, dass mandich nach Algier schickte, gerade als du Mülasim werdenkonntest; er war schuld, dass du dann nach Tunis kamstund hier in dieser Einsamkeit vergraben wurdest, und so-oft er hier bei dir war, musstest du etwas tun, was dir Scha-den brachte. Ich hasse ihn und habe nichts dagegen, dassdieser Fremdling ihn tötet.“

„Er kann nicht getötet werden, er steht im Schatten desPadyschah!“

„Ssus! Er steht im Schatten des Padyschah, dieser Fremd-ling aber steht im Schatten der Statthalterin, in meinem

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Schatten, hörst du? Und wer in meinem Schatten steht,den soll deine Hitze nicht verderben. Steh auf und folgemir!“

Er erhob sich, sie wandte sich zum Gehen und er mach-te Miene, sich ihr anzuschließen. Das war natürlich ganzgegen meine Absicht.

„Halt!“, gebot ich und fasste ihn nochmals beim Ge-nick. „Du bleibst da!“

Da wandte sie sich um.„Hast du nicht gesagt, dass du ihn freigeben willst?“,

fragte sie.„Ja, doch nur unter der Bedingung, dass er an seinem

Platz bleibt.“„Er kann doch nicht in alle Ewigkeit hier sitzen blei-

ben!“„Du hast Recht, o Perle von Kbilli; aber er kann jeden-

falls solange hier bleiben, bis meine Angelegenheit erle-digt ist.“

„Die ist bereits erledigt.“„Inwiefern?“„Habe ich dir nicht gesagt, dass du uns willkommen

bist?“„Das ist richtig.“„Du bist also unser Gast und sollst mit den Deinen so-

lange bei uns wohnen, bis es dir gefällig ist, uns wieder zuverlassen.“

„Und Abu en Naßr, den du Abu el Jalan genannt hast?“„Er bleibt dein und du kannst mit ihm machen, was du

willst.“„Ist das wahr, Wekil?“Er zögerte, eine Antwort zu geben, doch ein strenger

Blick aus den Augen seiner Herrin zwang ihn zu sprechen:„Ja.“„Du schwörst es mir? Bei Allah und seinem Propheten?“„Muss ich?“, fragte er Madame, die Rose von Kbilli.„Du musst!“, antwortete sie sehr entschieden.

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„So schwöre ich es bei Allah und dem Propheten.“„Nun darf er mit mir gehen?“, fragte sie mich.„Er darf“, antwortete ich.„Du wirst nachkommen und mit uns einen Hammel mit

Kuskusu speisen.“„Hast du einen Ort, an dem ich Abu en Naßr sicher

aufbewahren kann?“„Nein. Binde ihn an den Stamm der Palme dort an der

Mauer. Er wird dir nicht entfliehen, denn ich werde ihndurch unsere Truppen bewachen lassen.“

„Ich werde ihn selbst bewachen“, antwortete Omar anmeiner Stelle. „Er wird mir nicht entfliehen, sondern mitseinem Tod das Leben meines Vaters bezahlen. Mein Mes-ser wird so scharf sein wie mein Auge.“

Der Mörder hatte von dem Augenblick seiner Fesselungan kein Wort gesprochen, aber sein Auge glühte tückischund unheimlich auf, als er uns nach der Palme folgenmusste, an der wir ihn festbanden. Es lag nicht in meinerAbsicht, ihm das Leben zu nehmen, aber er war der Blut-rache verfallen und ich wusste, dass keine Bitte meiner-seits Omar vermocht hätte, ihn zu begnadigen. Ededembi’d dem, oder wie der Türke sagt: kan kany öder – dasBlut bezahlt das Blut. Am liebsten wäre es mir trotz allemgewesen, wenn es ihm gelingen konnte, ohne meine Mit-wisserschaft zu entwischen; aber solange ich mich auf sei-ner Fährte befunden hatte und solange er sich in meinerGewalt befand, musste ich ihn als Feind und Mörder be-trachten und also auch als solchen behandeln. Gewiss wares auf alle Fälle, dass er mich nicht schonen würde, fallsich das Unglück haben sollte, in seine Hand zu fallen.

Ich ließ ihn also in der Obhut Omars und begab michmit Halef nach dem Sselamlyk. Unterwegs fragte mich derKleine:

„Sihdi, du sagtest, dieser Mensch sei ein armenischerChrist, der sich da, wo er es für geboten hält, für einenMohammedaner ausgibt. Siehst du nun, dass die Christen

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schlechte Menschen sind? Du musst dich zum wahrenGlauben bekennen, wenn du nicht in alle Ewigkeit in derDschehenna braten willst!“

„Und du wirst selbst so lange darin braten!“„Weshalb?“„Hast du mir nicht erzählt, dass im Derk Asfal, in der

siebenten und tiefsten Hölle, alle Lügner und Heuchlerbraten und die Teufelsköpfe vom Baum Sakkum essenmüssen?“

„Ja, aber was habe ich damit zu schaffen?“„Du bist ein Lügner und Heuchler!“„Ich, Sihdi? Meine Zunge redet die Wahrheit und in

meinem Herzen ist kein Falsch. Wer mich so nennt, wiedu mich nanntest, den wird meine Kugel treffen!“

„Du lügst, Mekka gesehen zu haben, und heuchelst, einHadschi zu sein. Soll ich das dem Wekil erzählen?“

„Aman, aman – verzeihe! Das wirst du nicht tun anHadschi Halef Omar, dem treuesten Diener, den du fin-den kannst!“

„Nein, ich werde es nicht tun; aber du kennst auch dieBedingung, unter der ich schweige.“

„Ich kenne sie und werde mich in Acht nehmen, dochwirst du dennoch ein wahrer Gläubiger werden, du magstnun wollen oder nicht, Sihdi!“

Wir traten ein und wurden bereits von dem Wekil er-wartet. Es war keineswegs die freundlichste Miene, mitder er mich empfing.

„Setz dich!“, lud er mich ein.Ich folgte seiner Aufforderung und nahm hart neben ihm

Platz, während Halef sich mit den Pfeifen beschäftigte,die man mittlerweile in einer Ecke des Raums bereitge-stellt hatte.

„Warum wolltest du das Angesicht meines Weibes se-hen?“, begann die Unterhaltung.

„Weil ich ein Franke bin, der gewohnt ist, stets das An-gesicht dessen zu sehen, mit dem er spricht.“

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„Ihr habt schlechte Sitten! Unsere Frauen verbergen sich,die eurigen aber lassen sich sehen. Unsere Frauen tragen Klei-der, die oben lang und unten kurz sind; die eurigen aber ha-ben Gewänder, die oben kurz und unten lang, oft auchoben und unten zugleich kurz sind. Habt ihr jemals eineunserer Frauen bei euch gesehen? Eure Mädchen aber kom-men zu uns, und weshalb? Aus Neugier! Aib – o Schande!“

„Wekil, ist das die Gastfreundschaft, die mir von euchgeboten wurde? Seit wann ist es Sitte geworden, den Gast-freund mit einer Beleidigung zu empfangen? Ich braucheweder deinen Hammel noch den Kuskusu und werde wie-der hinuntergehen in den Hof. Folge mir!“

„Effendi, verzeihe mir! Ich wollte dir nur sagen, was ichdachte, aber ich wollte dich nicht beleidigen.“

„Wer nicht beleidigen will, darf nicht stets sagen, was erdenkt. Ein schwatzhafter Mensch gleicht einem zerbro-chenen Topf, den niemand brauchen kann, weil er nichtsbewahrt.“

„Setz dich wieder nieder und erzähle mir, wo du Abu enNaßr getroffen hast.“

Ich erstattete ihm ausführlich Bericht von unserem Aben-teuer. Er hörte schweigend zu und schüttelte sodann denKopf.

„Du glaubst also, dass er den Kaufmann in Blida ermor-det hat?“

„Ja.“„Du warst nicht dabei!“„Ich schließe es.“„Nur Allah allein darf schließen; er ist allwissend, und

des Menschen Gedanke ist wie der Reiter, den ein unge-horsames Pferd dorthin trägt, wohin er nicht kommenwollte.“

„Nur Allah darf schließen, weil er allwissend ist? OWekil, dein Geist ist müde von den vielen Hammeln mitKuskusu, die du gegessen hast! Eben weil Allah allwissendist, braucht er nicht zu schließen; wer schließt, der sucht

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ein Ergebnis seiner Folgerungen, ohne es vorher zu ken-nen.“

„Ich höre, dass du ein Alim bist, ein Gelehrter, der vieleSchulen besucht hat, denn du sprichst in Worten, die nie-mand verstehen kann. Und du glaubst auch, dass Abu enNaßr den Mann im Wadi Tarfaui getötet hat?“

„Ja.“„Warst du dabei?“„Nein.“„So hat es dir der Tote erzählt?“„Wekil, die Hammel, die du verzehrtest, hätten gewusst,

dass ein Toter nicht mehr sprechen kann!“„Effendi, jetzt sprichst du selber eine Unhöflichkeit! Also

du warst nicht dabei, und der Tote konnte es dir nichtsagen; woher also willst du wissen, dass er ein Mörder ist?“

„Ich schließe es.“„Ich habe dir bereits gesagt, dass nur Allah schließen darf!“„Ich habe seine Spur gesehen und verfolgt, und als ich

ihn traf, hat er mir den Mord eingestanden.“„Dass du seine Spur gefunden hast, ist kein Beweis, dass

er ein Mörder ist, denn mit einer Spur hat noch niemandeinen Menschen erschlagen. Und dass er dir den Mordeingestanden hat, das macht mich nicht irre; er ist einSchakadschy, ein Spaßvogel, dessen Absicht es war, sicheinen Scherz zu machen.“

„Mit einem Mord spaßt man nicht!“„Aber mit einem Menschen und der bist du. Und du

glaubst endlich auch, dass er den Führer Sadek erschossenhat?“

„Ja.“„Du warst dabei?“„Allerdings.“„Und hast es gesehen?“„Sehr deutlich. Auch Hadschi Halef Omar ist Zeuge.“„Nun wohl, so hat er ihn erschossen; aber willst du wirk-

lich deshalb sagen, dass er ein Mörder sei?“

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„Natürlich!“„Effendi, Allah stärke deine Gedanken, denn du sollst

gleich einsehen, dass der Mensch nicht schließen soll!“„Nun?“„Weil du Zeuge bist, dass er den Führer erschossen hat,

schließest du, dass er ein Mörder sei?“„Das versteht sich doch ganz von selbst.“„Falsch! Wenn es nun eine Blutrache gewesen wäre! Gibt

es in deinem Land keine Blutrache?“„Nein.“„So sage ich dir, dass der Bluträcher niemals ein Mörder

ist. Kein Richter verdammt ihn; nur diejenigen, zu denender Tote gehörte, haben das Recht, ihn zu verfolgen.“

„Aber Sadek hat ihn nicht beleidigt!“„So wird ihn der Stamm beleidigt haben, zu dem Sadek

gehörte.“„Auch das ist nicht der Fall. Wekil, ich will dir sagen,

dass ich meinerseits mit diesem Abu en Naßr, der eigent-lich Hamd el Amasat heißt und schon vorher wohl auchnoch einen armenischen Namen getragen hat, gar nichtszu schaffen haben mag, sobald er mich in Ruhe lässt. Aberer hat den Führer Sadek erschossen, dessen Sohn OmarBen Sadek ist, und dieser hat also, wie du vorhin selbsterklärtest, ein Recht auf das Leben des Mörders. Mach esmit ihm ab, doch sorge auch dafür, dass mir dieser Vater desSieges nicht wieder begegnet, sonst rechne ich mit ihm ab!“

„Effendi, jetzt trieft deine Rede von Weisheit. Ich werdemit Omar sprechen, der ihn freigeben soll; du aber bistmein Gast, solange es dir gefällt.“

Er erhob sich und schritt nach dem Hof. Ich wusste vo-raus, dass alle seine Bemühungen bei Omar vergeblich seinwürden.

Wirklich kehrte er nach einer Zeit mit finsterer Mienezurück und blieb auch schweigsam, als der am Spieß ge-bratene Hammel aufgetragen wurde, den die lieblichenHennafinger der ‚Rose von Kbilli‘ zubereitet hatten. Halef

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und ich langten wacker zu, und eben hatte mir der Wekilgesagt, dass Omar seine Mahlzeit hinaus in den Hof be-kommen solle, da er nicht zu bewegen sei, von seinemGefangenen fortzugehen, als draußen ein lauter Schreierscholl. Ich horchte auf und der Ruf wiederholte sich:

„Breh, Effendina – zu Hilfe!“Das galt mir. Ich sprang auf und eilte hinaus. Omar lag

an der Erde und balgte sich mit den Soldaten herum, derGefangene aber war nicht zu sehen. Am andern Ausgangaber stand der Schwarze und grinste mir mit schadenfro-her Miene entgegen:

„Fort, Sihdi – dort reitet er!“Drei Schritte brachten mich vor das Haus und ich sah

Abu en Naßr eben zwischen den Palmen verschwinden.Er ritt ein Eilkamel, das einen vortrefflichen Schritt zuhaben schien. Ich erriet alles. Der Wekil war erfolglos imHof gewesen, aber er wollte Abu en Naßr retten; er hattedem Schwarzen den Befehl gegeben, das Kamel bereitzu-halten und den Soldaten befohlen, Omar zu halten undden Gefangenen loszuschneiden. Die elf mutigen Heldenhatten sich an diesen einen gewagt und der Streich wargelungen. Freilich hatten sie dieses Gelingen teuer bezahlt.Omar hatte sein Messer gebraucht, und als ich den Knäu-el, den die Kämpfenden bildeten, auseinander brachte, sahich, dass mehrere von ihnen bluteten.

„Er ist fort, Sihdi!“, keuchte der junge Führer vor Wutund Anstrengung.

„Ich sah es.“„Wohin?“„Dorthin.“Ich deutete mit der Hand die Himmelsrichtung an.„Strafe du diese hier, Effendi, ich werde dem Entflohe-

nen nachjagen.“„Er saß auf einem Reitkamel.“„Ich werde ihn dennoch ereilen.“„Du hast kein Tier!“

74

„Sihdi, ich habe hier Freunde, die mir ein edles Tier gebenwerden, und Datteln und Wasserschläuche. Ehe er am Hori-zont verschwindet, werde ich auf seiner Spur sein. Du wirstauch die meinige finden, wenn du nachkommen willst.“

Er eilte von dannen.Halef hatte das alles gesehen und mir auch geholfen,

Omar aus den Händen der Soldaten zu befreien. Er glüh-te vor Zorn.

„Warum habt ihr diesen Menschen befreit, ihr Hunde,ihr Abkömmlinge von Mäusen und Ratten...“

Er hätte sicherlich seine Strafpredigt fortgesetzt, wennnicht die Frau des Wekil auf dem Platz erschienen wäre.Sie war wieder dicht verschleiert.

„Was ist geschehen?“, fragte sie mich.„Deine Truppen sind über meinen Führer hergefallen...“„Ihr Schurken, ihr Buben!“, rief sie, mit dem Fuß stamp-

fend und die roten Fäuste durch die Hülle zwängend.„Und haben den Gefangenen befreit...“„Ihr Spitzbuben, ihr Betrüger!“, fuhr sie fort und es hat-

te allen Anschein, als wollte sie sich an ihnen vergreifen.„Auf Befehl des Wekil“, fügte ich hinzu.„Des Wekil? – Der Wurm, der Ungehorsame, der Un-

nütze, der Trotzkopf! Meine Hand soll über ihn kommen,und zwar sogleich, in diesem Augenblick!“

Sie wandte sich um und ruderte in vollem Zorn nachdem Sselamlyk.

O du beglückende Pantoffelherrschaft, dein Zepter ist ganzdasselbe im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen!Halef machte ein sehr befriedigtes Gesicht und meinte:

„Sie ist der Wekil und er die Wekile, und wir stehen unshier besser im Schatten der Statthalterin, als wenn wir einBujrultu hätten und der Schatten des Großherrn uns be-schütze. Hamdulillah – Preis sei Allah, dass ich nicht soglücklich bin, der Wekil dieser Statthalterin zu sein!“

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4. In Abrahim Mamurs Gewalt

Es war um die Zeit, in der die ägyptische Sonne ihreStrahlen mit gesteigerter Glut auf die Erde sendet und einjeder, den nicht die Not hinaus unter den freien Himmeltreibt, sich unter den Schutz seines Daches zurückziehtund nach Ruhe und Kühlung strebt. Auch ich lag auf demweichen Diwan meiner gemieteten Wohnung, schlürftekräftigen Mokka und schwelgte im Duft des würzigenDschebeli1, der meiner Pfeife entströmte. Die starken, nachaußen fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrand Ein-halt und die aufgestellten porösen Tongefäße, durch derenWände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphä-re so erträglich, dass ich von der während der Mittagszeithier so gewöhnlichen Abspannung des Menschen wenigoder gar nichts bemerkte. Da erhob sich draußen die schel-tende Stimme meines Dieners Halef Agha.

Halef Agha? Ja, mein guter, kleiner Halef war ein Agha,ein Herr geworden; und wer hatte ihn dazu gemacht? Spaß-hafte Frage! Wer denn anders als er selbst!

Wir waren über Tripolis und Kufarah nach Ägypten ge-kommen, hatten Kairo besucht, das der Ägypter schlecht-weg ‚die Hauptstadt‘ oder noch lieber el Kahira, die Sieg-reiche, nennt, waren den Nil, so weit es mir meine be-schränkten Mittel erlaubten, hinaufgefahren und hattenuns dann zum Ausruhen die Wohnung genommen, in derich mich ganz wohl befunden hätte, wenn nicht mein sonstganz prächtiger Diwan und alle Teppiche sehr dicht vonjenen springfertigen, stechkundigen Geschöpfen heimgesuchtworden wären, von denen der alte, gute Fischart dichtete:

„Mich bizt neizwaz, waz mag daz sein?“

und von denen man außer dem großäugigen Pulex xanisund dem rötlichen Pulex musculi noch den allbeliebten

1 Besonders vorzügliche Tabaksorte aus Syrien

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Pulex irritans und den wütenden Pulex penetrans kennengelernt hat. Leider muss ich sagen, dass Ägypten nicht dasJagdgefilde des ‚irritans‘, sondern des ‚penetrans‘, also nichtdes ‚reizenden‘, sondern des ‚durchdringenden‘ Pulex ist,und so brauche ich wohl nicht hinzuzufügen, dass meinKef nicht ganz ohne alle Belästigung geblieben war.

Also draußen erhob sich die scheltende Stimme meinesDieners Halef Agha, die mich aus meinen Träumen weckte:

„Was? Wie? Wen?“„Den Effendi“, antwortete es schüchtern.„Den Effendi, den großen Herrn und Meister, willst du

stören?“„Ich muss ihn sprechen.“„Was? Du musst? Jetzt, in seinem Kef? Hat dir der Teu-

fel – Allah beschütze mich vor ihm! – den Kopf mit Nil-schlamm gefüllt, dass du nicht begreifen kannst, was einEffendi, ein Hekim1, zu bedeuten hat, ein Mann, den derProphet mit Weisheit speist, sodass er alles kann, sogar dieToten lebendig machen, wenn sie ihm nur sagen, woransie gestorben sind!“

Ach ja, ich muss es eingestehen, dass mein Halef hier inÄgypten sehr, sehr anders geworden war! Er war jetzt au-ßerordentlich stolz, unendlich grob und heillos aufschnei-derisch geworden und das will im Orient viel sagen.

Im Morgenland wird jeder Deutsche für einen großenGärtner und jeder Ausländer für einen guten Schützen oderfür einen großen Arzt gehalten2. Nun war mir unglückli-cherweise in Kairo eine alte, nur noch halb gefüllte ho-möopathische Apotheke von Willmar Schwabe in die Handgekommen; ich hatte hier und da bei einem Fremden oderBekannten fünf Körnchen in dreißigfacher Verdünnungversucht, dann während der Nilfahrt meinen Schifferngegen alle möglichen eingebildeten Leiden eine Messer-spitze Milchzucker gegeben und war mit ungeheurer Schnel-ligkeit in den Ruf eines Arztes gekommen, der mit dem

1 Arzt 2 Die Erzählung wurde 1880 geschrieben.

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Schejtan im Bunde stehe, weil er mit drei Körnchen Durrha-Hirse Tote lebendig machen könne.

Dieser Ruf hatte im Kopf meines Halef eine gelinde Artvon Größenwahn erweckt, der ihn aber glücklicherweisenicht hinderte, mir der treueste und aufmerksamste Die-ner zu sein. Dass er am meisten beitrug, meinen Ruhm zuverbreiten, das versteht sich von selbst; er war ganz undgar in das schmachvolle Laster des weiland Barons vonMünchhausen verfallen und versuchte nebenbei, durcheine Grobheit zu glänzen, die klassisch zu werden drohte.

So hatte er sich, unter anderem, von seinem geringenLohn eine Peitsche aus Nilpferdhaut gekauft, ohne die ergar nicht zu sehen war. Er kannte Ägypten von früher herund behauptete, dass ohne Peitsche da gar nicht auszu-kommen sei, weil sie größere Wunder tue als Höflichkeitund Geld, von welch Letzterem mir allerdings kein großerÜberfluss zur Verfügung stand.

„Gott erhalte deine Rede, Sihdi“, hörte ich die bittendeStimme wieder, „aber ich muss deinen Effendi, den gro-ßen Arzt aus Franghistan, wirklich sehen und sprechen.“

„Jetzt nicht.“„Es ist sehr notwendig, sonst hätte mich mein Herr nicht

gesandt.“„Wer ist dein Herr?“„Es ist der reiche und mächtige Abrahim Mamur, dem

Allah tausend Jahre schenken möge.“„Abrahim Mamur? Wer ist denn dieser Abrahim Mamur

und wie hieß sein Vater? Wer war der Vater seines Vatersund der Vater seines Vatervaters? Wem wurde er geborenund wo leben die, denen er seinen Namen verdankt?“

„Das weiß ich nicht, Sihdi, aber er ist ein mächtiger Herr,wie ja schon sein Name sagt.“

„Sein Name? Was meinst du?“„Abrahim Mamur. Mamur heißt Beamter und ich sage

dir, dass er Vorsteher eines Provinzbezirkes gewesen ist.“„Gewesen? Er ist es also nicht mehr?“

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„Nein.“„Das dachte ich mir. Niemand kennt ihn, selbst ich,

Halef Agha, der tapfere Freund und Beschützer meinesGebieters, habe noch nie von ihm gehört und noch niedie Spitze seines Tarbusch gesehen. Geh fort, mein Herrhat keine Zeit.“

„So sage mir, Sihdi, was ich tun muss, um zu ihm zukommen!“

„Kennst du nicht das Wort von dem silbernen Schlüs-sel, der die Stätten der Weisheit erschließt?“

„Ich habe diesen Schlüssel bei mir.“„So schließe auf.“Ich horchte gespannt und vernahm das leise Klimpern

von Geldstücken.„Ein Piaster? 1 Mann, ich sage dir, dass das Loch im

Schloss größer ist als dein Schlüssel; er passt nicht, denner ist zu klein.“

„So muss ich ihn vergrößern.“Wieder klangen draußen kleine Silberstücke. Ich wusste

nicht, sollte ich lachen oder mich ärgern? Dieser HalefAgha war ja ein ganz außerordentlich geriebener Pförtnergeworden!

„Drei Piaster? Gut, so kann man wenigstens fragen, wasdu bei dem Effendi auszurichten hast.“

„Er soll kommen und seine Zaubermedizin mitbringen.“„Mensch, was fällt dir ein! Für drei Piaster soll ich ihn

verleiten, diese Medizin wegzugeben, die ihm in der ers-ten Nacht jedes Neumondes von einer weißen Fee gebrachtwird?“

„Ist dies wahr?“„Ich, Hadschi Halef Omar Agha Ben Hadschi Abul Abbas

Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, sage es. Ich habe sie selbstgesehen, und wenn du es nicht glaubst, so wirst du hierdiese Kurbatsch, meine Nilpferdpeitsche, zu kosten bekom-men!“

1 Damals etwa 20 Pfennig

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„Ich glaube es, Sihdi...“„Das ist dein Glück!“„...und werde dir noch zwei Piaster geben.“„Gib sie her! Wer ist denn krank im Hause deines

Herrn?“„Das ist ein Geheimnis, das nur der Effendi erfahren

darf.“„Nur der Effendi? Schurke, bin ich nicht auch ein Effendi,

der die Fee gesehen hat! Geh nach Hause, Halef Agha lässtsich nicht beleidigen!“

„Verzeihe, Effendi, ich werde es dir sagen!“„Ich mag es nun nicht wissen. Pack dich von dannen!“„Aber ich bitte dich...“„Pack dich!“„Soll ich dir noch einen Piaster geben?“„Ich nehme nicht einen mehr!“„Effendi!“„Sondern zwei!“„O Effendi, deine Stirn leuchtet vor Güte. Hier hast du

die zwei Piaster.“„Schön! Also wer ist krank?“„Das Weib meines Herrn.“„Das Weib deines Herrn?“, fragte Halef verwundert.

„Welche Frau?“„Er hat nur diese eine.“„Und soll Mamur gewesen sein?“„Er ist so reich, dass er hundert Frauen haben könnte,

aber er liebt nur diese.“„Was fehlt ihr?“„Niemand weiß es, aber ihr Leib ist krank und ihre See-

le ist noch kränker.“„Allah kerîm – Gott ist gnädig, aber ich nicht. Ich stehe

da, mit der Kurbatsch in der Hand, und möchte sie dirauf den Rücken geben. Beim Bart des Propheten, deinMund spricht eine solche Weisheit, als wäre dir der Ver-stand ins Wasser gefallen! Weißt du nicht, dass ein Weib

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gar keine Seele hat und deshalb auch nicht in den Him-mel darf? Wie also kann die Seele eines Weibes krank seinund gar noch kränker als ihr Leib?“

„Ich weiß es nicht, aber so wurde mir gesagt. Lass michhinein zu dem Effendi!“

„Ich darf es nicht tun.“„Warum nicht?“„Mein Herr verachtet die Frauen. Die schönste Perle der

Weiber ist ihm wie der Skorpion im Sand und seine Handhat noch nie das Gewand einer Frau berührt. Er darf keinirdisches Weib lieben, sonst würde die Fee nie wiederkom-men.“

Ich musste das Talent Halefs von Minute zu Minute mehranerkennen, fühlte aber trotzdem große Lust, ihn seineeigene Nilpferdpeitsche schmecken zu lassen. Jetzt ertön-te die Antwort:

„Du musst wissen, Sihdi, dass er ihr Gewand nicht be-rühren und ihre Gestalt nicht sehen wird. Er darf nur durchdas Gitter mit ihr sprechen.“

„Ich bewundere die Klugheit deiner Worte und die Weis-heit deiner Rede, Mann. Merkst du denn nicht, dass ergerade durch das Gitter nicht mit ihr sprechen darf?“

„Warum?“„Weil die Gesundheit, die der Effendi spenden soll, gar

nicht zu dem Weib käme, sondern am Gitter hängen blei-ben würde. Geh fort!“

„Ich darf nicht gehen, denn ich werde hundert Schlägeauf die Sohlen bekommen, wenn ich den weisen Effendinicht bringe.“

„Danke deinem gütigen Herrn, du Sklave eines Ägyp-ters, dass er deine Füße mit Gnade erleuchtet. Ich will dichnicht um dein Glück betrügen. Es selâm ’alejkum, Allahsei bei dir und lasse dir die Hundert gut bekommen!“

„So lass dir noch eins sagen, tapferer Agha. Der Herrunseres Hauses hat mehr Beutel in seiner Schatzkammer,als du jemals zählen kannst. Er hat mir befohlen, dass du

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auch mitkommen sollst, und du wirst ein Bakschisch er-halten, ein Geschenk, wie es selbst der Khedive von Ägyp-ten nicht reicher geben würde.“

Jetzt endlich wurde der Mann klug und fasste meinenHalef etwas kräftiger bei dem Punkt, an dem man jedenOrientalen zu packen hat, wenn man ihn günstig stim-men will. Der kleine Haushofmeister änderte auch sofort sei-nen Ton und antwortete mit hörbar freundlicherer Stimme:

„Allah segne deinen Mund, mein Freund! Aber ein Pias-ter in meiner Hand ist mir lieber als zehnt Beutel in eineranderen. Die deinige aber ist so mager wie der Schakal inder Schlinge oder wie die Wüste der Bischarin.“

„Lass den Rat deines Herzens nicht zögern, mein Bru-der!“

„Dein Bruder? Mensch, bedenke, dass du ein Sklave bist,während ich als freier Mann meinen Effendi begleite undbeschütze! Der Rat meines Herzens bleibt zurück. Wiekann das Feld Früchte bringen, wenn so wenig TropfenTau vom Himmel fallen!“

„Hier hast du noch drei Tropfen!“„Noch drei? So will ich sehen, ob ich den Effendi stören

darf, wenn dein Herr wirklich ein solches Bakschisch gibt.“„Er gibt es.“„So warte!“Jetzt endlich also glaubte er, mich ‚stören zu dürfen‘,

der schlaue Fuchs! Übrigens handelte er nach der allge-meinen Unsitte, sodass er einigermaßen zu entschuldigenwar, zumal das Wenige, was er für seine Dienste von mirforderte, kaum der Rede wert war.

Was mich aber bei der ganzen Angelegenheit mit Ver-wunderung erfüllte, war der Umstand, dass ich nicht zueinem männlichen, sondern zu einem weiblichen Patien-ten verlangt wurde. Da aber, abgesehen von den wandern-den Nomadenstämmen, der Moslem die Bewohnerinnenseiner Frauengemächer niemals den Augen eines Fremdenfreigibt, so handelte es sich hier jedenfalls um ein nicht

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mehr junges Weib, das sich vielleicht durch Eigenschaftendes Charakters und Gemüts die Liebe Abrahim Mamurserhalten hatte.

Halef trat ein.„Schläfst du, Sihdi?“Der Schlingel! Hier nannte er mich Sihdi und draußen

ließ er sich selbst so nennen.„Nein. Was willst du?“„Draußen steht ein Mann, der mit dir sprechen will. Er

hat ein Boot im Nil und sagt, ich müsse auch mitkom-men.“

Der schlaue Bursche machte diese Schlussbemerkungnur, um sich das versprochene Trinkgeld zu sichern. Ichwollte ihn nicht in Verlegenheit bringen und tat, als hätteich nichts gehört.

„Was will er?“„Jemand ist krank.“„Ist es notwendig?“„Sehr, Effendi. Die Seele der Kranken steht schon im

Begriff die Erde zu verlassen. Darum musst du eilen, wenndu sie festhalten willst.“

Hm, er war kein übler Diplomat!„Lass den Mann eintreten!“Er ging hinaus und schob den Boten herein. Dieser ver-

beugte sich bis zur Erde nieder, zog die Schuhe aus undwartete dann demütig, bis ich ihn anreden würde.

„Tritt näher!“„Es selâm ’alejkum! Heil sei mit dir, Herr“, grüßte er.

„Allah lasse dein Ohr offen sein für die demütige Bitte desgeringsten deiner Knechte.“

„Wer bist du?“„Ich bin ein Diener des großen Abrahim Mamur, der

aufwärts am Fluss wohnt.“„Was sollst du mir sagen?“„Es ist großes Herzeleid gekommen über das Haus mei-

nes Gebieters, denn Güsela, die Krone seines Herzens,

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schwindet hin in die Schatten des Todes. Kein Arzt, keinFakir und kein Zauberer vermochten den Schritt ihrerKrankheit aufzuhalten. Da hörte mein Herr – den Allaherfreuen möge – von dir und deinem Ruhm und dass derTod vor deiner Stimme flieht. Er sandte mich zu dir undlässt dir sagen: Komm und nimm den Tau des Verderbensvon meiner Blume, so soll mein Dank süß sein und hellwie der Glanz des Goldes.“

Diese Beschreibung einer bejahrten Frau schien mir einwenig überschwänglich zu sein.

„Ich kenne den Ort nicht, an dem dein Herr wohnt. Ister weit von hier?“

„Er wohnt am Strand und sendet dir ein Boot. In einerStunde wirst du bei ihm sein.“

„Wer wird mich zurückfahren?“„Ich.“„Ich komme. Warte draußen!“Er nahm seine Schuhe und zog sich zurück. Ich erhob

mich, warf ein anderes Gewand über und griff nach mei-nem Kästchen mit Akonit, Sulphur, Pulsatilla und all denMitteln, die in einer Apotheke von hundert Nummern zuhaben sind. Bereits nach fünf Minuten saßen wir in demvon vier Ruderern bewegten Kahn, ich in Gedanken ver-sunken, Halef aber stolz wie ein Pascha von drei Rossschwei-fen. Im Gürtel trug er die silberbeschlagenen Pistolen, dieer in Kairo geschenkt erhalten hatte, und den scharfen,glänzenden Dolch, in der Hand aber die unvermeidlicheNilpferdpeitsche, das beste Mittel, sich unter der dortigenBevölkerung Achtung, Ehrerbietung und Berücksichtigungzu verschaffen.

Zwar war die Hitze nicht angenehm, aber die stromauf-wärts gehende Bewegung unseres Fahrzeugs brachte unsmit einem kühlenden Luftzug in Berührung.

Es ging eine Strecke weit an schmalen Pflanzungen vorü-ber, aus deren Hintergrund schlanke Palmen emporrag-ten; dann folgten unbebaute Flächen, über die sich ein

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niederes Gestrüpp von Mimosen und Sykomoren hin-streckte. Einige unbedeutende Orte mit Ruinen aus derklassischen Zeit folgten. In den das Niltal begleitendenFelswänden zeigte sich Granit. Das Tal verengte sich undman konnte die Wellen einer Stromschnelle erkennen. Eswar dies das Bab el Kalabscheh, ein mehrere Kilometerlanger Engpass. Vor dessen Beginn erhob sich eine qua-dratische Mauer, durch die wir uns den Eingang suchenmussten.

Als wir anlangten, bemerkte ich, dass ein schmaler Ka-nal aus dem Fluss unter der Mauer fortführte, jedenfallsum die Bewohner mit dem nötigen Wasser zu versehen,ohne dass sie sich aus ihrer Wohnung zu bemühen brauch-ten. Unser Führer schritt uns voran, führte uns um zweiEcken nach der dem Wasser abgekehrten Seite und gab andem dort befindlichen Tor ein Zeichen, auf das hin unsbald geöffnet wurde.

Das Gesicht eines Schwarzen grinste uns entgegen, docherwiderten wir nur flüchtig seinen respektvollen Gruß undschritten an ihm vorüber. Architektonische Schönheit durf-te ich bei einem orientalischen Prachtgebäude nicht er-warten und so fühlte ich mich auch nicht überrascht vonder kahlen, nackten, fensterlosen Front, die das Haus mirzukehrte. Aber das Klima des Landes hatte doch einen argzerstörenden Einfluss auf das alte Gemäuer ausgeübt,sodass ich es zur Wohnung eines zarten, kranken Weibesnicht hätte empfehlen mögen.

Früher hatten Zierpflanzen den schmalen Raum zwi-schen der Mauer und dem Gebäude geschmückt und denBewohnerinnen eine angenehme Erholung geboten; jetztwaren sie längst verwelkt und verdorrt. Wohin das Augenur blickte, fand es nichts als starre kahle Öde, und nurScharen von Schwalben, die in den zahlreichen Rissen undSprüngen des Gebäudes nisteten, brachten einigermaßenLeben und Bewegung in das traurige, tote Bild.

Der voranschreitende Bote führte uns durch einen dunk-

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len, niedrigen Torgang in einen kleinen Hof, dessen Mitteein Wasserbecken einnahm. Also bis hierher führte derKanal, den ich vorhin bemerkt hatte, und der Erbauer deseinsamen Hauses war klugerweise vor allen Dingen da-rauf bedacht gewesen, sich und die Seinigen reichlich mitdem zu versorgen, was in dem heißen Klima jener Länder-striche das Notwendigste und Unentbehrlichste ist. Zu-gleich bemerkte ich nun auch, dass der ganze Bau daraufangelegt war, die jährlich wiederkehrenden Überschwem-mungen des Nils schadlos aushalten zu können. In diesenHof ragten mehrere hölzerne Gitterwerke, hinter denenjedenfalls die zum Aufenthalt dienenden Räume lagen. Ichkonnte ihnen jetzt keine große, zeitraubende Betrachtungschenken, sondern gab meinem Diener einen Wink, mitder Apotheke, die er umhängen hatte, hier zu warten, undfolgte dem Boten in das Sselamlyk des Hauses.

Es war ein geräumiges, halbdunkles und hohes Zimmer,durch dessen vergitterte Fensteröffnungen ein wohltuendgedämpftes Licht fiel. Durch die aufgeklebten Tapeten,Arabesken und Ornamente hatte es einen wohnlichenAnstrich erhalten und die in einer Nische stehenden Wasser-kühlgefäße erzeugten eine recht angenehme Temperatur.Ein Geländer trennte den Raum in zwei Hälften, derenvordere für die Dienerschaft, die hintere aber für den Herrnund die besuchenden Gäste bestimmt war. Den erhöhtenHintergrund zierte ein breiter Diwan, der von einer Eckebis in die andere reichte und auf der Abrahim Mamur, derBesitzer von „vielen Beuteln“, saß.

Er erhob sich bei unserem Eintritt, blieb aber der Sittegemäß vor seinem Sitz stehen. Da ich nicht die dort ge-wöhnliche Fußbekleidung trug, so konnte ich mich ihrerauch nicht entledigen, sondern schritt, unbekümmert ummeine Lederstiefel, über die kostbaren Teppiche und ließmich an seiner Seite nieder. Die Diener brachten den un-vermeidlichen Kaffee und die noch notwendigeren Pfei-fen und nun konnte das Weitere folgen.

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Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife ge-richtet, denn jeder Kenner des Orients weiß, dass man anihr sehr genau die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennenvermag. Das lange, wohlriechende und mit stark vergol-detem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiss tausendPiaster gekostet. Teurer aber noch war das Bernstein-mundstück, das aus zwei Teilen bestand, zwischen denenein mit Edelsteinen besetzter Ring hervorschimmerte. DerMann schien wirklich „viele Beutel“ zu besitzen, nur wardies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancherInhaber einer Pfeife im Wert von zehntausend Piasternseinen Reichtum doch nur den geknechteten Untertanenentwendet oder geraubt hat. Lieber also einen prüfendenBlick ins Gesicht!

Wo hatte ich diese Züge doch schon gesehen, die schö-nen, feinen und in ihrer Disharmonie so diabolischen Züge?Forschend, scharf, stechend, nein förmlich durchbohrendsenkte sich der Blick des kleinen, unbewimperten Augesin den meinen und kehrte dann kalt und wie beruhigtwieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaf-ten hatten diesem Gesicht immer tiefere Spuren eingegra-ben; die Liebe, der Hass, die Rache, der Ehrgeiz waren ein-ander behilflich gewesen, eine groß angelegte Natur in denSchmutz des Lasters hernieder zu reißen und dem Äuße-ren des Mannes jenes unbeschreibliche Etwas zu verleihen,das dem Guten und Reinen ein sicheres Warnzeichen ist.

Wo war ich diesem Mann begegnet? Gesehen hatte ichihn; ich musste mich nur besinnen; aber, das fühlte ich,unter freundlichen Umständen war es nicht gewesen.

„Nehârak sa’îd – dein Tag sei glücklich!“, grüßte ich.„Nehârak sa’îd we mubârak – dein Tag sei glücklich und

gesegnet!“, ertönte es langsam zwischen dem vollen, präch-tigen, aber schwarz gefärbten Bart hervor. Die Stimme warkalt, klanglos, ohne Leben und Gemüt; es konnte einendabei ein Schauer ankommen. „Möge Allah Balsam wach-sen lassen auf den Spuren deiner Füße und Honig träu-

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feln von den Spitzen deiner Finger, damit mein Herz dieStimme seines Kummers nicht mehr höre!“

„Gott gebe dir Frieden und lasse mich das Gift finden,das am Leben deines Glückes nagt“, erwiderte ich seinenGruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weib des Mos-lems fragen darf, ohne den größten Verstoß gegen die Sit-te zu begehen.

„Ich habe gehört, dass du ein weiser Hekim bist. Wel-che Medresse1 hast du besucht?“

„Keine. Ich bin ein Nemsi.“„Ein Nemsi! Oh, ich weiß, die Nemsi sind kluge Leute;

sie kennen den Stein der Weisen und das Abrakadabra2,das den Tod vertreibt.“

„Es gibt weder einen Stein der Weisen noch ein Abraka-dabra.“

Er blickte mir kalt in die Augen.„Vor mir brauchst du dich nicht zu verbergen. Ich weiß,

dass die Zauberer von ihrer Kunst nicht sprechen dürfen,und will sie dir auch gar nicht entlocken; nur helfen sollstdu mir. Wodurch vertreibst du die Krankheit eines Men-schen, durch Worte oder durch einen Talisman?“

„Weder durch Worte noch durch einen Talisman, son-dern durch die Medizin.“

„Du sollst dich nicht vor mir verstecken. Ich glaube andich, denn obwohl du kein Moslem bist, ist doch deineHand mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet geseg-net. Du wirst die Krankheit finden und besiegen.“

„Nur Allah ist allmächtig; er kann retten und verder-ben, und ihm allein gebührt die Ehre. Doch wenn ich hel-fen soll, so sprich!“

Diese direkte Aufforderung, ein wenn auch noch so un-bedeutendes Geheimnis seines Haushalts preiszugeben,schien ihn unangenehm zu berühren, obwohl er daraufvorbereitet sein musste; doch versuchte er sofort die Schwä-che zu verbergen und befolgte meine Aufforderung:

1 Universität im Orient 2 Ist abgeleitet von dem mittelpersischen, in der Theo-sophie üblichen Wort ‚Abraxas‘ und geht auf eine griechische Zahlenspielerei zurück.

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„Du bist aus dem Land der Ungläubigen, wo es keineSchande ist, von der zu reden, die eine Tochter einer Mut-ter ist?“

Ich war innerlich belustigt von der Art und Weise, mitder er zu umgehen suchte, von ‚seinem Weib‘ zu sprechen,doch blieb ich ernst und antwortete ziemlich kalt:

„Du willst, dass ich dir helfen soll und beschimpfstmich?“

„Inwiefern?“„Du nennst meine Heimat das Land der Ungläubigen.“„Ihr seid doch ungläubig.“„Wir glauben an einen Gott, der derselbe Gott ist, den

ihr Allah nennt. Du nennst mich von deinem Standpunktaus einen Ungläubigen; mit demselben Recht könnte ichdich von meinem Standpunkt aus ebenso nennen; aberich tue es nicht, weil wir Nemsi nie die Pflicht der Höf-lichkeit verletzen.“

„Schweigen wir über den Glauben! Der Moslem darfnicht von seinem Weib sprechen; aber du erlaubst, dassich von den Frauen in Franghistan rede?“

„Ich erlaube es.“„Wenn das Weib eines Franken krank ist...“Er sah mich an, als ob er eine Bemerkung von mir er-

warte; ich winkte ihm nur, in seiner Rede fortzufahren.„Also wenn sie krank ist und keine Speise zu sich

nimmt...“„Keine?“„Nicht die geringste!“„Weiter!“„Wenn sie den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer

Wangen verliert – wenn sie müde ist und doch den Genussdes Schlafes nicht mehr kennt...“

„Weiter!“„Wenn sie nur lehnend steht und langsam, schleichend

geht – vor Kälte schauert und vor Hitze brennt...“„Ich höre. Fahre fort.“

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„Wenn sie bei jedem Geräusch erschrickt und zusam-menzuckt – wenn sie nichts wünscht, nichts liebt, nichtshasst und unter dem Schlag ihres Herzens zittert...“

„Immer weiter!“„Wenn ihr Atem zu sehen ist wie der des kleinen Vogels

– wenn sie nicht lacht, nicht weint, nicht spricht – wennsie kein Wort der Freude und kein Wort der Klage hörenlässt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt – wennsie das Licht der Sonne nicht mehr sehen will und in derNacht wach in den Ecken kauert...“

Wieder blickte er mich an und in seinen flackerndenAugen war eine Angst zu erkennen, die sich durch jededer aufgezählten Krankheitssymptome zu nähern und zuvergrößern schien. Er musste die Kranke mit der letzten,trüben und also schwersten Glut seines fast ausgebrann-ten Herzens lieben und hatte mir, ohne es zu wissen undzu wollen, mit seinen Worten sein ganzes Verhältnis zuihr verraten.

„Du bist noch nicht zu Ende!“„Wenn sie zuweilen plötzlich einen Schrei ausstößt, als

ob ein Dolch ihr in die Brust gestoßen würde – wenn sieohne Aufhören ein fremdes Wort flüstert...“

„Welches Wort?“„Einen Namen.“„Weiter!“„Wenn sie hustet und dann Blut über ihre bleichen Lip-

pen fließt...“Er blickte mich jetzt so starr und angstvoll an, dass ich

merkte, meine Entscheidung würde ein Urteil für ihn sein,ein befreiendes oder ein vernichtendes. Ich zögerte nicht,ihm die Antwort zu geben:

„So wird sie sterben.“Er saß erst einige Augenblicke so bewegungslos, als habe

ihn der Schlag getroffen, dann aber sprang er auf und standhochaufgerichtet vor mir. Der rote Fes war ihm vom kahlgeschorenen Haupt geglitten, die Pfeife seiner Hand entfal-

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len; in seinem Gesicht zuckte es von den widerstreitendstenGefühlen. Es war ein eigentümliches, ein furchtbares Ge-sicht; es glich ganz jenen Abbildungen des Teufels, wie sieder geniale Stift Dorés zu zeichnen verstand, nicht mitSchweif, Pferdefuß und Hörnern, sondern mit höchsterHarmonie des Gliederbaus, jeder einzelne Zug seines Ge-sichtes eine Schönheit, und doch in der Gesamtwirkungdieser Züge so abstoßend, so hässlich, so – diabolisch! SeinAuge ruhte mit dem Ausdruck des Entsetzens auf mir, dersich nach und nach in einen zornigen und dann zuletzt ineinen drohenden verwandelte.

„Giaur!“, donnerte er mich an.„Wie sagtest du?“, fragte ich kalt.„Giaur! Wagst du, mir das zu bieten, Hund? Die Peit-

sche soll dich lehren, wer ich bin und dass du nur zu tunhast, was ich dir befehle. Stirbt sie, so stirbst auch du; dochmachst du sie gesund, so darfst du gehen und kannst ver-langen, was dein Herz begehrt!“

Langsam und in tiefer Seelenruhe erhob auch ich mich,stellte mich in meiner ganzen Länge vor ihn hin und fragte:

„Weißt du, was die größte Schande für einen Moslem ist?“„Was?“„Sieh nieder auf deinen Fes! Abrahim Mamur, was sagt

der Prophet und was sagt der Korân dazu, dass du dieScham deines Scheitels vor einem Christen entblößt hast!“

Im nächsten Augenblick hatte er sein Haupt bedecktund, vor Grimm dunkelrot im Gesicht, den Dolch aus derSchärpe gerissen und gegen mich gezückt.

„Du musst sterben, Giaur!“„Ich werde sterben, wann es Gott gefällt, nicht aber wann

es dir beliebt.“„Du wirst sterben. Bete dein Gebet!“„Abrahim Mamur“, antwortete ich ruhig wie zuvor, „ich

habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferd nachge-schwommen; der Elefant hat meinen Schuss gehört undmeine Kugel hat den Löwen, den ‚Herdenwürgenden‘ ge-

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troffen. Danke Allah, dass du noch lebst, und bitte Gott,dass er dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, denn dubist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nichtsofort geschieht!“

Das war eine neue Beleidigung, eine schwerere als dieandere, und mit einem zuckenden Sprung wollte er michfassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch inmeiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern nie-mals weglegen darf.

Wir standen einander allein gegenüber, denn er hattesofort nach der Darreichung des Kaffees und der Pfeifendie Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von un-serer Unterhaltung vernahm.

Mit meinem wackeren Halef hatte ich nicht den minde-sten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zufürchten; nötigenfalls hätten wir beide die wenigen hierwohnenden Männer zusammengeschossen; aber ich ahn-te zu viel von dem Schicksal der Kranken, für die ich michlebhaft zu interessieren begann; ich musste sie sehen undwomöglich einige Worte mit ihr sprechen.

„Du willst schießen?“, fragte er wütend, auf meinenRevolver deutend.

„Ja.“„Hier in meinem Haus?“„Allerdings, wenn ich gezwungen werde, mich zu ver-

teidigen.“„Hund, es ist wahr, was ich gleich vorhin dachte, als du

eintratest!“„Was ist wahr, Abrahim Mamur?“„Dass ich dich bereits einmal gesehen habe.“„Wo?“„Ich weiß es nicht.“„Wann?“„Auch das weiß ich nicht; aber das ist sicher, dass es nicht

im Guten war.“„Gerade wie heute, denn es sollte mich wundern, wenn

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diese Zusammenkunft gut enden würde. Du hast mich‚Hund‘ genannt und ich sage dir, dass dir, sobald du die-ses Wort noch einmal sagst, meine Kugel im Gehirn sitzenwird. Beachte das wohl, Abrahim Mamur!“

„Ich werde meine Diener rufen!“„Rufe sie, wenn du ihre Leichen sehen willst, um dich

dann tot neben sie zu legen.“„Oho, du bist kein Gott!“„Aber ein Nemsi. Hast du schon einmal die Hand eines

Nemsi gefühlt?“Er lächelte verächtlich.„Nimm dich in Acht, dass du sie nicht einmal zu fühlen

bekommst! Sie ist nicht in Rosenöl gebadet wie die deini-ge. Aber ich will dir den Frieden deines Hauses lassen.Lebe wohl. Du willst es nicht, dass ich den Tod bezwinge;dein Wunsch mag sich erfüllen; rabbena chaliëk – der Herrerhalte dich!“

Ich steckte den Revolver ein und schritt zur Tür.„Bleib!“, rief er.Ich ging dennoch weiter.„Bleib!“, rief er gebieterischer.Ich hatte beinahe die Tür erreicht und kehrte nicht um.„So stirb, Giaur!“Im Nu drehte ich mich um und hatte gerade noch Zeit,

zur Seite auszuweichen. Sein Dolch flog an mir vorüberund tief in das Getäfel der Wand.

„Jetzt bist du mein, Bube!“Mit diesen Worten sprang ich auf ihn zu, fasste ihn, riss

ihn empor und schleuderte ihn gegen die Wand.Er blieb einige Sekunden liegen und raffte sich dann

wieder empor. Seine Augen waren weit geöffnet, die Adernseiner Stirn zum Bersten geschwollen und seine Lippenblau vor Wut, aber ich hielt ihm den Revolver entgegenund er blieb eingeschüchtert vor mir halten.

„Jetzt hast du die Hand eines Nemsi kennen gelernt. Wagees nicht wieder, sie zu reizen!“

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„Mensch!“„Feigling! Wie nennt man das, wenn einer einen Arzt

um Hilfe bittet, ihn mit Worten beschimpft und dann garhinterrücks ermorden will? Der Glaube, der solche Beken-ner hat, kann nicht viel taugen!“

„Zauberer!“„Warum?“„Wenn du keiner wärst, hätte dich ganz sicher mein

Dolch getroffen und du hättest nicht die Kraft gehabt,mich empor zu werfen!“

„Nun wohl! Bin ich ein Zauberer, so hätte ich dir auchGüsela, dein Weib, erhalten können.“

Ich sprach den Namen mit Vorbedacht aus. Es hatteWirkung.

„Wer hat dir diesen Namen genannt?“„Dein Bote.“„Ein Ungläubiger darf nicht den Namen einer Gläubi-

gen aussprechen!“„Ich spreche nur den Namen eines Weibes aus, das be-

reits morgen tot sein kann.“Wieder blickte er mich mit seiner eisigen Starrheit an,

dann aber schlug er die Hände vors Gesicht.„Ist es wahr, Hekim, dass sie bereits morgen tot sein

kann?“„Es ist wahr.“„Kann sie nicht gerettet werden?“„Vielleicht.“„Sage nicht vielleicht, sondern sage gewiss! Bist du be-

reit, mir zu helfen? Wenn sie gesund wird, so fordere, wasdu willst.“

„Ich bin bereit.“„So gib mir deinen Talisman oder deine Medizin.“„Ich habe keinen Talisman und Medizin kann ich dir

jetzt nicht geben.“„Warum nicht?“„Der Arzt kann nur dann einen Kranken heilen, wenn

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er ihn sehen kann. Komm, lass uns zu ihr gehen oder lasssie zu uns kommen!“

Er fuhr zurück, wie von einem Stoß getroffen.„Bist du toll? Der Geist der Wüste hat dein Hirn ver-

brannt, dass du nicht weißt, was du forderst. Das Weibmuss ja sterben, auf dem das Auge eines fremden Mannesruhte!“

„Sie wird noch sicherer sterben, wenn ich nicht zu ihrdarf. Ich muss den Schlag ihres Pulses messen und Ant-wort von ihr hören über vieles, was ihre Krankheit be-trifft. Nur Gott ist allwissend und braucht niemand zufragen.“

„Du heilst wirklich nicht durch Talisman?“„Nein.“„Auch nicht durch Worte?“„Nein.“„Oder durch das Gebet?“„Ich bete auch für die Leidenden; aber Gott hat uns die

Mittel, sie gesund zu machen, bereits in die Hand gelegt.“„Welche Mittel sind es?“„Es sind Blumen, Metalle und Erden, deren Säfte und

Kräfte wir ausziehen.“„Es sind keine Gifte?“„Ich vergifte keinen Kranken.“„Kannst du das beschwören?“„Vor jedem Richter.“„Und du musst mit ihr sprechen?“„Ja.“„Was?“„Ich muss sie nach ihrer Krankheit fragen und nach al-

lem, was damit zusammenhängt.“„Nach andern Dingen nicht?“„Nein.“„Du wirst mir jede Frage vorher sagen, damit ich sie dir

erlaube?“„Ich bin es zufrieden.“

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„Und du musst auch ihre Hand betasten?“„Ja.“„Ich erlaube es dir auf eine ganze Minute. Musst du ihr

Angesicht sehen?“„Nein, sie kann ganz verschleiert bleiben. Aber sie muss

mehrmals im Zimmer auf und ab gehen.“„Warum?“„Weil am Gang oder an der Haltung vieles zu erkennen

ist, was die Krankheit betrifft.“„Ich erlaube es dir und werde die Kranke jetzt herbeiho-

len.“„Das darf nicht sein.“„Warum nicht?“„Ich muss sie da sehen, wo sie wohnt; ich muss alle ihre

Zimmer betrachten.“„Aus welchem Grund?“„Weil es viele Krankheiten gibt, die nur in unpassenden

Wohnungen entstehen, und das kann nur das Auge desArztes bemerken.“

„So willst du wirklich meinen Harem1 betreten?“„Ja.“„Ein Ungläubiger?“„Ein Christ.“„Ich erlaube es nicht.“„So mag sie sterben. Allah jekûn ma’ak – Gott behüte

dich!“Ich wandte mich zum Gehen. Obgleich ich bereits aus der

Aufzählung der Symptome gemerkt hatte, dass Güsela an ei-ner hochgradigen Gemütskrankheit litt, tat ich doch, alsglaubte ich an eine bloß körperliche Erkrankung; denn gera-de wie ich vermutete, dass ihr Leiden die Folge eines Zwan-ges sei, der sie in die Gewalt dieses Mannes gebracht hatte,wollte ich mich so weit wie möglich über alles aufklären. Erließ mich wieder bis zur Tür gehen, dann aber rief er:

1 Das arabische Wort Harem bedeutet eigentlich ‚Das Heilige, Unverletzliche‘und bezeichnet bei den Mohammedanern die Frauenwohnung, die von den übri-gen Räumen des Hauses abgesondert ist.

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„Halt, Hekim, bleib da. Du sollst die Gemächer betre-ten!“

Ich wandte mich um und schritt, ohne ihn meine Ge-nugtuung merken zu lassen, wieder auf ihn zu. Ich hattegesiegt und war außerordentlich zufrieden mit den Zuge-ständnissen, die er mir gemacht hatte. Die Liebe des Ägyp-ters und seine Sorge mussten sehr ungewöhnlich sein, dasser sich zu solchen Zugeständnissen verstand. Freilich konn-te ich die ingrimmige Erbitterung gegen mich aus jederseiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein unausweisbarerEindringling in die Mysterien seiner inneren Häuslichkeit,und ich hegte die Überzeugung, dass ich ihn auch selbstim Fall einer glücklichen Heilung der kranken Frau alsunversöhnlichen Feind zurücklassen würde, zumal er ganzwie ich die Überzeugung hatte, dass wir uns bereits ein-mal unter unfreundlichen Umständen begegnet waren.

Jetzt entfernte er sich, um alles Nötige in eigener Personanzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, dasser einem fremden Mann Zutritt in das Heiligtum seinesHauses gestattete.

Er kehrte erst nach einer langen Weile zurück. Es lagein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinenzusammengekniffenen Mund, und mit einem Blick vollhervorbrechenden Hasses erklärte er:

„Du sollst zu ihr gehen...“„Du versprachst es bereits.“„Und ihre Zimmer sehen...“„Natürlich.“„Auch sie selbst...“„Verschleiert und eingehüllt.“„Und mir ihr sprechen.“„Das ist notwendig.“„Ich erlaube dir viel, unendlich viel, Effendi. Aber bei

der Seligkeit aller Himmel und bei den Qualen aller Höl-len, sobald du ein Wort sprichst, das ich nicht wünsche,oder das Geringste tust, was dir nicht von mir erlaubt

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wurde, stoße ich sie nieder. Du bist stark und wohlbe-waffnet, darum wird mein Dolch nicht gegen dich, son-dern gegen sie gerichtet sein. Ich schwöre es dir bei allenSuwar 1 des Korân und bei allen Kalifen, deren AndenkenAllah segnen möge!“

Er hatte mich also doch kennen gelernt und dachte sich,dass ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als prah-lerische Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtetgewesen wären. Übrigens war es mir ja gar nicht in denSinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken; nurkonnte ich mich bei seinem Verhalten je länger, desto we-niger einer Ahnung erwehren, dass in seinem Verhältnis zuder Kranken irgendein dunkler Punkt zu finden sei.

„Ist es Zeit?“, fragte ich.„Komm!“Er schritt voran und ich folgte ihm.Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern lie-

gende Räume, in denen allerlei nächtliches Getier sein We-sen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, das alsVorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum,der allem Anschein nach als eigentliches Frauengemachbenutzt wurde. Alle umherliegenden Kleinigkeiten warensolche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutztwerden.

„Das sind die Zimmer, die du sehen wolltest. Sieh, ob duden Dämon der Krankheit in ihnen zu finden vermagst!“,meinte Abraham Mamur mit einem halb spöttischenLächeln.

„Und das Gemach nebenan?“„Die Kranke befindet sich darin. Du sollst es auch sehen,

aber ich muss mich vorher überzeugen, ob die Sonne ihrAngesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wageja nicht, mir nachzufolgen, sondern warte ruhig, bis ichwiederkomme!“

Er trat hinaus und ich war allein.

1 Plural von Sura, die Strophe, der Abschnitt

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Also da draußen befand sich Güsela. Dieser Name be-deutet wörtlich ‚die Schöne‘. Dieser Umstand und das ganzeVerhalten des Ägypters brachte meine frühere Vermutung,dass es sich um eine ältere Person handle, ins Wanken.

Ich ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Es warhier ganz dieselbe Einrichtung getroffen wie im Zimmerdes Hausherrn:

Das Geländer, der Diwan, die Nische mit den Kühl-gefäßen.

Nach kurzer Zeit erschien Abrahim wieder.„Hast du die Räume geprüft?“, fragte er mich.„Ja.“„Nun?“„Es lässt sich nichts sagen, bis ich bei der Kranken ge-

wesen bin.“„So komm, Effendi. Aber lass dich noch einmal warnen!“„Schon gut! Ich weiß ganz genau, was ich zu tun habe.“Wir traten in das andere Gemach. In weite Gewänder

gehüllt, stand eine Frauengestalt tiefverschleiert an derhinteren Wand des Zimmers. Nichts war von ihr zu se-hen, als die kleinen, in Samtpantoffeln steckenden Füße.

Ich begann meine Fragen, deren Enthaltsamkeit denÄgypter vollständig befriedigte, ließ sie eine kleine Bewe-gung machen und bat sie endlich, mir die Hand zu rei-chen. Fast wäre ich trotz der ernsten Situation in eine lau-te Heiterkeit ausgebrochen. Die Hand war nämlich sovollständig in ein dickes Tuch gebunden, dass es ganz undgar unmöglich war, auch nur die Lage oder Form einesFingers zu erkennen. Sogar der Arm war in derselben Weiseverhüllt.

Ich wandte mich zu Abrahim.„Die Bandagen müssen entfernt werden.“„Warum?“„Ich kann den Puls nicht fühlen.“„Entferne die Tücher!“, gebot er ihr.Sie zog den Arm hinter die Hüllen zurück und ließ dann

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ein zartes Händchen erscheinen, an dessen Goldfinger icheinen sehr schmalen Reifen erblickte, der eine Perle trug.Abrahim beobachtete meine Bewegungen mit gespannterAufmerksamkeit. Während ich meine Finger an ihr Hand-gelenk legte, neigte ich mein Ohr tiefer, wie um den Pulsnicht bloß zu fühlen, sondern auch zu hören, und – täusch-te ich mich nicht – da wehte es leise, leise, fast unhörbardurch den Schleier:

„Senitzaji kurtar – rette Senitza!“„Bist du fertig!”, fragte jetzt Abrahim und trat rasch näher.„Ja.“„Was fehlt ihr?“„Sie hat ein großes, ein tiefes Leiden, das größte, das es

gibt, aber – ich werde sie retten!“Diese letzten vier Worte richtete ich mit langsamer Be-

tonung mehr an sie als an ihn.„Wie heißt das Übel?“„Es hat einen fremden Namen, den nur die Ärzte ver-

stehen.“„Wie lange dauert es, bis sie gesund wird?“„Das kann bald, aber auch sehr spät geschehen, je nach-

dem ihr mir gehorsam seid.“„Worin soll ich dir gehorchen?“„Du musst ihr meine Medizin regelmäßig verabreichen.“„Das werde ich tun.“„Sie muss einsam bleiben und vor allem Ärger behütet

werden.“„Das soll geschehen.“„Ich muss täglich mit ihr sprechen dürfen.“„Du? Weshalb?“„Um meine Mittel nach dem Befinden der Kranken ein-

richten zu können.“„Ich werde dir dann selbst sagen, wie sie sich befindet.“„Das kannst du nicht, weil du das Befinden eines Kran-

ken nicht zu beurteilen vermagst.“„Was hast du denn mit ihr zu sprechen?“

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„Nur das, was du mir erlaubst.“„Und wo soll es geschehen?“„Hier in diesem Raum, gerade wie heute.“„Sag genau, wie lange du kommen musst!“„Wenn ihr mir gehorcht, so ist sie von heute an in fünf

Tagen von ihrer Krankheit frei.“„So gib ihr die Medizin.“„Ich habe sie nicht hier, sie befindet sich unten im Hof

bei meinem Diener.“„So komm!“Ich wandte mich gegen sie, um mit dieser Bewegung ei-

nen stummen Abschied von ihr zu nehmen. Sie hob unterder Hülle die Hände wie bittend empor und wagte diedrei Silben:

„Eww’ Allah – mit Gott!”Sofort fuhr er herum:„Schweig! Du hast nur zu sprechen, wenn du gefragt

wirst!“„Abrahim Mamur“, antwortete ich sehr ernst, „habe ich

dir nicht gesagt, dass sie vor jedem Ärger, vor jedem Kum-mer bewahrt werden muss? So spricht man nicht zu einerKranken, in deren Nähe der Tod schon steht!“

„So mag sie zunächst selbst dafür sorgen, dass sie sichnicht zu kränken braucht. Sie weiß, dass sie nicht spre-chen soll. Komm!“

Wir kehrten in das Sselamlyk zurück, wo ich nach Halefschickte, der alsbald mit der Apotheke erschien. Ich gabIgnatia1 nebst den nötigen Vorschriften und machte michdann zum Gehen bereit.

„Wann wirst du morgen kommen?“„Um dieselbe Stunde.“„Ich werde dir wieder einen Kahn senden. Wie viel ver-

langst du für heute?“„Nichts. Wenn die Kranke gesund ist, magst du mir ge-

ben, was dir beliebt.“1 Eine Strychnin enthaltende Pflanzenbohne. Ihr Extrakt wirkt in kleinen Do-

sen nervenanregend.

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Er griff dennoch in die Tasche, zog eine reich gestickteBörse hervor, nahm einige Stücke und reichte sie Halefhin.

„Hier, nimm du!“Der wackere Halef Agha griff mit einer Miene zu, als

handle es sich um eine große Gnadenbezeugung gegen denÄgypter, und meinte, das Bakschisch ungesehen in die Ta-sche senkend:

„Abrahim Mamur, deine Hand ist offen und die meineauch. Ich schließe sie gegen dich nicht zu, weil der Pro-phet sagt, dass eine offene Hand die erste Stufe zum Auf-enthalt der Seligen sei. Allah sei mit dir und auch mit mir!“

Wir gingen, von dem Ägypter bis in den Garten beglei-tet, wo uns ein Diener die Tür in der Mauer öffnete. Alswir allein waren, griff Halef in die Tasche, um zu sehen,was er erhalten hatte.

„Drei Goldzechinen1, Sihdi! Der Prophet segne AbrahimMamur und lasse sein Weib so lange wie möglich krankbleiben!“

„Hadschi Halef Omar!“„Sihdi! Willst du mir nicht einige Zechinen gönnen?“„Doch; noch mehr aber ist einem Kranken die Gesund-

heit zu gönnen.“„Wie oft gehst du noch, bis sie gesund wird?“„Noch fünfmal vielleicht.“„Fünfmal drei macht fünfzehn Zechinen; wenn sie ge-

sund wird, vielleicht noch fünfzehn Zechinen, macht drei-ßig Zechinen. Ich werde forschen, ob es hier am Nil nochmehr kranke Frauen gibt.“

1 Eine Goldzechine, in Ägypten auch Fondukli genannt, besaß damals einenWert von 4,75 Mark.

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5. Wunderbare Fügung

Wir langten bei dem Kahn an, wo uns die Ruderer be-reits erwarteten. Unser voriger Führer saß am Steuer, undals wir eingestiegen waren, ging es flott den Strom hinab,schneller natürlich als aufwärts, sodass wir nach einer hal-ben Stunde unser Ziel erreichten.

Hier legten wir in der Nähe einer Dahabije an, die wäh-rend unserer Abwesenheit am Ufer vor Anker gegangenwar. Ihre Taue waren befestigt, ihre Segel eingezogen undnach frommem mohammedanischem Brauch lud der Rejs1

seine Leute zum Gebet ein:„Haj ala ’s salât – auf, rüstet euch zum Gebet!“Ich war schon im Fortgehen begriffen, wandte mich aber

schnell um. Diese Stimme kam mir außerordentlich be-kannt vor. Hatte ich recht gehört? War dies wirklich deralte Hassan, den man Abu er Rejsân, Vater der Schiffs-führer, nannte? Er war in Kufarah, wo er einen Sohn be-sucht hatte, mit mir und Halef zusammengetroffen undmit uns nach Ägypten zurückgekehrt. Wir hatten einan-der außerordentlich liebgewonnen und ich war überzeugt,dass er sehr erfreut sein würde, mich hier wieder zu fin-den. Ich wartete daher, bis das Gebet beendet war, undrief dann zum Deck empor.

„Abu er Rejsan, ohio!“Sofort zeigte sich sein altes, gutes, bärtiges Gesicht.„Wer ist – Allah akbar, Gott ist groß! Ist das nicht mein

Sohn, der Nemsi Kara Effendi?“„Er ist es, Rejs Hassan.“„Komm herauf, mein Sohn, ich muss dich umarmen!“Ich stieg empor und wurde von ihm aufs Herzlichste

bewillkommnet.„Was tust du hier?“, fragte er mich.„Ich ruhe aus von der Reise. Und du?“„Ich komme mit meinem Schiff von Dongola, wo ich

1 Schiffskapitän

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eine Ladung Sennesblätter eingenommen habe. Ich bekamein Leck und musste also hier anlegen.“

„Wie lange bleibst du hier?“„Nur morgen noch. Wo wohnst du?“„Dort rechts in dem allein stehenden Haus.“„Hast du einen guten Wirt?“„Es ist der Scheik el Beled1 des Ortes, ein Mann, mit

dem ich sehr zufrieden bin. Du wirst diesen Abend beimir sein, Rejs Hassan?“

„Ich werde kommen, wenn deine Pfeifen nicht zerbro-chen sind.“

„Ich habe nur die eine; du musst also die deinige mit-bringen, aber du wirst den köstlichsten Dschebeli rauchen,den es je gegeben hat.“

„Ich komme gewiss. Bleibst du noch lange hier?“„Nein. Ich will nach Kairo zurück.“„So fahre mit mir. Ich lege in Bulak2 an.“Bei diesem Anerbieten kam mir ein Gedanke.„Rejs Hassan, du nanntest mich deinen Freund!“„Du bist es. Fordere von mir, was du willst, so soll es dir

werden, wenn ich es habe oder kann!“„Ich möchte dich um etwas sehr Großes bitten.“„Kann ich es erfüllen?“„Ja.“„So ist es dir schon voraus gewährt. Was ist es?“„Das sollst du am Abend erfahren, wenn du mit mir

Kaffee trinkst.“„Ich komme und – doch, mein Sohn, ich vergaß, dass

ich bereits geladen bin.“„Wo?“„In demselben Haus, in dem du wohnst.“„Beim Scheik el Beled?“„Nein, sondern bei einem Mann aus Istanbul, der zwei Tage

mit mir gefahren und hier ausgestiegen ist. Er hat dort eineStube für sich und einen Platz für seinen Diener gemietet.“

1 Bürgermeister 2 Vorstadt von Kairo mit Hafen

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„Was ist er?“„Ich weiß es nicht, er hat es mir nicht gesagt.“„Aber sein Diener konnte es sagen.“Der Kapitän lachte, was sonst seine Angewohnheit nicht

war.„Dieser Mensch ist ein Schelm, der alle Sprachen ge-

hört hat und doch von keiner sehr viel lernte. Er raucht,pfeift und singt den ganzen Tag und gibt, wenn man ihnfragt, Antworten, die heute wahr und morgen unwahr sind.Vorgestern war er ein Türke, gestern ein Montenegriner,heute ist er ein Druse und Allah nur weiß, was er morgenund übermorgen sein wird.“

„So wirst du also nicht zu mir kommen?“„Ich komme, nachdem ich eine Pfeife mit dem anderen

geraucht habe. Allah behüte dich, ich habe noch zu arbei-ten.“

Halef war bereits vorausgegangen, ich folgte jetzt nachund streckte mich, in meiner Wohnung angekommen, aufden Diwan, um mir das heutige Erlebnis zurechtzulegen.Dies sollte mir aber nicht gelingen, denn bereits nach kur-zer Zeit trat mein Wirt herein.

„Neharak saìd.“„Neharak saìd we mubarak.“„Effendi, ich komme, um deine Erlaubnis einzuholen.”„Wofür?“„Es ist ein fremder Sihdi zu mir gekommen und hat mich

um eine Wohnung gebeten, die ich ihm auch gegebenhabe.“

„Wo liegt diese Wohnung?“„Droben.“„So stört mich der Mann ja gar nicht. Tu, was dir be-

liebt, Scheik.“„Aber dein Kopf hat viel zu denken, und er hat einen

Diener, der sehr viel zu pfeifen und zu singen scheint.“„Wenn es mir nicht gefällt, so werde ich es ihm verbie-

ten.“

105

Der besorgte Wirt entfernte sich und ich war wieder al-lein, sollte aber doch zu keinem ruhigen Nachdenken kom-men, denn ich vernahm die Schritte zweier Menschen, dieder eine vom Hof und der andere von außen her kom-mend, gerade an meiner Tür zusammentrafen.

„Was willst du hier? Wer bist du?“, fragte der eine. Icherkannte an der Stimme Halef.

„Wer bist denn du zunächst und was willst du in diesemHaus?“, fragte der andere.

„Ich? Ich gehöre in dieses Haus!“, meinte Halef sehrentrüstet.

„Ich auch!“„Wer bist du?“„Ich bin Hamsad el Dscherbaja.“„Und ich bin Hadschi Halef Omar Agha.“„Ein Agha?“„Ja, der Begleiter und Beschützer meines Herrn.“„Wer ist dein Herr?“„Der große Arzt, der hier in dieser Stube wohnt.“„Ein großer Arzt? Was kuriert er denn?“„Alles.“„Alles? Mach mir nichts weis! Es gibt nur einen einzi-

gen, der alles kurieren kann.“„Wer ist das?“„Ich.“„So bist du auch ein Arzt?“„Nein. Ich bin auch der Beschützer meines Herrn.“„Wer ist dein Herr?“„Das weiß man nicht. Wir sind erst vorhin in dieses Haus

gezogen.“„Ihr konntet draußen bleiben.“„Warum?“„Weil ihr unhöfliche Männer seid und keine Antwort

gebt, wenn man fragt. Willst du mir sagen, wer dein Herrist?“

„Ja.“

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„Nun?“„Er ist, er ist – mein Herr, aber nicht dein Herr.“„Schlingel!“Nach diesem letzten Wort hörte ich, dass mein Halef

sich höchst ungehalten entfernte. Der andere blieb unterdem Eingang stehen und pfiff, dann begann er leise vorsich hin zu brummen und zu summen; nachher kam einePause und darauf fiel er mit halblauter Stimme in ein Lied.

Ich wäre vor Überraschung beinahe aufgesprungen, dennder Text der beiden Strophen, die er sang, lauteten in demArabisch, dessen er sich bediente:

„Fid-dagle ma tera jekun?Chammin hu Nabuliun.Ma baluhu jedubb hena?Kussuhu, ja fitjanena!

Gema’a homr el-elbiseWast el-chala muntasibe.Ma bal’hadalik wakifin?Halluna nenzor musri’ in!“

Und diese arabischen Verse, die sich sogar ganz leidlichreimten, klingen in unserem guten Deutsch nicht andersals:

„Was kraucht nur dort im Busch herum?Ich glaub’, es ist Napolium.

Was hat er nur zu krauchen dort?Frischauf, Kam’raden, jagt ihn fort!

Wer hat nur dort im off ’nen FeldDie roten Hosen hingestellt?Was haben sie zu stehen dort?

Frischauf, Kam’raden, jagt sie fort!“

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Auch die Melodie war ganz die bekannte, Note für Note,Ton für Ton. Ich sprang, als er die zweite Strophe beendethatte, zur Tür, öffnete und sah mir den Menschen an. Ertrug weite, blaue Pumphosen, eine eben solche Jacke,Lederstiefeletten und einen Fes auf dem Kopf, war alsoeine ganz gewöhnliche Erscheinung.

Als er mich sah, stemmte er die Fäuste in die Hüften,stellte sich, als ob er sich aus mir nicht das Mindeste ma-che, vor mich hin und fragte:

„Gefällt es dir, Effendi?“„Sehr! Woher hast du das Lied?“„Selbst gemacht.“„Sag das einem andern, aber nicht mir! Und die Melo-

dien?“„Selbst gemacht, erst recht!“„Lügner!“„Effendi, ich bin Hamsad el Dscherbaja und lasse mich

nicht beschimpfen!“„Du bist Hamsad el Dscherbaja und dennoch ein gro-

ßer Schlingel! Dieses Lied kenne ich.“„So hat es einer gesungen oder gepfiffen, der es von mir

gehört hat.“„Und von wem hast du es gehört?“„Von niemand.“„Du bist unverbesserlich, wie es scheint. Diese Melodie

gehört zu einem deutschen Lied.“„O Effendi, was weißt du von Deutschland!“„Das Lied heißt: ‚Was kraucht nur dort im Busch he-

rum? Ich glaub’, es ist...‘“„Hurrjes, wat is mich denn dat!“, unterbrach er mich

mit jubelndem Ton, da ich diese Worte in deutscher Spra-che gesprochen hatte. „Sind Sie man vielleicht een Deut-scher?“

„Versteht sich!“„Wirklich? Ein deutscher Effendi? Woher denn, wenn

ich fragen darf, Herr Basch hekim?“

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„Aus Sachsen.“„Een Sachse! Da sollte man doch gleich vor Freude ’n Ofen

einreißen! Und Sie sind man wohl een Türke jeworden?“„Nein. Sie sind ein Preuße?“„Dat versteht sich! Een Preuße aus Jüterbog.“„Wie kommen Sie hierher?“„Auf der Bahn, per Schiff, per Pferd und Kamel und

auch mit die Beene.“„Was sind Sie ursprünglich?“„Barbier unjefähr. Es jefiel mich nicht mehr derheeme

und da jing ich in die weite Welt, bald hierin, bald dort-hin, bis endlich hierher.“

„Sie werden mir das alles erzählen müssen. Wem aberdienen Sie jetzt?“

„Mein Herr ist een konstantinopolitanischer Kaufmanns-sohn und heeßt Isla Ben Maflei; hat schauderhaftes Jeld,dat Kerlchen.“

„Was tut er hier?“„Weeß ich’s? Er sucht wat.”„Was denn?“„Wird wohl vielleicht ’n Frauenzimmer sein.“„Ein Frauenzimmer? Das wäre doch sonderbar!“„Wird aber doch wohl zutreffen.“„Was sollte es für ein Frauenzimmer sein?“„’ne Montenegrinerin, ’ne Senitscha oder Senitza oder

wie dat ausjesprochen wird.“„Wa-a-as? Senitza heißt sie?”„Ja.“„Wissen Sie das ganz gewiss?“„Versteht sich! Erstens hat er ein Bild von ihr, zweitens

tut er stets – halt, er klatscht droben, Effendi, ich musshinauf!“

Ich setzte mich nicht wieder nieder, sondern es trieb michin dem Zimmer auf und ab. Zwar musste mir dieser Bar-bier aus Jüterbog, der sich so poetisch Hamsad el Dscherbajanannte, höchst interessant sein, noch weit mehr aber war

109

meine Teilnahme für seinen Herrn erwacht, der hier amNil eine Montenegrinerin suchte, die den Namen Senitzaführte. Unglücklicherweise aber kamen einige Fellachen,die Kopfschmerz oder Leibweh hatten und denen meineZauberkörner helfen sollten. Sie saßen nach orientalischerSitte eine ganze Stunde bei mir, ehe ich nur erfahren konn-te, was ihnen fehlte, und als ich sie abgefertigt hatte, blie-ben sie am Platz, bis es ihnen selbst beliebte, die Audienzabzubrechen.

So wurde es Abend. Der Kapitän kam und stieg nachoben, ließ aber seinen schlürfenden Schritt nach einerhalben Stunde wieder vernehmen und trat bei mir ein.Halef servierte den Tabak und den Kaffee und zog sichdann zurück. Kurze Zeit später hörte ich ihn mit demJüterboger Türken zanken.

„Ist dein Leck ausgebessert?“, frage ich Hassan.„Noch nicht. Ich konnte für heute nur das Loch ver-

stopfen und das Wasser auspumpen. Allah gibt morgenwieder einen Tag.“

„Und wann fährst du ab?“„Übermorgen früh.“„Du würdest mich mitnehmen?“„Meine Seele würde sich freuen, dich bei mir zu haben.“„Wenn ich nun noch jemand mitbrächte?“„Meine Dahabije hat noch viel Platz. Wer ist es?“„Kein Mann, sondern ein Weib.“„Ein Weib? Hast du dir eine Sklavin gekauft, Effendi?“„Nein. Sie ist das Weib eines anderen.“„Der auch mitfahren wird?“„Nein.“„So hast du sie ihm abgekauft?“„Nein.“„Er hat sie dir geschenkt?“„Nein. Ich werde sie ihm nehmen.“„Allah kerîm – Gott sei gnädig! Du willst sie ihm neh-

men, ohne dass er es weiß?“

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„Vielleicht.“„Effendi, weißt du, was das ist?“„Allerdings. Ein Ichtitâf1.“„Ein Ichtitâf, das mit dem Tod bestraft wird. Ist dein

Geist dunkel und deine Seele finster geworden, dass duins Verderben rennen willst?“

„Nein. Die ganze Angelegenheit ist noch sehr fraglich.Ich weiß, du bist mein Freund und kannst schweigen. Ichwerde dir alles erzählen.“

„Öffne die Pforte deines Herzens, mein Sohn. Ich höre!“Ich erstattete ihm Bericht über mein heutiges Abenteu-

er und er hörte mir mit Aufmerksamkeit zu. Als ich fertigwar, erhob er sich.

„Steh auf, mein Sohn, nimm deine Pfeife und folge mir!“„Wohin?“„Das sollst du sogleich sehen.“Ich ahnte, was er beabsichtigte, und folgte ihm. Er führte

mich hinauf in die Wohnung des Kaufmanns. Dessen Die-ner war nicht anwesend, daher traten wir ein, nachdem wiruns zuvor durch ein leichtes Hüsteln angemeldet hatten.

Der Mann, der sich vor uns erhob, war noch jung, ermochte vielleicht sechsundzwanzig Jahre zählen. Der kost-bare Tschibuk, aus dem er rauchte, sagte mir, dass derJüterboger mit seinem „schauderhaften Jeld“ wohl Rechthaben konnte. Er war eine sympathische Erscheinung undich sagte mir gleich in der ersten Minute, dass ich ihmmein Wohlwollen schenken konnte. Der alte Abu er Rejsannahm das Wort:

„Das ist der Großhändler Isla Ben Maflei aus Istanbulund das hier ist Kara Ben Nemsi Effendi, mein Freund,den ich liebe.“

„Seid mir beide willkommen und setzt euch!“, erwider-te der junge Mann.

Er machte ein sehr erwartungsvolles Gesicht, denn ermusste sich sagen, dass der Kapitän jedenfalls einen guten

1 Entführung

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Grund haben müsse, mich so ohne weiteres bei ihm ein-zuführen.

„Willst du mir deine Liebe erzeigen, Isla Ben Maflei?“,fragte der Alte.

„Gern. Sag mir, was ich tun soll.“„Erzähle diesem Mann die Geschichte, die du mir vor-

hin erzählt hast!“In den Zügen des Kaufmanns drückte sich Staunen und

Missmut aus.„Abu er Rejsan“, meinte er, „du gelobtest mir Schwei-

gen und hast doch bereits geplaudert!“„Frage meinen Freund, ob ich ein Wort erzählt habe!“„Warum bringst du ihn denn herauf und begehrst, dass

ich auch zu ihm reden soll?“„Du sagtest zu mir, ich solle während meiner Fahrt, da,

wo ich des Abends anlegen muss, die Augen offen halten,um mich nach dem zu erkundigen, was dir verloren ging.Ich habe meine Augen und meine Ohren bereits geöffnetund bringe dir hier diesen Mann, der dir vielleicht Aus-kunft geben kann.“

Isla sprang, die Pfeife fortwerfend, mit einem Ruckempor.

„Ist das wahr? Du könntest mir Auskunft erteilen?“„Mein Freund Hassan hat kein Wort zu mir gesprochen

und ich weiß daher auch gar nicht, worüber ich dir Aus-kunft geben könnte. Sprich du zuerst!“

„Effendi, wenn du mir sagen kannst, was ich zu hörenwünsche, so werde ich dich besser belohnen, als ein Pa-scha es könnte!“

„Ich begehre keinen Lohn. Rede!“„Ich suche eine Jungfrau, die Senitza heißt.“„Und ich kenne eine Frau, die sich denselben Namen

gegeben hat.“„Wo, wo Effendi? Rede schnell.“„Magst du mir nicht vorher die Jungfrau beschreiben?“„Oh, sie ist schön wie die Rose und herrlich wie die

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Morgenröte, sie duftet wie die Blüte der Reseda und ihreStimme klingt wie der Gesang der Huri. Ihr Haar ist wieder Schweif des Pferdes Gilja und ihr Fuß ist wie der Fußvon Delila, die Samson betörte. Ihr Mund träufelt vonWorten der Güte und ihre Augen...“

Ich unterbrach ihn durch eine Bewegung meines Arms.„Isla Ben Maflei, das ist keine Beschreibung, wie ich sie

verlange. Sprich nicht mit der Zunge eines Bräutigams,sondern mit den Worten des Verstandes! Wann ist sie dirverloren gegangen?“

„Vor zwei Monden.“„Hatte sie nicht etwas bei sich, woran man sie erkennen

kann?“„O Effendi, was sollte dies sein?“„Ein Schmuck vielleicht, ein Ring, eine Kette...“„Ein Ring, ja! Ich gab ihr einen Ring, dessen Gold so

dünn war wie Papier, aber er trug eine schöne Perle.“„Ich habe ihn gesehen.“„Wo, Effendi? Sag es schnell! Und wann?“„Heute, vor wenigen Stunden.“„Wo?“„In der Nähe dieses Ortes, nicht weiter als eine Stunde

von hier.“Der junge Mann kniete bei mir nieder und legte mir

seine beiden Hände auf die Schultern.„Ist es wahr? Sagst du keine Unwahrheit? Täuschst du

dich nicht?“„Es ist wahr, ich täusche mich nicht.“„So komm, erhebe dich, wir müssen hin zu ihr.“„Das geht nicht.“„Es geht, es muss gehen! Ich gebe dir tausend Piaster,

zwei-, dreitausend Piaster, wenn du mich zu ihr führst!“„Und wenn du mir hunderttausend Piaster gibst, so kann

ich dich heute nicht zu ihr bringen.“„Wann sonst? Morgen, morgen ganz früh?“„Nimm deine Pfeife auf, brenn sie an und setz dich! Wer

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zu schnell handelt, handelt langsam. Wir wollen uns be-sprechen.“

„Effendi, ich kann nicht. Meine Seele zittert.“„Brenn deine Pfeife an!“„Ich habe keine Zeit dazu; ich muss...“„Nun gut. Wenn du keine Zeit zu geordneten Worten

hast, so muss ich gehen.“„Bleib! Ich werde alles tun, was du willst.“Er setzte sich wieder an seinen Platz und nahm aus dem

Becken eine glimmende Kohle, um den Tabak seiner Pfei-fe in Brand zu stecken.

„Ich bin bereit. Nun sprich!“, forderte er mich dann auf.„Heute schickte ein reicher Ägypter nach mir, weil sein

Weib krank sei...“„Sein Weib...!“„So ließ er mir sagen.“„Du gingst?“„Ich ging.“„Wer ist dieser Mann?“„Er nennt sich Abrahim Mamur und wohnt aufwärts

von hier in einem einsamen, halbverfallenen Haus, dasam Ufer des Nils steht.“

„Es wird von einer Mauer umgeben?“„Ja.“„Wer konnte dies ahnen! Ich habe alle Städte, Dörfer

und Lager am Nil durchgeforscht, aber ich dachte nicht,dass dieses Haus bewohnt werde. Ist sie wirklich seinWeib?“

„Ich weißt es nicht, aber ich glaube es nicht.“„Und krank ist sie?“„Sehr.“„Wallahi – bei Gott, er soll es bezahlen, wenn ihr etwas

Böses widerfährt. An welcher Krankheit leidet sie?“„Ihre Krankheit liegt im Herzen. Sie hasst ihn; sie ver-

zehrt sich in Sehnsucht, von ihm fortzukommen, und wirdsterben, wenn es nicht bald geschieht.“

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„Nicht er, sondern sie hat dir das gesagt?“„Nein, ich habe es beobachtet.“„Du hast sie gesehen?“„Ja.“„Belauscht?“„Nein. Er führte mich in seine Frauenwohnung, damit

ich mit der Kranken sprechen könne.“„Er selbst? Unmöglich!“„Er liebt sie...“„Allah strafe ihn!“„Und fürchtete, dass sie sterben würde, wenn er mich

wieder fortschickte.“„So sprachst du auch mit ihr?“„Ja, aber nur die Worte, die er mir erlaubte. Aber sie

fand Zeit, mir leise zuzuflüstern: ‚Rette Senitza‘. Sie trägtalso diesen Namen, obgleich er sie Güsela nennt.“

„Was hast du ihr geantwortet?“„Dass ich sie retten werde.“„Effendi, ich liebe dich, dir gehört mein Leben! Er hat

sie geraubt und entführt. Er hat sie durch Betrug an sichgerissen. Komm, Effendi, wir wollen gehen. Ich muss we-nigstens das Haus sehen, in dem sie gefangen gehaltenwird!“

„Du wirst hier bleiben! Ich gehe morgen wieder hin zuihr und...“

„Ich gehe mit Effendi!“„Du bleibst hier! Kennt sie den Ring, den du am Finger

trägst?“„Sie kennt ihn sehr gut.“„Willst du ihn mir anvertrauen?“„Gern. Aber wozu?“„Ich spreche morgen wieder mit ihr und werde es so ein-

zurichten wissen, dass sie den Ring zu sehen bekommt.“„Effendi, das ist vortrefflich! Sie wird sogleich ahnen,

dass ich in der Nähe bin. Aber dann?“„Erzähle du zunächst das, was ich wissen muss.“

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„Du sollst alles erfahren, Herr. Unser Geschäft ist einsder größten in Istanbul; ich bin der einzige Sohn meinesVaters, und während er den Basar verwaltet und die Die-ner beaufsichtigt, habe ich die notwendigen Reisen zuunternehmen. Ich war sehr oft auch in Skutari und sahSenitza, als sie mit einer Freundin auf dem See spazierenfuhr. Ich sah sie später wieder. Ihr Vater wohnt nicht inSkutari, sondern in den Schwarzen Bergen; sie kam aberzuweilen herunter, um die Freundin zu besuchen. Als ich vorzwei Monaten wieder an jenen See reiste, war die Freundinmit ihrem Mann verschwunden und Senitza dazu!“

„Wohin?“„Niemand wusste es.“„Auch ihre Eltern nicht?“„Nein. Ihr Vater, der tapfere Osko, hat die Crnagora

verlassen, um nach seinem Kind zu suchen, so weit dieErde reicht; ich aber musste nach Ägypten, um Einkäufezu machen. Auf dem Nil begegnete ich einem Dampfboot,das aufwärts fuhr. Als der Sandal1, auf dem ich war, anihm vorüberlenkte, hörte ich drüben meinen Namen ru-fen. Ich blickte hinüber und erkannte Senitza, die denSchleier vom Gesicht genommen hatte. Neben ihr standein schöner, finsterer Mann, der ihr den Jaschmak sofortwieder überwarf – weiter sah ich nichts. Seit dieser Stun-de habe ich ihre Spur verfolgt.“

„Du weißt also nicht genau, ob sie ihre Heimat freiwil-lig oder gezwungen verlassen hat?“

„Freiwillig nicht.“„Kanntest du den Mann, der neben ihr stand?“„Nein.“„Das ist sonderbar! Oder hast du dich in der Person ge-

irrt? Vielleicht ist es eine andere gewesen, die ihr ähnlichsieht.“

„Hätte sie dann gerufen und die Hände nach mir ausge-streckt, Effendi?“

1 Kleines Segelschiff

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„Das ist wahr.“„Effendi, du hast ihr versprochen, sie zu retten! Wirst

du dein Wort halten?“„Ich halte es, wenn sie es wirklich ist.“„Du willst mich nicht mitnehmen. Wie kannst du da

erkennen, ob sie es ist?“„Dein Ring wird mir Gewissheit geben.“„Und wie wirst du sie dann aus dem Haus bringen?“„Indem ich dir sage, auf welche Weise du sie holen

kannst.“„Ich werde sie holen, darauf kannst du dich verlassen.“„Und dann? Rejs Hassan, wärst du bereit, sie in deiner

Dahabije aufzunehmen?“„Ich bin bereit, obgleich ich den Mann nicht kenne, bei

dem sie sich befindet.“„Er nennt sich Mamur, wie ich dir gesagt habe.“„Wenn er wirklich ein Mamur, der Verwalter einer Pro-

vinz gewesen ist, so ist er mächtig genug, uns zu verder-ben, wenn er uns ergreift“, meinte der Kapitän mit erns-ter Miene. „Eine Entführung wird mit dem Tod bestraft.Mein Freund Kara Ben Nemsi, du wirst morgen sehr klugund vorsichtig handeln müssen.“

Was mich selbst betraf, so dachte ich weniger an dieGefahr als vielmehr an das Abenteuer selbst. Natürlichstand es fest, dass ich keine Hand rühren würde, wennAbrahim Mamur ein wirkliches Recht auf die Kranke gel-tend machen konnte.

Wir besprachen uns noch lange über das bevorstehendeEreignis und trennten uns dann, um schlafen zu gehen; dochwar ich überzeugt, dass Isla keine Ruhe finden würde.

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6. Eine Entführung

Da es sehr spät geworden war, als wir schlafen gingen,wunderte ich mich nicht darüber, dass ich am andernMorgen auch sehr spät erwachte. Ich hätte vielleicht nochlänger fortgeschlafen, wenn ich nicht durch den Gesangdes Barbiers erweckt worden wäre. Dieser lehnte draußenam Eingangstor und schien mir zu Ehren seinen ganzenVorrat an deutschen Liedern erschöpfen zu wollen. Ich ließden Sänger hereinkommen, um mich ein Weilchen mitihm zu unterhalten, und fand in ihm einen recht gutmüti-gen, aber leichtsinnigen Burschen, den ich trotz allerLandsmannschaft sicherlich nicht mit meinem bravenHalef vertauscht hätte. Ich ahnte damals nicht, unter wiebösen Verhältnissen ich später wieder mit ihm zusammen-treffen sollte.

Am Vormittag besuchte ich Abu er Rejsan auf seinemSchiff, und als ich kaum das Mittagsmahl verzehrt hatte,erschien das Boot, das mich abholen sollte. Halef hatteschon längst fleißigen Ausguck danach gehalten.

„Sihdi, fahre ich mit?“, fragte er.Ich schüttelte den Kopf und antwortete scherzend:„Heute brauch ich dich nicht.“„Wie? Du brauchst mich nicht?“„Nein.“„Wenn dir nun etwas begegnet!“„Was soll mir begegnen?“„Du kannst ins Wasser fallen.“„So schwimme ich.“„Oder Abrahim Mamur kann dich töten. Ich habe es

ihm angesehen, dass er dein Freund nicht ist.“„So könntest auch du mir nicht helfen.“„Nicht? Sihdi, Halef Agha ist der Mann, auf den du dich

allzeit verlassen kannst!“„So komm!“Es war ihm natürlich nur um sein Bakschisch zu tun.

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Der Weg wurde in derselben Weise zurückgelegt wiegestern, doch war ich heute natürlich aufmerksamer aufalles, was mir von Nutzen sein konnte. Im Garten, denwir durchschreiten mussten, lagen mehrere starke undziemlich lange Stangen. Sowohl das Außen- wie auch dasInnentor wurde immer mit breiten, hölzernen Riegeln ver-schlossen, deren Konstruktion ich mir genau merkte. Ei-nen Hund sah ich nirgends und von dem Bootssteuerererfuhr ich, dass außer dem Herrn, der Kranken und eineralten Wächterin elf Fellachen zu dem Haus gehörten undnachts auch darin schliefen. Der Herr selbst schlief stetsauf dem Diwan seines Sselamlyk.

Als ich dort eintrat, kam er mir mit einer sichtlichfreundlicheren Miene entgegen als gestern.

„Sei mir willkommen, Effendi! Du bist ein großer Arzt.“„So?“„Sie hat bereits gestern schon gegessen.“„Ah!“„Sie hat mit der Wächterin gesprochen.“„Freundlich?“„Freundlich und viel.“„Das ist gut. Vielleicht ist sie bereits in weniger als fünf

Tagen vollständig gesund.“„Und heute früh hat sie sogar ein wenig gesungen.“„Das ist noch besser. Ist sie schon lange dein Weib?“Sogleich verfinsterte sich sein Gesicht.„Die Ärzte der Ungläubigen sind sehr neugierig!“„Wissbegierig nur, aber diese Wissbegierde rettet vielen

das Leben oder die Gesundheit, denen eure Ärzte nichthelfen könnten.“

„War deine Frage wirklich notwendig?“„Ja!“„Sie ist noch ein Mädchen, obgleich sie mir gehört.“„So ist die Hilfe sicher.“Er führte mich wieder nur bis in das Zimmer, in dem ich

gestern warten musste und auch heute zurückblieb. Ich sah

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mich genauer um. Fenster gab es nicht, die Lichtöffnungenwaren vergittert. Das hölzerne Gitterwerk war so angebrachtworden, dass man es öffnen konnte, indem man ein langes,dünnes Riegelstäbchen herauszog. Schnell entschlossen zogich es heraus und steckte es so hinter das Gitter, dass es nichtbemerkt werden konnte. Kaum war ich damit fertig, so er-schien Abrahim wieder. Hinter ihm trat Senitza ein.

Ich ging auf sie zu und legte ihr meine Fragen vor. Un-terdessen spielte ich wie im Eifer für die Sache mit demRing, den mir Isla mitgegeben hatte, und ließ ihn dabeiaus den Fingern gleiten. Er rollte hin bis an ihre Füße, siebückte sich schnell und hob ihn auf. Sofort aber tratAbrahim auf sie zu und nahm ihr ihn aus der Hand. Soschnell das ging, sie hatte doch Zeit gehabt, einen Blickauf den Ring zu werfen – sie hatte ihn erkannt, das sah ichan ihrem Zusammenzucken. Nun hatte ich für jetzt wei-ter nichts mehr hier zu tun.

Abrahim fragte, wie ich sie gefunden hätte.„Gott ist gut und allmächtig“, antwortete ich, „er sen-

det den Seinen Hilfe, oft ehe sie es denken. Wenn er eswill, so ist sie morgen bereits gesund. Sie mag die Medizinnehmen, die ich ihr senden werde, und mit Vertrauenwarten, bis ich wiederkomme.“

Heute entließ sie mich, ohne ein Wort zu wagen. ImSselamlyk harrte Halef bereits mit der Apotheke. Ich gabnichts als ein Zuckerpulver, wofür der kleine Agha ein nochgrößeres Bakschisch als gestern erhielt. Dann ging es wie-der stromabwärts zurück.

Der Kapitän erwartete mich bereits bei dem Kaufherrn.„Hast du sie gesehen?“, rief mir dieser entgegen.„Ja.“„Erkannte sie den Ring?“„Sie erkannte ihn.“„So weiß sie, dass ich in der Nähe bin!“„Sie ahnt es. Und wenn sie meine Worte richtig deutet,

so weiß sie, dass sie heute Nacht errettet wird.“

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„Aber wie?“„Rejs Hassan, bist du mit deinem Leck fertig?“„Ich werde fertig bis zum Abend.“„Bist du bereit, uns aufzunehmen und nach Kairo zu

bringen?“„Ja.“„So hört mich! In das Haus führen zwei Türen, die aber

von innen verriegelt sind; durch sie können wir nicht ein-dringen. Aber es gibt noch einen zweiten Weg, wenn er auchschwierig ist. Isla Ben Maflei, kannst du schwimmen?“

„Ja.“„Gut. Es führt ein Kanal aus dem Nil unter den Mauern

hinweg nach einem Bassin, das sich in der Mitte des Ho-fes befindet. Kurz nach Mitternacht, wenn alles schläft,treffen wir dort ein und du dringst durch den Kanal unddas Bassin in den Hof. Die Tür, die du sofort finden wirst,ist durch einen Riegel verschlossen, der sehr leicht zurück-zuschieben ist. Wenn du öffnest, kommst du in den Gar-ten, dessen Tür sich auf gleiche Weise öffnen lässt. Sobalddie Türen offen sind, trete ich ein. Wir holen eine Stangeaus dem Garten und lehnen sie an die Mauer, um zu demGitter emporzusteigen, hinter dem die Frauengemächerliegen. Ich habe es bereits von innen geöffnet.“

„Und dann?“„Was dann geschehen soll, muss sich nach den Umstän-

den richten. Wir fahren mit einem Boot bis an Ort undStelle, wo unsere erste Arbeit sein muss, das Boot AbrahimMamurs zu versenken, sodass er uns nicht verfolgen kann.Unterdessen macht der Rejs seine Dahabije segelfertig.“

Ich nahm einen Stift zur Hand und zeichnete denGrundriss des Hauses auf ein Blatt Papier, sodass Isla BenMaflei vollständig orientiert war, wenn er heute Abendaus dem Bassin stieg. Der Tag verging vollends unter dennotwendigen Vorbereitungen; der Abend kam, und als esZeit wurde, rief ich Halef herein und gab ihm die nötigenWeisungen für das bevorstehende Abenteuer.

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Halef packte rasch unsere Habseligkeiten zusammen. DieWohnungsmiete war schon voraus bezahlt.

Ich begab mich zu Hassan und Halef kam sehr bald mitden Sachen nach. Das Schiff war bereit zur Fahrt undbrauchte nur vom Ufer gelöst zu werden. Nach einiger Zeitstellte sich auch Isla mit seinem Diener ein, der von ihmunterrichtet worden war, und nun stiegen wir in das lan-ge, schmale Boot, das zur Dahabije gehörte. Die beidenDiener mussten rudern und ich lenkte das Steuer.

Es war eine jener Nächte, in denen die Natur in so tie-fem Vertrauen ruht, als gäbe es auf dem ganzen weitenErdenrund kein einziges drohendes Element.

Die leisen Lüfte, die mit dem Schatten der Dämmerunggespielt hatten, waren zur Ruhe gegangen, die Sterne desSüdens lächelten freundlich aus dem tiefblauen Dunkeldes Himmels herab und die Wasser des ehrwürdigen Stro-mes fluteten ruhig und lautlos dahin in ihrer breiten Bahn.Diese Ruhe herrschte auch in meinem Innern, obgleich esschwer scheint, dies zu glauben.

Es war nichts Leichtes, was wir zu vollbringen gedach-ten, aber man bebt ja vor einem Ereignis; ist es jedocheinmal angebahnt oder gar bereits eingetreten, so kannman ohne innere Kämpfe handeln. Eine nächtliche Ent-führung wäre vielleicht gar nicht notwendig gewesen, wirhätten vielmehr Abrahim Mamur vor Gericht angreifenkönnen. Aber wir wussten ja nicht, wie die Verhältnisselagen und welche rechtlichen oder unrechtlichen Mittelihm zu Gebot standen, sein Anrecht auf Senitza geltendzu machen. Nur von ihr erst konnten wir erfahren, waswir wissen mussten, um gegen ihn aufzutreten, und daskonnten wir nur dann erfahren, wenn es uns gelang, siehinter seinem Rücken in unsere Hände zu bekommen.

Nach einer kleinen Stunde hoben sich die dunklenUmrisse des Gebäudes aus ihrer grauen, steinigen Umge-bung hervor. Wir legten eine kurze Strecke unterhalb derMauer an und ich stieg zunächst allein aus, um zu reko-

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gnoszieren. Ich fand in der ganzen Umgebung des Hausesnicht die geringste Spur von Leben und auch innerhalbder Mauern schien alles in tiefster Ruhe zu liegen. AmKanal lag das Boot Abrahims mit den Rudern. Ich stiegein und brachte es neben unseren Kahn.

„Hier ist das Boot“, sagte ich zu den beiden Dienern.„Fahrt es ein wenig abwärts, füllt es mit Steinen und lasstes sinken. Die Ruder aber können wir gebrauchen. Wirnehmen sie in unser Boot herein, das ihr nachher nichtabhängen lasst, sondern bereithaltet, dass wir abstoßenkönnen, sobald wir einsteigen. Isla Ben Maflei, folge mir!“

Ich verließ das Boot und wir schlichen zum Kanal. Des-sen Wasser blickten uns nicht sehr einladend entgegen.Ich warf einen Stein hinein und erkannte dadurch, dassder Kanal nicht tief war. Isla zog seine Kleider aus undstieg hinein. Das Wasser reichte ihm bis an das Kinn.

„Wird es gehen?“, fragte ich ihn.„Mit dem Schwimmen besser als mit dem Gehen. Der

Kanal hat so viel Schlamm, dass er mir fast bis an die Kniereicht.“

„Bist du noch entschlossen?“„Ja. Bring meine Kleider mit zum Tor!“Er hob die Beine empor, stieß die Arme aus und ver-

schwand unter der Maueröffnung, durch die das Wasserführte.

Ich verließ die Stelle nicht sofort, sondern wartete nocheine Weile, da es ja sehr leicht möglich war, dass etwasUnvorhergesehenes geschehen konnte, was meine Gegen-wart nötig machte. Ich hatte richtig vermutet, denn ebenwollte ich mich wenden, als der Kopf des Schwimmerswieder in der Öffnung erschien.

„Du kehrst zurück?“„Ja, ich konnte nicht weiter.“„Warum?“„Effendi, wir können Senitza nicht befreien!“„Weshalb nicht?“

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„Die Mauer ist zu hoch...“„Es würde auch nichts helfen, wenn sie niedriger wäre,

denn das Haus ist fest verschlossen.“„Und der Kanal auch.“„Verschlossen?“„Ja.“„Womit?“„Mit einem starken Holzgitter.“„Konntest du es nicht entfernen?“„Es widersteht aller meiner Kraft.“„Wie weit ist der Ort von hier?“„Das Gitter muss sich unmittelbar bei der Grundmauer

des Hauses befinden.“„Ich werde einmal nachsehen. Zieh dich an, halte mei-

ne Kleider und erwarte mich hier.“Ich warf nur das Obergewand ab und stieg in das Was-

ser. Mich auf den Rücken legend, schwamm ich vorwärts.Der Kanal war auch im Garten nicht offen, sondern mitsteinernen Platten bedeckt. Als ich nach meiner Berech-nung das Haus erreicht haben musste, stieß ich an dasGitter. Es war so breit und hoch wie der Kanal selbst, be-stand aus starken, gut eingefügten Holzstangen und warmit eisernen Klammern an der Mauer befestigt. Die Vor-richtung hatte jedenfalls den Zweck, Tiere wie etwa Rat-ten, Wassermäuse usw. vom Bassin fern zu halten. Ich rüt-telte daran, es gab nicht nach und ich musste einsehen,dass es im Ganzen nicht zu entfernen war. Ich fasste eineneinzelnen Stab mit beiden Händen, stemmte die hochemporgezogenen Knie hüben und drüben gegen die Mau-er – ein Ruck aus allen Kräften und die Stange zerbrach.Jetzt war eine Bresche da und in der Zeit von zwei Minu-ten hatte ich noch vier Stäbe herausgerissen, sodass eineÖffnung entstanden war, durch die ich mich zwängenkonnte.

Sollte ich zurückkehren, um Isla das Weitere zu überlas-sen? Nein, denn das wäre Zeitverschwendung gewesen. Ich

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befand mich nun einmal im Wasser und kannte ja auchdie Örtlichkeit genauer als er. Ich passierte also die Öff-nung, die ich mir gemacht hatte und schwamm weiter fortin dem Wasser, das durch den aufgewühlten Schlamm ganzdick war. Als ich mich nach meiner ungefähren Berech-nung unter dem inneren Hof befinden musste, senkte sichplötzlich die Wölbung bis auf die Oberfläche des Wassersherunter und ich wusste nun, dass ich mich in der Nähedes Bassins befand. Der Kanal glich von hier aus nur nocheiner Röhre, die so vollständig mit Wasser gefüllt war, dassdie zum Atmen nötige Luft fehlte. Die noch übrige Stre-cke musste ich also unter Wasser durchkriechen oder tau-chend durchschwimmen, was nicht nur höchst unbequemund anstrengend, sondern auch mit größter Gefahr ver-bunden war. Wie nun, wenn sich ein zweites, unvorherge-sehenes Hindernis in den Weg stellte und ich auch nichtso weit zurückkehren konnte, um den nötigen Atem zuholen? – Oder wenn ich beim Emportauchen bemerktwurde? Es war doch immerhin möglich, dass sich jemandim Hof befand. Diese Bedenken durften mich nicht irre-machen. Ich sog die Lunge voll Atem, bog mich unter dasWasser und schob mich, halb schwimmend und halb ge-hend, mit möglichster Schnelligkeit vorwärts.

Eine ziemliche Strecke legte ich so zurück und schonverspürte ich den eintretenden Luftmangel, als ich mit derHand wirklich an ein neues Hindernis stieß. Es war, wieich fühlte, ein aus einem durchlöcherten Blech bestehen-des Siebgitter, das die ganze Lichte der Kanalröhre ein-nahm und jedenfalls als Filter des schlammigen, trübenWassers dienen sollte.

Bei dieser Entdeckung bemächtigte sich meiner einewirkliche Angst. Zurück konnte ich nicht mehr, denn eheich die Stelle zu erreichen vermochte, wo die höhere Wöl-bung des Kanals mir gestattet hätte, empor zu tauchen undAtem zu schöpfen, war ich jedenfalls schon erstickt, unddoch schien das ziemlich starke Siebwerk sehr haltbar be-

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festigt zu sein. Hier gab es freilich nur zwei Fälle: Entwe-der es gelang mir durchzukommen oder ich musste elendertrinken. Es war kein Augenblick zu verlieren.

Ich stemmte mich gegen das Blech – vergebens; ichdrückte und presste mit aller Gewalt dagegen, doch ohneErfolg. Und wenn ich hindurch kam und hinter ihm nichtsofort das Bassin fand, war ich dennoch verloren. Ich hat-te nur noch Luft und Kraft für eine Sekunde; es war mir,als wollte eine fürchterliche Gewalt mir die Lunge zerbers-ten und den Körper zersprengen – noch eine letzte, dieallerletzte Anstrengung; Herrgott im Himmel, hilf, dasses mir gelingt! Ich fühlte den Tod mit nasser, eisiger Handnach meinem Herzen greifen; die Pulse stockten, die Be-sinnung wollte schwinden, die Seele sträubte sich mit allerGewalt gegen das Entsetzliche; eine krampfhafte, tödlicheSpannung dehnte die erstarrenden Sehnen und Muskelnaus – ich hörte einen Krach, kein Geräusch, aber der Kampfdes Todes hatte vermocht, was dem Leben nicht gelingenwollte, das Sieb wich, es ging aus den Fugen, ich fuhrempor. Ein langer, langer, tiefer Atemzug, der mir augen-blicklich das Leben wiederbrachte, dann tauchte ich wie-der unter. Es konnte ja jemand im Hof sein und meinenKopf bemerken, der gerade in der Mitte der kleinen Was-serfläche sichtbar geworden war. Am Rand kam ich vor-sichtig wieder auf und blickte mich um.

Es schien kein Mond, aber die Sterne des Südens ver-breiteten genügend Licht, um alle Gegenstände unterschei-den zu können. Ich stieg aus dem Bassin und wollte michleise an die Mauer schleichen, als ich ein leises Knackenvernahm. Ich blickte empor zu den Gittern, hinter denendie Frauengemächer lagen. Hier, rechts über mir war dieStelle, an der ich den Riegelstab entfernt hatte, und linksdavon bemerkte ich eine Spalte in der Vergitterung desje-nigen Zimmers, in das ich nicht hatte treten dürfen. Eswar jedenfalls das Schlafzimmer Senitzas. War sie wachgeblieben, um mich zu erwarten? Kam das Knacken von

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dem Gitter, das sie auch in ihrer Stube geöffnet hatte? Wardies der Fall, so hatte sie mich aus dem Wasser steigensehen und sich jetzt wieder zurückgezogen, da sie michunmöglich erkennen konnte.

Ich schlich näher und legte die Hände rund um den Mund.„Senitza!“, flüsterte ich leise.Da wurde die Spalte größer und ein dunkles Köpfchen

erschien.„Wer bist du?“, hauchte es herab.„Der Hekim, der bei dir war.“„Du kommst, mich zu retten?“„Ja. Du hast es geahnt und meine Worte verstanden?“„Ja. Bist du allein?“„Isla Ben Maflei ist draußen.“„Ach! Er wird getötet werden!“„Von wem?“„Von Abrahim. Er schläft nicht des Nachts, er wacht.

Und die Wächterin liegt in dem Raum neben mir. Halt –horch! Oh, fliehe schnell!“

Hinter der Tür, die zum Sselamlyk führte, ließ sich einGeräusch vernehmen. Die Spalte oben schloss sich undich eilte augenblicklich zum Bassin zurück. Dort war dereinzige Ort, wo ich Zuflucht finden konnte. Vorsichtig,damit das Wasser keine Wellen werfen sollte, die michverraten hätten, glitt ich hinein.

Kaum war dies geschehen, so öffnete sich die Tür unddie Gestalt Abrahims erschien, langsam und spähend um-schritt er den Hof. Ich stand bis zum Mund im Wasserund mein Kopf war hinter der Einfassung verborgen, sodassmich der Ägypter nicht gewahr werden konnte. Dieserüberzeugte sich, dass das Tor noch verschlossen war, undverschwand nachdem er die Runde vollendet hatte, wie-der im Sselamlyk.

Jetzt stieg ich wieder aus dem Wasser, glitt zum Tor, schobden Riegel zurück und öffnete. Ich stand im Garten. Rascheilte ich quer darüber weg, um nun auch das Mauertor zu

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öffnen, und dann wollte ich um die Ecke biegen, Isla BenMaflei zu holen, als dieser eben erschien.

„Hamdulillah, Preis sei Gott, Effendi! Es ist dir gelun-gen.“

„Ja. Aber ich kämpfe mit dem Tod. Gib mir mein Ge-wand!“

Hose und Weste trieften mir von Wasser, ich warf nurdie Jacke über, um nicht in meinen Bewegungen gehin-dert zu sein, und sagte ihm:

„Ich sprach bereits mit Senitza.“„Ist es wahr, Effendi?“„Sie hatte mich verstanden und erwartete uns.“„Oh komm! Schnell, schnell!“„Warte noch!“Ich ging in den Garten, um eine der Stangen zu holen,

die ich gleich bei meiner ersten Anwesenheit bemerkt hat-te. Dann traten wir in den Hof. Die Spalte oben im Git-terwerk hatte sich bereits wieder geöffnet.

„Senitza, mein Stern, mein...“, rief Isla mit unterdrück-ter Stimme, als ich empor gezeigt hatte. Ich unterbrachihn:

„Um alles in der Welt, still! Hier ist keine Zeit zu Her-zensergüssen. Du schweigst und nur ich rede!“

Dann wandte ich mich empor zu ihr:„Bist du bereit, mit uns zu gehen?“„Oh ja!“„Durch die Zimmer geht es nicht?“„Nein. Aber drüben hinter den hölzernen Säulen liegt

eine Leiter.“„Ich hole sie!“Wir brauchten also weder die Stangen noch den mitge-

brachten Strick. Ich ging und fand die Leiter. Sie war fest.Als ich sie angelehnt hatte, stieg Isla empor. Ich schlichunterdessen nach der Tür zum Sselamlyk, um zu horchen.

Es dauerte einige Zeit, bis ich die Gestalt des Mädchenserscheinen sah. Sie stieg herab und Isla unterstützte sie

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dabei. Im Augenblick, in dem sie den Boden erreichten,erhielt die Leiter einen Stoß, sie schwankte und stürztemit einem lauten Krach zu Boden.

„Flieht! Schnell zum Boot!“, warnte ich.Sie eilten nach dem Tor und zu gleicher Zeit hörte ich

Schritte hinter der Tür. Abrahim hatte das Geräusch ver-nommen und kam herbei. Ich musste den Fliehenden denRückzug decken und folgte ihnen also mit nicht zu großerSchnelligkeit. Der Ägypter bemerkte mich, sah auch dieumgestürzte Leiter und das geöffnete Gitter. Er stieß ei-nen Schrei aus, der von allen Bewohnern des Hauses ge-hört werden musste.

„Dieb, Räuber, halt! Herbei, herbei, ihr Männer, ihrLeute, ihr Sklaven! Hilfe!“

Mit diesen laut gebrüllten Worten sprang er hinter mirher. Da der Orient keine Betten nach Art der unseren kenntund man meist in den Kleidern auf dem Diwan schläft, sowaren die Bewohner des Hauses alsbald auf den Beinen.

Der Ägypter war hart hinter mir. Am Außentor blickteich mich um. Er war nur zehn Schritte von mir entferntund dort am inneren Tor erschien bereits ein zweiter Ver-folger.

Draußen bemerkte ich rechts Isla Ben Maflei mit Senitzafliehen, ich wandte mich also nach links. Abrahim ließsich täuschen. Er sah nicht sie, sondern nur mich und folgtemir. Ich sprang um die eine Ecke, in Richtung zum Flusszu, oberhalb des Hauses, während unser Boot unterhalblag. Dann rannte ich um die zweite Ecke, das Ufer ent-lang.

„Halt, Schuft! Ich schieße!“, erscholl es hinter mir.Er hatte also Waffen bei sich. Ich eilte weiter. Traf mich

seine Kugel, so war ich tot oder gefangen, denn hinter ihmfolgten seine Diener, wie ich aus ihrem Geschrei vernahm.Der Schuss krachte. Er hatte im Laufen gezielt, statt dabeistehen zu bleiben; das Geschoss flog an mir vorüber. Ichtat, als sei ich getroffen, und warf mich zur Erde nieder.

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Er stürzte an mir vorbei, denn er hatte nun das Bootbemerkt, in das Isla eben mit Senitza einstieg. Gleich hin-ter ihm sprang ich wieder auf. Mit einigen Sprüngen hatteich ihn erreicht, packte ihn im Nacken und warf ihn nie-der.

Das Geschrei der Fellachen erscholl aber jetzt hinter mir,sie waren mir sehr nah, da ich mit dem Niederwerfen Zeitund Raum verloren hatte, aber ich erreichte den Kahn undsprang hinein. Sofort stieß Halef vom Ufer, von dem wirbereits mehrere Bootslängen entfernt waren, als die Ver-folger dort ankamen.

Abrahim hatte sich wieder emporgerafft. Er überblicktedie ganze Situation.

„Geri – Zurück, ihr Männer!“, brüllte er. „Zurück zumBoot!“

Alle wandten sich in Richtung zum Kanal, wo ihr Kahngelegen hatte. Abrahim kam zuerst dort an und stieß ei-nen Schrei der Wut aus. Er sah, dass das Boot verschwun-den war.

Wir hatten unterdessen die ruhigeren Gewässer des Ufersverlassen und das schneller strömende Wasser erreicht;Halef und der Barbier aus Jüterbog ruderten, auch ichnahm eins der aus dem Boot Abrahims genommenen Ru-der; Isla tat dasselbe und so schoss unser Kahn sehr schnellstromabwärts. Es wurde kein Wort gesprochen, unsereStimmung war nicht danach.

Während des ganzen Abenteuers war doch eine längereZeit vergangen, sodass sich bereits jetzt der Horizont rö-tete und man die nebellosen Wasser des Nils weithin zuüberblicken vermochte. Noch immer sahen wir Abrahimmit den Seinigen am Ufer stehen, und weiter oben erschienein Segel, das im Morgenrot erglühte.

„Ein Sandal!“, meinte Halef.Ja, es war ein Sandal, eine jener lang gebauten, stark be-

mannten Barken, die so schnell segeln, dass sie fast mit ei-nem Dampfer um die Wette gehen.

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„Er wird den Sandal anrufen und uns darauf verfolgen“sagte Isla besorgt.

„Hoffentlich ist der Sandal ein Kauffahrer, der nicht aufihn hört!“

„Wenn Abrahim dem Rejs eine genügende Summe bie-tet, wird dieser sich nicht weigern.“

„Auch in diesem Fall würden wir einen guten Vorsprunggewinnen. Ehe der Sandal anlegt und der Rejs mit Abrahimverhandelt hat, vergeht einige Zeit. Auch muss sich Abrahim,ehe er an Bord gehen kann, mit allem versehen, was zueiner längeren Reise notwendig ist, da er nicht wissen kann,welche Ausdehnung die Verfolgung haben wird.“

Das Segel verschwand jetzt unseren Blicken und wirmachten eine so schnelle Fahrt, dass wir nach kaum einerhalben Stunde die Dahabije zu Gesicht bekamen.

Der alte Abu er Rejsan lehnte an der Brüstung. Er sah,dass eine weibliche Person im Boot saß, und wusste also,dass unser Unternehmen gelungen war, wenigstens gelun-gen bis zu diesem Augenblick.

„Legt an“, rief er. „Die Treppe ist niedergelassen!“Wir stiegen an Bord und das Boot wurde am Steuer be-

festigt. Dann ließ man die Seile gehen und zog die Segelauf. Das Fahrzeug drehte den Schnabel vom Land ab, derWind legte sich in das Leinen und wir strebten der Mittedes Stromes zu, der uns weiter abwärts trug.

Ich war zum Rejs getreten.„Wie ging es?“, fragte er mich.„Sehr gut. Ich werde es dir erzählen; doch sage mir vor-

her, ob ein guter Sandal dein Fahrzeug einholen könnte.“„Werden wir verfolgt?“„Ich glaube es nicht, doch ist es möglich.“„Meine Dahabije ist sehr gut, aber ein guter Sandal holt

jede Dahabije ein.“„So wollen wir wünschen, dass wir unverfolgt bleiben!“Ich erzählte nun den Hergang unseres Abenteuers und

ging dann nach der Kajüte, um meine noch immer feuch-

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ten Kleider zu wechseln. Sie war in zwei Teile geteilt, ei-nen kleinen und einen größeren. Der erste war für Senitzaund der letzte für den Kapitän, Isla Ben Maflei und michbestimmt.

Es waren vielleicht zwei Stunden seit unserer Abfahrtvergangen, als ich oberhalb unseres Schiffes die Spitze ei-nes Segels bemerkte, das sich immer mehr vergrößerte. Alsder Rumpf sichtbar wurde, erkannte ich den Sandal, denwir in der Frühe gesehen hatten.

„Siehst du das Schiff?“, fragte ich den Rejs.„Allah akbar – Gott ist groß und deine Frage ist auch

groß“, antwortete er mir. „Ich bin ein Rejs und sollte einSegel nicht sehen, das so nah hinter dem meinigen steu-ert!“

„Ob es ein Fahrzeug des Khedive ist?“„Nein.“„Woran erkennst du das?“„Ich kenne diesen Sandal sehr genau.“„Ah!“„Er gehört dem Rejs Chalid Ben Mustafa.“„Kennst du diesen Chalid?“„Sehr gut, aber wir sind keine Freunde.“„Warum?“„Ein ehrlicher Mann kann nicht der Freund eines un-

ehrlichen sein.“„Hm, so ahne ich etwas.“„Was?“„Dass sich Abrahim Mamur bei ihm an Bord befindet.“„Werden es sehen!“„Was wirst du tun, wenn der Sandal bei der Dahabije

anlegen will?“„Ich muss es zugeben. Das Gesetz sagt es so.“„Und wenn ich es nicht zugebe?“„Wie wolltest du das anfangen? Ich bin der Rejs meiner

Dahabije und habe nach den Vorschriften des Gesetzes zuhandeln.“

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„Und ich bin der Rejs meines Willens.“Jetzt trat Isla zu uns. Ich wollte ihm keine zudringliche

Frage vorlegen, aber er begann selbst:„Kara Ben Nemsi, du bist mein Freund, der beste, den

ich gefunden habe. Soll ich dir erzählen, wie Senitza indie Hände der Ägypter gekommen ist?“

„Ich möchte es sehr gern hören, doch zu einer solchenErzählung gehört die Ruhe und Sammlung, die wir jetztnicht haben können.“

„Du bist unruhig? Weshalb?“Er hatte das hinter uns segelnde Fahrzeug noch nicht

bemerkt.„Dreh dich um und sieh diesen Sandal.“Er wandte sich um, sah das Schiff und fragte:„Ist Abrahim an Bord?“„Ich weiß es nicht, aber es ist sehr leicht möglich, weil

der Kapitän ein Schurke ist, der sich von Abrahim erkau-fen lassen wird.“

„Woher weißt du, dass er ein Schurke ist?“„Rejs Hassan sagt es.“„Ja“, bestätigte dieser, „ich kenne diesen Kapitän und

auch sein Schiff. Selbst wenn es weiter entfernt wäre, würdeich es an seinem Segel erkennen, das dreifach ausgebessertund zusammengeflickt ist.“

„Was werden wir tun?“, fragte Isla.„Zunächst abwarten, ob Abrahim sich an Bord befin-

det.“„Und wenn er da ist?“„So kommt er nicht zu uns herüber.“Unser Schiffsführer prüfte den Fortgang des Sandal und

denjenigen, den wir selbst machten, und meinte dann:„Er kommt uns immer näher. Ich werde eine Triketa 1

beisetzen lassen.“Dies geschah, aber ich merkte bereits nach einigen Mi-

nuten, dass die Entscheidung dadurch höchstens verzö-

1 Kleines Segel

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gert, nicht aber aufgehoben wurde. Der Sandal kam unsimmer näher; endlich war er nur noch eine Schiffslängevon uns entfernt und ließ das eine Segel fallen, um seineSchnelligkeit zu vermindern. Wir sahen Abrahim Mamuran Deck stehen.

„Er ist da!“, sagte Isla.„Wo steht er?“, fragte der Rejs.„Ganz vorn am Bug.“„Dieser? Kara Ben Nemsi, was tun wir? Sie werden uns

ansprechen und wir müssen ihnen antworten.“„Wer hat nach euren Gesetzen zu antworten?“„Ich, der Inhaber meiner Dahabije.“„Merke auf, was ich dir sage, Abu er Rejsan. Bist du

bereit, mir dein Schiff von hier bis Kahira zu vermieten?“Der Kapitän sah mich erstaunt an, begriff dann aber

gleich, welchen Zweck ich verfolgte.„Ja“, antwortete er.„Dann bin also ich der Inhaber?“„Ja.“„Und du als Rejs musst tun, was ich will.“„Ja.“„Und bist für nichts verantwortlich?“„Nein.“„Gut. Ruf deine Leute zusammen!“Auf seinen Ruf kamen alle herbei und der Kapitän er-

klärte ihnen:„Ihr Männer, ich sage euch, dass dieser Effendi, der Kara

Ben Nemsi heißt, unsere Dahabije von hier bis Kahiragemietet hat. Ist es so?“

„Ja, es ist so“, bestätigte ich.„Ihr könnt mir also bezeugen, dass ich nicht mehr Herr

des Schiffes bin?“, fragte er die Leute.„Wir bezeugen es.“„So geht an eure Plätze. Das aber müsst ihr wissen, dass

ich die Leitung des Schiffes behalte, denn Kara Ben Nemsihat es mir befohlen.“

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Sie entfernten sich, sichtlich befremdet über die son-derbare Mitteilung.

Mittlerweile war der Sandal auf gleiche Höhe mit unsgekommen. Sein Kapitän, ein alter, langer, sehr hagererMann mit einer Reiherfeder auf dem Tarbusch, trat an dieBordung und fragte herüber:

„Ho, Dahabije, welcher Rejs?“Ich neigte mich vor und antwortete:„Rejs Hassan.“„Hassan, genannt Abu er Rejsan?“„Ja.“„Schön, kenne ihn“, antwortete er mit schadenfroher

Miene. „Ihr habt ein Weib an Bord?“„Ja.“„Gebt es heraus!“„Chalid Ben Mustafa, du bist verrückt!“„Wird sich finden. Wir werden bei euch anlegen.“„Das werden wir verhindern.“„Wie willst du dies anfangen?“„Das will ich dir sofort zeigen. Achte auf die Feder an

deinem Tarbusch!“Ich erhob sehr schnell den Stutzen, den ich, ohne dass

er ihn gesehen hatte, bereitgehalten hatte, zielte und drück-te los. Die Feder flog herab. Selbst das entsetzlichste Un-glück hätte den würdigen Ben Mustafa nicht so in Aufre-gung versetzen können wie dieser Warnschuss. Er fuhr sohoch in die Luft, als beständen seine hageren Gliedmaßenaus elastischem Gummi, hielt sich den Kopf mit beidenHänden und floh hinter den Mast.

„Jetzt weißt du, wie ich schieße, Ben Mustafa“, rief ichhinüber. „Wenn dein Sandal noch eine einzige Minute beiuns längsseits fährt, so schieße ich dir nicht die Feder vomTarbusch, sondern die Seele aus dem Leib; darauf kannstdu dich verlassen!“

Diese Drohung hatte eine augenblickliche Wirkung. Ereilte ans Steuer, riss es aus den Händen dessen, der es bis-

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her geführt hatte, und drehte ab. In zwei Minuten befandsich der Sandal in einer solchen Entfernung von uns, dassihn meine Kugel nicht erreichen konnte.

„Jetzt sind wir für den Augenblick sicher“, meinte ich.„Er wird uns nicht wieder so nah kommen“, stimmte

Hassan bei, „aber er wird uns auch nicht aus dem Augelassen, bis wir irgendwo anlegen, wo er die Hilfe des Ge-setzes in Anspruch nehmen kann. Die fürchte ich freilichnicht, aber ich fürchte etwas anderes.“

„Was?“„Das da!“Er deutete mit der Hand hinaus auf das Wasser und wir

verstanden sogleich, was er meinte.Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, dass die

Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärtsstrebten als vorher und die jetzt felsig gewordenen Ufereinander immer näher traten. Wir näherten uns nämlicheiner jener Stromschnellen, die dem Verkehr auf dem Nilfast unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Jetztmusste die Feindschaft der Menschen schweigen, damitsich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf das drohendeElement richten konnte. Die Stimme des Rejs tönte lautschallend über das Deck:

„Blickt auf, ihr Männer, der Schellâl kommt, der Kata-rakt! Tretet zusammen und betet die heilige Fâtiha!“

Die Leute folgten seinem Gebot und wandten sich nachMekka.

„Im Namen Gottes des Allbarmherzigen!“, begann derRejs.

Darauf fielen die andern ein und beteten die Fâtiha, dieerste Sure des Korân.

Ich muss gestehen, dass dieses Gebet auch mich ergriff,aber nicht aus Furcht vor der Gefahr, sondern aus Ehrfurchtvor der tief im Herzen wurzelnden Religiosität dieser halb-wilden Menschen, die nichts tun und beginnen, ohne sichdessen zu erinnern, der in den Schwachen mächtig ist.

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„Wohlan, ihr jungen Männer, ihr mutigen Helden, gehtan eure Plätze“, gebot nun der Führer, „der Strom hat unsergriffen.“

Das Kommando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhigund exakt ab wie die Führung eines europäischen Fahr-zeugs. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adernund treibt in der Gefahr den Menschen vom Extrem derausschweifendsten Hoffnung herab auf das der tiefstenNiedergeschlagenheit und Verzweiflung. Alles schreit, ruft,brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblick der Gefahr,um im nächsten Moment, wenn diese Gefahr vorüberge-gangen ist, noch lauter zu jubeln, zu pfeifen, zu singenund zu jauchzen. Dabei arbeitet ein jeder mit Anspannungaller seiner Kräfte und der Schiffsführer springt von ei-nem zum andern, um jeden anzufeuern, tadelt die Säumi-gen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszusin-nen vermag, und belohnt die andern mit den süßesten,zärtlichsten Namen, unter denen sich das Wort ‚Held‘ ammeisten wiederholt.

Hassan hatte sich auf die Stromschnelle vorbereitet undErsatzmannschaft eingenommen. Jedes Ruder war doppeltbesetzt und am Steuer standen drei Barkenführer, die je-den Fußbreit des Stromes hier an dieser gefährlichen Stel-le kannten.

Mit furchtbarer Gewalt rauschten die Wogen jetzt überdie vom Wasser kaum bedeckten Felsblöcke; die Wellenstürzten schäumend über das Deck und der Donner desKatarakts übertäubte jedes, auch das lauteste Komman-dowort. Das Schiff stöhnte und krachte in allen Fugen,die Ruder versagten ihre Dienste und dem Steuer vollstän-dig ungehorsam tobte die Dahabije durch die kochendenGewässer.

Da traten die schwarzen, glänzenden Felsen vor uns engzusammen und ließen nur noch ein Tor offen, das kaumdie Breite unseres Schiffes besaß. Die Wogen wurden förm-lich hindurchgepresst und stürzten sich in einem dicken,

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mächtigen Strahl nach unten in ein Becken, das übersätwar von haarscharfen und nadelspitzen Steinblöcken.

Mit sausender Hast schossen wir dem Tor zu. Die Ru-der wurden eingezogen. Jetzt befanden wir uns in einemfurchtbaren Loch, dessen Wände uns zu beiden Seiten sonahe waren, dass wir sie fast mit den Händen erreichenkonnten. Als wollte es uns hinaustreiben in die Luft, soschleuderte uns die rasende Gewalt der Strömung über diesprühenden, Gischt spritzenden Kämme des Falls hinausund wir stürzten hinab in den Schlund des Kessels. Es bro-delte, spritzte, rauschte, tobte, donnerte und brüllte umuns her. Da packte es uns wieder mit unwiderstehlicherMacht und riss uns eine schief abfallende Ebene hinab,deren Wasserfläche glatt und freundlich vor uns lag, abergerade unter dieser Glätte die gefährlichste Tücke barg,denn wir schwammen nicht, nein, wir fielen, wir stürztenmit rasender Schnelligkeit die abschüssige Bahn hinabund...

„Allah kerîm – Gott ist gnädig!“, ertönte Hassans Stim-me jetzt so schrill, dass sie gehört werden konnte. „Allahw’ Allah, an die Ruder, ihr Jünglinge, ihr Männer, ihrHelden, ihr Tiger, Panther und Löwen! Der Tod liegt voreuch. Seht ihr es denn nicht? Macht, bei Gott, macht, ihrHunde, ihr Feiglinge, ihr Schurken und Katzen, arbeitet,ihr Wackeren, ihr Guten, ihr Helden, ihr Unvergleichli-chen, Erprobten und Auserwählten.“

Wir schossen einer Schere zu, die sich gerade vor unsöffnete und uns im nächsten Augenblick vernichten konn-te. Die Felsen waren so scharf und der Fall des Stroms soreißend, dass von dem Schiff keine Hand voll Holz bei-sammen bleiben konnte, wie es schien.

„O du Bewahrer, hilf! Links, links, ihr Hunde, ihr Gei-er, ihr Rattenfresser, ihr Aasverdauer, links, links mit demSteuer, ihr Braven, ihr Herrlichen, ihr Väter aller Helden!Allah, Allah! Maschallah! Gott tut Wunder, ihm sei Dank!“

Das Schiff hatte den fast übermenschlichen Anstrengun-

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gen gehorcht und war vorübergeflogen. Für einige Augen-blicke befanden wir uns im ruhigen Fahrwasser und allesstürzte sich auf die Knie, um dem Allmächtigen zu dan-ken.

„Esch’hetu inu la ilâha ill’ Allah!“, tönte es jubelnd überdas Deck hin. – „Ich bezeuge, dass es nur einen Gott gibt!Er begnadige uns mit seinem Segen!“

Da kam es hinter uns hergeschossen, wie von der Sehneeines Bogens geschnellt. Es war der Sandal, der dieselbenGefahren hinter sich hatte wie wir. Seine Schnelligkeit warjetzt wieder größer als die unsrige und er musste daher anuns vorüber. Aber das offene Fahrwasser war so schmal,dass wir nur mit Mühe auszuweichen vermochten, undfast Bord an Bord rauschte er vorüber. Am Mast lehnteAbrahim Mamur, die Rechte hinter sich versteckend. Mirgerade gegenüber riss er die verborgen gehaltene lange ara-bische Flinte an die Wange – ich warf mich nieder – dieKugel pfiff über mir weg und im nächsten Augenblick warder Sandal uns weit voran.

Alle hatten den Mordversuch gesehen, aber niemandfand Zeit zur Verwunderung oder zum Zorn, denn dieStrömung packte uns wieder und trieb uns in ein Laby-rinth von Klippen.

Da erscholl vor uns ein lauter Schrei. Der Sandal wurdevon der Macht des Schellâl an einen Felsen geworfen; dieSchiffer schlugen die Ruder in die Flut und das nur leichtbeschädigte Fahrzeug schoss, von den Wogen wiedergefasst, befreit davon. Aber bei dem Stoß war ein Menschüber Bord gefallen, er hing im Wasser, sich verzweiflungs-voll an die Klippe klammernd. Ich ergriff einen der vor-handenen Dattelbaststricke, eilte an die Bordwand undwarf ihn dem Bedrohten zu. Er fasste danach – hielt ihnfest – wurde emporgezogen. Es war – Abrahim Mamur.

Sobald er das Verdeck glücklich erreicht hatte, schüttel-te er das Wasser aus seinen Kleidern und stürzte dann mitgeballten Fäusten auf mich zu.

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„Hund, du bist ein Räuber, ein Betrüger!“Ich erwartete ihn ruhig und meine Haltung bewirkte,

dass er vor mir stehen blieb, ohne seine Fäuste zu gebrau-chen.

„Abrahim Mamur, sei höflich, denn du befindest dichnicht in deinem Haus!“, warnte ich ihn. „Sagst du nurnoch ein Wort, das mir nicht gefällt, so lasse ich dich anden Mast binden und durchpeitschen!“

Die größte Beleidigung für einen Araber ist ein Schlagund die zweitgrößte ist die Drohung, ihn zu schlagen.Abrahim machte eine Bewegung, bezwang sich aber.

„Du hast mein Weib an Bord!“„Nein.“„Du sagst mir nicht die Wahrheit.“„Ich sage sie, denn die ich an Bord habe, ist nicht dein

Weib, sondern die Verlobte dieses jungen Mannes, derneben dir steht.“

Er stürzte auf die Kajüte zu, dort trat ihm Halef entge-gen.

„Abrahim Mamur, ich bin Hadschi Halef Omar BenHadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah;dieses hier sind meine zwei Pistolen und ich werde dichniederschießen, sobald du irgendwohin gehen willst, wo-hin zu gehen mein Herr dir verbietet!“

Mein kleiner Halef machte ein Gesicht, dem der Ägyp-ter es ansehen konnte, dass es ihm mit dem Schießen Ernstwar. Er wandte sich daher ab und schnaubte:

„So werde ich Euch verklagen, sobald Ihr an Land geht,um Eure Hilfsmatrosen abzusetzen.“

„Tu das. Bis dahin aber bist du nicht mein Feind, son-dern mein Gast, solange du dich friedlich benimmst.“

Die Stromschnelle war in ihren gefährlichen Stellenglücklich durchschifft und wir konnten uns nun mit dernötigen Muße unserer Angelegenheit zuwenden.

„Willst du uns jetzt erzählen, auf welche Weise Senitzain die Hand dieses Menschen geraten ist?“, fragte ich Isla.

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„Ich will sie holen“, antwortete er, „sie mag es Euch selbsterzählen.“

„Nein, sie mag in der Kajüte bleiben, denn ihr Anblickwürde den Ägypter erbittern und zum Äußersten reizen.Sag uns vor allen Dingen, ob sie Mohammedanerin oderChristin ist.“

„Sie ist eine Christin.“„Von welcher Konfession?“„Von der, die Ihr griechisch nennt.“„Sie ist nicht seine Frau geworden?“„Er hat sie gekauft.“„Ah! Ist das möglich?“„Ja. Die Montenegrinerinnen gehen nicht verschleiert. Er

hat sie in Skutari gesehen und ihr gesagt, er liebe sie undsie solle sein Weib werden, sie aber hat ihn ausgelacht.Dann ist er in die Crnagora zu ihrem Vater gekommenund hat eine große Summe geboten, um sie von ihm zukaufen, dieser jedoch hat ihn hinausgeworfen. Dann hat erden Vater der Freundin bestochen, bei der Senitza oft zu Be-such war, und dieser ist auf den Handel eingegangen.“

„Wie?“„Dieser Mensch hat sie für seine Sklavin ausgegeben,

hat sie an Abrahim Mamur verkauft und ihm eine Schriftdarüber ausgehändigt, in der sie für eine tscherkessischeSklavin gilt.“

„Ah, darum also ist diese Freundin mit ihrem Vater soplötzlich verschwunden!“

„Nur darum. Er hat sie dann auf ein Schiff gebracht undist mit ihr erst nach Zypern, dann nach Ägypten gefahren.Das Übrige ist Euch bekannt.“

„Wie hieß der Mann, der sie verkaufte?“, fragte ich un-willkürlich.

„Barud el Amasat.“„El Amasat – el Amasat – dieser Name kommt mir sehr

bekannt vor. Wo habe ich ihn gehört? War dieser Menschein Türke?“

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„Nein, sondern ein Armenier.“Ein Armenier – ah, jetzt wusste ich es! Hamd el Amasat,

jener Armenier, der uns auf dem Schott el Dscherid ver-derben wollte und dann aus Kbilli entfloh – war es dersel-be? – Nein, denn die Zeit stimmte nicht.

„Weißt du nicht“, fragte ich Isla, „ob dieser Barud elAmasat einen Bruder hat?“

„Nein, Senitza weiß es auch nicht, ich habe sie nach die-ser Familie sehr genau befragt.“

Da kam der Diener Hamsad el Dscherbaja herbei undwandte sich an mich:

„Herr Effendi, ich habe Sie wat zu sagen.“„Sprechen Sie!“„Wie heißt dieser ägyptische Tunichtjut?“„Abrahim Mamur.“„So! Dat will also een Beamter jewesen sein?“„Allerdings.“„Dat lassen Sie mich man nur nicht weismachen, denn

ich kenne diesen Menschen besser als er mir!“„Ah! Wer ist er?“„Ich habe ihn jesehen als eenen, der die Bastonade krieg-

te, und weil es die erste Bastonade war, die ich jesehenhabe, so habe ich mir sehr einjehend nach ihm erkundigt.“

„Nun, wer und was ist er?“„Er war bei der persischen Jesandtschaft in Konstanti-

nopel Attascheh oder so wat und hat een Jeheimnis verra-ten oder so unjefähr. Er hat totjemacht werden sollen, aberweil er Jönner jehabt hat, so ist bei der Absetzung mitBastonade jeblieben. Sein Name ist Dawuhd Arafim.“

Dass der Barbier aus Jüterbog diesen Mann kannte, warein ganz staunenswertes Zusammentreffen, und nun fieles mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte ihn bereitseinmal gesehen, und zwar in Konstantinopel, wo er alsGefangener weggeschafft wurde.

So kam es, dass auch er mich gesehen und sich jetztmeiner erinnert hatte.

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„Ich danke Ihnen, Hamsad, für diese Mitteilung“, sagteich, „behalten Sie Ihre Weisheit aber jetzt noch für sich.“

Nun war mir nicht im Mindesten mehr bange bei demGedanken, dass Abrahim mich verklagen würde. Ich weißnicht, wie es kam, aber ich konnte die Vermutung nichtzurückweisen, dass er mit Barud el Amasat, der Senitza anihn verkauft hatte, nicht erst durch das Mädchen bekanntgeworden war. Abrahim war Gefangener gewesen und hattesogar die Bastonade erhalten, jetzt trat er als Mamur aufund besaß ein Vermögen – dies waren Umstände, die mirsehr zu denken gaben.

Ich zog es vor, die Mitteilung des Barbiers jetzt noch fürmich zu behalten, damit Abrahim nicht merkte, dass erdurchschaut worden war.

Am nächsten Landeplatz mussten die oberhalb derStromschnelle auf die Dahabije genommenen Schiffer wie-der an Land gesetzt werden. Unser Fahrzeug wandte sichdaher dem Ufer zu.

„Werden wir Anker werfen oder nicht?“, fragte ich denRejs.

„Nein, ich lenke sofort um, wenn die Männer das Schiffverlassen haben.“

„Warum?“„Um die Polizei zu vermeiden.“„Und Abrahim?“„Wird mit den Schiffern an das Ufer gebracht.“„Ich fürchte die Polizei nicht.“„Du bist ein Fremdling im Land und stehst unter dei-

nem Konsul. Man kann dir also nichts tun. Ah!“Dieser letzte Ausruf galt einem Boot, das mit bewaffne-

ten, finster blickenden Männern besetzt war. Es warenPolizisten.

„Du wirst wohl nicht sofort umlenken“, meinte ich zuHassan.

„Oh doch, wenn du es befiehlst. Ich habe nur dir zugehorchen.“

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„Ich befehle es nicht, ich möchte im Gegenteil die hiesi-ge Polizei einmal kennen lernen.“

Das Boot legte bei uns an und alle seine Insassen stie-gen an Bord, noch ehe wir das Ufer erreicht hatten. DieBemannung des Sandal war hier auch gelandet, hatte er-zählt, dass Abrahim im Schellâl ertrunken sei, und auchvon dem ‚Frauenraub‘ berichtet. Sodann war, wie wir spä-ter erfuhren, der alte Rejs Chalid Ben Mustafa eilendenFußes zum Richter gelaufen und hatte eine so wohlgesetz-te Rede gehalten über mich, den ungläubigen Mörder,Aufrührer, Räuber und Empörer, dass ich eigentlich sehrzufrieden sein musste, wenn ich nur mit dem Hängen oderSäcken davonkam.

Da die Gerechtigkeit jener Länder von der wichtigenErfindung der Aktenstöße noch keine Notiz genommenhat, so wird in Rechtsfällen überaus schnell und summa-risch verfahren.

„Wer ist der Rejs dieses Schiffes“, fragte der Anführerder Polizisten.

„Ich“, antwortete Hassan.„Wie heißt du?“„Hassan Abu er Rejsan.“„Hast du auf deinem Schiff einen Effendi, einen Hekim,

der ein Ungläubiger ist?“„Da steht er und heißt Kara Ben Nemsi.“„Und ist hier auf deinem Schiff auch ein Weib namens

Güsela?“„Sie ist in der Kajüte.“„Wohlan, ihr seid allesamt meine Gefangenen und folgt

mir zum Richter, während ich das Schiff von meinen Leu-ten bewachen lasse!“

Die Dahabije legte an, und ihre ganze Bemannung nebstsämtlichen Passagieren wurde ‚sofort anhero transportiert‘.Senitza, tief verschleiert, wurde in eine bereitstehende Sänf-te gehoben und musste unserm Zug folgen, der bei jedemweiteren Schritt größer wurde, weil Jung und Alt, Groß

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und Klein sich ihm anschloss. Hamsad el Dscherbaja, derExbarbier, schritt hinter mir her und pfiff nach dem Taktseiner Beine munter sein „Muss i denn, muss i denn zumStädtele hinaus!“

Der Polizeidirektor saß mit seinem Sekretär bereits un-serer Ankunft gewärtig. Er trug die Abzeichen einesBinbaschy, eines Majors oder Befehlshabers von tausendMann, hatte aber trotzdem weder ein kriegerisches nochein übermäßig intelligentes Aussehen. Wie die ganze Be-mannung des Sandal, so hatte auch er Abrahim Mamurfür ertrunken gehalten und empfing den vom Tod Aufer-standenen mit einem Respekt, der ganz das Gegenteil vondem Blick war, den er uns zuwarf.

Wir wurden in zwei Gruppen geteilt: hüben die Beman-nung des Sandal mit Abrahim und einigen seiner Diener,die er mitgenommen hatte, und drüben die Leute von derDahabije mit Senitza, Isla und mir nebst Halef und demBarbier.

„Befiehlst du deine Pfeife, Herr?“, fragte der Polizeidi-rektor den vermeintlichen Mamur.

„Lass sie bringen!“Er erhielt sie nebst einem Teppich, um sich darauf nie-

derzusetzen. Dann begann die Verhandlung:„Hoheit, sag mir deinen von Allah gesegneten Namen!“„Er lautet Abrahim Mamur.“„So bist du ein Mamur. In welcher Provinz?“„In En Nasar.“„Du bist der Ankläger. Sprich, ich höre zu und werde

richten.“„Ich klage an diesen Giaur, der ein Hekim ist, des

Ichtitâf; ich klage an den Mann, der neben ihm steht, desIchtitâf und ich klage an den Führer der Dahabije derMithilfe beim Frauenraub. Wie weit die Diener dieser bei-den Männer und die Matrosen der Dahabije beteiligt sind,magst du bestimmen, o Binbaschy.“

„Erzähle, wie der Raub begangen wurde.“

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Abrahim erzählte. Als er geendet hatte, wurden seineZeugen verhört, was zur Folge hatte, dass ich von demRejs des Sandal, Herrn Chalid Ben Mustafa, auch nochdes Mordversuchs bezichtigt wurde.

In den Augen des Polizeibeamten leuchtete der Blitz, alser sich nun mir zuwandte:

„Giaur, wie ist dein Name?“„Kara Ben Nemsi.“„Wie heißt deine Heimat?”„Almanja.“„Wo liegt diese Hand voll Erde?“„Hand voll? Hm, Binbaschy, du beweist, dass du sehr

unwissend bist!“„Hund!“, fuhr er auf. „Was willst du damit sagen?“„Almanja ist ein großes Land und hat zehnmal mehr

Einwohner als ganz Ägypten. Du aber kennst es nicht. Dubist überhaupt ein schlechter Geograf und darum lässt dudich von Abrahim Mamur belügen.“

„Wage es, noch ein Wort zu sagen, und ich lasse dichmit dem Ohr an die Wand nageln.“

„Ich wage es! Dieser Abrahim sagt, er sei der Mamur derProvinz En Nasar. Mamurs gibt es nur in Ägypten...“

„Liegt En Nasar nicht in Ägypten, Giaur? Ich bin selbstdort gewesen und kenne den Mamur wie meinen Bruder,ja wie mich selbst.“

„Du lügst!“„Nagelt ihn fest!“, gebot der Richter.Ich zog den Revolver und Halef, der dies sah, seine Pis-

tolen.„Binbaschy, ich sage dir, dass ich erst den niederschie-

ßen werde, der mich anrührt, und dann dich! Du lügst,ich sage es noch einmal. En Nasar ist eine ganz kleine,geringe Oase zwischen der Hammada el Hora und Tighertim Lande Tripolis; dort gibt es keinen Mamur, sondernnur einen armen Scheik, er heißt Mamra Ibn Alef Abuzinund ich kenne ihn. Ich könnte mit dir Komödie spielen

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und dir erlauben, noch weiter zu fragen, aber ich will eskurz machen. Wie kommt es, dass du die Kläger stehenlässt, während der Angeklagte, der Verbrecher, sitzen darfund sogar die Pfeife von dir bekommt?“

Der gute Mann sah mich ganz verdutzt an.„Wie meinst du das, Giaur?“„Ich warne dich, mich mit diesem Wort zu beschimp-

fen! Ich habe einen Pass bei mir und auch einen Ssejahatbelgeßi1 des Vizekönigs von Ägypten; dieser aber, meinGefährte, ist aus Istanbul, er hat ein Bujrultu und stehtim Schatten des Großherrn.“

„Zeigt die Scheine her!“Ich gab ihm den meinigen und Isla legte ihm den seinigen

vor. Er las sie und gab sie uns dann mit verlegener Mienezurück.

„Sprich weiter.“Diese Aufforderung bewies mir, dass er nicht wusste, was

er tun sollte. Ich nahm also wieder das Wort:„Du bist Polizeidirektor von Assuan und Binbaschy und

weißt doch nicht, was deines Amtes ist. Wenn du ein Hand-schreiben des Großherrn liest, musst du es vorher an Stirn,Auge und Mund drücken und alle Anwesenden auffordern,sich zu verbeugen, als ob Seine Herrlichkeit selbst zuge-gen wäre. Ich werde dem Khediven und dem Großwesir inIstanbul erzählen, welche Achtung du ihnen erweist!“

Das hatte er nicht erwartet. Er war so erschrocken, dasser die Augen aufriss und den Mund öffnete, ohne ein Wortzu sagen. Ich aber fuhr fort:

„Du wolltest wissen, was ich vorhin mit meinen Wortenmeinte. Ich bin der Ankläger und muss stehen und dieserist der Angeklagte und darf sitzen!“

„Wer klagt ihn an?“„Ich, dieser, dieser und wir alle.“Abrahim staunte, aber er sagte noch nichts.„Wessen klagst du ihn an?“, fragte der Sahbeth-Bei.

1 Reiseschein

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„Des Ichtitâf, desselben Verbrechens, dessen er uns an-klagte.“

Ich sah, dass Abrahim unruhig wurde. Der Richter ge-bot mir:

„Sprich!“„Du dauerst mich, Binbaschy, dass du eine solche Trau-

er erleben musst.“„Welche Trauer?“„Dass du einen Mann verurteilen musst, den du so gut

kennst wie deinen Bruder, ja wie dich selbst. Du bist so-gar bei ihm in En Nasar gewesen und weißt genau, dass erein Mamur ist. Ich aber sage dir, dass auch ich ihn kenne.Er heißt Dawuhd Arafim, wurde in Konstantinopel abge-setzt und bekam sogar die Bastonade.“

Jetzt erhob sich Abrahim.„Hund! – Binbaschy, dieser Mensch hat den Verstand

verloren!“„Binbaschy, höre mich weiter, dann wird es sich zeigen,

wessen Kopf besser ist und fester sitzt, der meine oder derseine!“

„Rede!“„Dieses Weib hier ist eine Christin, eine freie Christin

aus Karadagh1; Dawuhd Arafim hat sie geraubt und mitGewalt nach Ägypten entführt. Hier mein Freund ist ihrrechtmäßiger Verlobter und darum ist er nach Ägyptengekommen und hat sie sich wiedergeholt. Du kennst uns,denn du hast unsere Legitimationen gelesen, ihn aberkennst du nicht. Er ist ein Frauenräuber und Betrüger.Lass dir seine Legitimation zeigen oder ich gehe zum Khedivenund sage, wie du Gerechtigkeit übst in dem Amt, das erdir gegeben hat. Ich bin von dem Kapitän des Sandal desMordversuchs angeklagt. Frag diese Männer! Sie alle ha-ben gehört, dass ich ihm die Feder vom Tarbusch schie-ßen wollte, und ich habe sie getroffen. Der aber, der sichein Mamur nennt, hat im Ernst und in der Absicht, mich

1 Montenegro. Beides heißt wie Crnagora ‚Schwarzer Berg‘.

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zu töten, auf mich geschossen. Ich klage ihn an. Nun ent-scheide!“

Der brave Mann befand sich natürlich in einer großenVerlegenheit. Er konnte doch seine Worte und Taten nichtwiderrufen, fühlte aber sehr wohl, dass ich im Recht war,und so entschloss er sich, zu tun, was eben nur ein Ägyp-ter zu tun vermag.

„Das Volk soll hinaus und in seine Häuser gehen!“, geboter. „Ich werde mir die Sache überlegen und am Nachmittagdas Gericht halten. Ihr alle aber seid meine Gefangenen!“

Die Polizisten trieben die Zuschauer mit Stockschlägenhinaus, sodann wurde Abrahim Mamur mit der Mann-schaft des Sandal gefangen abgeführt und schließlichschaffte man auch uns fort, nämlich in den Hof des Ge-bäudes, in dem wir uns ungestört bewegen durften, wäh-rend einige Polizisten, am Ausgang postiert, uns zu bewa-chen schienen. Nach einer Viertelstunde aber waren sieverschwunden.

Ich ahnte, was der Binbaschy im Sinn hatte, und trat zuIsla Ben Maflei, der neben Senitza am Brunnen saß.

„Denkst du, dass wir heute unsern Prozess gewinnenwerden?“

„Ich denke gar nichts, ich überlasse alles dir“, antworte-te er.

„Und wenn wir ihn gewinnen, was wird mit Abrahimgeschehen?“

„Nichts. Ich kenne diese Leute. Abrahim wird demBinbaschy Geld geben oder einen der kostbaren Ringe,die er an den Fingern trägt, und der Beamte wird ihn lau-fen lassen.“

„Wünschst du seinen Tod?“„Nein. Ich habe Senitza gefunden, das ist mir genug.“„Und wie denkt deine Braut darüber?“Senitza antwortete selbst:„Effendi, ich war sehr unglücklich, jetzt aber bin ich

frei. Ich werde nicht mehr an ihn denken.“

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Das befriedigte mich. Jetzt galt es nur noch, den Abu erRejsan zu befragen. Er erklärte mir rundweg, dass er sehrfroh sei, mit heiler Haut davonzukommen, und so machteich mich beruhigt daran, Umschau zu halten.

Ich schritt den Ausgang hinaus auf die Straße. Die hei-ße Tageszeit war eingetreten und ich sah keinen Menschenauf der Straße. Es war klar, der Binbaschy wünschte, dasswir ausreißen und nicht auf seine Entscheidung wartenmöchten; ich kehrte daher in den Hof zurück, teilte denLeuten meine Absicht mit und forderte sie auf, mir zu fol-gen. Sie taten es, und kein Mensch trat unserem Tun ent-gegen.

Als wir die Dahabije erreichten, ergab es sich, dass sievon den Polizisten verlassen worden war. Ein Bewundererder Ladung, die aus Sennesblättern bestand, hätte ganzungestört eine Annexion vornehmen können.

Der Sandal lag nicht mehr am Ufer, er war verschwun-den. Jedenfalls hatte der würdige Chalid Ben Mustafa nocheher als wir die Absicht des Richters begriffen und sichmit Schiff und Bemannung davongemacht.

Wo aber befand sich Abrahim Mamur?Dies zu erfahren wäre uns nicht gleichgültig gewesen;

denn es war nicht nur möglich, sondern sehr wahrschein-lich, dass er uns im Auge behalten werde. Ich wenigstenshatte die Ahnung, ihn früher oder später wieder einmal zutreffen.

Die Dahabije lichtete den Anker, und wir setzten unsereunterbrochene Fahrt fort mit dem wohltuenden Bewusstsein,einer schlimmen Lage glücklich entronnen zu sein.

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7. Am ‚See Pharaos‘

„Und es erhob sich der Engel Gottes, der vor dem HeereIsraels herzog, und ging hinter dasselbe, und die Wolken-säule wich auch von hinten zwischen dem Heere der Ägyp-ter und dem Heere Israels. Sie war aber dorthin eine fin-stere Wolke, und hierhin erleuchtete sie die Nacht, sodassdiese und jene die ganze Nacht nicht zusammenkommenkonnten.

Als nun Moses seine Hand ausstreckte über das Meer,nahm es der Herr durch einen starken Ostwind hinwegwährend der Nacht und machte das Meer trocken, unddie Wasser teilten sich voneinander.

Und die Kinder Israels gingen hinein mitten in das Meerauf dem Trockenen, und das Wasser stand wie Mauernihnen zur Rechten und zur Linken.

Und die Ägypter folgten und gingen hinein, ihnen nach,alle Rosse des Pharao und Wagen und Reiter, mitten indas Meer.

Als nun die Morgenwache kam, blickte der Herr auf dasHeer der Ägypter aus der Feuersäule und aus der Wolke,und machte einen Schrecken in ihrem Heere.

Und stieß die Räder von ihren Streitwagen und stürztesie um mit Ungestüm. Da sprachen die Ägypter: Lassetuns fliehen vor Israel; der Herr streitet für sie wider dieÄgypter!

Aber der Herr sprach zu Moses: Strecke deine Hand ausüber das Meer, damit das Wasser wieder herfalle über dieÄgypter, über ihre Wagen und über ihre Reiter.

Da streckte Moses seine Hand aus über das Meer, unddas Meer kam wieder vor morgens in seinen Strom unddie Ägypter flohen ihm entgegen. Also stürzte sie der Herrmitten in das Meer.

Dass das Wasser wiederkam und bedeckte Wagen undReiter und alle Macht des Pharao, die ihnen nachgezogenwar in das Meer, sodass kein einziger von ihnen übrig blieb.

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Die Kinder Israels aber gingen trocken durch das Meer,und das Wasser stand ihnen gleich Mauern zur Rechtenund zur Linken.

Also half der Herr Israel an diesem Tag von der Handder Ägypter, und sie erblickten die Ägypter tot an denUfern des Meeres.

Und die Hand des Herrn war mächtig, die er den Ägyp-tern gezeigt hatte, und das Volk Israels fürchtete den Herrnund glaubte an ihn und an seinen Knecht Moses.“

An diese Stelle im zweiten Buch Moses (Kap. 14, V. 19-31) musste ich denken, als ich im „Tale Hiroth, gegen BaalZephon“, mein Kamel anhielt, um das Auge über die glit-zernden Fluten des Roten Meeres schweifen zu lassen. Eskam auch über mich etwas von jener Furcht, die sein An-blick in den Herzen der Kinder Israels erweckt hatte. Ichfühlte nicht ein Grauen vor jenem Element, das leider nochimmer ‚keine Balken‘ hat, sondern es überfiel mich jeneheilige, andächtige Scheu, die jeder Gläubige fühlt, sobalder einen Ort betritt, von dem ihm die biblische Geschich-te erzählt, dass hier der Fuß des Ewigen gerastet und hierdie Hand des Unendlichen gewaltet habe. Es war mir, alshörte ich jene Stimme, die einst dem Sohne des Amramund der Jochebeth zugerufen hatte: „Mose, Mose, tritt nichtherzu, sondern ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, dar-auf du stehst, ist heiliges Land!“

Hinter mir also lag das Land des Osiris und der Isis, dasLand der Pyramiden und der Sphinxe, das Land, in demdas Volk Gottes das Joch der Knechtschaft getragen unddie Felsen des Mokattam zum Bau jener Wunderwerkezusammengeschleppt hatte, die noch heute das Staunendes Nilreisenden erregen. Im Schilf des altehrwürdigenStromes dort hatte die Königstochter das Knäblein gefun-den, das berufen war, ein Volk von Sklaven zu befreienund ihm in den zehn göttlichen Geboten ein Gesetz zugeben, das noch nach Jahrtausenden die Grundlage allerGesetze bildet.

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Vor mir, da zu meinen Füßen, funkelten die Fluten desArabischen Golfs im glühenden Strahl der Sonne. DieseFluten hatten einst, der Stimme Jehova Sabaoths gehor-chend, zwei Mauern gebildet, zwischen denen die Ge-knechteten des Landes Gosen den Weg zur Freiheit gefun-den hatten, während das riesige Volk ihrer Unterdrückerund Verfolger einen schauervollen Untergang fand. Daswaren dieselben Fluten, in denen später auch der ‚Sultanel Kebir‘, Napoleon Bonaparte, beinahe umgekommenwäre.

Und gegenüber dem Birket Faraun, dem ‚See des Pha-rao‘, wie die Araber den Ort nennen, an dem die beidenWassermauern über die Ägypter zusammenschlugen, er-hebt sich der Felsenstock des Sinai, des berühmtesten Ber-ges der Erde, gewaltig und den Zeiten trotzend, gleich demunter Donner und Blitz über ihm erschollenen: „Ich binder Herr, dein Gott; du sollst keine fremden Götter nebenmir haben!“

Es war nicht die Örtlichkeit allein, es war mehr ihreGeschichte, deren Eindruck ich nicht von mir zu weisenvermochte, wenn ich es auch gewollt hätte. Wie oft hatteich lauschend und mit stockendem Atem auf dem Schoßmeiner alten, guten, frommen Großmutter gesessen, wennsie mir erzählte von der Erschaffung der Welt, dem Sün-denfall, dem Brudermord, der Sündflut, von Sodom undGomorrha, von der Gesetzgebung auf dem Sinai – sie hat-te mir die kleinen Hände gefaltet, damit ich ihr mit dernötigen Andacht das zehnfache „Du sollst“ nachsprechenmöge. Jetzt lag die irdische Hülle der Guten schon längstunter der Erde und ich hielt gegenüber dem Ort, der mirvon ihr in so lebendigen Farben gezeichnet worden war,obgleich nur ihr geistiges Auge ihn gesehen hatte.

Der Glaube trägt eine festere Überzeugung in sich, alsdas stolzeste Gebäude menschlicher Logik sie zu gebenvermag. Das war es, was ich in jener Stunde so recht leb-haft fühlte und erkannte, und ich hätte wohl noch lange,

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in ernstes Sinnen versunken, hier auf meinem Kamel hal-ten und hinüberblicken können, wenn mich nicht dieStimme meines wackeren Halef gestört hätte:

„Hamdulillah – Preis sei Gott, dass die Wüste vorüberist! Sihdi, hier ist Wasser. Steig herab und labe dich imBad, so wie ich es jetzt tun werde.“

Da trat einer der beiden Beduinen, die uns geführt hat-ten, zu mir heran und hob warnend die Hand.

„Tu es nicht, Effendi!“„Warum?“„Weil hier Melek el môt, der Engel des Todes, wohnt.

Wer hier in das Wasser geht, der wird entweder ertrinkenoder den Keim des Sterbens mit sich fortnehmen. JederTropfen dieser See ist eine Träne der hunderttausend See-len, die hier umgekommen sind, weil sie Musa1 und dieSeinigen töten wollten. Hier eilt jedes Boot und jedes Schiffvorüber, ohne anzuhalten, denn Allah hat diesen Ort ver-flucht.“

„Ist es wirklich so, dass hier kein Schiff anhält?“„Ja.“„Ich wollte hier ein Fahrzeug erwarten, das mich auf-

nehmen sollte.“„Es soll dich nach Sues bringen? Wir werden dich füh-

ren und du sollst auf unsern Kamelen schneller hinkom-men als auf einem Schiff.“

„Ich will nicht nach Sues, sondern nach Tur.“„Dann musst du allerdings fahren, aber hier wird dich

kein Fahrzeug aufnehmen. Erlaube, dass wir dich noch eineStrecke nach Süden begleiten, bis wir einen Ort erreichen,an dem keine Geister wohnen und wo ein jedes Schiff gernanhalten wird, um dich aufzunehmen.“

„Wie lange haben wir da noch zu reiten?“„Nicht ganz dreimal die Zeit, die von den Franken eine

Stunde genannt wird.“„Dann vorwärts!“

1 Moses

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Um an das Rote Meer zu gelangen, hatte ich nicht dengewöhnlichen Weg von Kairo nach Sues eingeschlagen. Diezwischen den beiden Städten liegende Wüste verdient denNamen Wüste schon längst nicht mehr. Früher war siegefürchtet, sowohl wegen ihres vollständigen Wasserman-gels als auch wegen der räuberischen Beduinen, die aufder öden Strecke ihr Unwesen trieben. Jetzt ist das andersgeworden und dies war der Grund, dass ich mich weitersüdwärts gehalten hatte. Ein Ritt durch die Einöde hattefür mich mehr Wert als eine Reise auf gebahnten Wegen.Deshalb wollte ich jetzt auch Sues vermeiden, das mir dochnur das bieten konnte, was ich bereits gesehen und ken-nen gelernt hatte.

Während unseres Rittes tauchten die beiden kahlenHöhen des Dschekem und des Da-ad vor uns auf, und alsrechts von uns der hohe Gipfel des Dschebel Gharib sicht-bar wurde, hatten wir das Grab Pharaos hinter uns. DasRote Meer bildete zu unserer Linken eine Bucht, in derein Fahrzeug vor Anker lag.

Es war eine jener Barken, die man auf dem Roten Meermit dem Namen Sambûk bezeichnet. Sie war ungefährachtzehn Meter lang und fünf Meter breit und hatte einesjener kleinen Hinterdecke, unter denen gewöhnlich einVerschlag angebracht ist, der den Kapitän oder die vor-nehmen Passagiere beherbergt. So ein Sambûk hat außerden Riemen – denn er wird auch gerudert – zwei dreiecki-ge Segel, von denen das eine so weit vor dem andern steht,dass es, vom Wind geschwellt, ganz über das Vorderteildes Schiffes ragt und dort eine Art halbkreisförmigen Bal-lon bildet, wie man sie auf antiken Münzen und auf altenFresken zu sehen pflegt. Man kann getrost annehmen, dassdie Fahrzeuge dieses Seestrichs in Beziehung auf Bauart,Führung und Takelung ganz noch die gleichen sind, wiesie im grauen Altertum hier gesehen wurden, und dass dieheutigen Seeleute noch dieselben Buchten und Ankerplätzebesuchen, die bereits belebt waren zur Zeit, als Dionysos

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seinen berühmten Zug nach Indien unternahm. Die Küs-tenschiffe des Roten Meeres sind gewöhnlich aus jenemindischen Holz gebaut, das die Araber Sadsch nennen unddas sich mit der Zeit im Wasser dermaßen verhärtet, dasses unmöglich ist, einen Nagel einzuschlagen. Von einerFäulnis dieses Holzes ist niemals die Rede und so kommtes, dass man Sambûks zu sehen bekommt, die ein Altervon beinahe zweihundert Jahren besitzen.

Die Schifffahrt des Arabischen Busens ist sehr gefähr-lich; deshalb wird während der Nacht niemals gesegelt,sondern jedes Fahrzeug sucht sich beim Nahen des Abendseine sichere Ankerstelle.

Der vor uns liegende Sambûk hatte dasselbe getan. Erwar mittels des Ankers und eines Taus befestigt und lagohne Bemannung an der Küste. Die Schiffer hatten ihnverlassen und saßen oder lagen an einem kleinen Wasser,das sich in das Meer ergoss. Ein Mann, der etwas abseitsvon ihnen in gravitätischer Haltung auf einer Matte saß,musste der Kapitän oder Eigentümer des Fahrzeugs sein.Ich sah es ihm sofort an, dass er kein Araber, sondern einTürke war; der Sambûk zeigte die Farben des Großherrnund die Bemannung trug türkische Uniformen.

Keiner der Männer rührte sich von seinem Platz, als wiruns nahten. Ich ritt bis hart an den Anführer heran, hobdie Rechte zur Brust empor und grüßte ihn absichtlichnicht in türkischer, sondern in arabischer Sprache.

„Gott schütze dich! Bist du der Kapitän dieses Schiffes?“Er richtete die Augen mit stolzem Aufschlag zu mir em-

por, musterte mich eingehend und lange und antworteteendlich:

„Ich bin es.“„Wohin geht dein Sambûk?“„Überallhin.“„Was hast du geladen?“„Verschiedenes.“„Nimmst du auch Passagiere auf?“

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„Das weiß ich nicht.“Das war mehr als einsilbig, das war grob. Daher schüt-

telte ich den Kopf und meinte in mitleidigem Ton:„Du bist ein Unglücklicher, den der Korân dem Mitleid

der Gläubigen empfiehlt. Ich bedaure dich!“Er sah mich mit einem halb zornigen, halb überrasch-

ten Blick an.„Du bedauerst mich? Du nennst mich einen Unglückli-

chen? Warum?“„Allah hat deinem Mund die Gabe der Sprache verlie-

hen, aber deine Seele ist stumm. Wende dich nach derKiblah1 und bitte Gott, dass er ihr die Sprache wiederge-be, sonst wird sie einst unfähig sein, in das Paradies zukommen!“

Er lächelte verächtlich und legte die Hand an den Gür-tel, in dem zwei riesige Pistolen steckten.

„Schweigen ist besser als schwatzen. Du bist ein Schwät-zer, der Gümrüktschü-Baschy Murad Ibrahim aber ziehtes vor, zu schweigen.“

„Gümrüktschü-Baschy? Oberzolleinnehmer? Du bist eingroßer und jedenfalls auch ein berühmter Mann, aber duwirst mir trotzdem Antwort geben, wenn ich dich frage.“

„Du willst mir drohen? Ich sehe, dass ich recht gedachthabe: Du bist ein Arab Dschehejne.“

Die Araber vom Stamme Dschehejne sind am RotenMeer als Schmuggler und Räuber bekannt. Der Zollein-nehmer hielt mich für einen solchen, das war der Grundseines abstoßenden Benehmens gegen mich.

„Fürchtest du dich vor den Beni Dschehejne?“, fragteich ihn.

„Fürchten? Murad Ibrahim hat sich noch niemals ge-fürchtet!“

So stolz sein Auge bei diesen Worten leuchtete, lag dochin seinem Gesicht etwas, was mich an seinem Mut zwei-feln ließ.

1 Richtung nach Mekka, beim Gebet vorgeschrieben

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„Und wenn ich nun ein Dschehejne wäre?“„Ich würde dich nicht fürchten.“„Natürlich. Du hast zwölf Tayfa1 bei dir und acht Die-

ner, während bei mir nur drei Männer sind. Aber ich binkein Dschehejne; ich gehöre gar nicht zu den Beni Arab,sondern ich komme aus dem Abendland.“

„Aus dem Abendland? Du trägst die Kleidung eines Be-duinen und redest die Sprache der Araber!“

„Ist dies verboten?“„Nein. Bist du ein Franßis oder ein Ingilis?“„Ich gehöre zu den Nemsi.“„Ein Nemsi“, meinte er mit geringschätziger Miene. „So

bist du ein Bostandschy2 oder ein Tüdschdschar3?“„Keins davon. Ich bin ein Müellif.“„Ein Schreiber? Oh wehe, und ich habe dich für einen

tapferen Beduinen gehalten! Was ist ein Schreiber? EinSchreiber ist kein Mann; ein Schreiber ist ein Mensch, derFedern isst und Tinte trinkt; ein Schreiber hat kein Blut,kein Herz, keinen Mut, kein...“

„Halt!“, unterbrach ihn da mein Halef. „Murad Ibrahim,siehst du, was ich hier in meiner Hand halte?“

Er war abgestiegen und stellte sich mit der Nilpferd-peitsche vor den Türken. Dieser zog die Brauen finsterzusammen, antwortete aber doch:

„Die Peitsche.“„Schön: Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul

Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Dieser Effendiist Kara Ben Nemsi, der sich vor keinem Menschen fürch-tet. Wir haben die Sahara und ganz Ägypten durchwan-dert und haben große Heldentaten verrichtet; man wirdvon uns erzählen in allen Kaffeehäusern und auf allenKirchhöfen der Welt, und wenn du es wagst, noch ein einzi-ges Wort zu sagen, das meinem Effendi nicht gefällt, so wirstdu diese Peitsche kosten, obgleich du ein Gümrüktschü-Baschy bist und viele Männer hier bei dir hast!“

1 Matrosen 2 Gärtner 3 Kaufmann

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Diese Drohung hatte eine außerordentlich rasche Wir-kung. Die beiden Beduinen, die bis hierher meine Beglei-ter gewesen waren, wurden vom Schreck über die Kühn-heit Halefs um einige Schritte zurückgeworfen; die Ma-trosen und übrigen Begleiter des Türken sprangen auf undgriffen zu den Waffen und der Zollbeamte selbst hatte sichmit gleicher Schnelligkeit erhoben. Er griff nach seinerPistole, aber Halef hielt ihm schon die Mündung seinereigenen Waffe auf die Brust.

„Ergreift ihn!“, gebot der Beamte, während er selbst je-doch seine Pistole vorsichtig sinken ließ.

Die guten Leute behielten zwar ihre drohenden Gesich-ter bei, aber keiner wagte es, Hand an Halef zu legen.

„Weißt du, was es heißt, einem Gümrüktschü-Baschymit der Peitsche zu drohen?“, fragte der Türke.

„Ich weiß es“, antwortete Halef. „Es heißt, sie ihn auchwirklich kosten lassen, wenn er es wagt, in der Weise zusprechen, wie er gesprochen hat. Du bist ein Türke, einSklave des Großherrn, ich aber bin ein freier Araber!“

Ich ließ mein Kamel niederknien, stieg ab und zog mei-nen Pass hervor.

„Murad Ibrahim, du siehst, dass wir uns noch wenigervor euch fürchten, als ihr euch vor uns; du hast einen sehrgroßen Fehler begangen, denn du hast einen Effendi be-leidigt, der im Schatten des Großherrn steht!“

„Im Schatten des Großherren, den Allah segnen möge?Wen meinst du?“

„Mich.“„Dich? Du bist ein Nemsi, also ein Giaur...“„Du schimpfst!“, unterbrach ich ihn.„Du bist ein Ungläubiger und von den Giaurs steht im

Korân: ‚O ihr Gläubigen, schließt keine Freundschaft mitsolchen, die nicht zu eurer Religion gehören. Sie lassennicht ab, euch zu verführen, und wünschen nur euer Ver-derben!‘ Wie kann also ein Ungläubiger im Schutz desGroßherrn stehen, der der Schirm der Gläubigen ist?“

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„Ich kenne die Worte, die du sagst; sie stehen in der drit-ten Sure des Korân, in der Sura Amran; aber öffne deineAugen und beuge dich in Demut nieder vor dem Bujrultudes Padyschah. Hier ist es.“

Er nahm das Pergament, drückte es an Stirn, Augen undBrust, verbeugte sich bis zur Erde und las es. Dann gab ermir es zurück.

Wie kam ich zu dem Bujrultu? Der Leser wird sich erin-nern, dass ich weder in Tunesien noch in Ägypten einensolchen Ausweis besaß. Aber in Kairo war es mir gelun-gen, einem einflussreichen Beamten einen kleinen Dienst zuerweisen. Er wollte sich mir erkenntlich zeigen und bat mich,einen Wunsch auszusprechen, dessen Erfüllung in seinerMacht läge. Und da ich bisher auf meiner Reise genug Gele-genheit gehabt hatte, die Wirkung eines Bujrultu zu beobach-ten, sprach ich eine diesbezügliche Bitte aus. Bereits am nächs-ten Tag besaß ich den wertvollen Pass.

„Warum hast du mir nicht gleich gesagt, dass du ein Schütz-ling des Sultans bist? Ich hätte dich nicht Giaur genannt,obgleich du ein Ungläubiger bist. Sei mir willkommen,Effendi!“

„Du heißt mich willkommen und schändest in einemAtemzug meinen Glauben?“, fragte ich tadelnd. „WirChristen kennen die Gesetze der Höflichkeit und der Gast-freundschaft besser als ihr; wir nennen euch nicht Giaurs,denn unser Gott ist es, den ihr Allah nennt.“

„Das ist nicht wahr. Wir haben nur Allah; ihr aber habtdrei Götter, einen Vater, einen Sohn und einen Geist.“

„Wir haben doch nur einen Gott, denn Vater, Sohn undGeist sind eins. Ihr sagt: ‚La ilâha ill’ Allah – es gibt kei-nen Gott außer Gott.‘ Und unser Gott sagt: ‚Ich bin einstarker, einiger Gott!‘ Euer Korân sagt in der zweiten Sure:‚Er ist der Lebendige, der Ewige; ihn ergreift nicht Schlaf,nicht Schlummer; sein ist, was im Himmel und auf Erdenist.‘ Unsere heilige Bibel sagt: ‚Gott ist von Ewigkeit zuEwigkeit; es ist alles offen und entdeckt vor seinen Augen;

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er hat die Erde gegründet, und die Himmel sind seinerHände Werk.‘ Ist das nicht ganz dasselbe?“

„Ja, euer Kitâb1 ist gut, aber euer Glaube ist falsch.“„Du irrst. Euer Korân sagt: ‚Die Gerechtigkeit besteht

nicht darin, dass ihr euer Gesicht nach Osten oder Wes-ten richtet (beim Gebet), sondern der ist gerecht, der anGott glaubt, an den Jüngsten Tag, an die Engel, an dieSchrift und die Propheten und mit Liebe von seinem Ver-mögen gibt den Anverwandten, den Waisen, Armen undPilgern, ja jedem, der ihn darum bittet, der Gefangeneerlöset, sein Gebet verrichtet, an seinen Verträgen festhält,geduldig Not und Unglück erträgt. Der ist gerecht, der istwahrhaft gottesfürchtig.‘ Unser heiliges Buch gebietet uns:‚Du sollst Gott lieben über alles und deinen Nächsten wiedich selbst.‘ Gebietet uns unser Glaube nicht ganz dassel-be, was euch der eurige befiehlt?“

„Ihr habt dies erst aus dem Korân in euer Kitâb abgeschrie-ben.“

„Wie ist dies möglich, da unser Kitâb über fünfhundertJahre älter ist als euer Korân?“

„Du bist ein Effendi und ein Effendi muss immer Gründeund Beweise finden, selbst wenn er Unrecht hat. – Woherkommst du?“

„Aus dem Land Myssyr2, dort im Westen.“„Und wo willst du hin?“„Nach Tur hinüber.“„Und dann?“„Nach dem Manastyr3 auf dem Dschebel Sinai.“„So musst du über das Wasser.“„Ja. Wohin fährst du?“„Auch nach Tur.“„Willst du mich mitnehmen?“„Wenn du gut bezahlst und dafür sorgst, dass wir uns

an dir nicht verunreinigen.“„Habe keine Sorge! Wie viel verlangst du?“

1 Buch 2 Türkisch für Ägypten 3 Kloster

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„Für alle vier und die Kamele?“„Nur für mich und meinen Diener Hadschi Halef. Die-

se beiden Männer werden mit ihren Kamelen wieder um-kehren.“

„Womit willst du bezahlen? Mit Geld oder mit etwasanderem?“

„Mit Geld.“„Willst du Speise von uns nehmen?“„Nein; ihr gebt uns nur das Wasser.“„So bezahlst du für dich zehn und für diesen Hadschi

Halef acht Masri.“Ich lachte dem braven Mann offen ins Gesicht. Es war echt

türkisch, für die kurze Fahrt und einige Schluck Wasser acht-zehn Masri, also beinahe vierundzwanzig Taler zu verlangen.

„Du fährst einen Tag bis ungefähr zur Bucht von Nayaset,wo dein Schiff zur Nacht vor Anker geht?“, fragte ich.

„Ja.“„Dann sind wir des Mittags in Tur?“„Ja. Warum fragst du?“„Weil ich dir für diese kurze Fahrt nicht achtzehn Masri

geben werde.“„So wirst du hier zurückbleiben und mit einem andern

fahren müssen, der noch mehr verlangen wird.“„Ich werde weder zurückbleiben noch mit einem andern

fahren. Ich fahre mit dir.“„So gibst du die Summe, die ich verlangt habe.“„Höre, was ich dir sage! Diese beiden Männer haben

mir ihre Tiere geliehen und mich zu Fuß begleitet von ElKahira für vier Mariatheresientaler; bei der Hadsch wirdjeder Pilger für einen Mariatheresientaler über das Meergesetzt; ich werde dir für mich und meinen Diener dreiTaler geben, das ist genug.“

„So bleibst du hier. Mein Sambûk ist kein Frachtschiff,er gehört dem Großherrn. Ich habe die Sakât1 einzusam-meln und darf keinen Passagier an Bord nehmen.“

1 Eine Steuer, deren Ertrag nur zu Almosen bestimmt war

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„Aber wenn er achtzehn Masri bezahlt, dann darfst du!Gerade weil dein Sambûk dem Großherrn gehört, wirstdu mich aufnehmen müssen. Blicke noch einmal hier indas Bujrultu! Hier stehen die Worte ‚...her new’ imdaddabulunmak-emnijetine dikkat etmek-bedelßis olßa bile –alle Hilfe leisten ... für Sicherheit bedacht sein ... selbstohne Bezahlung.‘ Hast du das verstanden? Einen Privat-mann müsste ich bezahlen, einen Beamten brauche ichnicht zu bezahlen. Ich gebe dir freiwillig diese drei Taler; bistdu nicht einverstanden, so wirst du mich umsonst mitneh-men müssen.“

Er sah sich in die Enge getrieben und begann, seine For-derung zu mäßigen. Endlich nach langer Debatte hielt ermir die Hand entgegen:

„So mag es sein. Du stehst im Schatten des Padyschahund ich will dich für drei Taler mitnehmen. Gib sie her!“

„Ich werde dich bezahlen, wenn ich in Tur das Schiffverlasse.“

„Effendi, sind die Naßâr1 alle so geizig wie du?“„Sie sind nicht geizig, aber vorsichtig. Erlaube, dass ich

mich an Bord begebe; ich werde nicht am Land, sondernauf dem Schiff schlafen.“

Ich bezahlte meine Führer, die, sobald sie außerdem nochein Bakschisch erhalten hatten, ihre Kamele bestiegen undtrotz der vorgerückten Tageszeit ihren Rückweg antraten.Dann stieg ich mit Halef an Bord. Ich befand mich nichtim Besitz eines Zeltes. Während des Ritts durch die Wüstehat man ebenso wie unter der Hitze des Tages auch unter derunverhältnismäßigen Kälte der Nächte zu leiden. Wer armist und kein Zelt hat, schmiegt sich bei der Nacht an seinKamel oder sein Pferd, um sich während der Ruhe an ihmzu wärmen. Ich hatte jetzt kein Tier mehr, und da dieNachtkühle hier am Wasser jedenfalls strenger war als imInnern des Landes, so zog ich es vor, hinter dem Verschlagauf dem Hinterteil des Sambûk Schutz zu suchen.

1 Christen, eigentlich ‚Nazarener‘

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„Sihdi“, fragte mich Halef, „habe ich es recht gemacht, dassich diesem Gümrüktschü-Baschy die Peitsche zeigte?“

„Ich will dich nicht tadeln.“„Aber warum sagst du jedem, dass du ein Ungläubiger

bist?“„Soll man sich fürchten, die Wahrheit zu sagen?“„Nein, aber du bist ja bereits auf dem Weg, ein Gläubi-

ger zu werden. Wir sind auf dem Wasser, das die Frankendas Rote Meer nennen; dort liegt Medina und weiter nachrechts Mekka, die Städte des Propheten. Ich werde allebeide besuchen; und du, was wirst du tun?“

Er sprach damit offen die Frage aus, die ich mir wäh-rend der letzten Tage bereits heimlich vorgelegt hatte. DemChristen, der sich nach Mekka oder Medina wagt, drohtder Tod; so steht es in den Büchern zu lesen. Ist es wirk-lich so schlimm? Muss man hingehen und sagen, dass manein Christ sei? Ist nicht vielleicht ein Unterschied zu ma-chen zwischen einer ruhigeren Zeit und jenen Tagen, andenen die großen Pilgerkarawanen eintreffen und der Fa-natismus seinen Siedepunkt erreicht? Ich hatte oft gele-sen, dass ein Ungläubiger keine Moschee betreten dürfe,und war dann später in verschiedenen Moscheen selbstgewesen; konnte es mit dem Betreten der heiligen Städtenicht ähnlich sein? Ich hatte überhaupt den Orient in vie-len Beziehungen ganz anders, und zwar nüchterner gefun-den, als man sich ihn gewöhnlich vorzustellen pflegt, undkonnte gar nicht recht glauben, dass ein kurzer, vielleichtnur stundenlanger Besuch in Mekka wirklich so furchtbargefährlich sei. Der Türke hatte mich für einen Beduinengehalten; es stand zu vermuten, dass auch andere dieselbeMeinung von mir hegen würden. Dennoch konnte ich zukeinem Entschluss kommen.

„Das weiß ich jetzt nicht“, antwortete ich dem kleinenHalef.

„Du wirst mit mir nach Mekka gehen, Sihdi, und vor-her in Dschidda den rechten Glauben annehmen.“

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„Nein, das werde ich nicht.“Ein Ruf am Land unterbrach die Unterhaltung. Der

Türke hatte seinen Leuten das Abendgebet befohlen.„Sihdi“, meinte Halef, „die Sonne steigt hinter die Erde

hinab; erlaube, dass ich bete!“Er ließ sich auf die Knie nieder und betete. Seine Stim-

me mischte sich mit dem Unisono der Türken. Noch wardas Gebet kaum verklungen, so ließ sich eine andere Stim-me vernehmen. Sie scholl hinter dem Felsenriff hervor,das die Aussicht nach der Nordseite des Meeres verschloss.

„An Allah haben wir volle Genüge, und herrlich ist er,der Beschützer. Es gibt keine Macht und keine Gewalt, au-ßer bei Gott, dem Hohen, dem Großen. O unser Herr, iaAllah, o gern Verzeihender, o Allgütiger, ia Allah, Allahu!“

Diese Worte wurden mit einer tiefen Bassstimme into-niert, jedoch dem Namen Allah gab der Betende allemaleinen Ton, der eine Quinte höher lag. Ich kannte dieseWorte und diese Töne, so pflegen die heulenden Derwischezu beten. Die Türken hatten sich erhoben und sahen nachder Richtung, aus der die Stimme kam. Jetzt erschien einkleines, kaum sechs Fuß langes und vier Fuß breites Floß,auf dem ein Mann kniete, der ein Paddelruder führte unddazu im Takt sein Gebet abrief. Er trug um den roten Tar-busch einen weißen Turban und weiß war auch seine gan-ze übrige Kleidung. Dies war ein Zeichen, dass er zumOrden der Kadiris gehöre, der meist aus Fischern und Schif-fern besteht und von Abd el Kadir el Dschilâni gestiftetwurde. Als er den Sambûk erblickte, stutzte er einen Au-genblick, dann aber rief er:

„La ilâha ill’Allah!“„Ill’ Allah!” antworteten die andern im Chor.Er hielt auf das Fahrzeug zu, legte sein Floß an und stieg

an Bord. Wir, nämlich Halef und ich, befanden uns nichtallein dort; der Dümendschi1 war uns gefolgt und an die-sen wandte sich der Derwisch:

1 Steuermann

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„Gott schütze dich!“„Mich und dich!“, lautete die Antwort.„Wie befindest du dich?“„So wohl wie du.“„Wem gehört dieser Sambûk?“„Seiner Herrlichkeit dem Großherrn, der ein Liebling

Allahs ist.“„Und wer führt ihn?“„Unser Effendi, der Gümrüktschü-Baschy Murad Ibrahim.“„Und was habt ihr geladen?“„Wir haben keine Fracht, wir fahren von Ort zu Ort,

um die Sakât einzunehmen.“„Haben die Gläubigen reichlich gegeben?“„Es ist keiner zurückgeblieben, denn wer Almosen gibt,

dem vergilt es Allah doppelt.“„Wohin fahrt ihr von hier?“„Nach Tur.“„Das werdet ihr morgen nicht erreichen.“„Wir werden am Ras Nayaset anlegen. Wohin willst du?“„Nach Dschidda.“„Auf diesem Floß?“„Ja. Ich habe ein Gelübde getan, nur auf meinen Knien

nach Mekka zu fahren.“„Aber bedenke die Bänke, die Riffe, die Untiefen, die

bösen Winde, die es hier gibt, und die Haifische, die deinFloß umschwärmen werden!“

„Allah ist der allein Starke, er wird mich schützen. Wersind diese beiden Männer?“

„Ein Gi... ein Nemsi mit seinem Diener.“„Ein Ungläubiger? Wohin will er?“„Nach Tur.“„Erlaube, dass ich meine Datteln hier verzehre, dann

werde ich weiterfahren.“„Gefällt es dir nicht, die Nacht bei uns zu bleiben?“„Ich muss weiter.“„Das ist sehr gefährlich.“

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„Der Gläubige hat nichts zu fürchten, sein Leben undsein Ende sind im Buch verzeichnet.“

Er setzte sich nieder und zog eine Hand voll Dattelnhervor.

Ich hatte den Eingang zu dem Verschlag verriegelt ge-funden und mich über das Geländer gelehnt. Da die bei-den Sprechenden eine ziemliche Strecke von mir entferntwaren und ich sehr angelegentlich in das Wasser zu bli-cken schien, mochten sie denken, dass ich ihre Unterhal-tung nicht verstünde. Der Derwisch fragte:

„Ein Nemsi ist dieser? Ist er reich?“„Nein.“„Woher weißt du dies?“„Er gibt nur den sechsten Teil dessen, was wir für die

Fahrt verlangen. Aber er besitzt ein Bujrultu des Großher-ren.“

„So ist er sicher ein sehr vornehmer Mann. Hat er vielGepäck bei sich?“

„Gar keins, aber viele Waffen.“„Ich habe noch keinen Nemsi gesehen, aber ich habe

gehört, dass die Nemsi sehr friedliche Leute sind. Er wirddie Waffen nur tragen, um damit zu prunken. Doch jetztbin ich fertig mit meinem Mahl; ich werde weiterfahren.Sag deinem Herrn Dank, dass er einem Armen erlaubthat, sein Schiff zu betreten!“

Einige Augenblicke später kniete er wieder auf seinemFloß. Er ergriff das Ruder, führte es im Takt und sang dazusein „ia Allah, Allahu!“

Dieser Mensch hatte einen eigentümlichen Eindruck aufmich gemacht. Warum hatte er das Schiff bestiegen undnicht am Ufer angelegt? Warum hatte er gefragt, ob ichreich sei, und während der ganzen Unterhaltung das Deckmit einem Blick gemustert, dessen Schärfe er nicht voll-ständig verbergen konnte? Ich hatte äußerlich nicht denmindesten Grund zu irgendeiner Befürchtung und den-noch kam mir dieser Mann verdächtig vor.

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Ich hätte schwören mögen, dass er kein Derwisch sei.Als er für das bloße Auge unverfolgbar war, richtete ich

mein Fernrohr nach ihm. Obgleich in jenen Gegenden dieDämmerung sehr kurz ist, war es doch noch hell genug,ihn durch die Gläser zu erkennen. Er kniete nicht mehr,wie sein angebliches Gelübde ihm doch vorgeschriebenhätte, sondern er hatte sich bequem niedergesetzt, das Floßhalb gewendet und – er ruderte der jenseitigen Küste zu.Hier war jedenfalls etwas ‚faul im Staate Dänemark‘.

Halef stand neben mir und beobachtete mich. Er schiensich damit zu beschäftigen, meine Gedanken zu erraten.

„Siehst du ihn noch, Sihdi?“, fragte er mich.„Ja.“„Er denkt, dass wir ihn nicht mehr sehen können und

rudert dem Land zu?“„So ist es. Woraus vermutest du dies?“„Nur Allah ist allwissend, aber auch Halef hat scharfe

Augen.“„Und was haben diese Augen gesehen?“„Dass dieser Mann kein Fakir war.“„Ah?“„Ja, Sihdi. Oder hast du jemals gesehen und gehört, dass

ein Fakir vom Orden der Kadiris die Litanei der Rufâije1

redet und singt?“„Das ist richtig. Aber weshalb sollte er sich für einen

Fakir ausgeben, wenn er keiner ist?“„Das muss man zu erraten suchen, Effendi. Er sagte,

dass er auch während der Nacht fahren werde. Warum tuter es nicht?“

Da unterbrach der Steuermann unser Gespräch. Er tratherzu und fragte:

„Wo wirst du schlafen, Effendi?“„Ich werde mich in den Verschlag legen.“„Das geht nicht.“„Warum?“

1 Der ‚Heulenden‘ – heulende Derwische

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„Weil dort das Geld aufbewahrt wird.“„So wirst du uns Teppiche besorgen, um uns hinein zu

hüllen, und wir schlafen hier auf dem Verdeck.“„Du sollst sie haben, Effendi. Was würdest du tun, wenn

Feinde zum Schiff kämen?“„Welche Feinde meinst du?“„Räuber.“„Gibt es hier Räuber?“„Die Dschehejne wohnen hier in der Nähe. Sie sind

berüchtigt als die größten Hyrßyslar1 weit und breit undkein Schiff, kein Mensch ist vor ihnen sicher.“

„Ich denke, Euer Herr, der Gümrüktschü-Baschy MuradIbrahim, ist ein Held, ein tapferer Mann, der sich vor kei-nem Menschen fürchtet, auch vor keinem Räuber, vorkeinem Dschehejne?“

„Das ist er; aber was vermag er und was vermögen wiralle gegen Abu Sejf, den ‚Vater des Säbels‘, der gefährli-cher und schrecklicher ist als der Löwe in den Bergen oderder Haifisch im Meer?“

„Abu Sejf? Ich kenne ihn nicht, ich habe noch niemalsvon ihm gehört.“

„Weil du ein Fremdling bist. Zur Weidezeit bringen dieDschehejne ihre Herden nach den beiden Inseln Libua undHassani und lassen nur wenige Männer bei ihnen. Dieandern aber gehen auf Raub und Diebstahl aus. Sie über-fallen die Barken und nehmen entweder alles, was sie da-rauf finden, oder erpressen sich ein schweres Lösegeld. AbuSejf ist ihr Anführer.“

„Und was tut die Regierung dagegen?“„Welche?“„Gebietet hier nicht der Padyschah?“„Seine Macht reicht nicht bis zu den Dschehejne. Dies

sind freie Araber, die der Großscherif von Mekka be-schützt.“

„So helft euch selbst! Fangt die Räuber!“

1 Spitzbuben

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„Effendi, du sprichst, wie ein Franke redet, der dies nichtversteht. Wer kann Abu Sejf fangen und töten?“

„Er ist doch nur ein Mensch.“„Aber er besitzt die Hilfe des Schejtan. Er kann sich un-

sichtbar machen, er kann die Luft und das Meer durch-fliegen, er wird weder durch einen Säbel noch durch einMesser noch durch eine Kugel verwundet, aber sein Säbelist sihirli1; er dringt durch Türen und Mauern und schnei-det mit einem Hieb gleich hundert und noch mehr Fein-den Leib und Seele auseinander.“

„Den möchte ich sehen!“„Oh weh, wünsche das nicht, Effendi! Der Teufel sagt es

ihm, dass du ihn sehen willst, und dann kannst du dich da-rauf verlassen, dass er kommen wird! Ich gehe, um dir dieTeppiche zu holen, dann lege dich schlafen und bete vorherzu deinem Gott, dass er dich bewahre vor allen Gefahren, diedir drohen.“

„Ich danke für deinen Rat, ich bete stets vor dem Schla-fengehen.“

Er brachte uns die Decken, in die wir uns hüllten, und wirschliefen sehr bald ein, da wir von unserem Ritt ermüdetwaren.

Während der Nacht hatten einige Matrosen sowohl amLand die Schlafenden als auch an Bord das Geld bewacht.Am Morgen versammelten sich alle auf dem Schiff. DerAnker wurde gehoben, das Seil gelöst, man stellte die Se-gel und der Sambûk steuerte südwärts. Wir waren unge-fähr drei Viertelstunden lang unter Segel gewesen, als wirein Boot erblickten, das in gleicher Richtung vor uns ru-derte. Als wir näher herankamen, sahen wir zwei Männerund zwei völlig verschleierte Frauen darin.

Das Boot hielt bald an und die Männer gaben ein Zei-chen, dass sie den Sambûk anzureden wünschten. Der Steu-ermann ließ das Segel abfallen und hemmte so den Lauf un-seres Fahrzeugs. Einer der beiden Ruderer erhob sich und rief:

1 Verhext, bezaubert

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„Sambûk, wohin?“„Nach Tur.“„Wir auch. Wollt ihr uns mitnehmen?“„Bezahlt ihr?“„Gern.“„So kommt an Bord.“Das Schiff legte bei und die vier Personen stiegen an

Bord, während das Boot ins Schlepptau genommen wur-de. Dann setzte der Sambûk seine Fahrt fort.

Der Gümrüktschü-Baschy begab sich in die Kajüte, je-denfalls um für die Frauen Platz zu machen; dann wurdendiese den Blicken der Männer entzogen. Sie mussten anmir vorüber. Als Europäer brauchte ich mich nicht abzu-wenden und so bemerkte ich zu meiner Verwunderung,dass keine Atmosphäre von Parfüm sie umgab; denn dieFrauen des Morgenlandes pflegen sich so stark zu parfü-mieren, dass man den Geruch bereits aus einer beträchtli-chen Entfernung verspürt. Ein Duft allerdings fiel mir auf,ein Duft, der sich wie ein unsichtbarer Schweif hinter ih-nen herzog, nämlich jener jedem Orientalen bekannte Ge-ruch, der halb vom Kamel und halb von dem unfermentiertenRasr-Tabak stammt, den viele Beduinen zu rauchen pfle-gen und der auf die Geruchs- und Geschmacksnerven ganzdieselbe Wirkung hat wie weiland der Inhalt der französi-schen Seegrasmatratzen, den aus Mangel an Besserem wäh-rend des letzten Krieges so mancher deutsche Soldat inseine Pfeife stopfte. Ich empfand ganz den Eindruck, alsseien zwei Kameltreiber an mir vorübergegangen; wenigs-tens war es gewiss, dass der berühmte persische DichterHafis auf diese beiden Grazien nicht seine Verse:

„Wenn deiner Locken Wohlgerücheums Grab mir wehn,

dann sprießen tausend Blumenaus meinem Hügel auf...“

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gesungen hätte. Ich sah ihnen auch sehr aufmerksam nach,bis sie hinter der Tür des Verschlages verschwunden wa-ren, konnte aber weiter nichts Besonderes bemerken. Viel-leicht hatten sie eine lange Kamelreise hinter sich, sodassdie Ausdünstungen des ‚Wüstenschiffs‘ nicht so leicht ausihren Kleidern zu bringen waren.

Ihre beiden Begleiter sprachen erst längere Zeit mit demSteuermann und dem Steuereinnehmer, dann suchte dereine sich an mich zu machen.

„Ich höre, dass du ein Franke bist, Effendi?“, fragte ermich.

„Ja.“„So bist du hier unbekannt?“„Ja.“„Du bist ein Nemsi?“„Ja.“„Haben die Nemsi auch einen Padyschah?“„Ja.“„Und Paschas?“„Ja.“„Du bist wohl kein Pascha?“„Nein.“„Aber ein berühmter Mann?“„Sehr!“„Du kannst schreiben?“„Aufs Schönste.“„Auch schießen?“„Noch besser!“„Du wirst wohl mit diesem Sambûk nach Tur fahren?“„Ja.“„Du gehst noch weiter nach Süden?“„Ja.“„Bist du mit den Ingilisler bekannt?“„Ja.“„Hast du Freunde unter ihnen?“„Ja.“

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„Das ist sehr gut. Bist du stark?“„Fürchterlich – wie ein Löwe! Soll ich es dir beweisen?“„Nein, Effendi.“„Vielleicht muss ich es doch tun, denn deine Neugierde

ist größer, als die Geduld eines Menschen sein kann. Packdich und komm nicht wieder!“

Ich fasste ihn, drehte ihn in die passende Richtung undgab ihm einen Stoß, dass er weit über das Deck hin schossund dieses dann mit seinem Bauch begrüßte. Aber im Nuwar er wieder auf.

„Wehe dir, du hast einen Gläubigen beleidigt, du musststerben!“

Er riss seinen Hantscher heraus und stürzte auf michzu. Sein Begleiter folgte ihm mit gezückter Waffe. Schnellzog ich Halef die harte Nilpferdpeitsche aus dem Gürtel,um damit die Angreifer zu empfangen; aber es sollte garnicht so weit kommen, denn in diesem Augenblick öffne-te sich die Tür des Verschlags, und es erschien eine derFrauen. Sie erhob stumm die Hand und zog sich dannzurück. Die beiden Araber hemmten ihre Schritte und gin-gen lautlos beiseite; aber ihre Blicke sagten mir, dass ichvon ihnen nichts Gutes zu erwarten hatte.

Die Türken hatten dem Vorgang mit großem Gleich-mut zugesehen. Wäre auf dem Schiff jemand getötet wor-den, so hätte es sein Kismet nicht anders gewollt. Was michbetrifft, so hatten mich die unnützen Fragen dieses Men-schen in Harnisch gebracht. Aber waren sie wirklich sounnütz? Hatten sie nicht vielleicht einen verborgenenZweck? Der Orientale ist kein Schwätzer, am allerwenigs-ten aber verliert er seine Worte an einen Unbekannten,von dem er sogar weiß, dass er ein Giaur ist.

Ich hatte mich im Humor des Ärgers für einen berühmtenMann und für einen großen Schützen ausgegeben. Wa-rum wollte er wissen, ob ich ein ‚Pascha‘, ein berühmterMann, ein Schreiber, ein guter Schütze sei? Was konnte esihm nützen, zu wissen, ob ich weiter nach Süden wollte

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und unter den Engländern Freunde hätte? Warum hatteer bei der Bejahung dieser letzten Frage gesagt: „Das istsehr gut“, und zu was konnte es ihm dienen, zu erfahren,ob ich stark und kräftig war? Und überdies hatte er seineFragen in der Weise an mich gerichtet, wie sie ein Obereran seinen Untergebenen, ein Untersuchungsbeamter aneinen Angeschuldigten richtet. Am auffälligsten dabei waraber der augenblickliche Gehorsam, den sowohl er als auchsein Begleiter dem Wink des Weibes leisteten. Das war hier,wo die Frau tief unter dem Mann steht und für das öffentli-che Leben nicht die mindeste Selbstbestimmung besitzt,gewiss sehr ungewöhnlich, vielleicht sogar verdächtig.

„Sihdi“, meinte Halef, der nicht von meiner Seite gewi-chen war, „hast du ihn gesehen?“

„Wen oder was?“„Den Bart.“„Den Bart! Welchen Bart?“„Den das Weib hatte...“„Das Weib? Hatte das Weib einen Bart?“„Sie hatte einen Jaschmak1 nicht doppelt wie vorher, son-

dern einfach über dem Gesicht und so habe ich den Bart ge-sehen.“

„Schnurrbart?“„Vollbart. Sie ist kein Weib, sondern ein Mann. Soll ich

es dem Türken sagen?“„Ja, aber so, dass es niemand hört.“Er ging. Jedenfalls hatte er sich nicht geirrt; denn ich

wusste, dass ich seinen scharfen Augen trauen konnte, undunwillkürlich brachte ich diesen neuen Umstand mit demDerwisch in Verbindung. Ich sah Halef mit dem Steuerein-nehmer reden; dieser schüttelte den Kopf und lachte, er glaub-te es nicht. Darauf wandte sich Halef mit einer höchst aufge-brachten Miene von ihm ab und kehrte zu mir zurück.

„Sihdi, dieser Mensch ist so dumm, dass er sogar michfür dumm hält.“

1 Schleier

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„Wieso?“„Und dich für noch dümmer als mich.“„Ah!“„Er sagt, dass ein Weib niemals einen Bart habe und

dass ein Mann niemals die Kleidung eines Weibes anlegenwerde. Sihdi, was hältst du von diesen Frauen, die Voll-bärte tragen? Vielleicht sind es Dschehejne?“

„Ich vermute es.“„So müssen wir die Augen offen halten, Sihdi!“„Das ist das Einzige, was wir tun werden, und dazu ge-

hört vor allen Dingen, dass wir unser Misstrauen und un-sere Aufmerksamkeit zu verbergen suchen. Halte dich ab-seits von mir, aber so, dass wir einander stets beispringenkönnen.“

Er entfernte sich eine ziemliche Strecke und ich ließ michauf dem Teppich nieder. Dann beschäftigte ich mich mitEinträgen in mein Tagebuch, behielt aber dabei sowohlden Verschlag als auch die beiden Araber immer im Auge.Es war mir, als hätte ich alle Augenblicke ein unangeneh-mes Ereignis zu erwarten; dennoch aber verging der Tag,ohne dass irgendetwas Bedenkliches eingetreten wäre.

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8. Der Vater des Säbels

Der Abend dämmerte bereits, als wir in einer kleinenBucht vor Anker gingen, die durch eine hufeisenförmigeKrümmung des Dschebel Nayaset gebildet wird, der zurgroßen Granitkette des Sinai gehört.

Die Küste war sehr schmal, denn nur wenige Schrittevom Ufer entfernt stiegen die tiefzerklüfteten Felsen steilzum Himmel empor. Der Ankerplatz bot aus diesem Grundvollständige Sicherheit gegen die Winde, ob aber heuteauch gegen andere Störungen? Ich hätte gern einige dernächsten Klüfte und Felsenspalten untersucht, leider aberwar der Abend bereits da, ehe die Türken das Land betre-ten hatten, um, wie gewöhnlich, Feuer anzuzünden.

El Mogreb und eine Stunde später el Aschia, die beidenAbendgebete, hallten feierlich die steilen Bergwände empor.Wer hier vielleicht verborgen war, musste unsere Anwe-senheit hören, selbst wenn er unser Feuer nicht gesehenhätte. Wie gestern, so hatte ich es auch heute vorgezogen,die Nacht auf dem Fahrzeug zuzubringen, und mit Halefausgemacht, dass wir abwechselnd wachen wollten. Spä-ter kamen einige der Matrosen wieder an Bord, um dieWache zu übernehmen, und da traten auch die beidenFrauen aus dem Verschlag, um an Deck die frische Abend-luft zu genießen. Sie hatten sich auch jetzt doppelt ver-schleiert; das konnte ich bemerken, weil die Sterne desSüdens einen solchen Glanz verbreiten. Sie kehrten aberbald wieder zu ihrem Verschlag zurück, dessen Tür ich mitmeinen Augen beobachten konnte, obgleich ich diesmalim Vorderteil des Fahrzeugs lag.

Halef schlief ungefähr fünf Schritte von mir entfernt.Als Mitternacht herankam, wecke ich ihn heimlich undflüsterte:

„Hast du geschlafen?“„Ja, Sihdi. Jetzt schlafe du!“„Ich kann mich auf dich verlassen?“

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„Wie auf dich selbst!“„Wecke mich bei der geringsten Ursache zum Verdacht.“„Das werde ich tun, Sihdi!“Ich hüllte mich fester in den Teppich und schloss die

Augen. Ich wollte schlafen, aber es gelang mir nicht. Ichsagte in Gedanken das Einmaleins auf – es half nicht. Dagriff ich zu dem Mittel, das stets sicher den Schlaf bringt.Ich verdrehte die geschlossenen Augen so, dass die Pupil-len ganz nach oben zu stehen kamen, und bemühte mich,an gar nichts zu denken. Der Schlummer kam und – halt,was war das?

Ich wickelte den Kopf aus der Decke und spähte zu Halefhinüber. Auch er musste aufmerksam geworden sein, denner hatte sich, wie horchend, halb emporgerichtet. Ich hör-te jetzt nichts mehr, aber als ich das Ohr wieder auf dasDeck legte, das einen besseren Schallleiter als die Luft bil-dete, vernahm ich das seltsame Geräusch wieder, das michgeweckt hatte, obwohl es überaus leise war.

„Hörst du etwas, Halef?“, flüsterte ich.„Ja, Sihdi. Was ist es?“„Ich weiß es nicht.“„Ich auch nicht. Horch!“Ein leises, ganz leises Plätschern ertönt jetzt vom Hin-

terteil her. Draußen am Land war das Feuer erloschen.„Halef, ich gehe jetzt auf einige Minuten nach dem

Hinterdeck; bewache meine Waffen und Kleider.“Von den drei Türken, die wieder an Bord gekommen

waren, lagen zwei schlafend am Boden, der dritte hattesich niedergekauert und – schlief jedenfalls auch. Es wardenkbar, dass ich von der Kajüte aus beobachtet wurde,daher musste ich die möglichste Vorsicht anwenden. Ichließ die Büchse und den Stutzen liegen und legte sowohlden Turban als auch den Hajk 1 ab, die mich durch ihreweiße Farbe verraten hätten. Dann schmiegte ich mich hartan den Boden, gewann den Rand des Decks und kroch

1 Beduinischer Mantel

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langsam daran hin, bis ich die Stelle erreichte, wo am äu-ßersten Backbord eine Art Hühnersteige auf die Decke desVerschlags und zum Steuerruder führte. Ich stieg hinauf,katzenartig leise, darauf kam es ja an.

Nun kroch ich bis an das Steuer. Ah – das sonderbareGeräusch war erklärt. Das Boot, das die beiden Frauengebracht und das der Sambûk ins Schlepptau genommenhatte, war vom Innern des Verschlags aus so scharf an-geholt worden, dass es gerade unter dem einen Fenster lag,das sich am breiten Hinterteil des Fahrzeugs befand. Durchdiese Fensterluke wurde soeben, als ich vorsichtig von obenherablugte, ein kleiner, aber nicht leichter Gegenstand aneinem Seil herabgelassen, dessen Reibung an dem Luken-rand jenen Ton hervorbrachte, den man allerdings nurdann wahrnehmen konnte, wenn man das Ohr hart aufdie Bretter des Verdecks legte. Unten im Boot befandensich drei Männer, die den Gegenstand in Empfang nah-men und dann warteten, bis das Seil wieder emporgezogenund ein zweites Paket herabgelassen wurde.

Die Sache war mir natürlich sofort klar. Was in demBoot verstaut wurde, war das Geld des Gümrüktschü-Baschy, das heißt der Ertrag der Steuer, die er eingesam-melt hatte, und – ich hatte keine Zeit, weiter zu vermu-ten.

„Aufgeschaut, wir sind verraten!“, rief eine tiefe Stimmevom hohen Ufer her, wo man das Verdeck überblickenkonnte; zu gleicher Zeit krachte ein Schuss und eine Ku-gel bohrte sich hart neben mir in die Planke. Ein zweiterSchuss blitzte drüben auf, ein dritter; die Kugeln flogenglücklicherweise an mir vorüber und ich durfte mich ih-nen nicht länger aussetzen. Ich sah nur noch, dass das Tauunten gekappt und das Boot fortgerudert wurde, dannsprang ich vom Verschlag gleich auf das Deck hinab.

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür der Kajüteund ich bemerkte zweierlei, nämlich dass an ihrer hinte-ren Seite zwei Bretter entfernt und dass durch diese Lücke

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eine Anzahl Männer unbemerkt vom Wasser aus einge-stiegen waren. Die Frauen sah ich nicht, aber neun Män-ner stürzten sofort auf mich los.

„Halef, herbei!“, rief ich laut.Ich hatte gar keine Zeit, eine Waffe zu ziehen. Drei hat-

ten mich um den Leib gefasst und sorgten dafür, dass ichnicht in den Gürtel langen konnte. Drei sprangen Halefentgegen, und die andern gaben sich Mühe, die Fäuste zuerhaschen, mit denen ich mich verteidigte. Draußen amLand krachten Schüsse und ertönten Flüche und Hilferu-fe, und dazwischen hörte man die Kommandos jener tie-fen Bassstimme, die ich vorhin wieder erkannt hatte – eswar die Stimme des Derwischs.

„Es ist der Nemsi. Tötet ihn nicht, sondern fangt ihn!“,gebot einer von denen, die mich umfasst hielten.

Ich suchte mich loszureißen: Es ging nicht. Sechs gegeneinen! Da krachte ein Pistolenschuss nicht weit von mir.

„Zu Hilfe, Sihdi, ich bin verwundet!“, rief Halef.Ich machte einen gewaltigen Ruck und riss meine Dränger

einige Schritte mit mir fort.„Betäubt ihn!“, erscholl eine keuchende Stimme.Ich wurde wieder fester gepackt und erhielt trotz mei-

ner verzweifelten Gegenwehr einige Schläge über den Kopf,die mich niederstreckten. Es toste mir in den Ohren wieeine wilde Brandung. Mitten durch den Donner hörte ichGewehre knallen und Stimmen schallen; dann war es mir,als würde ich an Händen und Füßen zusammengeschnürtund fortgeschleift, und endlich empfand ich gar nichtsmehr.

Als ich erwachte, fühlte ich einen wüsten, pochendenSchmerz im Hinterkopf und es dauerte eine geraume Zeit,bis es mir gelang, mich auf das Vorgefallene zu besinnen.Um mich her war es völlig dunkel, aber ein laut vernehmlicherSog ließ mich vermuten, dass ich mich im Kielraum einesFahrzeugs befand, das in schneller Fahrt begriffen war. DieHände und die Beine waren mir so fest gebunden, dass

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ich kein Glied rühren konnte. Zwar schnitten mir die Fes-seln nicht ins Fleisch, denn sie bestanden nicht aus Strickenoder Riemen, sondern aus Tüchern; aber sie hinderten mich,die Schiffsratten von mir abzuwehren, die meiner Personeine sehr unangenehme Aufmerksamkeit erwiesen.

Es verging eine lange, lange Zeit, ohne dass sich an mei-ner Lage etwas änderte. Endlich hörte ich das Geräuschvon Schritten, konnte aber nichts sehen. Meine Fesselnwurden gelöst und eine Stimme gebot mir:

„Steh auf und geh mit uns!“Ich erhob mich. Sie führten mich aus dem Kielraum

durch ein halbdunkles Zwischendeck nach oben. Unter-wegs untersuchte ich meine Kleider und fand ebenso zumeiner Überraschung wie Beruhigung, dass man mir au-ßer den Waffen nicht das Mindeste abgenommen hatte.

Als ich das Verdeck betrat, bemerkte ich, dass ich michauf einer kleinen, sehr scharf auf den Kiel gebauten Barkebefand, die zwei dreieckige und ein trapezförmiges Segelhatte. Diese Takelung erforderte auf diesem an Stürmen,Böen, Riffen und Untiefen reichen Meer einen Kapitän,der seine Sache aus dem Grund verstand und ebenso vielMut wie Kaltblütigkeit besitzen musste. Das Fahrzeug warum das Dreifache stärker bemannt, als notwendig gewe-sen wäre, und hatte auf dem Vorderdeck eine Kanone, dieaber so von Kisten, Ballen und Fässern maskiert war, dasssie von einem andern Schiff aus gar nicht bemerkt werdenkonnte. Die Mannschaft bestand aus lauter wettergebräuntenMännern, von denen jeder seinen Gürtel mit Schuss-, Hieb-und Stichwaffen gespickt hatte. Auf dem Hinterdeck saßein Mann in roten Hosen, grünem Turban und blauemKaftan. Seine lange Weste war reich mit Gold gestickt undin dem Bassora1-Schal, der ihm als Gürtel diente, funkel-ten kostbare Waffen. Ich erkannte in ihm sofort den Der-wisch. Neben ihm stand der Araber, den ich auf demSambûk zu Boden geschleudert hatte. Ich wurde vor die

1 Alte Form für Basra

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beiden geführt. Der Araber musterte mich mit rachgieri-gem, der Derwisch mit verächtlichem Blick.

„Weißt du, wer ich bin?“, fragte mich der Derwisch.„Nein, aber ich vermute es.“„Nun, wer bin ich?“„Du bist Abu Sejf.“„Ich bin es. Knie nieder vor mir, Giaur!“„Was fällt dir ein! Steht nicht im Korân geschrieben,

dass man nur Allah allein anbeten soll?“„Das gilt nicht für dich, denn du bist ein Ungläubiger.

Ich befehle dir niederzuknien, um deine Demut zu bezeu-gen.“

„Noch weiß ich nicht, ob du Ehrfurcht verdienst, undselbst wenn ich es erfahren hätte, würde ich dir meineAchtung auf eine andere Weise bezeigen.“

„Giaur, du kniest oder ich schlage dir den Kopf ab!“Er hatte sich erhoben und fasste seinen krummen Säbel.

Ich trat noch einen Schritt näher an ihn heran.„Meinen Kopf? Bist du wirklich Abu Sejf oder bist du

ein Henker?“„Ich bin Abu Sejf und halte mein Wort. Nieder mit dir

oder ich lege dir den Kopf vor die Füße!“„Wahre deinen eigenen Kopf!“„Giaur!“„Feigling!“„Was?“, zischte er. „Einen Feigling nennst du mich!“„Warum greifst du den Sambûk des Nachts an? Warum

hülltest du deine Dschaßuslar1 in Weiberkleider? Warumzeigst du hier Mut, wo du von den Deinen umgeben undbeschützt wirst? Ständest du allein mir gegenüber, so wür-dest du anders mit mir reden!“

„Ich bin Abu Sejf, der Vater des Säbels und zehn Män-ner deiner Sorte vermöchten nichts gegen meine Klinge!“

„Aferîm – bravo! So muss man reden, wenn man sich zuhandeln fürchtet.“

1 Spione

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„Zu handeln? Sind diese zehn zur Stelle? Wäre dies derFall, so wollte ich dir im Augenblick beweisen, dass ichdie Wahrheit gesagt habe!“

„Die zehn sind nicht nötig, es genügt einer.“„Wolltest du vielleicht dieser eine sein?“„Pah, du würdest es nicht erlauben!“„Warum nicht?“„Weil du dich fürchtest. Du tötest mit dem Mund, nicht

aber mit dem Säbel.“Ich hatte einen verstärkten Ausfall seines Zorns auf die-

se Worte erwartet, sah mich aber getäuscht. Er verbargseinen Grimm hinter einer kalten, tödlichen Ruhe, nahmseinem Nachbar den Säbel vom Gürtel und reichte ihnmir.

„Hier nimm und verteidige dich! Aber ich sage dir, selbstwenn du die Fertigkeit Aframs und die Stärke Kelads hät-test, wärst du beim dritten Hieb eine Leiche.“

Ich nahm den Säbel.Es war eine eigentümliche Situation, in der ich mich

befand. Der ‚Vater des Säbels‘ musste nach orientalischenBegriffen ein ausgezeichneter Fechter sein, aber ich wusste,dass der Orientale durchschnittlich ein ebenso schlechterFechter wie schlechter Schütze ist. Mit der Fertigkeit Aframsund der Stärke Kelads war es wohl nicht gar so weit her.

Ich hatte noch mit keinem Orientalen nach den Regelnder Fechtkunst die Klinge gekreuzt, und wenn mir auchder dargereichte, an der ‚halben und ganzen Schwere‘, alsoan der ‚Parierung‘ dünne, und an der ‚halben und ganzenSchwäche‘ starke und schwere Säbel ziemlich ungewohntwar, so hatte ich dennoch große Lust, dem ‚Vater des Sä-bels‘ die Überlegenheit der europäischen Waffentechnikzu beweisen.

Die ganze Bemannung des Schiffs war näher getretenund in allen Mienen spiegelte sich die Überzeugung, dassich wirklich beim dritten Hieb des Abu Sejf ein toter Mannsein würde.

182

Er drang so schnell, wild und regellos auf mich ein, dassich keinen Augenblick Zeit hatte, Position zu nehmen. Ichparierte seine unreine Winkelquart und versuchte mir so-fort eine Blöße zu verschaffen; zu meinem Erstaunen aberging er bei meinem Zirkelhieb ganz prachtvoll unter mei-ner Klinge durch. Er traversierte und gab eine Finte, siegelang ihm nicht. Nun traversierte ich ebenso und schlugEspadon; mein Hieb kam zum Sitzen, obgleich es meineAbsicht nicht war, ihn zu verletzen. Voll Wut darüber ver-gaß er sich, trat zurück und gab im Sprung abermalsWinkelquart; ich trat einen halben Schritt vor, setzte mitharter Festigkeit in die Linie ein und – die Waffe flog ihmaus der Hand und über Bord ins Wasser.

Ein Schrei erscholl ringsumher. Ich aber trat zurück undsenkte die Waffe.

Er stand vor mir und starrte mich an.„Abu Sejf, du bist ein sehr geschickter Fechter!“Diese meine Worte brachten ihn wieder zu sich, aber

ich sah gegen meine Erwartung nicht das Zeichen desGrimms, sondern nur die Überraschung in seinem Angesicht.

„Mensch, du bist ein Ungläubiger und hast doch AbuSejf besiegt!“, rief er aus.

„Du hast es mir leicht gemacht, denn dein Fechten ist nichtedel und überlegt. Mein zweiter Hieb kostete dich Blut undmein dritter nahm dir die Waffe; ja, ich bin gar nicht zumdritten Hieb gekommen, während dein dritter mich tötensollte. Hier hast du den Säbel, ich bin in deiner Hand.“

Diese – freilich gewagte – Appellation an seinen Edel-mut hatte guten Erfolg.

„Ja, du bist in meiner Gewalt, du bist mein Gefangener;aber du hast dein Schicksal in deiner eigenen Hand.“

„Inwiefern?“„Wenn du tust, was ich von dir verlange, so wirst du

bald wieder frei sein.“„Was soll ich tun?“„Du wirst mit mir fechten?“

183

„Ja.“„Und es mich so lehren, wie es bei den Nemsi gelehrt wird?“„Ja.“„Du wirst dich, solange du auf meinem Schiff bist, von

keinem fremden Auge sehen lassen?“„Gut!“„Und das Deck auf meinen Befehl sofort verlassen, wenn

ein anderes Fahrzeug in Sicht kommt?“„Ja.“„Du wirst mit deinem Diener kein Wort sprechen.“„Wo ist er?“„Hier auf dem Schiff.“„Gebunden?“„Nein, er ist krank.“„Er hat eine Wunde?“„Er ist am Arm verwundet und hat ein Bein gebrochen,

dass er sich nicht erheben kann.“„So kann ich dir das verlangte Versprechen nicht geben.

Mein Diener ist mein Freund, den ich pflegen muss; duwirst mir dies erlauben!“

„Ich erlaube es nicht, aber ich verspreche dir, dass er gutverpflegt wird.“

„Das genügt mir nicht. Wenn er das Bein gebrochen hat,so muss ich es ihm einrichten. Es ist wohl hier keiner, derdas versteht.“

„Ich selbst verstehe es. Ich bin so gut wie ein Dscherrah1,ich habe ihm seine Wunde verbunden und auch sein Beingeschient. Er hat keine Schmerzen mehr und ist mit mirzufrieden.“

„Ich muss dies aus seinem Mund erfahren.“„Ich beteure es dir bei Allah und dem Propheten! Willst

du mir nicht versprechen, nicht mit ihm zu reden, so wer-de ich dafür sorgen, dass du ihn nicht zu sehen bekommst.Aber ich habe noch mehr von dir zu verlangen.“

„Fordere!“

1 Wundarzt

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„Du bist ein Christ und wirst dich hüten, einen der Mei-nen zu verunreinigen?“

„Gut.“„Du hast Freunde unter den Ingilisler?“„Ja.“„Sind es große Leute?“„Es sind Paschas unter ihnen.“„So werden sie dich auslösen?“Das war ja etwas ganz Neues! Also er wollte mich nicht

töten, sondern sich meine Freiheit bezahlen lassen.„Wie viel verlangst du?“„Du hast nur wenig Gold und Silber bei dir, du kannst

dich nicht selbst loskaufen.“Also er hatte meine Taschen doch untersucht! Was ich

in den Ärmeln meiner türkischen Jacke eingenäht hatte,war von ihm nicht gefunden worden. Es wäre allerdingszum Lösegeld auch zu wenig gewesen.

Daher antwortete ich:„Ich habe nichts, ich bin nicht reich.“„Ich glaube es, obgleich deine Waffen ausgezeichnet sind

und du Instrumente bei dir führst, die ich gar nicht ken-ne. Aber du bist vornehm.“

„Ah!“„Und berühmt.“„Ah!“„Du hast es diesem Mann hier auf dem Sambûk gesagt.“„Ich habe Spaß gemacht.“„Nein, du hast im Ernst gesprochen. Wer so stark ist

und den Säbel so zu führen weiß wie du, der kann nichtsanderes sein als ein großer Sabit1, für den sein Padyschahgern ein gutes Lösegeld geben wird.“

„Mein König wird meine Freiheit nicht mit Geld bezah-len, er wird sie umsonst von dir fordern.“

„Ich kenne keinen König der Nemsi; wie also will er mitmir reden und mich zwingen, dich freizulassen?“

1 Offizier

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„Er wird es durch seinen Sefir1 tun.“„Auch diesen kenne ich nicht. Es gibt keinen Sefir der

Nemsi hier in dieser Gegend.“„Der Gesandte ist in Stambul beim Großherrn. Ich habe

ein Bujrultu und bin also einer, der in dem Schatten desSultans steht.“

Er lachte.„Hier gilt der Padyschah nichts, hier hat nur der Großscherif

von Mekka zu gebieten und ich bin mächtiger als diesebeiden. Ich werde weder mit deinem König noch mit sei-nem Gesandten über dich verhandeln.“

„Mit wem sonst?“„Mit den Ingilisler.“„Warum mit diesen?“„Weil sie dich auswechseln sollen.“„Gegen wen?“„Gegen meinen Bruder, der sich in ihrer Hand befin-

det. Er hat mit seiner Barke eins ihrer Schiffe angegriffenund ist von ihnen gefangen genommen worden. Sie habenihn nach Eden2 geschafft und wollten ihn töten, nun aberwerden sie ihn für dich freilassen müssen.“

„Vielleicht irrst du dich. Ich gehöre nicht zu den Ingilisler.Sie werden mich wohl in deinen Händen lassen und dei-nen Bruder töten.“

„So stirbst du auch. Du kannst schreiben und wirst ei-nen Brief an sie anfertigen, den ich ihnen übergeben las-se. Machst du den Brief gut, so werden sie dich auswech-seln; machst du ihn aber schlecht, so hast du dich selbstgetötet. Also überlege dir den Brief recht sehr, du hast nochviele Tage Zeit.“

„Wie viele?“„Wir haben ein böses Meer vor uns, aber ich werde, so

weit es angeht, auch des Nachts fahren. Wenn uns derWind günstig bleibt, sind wir in vier Tagen in Dschidda.Von da bis in die Gegend von Sana, wo ich mein Schiff

1 Gesandter 2 Aden an der Straße Bad el Mandeb

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verbergen werde, haben wir beinahe ebenso weit. Du hastalso eine volle Woche Zeit, über dein Schreiben nachzu-denken, denn erst von Sana aus werde ich den Boten ab-gehen lassen.“

„Ich werde den Brief schreiben.“„Und du versprichst mir, keinen Fluchtversuch zu un-

ternehmen?“„Das kann ich dir nicht versprechen.“Er sah mir einige Zeit lang ernst in das Gesicht.„Allah akbar – Gott ist groß, und ich habe es nicht ge-

glaubt, dass unter den Christen auch ehrliche Leute sind.Also du willst mir entfliehen?“

„Ich werde jede Gelegenheit dazu benutzen.“„So werden wir auch nicht fechten; du könntest mich

erschlagen und in das Wasser springen, um dich durchSchwimmen zu retten. Kannst du schwimmen?“

„Ja.“„Bedenke, dass hier im Wasser viele Haifische sind, die

dich fressen würden.“„Ich weiß es.“„Ich werde dich streng bewachen lassen. Der Mann hier

neben mir wird stets an deiner Seite sein. Du hast ihn be-leidigt; er wird dich nicht aus den Augen lassen, bis duentweder frei oder gestorben bist.“

„Was wird in diesen beiden Fällen mit meinem Dienerwerden?“

„Ihm wird nichts geschehen. Zwar hat er eine großeSünde begangen, da er der Diener eines Ungläubigen ist;aber er ist weder ein Türke noch ein Giaur, er wird seineFreiheit mit dir oder nach deinem Tod erhalten. Jetztkannst du auf dem Deck bleiben; sobald es dir dein Wäch-ter aber gebietet, gehst du hinab, wo du in deine Kammereingeschlossen wirst.“

Er wandte sich hierauf von mir ab und ich war entlassen.Ich schritt zunächst nach dem Vorderdeck und ging dann

längs der Reling spazieren; als ich ermüdet war, legte ich

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mich auf eine Decke nieder. Stets blieb der Araber in mei-ner Nähe, sodass er sich immer in einer Entfernung vonfünf bis sechs Schritten von mir befand.

Das war ebenso überflüssig wie für mich unangenehm.Kein Mensch weiter schien sich um mich zu kümmern,kein Mensch sprach ein Wort zu mir. Man reichte mirschweigend mein Wasser, mein Kuskusu und einige Dat-teln. Sobald ein Fahrzeug uns ansegelte, musste ich hinun-ter in meine Kammer, an deren Tür sich mein Wächter solang postierte, bis ich wieder oben erscheinen durfte, undam Abend wurde die Tür verriegelt und mit allerlei Ge-rümpel verbarrikadiert.

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9. Mein treuer Halef

Unter diesen Umständen vergingen drei Tage. Ich emp-fand mehr Sorge um den kranken Halef als um mich selbst;aber alle meine Bemühungen, zu ihm zu kommen, wärenvergeblich gewesen. Natürlich befand er sich ebenso un-ter Deck wie ich selbst und jeder Versuch, hinter demRücken meines Wächters dem braven Diener ein Zeichenzu geben, hätte uns beiden nur schaden müssen.

Wir waren ungefähr, da wir eine sehr schnelle und glück-liche Fahrt gemacht hatten, in der Gegend zwischenDschebel Ejub und Dschebel Kelaya angekommen, vonwo an die Küste bis Dschidda immer niedriger und fla-cher wird. Es war zur Zeit der Dämmerung. Im Nordenstand, eine Seltenheit, ein kleines, schleierartiges Wölk-chen am Himmel, das Abu Sejf sehr besorgt betrachtete.Die Nacht brach herein und ich musste unter Deck ge-hen. Da war es jetzt noch schwüler als gewöhnlich unddiese Schwüle steigerte sich von Viertelstunde zu Viertel-stunde. Ich war um Mitternacht noch nicht eingeschlafen.Da hörte ich von fern her ein dumpfes Brausen, Donnernund Rollen, das mit Sturmeseile näher kam und unserSchiff erfasste. Ich fühlte, dass es mit dem Vorderteil tiefin die Fluten tauchte, sich aber wieder erhob und dannmit verdoppelter Geschwindigkeit dahinschoss. Es ächzteund stöhnte in allen Fugen. Die Mastfüße krachten in ih-rer Verkeilung und auf Deck rannte die Bemannung unterängstlichen Rufen, Jammern und Beten hin und her.

Dazwischen hinein tönten die lauten, besonnenen Kom-mandorufe des Führers. Es war auch notwendig, dass erseine Kaltblütigkeit nicht aufgab. Nach meiner ungefäh-ren Berechnung näherten wir uns der Höhe von Rabigh,das von den Arabern Rabr genannt wird, und von da ansüdwärts gibt es eine Unzahl von Klippen und Korallen-bänken, die der Schifffahrt selbst bei Tage gefährlich sind.Dort liegt auch die Insel Ghauat und zwischen ihr und

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Ras Hatiba ragen zwei Korallenklippen empor, zwischendenen die Durchfahrt bei Sonnenlicht und ruhigem Wet-ter mit den größten Gefahren verbunden ist. Deshalb be-reiten sich die Schiffer, ehe sie dieser Stelle nahen, immerdurch Gebet vor. Der Ort wird Om-el-Hablejn genannt,‚Mutter der beiden Seile‘, ein Name, der auf die Art undWeise hindeutet, in der man sich früher vor der Gefahr zusichern suchte.

Auf diese Durchfahrt trieb uns der Orkan mit rasenderSchnelligkeit zu. Eine Landung vorher war unmöglich.

Ich hatte mich von meinem Lager erhoben. Aber wenndas Schiff auf eine Klippe rannte, war ich doch verloren,da meine Kammer verschlossen war. Da war es mir, alshörte ich mitten im Brausen der Elemente ein Geräuschvor meiner Tür. Ich trat näher und horchte. Ich hatte michnicht getäuscht. Man entfernte die Verrammelung und dieTür wurde geöffnet.

„Sihdi!“„Wer ist da?“„Hamdulillah, Preis sei Gott, der mich den richtigen Ort

gleich finden ließ! Kennst du nicht die Stimme deines treu-en Halef?“

„Halef! Unmöglich! Der kann es nicht sein, der kannnicht gehen.“

„Warum nicht?“„Weil er verwundet ist und ein Bein gebrochen hat.“„Ja, verwundet bin ich, Sihdi, von einer Kugel am Arm,

aber nur sehr leicht. Das Bein habe ich nicht gebrochen.“„So hat Abu Sejf mich belogen.“„Nein, sondern ich habe ihn getäuscht. Ich musste mich

verstellen, um meinem guten Sihdi helfen zu können. Nunhabe ich drei Tage mit den Schienen am Bein unten imRaum gelegen und des Nachts habe ich sie entfernt undbin auf Kundschaft ausgekrochen.“

„Wackerer Halef, das werde ich dir nicht vergessen!“„Ich habe auch Verschiedenes erfahren.“

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„Was?“„Abu Sejf wird eine Strecke vor Dschidda anlegen, um

nach Mekka zu pilgern. Er will dort beten, dass sein Bru-der wieder frei werde. Mehrere von seinen Männern ge-hen mit.“

„Vielleicht ist es uns da möglich, zu entkommen.“„Ich werde sehen. Das wird morgen sein. Deine Waffen

sind in seiner Kammer.“„Kommst du morgen Abend wieder, wenn wir in dieser

Nacht nicht umkommen?“„Ich komme, Sihdi.“„Aber die Gefahr, Halef!“„Heute ist es so finster, dass mich niemand sehen konn-

te, und nach uns zu schauen, haben sie keine Zeit, Sihdi.Morgen aber wird Allah helfen.“

„Hast du Schmerzen in deiner Wunde?“„Nein.“„Was ist mit dem Sambûk geschehen? Ich lag in Ohn-

macht und kann es also nicht wissen.“„Sie haben das ganze Geld genommen, das nun in der

Kajüte des Kapitäns liegt, und die Bemannung angebun-den. Nur uns zwei hat man mitgenommen, damit du denBruder Abu Sejfs befreien sollst.“

„Das weißt du?“„Ich habe Gespräche belauscht.“„Und die Barke in jener Nacht?“„Sie lag nicht weit von uns hinter den Klippen vor An-

ker und hatte auf uns gewartet. Gute Nacht, Sihdi!“„Gute Nacht!“Er ging hinaus, schob den Riegel vor und brachte auch

die Verbarrikadierung wieder an Ort und Stelle.Ich hatte während dieses Besuchs den Orkan ganz und

gar vergessen, der unerwartet ebenso schnell sich legte,wie er gekommen war; und wenn die See auch noch langehoch ging, wie ich aus den Bewegungen des Schiffes merk-te, so vermutete ich doch, dass nun heller Himmel gewor-

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den sei, der die Gefahr eines Schiffbruchs bedeutend ver-minderte. Ich schlief ruhig ein.

Als ich erwachte, lag das Schiff still; meine Tür war ge-öffnet, draußen aber stand mein Wächter.

„Willst du hinauf?“, fragte er mich.„Ja.“„Du kannst nur bis zum Mittagsgebet oben bleiben.“Ich kam an Deck und fand bereits alle Spuren des Sturms

verwischt. Das Schiff lag in einer sehr schmalen, tief indas Land einschneidenden Bucht vor Anker. Die Segelwaren abgenommen und die beweglichen Masten umge-legt worden, sodass das Fahrzeug weder vom Meer, nochvom Land aus, das wüst und unbewohnt schien, leichtgesehen werden konnte.

Bis gegen Mittag blieb ich an Deck, ohne etwas Unge-wöhnliches bemerken zu können. Dann aber ließ michAbu Sejf zu sich kommen. Er befand sich nicht an Deck,sondern in seiner Kajüte, in der ich alle meine Waffen ander Wand hängen sah. Auch die Patronenkapsel war daund außerdem sah ich mehrere große Ketschi kesseleri1

am Boden liegen, die jedenfalls Pulver enthielten. EinSsandyk2 stand offen, den Abu Sejf bei meinem Eintrittsofort verschloss; dennoch hatte ich Zeit genug gehabt zubemerken, dass er lauter Ketentschuwal3 enthielt, in de-nen sich wahrscheinlich die von dem Sambûk geraubtenGelder befanden.

„Nemsi, ich habe kurz mit dir zu reden“, sagte er.„Sprich.“„Verweigerst du mir noch immer das Versprechen, kei-

nen Fluchtversuch zu unternehmen?“„Ich bin kein Lügner und sage dir daher aufrichtig, dass

ich fliehen werde, sobald sich mir eine Gelegenheit dazubietet.“

„Du wirst keine solche Gelegenheit finden; aber duzwingst mich, strenger mit dir zu verfahren, als ich möch-

1 Aus Ziegenfell gefertigte Beutel; die Haarseite ist dabei nach außen gewendet.2 Ein schrankartiger Kasten 3 Leinwandsäckchen

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te. Ich werde zwei Tage lang nicht an Bord sein, du darfstwährend dieser Zeit deine Kammer nicht verlassen undwirst mit gebundenen Händen unten liegen.“

„Das ist hart.“„Ja, aber du trägst selbst die Schuld.“„Ich muss mich fügen.“„So kannst du gehen. Merke dir jedoch, dass ich Befehl

geben werde, dich sofort zu töten, wenn du den Versuchmachst, deine Fesseln wegzunehmen. Wärst du ein Recht-gläubiger, so würde ich dich bitten, mein Freund zu sein.Du bist ein Giaur, aber ich hasse und verachte dich nicht.Ich hätte deinem Versprechen Glauben geschenkt, du willstes aber nicht geben und so musst du nun die Folgen tra-gen. Geh jetzt nach unten!“

Ich wurde unter Deck geführt und dort eingeschlossen.Es war eine Pein, bei der da unten herrschenden Glut ge-fesselt liegen zu müssen; aber ich fügte mich, obwohl meinWächter seiner Rachsucht dadurch Genüge geschehen ließ,dass er mir weder zu essen noch zu trinken brachte. Ichhoffte auf Halef, und zwar mit einer Spannung, wie ichsie so groß noch selten empfunden hatte. Meine Lagewurde dadurch, dass ich mich im Dunkeln befand, natür-lich nicht gebessert. Ich hatte El Asr, El Mogreb und ElAschia beten hören; dann war eine lange, lange Zeit ver-gangen und es musste weit über Mitternacht sein, als ichendlich draußen vor meiner Tür ein leises Geräusch ver-nahm. Ich horchte angestrengt, vermochte aber nichtsmehr zu hören. Sprechen durfte ich auf keinen Fall. Viel-leicht war es auch nur eine Ratte gewesen.

Es blieb eine Weile ruhig, dann hörte ich Schritte na-hen, denen jenes leise Rauschen folgte, das entsteht, wennein Teppich oder eine Matte auf den Boden gebreitet wird.Was war das? Jedenfalls hatte mein Wächter sich vorge-nommen, vor meiner Tür die übrige Nacht zuzubringen.Nun war es aus mit meiner Hoffnung, denn wenn Halefnoch kam, so – aber was war das? Es gehörte die ganze

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Schärfe meines Gehörs dazu, um zu bemerken, dass derHolzriegel an meiner Tür langsam, langsam zurück-geschoben wurde. Einige Sekunden nachher hörte ich ei-nen harten Schlag – ein Geräusch, wie wenn jemand vomBoden empor wolle und doch nicht könne – ein kurzes,ersticktes Stöhnen und dann erklang es draußen halblaut:

„Sihdi, komm, ich habe ihn!“Es war Halef.„Wen?“, fragte ich.„Deinen Wächter.“„Ich kann dir nicht helfen, die Hände sind mir gebunden.“„Bist du an die Wand gebunden?“„Nein, hinaus zu dir kann ich.“„So komm, die Tür ist offen.“Als ich hinaustrat, fühlte ich, dass der Araber unter

krampfhaften Zuckungen am Boden lag. Halef kniete aufihm und hatte ihm mit den Händen den Hals zugeschnürt.

„Fühle in seinen Gürtel, ob er ein Messer hat, Sihdi!“„Hier ist eins, warte!“Ich zog mit meinen hart am Gelenk gebundenen Hän-

den das Messer hervor, nahm den Griff fest zwischen dieZähne und sägte mir die Fesseln entzwei.

„Geht es, Sihdi?“„Ja, jetzt habe ich die Hände frei. Gott sei Dank, dass er

noch nicht tot ist!“„Sihdi, er hätte es verdient.“„Und dennoch soll er leben! Wir binden ihn, geben ihm

einen Knebel und legen ihn in meine Kammer.“„So wird er durch die Nase stöhnen und uns verraten.“„Ich nehme sein Turbantuch auseinander und wickle es

ihm um das Gesicht. Lass jetzt ein wenig locker, sodass erAtem bekommt! – So – hier ist der Knebel – hier seinGürtel, um Hände und Füße zu binden – lass den Halslos und halte seine Beine – so, fertig. Nun hinein mit ihm!“

Ich atmete tief auf, als ich die Tür hinter dem Gefange-nen verriegelt hatte und nun mit Halef an der Treppe stand.

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„Was nun, Sihdi?“, fragte er mich.„Wie kam das alles?“„Oh, sehr einfach. Ich kroch aus dem Raum empor und

horchte. Sie bewachten mich nicht, weil sie denken, dassich mich nicht regen kann. Da hörte ich, dass der Vaterdes Säbels mit zwölf Männern zunächst nach Dschiddagegangen ist. Er hat viel Geld mitgenommen, um es demGroßscherif von Mekka zu bringen. Dann vernahm ich,dass der Araber, der dich bewacht, an deiner Tür schlafenwerde. Er hasst dich und er hätte dich längst getötet, wenner sich nicht vor Abu Sejf fürchten müsste. Wenn ich zudir wollte, so musste ich ihm zuvorkommen, und so binich über das Deck gekrochen, ohne dass ich bemerkt wur-de. Du hast mich das in der Wüste gelehrt. Und kaum warich da, so kam er auch.“

„Ah, das also warst du! Ich hatte es gehört.“„Als er sich gelegt hatte, habe ich ihn beim Hals genom-

men. Das Übrige weißt du, Sihdi.“„Ich danke dir, Halef! Wie sieht es oben aus?“„Sehr gut. Als ich über das Deck schlich, waren sie im

Begriff, ihren Haschisch anzubrennen. Ihr Gebieter ist fort,da dürfen sie es wagen.“

„So nimm die Waffen dieses Mannes zu dir, sie sind bes-ser als deine vorigen. Jetzt komm, ich gehe voran.“

Während wir nach oben schlichen, konnte ich mich nichtenthalten, darüber zu lächeln, dass Abu Sejf dem Großscherifein Geschenk bringen wollte, das doch ein Bruchteil dessenwar, was er ihm erst geraubt hatte. Als ich den Kopf ausder Luke steckte, verspürte ich jenen Duft, der in der Nähejeder Haschischkneipe zu vermerken ist. Die Männer la-gen auf dem Verdeck; es war nicht zu erkennen, ob sieschliefen oder nur in regungsloser Lage den Rausch desbetäubenden Gifts erwarten wollten. Glücklicherweise warder Weg nach der Kajüte frei. Wir krochen, ganz auf denBoden niedergeduckt, in dieser Richtung weiter und ge-langten glücklich an die Tür. Dank der orientalischen Sorg-

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losigkeit hatte sie kein Schloss; die Angeln konnten auchnicht knarren, weil sie einfach aus einem Stück Leder be-standen, das oben und unten an Tür und Pfosten auf-genagelt war.

Ich öffnete nur so weit, als nötig war, um hineinzu-kriechen, und als wir uns im Innern befanden, zog ich dieTür wieder zu.

Nun fühlte ich mich so sicher und frei, als ob ich michdaheim in meiner Stube befunden hätte. Hier hingen mei-ne Waffen und fünf Schritte davon war der Bord des Schif-fes, von dem ein Sprung genügte, um an Land zu kom-men. Uhr, Kompass und Geld hatte ich bei mir.

„Was soll ich mitnehmen?“, fragte Halef.„Eine von den Decken, die ich dort in der Ecke liegen

sah. Wir brauchen sie notwendig, ich nehme auch eine.“„Weiter nichts?“„Nein.“„Aber ich habe erlauscht, dass sich hier viel Geld befin-

det.“„Das liegt dort im Ssandyk; wir lassen es unberührt, denn

es gehört uns nicht.“„Was, Sihdi? Du willst diesen Räubern das Geld lassen,

das wir so notwendig brauchen?“„Willst du ein Dieb werden?“„Ich? Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn

Hadschi Dawuhd al Gossarah ein Dieb? Sihdi, das solltemir ein anderer sagen! Hast du mir nicht selbst befohlen,dem Mann, der unten in der Kammer liegt, die Waffenwegzunehmen? Hast du mir nicht befohlen, in diese De-cken zu greifen?“

„Das ist kein Diebstahl. Wir sind durch die Räuber umunsere Decken und um deine Waffen gekommen und ha-ben also das Recht, uns zu entschädigen. Unser Geld aberhaben wir noch.“

„Nein, Sihdi, das meinige haben sie genommen.“„Hattest du viel?“

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„Hattest du mir nicht alle zwei Wochen drei Mariathere-sientaler gegeben? Ich hatte sie alle noch, nun sind sie wegund ich werde mir nehmen, was mir gehört.“

Er trat an den Kasten. Sollte ich ihn hindern? In gewis-ser Beziehung hatte er Recht. Wir befanden uns in Um-ständen, unter denen wir unser Recht selbst zu wahrenhatten. Wo konnten wir Abu Sejf auf Rückgabe des ge-raubten Geldes verklagen? Ich musste zu sehr sparen, alsdass ich meinem Diener das Geraubte aus meiner Taschehätte ersetzen können, und überdies hätte ein weitererStreit mit Halef uns nur aufgehalten oder gar in Gefahrgebracht; ich begnügte mich also mit dem Einwand:

„Der Ssandyk wird verschlossen sein.“Er trat hinzu, untersuchte kurz und sagte dann:„Ja, es ist ein Schloss daran und der Schlüssel fehlt, aber

ich werde dennoch öffnen.“„Nein, das wirst du nicht! Wenn du das Schloss auf-

sprengst, so gibt es einen Krach, der uns verrät!“„Sihdi, du hast Recht. Ich werde mir meine Taler doch

nicht holen können. Komm, wir wollen gehen!“Bei dem Ton, in dem er diese Worte sprach, bedauerte

ich fast, dass er auf Ersatz verzichten musste. Ein andererAraber hätte es nicht getan, davon war ich überzeugt, unddas brachte mich zu dem Versprechen:

„Halef, du sollst die Theresientaler noch einmal von mirbekommen!“

„Ist das wahr, Sihdi?“„Ja.“„So lass uns gehen!“Wir verließen die Kajüte und erreichten glücklich den

Rand des Fahrzeugs. Der Abstand zwischen ihm und demLand war doch bedeutender, wie man beim nächtlichenSternenhimmel bemerken konnte.

„Kommst du hinüber, Halef?“, fragte ich besorgt.Ich wusste, dass er ein guter Springer war, hier aber konn-

te man keinen Anlauf nehmen.

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„Pass auf, Sihdi!“Er erhob sich, setzte den Fuß auf die Reling und stand

im nächsten Augenblick drüben am Ufer. Ich folgte ihmsofort.

„Hamdulillah – Gott sei Dank! Jetzt sind wir frei. Aberwas nun?“, fragte Halef.

„Wir gehen nach Dschidda.“„Weißt du den Weg?“„Nein.“„Oder hast du eine Harita 1, die dir den Weg zeigt?“„Auch nicht, aber wir brauchen uns nur nach Süden zu

halten. Abu Seif hat zu Fuß hinwandern müssen; das istein sicheres Zeichen, dass die Stadt nicht sehr weit vonhier liegt. Lass uns vor allen Dingen erst nach den Waffensehen.“

Wir zogen uns hinter ein nahes Euphorbien-Gesträuchzurück, das uns genügend verbarg, denn es war nicht diekleine arabische, sondern die hohe ostindische Art. MeineGewehre waren geladen, man hatte jedenfalls mit demRevolver und dem Henrystutzen nicht umzugehen verstan-den und sich über den schweren Bärentöter höchstlichwundern müssen. Der Araber ist ein langes, leichtes Ge-wehr gewohnt und es gibt ganze Stämme, die noch mitFlinten der ältesten, seltsamsten Konstruktionen bewaff-net sind. Nachdem wir uns überzeugt hatten, dass unsereFlucht nicht bemerkt worden war, machten wir uns aufden unbekannten Weg. Wir mussten solange wie möglichder Küste folgen und diese hatte zahlreiche größere oderkleinere Einbuchtungen, die zu umgehen waren, sodasswir nur langsam vorwärts kamen. Dazu war der Bodentrotz der Nähe des Meeres sehr dicht mit Koloquinten undAloen bewachsen, die das Gehen außerordentlich be-schwerlich machten. Endlich graute der Tag und der Marschging leichter und schneller vor sich. Man konnte in dieFerne blicken und entscheiden, welche Richtung man ein-

1 Landkarte

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zuschlagen hatte, um eine Krümmung der Küste abzu-schneiden, und es war vielleicht vormittags acht Uhr, alswir die Minaretts einer Stadt vor uns erblickten, die miteiner hohen, ziemlich gut erhaltenen Mauer umgeben war.

„Wollen wir fragen, ob dies Dschidda ist, Sihdi?“, fragteHalef.

Wir waren bereits seit einer Stunde Arabern begegnet,ohne sie anzureden.

„Nein; das ist ganz sicher Dschidda.“„Und was beginnen wir dort?“„Ich werde mir zunächst den Ort ansehen.“„Und ich auch. Weißt du, dass dort Eva, die Mutter al-

ler Lebendigen, begraben liegt?“„Ja.“„Als Adam sie begraben hatte, beweinte er sie vierzig

Tage und vierzig Nächte; dann ging er nach Selan Dib1,wo er starb und nun auch begraben liegt. Das ist eine In-sel, von der nur die Gläubigen etwas wissen.“

„Du irrst, Halef. Diese Insel hießt bei ihren BewohnernSinhala Dvipa, woraus ihr in eurer Sprache Selan Dib ge-macht habt. Sinhala Dvipa heißt Löweninsel; sie gehörtjetzt den Christen, den Ingilisler, und ich selbst bin be-reits zweimal dort gewesen.“

Er blickte mich erstaunt an.„Aber unsere Ulema2 sagen doch, dass jeder Ungläubige

stirbt, der die Insel Adams betreten will!“„Bin ich gestorben?“„Nein. Aber du bist ein Liebling Allahs, obgleich du den

wahren Glauben noch nicht hast.“„Ich will dir noch ein Beispiel dafür anführen, dass eure

Ulema nicht immer Recht haben. Nicht wahr, jeder Un-gläubige muss sterben, der die heiligen Stätten von Mek-ka und Medina betritt?“

„Ja.“„Aber es gibt dennoch Christen, die dort gewesen sind.“

1 Ceylon 2 Gelehrten (Plural von Alim)

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„Ist das wahr?“„Ja. Sie haben getan, als ob sie Moslemin seien.“„Dann mussten sie unsere Sprache und unsere Gebräu-

che verstehen.“„Sie verstanden sie.“Er blickte mir ängstlich forschend ins Gesicht.„Sihdi, du verstehst sie auch. Willst du nach Mekka?“„Würdest du mich mitnehmen?“„Nein, Sihdi, denn ich würde dafür in der tiefen Dsche-

henna braten müssen.“„Würdest du mich verraten, wenn du mich dort sähst?“„Sihdi, mach mich nicht traurig! Ich müsste dich verra-

ten und könnte es doch vielleicht nicht. Ich würde nichtmehr leben können!“

Ich sah ihm an, dass dies seine volle Überzeugung war;es wäre grausam gewesen, ihn länger in Angst zu setzen.

„Halef, du hast mich lieb?“„Lieber als mich selbst, Sihdi, glaube mir das!“„Ich glaube es. Wie lange willst du noch mit mir rei-

sen?“„Solange du willst. Ich gehe mit dir, so weit die Erde

reicht, obgleich du ein Christ bist. Aber ich weiß, dass dunoch zum rechten Glauben kommen wirst, denn ich wer-de dich bekehren, du magst wollen oder nicht.“

„Das kann bloß ein Hadschi sagen.“„O Sihdi, ich werde nun wirklich einer sein. Da ist

Dschidda, wo ich das Grab Evas besuchen werde; danngehe ich nach Mekka, werde in Arafah verweilen, mich inMinah rasieren lassen und alle heiligen Gebräuche mit-machen. Wirst du mich bis dahin in Dschidda erwarten?“

„Wie lange wirst du in Mekka sein?“„Sieben Tage.“„Du wirst mich in Dschidda wieder finden. Aber ist deine

Hadsch auch gültig, da sie nicht in den Wallfahrtsmonatfällt?“

„Sie ist gültig. Sieh, hier ist das Tor. Wie mag es heißen?“

200

„Es ist wohl das nördliche Tor, das Bab el Medina. Wirstdu mir eine Bitte erfüllen?“

„Ja, denn ich weiß, dass du mir nichts befiehlst, was ichnicht tun darf.“

„Du sollst hier keinem Menschen sagen, dass ich einChrist bin.“

„Ich gehorche.“„Du sollst ganz so tun, als ob ich ein Moslem sei.“„Ja. Aber wirst du mir nun auch eine Bitte erfüllen?“„Welche?“„Ich muss mir in Mekka das Asîs Kumâsch1 kaufen und

viele Geschenke und Almosen geben...“„Sei unbesorgt, du sollst deine Theresientaler noch heu-

te erhalten.“„Die kann ich vielleicht nicht gebrauchen, denn sie wer-

den im Land der Ungläubigen geprägt.“„So werde ich dir dieselbe Summe in Piastern geben.“„Hast du Piaster?“„Noch nicht, aber ich werde sie von einem Sarrâf 2 holen.“„Ich danke dir, Sihdi! Werde ich genug haben, um auch

nach Medina gehen zu können?“„Ich denke es, wenn du sparsam bist. Die Reise dorthin

wird dich nichts kosten.“„Warum?“„Ich reite mit.“„Nach Medina, Sihdi?“, fragte er in bedenklichem Ton.„Ja. Ist dies verboten?“„Der Weg dorthin steht dir frei, aber nach Medina hinein

darfst du nicht.“„Wenn ich nun in Dschanbo auf dich warte?“„Das ist schön, Sihdi, das geht!“„So sind wir also einig?“„Und wohin gehst du dann?“„Zunächst nach Medajn Salih.“„Sihdi, dann bist du des Todes! Weißt du nicht, dass dies

1 Wörtlich ‚Heiliges Zeug‘ 2 Geldwechsler

201

die Stadt der Geister ist, die keinen Sterblichen bei sich dul-den?“

„Sie werden mich dulden müssen. Es ist ein sehr geheim-nisvoller Ort, man erzählt sich wunderbare Sachen vonihm und darum muss ich ihn sehen.“

„Du wirst ihn nicht sehen, denn die Geister werden unsden Weg versperren; aber ich werde dich nicht verlassen,und wenn ich mit dir sterben sollte. Ich bin dann ein wirk-licher Hadschi, dem der Himmel immer offen steht. Undwohin willst du dann?“

„Entweder zum Sinai, nach Jerusalem und Istanbul odernach Basra und Bagdad.“

„Und du wirst mich auch dorthin mitnehmen?“„Ja.“Wir waren beim Tor angelangt. Dort gab es außerhalb

der Mauern eine Menge zerstreut stehender Hütten ausStroh oder Palmenblättern, in denen arme Arbeiter odernoch ärmere Holz- und Gemüsehändler wohnten. Ein zer-lumpter Mann rief mich an:

„Bist du gesund, Effendi, wie geht es dir und wie istdein Befinden?“

Ich blieb stehen. Im Orient muss man immer Zeit ha-ben, einen Gruß zu erwidern.

„Ich danke dir! Ich bin gesund, es geht mir gut und meinBefinden ist vortrefflich; aber wie geht es dir, du Sohneines tapferen Vaters, und wie laufen deine Geschäfte, duErbe vom frömmsten Stamm der Moslemin?“

Ich gebrauchte diese Worte, weil ich sah, dass er dasM’eschaleeh trug. Dschidda gilt, obwohl es seit neuererZeit von den Christen besucht werden darf, für eine heili-ge Stadt und die heiligen Städte haben das Vorrecht, die-ses Zeichen zu tragen.

Vier Tage nach der Geburt eines Kindes werden ihm aufjeder Backe drei und an jeder Schläfe zwei Schnitte beige-bracht, deren Narben für das ganze Leben bleiben. Das istdas M’eschaleeh.

202

„Deine Worte sind Aschâr1, sie duften wie die Benât elDschennet2“, antwortete der Mann. „Auch mir geht es gutund ich bin zufrieden mit dem Geschäft, das ich treibe. Eswird auch dir nützlich sein.“

„Welches Geschäft hast du?“„Ich habe drei Tiere stehen. Meine Söhne sind Hamâr

und ich helfe ihnen.“„Hast du sie zu Hause?“„Ja, Effendi. Soll ich dir zwei Esel holen?“„Was soll ich dir bezahlen?“„Wohin willst du reiten?“„Ich bin fremd und will mir eine Wohnung suchen.“Er musterte mich mit einem eigentümlichen Blick. Ein

Fremder und zu Fuß, das musste ihm auffällig sein.„Effendi“, fragte er, „willst du dahin, wohin ich deine

Brüder geleitet habe?“„Welche Brüder?“„Es kamen gestern um die Zeit des Mogreb dreizehn Män-

ner zu Fuß, so wie du, die habe ich in den große Chan geführt.“Das war jedenfalls Abu Sejf mit den Seinen gewesen.„Das waren keine Brüder von mir. Ich will meine Woh-

nung in keinem Chan und in keiner Lokanda3, sondern ineinem Privathaus nehmen.“

„Welch ein Glück! Ich weiß ein Haus, wo du eine Wohnungfinden kannst, die beinahe für einen Prinzen zu schön ist.“

„Was forderst du, wenn wir auf deinen Eseln hinreiten?“„Zwei Piaster.“Das waren ungefähr zwanzig Pfennig pro Mann.„Hol die Tiere.“Er stieg nun mit gravitätischem Schritt von dannen und

brachte hinter einer Umfriedung zwei Esel hervor, die so kleinwaren, dass sie mir beinahe zwischen den Beinen durchlau-fen konnten.

„Werden sie uns tragen können?“„Sihdi, einer von ihnen würde uns alle drei tragen können!“

1 Blumen 2 Töchter des Paradieses 3 Gasthaus

203

Das war übertrieben; jedoch mein Tier tat nicht imMindesten, als ob ich ihm zu schwer sei, vielmehr schluges sofort, nachdem ich es bestiegen hatte, einen sehr mun-teren Trab an, der allerdings gleich im Innern der Stadt-mauer unterbrochen wurde.

„Dur“, rief nämlich eine schnarrende Stimme von derSeite her, „dur para werinis – halt, gebt Geld!“

In einem halb verfallenen Gemäuer zu meiner Rechten be-fand sich ein viereckiges Loch, in diesem Loch befand sich einKopf, auf dem Gesicht dieses Kopfes befand sich eine fürch-terliche Brille und in dieser Brille befand sich nur ein Glas.Unter diesem Glas erblickte ich eine riesige Nase und seit-wärts nach unten, von der Nase aus gerechnet, eine große Öff-nung, aus der die Worte wahrscheinlich gekommen waren.

„Wer ist das?“, fragte ich unsern Führer.„Der Bawwâl1. Er nimmt die Steuer für den Großherrn ein.“Ich drängte mein Eselein bis vor das Loch und nahm,

um mir einen Spaß zu machen, den Pass heraus.„Was willst du?“„Geld!“„Hier!“Ich hielt ihm das großherrliche Mühür2 vor das Auge,

das nicht durch ein Glas geschützt war.„Verzeihung, Euer Gnaden!“Die Öffnung unter der Nase klappte zu, das Gesicht

verschwand und gleich darauf sah ich eine hagere Gestaltseitwärts über einige Mauerreste springen. Sie trug einealte, abgeschabte Janitscharen-Uniform, weite, blaueBeinkleider, rote Strümpfe, eine grüne Jacke und auf demKopf eine weiße Mütze mit einem herabhängenden Sack.Es war der wackere Bawwâl.

„Warum reißt er aus?“, fragte ich den Führer.„Du hast ein Bujrultu und brauchst nichts zu geben. Er

hat dich also beleidigt und fürchtet deine Rache.“Wir ritten weiter und gelangten nach fünf Minuten vor

1 Torwärter 2 Siegel

204

das Tor eines Hauses, das, eine Seltenheit in mohamme-danischen Ländern, vier große, vergitterte Fenster nachder Straße zu hatte.

„Hier ist es!“„Wem gehört das Haus?“„Dem Dschewherdschi1 Tamaru. Er hat mir Auftrag ge-

geben.“„Wird er zu Haus sein?“„Ja.“„So kannst du zurückkehren. Hier hast du noch ein Bak-

schisch!“Unter vielen Dankesworten setzte sich der Mann auf

einen seiner Esel und ritt von dannen. Ich trat mit Halefin das Haus und wurde von einem Schwarzen nach demGarten gebracht, in dem sich sein Herr befand. Diesemtrug ich mein Anliegen vor und sofort führte er mich indas Haus zurück und zeigte mir eine Reihe von Gemä-chern, die leer standen. Ich mietete zwei auf eine Wocheund hatte dafür zwei Talaris, was als eine sehr anständigeBezahlung angesehen werden musste, zu entrichten. Da-für wurde ich aber auch nicht ausgefragt. Ich nannte nurden Namen, den mir Halef gegeben hatte.

Im Lauf des Nachmittags ging ich, um mir die Stadtanzusehen.

Dschidda ist eine ganz hübsche Stadt, und es scheintmir, als ob sie ihren Namen – Dschidda heißt ‚die Reiche‘– nicht ganz mit Unrecht führte. Sie ist nach drei Seitenvon einer hohen, dicken Mauer umgeben, die Türme trägtund von einem tiefen Graben beschützt wird. Nach demMeer zu wird sie durch ein Fort und mehrere Batterienverteidigt. Die Mauer hat drei Tore: das Bab el Medina,das Bab el Jemen und das Bab el Mekka, das das schönsteist und zwei Türme hat, deren Zinnen von zierlich durch-brochener Arbeit sind. Die Stadt zerfällt in zwei Hälften,in die von Syrien und von Jemen; sie hat ziemlich breite,

1 Juwelier

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nicht sehr schmutzige Straßen und viele hübsche freie Plät-ze. Auffallend ist es, dass es hier sehr viele Häuser gibt, dienach außen hin Fenster haben. Sie sind meist mehrereStockwerke hoch, von guter Bauart und haben hübscheBogentüren, Balkons und Söller. Der Bazar läuft in derganzen Länge der Stadt mit dem Meer parallel und mün-det in viele Seitenstraßen. Auf ihm sieht man Araber undBeduinen, Fellachen, Händler aus Basra, Bagdad, Maskatund Makalla, Ägypter, Nubier, Abessinier, Türken, Syrer,Griechen, Tunesier, Tripolitaner, Juden, Inder, Malaien –alle in ihrer Nationaltracht; sogar einem Christen kannman zuweilen begegnen. Hinter der Mauer beginnt, wiebei den meisten Ortschaften Arabiens, sofort die Wüsteund dort stehen die Hütten jener Leute, die in der Stadtselbst keinen Platz finden.

Nicht weit von der Kaserne, die in der Nähe des Bab elMedina liegt, befindet sich der Kirchhof, auf dem das GrabEvas gezeigt wird. Dieses ist sechzig Meter lang und trägtauf seiner Mitte eine kleine Moschee.

Dass es in Dschidda von Bettlern wimmelte, ist nicht zuverwundern. Den größten Beitrag dazu lieferte Indien.Während die armen Pilger aus anderen Ländern sich Ar-beit suchten, um sich das Reisegeld zur Rückkehr zu ver-dienen, war der Inder zu träge dazu. Wer einem jeden ge-ben wollte, würde bald selbst ein Bettler sein.

Vom Kirchhof weg ging ich nach dem Hafen und schrittlangsam am Wasser hin. Ich dachte über die Möglichkeitnach, Mekka sehen zu können, und merkte kaum, dass esimmer einsamer um mich wurde. Da plötzlich – war esmöglich? – erklang es vom Wasser her:

„Jetzt geh’ i zum Soalaund kaf ma an Strick,

bind’s Diandl am Buckl,trog’s überall mit.“

206

Ein ‚G’sangl‘ aus der Heimat! Hier in Dschidda! Ichblickte mich um und sah einen Kahn, in dem zwei Män-ner saßen. Der eine war ein Eingeborener. Seine Hautfarbeund seine Kleidung bezeichneten ihn als einen Hadharemieh,gewiss gehörte ihm der Kahn. Der andere stand jetzt indem kleinen Fahrzeug auf und bildete eine ganz wunder-bare Erscheinung. Er hatte einen blauen Turban auf, trugrote türkische Pumphosen und über diesen einen europäi-schen Rock von etwas veraltetem Schnitt; ein gelbseidenesTuch war um den Hals geschlungen und aus diesem Tuchstachen rechts und links zwei Dschebelpambuk-besi vonder Sorte hervor, die in der lieben Heimat den Namen‚Vatermörder‘ zu tragen pflegt. Um die sehr umfangrei-chen Hüften hatte der Mann den Riemen eines Sarras ge-schlungen, dessen Scheide so dick war, dass man drei Klin-gen in ihr vermuten konnte.

Dies war der Sänger. Er hatte bemerkt, dass ich vorÜberraschung stehen geblieben war, und mochte denken,einen sangesfrohen Beduinen vor sich zu haben, denn erhielt die linke Hand an den Mund, drehte sich noch bes-ser nach rechts herum und sang:

„Und der Türk und der Russ,die zwoa gehn mi nix o’,wann i no mit der Gretlkoan Kriegshandl ho’!“

Das war eine Freude für mich, viel größer noch als da-mals, als der Jüterboger Hamsad el Dscherbaja mich amNil mit seinem Lied überrascht hatte! Auch ich legte dieHand an den Mund.

„Scharkyja devam et – sing weiter!“, rief ich auf Tür-kisch hinüber.

Ob er mich verstanden hatte, wusste ich nicht, aber erließ sich sofort nochmals hören:

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„Zwischen deiner und meineris a weite Gass’n;

Bua, wennst mi nöt magst,kannst es bleiben lass’n!“

Jetzt musste ich den Jodler auch probieren:

„Zwischen deiner und meineris a enge Gass’n;

Bua, wennst mi gern magst,kannst herrudern lass’n!“

Da stieß er einen lauten Jauchzer aus, riss den Turbanvom Kopf, den Sarras aus der Scheide und schwenkte bei-des hoch in der Luft; dann brachte er die Sachen wiederan Ort und Stelle, ergriff das Steuer und lenkte dem Uferzu.

Ich war ihm entgegengegangen. Er sprang ans Land,blieb aber doch ein wenig verblüfft stehen, als er mich nä-her betrachtete.

„Ein Türke, der Deutsch reden kann?“, fragte er zwei-felhaft.

„Nein, sondern ein Deutscher, der ein bisschen Türkischprobiert.“

„Also wirklich! Ich wollte meinen Ohren nicht trauen.Aber Sie sehen wahrhaftig wie ein Araber aus. Darf ichfragen, was Sie sind?“

„Ein Schriftsteller. Und Sie?“„Ein – ein – ein – hm, Violinist, Komiker, Schiffskoch,

Privatsekretär, bookkeeper1, Ehemann, merchant2, Witwer,Rentier und jetzt Tourist nach Haus.“

Er brachte das mit einer so überwältigenden Grandezzavor, dass ich lachen musste.

„Da haben Sie allerdings viel erfahren! Also nach Hauswollen Sie?“

1 Buchhalter 2 Kaufmann

208

„Ja, nämlich nach Triest, wenn ich mich nicht etwa un-terwegs anders besinne. Und Sie?“

„Ich sehe die Heimat wohl erst in einigen Monaten wie-der. Was tun Sie hier in Dschidda?“

„Nichts. Und Sie?“„Nichts. Wollen wir einander helfen?“„Natürlich, wenn es Ihnen recht ist!“„Das versteht sich! Haben Sie eine Wohnung?“„Ja, schon seit vier Tagen.“„Und ich seit ungefähr so vielen Stunden.“„So sind Sie noch nicht eingerichtet. Darf ich Sie zu mir

einladen?“„Freilich! Für wann?“„Für jetzt gleich. Kommen Sie! Es ist gar nicht weit.“Er griff in die Tasche und lohnte seinen Bootsmann ab,

dann schritten wir nach dem Hafen zurück. Unterwegswurden nur allgemeine Bemerkungen ausgetauscht, bis wiran ein einstöckiges Häuschen kamen, in das er eintrat. Eswurde durch den Eingang in zwei Hälften geteilt. Er öff-nete die Tür zur rechten Seite, und wir traten in ein klei-nes Gemach, dessen einziges Möbel aus einem niederen,hölzernen Gerüst bestand, über das eine lange Matte aus-gebreitet war.

„Das ist meine Wohnung, Willkommen! Nehmen SiePlatz!“

Wir schüttelten einander nochmals die Hände und ichsetzte mich auf die Matte, während er in einen nebenanliegenden Raum trat und einen großen Koffer öffnete, derdarin stand.

„Bei einem solchen Gast darf ich meine Herrlichkeitendoch nicht schonen“, rief er mir zu. „Passen Sie auf, wasich Ihnen bringe!“

Es waren allerdings lauter Herrlichkeiten, die er mirvorsetzte:

„Hier ein Topf mit Apfelschnitten, gestern Abend in derKaffeemaschine gekocht; es ist das Beste, was man in die-

209

ser Hitze genießen kann. Hier zwei Pfannkuchen, dort inder Tabaksbüchse gebacken – jeder einen. Da noch einRest englisches Weizenbrot – ein bisschen altbacken, gehtaber noch. Sie haben gute Zähne, wie ich sehe. In dieserFlasche ist echter, alter Kognak; wenn auch kein Wein,aber immer besser als Wasser; ein Glas habe ich nicht mehr,ist aber auch nicht notwendig. Nachher in dieser Büchse– schnupfen Sie?“

„Leider nein.“„Schade! Er ist ausgezeichnet. Aber Sie rauchen?“„Gern.“„Hier! Es sind nur noch elf Stück, die teilen wir – Sie

zehn und ich eine.“„Oder umgekehrt!“„Geht nicht.“„Wollen es abwarten. Und dort in dieser Blechkapsel,

was haben Sie da?“„Raten Sie!“„Zeigen Sie einmal her!“Er gab mir die Kapsel und ich roch daran.„Käse!“„Erraten! Leider fehlt die Butter. Nun langen sie zu! Ein

Messer haben Sie jedenfalls, hier ist auch eine Gabel.“Wir aßen mit Lust.„Ich bin Sachse“, sagte ich und nannte ihm meinen

Namen. „Sie sind in Triest geboren?“„Ja. Ich heiße Martin Albani. Mein Vater war seines

Zeichens Schuster. Ich sollte etwas Besseres werden, näm-lich Kaufmann, hielt es aber lieber mit meiner Geige alsmit den Ziffern und so weiter. Ich bekam eine Stiefmut-ter; na – Sie wissen, wie es dann herzugehen pflegt. Ichhatte den Vater sehr lieb, wurde aber mit einer PreßnitzerHarfenistengesellschaft bekannt und schloss mich ihr an.Wir gingen nach Venedig, Mailand und tiefer nach Italienhinein, endlich gar nach Konstantinopel. Kennen Sie die-se Art Leute?“

210

„Gewiss. Sie gehen oft weit über See.“„Erst spielte ich Violine, dann avancierte ich zum Ko-

miker; leider aber hatten wir Unglück und ich war froh,dass ich auf einem Bremer Kauffahrer eine Stelle fand. Mitdiesem kam ich später nach London, von wo aus ich miteinem Engländer nach Indien segelte. In Bombay wurdeich krank ins Hospital geschafft. Der Verwalter war eintüchtiger Mann, aber kein Held im Schreiben und Rech-nen; er engagierte mich, als ich wieder gesund gewordenwar. Später kam ich zu einem Händler als Buchführer, erstarb am Fieber und ich heiratete seine Witwe. Wir lebtenkinderlos und glücklich bis zu ihrem Tod. Jetzt sehnte ichmich nach der Heimat zurück...“

„Zu Ihrem Vater?“„Auch er lebt nicht mehr, hat aber – Gott sei Dank! –

keine Not gelitten. Seit ich mich wohl stand, haben wireinander oft geschrieben. Nun habe ich mein Geschäftverkauft und fahre langsam der Heimat zu.“

Der Mann gefiel mir. Er gab sich so, wie er war. Reichkonnte er wohl nicht genannt werden; er machte auf michden Eindruck eines Mannes, der gerade so viel hat, wie erbraucht, und der damit auch herzlich zufrieden ist.

„Warum fahren Sie nicht direkt nach Triest?“„Ich musste in Maskat und Aden einige Ziffern in Ord-

nung bringen.“„So haben Sie sich also doch noch an die Ziffern gewöhnt?“„Freilich“, lachte er. „Und nun – eilig sind meine Ange-

legenheiten nicht, ich bin mein eigner Herr – was tut es,wenn ich mir das Rote Meer besehe? Sie tun es ja auch!“

„Allerdings. Wie lange werden Sie hier bleiben?“„Bis ein mir passendes Fahrzeug hier anlegt. Haben Sie

nicht geglaubt, einen Bayern oder Tiroler in mir zu fin-den, als Sie mich singen hörten?“

„Ja, aber doch fühle ich mich nicht etwa enttäuscht –wir sind ja trotzdem Landsleute und freuen uns, einandergetroffen zu haben.“

211

„Wie lange werden Sie hier bleiben?“„Hm! Mein Diener pilgert nach Mekka, ich werde wohl

eine Woche auf ihn warten müssen.“„Das freut mich, so können wir einander länger haben.“„Ich stimme bei, aber zwei Tage werden wir uns viel-

leicht doch entbehren müssen.“„Wieso?“„Ich hätte fast Lust, auch einmal nach Mekka zu gehen.“„Sie? Ich denke, für Christen ist das verboten!“„Allerdings. Aber kennt man mich?“„Das ist richtig. Sie sprechen Arabisch?“„Ja, so viel ich für meine Küche brauche.“„Und Sie wissen auch, wie sich die Pilger zu benehmen

haben?“„Auch das, doch ist gewiss, dass mein Benehmen nicht

genau das der Pilger sein würde. Wollte ich ihren Gebräu-chen folgen, mich den vorgeschriebenen Zeremonien un-terwerfen und gar zu Allah beten und seinen Prophetenanrufen, so würde dies gewiss eine Versündigung gegenunsern Glauben sein.“

„Sie würden innerlich doch anders denken!“„Das macht die Schuld nicht geringer.“„Darf man der Wissenschaft nicht ein Opfer bringen?“„Doch, aber kein solches. Übrigens bin ich gar kein

Mann der Wissenschaft. Sollte ich Mekka je erreichen, sohat es nur den Wert, dass ich es einmal gesehen habe unddavon erzählen kann. Ich möchte behaupten, dass mandie Stadt des Propheten zu besuchen vermag, auch ohneseinen Christenglauben dadurch zu verleugnen, dass manden Pilger spielt.“

„Wohl nicht.“„Glauben Sie, dass Mekka nur von Pilgern besucht wird?“„Man sollte allerdings meinen, dass auch Kaufleute hin-

kommen. Diese aber werden doch auch die heiligen Ortebesuchen und dort beten.“

„Man wird sie aber nicht dabei beaufsichtigen. Ich rechne

212

sechzehn Wegstunden von hier bis Mekka, man reitet siesehr gut in acht Stunden. Hätte ich ein Bischarin-Hedschîn1,so würde ich nur vier Stunden brauchen. Ich komme dortan, steige in irgendeinem Chan ab, durchwandere ernsten,langsamen Schrittes die Stadt und besehe mir das Heilig-tum, dazu brauch’ ich nur wenige Stunden. Ein jeder wirdmich für einen Moslem halten und ich kann ruhig wiederzurückkehren.“

„Das klingt ganz ungefährlich, aber gewagt ist es den-noch. Ich habe gelesen, dass ein Christ höchstens bis aufneun Meilen an die Stadt heran darf.“

„Dann dürften wir ja auch nicht in Dschidda sein, wennnicht etwa nur englische Meilen gemeint sind. Auf demWeg von hier nach Mekka liegen elf Kaffeehäuser; ich willgetrost wagen, in allen bis zum neunten einzukehren unddabei auch zu sagen, dass ich ein Christ bin. Die Zeitenhaben sehr vieles geändert; jetzt genügt es, die Christendie Stadt nicht betreten zu lassen. Ich werde den Versuchwagen.“

Ich hatte mich in die Sache selbst so hineingesprochen,dass jetzt wirklich mein Entschluss feststand, nach Mekkazu reisen. Ich brachte diesen Gedanken heim in meineWohnung, schlief damit ein und erwachte auch mit ihm.Halef brachte mir den Kaffee. Ich hatte Wort gehalten undihm sein Geld bereits gestern gegeben.

„Sihdi, wann erlaubst du mir, nach Mekka zu gehen?“,fragte er mich.

„Hast du Dschidda bereits ganz gesehen?“„Noch nicht, aber ich werde bald fertig sein.“„Wie wirst du reisen? Mit einem Delîl?“„Nein, denn der kostet zu viel. Ich werde warten, bis

mehrere Pilger beisammen sind, und dann auf einem Miet-kamel reiten.“

„Du kannst abreisen, sobald du willst.“Delîle sind nämlich diejenigen Beamten, die fremde Pil-

1 Kamelart

213

ger zu führen und darauf zu sehen haben, dass diese keineVorschrift versäumen. Unter den Pilgern befinden sich sehrviele Frauen und Mädchen. Da aber den unverheiratetenFrauenzimmern das Betreten der Heiligtümer verboten ist,so machen die Delîle ein Geschäft daraus, sich gegen Be-zahlung mit ledigen Pilgerinnen, die sie von Dschiddaabholen, zu verheiraten, sie in Mekka zu begleiten undihnen dann nach vollbrachter Wallfahrt den Scheidebriefzu geben.

Halef hatte kaum meinen Raum verlassen, so hörte ichdraußen eine Stimme sagen:

„Ist dein Herr zu Hause?“„Sprich Arabisch!“, antwortete Halef auf die deutsch

gesprochene Frage.„Arabisch? Das kann ich nicht, mein Junge, höchstens

könnte ich dich mit einem bisschen Türkisch traktieren.Aber warte, ich werde mich gleich selbst anmelden, dennjedenfalls steckt er da hinter der Tür.“

Es war Albani, dessen Stimme jetzt erklang:

„Juchheirassassa!Und wenn d’ willst, will i a,

und wenn d’ willst, so mach auf,denn desweg’n bin i da!“

Er schien den Text seiner Schnadahüpferln den Verhält-nissen anzupassen. Gewiss stand Halef vor Erstaunen ganzstarr draußen, und wenn ich nicht antwortete, so geschahes seinetwegen, er sollte noch etwas hören. Es dauerte auchnicht lange, so fuhr der Triester fort:

„Soldat bin i gern,und da kenn’ i mi aus,

doch steh i nit gern Schildwachin fremder Leut Haus.“

214

Und als auch diese zarte Erinnerung keine Folge hatte,drohte er:

„Und a frischa Bua bin i,drum lass dir mal sag’n:

wenn d’ nit glei itzt aufmachst,tua i ’s Türerl zerschlag’n!“

So weit durfte ich es denn doch nicht kommen lassen,ich erhob mich also und öffnete ihm die Tür.

„Aha“, lachte er, „es hat also geholfen! Ich dachte beina-he, Sie wären schon nach Mekka abgegangen.“

„Pst! Mein Diener darf nichts davon wissen.“„Entschuldigung! Raten Sie einmal, mit welcher Bitte

ich komme!“„Mit dem Verlangen nach Revanche für Ihre gestrige Gast-

freundschaft? Tut mir Leid! Ich kann nötigenfalls mit etwasMunition, aber nicht mit Proviant dienen, wenigstens nichtmit einem so seltenen, wie Ihre Speisenkarte zeigte.“

„Pah! Aber ich habe wirklich eine Bitte oder vielmehreine Frage.“

„Sprechen Sie!“„Wir sprachen gestern wenig über Ihre Erlebnisse, aber

ich vermute, dass sie Reiter sind.“„Ich reite allerdings ein wenig.“„Nur Pferd oder auch Kamel?“„Beides, sogar auch Esel, wozu ich erst gestern gezwun-

gen war.“„Ich habe noch nie auf dem Rücken eines Kamels geses-

sen. Nun hörte ich heute früh, dass es ganz in der Nähe ei-nen Dewedschi1 gibt, bei dem man für ein Billiges die Mög-lichkeit erhält, einmal den Beduinen spielen zu können...“

„Ah, Sie wollen einen Spazierritt riskieren?“„Das ist es!“„Sie werden aber eine Art von Seekrankheit bekommen...“„Ich bin darauf gefasst. Die Küste des Roten Meers be-

1 Kamelverleiher

215

reist und nicht auf einem Kamel gesessen zu haben! Darfich Sie einladen, mich zu begleiten?“

„Ich habe Zeit; wohin wollen Sie?“„Mir gleich. Vielleicht eine Streiferei um Dschidda herum?“„Ich bin dabei. Wer besorgt die Kamele? Sie oder ich?“„Natürlich ich. Wollen Sie Ihren Diener auch mitnehmen?“„Wie Sie es bestimmen. Man weiß hierzulande niemals,

was einem begegnen kann, und ein Diener ist hier imOrient eigentlich niemals überflüssig.“

„So geht er mit.“„Wann soll ich kommen?“„In einer Stunde.“„Gut. Aber erlauben Sie mir eine Bemerkung. Untersu-

chen Sie, ehe Sie das Kamel besteigen, den Sattel und dieDecke genau; eine solche Vorsicht ist stets am Platz, daman sonst sehr leicht Bekanntschaft mit jenen sechsfüßigenBaschybosuks macht, die der Orientale mit dem lieblichklingenden Namen ‚Bit‘ bezeichnet.“

„Bit? Ich bin kein Licht in den orientalischen Sprachen.“„Aber ein wenig Latein haben Sie getrieben?“„Allerdings.“„So meine ich das Tierchen, dessen Name so lautet, wie

auf Lateinisch das deutsche Wort ‚Lob‘.“„Ah! Laus! Ist es gar so arg?“„Zuweilen sehr. Ich habe in Ungarn gehört, dass man

diese Schmarotzer mit dem Wort ‚Bergleute‘ bezeichnet,jedenfalls, weil sie von oben nach unten arbeiten. Bei ei-nem Kamelritt nun haben Sie es mit den Bergleuten derAraber und mit den Bergleuten der Kamele zu tun. EinGlück ist es nur, dass die Ersteren eine so rührende Treuefür ihre Herren und Meister besitzen und es folglich ver-schmähen, einen Giaur wenigstens förmlich zu überflu-ten. Also legen Sie noch eine eigene Decke unter, die Sienach dem Ritt dem nächsten Pastetenbäcker geben, dersie für wenige Borbi1 in seinem Ofen ausbrennen wird.“

1 Ein Para hat acht Borbi.

216

„Nicht übel! Nehmen wir Waffen mit?“„Das versteht sich! Ich zum Beispiel bin zu dieser Vor-

sicht gezwungen, da ich jeden Augenblick hier oder in derUmgebung Feinde treffen kann.“

„Sie?“„Ja, ich! Ich befand mich in der Gefangenschaft eines

Seeräubers, dem ich erst gestern früh entflohen bin. Er istauf dem Weg nach Mekka und kann sich sehr leicht nochhier in Dschidda befinden.“

„Das ist ja ganz erstaunlich! Er war ein Araber?“„Ja. Ich kann ihm nicht einmal mit einer Anzeige bei-

kommen, obgleich mein Leben keinen Pfennig wert ist, so-bald wir einander begegnen sollten.“

„Und davon haben Sie mir gestern nichts gesagt!“„Warum sollte ich davon sprechen? Man hört und liest

jetzt sehr oft, dass das Leben immer nüchterner werde undes gar keine Abenteuer mehr gebe. Vor nur wenigen Wo-chen sprach ich mit einem viel gereisten Gelehrten, dergeradezu die Behauptung aufstellte, man könne die alteWelt von Hammerfest bis Kapstadt und von England bisnach Japan durchreisen, ohne nur eine Spur von dem zuerleben, was man Abenteuer nennt. Ich widersprach ihmnicht, aber ich bin überzeugt, dass es nur auf die Persön-lichkeit des Reisenden und auf die Art und Weise der Rei-se ankommt. Eine Reise mit Rundreisekarte wird sehr zahmsein, selbst wenn sie nach Celebes oder zu den Feuerländerngehen sollte. Ich ziehe das Pferd und das Kamel den Pos-ten und Bahnen, das Kanu dem Steamer und die Büchsedem wohlvisierten Pass vor; auch reise ich lieber nachTimbuktu oder Tobolsk als nach Nizza oder Helgoland;ich verlasse mich auf keinen Dolmetscher und auf keinenBaedeker; zu einer Reise nach Mursuk steht mir wenigerGeld zur Verfügung, als mancher braucht, um von Pragaus die Kaiserstadt Wien eine Woche lang zu besuchen,und – ich habe mich über den Mangel an Abenteuern nie-mals zu beklagen gehabt. Wer mit großen Mitteln die Atlas-

217

länder oder die Weststaaten Nordamerikas besucht, demstehen eben diese Mittel im Weg; wer aber mit leichterTasche kommt, der wird bei den Beduinen Gastfreund-schaft suchen und sich nützlich machen, drüben im Wil-den Westen aber sich sein Brot schießen und mit hundertGefahren kämpfen müssen; ihm wird es nie an Abenteu-ern fehlen. Wollen wir wetten, dass uns nachher bei unse-rem Ritt ein Abenteuer passieren wird, mag es auch einnur kleines sein? Die Recken früherer Zeiten zogen aus,um Abenteuer zu suchen; die jetzigen Helden reisen alsGeschäftsleute, Touristen, Sommerfrischler oder Bäder-bummler; sie erleben ihre Abenteuer unter dem Regen-schirm, an der Table d’hôte, bei einer imitierten Sennerin,am Spieltisch und auf dem Scating-Ring.“

„Sie machen mich wirklich neugierig!“„Ja, verstehen Sie mich wohl! Sie nennen es vielleicht

ein Abenteuer, wenn Sie in dem Dschungel zwei Tigernbegegnen, die sich auf Leben und Tod bekämpfen; ich nen-ne es ein ebenso großes Abenteuer, wenn ich am Waldrandauf zwei Ameisenvölker stoße, deren Kampf nicht bloß inBeziehung auf Mut und Körperanstrengung eine Hunnen-oder Gotenschlacht zu nennen ist, sondern uns auch solcheBeispiele von Aufopferung, Gehorsam und strategischer odertaktischer Berechnung und List zeigt, dass wir darüber er-staunen müssen. Gottes Allmacht zeigt sich herrlicher in die-sen winzigen Tieren als in jenen beiden Tigern, die Ihnenbloß deshalb größer erscheinen, weil Sie sich vor ihnen fürch-ten. Doch, gehen Sie jetzt und bestellen Sie die Kamele, da-mit wir zur Zeit der größten Hitze eine Quelle finden.“

„Ich gehe, aber halten Sie auch Wort in Beziehung aufdas Abenteuer!“

„Ich halte es.“Er ging.Ich hatte ihm diese Rede mit Vorbedacht gehalten, denn

zu einem Erstlingsritt auf dem Kamel gehört unbedingt eineins Romantische hinüberklingende Seelenstimmung.

218

10. Bei den Atejbeh

Als ich nach drei Viertelstunden mit Halef in AlbanisWohnung trat, starrte dieser in Waffen.

„Kommen Sie, der Dewedschi lauert bereits. Oder wol-len wir erst etwas genießen?“, fragte er mich.

„Nein.“„So nehmen wir uns Proviant mit. Ich habe hier diese

ganze Tasche voll.“„Sie wollen ein Abenteuer haben und nehmen Proviant

mit? Weg damit! Wenn uns hungert, so suchen wir unseinen Duar1. Dort finden wir Datteln, Mehl, Wasser undvielleicht auch ein wenig Tschekirge.“

„Tschekirge? Was ist das?“„Kuchen, aus gemahlenen Heuschrecken gebacken.“„Fi!“„Pah, schmeckt ganz vortrefflich! Wer Austern, Wein-

bergschnecken, Vogelnester, Froschschenkel und verfaulteMilch mit Käsemaden isst, für den müssen Heuschreckeneine Delikatesse sein. Wissen Sie, wer lange Zeit Heu-schrecken mit wildem Honig gegessen hat?“

„Ich glaube, das ist ein Mann in der Bibel gewesen.“„Allerdings, und zwar ein sehr hoher und heiliger Mann. –

Haben Sie eine Decke?“„Hier.“„Gut. Wie lange haben Sie die Kamele zur Verfügung?“„Für den ganzen Tag.“„Mit Begleitung des Dewedschi oder eines seiner

Leute?“„Ohne Begleitung.“„Das ist gut. Zwar haben Sie in diesem Fall Kaution hin-

terlegen müssen, dafür aber befinden wir uns umso woh-ler und ungestörter. Kommen Sie!“

Der Kamelverleiher wohnte im übernächsten Haus. Ichsah es dem Mann sofort an, dass er kein Araber, sondern

1 Zeltdorf

219

ein Türke war. In seinem Hof standen drei Kamele, überdie man hätte weinen mögen.

„Wo ist dein Stall?“, fragte ich ihn.„Dort!“Er deutete nach einer Mauer, die den Hof in zwei Teile

schied.„Öffne die Tür!“„Warum?“„Weil ich sehen will, ob sich noch Hedschûn darin be-

finden.“„Es sind noch welche drin.“„Zeige sie mir!“Er mochte mir doch nicht recht trauen, daher öffnete er

und ließ mich einen Blick in die andere Abteilung werfen.Dort lagen acht der schönsten Reitkamele. Ich trat näherund betrachtete sie.

„Dewedschi, wie viel zahlt dir dieser Bej Hasretleri1 fürdie drei Kamele, die du uns gesattelt hast?“

„Fünf Mahbub-Zechinen2 für alle drei.“„Und für einen solchen Preis bekommen wir diese Last-

tiere mit wunden Beinen und Füßen! Schau her, du kannstdurch ihre Seiten blicken; ihre Lefzen hängen auf die Sei-te wie hier dein zerrissener Jackenärmel, und ihre Höcker– o Dewedschi, sie haben keine Höcker! Sie haben eineweite Reise hinter sich, sie sind ganz abgezehrt und kraft-los, sodass sie kaum den Sattel tragen können. Und wiesehen diese Sättel aus! Schau her, Mann! Was marschiertauf dieser Decke? Spute dich und gib uns andere Kameleund andere Decken und andere Sättel!“

Er sah mich halb misstrauisch und halb zornig an.„Wer bist du, dass du mir einen solchen Befehl geben

magst?“„Blick her! Siehst du dieses Bujrultu des Großherrn? Soll

ich ihm erzählen, dass du ein Betrüger bist und deine ar-men Tiere zu Tode schindest? Schnell, sattle dort die drei

1 ‚Hoheit‘ 2 Etwa 25 Mark

220

Hedschûn, die braunen rechts und das graue in der Ecke,sonst wird dir meine Peitsche Hände machen!“

Ein Beduine hätte sofort zur Pistole oder zum Messergegriffen, dieser Mann aber war ein Türke. Er beeilte sich,meinem Befehl Folge zu leisten, und bald lagen seine dreibesten Kamele mit sehr reinlichem Sattelzeug vor uns aufden Knien. Ich wandte mich an Halef:

„Jetzt zeige diesem Effendi, wie er aufzusteigen hat!“Er tat es und ich trat dann dem Kamel, das Albani tra-

gen sollte, auf die zusammengezogenen Vorderbeine.„Passen Sie auf! Sobald Sie den Sattel berühren, geht

das Hedschîn in die Höhe, und zwar vorn zuerst, sodassSie nach hinten geworfen werden. Dann erhebt es sich hin-ten und Sie stoßen nach vorn. Diese beiden Stöße müs-sen Sie durch die entgegengesetzte Bewegung Ihres Kör-pers unschädlich zu machen suchen.“

„Ich will es versuchen.“Er fasste an und schwang sich auf. Sofort erhob sich das

Tier, obwohl ich meinen Fuß nicht von seinen Beinen ge-nommen hatte. Der gute Schnadahüpfelsänger flog nachhinten, fiel aber nicht, weil er sich vorn fest anklammerte;doch jetzt schnellte das Kamel sich hinten in die Höhe,und da er die Hände noch immer vorn hatte, so flog erganz regelrecht aus dem Sattel und über den Kopf desKamels herunter in den Sand.

„Potztausend, das Ding ist gar nicht so leicht!“, meinteer, während er sich erhob und die Achsel rieb, mit der eraufgestoßen war. „Aber hinauf muss ich doch. Bringen Siedas Tier wieder zum Knien!“

„Rrree!“Auf diesen Zuruf legte es sich wieder. Der zweite Ver-

such gelang, obgleich der Reiter zwei derbe Stöße auszu-halten hatte. Ich musste dem Verleiher noch einen Ver-weis geben:

„Dewedschi, kannst du ein Hedschîn reiten?“„Ja, Herr.“

221

„Und auch lenken?“„Ja.“„Nein, du kannst es nicht, denn du weißt ja nicht ein-

mal, dass ein Metrek1 dazu gehört!“„Verzeih, Herr!“Er gab einen Wink und die Stäbchen wurden gebracht.

Jetzt stieg auch ich auf.Wir machten nun allerdings ganz andere Figuren, als es

der Fall gewesen wäre, wenn wir uns mit den abgetriebe-nen Lastkamelen begnügt hätten. Unsere jetzigen Sättelwaren sehr hübsch mit Troddeln und bunter Stickerei ver-ziert und die Decken so groß, dass sie die Tiere ganz be-deckten. Wir ritten hinaus auf die Straße.

„Wohin?“, fragte ich Albani.„Das überlasse ich Ihnen.“„Gut; also zum Bab el Medina hinaus!“Mein neuer Bekannter zog die Blicke der uns Begeg-

nenden auf sich, seine Kleidung war zu auffällig. Ich lenk-te daher durch mehrere Seitenstraßen und brachte uns nacheinigen Umwegen glücklich zum Tor hinaus. Dort rittenwir im Schritt durch die Ansiedlungen der Nubier undAbessinier und gelangten dann sofort in die Wüste, diesich ohne einen Pflanzenübergangsgürtel bis direkt an dasWeichbild aller Städte des Hedschas erstreckt.

Bis hierher hatte sich Albani leidlich im Sattel gehalten.Nun aber fielen unsere Kamele ganz freiwillig in jenenTrott, der ihre gewöhnliche Gangart ist und durch denjeder Neuling in die eigentümliche Lage versetzt wird, dieSeekrankheit kennen zu lernen, auch ohne einen TropfenSalzwasser gesehen zu haben. Während der ersten Schrittelachte er über sich selbst. Er besaß nicht das Geschick,durch eigene Bewegungen die Stöße zu mildern, die ihmsein Tier erteilte; er schwankte herüber, hinüber, nach hin-ten und nach vorn; seine lange, arabische Flinte war ihmim Weg und sein riesiger Sarras schlug klirrend an die Seite

1 Kleines, nach außen umgebogenes Stöckchen

222

des Kamels. Er nahm ihn also zwischen die Beine, schnalztemit den Fingern und sang:

„Mei Sabel klippert, mei Sabel klappert,mei Sabel macht mir halt Müh,

und das Kamel wickelt, das Kamel wackelt,das Kamel is ein sakrisch Vieh!“

Da gab ich meinem Tier einen leichten Schlag auf dieNase, es stieg empor und schoss dann vorwärts, dass derSand mehrere Ellen hoch hinter mir aufwirbelte. Die bei-den anderen Kamele folgten natürlich und nun war es mitdem Singen aus. Albani hatte den Lenkstab in der linkenund die Flinte in der rechten Faust und gebrauchte diesebeiden Gegenstände als Balancestangen, indem er die Armein der Luft herumwirbelte, um das Gleichgewicht zu er-halten. Er bot einen komischen Anblick dar.

„Hängen Sie das Schießeisen über und halten Sie sichmit beiden Händen am Sattel fest!“, rief ich ihm zu.

„Hat sich sein – hopp! – hat sich sein – öh, brrr, ah! –hat sich sein Überhängen! Ich habe ja gar kei – hopp, au!– gar keine Zeit dazu! Halten Sie doch Ihr ver – hoppsa,öh, brr! – Ihr verwünschtes Viehzeug an!“

„Ich verkomme ja mit ihm!“„Ja, aber das mei – oh, brrr, öh! – das meinige rennt ihm

ja wie bes – hüh, hoppah! – wie besessen nach!“„Halten Sie es an!“„Mit was denn?“„Mit dem Fuß und dem Zügel!“„Den Fuß, den bringe ich ja gar nicht in – hoppsa! –

nicht in die Höhe, und den Zügel, den habe – halt – öh,halt öh! – den habe ich nicht mehr!“

„So müssen Sie warten, bis das Tier von selber steht.“„Aber ich habe gar kei – brr, oh! – gar keinen Atem

mehr!“„So machen Sie den Mund auf, es ist Luft genug da!“

223

Ich wandte mich wieder vorwärts und horchte nichtmehr auf seine Wehrufe. Er befand sich in guten Händen,da Halef an seiner Seite ritt.

Wir hatten nach kurzer Zeit eine kleine Bodenan-schwellung hinter uns und nun breitete sich die offeneEbene vor uns aus. Albani schien sich nach und nach imSattel zurechtzufinden, er klagte nicht mehr. So hatten wirin der Zeit von einer Stunde vielleicht zwei deutsche Mei-len zurückgelegt, als vor uns die Gestalt eines einzelnenReiters auftauchte. Er war wohl eine halbe Meile von unsentfernt und ritt dem Anschein nach ein ausgezeichnetesKamel, denn der Raum verschwand förmlich zwischen ihmund uns und nach kaum zehn Minuten hielten wir einan-der gegenüber.

Er trug die Kleidung eines wohlhabenden Beduinen undhatte die Kapuze seines Burnus weit über das Gesicht ge-zogen. Sein Kamel war mehr wert als unsere drei zusam-men.

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte er mich, während er dieHand entblößte, um die Verhüllung zu entfernen.

„We ’alejkum es selâm!“, antwortete ich. „Welches istdein Weg hier in der Wüste?“

Seine Stimme hatte weich geklungen, fast wie die Stim-me eines Weibes; seine Hand war zwar braun, aber kleinund zart, und als er jetzt die Kapuze entfernte, erblickteich ein vollständig bartloses Gesicht, aus dem mich zweigroße, braune Augen lebhaft musterten – es war keinMann, sondern eine Frau.

„Mein Weg ist überall“, antwortete sie. „Wohin führtdich der deinige?“

„Ich komme von Dschidda, will mein Tier ausreiten unddann wieder nach der Stadt zurückkehren.“

Ihr Angesicht verfinsterte sich und ihr Blick schienmisstrauisch zu werden.

„So wohnst du in der Stadt?“„Nein, ich bin fremd hier.“

224

„Du bist ein Pilger?“Was sollte ich antworten? Ich hatte die Absicht gehabt,

hier für einen Mohammedaner zu gelten; aber da ich di-rekt befragt wurde, so fiel es mir nicht ein, mit einer Lügezu antworten.

„Nein, ich bin kein Hadschi.“„Du bist fremd in Dschidda und kommst doch nicht

her, um nach Mekka zu gehen? Entweder warst du früherin der heiligen Stadt oder du bist kein Rechtgläubiger.“

„Ich war noch nicht in Mekka, denn mein Glaube istnicht der eurige.“

„Bist du ein Jude?“„Nein, ich bin ein Christ.“„Und diese beiden?“„Dieser ist ein Christ wie ich und dieser ist ein Moslem,

der nach Mekka gehen will.“Da hellte sich ihr Gesicht plötzlich auf und sie wandte

sich an Halef.„Wo ist deine Heimat, Fremdling?“„Im Westen, weit von hier, hinter der großen Wüste.“„Hast du ein Weib?“Er staunte ebenso wie ich über diese Frage, die auszuspre-

chen ganz gegen die Sitte des Orients war. Er antwortete:„Nein.“„Bist du der Freund oder der Diener dieses Effendi?“„Ich bin sein Diener und sein Freund.“Da wandte sie sich wieder zu mir:„Effendi, komm und folge mir!“„Wohin?“„Bist du ein Schwätzer oder fürchtest du dich vor einem

Weib?“„Pah! Vorwärts!“Sie wendete ihr Kamel und ritt auf derselben Spur zu-

rück, die die Füße des Tieres vorher im Sand zurückgelas-sen hatten. Ich hielt mich an ihrer Seite und die andernbeiden blieben hinter uns.

225

„Nun“, fragte ich zu Albani zurück, „hatte ich nichtRecht mit dem Abenteuer, das ich Ihnen vorhersagte?“

Albani sang statt der Antwort:

„Dös Dirndel ist saubavom Fuaß bis zum Kopf,

nur am Hals hat’s a Binkerl,dös hoaßt ma an Kropf.“

Das Weib war allerdings nicht mehr jugendlich und dieStrahlen der Wüstensonne sowie die Strapazen und Ent-behrungen hatten ihr Angesicht gebräunt und ihm bereitsFurchen eingegraben; aber einst war sie gewiss nichthässlich gewesen, das sah man ihr heute noch sehr deut-lich an. Was führte sie so ganz allein in die Wüste? Warumhatte sie den Weg nach Dschidda eingeschlagen und kehrtenun mit uns zurück? Warum war sie sichtlich erfreut ge-wesen, als sie hörte, dass Halef nach Mekka gehen wollte,und warum sagte sie nicht, wohin sie uns führte? – Siewar mir ein Rätsel. Sie trug eine Flinte und an ihrem Gür-tel einen Jataghan; ja, in den Sattelriemen des Kamels hattesie sogar einen jener Wurfspieße stecken, die in der Handeines gewandten Arabers so gefährlich sind. Sie machteganz den Eindruck einer selbstständigen, furchtlosenAmazone, und dieses letzte Wort war ganz am Platz, dasolche kriegerischen Frauen in manchen Gegenden desOrients öfter zu sehen sind als im Abendland, wo demWeib doch eine freiere Stellung gewährt ist.

„Was ist das für eine Sprache?“, fragte sie, als sie dieAntwort Albanis hörte.

„Die Sprache der Deutschen.“„So bist du ein Nemsi?“„Ja.“„Die Nemsi müssen tapfere Leute sein.“„Warum?“„Der tapferste Mann war der ‚Sultan el Kebir‘ und den-

226

noch haben ihn die Deutschen, die Österreicher und dieRussen besiegt. Warum werde ich von deinem Auge soscharf betrachtet?“

Sie hatte also von Napoleon und vom Ausgang der ‚Frei-heitskriege‘ gehört, sicher hatte sie eine nicht gewöhnli-che Vergangenheit hinter sich.

„Verzeih mir, wenn mein Auge dich beleidigt hat“, ant-wortete ich. „Ich bin nicht gewohnt, in deinem Land einWeib so kennen zu lernen wie dich.“

„Ein Weib, das Waffen trägt? Das Männer tötet? Dassogar seinen Stamm regiert? Hast du nicht von Ghalijegehört?“

„Ghalije?“, fragte ich, mich besinnend. „War sie nichtBegum ihres Stammes?“

„Ich sehe, dass du sie kennst.“„Ghalije war der eigentliche Scheik ihres Stammes und

schlug in der Schlacht bei Taraba die Truppen des MehmedAli, die Tussun-Bej kommandierte?“

„So ist es. Siehst du nun, dass auch ein Weib sein darfwie ein Mann?“

„Was sagt der Korân dazu?“„Der Korân?“, fragte sie mit einer Gebärde der Gering-

schätzung. „Der Korân ist ein Buch; hier habe ich meinenJataghan, mein Tüfek1 und meinen Dscherid2. Woranglaubst du? An das Buch oder an die Waffen?“

„An die Waffen. Du siehst also, dass ich kein Giaur bin,denn ich denke ganz dasselbe, was du denkst.“

„Glaubst du auch an deine Waffen?“„Ja, noch viel, viel mehr aber an das heilige Kitâb der

Christen.“„Ich kenne es nicht, aber deine Waffen sehe ich.“Das war nun allerdings ein Kompliment für mich, da

der Araber gewohnt ist, den Mann nach den Waffen zubeurteilen, die er trägt. Sie fuhr fort:

„Wer hat mehr Feinde getötet, du oder dein Freund?“

1 Flinte 2 Wurfspieß

227

Kam es auf die Waffen an, so musste Albani allerdingsbedeutend tapferer sein als ich; dennoch war ich überzeugt,dass der gute Triester mit seinem Sarras gewiss noch kei-nem Menschen gefährlich geworden war. Ich antworteteaber ausweichend:

„Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen.“„Wie oft hast du ein Ssâr1 gehabt?“„Noch nie. Mein Glaube verbietet mir, selbst meinen

Feind zu töten, er wird getötet durch das Gesetz.“„Aber wenn jetzt Abu Sejf käme und dich töten wollte?“„So würde ich mich wehren und ihn im Notfall töten,

denn die Notwehr ist erlaubt. Aber du sprichst vom ‚Vaterdes Säbels‘; kennst du ihn?“

„Ich kenne ihn. Auch du nennst seinen Namen; hast duvon ihm gehört?“

„Ich habe nicht bloß von Abu Sejf gehört, sondern ihngesehen.“

Sie wandte sich mit einer raschen Bewegung zu mir he-rum.

„Gesehen? Wann?“„Vor noch nicht vielen Stunden.“„Und wo?“„Zuletzt auf seinem Schiff. Ich war sein Gefangener und

bin ihm gestern entflohen.“„Wo ist sein Schiff?“Ich deutete die Richtung an, in der ich es noch vermu-

ten musste.„Dort liegt es in einer Bucht versteckt.“„Und er ist darauf?“„Nein. Er ist in Mekka, um dem Großscherif ein Ge-

schenk zu bringen.“„Der Großscherif ist nicht in Mekka, sondern in Tajf.

Ich habe dir eine große Botschaft zu verdanken. Komm!“Sie trieb ihr Hedschîn zu größerer Eile an und lenkte

nach einiger Zeit nach rechts ein, wo eine Reihe von Bo-

1 Blutrache

228

denerhebungen am Horizont sichtbar wurde. Als wir nä-her kamen, bemerkte ich, dass dieser Höhenzug aus dem-selben schönen grauen Granit bestand, wie ich ihn späterbei Mekka wieder fand. In einer Talmulde standen einigeZelte. Sie deutete mit der Hand darauf und meinte:

„Dort wohnen sie.“„Wer?“„Die Beniküfr1 vom Stamm der Atejbeh.“„Ich denke, die Atejbeh wohnen in Es Sallaleh, Taleh

und dem Wadi En Nobejat?“„Du bist recht unterrichtet, aber komm. Du sollst alles

erfahren!“Vor den Zelten lagen wohl an die dreißig Kamele neben

einigen Pferden am Boden und eine Anzahl dürrer, strup-piger Wüstenhunde erhob bei unserem Nahen ein wüten-des Geheul, infolgedessen die Insassen der Zelte hervor-traten. Sie hatten ihre Waffen ergriffen und zeigten einsehr kriegerisches Aussehen.

„Wartet hier!“, befahl die Gebieterin.Sie ließ ihr Kamel niederknien, stieg ab und trat zu den

Männern. Mein Gespräch mit ihr war weder von Albaninoch von Halef vernommen worden.

„Sihdi“, fragte Halef, „zu welchem Stamm gehören die-se Leute?“

„Zum Stamm der Atejbeh.“„Ich habe von ihm gehört. Zu ihm zählen die tapfersten

Männer dieser Wüste und keine Pilgerkarawane ist vorihren Kugeln sicher. Sie sind die größten Feinde derDschehejne, zu denen Abu Sejf gehört. Was will das Weibvon uns?“

„Ich weiß es noch nicht.“„So werden wir es erfahren. Aber halte deine Waffen

bereit, Sihdi, ich traue ihnen nicht, denn es sind Ausge-stoßene und Verfluchte.“

„Woran erkennst du dies?“

1 Verfluchten

229

„Weißt du nicht, dass alle Bedwân1, die in der Gegendvon Mekka wohnen, die Tropfen von den Wachslichtern,die Asche von dem Räucherholz und den Staub von derTürschwelle der Kaaba sammeln und sich damit die Stirneinreiben? Diese Männer hier aber haben nichts an ihrenStirnen, sie dürfen nicht nach Mekka und nicht zur Kaaba,sie sind verflucht.“

„Aus welchem Grund kann man sie ausgestoßen haben?“„Das werden wir vielleicht von ihnen erfahren.“Unterdessen hatte die Frau einige Worte zu den Män-

nern gesprochen, worauf einer von ihnen sich uns näher-te. Es war ein Greis von ehrwürdigem Aussehen.

„Allah segne Eure Ankunft! Steigt ab und tretet in unse-re Zelte. Ihr sollt unsere Gäste sein.“

Diese letztere Versicherung gab mir die Überzeugung,dass wir keinerlei Gefahr bei ihnen zu fürchten hatten.Hat der Araber einmal das Wort Musâfir2 ausgesprochen,so darf man ihm volles Vertrauen schenken. Wir stiegenvon unseren Tieren und wurden in eins der Zelte geführt,wo wir uns niederließen und mit einem frugalen Mahlbewirtet wurden. Während wir aßen, wurde kein Wortgesprochen. Dann aber wurde uns je ein Bery gereicht,und während wir den scharfen Tumbak-Tabak rauchten,der wohl aus Bagdad oder Basra stammte, begann dieUnterhaltung.

Dass wir nur ein Bery erhielten, war ein sicherer Be-weis, dass diese Leute keine Reichtümer besaßen. In derGegend der heiligen Stadt raucht man nämlich aus dreier-lei Pfeifensorten. Die erste und kostbarste Sorte ist dieChedra. Sie ruht gewöhnlich auf einem Dreifuß, bestehtaus gediegenem, schön ziseliertem Silber und ist mit ei-nem langen Schlauch versehen, der Leijeh genannt wirdund je nach dem Reichtum des Besitzers mit Edelsteinenoder anderem Schmuck geziert ist. Aus der Chedra rauchtman meist nur den köstlichen Tabak von Schiras. Die zwei-

1 Beduinen 2 Gast

230

te Art der Pfeifen ist der Schischeh. Er ist der Chedra ziem-lich ähnlich, nur etwas kleiner und weniger kostbar. Diedritte und gewöhnlichste Sorte ist der Bery. Er besteht auseiner mit Wasser gefüllten Kokosschale, in der der Kopfund – statt des Schlauches – ein Rohr befestigt wird.

Es waren über zwanzig Männer im Zelt. Der Alte, deruns begrüßt hatte, führte das Wort:

„Ich bin der Scheik el Urdi1 und habe mit dir zu reden,Effendi. Die Sitte verbietet, den Gast mit Fragen zu quä-len, aber ich werde dich dennoch nach einigem fragenmüssen. Erlaubst du es mir?“

„Ich erlaube es.“„Du gehörst zu den Naßrani?“„Ja, ich bin ein Christ.“„Was tust du hier im Land der Gläubigen?“„Ich will dieses Land und seine Bewohner kennen lernen.“Er machte ein sehr zweifelndes Gesicht.„Und wenn du es kennen gelernt hast, was tust du dann?“„Ich kehre in meine Heimat zurück.“„Allah akbar – Gott ist groß und die Gedanken der

Naßrani sind unerforschlich! Du bist mein Gast und ichwerde glauben, was du sagst. Ist dieser Mann dein Die-ner?“

Er deutete dabei auf Halef.„Er ist mein Diener und Freund.“„Mein Name ist Malek. Du hast mit Amscha Bint Scheik

Malek2 gesprochen; sie sagte mir, dass dein Diener nachMekka gehen wolle, um ein Hadschi zu werden.“

„Sie hat dir recht berichtet.“„Du wirst auf ihn warten, bis er zurückkehrt?“„Ja.“„Wo?“„Ich weiß es noch nicht.“„Du bist ein Fremdling, aber du kennst die Sprache der

Gläubigen. Weißt du, was ein Delîl ist?“

1 Gebieter des Lagers 2 Amscha, Tochter des Scheik Malek

231

„Ein Delîl ist ein Führer, der das Gewerbe treibt, denPilgern die heiligen Orte und die Merkwürdigkeiten vonMekka zu zeigen.“

„Du weißt es. Aber ein Delîl betreibt auch noch ein an-deres Geschäft. Es ist den ledigen Frauen verboten, dieheilige Stadt zu betreten. Wenn nun eine Jungfrau nachMekka will, so geht sie nach Dschidda und vermählt sichder Form nach mit einem Delîl. Er bringt sie als sein Weibnach Mekka, wo sie die Firâd und Watschibât1 erfüllt; wenndies geschehen ist, gibt er sie wieder los, sie bleibt eineJungfrau und er wird für seine Mühe bezahlt.“

„Auch dies weiß ich.“Die Einleitung des alten Scheiks machte mich neugie-

rig. Welche Absichten leiteten ihn, die Pilgerfahrt Halefsmit dem Amt eines Delîl in Verbindung zu bringen? Ichsollte es sofort erfahren, denn ohne jeden Übergang bat er:

„Erlaube deinem Diener, für die Zeit seiner Hadsch einDelîl zu sein!“

Das war überraschend.„Wozu?“, fragte ich ihn.„Das werde ich dir sagen, nachdem du die Erlaubnis

ausgesprochen hast.“„Ich weiß nicht, ob er darf. Die Delîls sind Beamte, die

jedenfalls von der Behörde eingesetzt werden.“„Wer will ihm verbieten, eine Jungfrau zu heiraten und

sie nach der Pilgerfahrt wieder freizugeben?“„Das ist richtig. Was mich betrifft, so gebe ich meine

Erlaubnis gern, wenn du denkst, dass sie erforderlich ist.Er ist ein freier Mann, du musst dich an ihn selbst wen-den.“

Es war ein förmlicher Genuss, das Gesicht meines gutenHalef zu beobachten. Er war ganz verdutzt.

„Willst du es tun?“, fragte ihn der Alte.„Darf ich das Mädchen vorher sehen?“Der Scheik lächelte ein wenig und antwortete dann:

1 Unerlässliche und erforderliche Handlungen

232

„Warum willst du sie vorher sehen? Ob sie alt ist oderjung, ob schön oder hässlich, das ist ganz gleichgültig, denndu wirst sie nach der Hadsch doch wieder freigeben.“

„Sind die Benât el Arab1 wie die Töchter der Türken,die sich nicht sehen lassen dürfen?“

„Die Töchter der Araber brauchen ihr Gesicht nicht zuverbergen. Du sollst das Mädchen sehen.“

Auf seinen Wink erhob sich einer der Anwesenden vomBoden und verließ das Zelt. Nach kurzer Zeit trat er miteinem Mädchen ein, dessen Ähnlichkeit mit der Amazonemich erraten ließ, dass sie ihre Tochter sei.

„Das ist sie, blick sie an!“, sagte der Scheik.Halef machte von dieser Erlaubnis einen sehr ausgiebigen

Gebrauch. Die vielleicht fünfzehnjährige, aber bereits voll-ständig erwachsene dunkeläugige Schöne schien ihm zugefallen.

„Wie heißt du?“, fragte er sie.„Hanneh2“, antwortete sie.„Dein Auge glänzt wie Nur el Kamar3, deine Wangen

leuchten wie Ashar4, deine Lippen glühen wie Rumman5

und deine Wimpern sind schattig wie die Blätter von etTalh6. Mein Name lautet Halef Omar Ben Hadschi AbulAbbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, und wenn ich kann,so werde ich deinen Wunsch erfüllen.“

Die Augen meines Halef leuchteten auch, aber nicht bloßwie Nur el Kamar, sondern wie Nur esch Schems7, seine Spra-che trieb poetische Blüten; vielleicht stand er am Rand dessel-ben Abgrunds, der die Hadschi-Hoffnungen seines Vaters undGroßvaters, weiland Abul Abbas und Dawuhd al Gossarah,verschlungen hatte: des Abgrunds der Liebe und der Ehe.

Das Mädchen entfernte sich wieder und der Scheik fragteihn:

„Wie lautet dein Entschluss?“„Frage meinen Sihdi. Wenn er nicht abrät, werde ich

deinen Wunsch erfüllen.“1 Töchter der Araber; benât = Plural 2 Anna 3 Licht des Mondes4 Blumen 5 Granatäpfel 6 Akazie 7 Sonnenlicht

233

„Dein Herr hat bereits gesagt, dass er dir die Erlaubnisgibt.“

„So ist es!“, stimmte ich bei. „Aber sage uns nun auch,warum dieses Mädchen nach Mekka soll und warum siesich nicht in Dschidda einen Delîl sucht?“

„Kennst du Achmet Izzet Pascha?“„Den Gouverneur von Mekka?“„Ja, du musst ihn kennen, denn jeder Fremdling, der

Dschidda betritt, stellt sich ihm vor, um seinen Schutz zuerhalten.“

„Er wohnt also in Dschidda? Ich bin nicht bei ihm ge-wesen, ich brauche nicht den Schutz eines Türken.“

„Du bist zwar ein Christ, aber du bist ein Mann. DerSchutz des Pascha ist nur gegen hohen Preis zu erhalten.Ja, er wohnt nicht in Mekka, wohin er eigentlich gehört,sondern in Dschidda, weil dort der Hafen ist. Sein Gehaltbeträgt über eine Million Piaster, aber er weiß sein Ein-kommen bis auf das Fünffache zu bringen. Ihm muss je-der zahlen, sogar der Schmuggler und der Seeräuber, unddarum eben wohnt er in Dschidda. Man sagte mir, dassdu Abu Sejf gesehen hast?“

„Ich habe ihn gesehen.“„Nun, dieser Räuber ist ein guter Bekannter des Pascha.“„Nicht möglich!“„Warum nicht? Was ist vorteilhafter: einen Dieb zu tö-

ten – oder ihn leben zu lassen, um eine Rente von ihm zubeziehen? Abu Sejf ist ein Dschehejne, ich bin ein Atejbeh.Diese beiden Stämme leben in Todfeindschaft, dennochwagte er es, sich an unser Duar zu schleichen und mirmeine Tochter zu rauben. Er zwang sie, sein Weib zu sein;aber sie entkam ihm einst und brachte mir ihre Tochtermit zurück. Du hast beide gesehen: Mit meiner Tochterbist du angekommen und die ihrige war soeben hier imZelt. Seit jener Zeit suche ich ihn, um mit ihm abzurech-nen. Einmal habe ich ihn gefunden, das war im Sseraj1

1 Palast

234

des Statthalters. Dieser schützte den Räuber und ließ ihnentkommen, während ich vor dem Tor auf ihn lauerte.Später einmal sandte mich der Scheik meines Stammes mitdiesen Männern hier nach Mekka, um eine Opfergabe nachder Kaaba zu bringen. Wir lagerten nicht weit von derPforte er Ramah; da sah ich Abu Sejf mit einigen seinerLeute kommen, er wollte das Heiligtum besuchen. DerZorn übermannte mich, ich ergriff ihn, obwohl bei derKaaba jeder Streit verboten ist. Ich wollte ihn nicht töten,sondern ihn nur zwingen, mir zu folgen, um draußen vorder Stadt mit ihm zu kämpfen. Er wehrte sich und seineMänner halfen ihm. Es entspann sich ein Kampf, der da-mit endete, dass die Wächter herbeieilten und uns gefan-gen nahmen, ihm aber und den Seinigen die Freiheit lie-ßen. Zur Strafe wurden uns die heiligen Orte verboten.Unser ganzer Stamm wurde verflucht und musste uns aus-stoßen, um des Fluchs wieder ledig zu werden. Nun sindwir geächtet. Aber wir werden uns rächen und diese Ge-gend verlassen. Du bist Gefangener des Abu Sejf gewe-sen?“

„Ja.“„Erzähle!“Ich gab ihm einen kurzen Bericht über das Abenteuer.„Weißt du den Ort genau, an dem sein Schiff verborgen

liegt?“„Ich würde ihn selbst bei Nacht wieder finden.“„Willst du uns hinführen?“„Ihr werdet die Dschehejne töten?“„Ja.“„So verbietet mir mein Glaube, euer Führer zu sein.“„Du darfst dich nicht rächen?“„Nein, denn unsere Religion gebietet uns, selbst unsere

Feinde zu lieben. Nur die Behörde hat das Recht, den Bösenzu bestrafen, und ihr seid keine Richter.“

„Deine Religion ist lieblich, wir aber sind keine Christenund werden den Feind bestrafen, weil er beim Richter

235

Schutz finden würde. Du hast mir den Ort beschriebenund ich werde das Schiff auch ohne deine Hilfe entde-cken. Nur versprich mir, dass du die Dschehejne nicht war-nen willst.“

„Ich werde sie nicht warnen, denn ich habe keine Lust,ihr Gefangener noch einmal zu sein.“

„So sind wir einig. Wann wird Halef nach Mekka ge-hen?“

„Morgen, wenn du es mir erlaubst, Sihdi“, antworteteder Kleine an meiner Stelle.

„Du kannst morgen gehen.“„So lass ihn gleich bei uns bleiben“, bat der Scheik. „Wir

werden ihn so weit an die Stadt begleiten, als wir ihr na-hen dürfen, und ihn dir dann zurückbringen.“

Da kam mir ein Gedanke, dem ich sofort Ausdruck gab:„Darf ich mit euch ziehen und bei euch auf ihn war-

ten?“Ich bemerkte sofort, dass dieser Wunsch allgemeine Freu-

de erregte.„Effendi, ich sehe, dass du die Ausgestoßenen nicht ver-

achtest“, antwortete der Scheik. „Du sollst uns willkom-men sein! Du bleibst gleich hier bei uns und hilfst uns amAbend den Sawâdsch1 schließen.“

„Das geht nicht. Ich muss zuvor nach Dschidda zurück,um meine Geschäfte abzuschließen. Mein Wirt muss wis-sen, wo ich mich befinde.“

„So werde ich dich bis vor die Tore der Stadt begleiten.Auch diese selbst darf ich nicht betreten, denn sie ist eineheilige Stadt. Wann willst du reiten?“

„Sogleich, wenn es dir beliebt. Ich brauche nur wenigZeit, um wieder zu dir zurückzukehren. Soll ich dir einenKadi oder Mullah bestellen für den Abschluss der Verhei-ratung?“

„Wir brauchen weder einen Kadi noch einen Mullah.Ich bin der Scheik meines Lagers und was vor mir ge-

1 Verheiratung

236

schieht, hat Kraft und Gültigkeit. Aber ein Pergament oderein Papier magst du mir bringen, auf das wir den Vertragniederschreiben. Das Mühür und Mühür mumu1 habeich.“

In kurzer Zeit standen die Kamele bereit, wir stiegenauf. Die kleine Truppe bestand außer uns dreien aus demScheik, seiner Tochter und fünf Atejbeh. Ich folgte demAlten ohne Einrede, obgleich ich bemerkte, dass er nichtden geraden Weg einschlug, sondern sich mehr rechts nachdem Meer zu hielt. Albani hatte jetzt nicht mehr so vielNot wie vorher, sich auf seinem Kamel zu halten, und dielangen Beine der Tiere warfen den Weg förmlich hintersich.

Da hielt der Scheik an und deutete mit der Hand seit-wärts.

„Weißt du, was da drüben liegt, Effendi?“„Was?“„Die Bucht, in der das Schiff des Räubers liegt. Habe

ich es erraten?“„Du kannst es denken, aber du sollst mich nicht fra-

gen.“Er hatte ganz richtig geraten und schwieg. Wir ritten

weiter. Nach einiger Zeit zeigten sich zwei kleine Punkteam Horizont, gerade in Richtung auf Dschidda zu. Wie esschien, kamen sie uns nicht entgegen, sondern verfolgteneine Richtung, die sie nach der soeben erwähnten Buchtbringen musste. Es waren Fußgänger, wie ich durch dasFernrohr erkannte. Das musste hier in der Wüste auffal-len und es lag der Gedanke nahe, dass sie zu den Leutenvon Abu Sejf gehörten. Es war sehr zu vermuten, dass meinWächter dem Kapitän unsere Flucht hatte melden lassen,und in diesem Fall konnten diese beiden Männer die jetztzurückkehrenden Boten sein.

Auch Malek hatte sie erkannt und beobachtete sie scharf.Dann wandte er sich zu seinen Leuten und flüsterte ihnen

1 Petschaft und Siegellack

237

eine Weisung zu. Sofort wandten sich drei von ihnen inder Richtung zurück, aus der wir gekommen waren. Ichdurchschaute die Absicht. Malek vermutete ganz dasselbewie ich und wollte die Männer in seine Gewalt bekom-men. Um dies zu bewirken, musste er ihnen den Weg nachder Bucht abschneiden, aber so, dass sie es nicht merkten.Daher schob er seine drei Männer nicht schräg vor, son-dern er ließ sie scheinbar zurückkehren und dann, sobaldsie aus dem Gesichtskreis der Betreffenden verschwundenwaren, einen Bogen schlagen. Während wir anderen un-seren Weg fortsetzten, fragte er:

„Effendi, willst du ein wenig auf uns warten oder reitestdu nach der Stadt, wo du uns dann am Tor finden wirst?“

„Du willst diese Männer sprechen und ich werde bei dirbleiben, bis du mit ihnen geredet hast.“

„Es sind vielleicht Dschehejne!“„Ich denke es auch. Deine drei Männer schneiden sie

vom Schiff ab; reite du hier schief hinüber und ich willmit Halef unsere bisherige Richtung fortsetzen, damit esihnen nicht einfällt, nach Dschidda zurückzufliehen.“

„Dein Rat ist gut, ich folge ihm.“Er bog ab und ich gab Albani einen Wink, sich ihm

anzuschließen. Dieser hatte es so leichter, da ich mit Halefden schärfsten Galopp einschlagen musste. Wir zwei flo-gen wie im Sturm dahin und lenkten, als wir in gleicherLinie mit den Verfolgten waren, hinter ihrem Rücken ein.Sie merkten erst jetzt unsre Absicht und zögerten. Hintersich hatten sie mich mit Halef, seitwärts von ihnen kamMalek auf sie zu und nur der Weg vor ihnen schien nochfrei zu sein. Sie setzten ihn mit doppelter Eile fort, warenaber noch nicht weit gekommen, als die drei Atejbeh vorihnen auftauchten. Obwohl es ihnen in dieser Entfernungnicht möglich gewesen war, einen von uns zu erkennen,mussten sie doch Feinde in uns vermuten und versuchten,uns im schnellsten Lauf zu entkommen. Es gab eine Mög-lichkeit dazu. Sie waren bewaffnet. Wenn sie sich teilten,

238

so mussten wir dies auch tun und dann war es einem si-cher zielenden Fußgänger nicht ganz unmöglich, es mitzwei und auch drei Kamelreitern aufzunehmen. Sie aberkamen auf diesen Gedanken entweder nicht oder es fehlteihnen an Mut, ihn auszuführen. Sie blieben beisammenund wurden von uns zu gleicher Zeit umringt. Ich erkanntesie auf der Stelle, es waren wirklich zwei von den Schiffs-leuten.

„Woher kommt ihr?“, fragte der Scheik.„Von Dschidda“, antwortete der eine.„Wohin wollt ihr?“„In die Wüste, um Trüffel zu suchen.“„Trüffel? Ihr habt weder Tiere noch Körbe bei euch!“„Wir wollen nur erst sehen, ob diese Schwämme hier

wachsen, dann holen wir die Körbe.“„Von welchem Stamm seid ihr?“„Wir wohnen in der Stadt.“Das war nun allerdings frech gelogen, denn diese Män-

ner mussten ja wissen, dass ich sie kannte. Auch Halef ärger-te sich über ihre Dreistigkeit. Er lockerte seine Peitscheund meinte:

„Glaubt ihr etwa, dass dieser Effendi und ich blind ge-worden sind? Ihr seid Schurken und Lügner! Ihr seidDschehejne und gehört zu Abu Sejf. Wenn ihr es nichtgesteht, wird euch meine Peitsche sprechen lehren!“

„Was geht es euch an, wer wir sind?“Ich sprang vom Kamel, ohne es niederknien zu lassen,

und nahm die Peitsche aus Halefs Hand.„Lasst euch nicht auslachen, ihr Männer! Hört, was ich

euch sage! Was diese Krieger vom Stamm der Atejbeh miteuch haben und von euch wollen, das geht mich nichtsan; mir aber sollt ihr Antwort geben auf einige Fragen.Tut ihr es, so habt ihr von mir nichts weiter zu befürch-ten; tut ihr es aber nicht, so werde ich euch mit dieserPeitsche so zeichnen, dass ihr euch nie wieder vor einemfreien, tapferen Ibn Arab sehen lassen könnt!“

239

Mit Schlägen drohen ist eine der größten Beleidigun-gen für einen Beduinen. Die beiden griffen auch sofortnach ihren Messern.

„Wir würden dich töten, ehe du zu schlagen vermagst“,drohte der eine.

„Ihr habt wohl noch nicht erfahren, wie mächtig einePeitsche aus der Haut des Nilpferdes ist, sobald sie sich inder Hand eines Franken befindet. Sie schneidet so scharfwie ein Jataghan, sie fällt schwerer nieder als eine Keuleund sie ist schneller als eine Kugel aus euren Tabandschat1.Seht ihr denn nicht, dass die Waffen aller dieser Männerauf euch gerichtet sind? Lasst also eure Messer im Gürtelund antwortet! Ihr seid also zu Abu Sejf gesandt worden?“

„Ja“, klang es zögernd, da sie bemerkten, dass kein Ent-rinnen war.

„Um ihm zu sagen, dass ich euch entkommen bin?“„Ja.“„Wo habt ihr ihn getroffen?“„In Mekka.“„Wie seid ihr so schnell nach Mekka und wieder zu-

rückgekommen?“„Wir haben uns in Dschidda Kamele gemietet.“„Wie lange bleibt Abu Sejf in der heiligen Stadt?“„Nur kurze Zeit. Er will nach Tajf, wo sich der Scherif

Emir befindet.“„So bin ich jetzt mit euch fertig.“„Sihdi, du willst diese Räuber entkommen lassen?“, rief

Halef. „Ich werde sie erschießen, damit sie keinem mehrschaden können.“

„Ich habe ihnen mein Wort gegeben und das wirst dumit mir halten. Folge mir!“

Ich stieg wieder auf und ritt davon. Halef folgte mir,Albani aber blieb noch zurück. Er hatte seinen langenSarras gezogen; doch hatte ich das gute Vertrauen, dassdiese energische Pantomime sehr unschädlicher Natur sein

1 Pistolen

240

werde. Er blieb auch wirklich sehr gelassen auf seinem Ka-mel sitzen, als die Atejbeh absprangen, um die Dschehejnezu überwältigen. Es gelang dies, nachdem einige unschäd-liche Messerstöße gewechselt worden waren. Die Gefan-genen wurden je an ein Kamel gebunden und deren Rei-ter wandten sich zurück, um die Gefangenen ins Lager zuschaffen. Die anderen folgten uns.

„Du hast sie begnadigt, Sihdi, aber sie werden dennochsterben“, meinte Halef.

„Ihr Schicksal ist nicht meine und auch nicht deine Sa-che! Bedenke, was du heute werden sollst. Ein Bräutigammuss versöhnlich sein!“

„Sihdi, würdest du den Delîl bei dieser Hanneh machen?“„Ja, wenn ich ein Moslem wäre.“„Sihdi, du bist ein Christ, ein Franke, mit dem man von

diesen Dingen reden kann. Weißt du, was die Liebe ist?“„Ja. Die Liebe ist eine Koloquinte. Wer sie isst, bekommt

Bauchgrimmen.“„O Sihdi, wer wird die Liebe mit einer Koloquinte ver-

gleichen! Allah möge deinen Verstand erleuchten und deinHerz erwärmen! Ein gutes Weib ist wie eine Pfeife vonJasmin und wie ein Beutel, dem nimmer Tabak mangelt.Und die Liebe zu einer Jungfrau, die ist – die ist – wie –der Turban auf einem kahlen Haupt und wie die Sonneam Himmel der Wüste.“

„Ja. Und wen ihre Strahlen treffen, der bekommt denSonnenstich. Ich glaube, du hast ihn schon, Halef. Allahhelfe dir!“

„Sihdi, ich weiß, dass du niemals ein Bräutigam seinwillst; ich aber bin einer und daher ist mein Herz geöffnetwie eine Nase, die den Duft der Blumen trinkt.“

Unser kurzes Gespräch war zu Ende, denn die anderenhatten uns nun eingeholt. Es wurde über das Vorgefallenekein Wort verloren, und als die Stadt in Sicht kam, ließ derScheik seine Tiere halten. Er hatte zwei ledige Kamele mitge-nommen, die uns bei unserer Rückkehr tragen sollten.

241

„Hier werde ich warten, Sihdi“, sagte er. „Welche Zeitwird vergehen, bis du wiederkommst?“

„Ich werde zurück sein, ehe die Sonne einen Weg zu-rückgelegt hat, der so lang ist, wie deine Lanze.“

„Und das Pergament oder Papier wirst du nicht verges-sen?“

„Nein. Ich werde auch Tinte und Feder mitbringen.“„Tu es. Allah schütze dich, bis wir dich wieder sehen!“Die Atejbeh hockten sich neben ihre Kamele nieder und

wir drei ritten in die Stadt.„Nun, war das ein Abenteuer?“, fragte ich Albani.„Allerdings. Und was für eins!“, versicherte er. „Es hätte

ja beinahe Mord und Totschlag gegeben. Ich hielt michwirklich zum Kampf bereit.“

„Ja, Sie hatten ganz das Aussehen eines rasenden Ro-land, mit dem nicht gut Kirschen zu essen ist. Wie ist Ih-nen der Ritt bekommen?“

„Hm! Anfangs haben Sie mich bedeutend in Trab ge-bracht, dann aber ging es leidlich. Ich lobe mir ein gutesdeutsches Kanapee! – Sie wollen mit diesen Arabern ge-hen? So werden wir uns wohl nicht wieder sehen.“

„Wahrscheinlich. Da Sie ja die nächste Gelegenheit zurAbreise benutzen wollen. Doch habe ich so viele Beispieleeines ganz unerwarteten Zusammentreffens erlebt, dassich ein Wiedersehen zwischen uns nicht für unmöglichhalte.“

Diese Worte sollten sich später wirklich erfüllen. Fürjetzt aber nahmen wir, nachdem wir dem Kamelverleiherseine Tiere zurückgebracht hatten, einen so herzlichenAbschied, wie es Landsleuten ziemt, die sich in der weitenFerne getroffen haben. Dann begab ich mich mit Halefnach meiner Wohnung, um meine Habseligkeiten zusam-menzupacken und mich von Tamaru, dem Wirt, zu verab-schieden. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich seine Woh-nung so bald aufgeben würde. Auf zwei gemieteten Eselnritten wir wieder zur Stadt hinaus. Dort wurden die har-

242

renden Kamele bestiegen, worauf wir mit den Atejbeh nachihrem Lager ritten.

Während des Rittes ging es sehr einsilbig zu. Am schweig-samsten war die Tochter des Scheiks. Sie sprach kein Wort;aber in ihren Augen glühte ein schlimmes Feuer, und wennsie nach links hinüberblickte, wo sie hinter dem niedrigenHorizont das Schiff des Abu Sejf vermuten musste, fassteihre Rechte stets entweder den Griff ihres Chandschâr oderden Kolben der langen Flinte, die quer über ihrem Sattel lag.

Als wir in der Nähe des Lagers anlangten, ritt Halef zumir heran.

„Sihdi“, fragte er, „wie sind die Gebräuche deines Lan-des? Hat dort einer, der sich ein Weib nimmt, die Braut zubeschenken?“

„Das tut wohl ein jeder bei uns und auch bei euch.“„Ja, auch in Dschesiret el Arab und im ganzen Schark1

ist das Sitte. Aber da Hanneh nur zum Schein für einigeTage meine Frau werden soll, so weiß ich nicht, ob einGeschenk erforderlich ist.“

„Ein Geschenk ist eine Höflichkeit, die wohl immer an-genehme Gefühle erregt. Ich an deiner Stelle würde höf-lich sein.“

„Aber was soll ich ihr geben? Ich bin arm und auch garnicht auf eine Hochzeit vorbereitet. Meinst du, dass ichihr vielleicht mein Tschakmak2 verehre?“

Er hatte sich nämlich in Kairo ein kleines Döschen ausHartpappe gekauft und verwahrte darin die Zündhölzer.Das Ding hatte für ihn einen großen Wert, weil er demHändler das Zwanzigfache für die Dose bezahlt hatte, diekaum dreißig Pfennig wert war. Die Liebe brachte ihn zudem heroischen Entschluss, seinem kostbaren Besitztumzu entsagen.

„Gib es ihr“, antwortete ich ernsthaft.„Gut, sie soll es haben! Aber wird sie es mir auch wie-

dergeben, wenn sie meine Frau nicht mehr ist?“

1 Osten 2 Feuerzeug

243

„Sie wird es behalten.“„Allah kerîm – Gott ist gnädig, er wird mich nicht um

das Meinige kommen lassen! Was soll ich tun, Sihdi?“„Wenn dir das Tschakmak so lieb ist, so gib ihr etwas an-

deres!“„Was denn? Ich habe weiter nichts. Ich kann ihr doch

weder meinen Turban noch meine Flinte noch die Nilpferd-peitsche geben!“

„So gib ihr nichts.“Er schüttelte besorgt den Kopf.„Auch das geht nicht an, Sihdi. Sie ist meine Braut und

muss irgendetwas erhalten. Was sollen die Atejbeh von dirdenken, wenn dein Diener ein Weib nimmt, ohne es zubeschenken?“

Ah! Der Schlaukopf fand sich also bewogen, an meinenEhrgeiz und infolgedessen natürlich auch an meinen Beu-tel zu appellieren.

„Preis sei Allah, der dein Gehirn erleuchtet, Halef! Mirgeht es aber ebenso wie dir. Ich kann deiner Braut wedermeinen Hajk noch meine Jacke noch meine Büchse schen-ken!“

„Allah ist gerecht und barmherzig, Effendi, er bezahltfür jede Gabe tausendfältige Zinsen. Trägt dein Kamel nichtauch ein Ledersäckchen, in dem du Dinge verborgen hast,die eine Braut in Entzücken versetzen würden?“

„Und wenn ich dir etwas davon geben wollte, würde iches wiederbekommen, wenn Hanneh nicht mehr dein Weibist?“

„Du musst es zurückfordern!“„Das ist nicht Sitte bei uns Franken. Aber weil du mir

tausendfältige Zinsen in Aussicht stellst, so werde ich nach-her das Säckchen öffnen und sehen, ob ich etwas für dichfinde.“

Da richtete er sich erfreut im Sattel empor.„Sihdi, du bist der weiseste und beste Effendi, den Allah

erschaffen hat. Deine Güte ist breiter als die Sahara und

244

deine Wohltätigkeit länger als der Nil. Dein Vater war derberühmteste und der Vater deines Vaters der erhabensteMann unter allen Leuten im Königreich Nemsistan. Dei-ne Mutter war die schönste der Rosen und die Mutter dei-ner Mutter die lieblichste Blume des Abendlandes. DeineSöhne mögen zahlreich sein wie die Sterne am Himmel,deine Töchter wie der Sand in der Wüste und die Kinderdeiner Kinder zahllos wie die Tropfen des Meeres!“

Es war ein Glück, dass wir jetzt das Lager erreichten,sonst hätte seine Dankbarkeit mich noch zum Ahnherrneines ganzen Volkes gemacht. Was das Ledersäckchen be-trifft, das er erwähnt hatte, so enthielt es allerdings Ver-schiedenes, was sich ganz vortrefflich zu einem Geschenkfür ein Beduinenmädchen eignete. Der KaufmannssohnIsla Ben Maflei hatte nämlich, als unsere Nilfahrt beendetwar und wir voneinander in Kairo schieden, es sich nichtnehmen lassen, mich mit einer Sammlung von Dingenauszurüsten, die auf meinen weiteren Wanderungen alsGeschenke dienen konnten, um mir dadurch Gefälligkei-ten zu erwerben. Es waren lauter Gegenstände, die nichtviel Platz wegnahmen und dabei an sich zwar keinen allzugroßen Wert besaßen, bei den Bewohnern der Wüsten-länder aber zu den größten Seltenheiten gehörten.

Während unserer Abwesenheit war eins der Zelte ge-räumt und für mich hergerichtet worden. Als ich davonBesitz ergriffen hatte, öffnete ich den Ledersack und nahmein Medaillon hervor, unter dessen Glasdeckel ein kleinesTeufelchen sich künstlich bewegte. Es war ganz auf diesel-be Weise gearbeitet wie zum Beispiel die Manschettenknöp-fe mit künstlichen Schildkröten und hing an einer Kettevon Glasfacetten, die bei Licht oder Feuerschein in allenRegenbogenfarben funkelten. Der Schmuck hätte in Parisgewiss nicht mehr als zwei Francs gekostet. Ich zeigte ihnHalef.

Der Kleine warf einen Blick darauf und fuhr erschro-cken zurück.

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„Maschallah – Wunder Gottes! Das ist ja der Schejtan,den Gott verfluchen möge! Sihdi, wie bekommst du denTeufel in deine Gewalt? La ilâha ill’ Allah, we Mohammedresûl Allah! Behüte uns, Herr, vor dem dreimal gesteinig-ten Teufel, denn nicht ihm, sondern dir allein wollen wirdienen!“

„Er kann dir nichts tun, denn er ist fest eingeschlos-sen.“

„Er kann nicht heraus, wirklich nicht?“„Nein.“„Kannst du mir das bei deinem Bart versichern?“„Bei meinem Bart!“„So zeig einmal her, Sihdi! Aber wenn es ihm gelingt,

herauszukommen, so bin ich verloren und meine Seelekomme über dich und deine Väter!“

Er fasste die Kette sehr vorsichtig mit den äußersten Fin-gerspitzen, legte das Medaillon auf den Erdboden undkniete nieder, um es genau zu betrachten.

„Wallahi – billahi – tallahi – bei Allah, es ist der Schejtan!Siehst du, wie er das Maul aufreißt und die Zunge hervor-streckt? Er verdreht die Augen und wackelt mit den Hör-nern; er ringelt den Schwanz, droht mit den Krallen undstampft mit den Füßen! Aman – wehe, wenn er das Käst-chen zertritt!“

„Das kann er nicht. Er ist ja nur eine künstlich verfer-tigte Figur!“

„Eine künstliche Figur, von Menschenhänden gemacht?Sihdi, du täuschst mich, damit ich Mut bekommen soll.Wer kann den Teufel machen? Kein Mensch, kein Gläubi-ger, kein Christ und auch kein Jude! Du bist der größteAlim und der kühnste Held, den die Erde trägt, denn duhast den Schejtan bezwungen und in dieses enge Sindân1

gesperrt! Hamdulillah, denn nun ist die Erde sicher vorihm und seinen Geistern und alle Nachkommen des Pro-pheten können jauchzen und sich freuen über die Qua-

1 Gefängnis

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len, die er hier auszustehen hat! Warum zeigst du mir die-se Kette, Sihdi?“

„Du sollst sie deiner Braut zum Geschenk machen.“„Ich?! Diese Kette, die kostbarer ist als alle Diamanten

im Thron des großen Mogul? Wer diese Kette besitzt, derwird berühmt unter allen Söhnen und Töchtern der Gläu-bigen. Willst du sie wirklich verschenken?“

„Ja.“„So sei gütig, Sihdi, und erlaube, dass ich sie für mich

behalte! Ich werde dem Mädchen doch lieber mein Feuer-zeug geben.“

„Nein, du gibst ihr diese Kette. Ich befehle es dir!“„Dann muss ich gehorchen. Aber wo hast du sie und die

andern Sachen gehabt, ehe du sie gestern in das Säckchentatest?“

„Von Kâhira bis hierher ist eine gefährliche Gegend unddarum habe ich diese Kostbarkeiten in den Beinen meinerSchalwars1 bei mir getragen.“

„Sihdi, deine Klugheit und Vorsicht geht noch über dieList des Teufels, den du gezwungen hast, in deinen Schalwarszu wohnen. Wann soll ich Hanneh die Kette geben?“

„Sobald sie dein Weib geworden ist.“„Sie wird die berühmteste sein unter allen Benât el Arab,

denn alle Stämme werden erzählen und rühmen, dass sieden Schejtan gefangen hält. Darf ich auch die anderenSchätze sehen?“

Es kam nicht dazu, denn der Scheik schickte jetzt undließ mich und Halef zu sich bitten. Wir fanden in seinemZelt alle Atejbeh versammelt.

„Sihdi, hast du ein Pergament mitgebracht?“, fragte Malek.„Ich habe Papier, das so gut ist wie Pergament.“„Willst du den Vertrag schreiben?“„Wenn du es wünschst, ja.“„So können wir beginnen?“Halef, an den diese Frage gerichtet war, nickte und so-

1 Weite türkische Hosen

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gleich erhob sich einer der anwesenden Männer, um ihnzu fragen:

„Wie lautet dein voller, ganzer Name?“„Ich heiße Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn

Hadschi Dawuhd al Gossarah.“„Aus welchem Land stammst du?“„Ich stamme aus dem Garb1, wo die Sonne hinter der

großen Wüste untergeht.“„Zu welchem Stamm gehörst du?“„Der Vater meines Vaters, die beide Allah segnen möge,

bewohnte mit dem berühmten Stamm der Uled Selim dengroßen Dschebel Schur Schum.“

Der Frager, der jedenfalls ein Verwandter der Braut war,wandte sich nun an den Scheik.

„Wir alle kennen dich, o Tapferer, o Wackerer, o Weiserund Gerechter. Du bist Hadschi Malek Ben AchmedChalid Ibn Abul Ali Abu Abdelatif el Hanifi, ein Scheikdes tapferen Stammes der Beni Atejbeh. Hier dieser Mannist ein Held vom Stamm Uled Selim, der auf den Bergenwohnt, die bis zum Himmel reichen und Dschebel SchurSchum heißen. Er führt den Namen Halef Omar BenHadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarahund ist der Freund eines großen Effendi aus Franghistan,den wir als Gast in unsere Zelte aufgenommen haben. Duhast eine Enkelin. Ihr Name ist Hanneh, ihr Haar ist wieSeide, ihre Haut wie Öl und ihre Tugenden sind rein undglänzend wie die Flocken des Schnees, die auf dem Gebir-ge wehen. Halef Omar begehrt sie zum Weib. Sprich, oScheik, was du dazu zu sagen hast!“

Der Angeredete gab sich den Anschein würdevollenNachdenkens und antwortete dann:

„Du hast gesprochen, mein Sohn. Setze dich nun undhöre auch meine Rede. Dieser Halef Omar Ben HadschiAbul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah ist ein Held,dessen Ruhm schon vor Jahren bis zu uns gedrungen ist.

1 Westen

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Sein Arm ist unüberwindlich, sein Lauf gleicht dem derGazelle, sein Auge hat den Blick des Adlers, er wirft denDscherid mehrere hundert Schritte weit, seine Kugel trifftstets sicher und sein Chandschâr hat das Blut schon vielerFeinde gesehen. Auch hat er den Korân gelernt und ist imRat einer der Klügsten und Erfahrensten. Dazu hat ihndieser gewaltige Bej der Franken seiner Freundschaft fürwert gehalten – warum sollte ich ihm meine Enkelin ver-weigern, wenn er bereit ist, meine Bedingungen zu erfül-len?“

„Welche Bedingungen stellst du ihm?“, fragte der vori-ge Sprecher.

„Das Mädchen ist die Enkelin eines mächtigen Scheiks,daher kann er sie um keinen gewöhnlichen Preis haben.Ich fordere eine Stute, fünf Reitkamele, zehn Lastkameleund fünfzig Schafe.“

Bei diesen Worten machte Halef ein Gesicht, als ob erdiese fünfzig Schafe, zehn Last- und fünf Reitkamele samtder Stute soeben mit Haut und Haar verschlungen hätte.Woher sollte er diese Tiere nehmen?

Glücklicherweise fuhr der Scheik fort:„Dafür gebe ich ihr eine Morgengabe von einer Stute,

fünf Reitkamelen, zehn Lastkamelen und fünfzig Schafen.Eure Weisheit wird da einsehen, dass es ganz unnötig ist,bei so trefflichen Verhältnissen den Preis und die Morgen-gabe gegenseitig auszuwechseln. Nun aber verlange ich,dass er morgen früh beim Fagr1 eine Wallfahrt nach Mekkaantrete, bei der er sein Weib mitzunehmen hat. Sie ver-richten dort die heiligen Gebräuche und kehren dann so-fort zu uns zurück. Er hat sein Weib als Jungfrau zu be-handeln und sie nach seiner Rückkehr wieder abzutreten.Für diesen Dienst erhält er ein Kamel und einen Sack vollDatteln. Hat er aber sein Weib nicht als eine Fremde be-trachtet, so erhält er nichts und wird getötet. Ihr seid Zeu-gen, dass ich dieses bestimme.“

1 Gebet beim Aufgang der Sonne

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Der Redeführer drehte sich zu Halef um:„Du hast es gehört, wie lautet deine Antwort?“Es war dem Gefragten anzusehen, dass ihm ein gewisser

Punkt nicht recht passte, nämlich das Verlangen, sein Weibwieder herzugeben. Er war jedoch klug, sich in die gegen-wärtige Umstände zu schicken und antwortete:

„Ich nehme diese Bedingungen an.“„So setze die Schrift auf, Effendi“, bat der Scheik.

„Schreibe sie zweimal, nämlich einmal für mich und ein-mal für ihn!“

Ich folgte dem Verlangen und las dann das Geschriebe-ne vor. Es erhielt die Zustimmung des Scheiks, der aufjedes Exemplar Wachs tropfen ließ und den Knauf seinesDolches als Petschaft gebrauchte, nachdem er und Halefunterzeichnet hatten.

Damit waren die Formalitäten erfüllt und die unerlässli-chen Hochzeitsfestlichkeiten konnten beginnen. Sie wa-ren, da es sich nur um eine Scheinverheiratung handelte,sehr bescheidener Art. Es wurde ein Hammel geschlachtetund ganz gebraten. Während er am Spieß über dem Feuerbriet, hielt man ein Scheingefecht, bei dem aber nicht ge-schossen wurde, ein Umstand, dessen Grund nicht schwerzu erraten war.

Als die Nacht hereinbrach, begann das Mahl. Nur dieMänner aßen, und erst als wir satt waren, bekamen dieFrauen die Überreste. Bei dieser Gelegenheit musste auchHanneh erscheinen. Dies benutzte Halef und erhob sichvon seinem Platz, um ihr das beschriebene Geschenk zuüberreichen. Die Szene aber, die nun folgte, lässt sich nichtbeschreiben. Der in dem Medaillon eingesperrte Teufel warein Wunder, das über alle ihre Begriffe ging. All mein Be-mühen, ihnen die Mechanik zu erklären, half nichts. Sieglaubten mir nicht, und zwar ganz besonders deshalb, weilder Schejtan doch lebendig war. Ich wurde als der größteHeld und Zauberer gepriesen; aber das Ende war, dassHanneh das Geschenk nicht bekam. Der gefangene Schejtan

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war ein Wunder von so unendlicher Wichtigkeit, dass nurder Scheik selbst für würdig gehalten wurde, die unver-gleichliche Kostbarkeit aufzubewahren; natürlich erst,nachdem ich ihm mit aller Feierlichkeit versichert hatte,dass es dem Teufel niemals gelingen werde, zu entkom-men und Unheil anzurichten.

Mitternacht war nahe, als ich mich in das Zelt zurück-zog, um zu schlafen. Halef leistete mir Gesellschaft.

„Sihdi, muss ich alles halten und erfüllen, was du heuteniedergeschrieben hast?“, ließ er sich hören.

„Ja. Du hast es ja versprochen!“Es verging ein Weile, dann klang es sehr kleinlaut:„Würdest du dein Weib auch wieder hergeben?“„Nein.“„Und dennoch sagst du, dass ich mein Versprechen zu

halten habe!“„Allerdings. Wenn ich mir ein Weib nehme, so verspre-

che ich nicht, es wieder herzugeben.“„O Sihdi, warum hast du mir nicht gesagt, dass ich es

ebenso machen soll!“„Bist du ein Knabe, dass du eines Vormunds bedarfst?

Und wie kann ein Christ einen Moslem im Heiraten un-terweisen? Ich glaube, dass du Hanneh behalten möch-test!“

„Du hast es erraten.“„So willst du mich also verlassen?“„Dich, Sihdi? Oh!“Er räusperte sich verlegen, kam aber zu keiner Antwort.Ein unverständliches Brummen und später einige Seuf-

zer waren alles, was ich zu hören bekam. Er warf sich voneiner Seite auf die andere; es war klar, dass sein Wohlge-fallen an dem Mädchen mit seiner Anhänglichkeit zu mirin lebhaften Zwiespalt gekommen war. Ich musste ihn sichselbst überlassen und schlief bald ein.

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11. Im heiligen Mekka

Mein Schlaf war so fest, dass mich erst ein lautes Kamel-getrappel erweckte. Ich erhob mich und trat vor das Zelt.Im Osten erhellte sich bereits der Horizont und drüben,wo die Bucht lag, war er hellrot gefärbt. Es gab dort einenBrand und die Vermutung, die bei diesem Anblick in miraufstieg, wurde bestätigt durch das im Lager herrschenderege Leben. Die Männer waren fort gewesen und kehrtenjetzt zurück, sie und ihre Kamele reich mit Beute beladen.Auch die Tochter des Scheiks hatte sich ihnen angeschlos-sen, und als sie vom Kamel stieg, bemerkte ich, dass ihrGewand mit Blut bespritzt war. Malek bot mir den Morgen-gruß und meinte, nach der Feuerwolke deutend:

„Siehst du, dass wir das Schiff gefunden haben? Sieschliefen, als wir kamen, und sind nun zu den Hunden,ihren Vätern, versammelt.“

„Du hast sie getötet und das Schiff beraubt?“„Beraubt? Was meinst du mit diesem Wort? Gehört nicht

dem Sieger das Eigentum des Besiegten? Wer will uns strei-tig machen, was wir gewonnen haben?“

„Die Sakât, die Abu Sejf geraubt hat, gehört dem ScherifEmir.“

„Dem Scherif Emir, der uns ausgestoßen hat? Selbstwenn das Geld ihm gehörte, würde er es nicht wieder er-halten. Aber glaubst du wirklich, dass es die Sakât war?Du bist belogen worden. Nur der Scherif hat das Recht,diese Steuer einzusammeln, und dies wird er niemals durcheinen Türken tun lassen. Der Türke, den du für einenZolleinnehmer gehalten hast, war entweder ein Schmugg-ler oder ein Zöllner des Pascha von Ägypten, den Allaherschlagen möge!“

„Du hasst ihn?“„Das tut jeder freie Araber. Hast du nicht von den

Gräueltaten gehört, die zur Zeit der Wahhabiten hier ge-schahen? Mag das Geld dem Pascha gehören oder dem

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Scherif, es bleibt mein. Doch die Zeit des Fagr naht. Machdich bereit, uns zu folgen. Wir können hier nicht längerbleiben.“

„Wo wirst du dein Lager aufschlagen?“„Ich werde es an einem Ort errichten, von dem aus ich

die Straße zwischen Mekka und Dschidda beobachtenkann. Abu Sejf darf mir nicht entgehen.“

„Hast du auch die Gefahren berechnet, die dir drohen?“„Meinst du, dass ein Atejbeh sich vor Gefahren fürch-

tet?“„Nein, aber selbst der mutigste Mann muss zugleich auch

vorsichtig sein. Wenn dir Abu Sejf in die Hände fällt unddu ihn tötest, so musst du augenblicklich diese Gegendverlassen. Du wirst dann vielleicht das Kind deiner Toch-ter verlieren, das sich zu dieser Zeit mit Halef in Mekkabefindet.“

„Ich werde Halef sagen, wo er uns in diesem Fall zu su-chen hat. Hanneh muss nach Mekka, ehe wir fortgehen.Sie ist unter uns die Einzige, die noch nicht in der heili-gen Stadt war, und später ist es ihr vielleicht unmöglich,dahin zu kommen. Deshalb habe ich mich schon langenach einem Delîl für sie umgesehen.“

„Hast du dich entschieden, wohin du ziehen wirst?“„Wir ziehen in die Wüste Ed Dahna, nach Maskat zu,

und dann senden wir vielleicht einen Boten nach El Frat1

zu den Beni Schammar, um uns in ihren Stamm aufneh-men zu lassen.“

Der kurzen Dämmerung folgte der Tag. Die Sonne be-rührte den Horizont und die Araber, die noch nach demvergossenen Blut rochen, knieten nieder zum Gebet. Balddarauf waren die Zelte abgebrochen und der Zug setztesich in Bewegung. Jetzt, da es vollständig hell war, sah icherst, welche Menge von Gegenständen sich die Atejbehvom Schiff angeeignet hatten. Sie waren durch diesenÜberfall zu wohlhabenden Leuten geworden. Aus diesem

1 Euphrat

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Grund herrschte eine ungewöhnliche Munterkeit unterihnen. Ich hielt mich etwas zurück. Ich war verstimmt,weil ich mich die unschuldige Ursache für den Untergangder Dschehejne nennen musste. Ich konnte mir allerdingskeinen Vorwurf machen, aber es galt doch immer, dasGewissen zu befragen, ob ich mich nicht vielleicht hätteanders verhalten können. Auch machte mir die Nähe Mek-kas viel zu schaffen. Da lag sie, die ‚Heilige‘, die Verbote-ne! Sollte ich sie meiden oder sollte ich es wagen, sie zubesuchen? Es zuckte mir in allen Gliedern nach ihr hinund dennoch musste ich die Bedenken, die dagegen auf-stiegen, ernstlich berücksichtigen. Was hatte ich davon,wenn der Besuch gelang? Ich konnte sagen, dass ich inMekka gewesen war – weiter nichts. Und wurde ich ent-deckt, so war mein Tod unvermeidlich, und was für einTod!

Aber hier konnte ein Überlegen und Abwägen der Grün-de zu nichts führen und ich beschloss, mich nach den ein-tretenden Verhältnissen zu richten. Ich hatte dies so oftgetan und war immer glücklich dabei gefahren.

Um so wenig wie möglich Begegnungen zu haben, mach-te der Scheik einen Umweg. Er erlaubte keine Ruhepause,bis der Abend hereinbrach. Wir befanden uns in einerengen Schlucht, die von steilen Granitwänden eingefasstwar, zwischen denen wir eine Strecke weit fortschritten,bis wir in eine Art Talkessel gelangten, aus dem es keinenzweiten Ausweg zu geben schien. Hier stiegen wir ab. DieZelte wurden errichtet und die Frauen zündeten ein Feueran. Heute gab es eine sehr reichliche und mannigfaltigeMahlzeit, die natürlich aus der Schiffsküche stammte.Dann kam der von allen ersehnte Augenblick der Beute-verteilung.

Da ich damit nichts zu schaffen hatte, verließ ich dieanderen und machte die Runde um den Talkessel. An ei-ner Stelle schien es mir, als ob man hier doch emporstei-gen könne, und ich versuchte es. Die Sterne leuchteten

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hell, es gelang. Nach vielleicht einer Viertelstunde standich oben auf der Höhe des Berges und hatte einen freienBlick nach allen Seiten. Dort unten im Süden sah es auswie eine Reihe kahler Berge, über denen sich jener weißli-che Schimmer erhob, den am Abend die Lichter größererStädte empor zu strahlen pflegen. Dort lag Mekka!

Unter mir vernahm ich die lauten Stimmen der Atejbeh,die sich um ihren Anteil an der Beute stritten. Es dauerteeine geraume Zeit, bis ich zu ihnen zurückkehrte. DerScheik empfing mich mit den Worten:

„Effendi, warum bist du nicht bei uns geblieben? Dumusst von allem, was wir auf dem Schiff fanden, deinenTeil erhalten!“

„Ich? Du irrst. Ich bin nicht dabei gewesen und habealso nichts zu bekommen.“

„Hätten wir die Dschehejne gefunden, wenn du unsnicht begegnet wärst? Du bist unser Führer gewesen, ohnees zu wollen, und darum sollst du erhalten, was dir ge-bührt.“

„Ich nehme nichts an!“„Sihdi, ich kenne deinen Glauben zu wenig und darf

ihn nicht beschimpfen, weil du mein Gast bist; aber er istfalsch, wenn er dir verbietet, Beute zu nehmen. Die Fein-de sind tot und ihr Fahrzeug ist zerstört. Sollen wir dieseSachen, die uns so notwendig sind, verbrennen und zer-stören?“

„Wir wollen uns nicht streiten, aber behaltet, was ihrhabt!“

„Wir wollen es nicht. Erlaube, dass wir es Halef, dei-nem Begleiter, geben, obwohl auch er schon das Seinigebekommen hat.“

„Gebt es ihm!“Der kleine Halef Omar floss von Dank über. Er hatte

einige Waffen und Kleidungsstücke erhalten und außer-dem einen Beutel mit Silbermünzen. Er ließ nicht ab –ich musste sie ihm einzeln vorzählen, um Zeuge zu sein,

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dass er heute ein außerordentlich reicher Mann gewordensei. Die Summe bestand allerdings in ungefähr achthun-dert Piastern und reichte hin, einen armen Araber glück-lich zu machen.

„Mit diesem Geld kannst du mehr als fünfzigmal dieKosten bestreiten, die du in Mekka haben wirst“, bemerk-te der Scheik.

„Wann soll ich zur heiligen Stadt gehen?“, fragte Halef.„Morgen zwischen Früh und Mittag.“„Ich war noch niemals dort. Wie habe ich mich zu ver-

halten?“„Das will ich dir sagen. Es ist die Pflicht eines jeden

Pilgers, nach seiner Ankunft unverzüglich nach El Harâm1

zu gehen. Du reitest also nach dem Beit Allah2, lässt davordie Kamele halten und trittst ein. Dort findest du ganzsicher einen Fremdenführer, der dich führen und in allemunterrichten wird; nur musst du ihn vorher und nicht spä-ter um den Preis befragen, weil du sonst betrogen wirst.Sobald du die Kaaba erblickst, verrichtest du zwei Rikât3

mit den dabei vorgeschriebenen Gebeten, zum Dank da-für, dass du die heilige Stätte glücklich erreicht hast. Danngehst du zu dem Mambâr4 und ziehst die Schuhe aus. Diesebleiben dort stehen und werden bewacht; denn es ist imBeit Allah nicht wie in andern Moscheen erlaubt, die Schu-he in der Hand zu behalten. Dann beginnt der Tawâf, derGang um die Kaaba, der siebenmal wiederholt werdenmuss.“

„Nach welcher Seite?“„Nach rechts, sodass die Kaaba dir stets zur Linken

bleibt. Die ersten drei Gänge werden mit schnellen Schrit-ten getan.“

„Warum?“„Zum Andenken an den Propheten. Es hatte sich das

Gerücht verbreitet, dass er sehr gefährlich erkrankt sei, undum dieses Gerücht zu widerlegen, rannte er dreimal schnell

1 Die große Moschee 2 Haus Gottes; damit ist gleichfalls die große Moscheegemeint 3 Niederwerfungen 4 Kanzel, türkisch: Minber

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um die Kaaba herum. Die folgenden Gänge geschehenlangsam. Die Gebete kennst du, die dabei gesprochen wer-den müssen. Nach jedem Umlauf wird der heilige Steingeküsst. Zuletzt, wenn der Tawâf beendet ist, drückst dudie Brust an die Tür der Kaaba, breitest die Arme aus undbittest Allah laut um Vergebung aller deiner Sünden.“

„Dann bin ich fertig?“„Nein. Du hast nun seitwärts zu El Madschem1 zu gehen

und vor dem Mekâm-Ibrahim2 zwei Rikât zu verrichten.Dann begibst du dich zum heiligen Brunnen Sem-Semund trinkst nach einem kurzen Gebet so viel Wasser daraus,wie dir beliebt. Ich werde dir einige Flaschen mitgeben,die du mir gefüllt wieder mitbringen magst, denn das hei-lige Wasser ist ein Mittel gegen alle Krankheiten des Leibesund der Seele.“

„Das ist die Zeremonie an der Kaaba. Was folgt dann?“„Nun kommt der Sa’j, der Gang von Szafa nach Merua.

Auf dem Hügel Szafa stehen drei offene Bogen. Dort stellstdu dich hin, wendest das Angesicht nach der Moschee,erhebst die Hände gen Himmel und bittest Allah um Bei-stand auf dem heiligen Weg. Dann gehst du sechshundertSchritt weit nach dem Altan von Merua. Unterwegs siehstdu vier steinerne Pfeiler, an denen du springend vorüber-laufen musst. Auf Merua verrichtest du wieder ein Gebetund legst den Weg dann noch sechsmal zurück.“

„Dann ist alles getan?“„Nein, denn nun musst du dir dein Haupt scheren lassen

und Umrah besuchen, das so weit außerhalb der Stadt liegt,wie wir uns jetzt von Mekka befinden. Dann hast du dieheiligen Handlungen erfüllt und kannst zurückkehren. ImMonat der großen Wallfahrt muss der Gläubige mehr tunund braucht lange Zeit dazu, weil viele Tausende von Pil-gern anwesend sind; du aber brauchst nur zwei Tage undkannst am dritten wieder bei uns sein.“

1 Eine kleine, mit Marmor ausgelegte Vertiefung, aus der Abraham und Ismaelden Kalk genommen haben sollen, als sie die Kaaba bauten

2 Der Stein, der Abraham bei diesem Bau als Fußgestell gedient haben soll

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Diesem Unterricht folgten noch verschiedene Fingerzei-ge, die aber für mich von keinem Interesse waren, da siesich meist nur auf Hanneh bezogen. Ich legte mich zurRuhe. Als Halef endlich erschien, lauschte er, ob ich be-reits eingeschlafen sei. Er merkte, dass ich noch munterwar, und fragte:

„Sihdi, wer wird dich bedienen während meiner Abwe-senheit?“

„Ich selbst. Willst du mir einen Gefallen tun, Halef?“„Ja. Du weißt, dass ich für dich alles tue, was ich kann

und darf.“„Du sollst dem Scheik Wasser vom heiligen Brunnen

Sem-Sem mitbringen. Bring auch mir eine Flasche mit!“„Sihdi, verlange alles von mir, nur dies nicht, denn das

kann ich unmöglich tun. Von diesem Brunnen dürfen nurdie Gläubigen trinken. Wenn ich dir Wasser brächte, sowürde mich nichts vor der ewigen Hölle retten!“

Dieser Bescheid wurde mit so fester Überzeugung aus-gesprochen, dass ich nicht weiter in ihn zu dringen ver-suchte.

Nach einer Pause fragte er:„Willst du dir nicht selbst das heilige Wasser holen?“„Das darf ich ja nicht!“„Du darfst es, wenn du dich vorher zum rechten Glau-

ben bekehrst.“„Das werde ich nicht tun, jetzt aber wollen wir schlafen.“Am andern Morgen ritt er als würdiger Ehemann mit

seinem Weib von dannen. Er nahm die Weisung mit, zusagen, dass er aus fernen Landen komme, und ja nicht zuverraten, dass seine Begleiterin, die sich übrigens jetzt ver-schleiert hatte, eine Atejbeh sei. Mit ihm ritt eine Streckeweit ein Krieger, der die Straße zwischen Mekka undDschidda bewachen sollte. Auch am Eingang unsererSchlucht wurde ein Wachposten aufgestellt.

Der erste Tag verging ohne besonderen Vorfall, am zwei-ten Morgen ersuchte ich den Scheik um die Erlaubnis zu

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einem kleinen Streifzug. Er gab mir ein Kamel und batmich, vorsichtig zu sein, damit unser Aufenthalt nichtentdeckt werde. Ich hatte gehofft, meinen Ritt allein ma-chen zu können, aber die Tochter des Scheik trat zu mir,als ich das Kamel besteigen wollte, und fragte:

„Effendi, darf ich mit dir reiten?“„Tu, was dir gefällt!“Als wir die Schlucht verlassen hatten, schlug ich unwill-

kürlich die Richtung nach Mekka ein. Ich hatte geglaubt,meine Begleiterin würde mich warnen; allein sie hielt sichan meiner Seite, ohne ein Wort zu verlieren. Nur als wirungefähr den vierten Teil einer Wegstunde zurückgelegthatten, lenkte sie mehr nach rechts um und bat mich:

„Folge mir, Effendi!“„Wohin?“„Ich will sehen, ob unser Wächter an seinem Platz ist.“Nach kaum fünf Minuten erblickten wir ihn. Er saß auf

einer Anhöhe und schaute unverwandt nach Süden.„Er braucht uns nicht zu sehen“, sagte sie. „Komm, Sihdi;

ich werde dich führen, wohin du willst!“Was meinte sie mit diesen Worten? Sie lenkte nach links

hinüber und sah mich dabei lächelnd an. Dann ließ siedie Tiere weit ausgreifen und hielt endlich in einem engenTal still, wo sie abstieg und sich auf den Boden niedersetzte.

„Setze dich zu mir und lass uns plaudern“, sagte sie.Sie wurde mir immer rätselhafter, doch kam ich ihrer

Aufforderung nach.„Hältst du deinen Glauben für den allein richtigen,

Effendi?“, begann sie die eigentümliche Unterhaltung.„Gewiss!“, antwortete ich.„Ich auch“, bemerkte sie ruhig.„Du auch?“, fragte ich verwundert, denn es war das ers-

te Mal, dass ein mohammedanischer Mund mir gegenüberein solches Bekenntnis aussprach.

„Ja, Effendi, ich weiß, dass nur deine Religion die rich-tige ist.“

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„Woher weißt du es?“„Von mir selbst. Der erste Ort, an dem es Menschen

gab, war das Paradies; dort lebten alle Geschöpfe beiein-ander, ohne sich ein Leid zu tun. So hat es Allah gewolltund daher ist auch diejenige Religion die richtige, die dasGleiche gebietet. Das ist die Religion der Christen.“

„Kennst du sie?“„Nein, aber ein alter Türke hat uns einst von ihr er-

zählt. Er sagte, dass ihr betet: ‚Und vergib du unsere Sün-den, wie auch wir die Sünden vergeben!‘ – Ist dies rich-tig?“

„Ja.“„Und dass in euerm Korân steht: Gott ist die Liebe, und

wer in der Liebe bleibt, der ist in Gott und Gott ist inihm. – Sag mir, ob das auch richtig ist!“

„Auch das ist richtig.“„So habt ihr den richtigen Glauben. Darf ein Christ eine

Jungfrau rauben?“„Nein. Wenn er es täte, so würde er eine schwere Strafe

erhalten.“„Siehst du, dass eure Religion besser ist als unsere? Bei

euch hätte Abu Sejf mich nicht rauben und zwingen dür-fen, sein Weib zu sein. Kennst du die Geschichte diesesLandes?“

„Ja.“„So weißt du auch, wie die Türken und Ägypter gegen

uns gewütet haben, obwohl wir eines Glaubens sind. Siehaben unsere Mütter geschändet und unsere Väter zu Tau-senden auf die Pfähle gespießt, gevierteilt, verbrannt, ih-nen Arme und Beine, Nasen und Ohren abgeschnitten,die Augen ausgestochen, ihre Kinder zerschmettert oderzerrissen. Ich hasse diesen Glauben, aber ich muss ihnbehalten.“

„Warum musst du ihn behalten? Es steht dir zu jederZeit...“

„Schweig!“, unterbrach sie mich barsch. „Ich sage dir

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meine Gedanken, aber du sollst nicht mein Lehrer sein!Ich weißt selbst, was ich tue: Ich werde mich rächen –rächen an allen, die mich beleidigt haben.“

„Und dennoch meinst du, dass die Religion der Liebedie richtige sei?“

„Ja; aber soll ich allein lieben und verzeihen? Sogar da-für, dass wir die heilige Stadt nicht betreten dürfen, werdeich mich rächen. Rate, wie“

„Sage es!“„Es ist dein heimlicher Wunsch, Mekka zu betreten?“„Wer sagt dir das?“„Ich selbst. Antworte mir!“„Ich wünsche allerdings, die Stadt sehen zu können.“„Das ist sehr gefährlich; aber ich will mich rächen und

habe dich deshalb an diesen Ort geführt. – Würdest dudie Gebräuche mitmachen, wenn du in Mekka wärst?“

„Es wäre mir lieb, dies vermeiden zu können.“„Du willst deinen Glauben nicht beleidigen und tust

recht daran. Geh nach Mekka, ich werde hier auf dichwarten!“

War dies nicht sonderbar? Sie wollte sich am Islam da-durch rächen, dass sie seine heiligste Stätte durch den Fußeines Ungläubigen entweihen ließ! Als Missionar hätte ichhier eine Aufgabe lösen können – freilich nur mit großemAufwand an Zeit und Mühe, als ‚Weltenbummler‘ war mirdies unmöglich.

„Wo liegt Mekka?“, fragte ich.„Wenn du diesen Berg überschreitest, siehst du es im

Tal liegen.“„Warum soll ich gehen und nicht reiten?“„Wenn du geritten kommst, wird man einen Pilger in

dir vermuten und dich nicht unbeachtet lassen. Betrittstdu aber zu Fuß die Stadt, so wird ein jeder meinen, dassdu bereits dort gewesen seiest und nur einen Spazierganggemacht habest.“

„Und du willst wirklich auf mich warten?“

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„Ja.“„Wie lange?“„Eine Zeit, die ihr Franken vier Stunden nennt.“„Das ist sehr kurz.“„Bedenke, dass du sehr leicht entdeckt werden kannst,

wenn du lange verweilst. Du darfst nur einmal durch dieStraßen gehen und die Kaaba sehen, das ist genug.“

Sie hatte Recht. Es war doch gut gewesen, dass ich be-schlossen hatte, mich vom Augenblick leiten zu lassen. Icherhob mich. Sie deutete auf meine Waffen und schüttelteden Kopf.

„Du gleichst ganz und gar einem Eingeborenen; aberträgt ein Araber solche Waffen? Lass deine Flinte hier undnimm die meinige dafür.“

Da überflog mich im ersten Moment eine Art von Miss-trauen; aber ich hatte wirklich nicht den mindesten Grund,daran festzuhalten. Daher vertauschte ich meine Büchseund stieg dann den Berg hinan. Als ich den Gipfel erreich-te, sah ich Mekka in der Entfernung von einer halben Stun-de vor mir liegen, zwischen kahlen, unbelebten Höhen dasTal hinab. Ich unterschied die Zitadellen Dschebel Schadund Dschijad. El Harâm, die Hauptmoschee, lag im süd-lichen Teil der Stadt.

Dorthin lenkte ich zunächst meine Schritte. Es war mirauf dem Weg zu Mute wie einem Soldaten, der zwar schonbei einigen kleinen Treffen mitgefochten hat, plötzlich aberden Donner einer großen Schlacht dröhnen hört.

Ich gelangte glücklich in die Stadt. Da ich mir die Lageder Moschee gemerkt hatte, brauchte ich nicht zu fragen.Die Häuser, zwischen denen ich hinschritt, waren von Steinerbaut und die Straße hatte man mit dem Sand der Wüs-te bestreut. Bereits nach kurzer Zeit stand ich vor demgroßen Rechteck des Beit Allah und langsam ging ich da-rum herum. Die vier Seiten bestanden aus Säulenreihenund Kolonnaden, über denen sich sieben Minaretts erho-ben. Ich zählte zweihundertvierzig Schritt in die Länge und

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zweihundertfünf in die Breite. Da ich mir das Äußere erstnachher betrachten wollte, trat ich durch eins der Toreein. Da saß ein Mekkawi1, der mit kupfernen Flaschenhandelte.

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte ich ihn würdevoll. „Waskostet eine solche Kuleh?“

„Zehn Piaster.“„Allah segne deine Söhne und die Söhne deiner Söhne,

denn deine Preise sind billig. Hier hast du zehn Piasterund hier nehme ich die Kuleh.“

Ich steckte die Flasche zu mir und trat zwischen denSäulen hindurch. Ich befand mich in der Nähe der Kanzelund zog meine Schuhe aus. Nun betrachtete ich mir dasInnere des heiligen Ortes. Ziemlich in der Mitte stand dieKaaba. Da sie mit dem Kisua2 vollständig bekleidet war,bot sie einen fremdartigen Anblick. Zu ihr führen siebengepflasterte Wege, zwischen denen ebenso viele Grasplätzeliegen. Neben der Kaaba bemerkte ich den heiligen Brun-nen Sem-Sem, vor dem mehrere Beamte an Pilger Wasserverteilten. Das ganze Heiligtum machte auf mich durch-aus keinen heiligen Eindruck. Koffer- und Sänftenträgerrannten mit ihren Lasten hin und her, öffentliche Schrei-ber saßen unter den Kolonnaden, ja sogar Obst- undBackwarenhändler waren zu sehen. Bei einem zufälligenBlick durch die Säulenreihen bemerkte ich ein Reitkamel,das eben draußen niederkniete, um seinen Herrn abstei-gen zu lassen. Es war ein Tier von wundervoller Schön-heit. Sein Besitzer kehrte mir den Rücken zu und winkteeinen Diener der Moschee herbei, bei dem Hedschîn zubleiben. Dies bemerkte ich nur im Vorübergehen, als ichzum Brunnen schritt. Ich wollte mir zunächst meine Fla-sche füllen lassen, musste aber einige Zeit warten, bis dieReihe an mich kam. Ich gab dann ein kleines Geschenk,verschloss das Gefäß und steckte es zu mir. Jetzt drehte ichmich um und – stand keine zehn Schritt vor Abu Sejf.

1 Bewohner von Mekka 2 Schwarzseidener Stoff

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Ein gewaltiger Schreck fuhr mir in die Glieder, dochlähmte er mich glücklicherweise nicht. In solchen Augen-blicken denkt und handelt der Mensch zehnfach schnell.Ohne auffällig zu fliehen, strebte ich mit meinen längstenSchritten den Säulen zu, außerhalb deren das Kamel desAbu Sejf lag. Dieses Tier allein konnte mich retten. Es wareines jener fahlen Hedschûn, wie man sie am Schammar-Gebirge findet.

Meine Sandalen waren verloren, ich hatte keine Zeit,sie zu holen, denn schon hörte ich hinter mir den Ruf:

„Ein Giaur, ein Giaur! Fangt ihn, ihr Hüter des Heilig-tums!“

Die Wirkung, die dieser Ruf hervorbrachte, war einfachgroßartig. Ich hatte keine Zeit, mich umzusehen, aber ichhörte hinter mir das Getöse eines Wasserfalls, das Geheuleines Orkans, das Stampfen und Trampeln einer nach Tau-senden zählenden Büffelherde. Jetzt war es aus mit mei-nen gleichmäßigen Schritten. Ich schnellte vollends überden Platz hinüber, sprang zwischen den Säulen hindurch,die drei Stufen empor und stand vor dem Kamel, dessenBeine nicht gefesselt waren. Ein Fausthieb warf den Die-ner weit zur Seite und im nächsten Augenblick saß ich imSattel, den Revolver in der Hand. Aber – würde das Tiergehorchen?

„E – o – ah! – E – o – ah!”Gott sei Dank! Bei dem bekannten Ruf erhob sich das

Hedschîn in zwei Rucken und windschnell ging’s nun da-hin. Schüsse krachten hinter mir – nur vorwärts, vorwärts!

Wäre das Kamel eines jener halsstarrigen Tiere gewe-sen, die man so oft findet, so wäre ich unbedingt verlorengewesen.

In weniger als drei Minuten befand ich mich außerhalbder Stadt und erst dann wagte ich es, mich umzusehen, alsich beinahe die halbe Höhe des Berges hinter mir hatte.Da unten wimmelte es von Reitern, die mich verfolgten.Die Muselmänner waren nämlich sofort in die nächsten

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Serajs und Chans geeilt und hatten die dort vorhandenenTiere bestiegen.

Wohin sollte ich mich wenden? Zur Tochter des Scheiks,die dadurch verraten wurde? Und doch musste ich sie war-nen! Ich feuerte mein Tier durch unaufhörliche Zurufean, seine Schnelligkeit war unvergleichlich. Oben auf derHöhe blickte ich noch einmal zurück und bemerkte, dassich mich in Sicherheit befand. Ein einziger Reiter war mirverhältnismäßig nahe gekommen. Es war Abu Sejf. Zufäl-lig hatte er ein Pferd ergriffen, das eine außerordentlicheSchnelligkeit entwickelte.

Ich flog drüben den Abhang hinab. Die Tochter Malekserspähte mich. Dass ich auf einem Kamel saß und in sol-cher Eile herbeigestürmt kam, ließ sie die Sachlage erra-ten. Sie schwang sich sofort auf ihr Kamel und nahm das,auf dem ich vorher gesessen hatte, beim Halfter.

„Wer hat dich entdeckt?“, rief sie mich in Hörweite an.„Abu Sejf.“„Allah akbar! Verfolgt dich der Schurke?“„Er ist mir ziemlich nah.“„Und viele andere?“„Sie kommen zu spät.“„So bleib mir fern und fliehe immer geradeaus über Berg

und Tal.“„Warum?“„Du sollst es sehen.“„Ich muss erst zu dir. Gib mir meine Waffen.“Im Vorüberreiten wechselten wir die Gewehre, dann

versteckte sich die Wüstentochter hinter einem Felsenvor-sprung, ohne mir zu folgen. Jetzt erriet ich ihr Vorhaben:Sie wollte Abu Sejf zwischen sich und mich bringen. Ererschien nach einigen Augenblicken oben auf der Höhe.Ich ließ mein Tier mit Absicht etwas langsamer gehen undbemerkte, dass er nun seinen Eifer verdoppelte. Währendich die nächste Bergeslehne erklomm, galoppierte er drü-ben herab und quer über die Senkung herüber, ohne aus

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den Spuren zu bemerken, dass ich nicht allein dort gewe-sen war. Als ich den Gipfel erreichte, sah ich auf der Höhehinter mir bereits noch einige Verfolger, und tief untenhatte sich meine Gefährtin nun auch in Bewegung gesetzt.Ihr Vorhaben war ihr gelungen: Abu Sejf befand sich zwi-schen uns, und da sie das zweite Kamel nicht mehr amHalfter führte, sondern frei nachlaufen ließ, so musste ersie, wenn er sich umsah, für einen meiner Verfolger hal-ten.

Für meine Person hatte ich nichts mehr zu befürchten,und da die anderen Verfolger immer weiter zurückblie-ben, so war nur noch darauf zu achten, dass Abu Sejf unsnicht entwischte. Ich suchte daher aus dem hügeligenGelände heraus und in die Ebene zu kommen, doch in derRichtung, die dem Lager der Atejbeh entgegengesetzt war.Und zu gleicher Zeit zügelte ich mein Hedschîn immermehr.

So dauerte der Ritt wohl gegen drei Viertelstunden, bisich endlich die offene Wüste erreichte. Ich richtete es soein, dass sich Abu Sejf immer außer Schussweite hintermir befand. Jetzt erreichte auch Amscha den Fuß der Hü-gelkette, aber zu gleicher Zeit sah ich auf dem Kamm derletzten Höhe noch einen Verfolger erscheinen, der einausgezeichnetes Kamel reiten musste, denn er kam unsanderen immer näher. Sein Tier war dem Pferd des AbuSejf weit überlegen.

Ich begann bereits Befürchtungen zu hegen, zwar nichtfür mich, sondern in Beziehung auf meine Gefährtin; dasah ich zu meinem Erstaunen, dass dieser Reiter seitwärtsabbog, als wolle er uns in einem Bogen überholen. Ichhielt mein Tier an und blickte schärfer zurück. War esmöglich? Dort der kleine Kerl auf dem fliegenden Hedschînsah genau so aus wie mein Halef. Wie kam er zu einemsolchen Tier und wie kam er hinter uns? Ich hielt meinKamel an, um ihn noch einmal, und zwar genau, ins Augezu fassen. Ja, es war Halef und kein anderer. Er wollte sich

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mir zu erkennen geben und schlug mit den Armen in derLuft umher, als wollte er Schwalben fangen.

Nun blieb ich ruhig sitzen und nahm die Büchse zurHand. Der Verfolger war im Bereich meiner Stimme.

„Rrrrreee, du Vater des Säbels! Bleib fern, sonst sendeich dir eine Kugel!“

„Fernbleiben, du Hund?“, schrie er. „Ich werde dich le-bendig fangen und nach Mekka bringen, du Schänder desHeiligtums!“

Ich konnte nichts anderes tun: Ich zielte und feuerte.Um ihn zu schonen, hatte ich auf die Brust seines Pferdesgehalten. Es überschlug sich und begrub ihn unter sich; eswälzte sich einige Mal über ihm, dann war es tot. Ich er-wartete, dass er sich schleunigst hervorarbeiten werde, esgeschah nicht. Entweder hatte er sich verletzt oder er tatnur so, um mich in seine Nähe zu locken. Ich ritt sehrvorsichtig auf ihn zu und kam zu gleicher Zeit mit Amschabei ihm an. Er lag mit geschlossenen Augen im Sand undrührte sich nicht.

„Effendi, deine Kugel ist der meinigen zuvorgekom-men!“, klagte das Weib.

„Ich habe nur auf sein Pferd und nicht auf ihn geschos-sen. Doch kann er das Genick oder etwas anderes gebro-chen haben. Ich werde nachsehen.“

Ich stieg ab und untersuchte ihn. Wenn er sich nichtinnerlich verletzt hatte, so war er wohl nur betäubt. Amschazog ihren Chandschâr.

„Was willst du tun?“„Mir seinen Kopf nehmen.“„Das tust du nicht, denn auch ich habe ein Recht auf ihn.“„Mein Recht ist älter!“„Aber das meinige ist größer: Ich habe ihn gefällt.“„Das ist nach den Sitten dieses Landes richtig. Tötest

du ihn?“„Was tust du, wenn ich ihn nicht töte, sondern freigebe

oder einfach hier liegen lasse?“

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„So gibst du dein Recht auf und ich mache das meinigegeltend.“

„Ich gebe es nicht auf.“„So nehmen wir ihn mit und es wird sich entscheiden,

was mit ihm geschieht.“Jetzt kam auch Halef herbei.„Maschallah – Wunder Gottes! Sihdi, was hast du ge-

tan?“„Wie kommst du an diesen Ort?“„Ich bin dir nachgeeilt!“„Das sehe ich allerdings. Erkläre dich ausführlicher!“„Sihdi, du weißt, dass ich sehr viel Geld habe. Was soll

ich es in meiner Tasche tragen? Ich wollte mir ein Hedschîndafür kaufen und ging zu einem Händler, der am südli-chen Ende der Stadt wohnt. Hanneh war bei mir. Wäh-rend ich mir seine Tiere besah, unter denen dieses hier dasbeste und so teuer war, dass es nur ein Pascha oder Emirbezahlen konnte, erhob sich draußen ein großer Lärm. Icheilte mit dem Händler hinaus und hörte, dass ein Giaurdas Heiligtum geschändet habe und geflohen sei. Ich dachtesogleich an dich, Sihdi, und sah dich auch einen Augen-blick später nach der Höhe eilen. Alles drängte nach demHof, um Tiere zu deiner Verfolgung zu holen. Ich tat das-selbe und ergriff dieses Hedschîn. Nachdem ich zuvorHanneh befohlen hatte, in das Lager zu eilen und demScheik den Vorfall zu erzählen, gab ich dem Händler, dermir das Tier nicht borgen wollte, einen Klaps und ritt dirnach, um dich zu fangen. Die anderen blieben alle zu-rück, nun habe ich dich und das Hedschîn.“

„Es ist nicht dein.“„Darüber reden wir später, Sihdi. Die Verfolger sind noch

immer hinter uns, wir können nicht hier bleiben. Was tunwir mit diesem Vater des Säbels und des Betruges?“

„Wir binden ihn auf dieses ledige Kamel und nehmenihn mit. Er wird wohl wieder zu sich kommen.“

„Und wohin fliehen wir?“

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„Ich weiß den Ort“, antwortete Amscha. „Auch du kennstihn, Halef, denn mein Vater, der Scheik, hat ihn dir gesagt,für den Fall, dass du uns nicht mehr im Lager angetroffenhättest.“

„Du meinst die Höhle Atafrah?“„Ja. Hanneh hätte dich hingeführt. Diese Höhle ist nur

den Anführern der Atejbeh bekannt und diese sind jetztnicht dort zugegen. Kommt, helft mir den Gefangenenbinden.“

Sechs Händen war es nicht schwer, ihn auf dem Kamelzu befestigen, das mich vom Lager aus bis in die Nähe derStadt getragen hatte. Alles, was Abu Sejf bei sich trug, nahmdie Tochter Maleks zu sich; dann stiegen wir wieder aufund eilten dem Südosten zu.

So war ich denn glücklich entkommen. Ich dachte jetztnicht, dass ich Mekka noch einmal sehen würde; weil esdennoch geschah1, spare ich mir die Beschreibung der Stadtund ihrer Sehenswürdigkeiten für später auf.

Unterwegs hatte ich von den Vorwürfen Halefs zu leiden.„Sihdi“, meinte er, „habe ich dir nicht gesagt, dass kein

Ungläubiger die heilige Stadt besuchen darf? Du hättestbeinahe das Leben verloren!“

„Warum schlugst du mir meine Bitte ab, als ich Wasserverlangte?“

„Weil ich sie nicht erfüllen durfte.“„Nun habe ich mir das Wasser selbst geholt!“„Du warst beim heiligen Brunnen?“„Sieh her! Das ist das echte Wasser vom Sem-Sem!“„Allah kerîm – Gott ist gnädig! Sihdi, er hat dich zu

einem wahren Gläubigen und sogar zu einem Hadschigemacht! Ein Giaur darf nicht in die Stadt, aber wer vomWasser des Sem-Sem hat, der ist ein Hadschi und folglichauch ein echter Moslem. Habe ich dir nicht stets gesagt,dass du dich noch bekehren würdest, du magst wollen odernicht?“

1 Siehe Karl Mays Gesammelte Werke, Bd. 50 „In Mekka“ (nach Karl MaysLeitgedanken von Franz Kandolf )

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Das war eine ebenso drollige wie kühne Auffassung derSachlage, aber sie hatte die Absicht und auch den Erfolg,das Gewissen meines guten Halef zu beschwichtigen. Sofiel es mir nicht ein, seine Anschauung zu widerlegen.

Die Landschaft um Mekka ist außerordentlich wasser-arm, und wo sich ein Brunnen befindet, ist er sicherlichder Mittelpunkt eines Dorfes oder wenigstens eines zeit-weiligen Lagers. Diese Orte mussten wir meiden und sokam es, dass wir trotz der Hitze des Tages keinen Haltmachten, bis wir eine Gegend erreichten, die sehr reich anzerklüfteten Felsen war. Wir folgten der Atejbeh überSchutt und Geröll und zwischen mächtigen Steinblöckenhindurch, bis wir an einen Felsspalt gelangten, der untendie ungefähre Breite eines Kamels hatte.

„Dies ist die Höhle“, sagte unsere Führerin. „Auch dieTiere können hinein, wenn wir ihnen die Sattelkissen ab-nehmen.“

„Wir bleiben hier?“, fragte ich.„Ja, bis der Scheik kommt.“„Wird er kommen?“„Er wird sicher kommen, weil Hanneh ihn benachrich-

tigt hat. Wenn jemand von den Atejbeh nicht zum Lagerkommt, so ist er hier in dieser Höhle zu suchen. Steigt abund folgt mir!“

Abu Sejf war wieder zu sich gekommen, aber er hattewährend des ganzen Rittes keinen Laut von sich gegebenund stets die Augen geschlossen gehalten. Er wurde zuerstin die Höhle gebracht. Wenn man dem Spalt folgte, sowurde er immer breiter und bildete schließlich einenRaum, der groß genug für vierzig bis fünfzig Männer undTiere war. Sein großer Vorzug bestand in dem Wasser, dassich im Hintergrund angesammelt hatte. Nachdem wir denGefangenen und die Kamele in Sicherheit gebracht hat-ten, suchten wir draußen nach dem großbüscheligenRattam-Gras, das die sehr willkommene Eigenschaft be-sitzt, dass es im grünen Zustand ebenso gut brennt wie im

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getrockneten. Das war für die Nacht, denn am Tag konn-te es uns nicht einfallen, ein Feuer anzuzünden, dessenRauch unseren Zufluchtsort leicht hätte verraten können.Übrigens brauchten wir keine große Sorge zu haben, ent-deckt zu werden. Unser Weg hatte uns meist über einen sosteinigen Boden geführt, dass unsere Spuren sicher nichtverfolgt werden konnten.

Eine eigentümliche Entdeckung machte ich, als ich dieSatteltasche von Abu Sejfs Kamel untersuchte: Sie enthieltGeld, und zwar eine nicht unbedeutende Summe.

Unsere Tiere waren ermüdet und wir ebenso, die Fes-seln des Gefangenen waren fest und so konnten wir schla-fen. Natürlich aber teilte ich mich mit Halef in die Wa-che. So vergingen die letzten Tagesstunden und die Nachtbrach herein. Beim Morgengrauen hatte ich die Wache.Durch ein sich nahendes Geräusch aufmerksam gemacht,lugte ich zum Spalt hinaus und sah einen Mann, der sichvorsichtig herbeischlich. Ich erkannte in ihm einen derAtejbeh und trat hinaus.

„Allah sei Dank, dass ich dich sehe, Effendi!“, begrüßteer mich. „Der Scheik hat mich vorausgesandt, um zu er-forschen, ob ihr hier zu finden seid. Nun brauche ich nichtzurückzukehren, denn dies ist das Zeichen, dass ich euchhier angetroffen habe.“

„Wen vermutest du außer mir noch hier?“„Deinen Diener Halef, die Tochter des Scheiks und viel-

leicht gar noch Abu Sejf, den Gefangenen.“„Wie kannst du diese alle hier erwarten?“„Effendi, das ist nicht schwer zu erraten. Hanneh kam

mit den beiden Kamelen allein ins Lager und erzählte, dassdu in Mekka gewesen und geflohen bist. Die TochterMaleks war mit dir geritten und hat dich sicher nicht ver-lassen, obgleich du eine große Sünde begangen hast. Halefkam dir nach, und hinter den Bergen fanden die Verfolgerdas erschossene Pferd des Dschehejne, ihn selbst aber nicht.Ihr hattet ihn also bei euch, die anderen aber nicht.“

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„Wann kommt der Scheik?“„Vielleicht in einer Stunde?“„So komm herein.“Er würdigte den Gefangenen keines Blickes und legte

sich sofort zum Schlafen nieder. In der angegebenen Zeitlangte die kleine Karawane vor der Höhle an. Man lud abund alles wurde hereingeschafft.

Ich hatte erwartet, von dem Scheik Vorwürfe zu erhal-ten. Aber seine erste Frage war:

„Hast du den Dschehejne gefangen?“„Ja.“„Er ist hier?“„Unverletzt und gesund.“„So werden wir über ihn richten!“Bis man alles geordnet hatte, war es Mittag geworden.

Nun sollte das Gericht beginnen. Vorher hatte ich abermit Halef eine interessante Unterredung.

„Sihdi, erlaube mir eine Frage“, bat er.„Sprich!“„Nicht wahr, du weißt noch alles, was du über mich und

Hanneh niedergeschrieben hast?“„Alles.“„Wann muss ich Hanneh wieder hergeben?“„Sobald du die Wallfahrt beendet hast.“„Aber ich habe sie noch nicht beendet!“„Was fehlt noch?“„Nichts, denn ich bin in Mekka mit allem fertig, da es

sehr schnell gegangen ist. Aber ich möchte mein Weibbehalten und da ist es mir eingefallen, dass zu einer richti-gen Hadsch auch ein Besuch in Medina gehört.“

„Das ist sehr richtig. Was sagt Hanneh dazu?“„Sihdi, sie liebt mich. Glaube es – sie hat es mir selbst

gesagt!“„Und du liebst sie wieder?“„Sehr! Steht nicht geschrieben, dass Allah dem Adam

eine Rippe genommen und daraus die Eva geschaffen habe?

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Unter der Rippe liegt das Herz und also wird das Herz desMannes stets beim Weibe sein.“

„Aber was wird der Scheik sagen?“„Das ist es ja, was mir Sorge macht, Sihdi!“„Weiter Sorge hast du nicht?“„Nein.“„Und ich? Was werde ich dazu sagen?“„Du, oh, du wirst mir deine Einwilligung geben, denn

ich werde dich dennoch nicht verlassen, solange du michbei dir haben willst.“

„Dein Weib könnte aber doch nicht mit umherziehen,bedenke das!“

„Das soll sie auch nicht. Ich werde sie bei ihrem Stammlassen, bis ich zurückkehren kann.“

„Halef, das ist eine Aufopferung, die ich nicht verlange.Aber da ihr einander so lieb habt, musst du eben deinMöglichstes tun, sie behalten zu dürfen. Vielleicht lässtsich der Scheik erbitten, dass du sie nicht wieder abzutre-ten brauchst.“

„Sihdi, ich gebe sie nicht wieder her, und wenn ich flie-hen müsste. Oh, sie weiß, dass ich Hadschi Halef OmarBen Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarahbin, und sie würde mit mir bis an das Ende der Welt ge-hen!“

Mit dieser selbstbewussten Versicherung schritt er stolzvon dannen. Unterdessen hatte sich ein Kreis gebildet, indessen Mitte Abu Sejf getragen worden war. Ich wurdeaufgefordert, an der Verhandlung teilzunehmen, und setztemich neben Scheik Malek nieder.

„Effendi“, begann dieser, „ich habe gehört, dass du be-hauptest, Rechte an diesem Mann zu haben, und weiß,dass dies die Wahrheit ist. Willst du ihn uns abtreten oderwillst du mit uns über sein Schicksal abstimmen?“

„Ich werde mit abstimmen; ebenso wie Halef es tun soll,denn auch er hat Rache an Abu Sejf zu nehmen.“

„So nehmt dem Gefangenen die Fesseln ab!“

273

Er wurde losgebunden, blieb aber bewegungslos liegen,als ob er tot sei.

„Abu Sejf, erhebe dich vor diesen Männern, um dich zuverantworten!“

Er blieb liegen, ohne nur die Augenlider aufzuschlagen.„Er hat die Sprache verloren, ihr seht es, ihr Männer;

warum sollen wir da mit ihm reden? Er weiß, was er getanhat, und wir wissen es auch; was könnten uns da die Wor-te und die Fragen nützen? Ich sage, dass er sterben muss,um den Schakalen, Hyänen und Geiern zur Speise zu die-nen. Wer meiner Rede beistimmt, der mag es erklären.“

Alle gaben ihre Zustimmung. Ich allein wollte mein Vetoeinlegen, wurde aber durch ein unvorhergesehenes Ereig-nis daran verhindert. Bei den letzten Worten des Scheiksnämlich erhob sich plötzlich der Gefangene, schnelltezwischen zwei der Atejbeh hindurch und sprang dem Aus-gang zu. Ein lauter Schrei der Bestürzung erscholl, dannerhoben sich alle, um ihm nachzuspringen. Ich war derEinzige, der zurückblieb. Er hatte große Schuld auf sichgeladen und nach den Gesetzen der Wüste mehr als denTod verdient, dennoch wäre es mir unmöglich gewesen,für diese Strafe zu stimmen. Vielleicht gelang es ihm, zuentkommen. War dies der Fall, so durften wir allerdingskeine Stunde länger in der Höhle verweilen.

Ich blieb lange Zeit allein. Der Erste, der zurückkehrte,war der alte Scheik. Er war hinter den jungen Männernzurückgeblieben.

„Warum bist du ihm nicht nach, Effendi?“, fragte ermich.

„Weil deine tapferen Männer ihn fangen werden, ohnemeiner Hilfe zu bedürfen. Sie werden ihn doch wiederbe-kommen?“

„Ich weiß es nicht. Er ist ein berühmter Läufer, und alswir vor die Höhle kamen, war er bereits verschwunden.Wenn wir ihn nicht wieder ereilen, so müssen wir fliehen,da er nun die Höhle kennt.“

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Nach und nach kehrten mehrere Männer zurück. Siehatten ihn nicht laufen sehen und auch seine Spur nichtbemerkt. Später kam Halef, zuletzt aber kehrte die Toch-ter des Scheiks zurück, deren Nasenflügel vor Wut zitter-ten. Ein kurzer Meinungstausch ergab, dass ihn niemandgesehen hatte. Die Bestürzung und der Umstand, dass ihmdurch den engen Gang nur stets einer folgen konnte, hat-te ihm einen Vorsprung gewährt, und der Boden draußenwar ja ganz geeignet, die Flucht zu erleichtern.

„Hört, ihr Männer“, sagte der Scheik, „er wird unserVersteck verraten. Wollen wir sofort aufbrechen oder aufunseren Tieren noch einen Versuch machen, ihn zu erwi-schen? Wenn wir diese Gegend im Kreis umreiten, so istes leicht möglich, dass wir ihn bemerken.“

„Wir fliehen nicht, sondern suchen ihn“, sagte seineTochter.

Die anderen stimmten bei.„Wohlan, so nehmt eure Kamele und folgt mir. Wer den

Entflohenen bringt – tot oder lebendig –, der wird einegroße Belohnung bekommen.“

Da trat Halef vor und sprach:„Den Preis habe ich bereits verdient. Draußen liegt der

Vater des Säbels tot.“„Wo hast du ihn ereilt?“, fragte der Scheik.„Herr, du musst wissen, dass mein Sihdi ein Meister im

Kampf und im Auffinden aller Arten der Asâr1 ist; er hatmich gelehrt, die Spuren im Sand, im Gras, auf der Erdeund auf dem Felsen zu finden; er hat mir gezeigt, wie mannachdenken muss bei der Verfolgung eines Flüchtigen. Ichwar der Erste, der hinter Abu Sejf die Höhle verließ, aberich sah ihn bereits nicht mehr. Ich rannte erst nach linkshinauf, dann nach rechts hinab, und da ich nichts vonihm bemerkte, so dachte ich, dass er so klug gewesen sei,sich gleich nach seinem Austritt aus der Höhle zu verste-cken. Ich spähte hinter den Steinen und fand ihn auch. Es

1 Fußspuren

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gab einen kurzen Kampf, dann drang ihm mein Messerins ruchlose Herz. Seinen Körper werde ich euch zeigen.“

Ich blieb wieder in der Höhle, die andern aber folgtenHalef, um den toten Abu Sejf zu sehen.

Bald kehrten sie jubelnd zurück.„Was verlangst du als Belohnung?“, fragte nun der Scheik

den tapferen kleinen Halef.„Herr, ich komme aus einem fernen Land, zu dem ich

wohl nicht wieder zurückkehren werde. Hältst du michfür würdig, so nimm mich unter die Deinen auf.“

„Ein Atejbeh willst du werden? Was sagt dein Herr dazu?“„Er ist damit einverstanden. Nicht wahr, Sihdi?“„Ja“, nahm ich das Wort. „Ich vereinige meinen Wunsch

mit dem seinigen.“„Was mich betrifft, so würde ich auf der Stelle zustim-

men“, erklärte der Scheik. „Aber ich muss erst diese Leutebefragen und die Aufnahme eines Freundes ist eine wich-tige Sache, die sehr viel Zeit erfordert. Hast du Verwandtehier in der Nähe?“

„Nein.“„Hast du eine Blutrache auf dich geladen?“„Nein.“„Bist du ein Sunnit oder ein Schiit?“„Ein Anhänger der Sunna.“„Du hast wirklich noch kein Weib und keine Kinder

gehabt?“„Nein.“„Wenn es so steht, so können wir ja gleich zur Beratung

schreiten.“„So berate auch über ein anderes noch mit!“„Worüber?“„Sihdi, willst du nicht an meiner Stelle reden?“Ich erhob mich vom Boden und nahm eine möglichst

würdevolle Haltung an. Dann begann ich meine Rede:„Vernimm meine Worte, o Scheik, und Allah öffne dir

das Herz, damit sie Eingang in die Gnade deines Willens

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finden. Ich bin Kara Ben Nemsi, ein Emir unter den Ulemaund Helden in Franghistan. Ich kam nach Afrika und auchin dieses Land, um seine Bewohner zu sehen und großeTaten zu verrichten. Dazu brauchte ich einen Begleiter,der alle Mundarten des Westens und Ostens versteht, derklug und weise ist und sich vor keinem Löwen, vor kei-nem Panther und vor keinem Menschen fürchtet. Ich fanddiesen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas IbnHadschi Dawuhd al Gossarah und bin mit ihm bis heuteüber alle Maßen zufrieden gewesen. Er ist stark wie einEber, treu wie ein Windspiel, klug wie ein Fennek1 undschnell wie eine Antilope. Wir haben über den Abgrün-den der Schotts gekämpft, wir sind eingebrochen und ha-ben uns doch gerettet. Wir haben die Tiere des Feldes undder Wüste bezwungen, wir haben dem bösen Samûm ge-trotzt, ja, wir sind sogar bis an die Grenze Nubiens vorge-drungen und haben eine Gefangene, die Blume aller Blu-men, aus der Gewalt ihres Peinigers befreit. Wir sind dannnach dem Bilâd el Arab gekommen, und was wir da erleb-ten, das habt ihr bereits erfahren und seid auch Zeugedavon gewesen. Er ist dann mit Hanneh, deiner Enkelin,nach Mekka geritten. Sie ist zum Schein sein Weib gewor-den und er hat unterschrieben, dass er sie wieder herge-ben werde. Nun aber hat Allah ihre Herzen geleitet, dasssie einander lieb gewannen und nie wieder voneinanderscheiden möchten. Du bist Hadschi Malek Ben AchmedChalid Ibn Abul Ali Abu Abdelatif el Hanifi, der weiseund tapfere Scheik dieser Söhne der Atejbeh. Deine Ein-sicht wird dir sagen, dass ich einen solchen Begleiter, wieHalef ist, nicht gern von mir lasse; aber ich wünsche, dasser glücklich sei, und daher richte ich die Bitte an dich, ihnin den Stamm der Atejbeh aufzunehmen und den Vertragzu zerreißen, in dem er dir versprochen hat, sein Weibzurückzugeben. Ich weiß, dass du mir diese Bitte erfüllenwirst, und werde, wenn ich einst in meine Heimat zurück-

1 Wüstenfuchs

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gekehrt bin, deinen Ruhm und den Ruhm der Deinenverbreiten im ganzen Abendland. Inschallâh!“

Alle hatten mir aufmerksam zugehört. Malek antwortete:„Effendi, ich weiß, dass du ein berühmter Emir der Nemsi

bist, obgleich eure Namen so kurz sind wie die Klinge ei-nes Frauenmessers. Du bist ausgegangen wie ein Sultan,der unerkannt große Taten verrichtet, und noch die Kin-der unserer Kinder werden von deinem Heldentum erzäh-len. Hadschi Halef Omar ist bei dir wie ein Wesir, dessenLeben seinem Sultan gehört, und ihr seid in unsere Zeltegekommen, um uns große Ehre zu bereiten. Wir liebendich und ihn und werden unsere Stimmen vereinigen, umihn zum Sohn unseres Stammes zu machen. Auch werdeich mit seinem Weib sprechen, und wenn sie bei ihm blei-ben will, so werde ich den Vertrag zerreißen, wie du eserbeten hast; denn er ist ein tapferer Krieger, der Abu Sejf,den Dieb und Räuber, getötet hat. Jetzt aber erlaube uns,ein Mahl zu bereiten, um den Tod des Feindes zu feiernund dann die Beratung in würdiger Weise vorzunehmen.Du bist unser Freund und Bruder, obgleich du einen an-deren Glauben hast als wir. Inschallâh!“

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12. Am Tigris

„Schrecklich wird der Herr über sie sein; denn er wirdalle falschen Götter vertilgen, und es sollen ihn anbetenalle Inseln der Heiden, ein jeglicher an seinem Ort. Under wird seine Hand ausstrecken über Mitternacht, um Assurumzubringen. Ninive wird er öde machen und so dürrewie eine Wüste, dass darinnen sich lagern werden allerleiTiere der Heidenländer; auch Rohrdommeln und Kormo-rane werden wohnen auf den Türmen und in den Fen-stern singen, und die Raben auf den Balken, denn die Ödewird auf den Schwellen sein. Das ist die lustige Stadt, dieso sicher war und bei sich sprach: Ich bin es und keinemehr. Wie ist sie so wüst geworden, dass die wilden Tieredarinnen wohnen? Wer an ihr vorübergeht, der pfeift sieaus und klatscht mit den Händen über sie!“

An diese Worte des Propheten Zephanja musste ich den-ken, als wir unser Boot beim letzten Schimmer des Tagesan das rechte Ufer des Tigris legten. Die ganze Gegendrechts und links vom Strom ist ein Grab, eine große, un-geheure, öde Begräbnisstätte. Die Ruinen des alten Romund Athen werden vom Strahl der Sonne erleuchtet unddie Denkmäler des einstigen Ägypten ragen als giganti-sche Gestalten zum Himmel empor. Sie reden verständ-lich genug von der Macht, dem Reichtum und dem Kunst-sinn jener Völker, die sie errichtet haben. Hier aber, anden beiden Strömen Euphrat und Tigris, liegen nur wüsteTrümmerhaufen, über die der Beduine achtlos dahinreitet,wohl ohne nur zu ahnen, dass unter den Hufen seines Pfer-des die Jubel und die Seufzer von Jahrtausenden begrabenliegen. Wo ist der Turm, den die Menschen im LandeSinear bauten, als sie zueinander sprachen: „Kommt, las-set uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitzebis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namenmachen!“ – ? Sie haben Stadt und Turm gebaut, aber dieStätte ist verwüstet. Sie wollten sich einen Namen machen,

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aber die Namen der Völker, die diese Stadt nacheinanderbewohnten und in dem Turm ihre Götzendienste verüb-ten, und die Namen der Fürsten und Statthalter, die hierim Gold und im Blut von Millionen wühlten, sie sind ver-schollen und können mit größter Mühe von unseren For-schern kaum noch erraten werden.

Wie aber kam ich an den Tigris und wie in das Dampf-boot, das uns bis unter die Stromschnellen von Kelab ge-tragen hatte?

Ich war mit den Atejbeh bis in die Wüste Ed Dahnagezogen, da ich es nicht wagen konnte, mich im Westendes Landes sehen zu lassen. Die Nähe von Maskat ver-lockte mich, diese Stadt zu besuchen. Ich tat es allein undohne alle Begleitung, besah mir seine bestürmten Mau-ern, seine befestigten Straßen, seine Moscheen und portu-giesischen Kirchen, bewunderte auch die belutschistanischeLeibgarde des Imâm und setzte mich endlich in eins deroffenen Kaffeehäuser, um mir eine Tasse Keschreh mun-den zu lassen. Dieser Trank wird aus den Schalen der Kaf-feebohne gebraut und mit Zimt und Nelken gewürzt.Meine Beschaulichkeit wurde durch eine Gestalt gestört,die den Eingang verdunkelte.

Ich blickte auf und sah eine Figur, die einer längerenBetrachtung wohl würdig war:

Ein hoher, grauer Zylinderhut saß auf einem dünnen,langen Kopf, der in Bezug auf Haarwuchs eine völligeWüste war. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legtesich einer Nase in den Weg, die zwar scharf und lang ge-nug war, aber dennoch die Absicht verriet, sich bis hinabzum Kinn zu verlängern. Der bloße, dürre Hals ragte auseinem sehr breiten, umgelegten, tadellos geplätteten Hemd-kragen; dann folgten ein graukarierter Schlips, eine grau-karierte Weste, ein graukarierter Rock und graukarierteBeinkleider, ebensolche Gamaschen und staubgraue Stie-fel. In der Rechten trug der graukarierte Mann ein Instru-ment, das einer Verwalterhacke sehr ähnlich war, und in

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der Linken eine doppelläufige Pistole. Aus der äußerenBrusttasche guckte ein zusammengefaltetes Zeitungsblattneugierig hervor.

„Werin Kahwe – gebt Kaffee!“, schnarrte er mit einerStimme, die dem Ton einer Sperlingsklapper glich.

Er setzte sich auf ein Ssenije, das eigentlich als Tisch die-nen sollte, von ihm aber als Sessel gebraucht wurde. Ererhielt den Kaffee, senkte die Nase auf den Trank, schnüf-felte den Duft ein, schüttete den Inhalt auf die Straße hinausund stellte die Tasse auf den Boden.

„Werin Tütün – gebt Tabak!“, befahl er jetzt.Er erhielt eine bereits angebrannte Pfeife, tat einen Zug,

blies den Rauch durch die Nase, spuckte aus und warf diePfeife neben die Tasse.

„Werin...“, er sann nach, aber das türkische Wort wolltenicht kommen und Arabisch verstand er vielleicht garnicht. Daher schnarrte er kurzweg. „Werin Roastbeef!“

Der Kahwedschi verstand ihn nicht.„Roastbeef!“, wiederholte er, wobei er mit dem Mund

und allen zehn Fingern die Pantomime des Essens machte.„Kebab!“, bedeutete ich hilfsbereit dem Wirt, der so-

gleich hinter der Tür verschwand, um die Speise zu berei-ten. Sie besteht aus kleinen, viereckigen Fleischstücken,die an einem Spieß über dem Feuer gebraten werden.

Jetzt schenkte der Engländer auch mir seine Aufmerk-samkeit.

„Araber?“, fragte er.„No.“„Türke?“„No.“Jetzt zog er die dünnen Augenbrauen erwartungsvoll in

die Höhe.„Englishman?“„Nein. Ich bin ein Deutscher.“„Deutscher? Was hier machen?“„Kaffee trinken!“

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„Very well! Was sein?“„Ich bin writer 1!”„Ah! Was hier wollen in Maskat?“„Ansehen.“„Und dann weiter?“„Weiß noch nicht.“„Haben Geld?“„Ja.“„Wie heißen?“Ich nannte meinen Namen. Sein Mund öffnete sich auf

die Weise, dass die dünnen Lippen ganz genau ein gleichsei-tiges Viereck bildeten, das die breiten, langen Zähne desMannes sehen ließ; die Brauen stiegen noch höher empor alsvorher und die Nase wedelte mit der Spitze, als ob sieKundschaft einziehen wolle, was das Loch unter ihr jetztsagen werde. Dann griff er in den Rockschoß, zog ein Notiz-buch hervor, blätterte darin und fuhr sodann in die Höhe,um den Hut abzunehmen und mir eine Verbeugung zumachen.

„Welcome, Sir, kenne Euch!“„Ah, mich?“„Yes, sehr!“„Darf ich fragen, woher?“„Bin Freund von Sir Emery Bothwell, Mitglied vom Travel-

lers Club, London, Near-Street 47.“„Wirklich? Ihr kennt Sir Emery? Wo befindet er sich

jetzt?“„Auf Reisen – hier oder dort – weiß nicht. Ihr wart mit

ihm in Algier?“„Allerdings.“„Löwen geschossen?“„Ja.“„Dann Jagd auf Wüstenräuber?“„So ist es.“„Haben Zeit?“

1 Schreiber, Schriftsteller

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„Hm! Warum stellt Ihr diese Frage?“„Habe gelesen von Babylon – Ninive – Ausgrabungen –

Teufelsanbeter. Will hin – auch ausgraben – Fowlingbullsholen – Britisches Museum schenken. Kann nicht Ara-bisch – will gern Jäger haben. Macht mit – bezahle gut,sehr gut!“

„Darf ich um Euern Namen bitten?“„Lindsay, David Lindsay – Titel nicht, brauche nicht –

Sir David sagen.“„Ihr beabsichtigt wirklich, nach dem Euphrat und Tigris

zu gehen?“„Yes. Habe Dampfboot – fahre hinauf – steige aus –

Dampfboot wartet, oder zurück nach Bagdad – kaufe Pferdund Kamel – reisen, jagen, ausgraben, an Britisches Mu-seum schenken, Travellers Club erzählen. Ihr mitgehen?“

„Ich bin am liebsten selbstständig.“„Natürlich! Könnt mich verlassen, wann Ihr wollt –

werde gut bezahlen, sehr fein bezahlen – nur mitgehen.“„Wer ist noch dabei?“„So viele Ihr wollt, aber lieber ich, Ihr, zwei Diener.“„Wann fahrt Ihr ab?“„Übermorgen – morgen – heute – gleich!“Das war ein Anerbieten, wie es mir nicht gelegener kom-

men konnte. Ich bedachte mich nicht lange und schlugein. Natürlich aber stellte ich die Bedingung, dass es mir zujeder Zeit freistände, meine eigenen Wege zu gehen. Er führ-te mich an den Hafen, wo ein allerliebster kleiner Puffer lag,und ich merkte bereits nach einer halben Stunde, dass ichmir keinen besseren Gefährten wünschen konnte. Er wollteLöwen und alle möglichen Bestien schießen, die Teufelsan-beter besuchen und mit aller Gewalt einen Fowlingbull, wieer es nannte, einen geflügelten Stier, ausgraben, um ihn demBritischen Museum zum Geschenk zu machen. Diese Plänewaren abenteuerlich, hatten aber eben deshalb meine vol-le Zustimmung. Ich war auf meinen Wanderungen nochviel seltsameren Käuzen begegnet, als er einer war.

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Leider ließ er mich gar nicht wieder zu den Atejbeh zu-rück. Ein Bote musste meine Sachen holen und Halef be-nachrichtigen, wohin ich reisen würde. Als er zurückkehr-te, erzählte er mir, dass Halef mit noch einem Atejbeh zuLand zu den Schammar-Arabern reisen werde, um mitihnen über die Einverleibung der Atejbeh zu verhandeln.Er werde mein Hedschîn mitbringen und mich schon zufinden wissen.

Diese Nachricht war mir lieb. Dass Halef zu dieser Bot-schaft ausersehen war, bewies mir wieder, dass er der Lieb-ling seines Schwiegervaters geworden war. Wir fuhren imPersischen Golf hinauf, sahen uns Basra und Bagdad anund gelangten nachher, auf dem Tigris aufwärts damp-fend, an die Stelle, an der wir heute anlegten.

Oberhalb unserer Landestelle mündete der Sab el Asfalin den Tigris, und die Ufer hüben und drüben waren miteinem dichten Bambusdschungel bestanden. Wie schonvorhin gesagt, brach bereits die Nacht herein, trotzdemaber bestand Lindsay darauf, an Land zu gehen und dieZelte aufzuschlagen. Ich hatte keine rechte Lust dazu,konnte ihn aber nicht gut allein lassen und folgte ihm also.Die Bemannung des Dampfbootes bestand aus vier Leu-ten; es sollte mit Tagesanbruch bereits nach Bagdad zu-rückkehren, und so fasste der Engländer gegen meinen Ratden Entschluss, alles, auch die vier Pferde, die er in Bag-dad gekauft hatte, noch auszuladen.

„Es wäre besser, wenn wir dies unterließen, Sir“, warnteich ihn.

„Warum?“„Weil wir es morgen bei Tageslicht tun könnten.“„Geht auch am Abend – bezahle gut!“„Wir und die Pferde sind auf dem Fahrzeug sicherer als

auf dem Lande.“„Gibt es hier Diebe – Räuber – Mörder?“„Den Arabern ist niemals zu trauen. Wir sind noch nicht

eingerichtet!“

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„Werden ihnen nicht trauen, uns aber doch einrichten –haben Büchsen, jeder Spitzbube wird niedergeschossen!“

Er ging nicht von seinem Vorsatz ab. Erst nach zwei Stun-den waren wir mit der Arbeit fertig, die zwei Zelte warenaufgerichtet und zwischen ihnen und dem Ufer wurdendie Pferde angehängt. Nach dem Abendbrot gingen wirschlafen. Ich hatte die erste, die beiden Diener die zweiteund dritte und Lindsay selbst die vierte Wache. Die Nachtwar wunderschön. Vor uns rauschten die Fluten des brei-ten Stroms hinab und hinter uns erhoben sich die Höhendes Dschebel Khanuke. Die Helle des Firmaments erleuch-tete alles zur Genüge, aber das Land selbst, auf dem ichstand, war noch ein Rätsel. Seine Vergangenheit glich denFluten des Tigris, die dort unten im Schatten des Dschun-gels verschwanden. An Assyrien, Babylonien und Chaldäaknüpfen sich die Erinnerungen an große Nationen undriesige Städte, aber diese Erinnerungen gleichen dem Rück-blick auf einem Traum, dessen Einzelheiten man verges-sen hat.

Als meine Wachzeit vorüber war, weckte ich den Dienerund unterrichtete ihn gehörig. Er hieß Bill, war ein Irlän-der und machte den Eindruck, als sei die Kraft seinerMuskeln dreißigmal stärker als die seines Geistes. Er grins-te sehr verschmitzt zu meinen Anweisungen und beganndann auf und ab zu gehen. Ich schlief ein.

Als ich erwachte, geschah es nicht freiwillig, sondernich wurde am Arm gerüttelt. Lindsay stand vor mir in sei-nem graukarierten Anzug, den er selbst in der Wüste nichtabzulegen beschlossen hatte.

„Sir, wacht auf!“Ich sprang auf die Füße und fragte:„Ist etwas geschehen?“„Hm – ja!“„Was?“„Unangenehm!“„Was!“

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„Pferde fort!“„Die Pferde? Haben sie sich losgerissen?“„Weiß nicht.“„Waren sie noch da, als Ihr die Wache übernahmt?“„Yes!“„Aber Ihr habt doch gewacht!“„Yes!“„Wo denn?“„Dort.“Er deutete auf einen Hügel, der ziemlich entfernt von

unseren Zelten lag.„Dort, warum dort?“„Ist wohl ein Ruinenhügel – hingegangen wegen Fowling-

bull.“„Und als Ihr zurückkehrtet, waren die Pferde fort?“„Yes!“Ich trat hinaus und untersuchte die Pfähle. Die Enden

der Leinen hingen noch daran, die Tiere waren losgeschnittenworden.

„Sie haben sich nicht losgerissen, sondern sind geraubtworden!“

Er formierte das bekannte Lippenparallelogramm undlachte vergnügt.

„Yes! Von wem?“„Von Dieben!“Er machte ein noch vergnügteres Gesicht.„Very well, von Dieben – wo sind sie – wie heißen sie?“„Weiß ich es?“„No – ich auch nicht – schön, sehr schön! – Abenteuer

da!“„Es ist keine Stunde vergangen, seit der Diebstahl ge-

schah. Warten wir nur noch fünf Minuten, so ist es hell ge-nug, um die Spuren zu erkennen.“

„Schön – ausgezeichnet! Seid Präriejäger gewesen – Spu-ren finden – nachlaufen – totschießen – kapitales Vergnü-gen – bezahle gut, sehr gut!“

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Er trat in sein Zelt, um die Vorbereitungen zu treffen,die er für notwendig hielt. Ich erkannte nach kurzer Zeitim Schein der Dämmerung die Spuren von sechs Män-nern und teilte ihm diese Entdeckung mit.

„Sechs? Wie viel wir?“„Nur zwei. Zwei müssen bei den Zelten zurückbleiben

und das Boot bleibt auch liegen, bis wir zurückkehren.“„Yes. Das befehlen und dann fort!“„Seid Ihr ein guter Läufer oder soll ich Bill mitnehmen?“„Bill? Pah? Weshalb gehe an Tigris! Abenteuer! Laufe

gut – laufe wie Hirsch!“Nachdem die nötigen Verhaltensmaßregeln erteilt wor-

den waren, warf er die rätselhafte Hacke nebst der Büchseüber die Achsel und folgte mir. Es galt, die Diebe einzu-holen, ehe sie zu einer größeren Truppe stießen, und da-her schritt ich so schnell aus, wie mir möglich war. Die lan-gen karierten Beine meines Gefährten hielten sich ganzwacker; es war eine Lust, so mit ihm zu laufen.

Wir befanden uns in der Zeit des Frühjahrs; der Bodenglich daher nicht einer Wüste, sondern einer Wiese, nurdass die Blumen förmlich büschel- oder vielmehr busch-weise aus der Erde schossen. Wir waren noch nicht weitgekommen, so hatten unsere Hosen sich vom Blütenstaubgefärbt. Wegen dieser Höhe der Vegetation war die Spursehr deutlich zu erkennen. Sie führte uns schließlich anein Nebenflüsschen, das vom Dschebel Khanuke herflossund eine sehr aufgeregte Wassermasse zeigte. An seinemUfer stieß die Spur an eine Stelle, die von Pferdehufenzertreten war, und eine neue Untersuchung ergab von hieraus zehn statt vier Hufspuren. Zwei von den sechs Diebenwaren bis hierher gelaufen statt geritten und hier hattensie alle ihre Pferde versteckt gehabt.

Lindsay machte eine sehr missvergnügte Mine.„Miserabel – totärgern!“„Worüber?“„Werden entkommen!“

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„Weshalb?“„Haben nun alle Pferde – wir laufen.“„Pah! Ich holte sie dennoch ein, wenn Ihr aushieltet;

aber das ist gar nicht einmal nötig. Man darf nicht nursehen, sondern man muss auch schließen.“

„Schließt!“„Sind diese Leute zufällig an unseren Lagerplatz gekom-

men?“„Hm!“„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es scheint mir, als seien

sie zu Lande dem Schiff gefolgt, das alle Abende angelegthat. Ist dies der Fall, so führt zwar ihre Spur nach Westen,aber nur deshalb, weil sie über diesen Fluss müssen undsich doch bei Hochwasser mit den fremden Pferden nichthineingetrauen.“

„Also Umweg machen müssen?“„Ja. Sie werden sich eine Furt oder irgendeine bessere

Übergangsstelle suchen und dann wieder in die alte Rich-tung lenken.“

„Schön, gut – sehr gut!“Er warf die Kleidung ab und trat ans Ufer.„Ja, Sir, seid Ihr denn ein guter Schwimmer?“„Yes!“„Es ist hier nicht so ganz gefahrlos, wenn man die Waf-

fen und die Kleider trockenhalten will. Macht mit denKleidern einen Turban über Euern Hut!“

„Gut – sehr gut – werde machen!“Auch ich wand mir aus meinen Kleidern einen hohlen

Ballen, den ich mir auf den Kopf setzte, dann gingen wirins Wasser. Der Engländer war wirklich ein ebenso gewand-ter Schwimmer, wie er ein ausdauernder Läufer war. Wirkamen ganz gut hinüber und zogen die Kleider wieder an.

Lindsay überließ sich ganz meiner Führung. Wir eiltennoch ungefähr zwei englische Meilen nach Süd und schlu-gen dann nach West um, wo uns die Höhen eine weiteAussicht gewährten. Wir stiegen einen Berg empor und

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sahen uns um. So weit das Auge reichte, zeigte sich keinlebendes Wesen.

„Nothing! – Nichts – keine Seele – miserabel!“„Hm, auch ich sehe nichts!“„Wenn Ihr Euch geirrt – oho, was dann?“„Dann haben wir noch immer Zeit, sie dort am Flüsschen

zu verfolgen. Mir hat noch keiner ungestraft ein Pferdgestohlen; ich werde auch hier nicht eher zurückkehren,bis ich die vier Tiere wieder habe.“

„Ich auch.“„Nein. Ihr müsst bei Euerm Eigentum sein.“„Eigentum? Pah! Wenn fort, dann neues kaufen -– Aben-

teuer gern bezahlen – sehr gut.“„Halt! Bewegt sich da draußen nicht etwas?“„Wo?“„Dort!“Ich deutete mit der Hand die Richtung an. Er riss die

Augen und den Mund weit auf und spreizte die Beine weitauseinander. Seine Nasenflügel öffneten sich – es sah aus,als ob sein Riechorgan auch mit einem optischen Witterungs-und Ahnungsvermögen begabt sei.

„Richtig – sehe auch!“„Es kommt auf uns zu.“„Yes! Wenn sind, dann alle totschießen!“„Sir, es sind Menschen!“„Diebe! Müssen tot – unbedingt tot!“„Dann tut es mir Leid, Euch verlassen zu müssen.“„Verlassen? Warum?“„Ich wehre mich meiner Haut, wenn ich angegriffen

werde, aber ich morde keinen Menschen ohne Not. Ichdenke, Ihr seid Engländer!“

„Well! Englishman – Gentleman – werde nicht töten –nur Pferde nehmen!“

„Es scheint wahrhaftig, dass sie es sind!“„Yes! Zehn Punkte – stimmt!“„Vier sind ledig und sechs beritten.“

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„Hm! Guter Präriejäger Ihr – Recht gehabt – Sir EmeryBothwell viel erzählt – bei mir bleiben – gut bezahlen,sehr gut!“

„Schießt Ihr sicher?“„Hm, ziemlich!“„So kommt. Wir müssen uns zurückziehen, damit sie

uns nicht bemerken. Unser Operationsfeld liegt untenzwischen dem Berg und dem Fluss. Gehen wir noch zehnMinuten weiter nach Süd, so tritt die Höhe so eng an dasWasser heran, dass ein Entkommen gar nicht möglich ist.“

Wir eilten jetzt in vollem Lauf wieder hinab und erreich-ten bald die Stelle, die ich angedeutet hatte. Der Fluss warvon Schilf und Bambus eingesäumt und am Fuß des Ber-ges fanden sich Mimosen und ein hohes Wermutgebüsch.Wir hatten Raum genug zum Versteck.

„Was nun?“, fragte der Engländer.„Ihr verbergt Euch hier im Schilf und lasst die Leute

vorüber. Am Ausgang dieser Enge trete ich hinter die Mi-mosen, und wenn wir die Diebe zwischen uns haben, tre-ten wir beide vor. Ich schieße ganz allein, da ich mich viel-leicht besser nach den Umständen zu richten verstehe, undIhr gebraucht Euer Gewehr nur auf mein ganz besonderesGeheiß oder wenn Euer Leben ernstlich in Gefahr kommt.“

„Well – gut, sehr gut – exzellentes Abenteuer!“Er verschwand im Schilf und auch ich suchte mir mei-

nen Platz. Bereits nach kurzer Zeit hörten wir Hufschlag.Sie kamen herbei – an Lindsay vorüber, ohne böse Ah-nung, ohne sich umzusehen. Ich sah den Engländer jetztaus dem Schilf tauchen und trat vor. Sie hielten im Au-genblick ihre Pferde an. Die Büchse hing mir über dieSchulter und nur den Henrystutzen hielt ich in der Hand.

„Es selâm ’alejkum!“Der freundliche Gruß verblüffte sie.„’Alejk“, antwortete einer von ihnen. „Was tust du hier!“„Ich warte auf meine Brüder, die mir helfen sollen.“„Welcher Hilfe bedarfst du?“

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„Du siehst, dass ich ohne Pferd bin. Wie soll ich durchdie Wüste kommen? Du hast vier Tiere übrig; willst dumir nicht eins davon verkaufen?“

„Wir verkaufen keins dieser Pferde!“„Ich höre, dass du ein Liebling Allahs bist. Du willst

nur deshalb das Pferd nicht verkaufen, weil dein gutes Herzdir gebietet, es mir zu schenken.“

„Allah heile deinen Verstand! Ich werde auch kein Pferdverschenken.“

„O du Muster von Barmherzigkeit, du wirst einst dieWonnen des Paradieses vierfach kosten; denn du willst mirnicht bloß ein Pferd, sondern vier verehren, weil ich soviele brauche!“

„Allah kerîm! Dieser Mensch ist gewiss und wahrhaftigverrückt!“

„Bedenke, mein Bruder, dass die Verrückten nehmen,was man ihnen nicht freiwillig gibt! Blick dich um! Viel-leicht gibst du jenem dort, was du mir verweigerst!“

Erst jetzt, beim Anblick des Engländers, wurde ihnen dieSituation vollständig klar. Sie legten die Lanzen zum Stoß ein.

„Was wollt ihr?“, fragte mich der Sprecher.„Unsere Pferde, die ihr uns beim Anbruch des Tages

gestohlen habt.“„Mensch, du bist wahrhaftig toll! Wenn wir dir Pferde

genommen hätten, so hättest du uns mit den Füßen nichterreichen können!“

„Meinst du? Ihr wisst, dass diese vier Pferde den Fran-ken gehören, die dort mit dem Schiff angekommen sind.Wie könnt ihr denken, dass Franken sich ungestraft be-stehlen lassen und nicht klüger sind als ihr! Ich habegewusst, dass ihr am Fluss einen Umweg machen würdet,bin herübergeschwommen und euch zuvorgekommen. Ihraber habt euch allerdings täuschen lassen. Ich will nichtMenschenblut vergießen; darum bitte ich euch, mir diePferde freiwillig zurückzugeben. Dann könnt ihr gehen,wohin ihr wollt!“

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Er lachte.„Ihr seid zwei Männer und wir sind sechs.“„Wohl! So tue jeder, was ihm beliebt!“„Geh aus dem Weg!“Er legte die mit Straußenfedern verzierte Lanze ein und

trieb sein Pferd auf mich zu. Ich erhob den Stutzen: DerSchuss krachte und Ross und Reiter stürzten nieder. Ichbedurfte keiner Minute, um noch fünfmal zu zielen undfünfmal abzudrücken. Alle Pferde stürzten und nur dieunsrigen, die man zusammengekoppelt hatte, waren un-versehrt. Der Mann, der sie vorher an der Leine hielt, hat-te sie losgelassen. Wir benützten den Augenblick der Ver-wirrung, sprangen auf und eilten davon.

Hinter uns ertönte das Zorngeschrei der Araber. Wirmachten uns nichts daraus, sondern brachten die Riemenunserer Tiere in Ordnung und ritten lachend davon.

„Magnificent – prächtig – schönes Abenteuer – hundertPfund wert! Wir zwei, sie sechs – sie uns vier Pferde ge-nommen, wir ihnen sechs genommen – ausgezeichnet –herrlich!“, lachte Lindsay.

„Ein Glück, dass es so ausgezeichnet, so herrlich abge-laufen ist, Sir David! Wären unsere Tiere scheu geworden,so kämen wir nicht so schnell weg und hätten sehr leichteinige Kugeln erhalten können.“

„Machen wir auch Umweg oder gehen geradeaus?“„Geradeaus. Wir kennen unsere Pferde, der Übergang

wird gelingen.“Wir kamen in guter Zeit wieder bei unseren Zelten an

und bald nach unserer Ankunft stieß das Boot vom Landab und wir blieben allein in der Wüste zurück.

Lindsay wollte anfangs sehr viel Gepäck und auch Pro-viant mitnehmen, ich aber hatte ihn zu einer anderenAnsicht gebracht. Wer ein Land kennen lernen will, dermuss auch lernen, sich auf dessen Gaben zu beschränken,und ein Reiter darf nie mehr bei sich haben, als sein Tierzu tragen vermag. Übrigens waren wir reichlich mit Mu-

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nition versehen, was die Hauptsache ist, und außerdemverfügte der Engländer über einen so bedeutenden Geld-vorrat, dass wir davon den Reiseaufwand für Jahre hinaushätten bestreiten können.

„Nun allein am Tigris“, meinte er. „Nun gleich grabennach Fowlingbulls und anderen Altertümern!“

Der gute Mann hatte sicher sehr viel von den Ausgra-bungen bei Khorsabad, Karakojunlu, Hamam Ali, Nimrud,Eskischaf und El Hadr gelesen und gehört und war da-durch auf den Gedanken gekommen, nun seinerseits auchdas Britische Museum zu bereichern und dadurch ein be-rühmter Mann zu werden.

„Jetzt gleich?“, fragte ich ihn. „Das wird nicht gehen!“„Warum? Habe Hacke mit.“„Oh, mit diesem Gerät werdet Ihr nicht viel machen

können. Wer hier graben will, muss sich erst mit der Re-gierung verständigen...“

„Regierung? Welche?“„Die türkische.“„Pah! Hat Ninive den Türken gehört?“„Allerdings nicht, denn damals war von den Türken

keine Rede. Aber die Ruinen gehören jetzt zum türkischenGrund und Boden, obgleich hier der Arm des Sultans nichtsehr mächtig ist. Die arabischen Nomaden sind da die ei-gentlichen Herren, und wer hier graben will, der hat sichzunächst auch mit ihnen in freundschaftliche Beziehungzu setzen, da er sonst weder seines Eigentums noch seinesLebens sicher ist. Darum habe ich Euch ja geraten, Ge-schenke für die Stammesanführer mitzunehmen.“

„Die seidenen Gewänder?“„Ja; sie sind hier am meisten gesucht und nehmen beim

Transport sehr wenig Raum ein.“„Well, so wollen wir uns in freundschaftliche Beziehung

setzen – aber gleich und sofort – nicht?“„Ich bin dabei. Nun fragt es sich, welchem Scheik man

zunächst seine Aufwartung zu machen hat.“

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„Raten!“„Der mächtigste Stamm heißt Esch Schammar. Er hat

aber seine Weidegründe weit oben am südlichen Abhangder Sindschar-Berge und an dem rechten Ufer desSsarßar 1.“

„Wie weit Sindschar von hier?“„Einen ganzen Breitegrad.“„Sehr breit! Was sind noch für Araber hier?“„Die Obejede, Abu Selman, Abu Ferhan und andere;

doch lässt sich nie genau bestimmen, wo man diese Hor-den zu suchen hat, da sie sich stets auf Wanderschaft be-finden. Wenn ihre Herden einen Platz abgeweidet haben,so bricht man die Zelte ab und zieht weiter. Dabei lebendie einzelnen Stämme in ewiger, blutiger Feindschaft mit-einander; sie haben einander zu meiden und das trägt auchnicht wenig zu der Unstetigkeit ihres Lebens bei.“

„Schönes Leben – viel Abenteuer – viel Ruinen finden –viel ausgraben – exzellent!“

„Am besten ist es, wir reiten in die Wüste hinein undfragen den ersten Beduinen, der uns begegnet, nach demWohnort des nächsten Stammes.“

„Gut – well – sehr schön! Gleich jetzt reiten und fra-gen!“

„Wir können heute noch hier bleiben!“„Bleiben und nicht graben? Nein – geht nicht! Zelte ab –

und fort!“Ich musste ihm seinen Willen lassen, zumal ich mir bei

näherem Überlegen sagte, dass es wegen der blutigen feind-seligen Begegnung besser war, den Ort zu verlassen. Wirbrachen also die leichten Zelte ab, die von den Pferdender Diener getragen werden mussten, saßen auf und schlu-gen den Weg nach dem Sabakah-See ein.

Es war ein wundervoller Ritt durch die blumenreicheSteppe. Jeder Schritt der Pferde wirbelte neue Wohlgerü-che auf. Ich konnte selbst die weichste und saftigste Sa-

1 Die auf Landkarten übliche englische Schreibweise ist „Tharthar“.

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vanne Nordamerikas mit dieser Gegend nicht vergleichen.Die Richtung, die wir eingeschlagen hatten, stellte sichals glücklich gewählt heraus; denn bereits nach kaum ei-ner Stunde kamen zwei Reiter auf uns zugesprengt. Siemachten eine sehr hübsche Figur mit den fliegenden Män-teln und wehenden Straußenfedern. Unter lautem Geschreiritten sie auf uns los.

„Sie brüllen. Werden sie stechen?“, fragte der Englän-der.

„Nein. Das ist die Begrüßungsart dieser Leute. Wer sichdabei zaghaft zeigt, wird für unmännlich gehalten.“

„Werden Männer sein!“Er hielt Wort und zuckte nicht mit der Wimper, als der

eine mit seiner scharfen Lanzenspitze gerade auf seine Brustzuhielt und erst abbog und sein Pferd in die Hacken riss,als die Lanzenspitze beinahe die Brust berührte.

„Es selâm ’alejkum! Wohin wollt Ihr?“, grüßte einer.„Von welchem Stamm bist du?“„Vom Stamm der Haddedihn, der zur großen Nation

der Schammar gehört.“„Wie heißt dein Scheik?“„Er führt den Namen Mohammed Emin.“„Ist er weit von hier?“„Wenn du zu ihm willst, so werden wir euch begleiten.“Sie wandten um und schlossen sich uns an. Während

wir – die Diener hinter uns – in würdevoller Haltung inden Sätteln saßen, sprengten sie um uns in weiten Kreisenherum, um ihre Reiterkünste sehen zu lassen. Ihr Haupt-kunststück besteht im Innehalten mitten im rasenden Lauf,wodurch aber die Pferde sehr angegriffen und leicht zuSchanden werden. Ich glaube behaupten zu können, dassein Indianer auf seinem Mustang sie in jeder Beziehungübertrifft. Dem Engländer gefiel das Schaureiten dieserLeute.

„Prächtig! Hm, so kann ich es nicht – würde den Halsbrechen!“

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„Ich habe noch andere Reiter gesehen.“„Ah! Wo?“„Ein Ritt auf Leben und Tod in einem amerikanischen

Urwald, auf einem gefrorenen Fluss, wenn das Pferd kei-ne Eisen hat, oder in einem steinigen Cañon ist doch nochetwas ganz anderes.“

„Hm! Werde auch nach Amerika gehen – reiten in Ur-wald – auf Flusseis – in Cañon – schönes Abenteuer –prachtvoll! Was sagten diese Leute?“

„Sie grüßten uns und fragten nach dem Ziel unseresRitts; sie werden uns zu ihrem Scheik bringen. Er heißtMohammed Emin und ist der Anführer der Haddedihn.“

„Tapfere Leute?“„Diese Männer nennen sich alle tapfer und sind es auch

bis zu einem gewissen Grad. Ein Wunder ist das nicht. DieFrau muss alles machen und der Mann tut nichts als reiten,rauchen, rauben, kämpfen, klatschen und faulenzen.“

„Schönes Leben – prächtig – möchte Scheik sein – vielausgraben – manchen Fowlingbull finden und Londonschicken – hm!“

Nach und nach wurde die Steppe belebter und wir ge-wahrten, dass wir uns den Haddedihn näherten. Sie be-fanden sich zum großen Teil noch in Bewegung, als wirsie erreichten. Es ist nicht leicht, den Anblick zu beschrei-ben, den ein Araberstamm auf dem Zug nach seinem neu-en Weideplatz gewährt. Ich hatte vorher die Sahara undeinen Teil von Arabien durchzogen und dabei viele Stäm-me der westlichen Araber kennen gelernt; hier aber botsich mir ein ganz neuer Anblick dar. Dieselbe Verschie-denheit, die zwischen den Oasen der Sahara und dem ‚LandeSinear‘ der Heiligen Schrift herrscht: – Man beobachtetsie auch im Leben und in allen Verhältnissen ihrer Be-wohner. Hier ritten wir auf einer beinahe unbegrenztenMerdsch1, die nicht die mindeste Ähnlichkeit mit einerUâh2 des Westens hatte. Sie glich vielmehr einem riesigen

1 Wiese, Prärie 2 Oase

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Savannenteppich, der aus lauter Blumen bestand. Hierschien nie der fürchterliche Samûm gewütet zu haben, hierwar keine Spur einer wandernden Düne zu erblicken. Hiergab es kein zerklüftetes und verschmachtetes Wadi undman meinte, dass hier keine Fata Morgana die Machtbesäße, den müden, einsamen Wanderer zu äffen. Die weiteEbene hatte sich mit duftendem Leben geschmückt undauch die Menschen zeigten keine Spur jener ‚Wüsten-stimmung‘, der westwärts vom Nil kein Mensch entgehenkann. Es lag über diesem bunten Gefilde ein Farbenton, dernicht im Mindesten an das versengende, dabei oft blutig trü-be und tödliche Licht der großen Wüste erinnerte.

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13. Rih

Wir befanden uns jetzt inmitten einer nach Tausendenzählenden Herde von Schafen und Kamelen. So weit dasAuge reichte – rechts und links von uns, vor und hinteruns – wogte ein Meer von grasenden und wanderndenTieren. Wir sahen lange Reihen von Ochsen und Eseln,die mit schwarzen Zelten, bunten Teppichen, ungeheurenKesseln und allerlei anderen Sachen beladen waren. Aufdiese Berge von Gerätschaften hatte man alte Männer undWeiber gebunden, die nicht mehr im Stande waren, zugehen oder sich ohne Stütze im Sattel aufrecht zu halten.Zuweilen trug eins der Tiere kleine Kinder, die in denSattelsäcken so befestigt waren, dass nur ihre Köpfe durchdie kleine Öffnung schauten. Zur Erhaltung des Gleich-gewichts trug das Lasttier dann auf der anderen Seite jun-ge Lämmer und Zickelchen, die blökend und meckerndebenso aus den Öffnungen der Säcke hervorblickten. Dannkamen Mädchen, nur mit dem eng anliegenden, arabischenHemd bekleidet, Mütter mit Kindern auf den Schultern,Knaben, die Lämmer vor sich her trieben, Dromedar-treiber, die, auf ihren Tieren sitzend, ihre edlen Pferdenebenbei am Zügel führten, und endlich zahlreiche Rei-ter, die, mit bebuschten Lanzen bewaffnet, auf der Ebenenach denjenigen ihrer Tiere herumjagten, die sich nichtin die Ordnung des Zuges fügen wollten.

Eigentümliche Figuren bildeten die Reitkamele, die zumTragen vornehmer Frauen bestimmt waren. Ich hatte inder Sahara sehr oft Hedschûn gesehen, die Frauen in demwiegenähnlichen Korb trugen, aber eine Vorrichtung wiedie hiesige war mir noch nicht vorgekommen. Zwei län-gere Stangen nämlich werden dem Kamel vor und hinterdem Höcker quer über den Rücken gelegt, an ihren En-den zusammengezogen und mit Pergament oder Strickenverbunden. Dieses Gestell ist mit Fransen und Quastenvon Wolle in allen Farben, mit Muschel- und Perlenschnü-

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ren verziert, wie auch der Sattel und das Riemenzeug, undragt also rechts und links noch weit über die Seiten desKamels hinaus. Zwischen ihm auf dem Höcker ragt eineaus Grundleisten und Stoffbezug bestehende Vorrichtungempor, die fast genau einem Schilderhaus gleicht und mitallerlei Quasten und Troddelwerk behangen ist. In diesemBelle-vue sitzt die Dame. Das ganze Gestell erreicht eineaußerordentliche Höhe, und wenn sie am Horizont er-scheint, so könnte man sie infolge des schwankenden Gan-ges der Kamele für einen riesigen Schmetterling oder füreine gigantische Libelle halten, die ihre Flügel auf undnieder schlägt.

Unser Erscheinen erregte in jeder Gruppe, bei der wirankamen, großes Aufsehen. Ich selbst trug daran wohlweniger Schuld als Lindsay, dem ja ebenso wie seinen Die-nern auf den ersten Blick der Europäer anzusehen war. Ermusste in seinem graukarierten Anzug hier noch mehrauffallen als ein Araber, der in seiner malerischen Trachtvielleicht auf einem öffentlichen Platz Münchens oderLeipzigs erschienen wäre. Unsere Führer ritten uns voran,bis wir endlich ein außerordentlich großes Zelt erblick-ten, vor dem viele Lanzen in der Erde steckten. Dies zeig-te, dass es das Zelt des Häuptlings war. Man war soebenbeschäftigt, rundherum einen Kreis anderer Zelte zu er-richten.

Die beiden Araber sprangen ab und traten ein. Nur we-nige Augenblicke später erschienen sie in Begleitung einesDritten wieder. Dieser hatte die Gestalt und das Äußereeines echten Patriarchen. So musste Abraham ausgesehenhaben, wenn er aus seinem Haus im Haine Mamre trat,um seine Gäste zu begrüßen. Der schneeweiße Bart hingihm bis über die Brust hinab, dennoch aber machte derGreis den Eindruck eines rüstigen Mannes, der im Standeist, jede Beschwerde zu ertragen. Sein dunkles Auge mu-sterte uns nicht eben einladend und freundlich. Er hobdie Hand zum Herzen und grüßte:

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„Selâm!“Dies ist der Gruß eines eingefleischten Mohammeda-

ners, wenn ein ‚Ungläubiger‘ zu ihm kommt; dagegenempfängt er jeden ‚Gläubigen‘ mit Selâm ’alejkum.

„’Alejkum!“, antwortete ich und sprang vom Pferd.Er sah mich forschend an, dann fragte er:„Bist du ein Moslem oder ein Giaur?“„Seit wann empfängt der Sohn des edlen Stammes der

Schammar seine Gäste mit einer solchen Frage? Sagt nichtder Korân: ‚Speise den Fremdling und tränke ihn; lass ihnbei dir ruhen, ohne seinen Ausgang und seinen Eingang zukennen!‘ – Allah mag es dir verzeihen, dass du deine Gästewie ein türkischer Polizist empfängst!“

Er erhob abwehrend die Hand.„Den Schammar und den Haddedihn ist jeder willkom-

men, nur der Lügner und der Verräter nicht.“Er warf dabei einen bezeichnenden Blick auf den Eng-

länder.„Wen meinst du mit diesen Worten?“, fragte ich.„Die Männer, die aus dem Abendland kommen, um den

Pascha gegen die Söhne der Wüste aufzuhetzen. Wozubraucht die Königin der Inseln1 einen Vizekonsul in Mossul?“

„Diese drei Männer gehören nicht zum Konsulat. Wirsind müde Wanderer und begehren von dir weiter nichtsals einen Schluck Wasser für uns und Datteln für unserePferde.“

„Wenn ihr nicht zum Konsulat gehört, so sollt ihr ha-ben, was ihr begehrt. Tretet ein und seid mir willkom-men!“

Wir banden unsere Pferde an die Lanzen und gingen indas Zelt. Dort erhielten wir Kamelmilch zu trinken; dieSpeise bestand nur aus dünnem, hartem und halb ver-branntem Gerstenkuchen – ein Zeichen, dass der Scheikuns nicht als Gäste betrachtete. Während des kurzen Mahlsfixierte er uns mit finsterem Auge, ohne ein Wort zu spre-

1 Königin von England

300

chen. Er musste triftige Gründe haben, Fremden zu miss-trauen, und ich sah ihm an, dass er neugierig war, etwasNäheres über uns zu erfahren.

Lindsay schaute sich in dem Zelt um und fragte mich:„Böser Kerl, nicht?“„Scheint so.“„Sieht ganz so aus, als ob er uns fressen wollte. Was sag-

te er?“„Er begrüßte uns als Ungläubige. Wir sind seine Gäste

noch nicht und haben uns vorzusehen.“„Nicht seine Gäste? Wir essen und trinken doch bei ihm!“„Er hat uns das Brot nicht mit seiner eigenen Hand ge-

geben, und Salz gar nicht. Er sieht, dass Ihr ein Engländerseid, und die Englishmen scheint er zu hassen.“

„Weshalb?“„Weiß es nicht.“„Einmal fragen!“„Geht nicht, es wäre unhöflich. Ich denke aber, dass wir

es noch erfahren werden.“Wir waren fertig mit dem kleinen Imbiss und ich erhob

mich.„Du hast uns Speise und Trank gegeben, Mohammed

Emin; wir danken dir und werden deine Gastfreundschaftrühmen überall, wohin wir kommen. Lebe wohl! Allahsegne dich und die Deinigen!“

Diesen schnellen Abschied hatte er nicht erwartet.„Warum wollt ihr mich schon verlassen? Bleibt hier und

ruht euch aus!“„Wir werden gehen, denn die Sonne deiner Gnade leuch-

tet nicht über uns.“„Ihr seid dennoch sicher hier in meinem Zelt.“„Meinst du? Ich glaube nicht an die Sicherheit im Zelt

eines Arabers vom Stamme der Schammar.“Er fuhr mit der Hand nach dem Dolch.„Willst du mich beleidigen?“„Nein, ich will dir nur meine Gedanken sagen. Das Zelt

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eines Schammar bietet dem Gastfreund keine Sicherheit,wie viel weniger also demjenigen, der nicht einmal Gast-freundschaft genießt!“

„Soll ich dich niederstechen? Wann hat jemals ein Scham-mar die Gastfreundschaft gebrochen?“

„Sie ist gebrochen worden, und nicht nur gegen Frem-de, sondern sogar gegen Angehörige des eigenen Stammes.“

Das war allerdings eine fürchterliche Beschuldigung, dieich hier aussprach, aber ich sah nicht ein, aus welchemGrund ich mit einem Mann höflich sein sollte, der unswie Bettler aufgenommen hatte.

Ich fuhr fort:„Du wirst mich nicht niederstechen, Scheich, denn er-

stens habe ich die Wahrheit gesprochen und zweitens würdemein Dolch dich eher treffen, als der deinige mich.“

„Beweise die Wahrheit!“„Ich werde dir eine Geschichte erzählen. Es gab einen

großen, mächtigen Stamm, der wieder in kleinere Afrâk1

zerfiel. Dieser Stamm war von einem großen, tapferenHäuptling regiert worden, in dessen Herzen aber die Listneben der Falschheit wohnte. Die Seinen wurden mit ihmunzufrieden und fielen nach und nach von ihm ab. Siewandten sich dem Anführer einer Firka zu. Da schickteder Scheik zu diesem und ließ ihn zu einer Besprechungzu sich laden. Er kam aber nicht. Da sandte der Scheikseinen eigenen Sohn. Dieser war mutig, tapfer und liebtedie Wahrheit. Er sprach zu dem Unteranführer: ‚Folge mir.Ich schwöre dir bei Allah, dass du sicher bist im Zelt mei-nes Vaters. Ich werde mit meinem Leben für das deinigestehen!‘ – Da antwortete der Anführer: ‚Ich würde nichtzu deinem Vater gehen, selbst wenn er tausend Eide ab-legte, mich zu schonen; dir aber glaube ich. Und um dirzu zeigen, dass ich dir vertraue, werde ich ohne Beglei-tung mit dir gehen.‘ – Sie setzten sich zu Pferd und rittendavon. Als sie in das Zelt des Scheik traten, war es von

1 Unterstämme, Singular: Firka

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Kriegern angefüllt. Der Unteranführer wurde eingeladen,sich an der Seite des Scheik niederzulassen. Er erhielt dasMahl und die Rede der Gastfreundschaft, aber nach demMahl wurde er überfallen. Der Sohn des Scheiks wollteihn retten, wurde aber festgehalten. Der Oheim des Scheiksriss den Unteranführer zu sich nieder, klemmte seinen Kopfzwischen seine Knie und so wurde dem Verratenen mitMessern der Kopf abgewürgt, wie man es bei einem Schaftut. Der Sohn zerriss seine Kleider und machte seinemVater Vorwürfe, musste aber fliehen, sonst wäre auch erwohl ermordet worden. Kennst du diese Geschichte, ScheikMohammed Emin?“

„Ich kenne sie nicht. So eine Geschichte kann nicht ge-schehen.“

„Sie ist geschehen, und zwar in deinem eigenen Stamm.Der Verratene hieß Nedschris, der Sohn Ferhan, der OheimHadschar, und der Scheik war der berühmte Scheik Sofukvom Stamm der Schammar.“

Er wurde verlegen.„Woher kennst du diese Namen? Du bist kein Schammar,

kein Obejde, kein Abu Selman. Du redest die Sprache derwestlichen Araber und deine Waffen sind nicht diejenigender Araber von El Dschesireh1. Von wem hast du dieseGeschichte erfahren?“

„Die Schande eines Stammes wird ebenso ruchbar wieder Ruhm eines Volkes. Du weißt, dass ich die Wahrheitgesprochen habe. Wie kann ich dir vertrauen? Du bist einHaddedihn, die Haddedihn gehören zu den Schammar unddu hast uns die Gastfreundschaft verweigert. Wir werdengehen.“

Er machte eine Bewegung mit dem Arm.„Du sollst frei sein. Diese Ungläubigen aber sollen die

Dschisje2 bezahlen, ehe sie fortgehen.“„Sie werden sie nicht bezahlen, denn sie stehen unter

meinem Schutz.“1 Wörtlich „Insel“ = das Land zwischen dem Euphrat und dem Tigris2 Tribut, den die Stämme von Fremden zu erheben pflegen

303

„Sie brauchen deinen Schutz nicht, denn sie stehen un-ter dem ihres Konsuls, den Allah verderben möge!“

„Ist er dein Feind?“„Er ist mein Feind. Er hat den Gouverneur von Mossul

beredet, meinen Sohn gefangen zu nehmen; er hat dieObejde, die Abu Hammed und die Dschowari gegen michaufgehetzt, dass sie meine Herden raubten und sich jetztvereinigen wollen, mich und meinen ganzen Stamm zuverderben.“

„So rufe die anderen Stämme der Schammar zu Hilfe!“„Sie können nicht kommen, denn der Gouverneur hat

ein Heer gesammelt, um ihre Weideplätze am Sindscharmit Krieg zu überziehen. Ich bin auf mich selbst angewie-sen. Allah möge mich beschützen!“

„Mohammed Emin, ich habe gehört, dass die Obejde,die Abu Hammed und die Dschowari Räuber sind. Ichliebe sie nicht, ich bin ein Freund der Schammar. Die Scham-mar sind die edelsten und tapfersten Araber, die ich ken-ne; ich wünsche, dass du alle deine Feinde besiegenmögest!“

Ich beabsichtigte nicht etwa, mit diesen Worten eine plumpeSchmeichelei auszusprechen, sie enthielten vielmehr mei-ne Überzeugung. Dies musste wohl auch aus meinem Tonherausgeklungen haben, denn ich sah, dass sie einenfreundlichen Eindruck hervorbrachten.

„Du bist in Wirklichkeit ein Freund der Schammar?“,fragte er mich.

„Ja, und ich beklage es sehr, dass Zwietracht unter siegesät wurde, sodass ihre Macht nun fast gebrochen ist.“

„Gebrochen? Allah ist groß und noch sind die Schammartapfer genug, um mit ihren Gegnern zu kämpfen. Wer hatdir von uns erzählt?“

„Ich habe schon vor langer Zeit von euch gelesen undgehört, die letzte Kunde aber erhielt ich drüben im Bilâdel Arab bei den Söhnen der Atejbeh.“

„Wie?“, fragte er überrascht. „Du warst bei den Atejbeh?“

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„Ja.“„Sie sind zahlreich und mächtig, aber es ruht ein Fluch

auf ihnen.“„Du meinst Scheik Malek, der ausgestoßen wurde?“Er sprang empor.„Maschallah, du kennst Malek, meinen Freund und Bru-

der?“„Ich kenne ihn und seine Leute.“„Wo trafst du sie?“„Ich stieß auf sie in der Nähe von Dschidda und bin mit

ihnen quer durch das Bilâd Arab nach Ed Dahna, derWüste von Maskat, gezogen.“

„So kennst du sie alle?“„Alle.“„Auch – verzeihe, dass ich von einem Weib spreche, aber

sie ist kein Weib, sondern ein Mann – auch Amscha, dieTochter Maleks, kennst du?“

„Ich kenne sie. Sie war das Weib von Abu Sejf und hatRache an ihm genommen.“

„Hat sie ihre Rache erreicht?“„Ja, er ist tot. Hadschi Halef Omar, mein Diener, hat ihn

gefällt und dafür Hanneh, Amschas Tochter, zum Weiberhalten.“

„Dein Diener? So bist du kein gewöhnlicher Krieger?“„Ich bin ein Nemsi und reise durch die Länder, um Aben-

teuer zu suchen.“„Oh, jetzt weiß ich es. Du tust, wie Harûn al Raschid

getan hat; du bist ein Scheik, ein Effendi und ziehst aufKämpfe und Abenteuer aus. Dein Diener hat den mächti-gen Vater des Säbels getötet, du als sein Herr musst nochein größerer Held sein als dein Begleiter. Wo befindet sichdieser wackere Hadschi Halef Omar?“

Es fiel mir natürlich gar nicht ein, dieser mir sehr vor-teilhaften Ansicht über mich zu widersprechen.

Ich antwortete:„Du wirst ihn vielleicht bald zu sehen bekommen. Er

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wurde vom Scheik Malek abgesandt, um die Schammarzu fragen, ob er mit den Seinen unter ihrem Schutz woh-nen könne.“

„Sie werden mir willkommen sein, sehr willkommen.Erzähle mir, Effendi, erzähle mir von ihnen!“

Er setzte sich wieder nieder. Ich folgte seinem Beispielund berichtete ihm über mein Zusammentreffen mit denAtejbeh, so weit ich es für nötig hielt. Als ich zu Ende war,reichte er mir die Hand.

„Verzeih, Effendi, dass ich dies nicht wusste. Du hastdiese Engländer bei dir und sie sind meine Feinde. Nunaber sollt ihr meine Gäste sein. Erlaube, dass ich gehe unddas Mahl bestelle.“

Jetzt hatte er mir die Hand gegeben und nun erst warich sicher bei ihm. Ich griff unter mein Gewand und zogdie Flasche hervor, in der sich das ‚heilige‘ Wasser befand.

„Du wirst das Mahl bei Bint Amm1 bestellen?“„Ja.“„So grüße sie von mir und weihe sie mit einigen Tropfen

aus diesem Gefäß. Es ist das Wasser vom Brunnen Sem-Sem. Allah sei mit ihr!“

„Sihdi, du bist ein tapferer Held und ein edler Mann.Komm und besprenge sie selbst. Die Frauen der Schammarfürchten sich nicht, ihr Gesicht vor den Männern sehenzu lassen.“

Ich hatte allerdings bereits gehört, dass die Weiber undMädchen der Schammar keine Freundinnen des Schleiersseien, und war ja auch während meines heutigen Rittesvielen von ihnen begegnet, deren Gesicht ich unverhülltgesehen hatte. Er erhob sich wieder und winkte mir, ihmzu folgen. Unser Weg ging nicht weit. In der Nähe seinesZeltes stand ein zweites. Als wir dort eingetreten waren,bemerkte ich drei Araberinnen und zwei schwarze Mäd-chen. Die schwarzen waren jedenfalls Sklavinnen, die an-deren aber wohl seine Frauen. Zwei von ihnen rieben zwi-

1 Bint Amm heißt eigentlich Base und ist nebenbei die einzige Form, in derman mit einem Araber von seinem Weib spricht.

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schen zwei Steinen Gerste zu Mehl, die dritte aber leitetevon einem erhöhten Standort aus diese Arbeit. Sie waroffenbar die Gebieterin.

In einer Ecke des Zeltes standen mehrere mit Reis, Dat-teln, Kaffee, Gerste und Bohnen gefüllte Säcke, über dieein kostbarer Teppich gebreitet war; dies bildete den Thronder Gebieterin. Sie war noch jung, schlank und von helle-rer Gesichtsfarbe als die anderen Frauen; ihre Züge warenregelmäßig, ihre Augen dunkel und glänzend. Sie hattedie Lippen dunkelrot und die Augenbrauen schwarz undzwar in der Weise gefärbt, dass sie über der Nase zusam-mentrafen. Stirn und Wangen waren mit Schönheitspfläs-terchen belegt und an den bloßen Armen und Füßen konn-te man eine tiefrote Tätowierung bemerken. Von einemjeden Ohr hing ein großer goldener Ring herab und auchdie Nase war mit einem großen Ring versehen, an demmehrere große edle Steine funkelten: – Er musste ihr beimEssen sehr im Wege sein. Um ihren Nacken hingen ganzedicke Reihen von Perlen, Korallenstücken, assyrischenZylindern und bunten Steinen, und lose silberne Ringeumgaben ihre Knöchel, Arm- und Handgelenke. Die an-deren Frauen waren weniger geschmückt.

„Selâm!“, grüßte der Scheik. „Hier bringe ich euch ei-nen Helden vom Stamm der Nemsi, der euch mit demSegen des Sem-Sem begnadigen will.“

Sofort warfen sich sämtliche Frauen auf die Erde. Auchdie vornehmste glitt von ihrem Thron und kniete nieder.Ich ließ einige Tropfen Wasser in die Hand laufen undspritzte sie über die Gruppe aus.

„Nehmt hin, ihr Blumen der Wüste! Der Gott aller Völ-ker erhalte euch lieblich und froh, dass euer Duft das Herzeures Gebieters erquicke!“

Als sie bemerkten, dass ich das Gefäß wieder zu mir steck-te, erhoben sie sich und beeilten sich, mir zu danken. Diesgeschah einfach durch einen Druck der Hand, ganz wieim Abendland. Dann gebot der Scheik:

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„Nun tummelt euch, ein Mahl zu bereiten, das diesesMannes würdig ist. Ich werde Gäste laden, dass mein Zeltvoll werde und alle sich freuen über die Ehre, die uns heu-te widerfahren ist.“

Wir kehrten in sein Zelt zurück. Während ich eintrat,verweilte er noch davor, um einigen Beduinen seine Be-fehle zu erteilen.

„Wo wart ihr?“, fragte Sir Lindsay.„Im Zelt der Frauen.“„Ah! Nicht möglich! Diese Weiber lassen sich sehen?“„Warum nicht?“„Hm! Wundervoll! Hier bleiben! Auch Weiber ansehen!“„Je nach Umständen. Man hält mich für einen from-

men Mann, da ich Wasser aus dem Brunnen des Sem-Semhabe, von dem nach dem Glauben dieser Leute ein Trop-fen Wunder tut.“

„Ah! Miserabel! Habe kein Sem-Sem!“„Würde Euch auch nichts helfen, da Ihr nicht Arabisch

versteht.“„Sind hier Ruinen?“„Nein. Aber ich glaube, dass wir nicht weit zu gehen

hätten, um welche zu finden.“„Dann einmal fragen! Ruinen finden: Fowlingbull aus-

graben! War übrigens ein schauderhaftes Essen hier!“„Wird besser. Wir werden sogleich einen echt arabischen

Schmaus bekommen!“„Ah! Schien mir nicht danach auszusehen, der Scheik.“„Seine Ansicht über uns hat sich geändert. Ich kenne

einige Freunde von ihm und das hat uns das Gastrechthier erworben. Aber lasst die Diener abtreten. Es könntedie Araber beleidigen, wenn sie mit ihnen in einem Raumsein müssen.“

Als der Scheik wieder erschienen war, dauerte es nichtlange, so versammelten sich die Geladenen. Es waren ih-rer so viele, dass das Zelt wirklich voll wurde. Sie lagertensich je nach ihrem Rang im Kreis herum, während der

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Scheik zwischen mir und dem Engländer in der Mitte saß.Bald wurde auch das Mahl von den Sklavinnen in das Zeltgebracht und von einigen Beduinen aufgetragen.

Zunächst wurde eine Sufra vor uns hingelegt. Dies isteine Art Tischtuch von gegerbtem Leder, das am Rand mitfarbigen Streifen, Fransen und Verzierungen versehen ist.Es enthält zugleich eine Anzahl Taschen und kann, wennes zusammengelegt ist, als Vorratstasche für Speisewarenbenützt werden. Dann wurde der Kaffee gebracht. Für jetzterhielt jeder Geladene nur ein kleines Tässchen voll. Dannkam eine Schüssel mit Salatah. Dies ist ein sehr erfrischen-des Gericht und besteht aus geronnener Milch mit Gurken-schnittchen, die etwas gesalzen und gepfeffert sind. Zu-gleich wurde ein Topf vor den Scheik gesetzt. Er enthieltfrisches Wasser, aus dem die Hälse von drei Flaschen rag-ten. Zwei von ihnen enthielten, wie ich bald merkte, Raki;die dritte war mit einer wohlriechenden Flüssigkeit gefüllt,mit der uns der Gastgeber nach jedem Gang bespritzte.

Nun kam ein ungeheurer Napf voll flüssiger Butter. Siewird hier Samn genannt und von den Arabern als Vor-speise, als Nachtisch und auch sonst zu jeder anderen Zeitmit Vorliebe gegessen und getrunken. Dann wurden klei-ne Körbchen mit Datteln vorgesetzt. Ich erkannte die köst-liche, flach gedrückte Schelebi, die etwa so verpackt wird,wie bei uns die Feige oder die Prunelle. Sie ist ungefährzwei Zoll lang, kleinkernig und von ebenso herrlichemGeruch wie Geschmack. Weiter sah ich die selteneAdschwa, die niemals in den Handel kommt; denn derProphet hat von ihr gesagt: „Wer das Fasten durch dentäglichen Genuss von sechs oder sieben Adschwa bricht,der braucht weder Gift noch Zauber zu fürchten.“ – Auchdie Hilwa, die süßeste, die Dschuseirîje, die grünste, undEl Birni und El Seihani waren vertreten. Für die mindervornehmen Gäste waren Balah, am Baum getrockneteDatteln, nebst Dschebeli und Hilajeh vorhanden. AuchKelladat esch Schâm, syrische Halsbänder lagen da. Dies

309

sind Datteln, die man in noch unreifem Zustand in sie-dendes Wasser taucht, damit sie ihre gelbe Farbe behal-ten; dann reiht man sie auf eine Schnur und lässt sie inder Sonne trocknen.

Nach den Datteln trug man ein Gefäß mit Kanûfa1 auf.Nun hob der Scheik die Hände.

„B’ismi’llah!“, rief er und gab damit das Zeichen zumBeginn des Mahls.

Er langte mit den Fingern in die einzelnen Näpfe, Schüs-seln und Körbe und steckte erst mir, dann dem Engländerdasjenige, was er für das Beste hielt, in den Mund. Ichhätte allerdings lieber meine eigenen Finger gebraucht, aberich musste ihn gewähren lassen, da ich ihn sonst beleidigthätte. Lindsay aber zog, als er die erste Nudel zwischenden Lippen gestopft erhielt, den Mund nach seiner be-kannten Weise in ein Trapezoid und machte ihn nicht eherwieder zu, als bis ich ihn aufmerksam machte:

„Esst, Sir, wenn Ihr diese Leute nicht tödlich beleidigenwollt!“

Er klappte den Mund zu, schluckte den Bissen hinunterund meinte dann, natürlich in englischer Sprache:

„Brr! Ich habe doch Messer und Gabel bei mir!“„Lasst sie stecken! Wir müssen uns nach der Sitte des

Landes richten.“„Schauderhaft!“„Was sagt dieser Mann?“, fragte der Scheik.„Er ist ganz entzückt über dein Wohlwollen.“„Oh, ich liebe euch!“Bei diesen Worten fuhr er mit der Hand in die saure

Milch und klebte dem ehrenwerten Englishman eine Por-tion unter die lange Nase.

Der so Beglückte schnaubte einige Mal, um sich Luftund Mut zu machen, und versuchte dann, die Gabe desWohlwollens mittels seiner Zunge vom unteren Teil sei-nes Angesichts hinweg ins Innere derjenigen Öffnung zu

1 Mit Zucker bestreute Nudeln

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bringen, die der Vorhof des Verdauungsapparats genanntwerden muss.

„Schrecklich!“, lamentierte er dann. „Muss ich das wirk-lich leiden?“

„Ja.“„Ohne Gegenwehr?“„Ohne! Aber rächen könnt Ihr Euch.“„Wieso?“„Passt auf, wie ich es mache, und tut dann ebenso!“Ich langte in die Nudeln und steckte dem Scheik eine Por-

tion davon in den Mund. Er hatte sie noch nicht verschluckt,so griff David Lindsay in die flüssige Butter und langte ihmeine Hand voll zu. Was ich von dem Scheik als einem Mos-lem nicht erwartet hatte, das geschah: Er nahm die Gabe ei-nes Ungläubigen ohne Sträuben an. Jedenfalls behielt er sichvor, sich später zu waschen und sich durch ein längeres oderkürzeres Fasten von dem Vergehen wieder zu reinigen.

Während wir beide auf diese Weise gespeist wurden, teilteich meine Gaben reichlich unter die andern aus. Sie hiel-ten das für eine große Bevorzugung durch mich und bo-ten mir den Mund mit sichtbarem Vergnügen dar. Baldwar von dem Vorhandenen nichts mehr zu sehen.

Nun klatschte der Scheik laut in die Hände. Man brachteeine Sini. Das ist eine sehr große, mit Zeichnungen undInschriften versehene Schüssel von fast sechs Fuß Umfang.Sie war gefüllt mit Birgani, einem Gemenge von Reis undHammelfleisch, das in zerlassener Butter schwamm. Dannkam ein Wara Maschi, ein stark gewürztes Ragout ausHammelschnitten, nachher Kebâb, kleine, auf spitze Holz-stäbchen gespießte Bratenstücke, dann Kima, gekochtesFleisch, eingelegte Granatäpfel, Quitten und endlich Rahat,ein Zuckerwerk von der Art, wie auch wir es in verschie-denen Sorten beim Nachtisch zu naschen pflegen.

Endlich? Oh nein! Denn als ich das Mahl beendet glaub-te, wurde noch das Hauptstück gebracht: ein Hammel,ganz am Spieß gebraten. Ich konnte nicht mehr essen.

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„El Hamdulillah!“, rief ich daher, steckte meine Händein den Wassertopf und trocknete sie mir an meinem Ge-wand ab.

Das war das Zeichen, dass ich nicht mehr essen würde.Der Morgenländer kennt bei Tisch das lästige ‚Nötigen‘nicht. Wer sein ‚El Hamd‘ gesagt hat, wird nicht weiterbeachtet. Das bemerkte der Engländer.

„El Hamdulillah!“, rief auch er, fuhr mit der Hand insWasser und – betrachtete sie dann sehr verlegen.

Der Scheik bemerkte das und hielt ihm seinen Hajkentgegen.

„Sage deinem Freund“, meinte er zu mir, „dass er seineHände an meinem Kleid trocknen möge. Die Engländerverstehen wohl nicht viel von Reinlichkeit, denn sie habennicht einmal ein Gewand, an dem sie sich abtrocknen kön-nen.“

Ich gab Lindsay das Anerbieten des Scheik zu verstehenund er machte hierauf den ausgiebigsten Gebrauch davon.

Nun wurde vom Raki gekostet und dann erhielt jederKaffee und eine Pfeife gereicht. Nun erst begann derScheik, mich den Seinen vorzustellen:

„Hört, ihr Männer vom Stamm der Haddedihn eschSchammar! Dieser Mann ist ein großer Effendi aus demAbendland, sein Name lautet...“

„Kara Ben Nemsi“, fiel ich ihm in die Rede.„Ja, sein Name lautet Kara Ben Nemsi Effendi, er ist der

größte Krieger seines Landes und der weiseste Alim seinesVolkes. Er hat den Brunnen Sem-Sem bei sich und geht inalle Länder, um Abenteuer zu suchen. Lasst uns sehen, obes ihm gefällt, mit uns gegen unsere Feinde zu ziehen!“

Das brachte mich in eine ganz eigentümliche, unerwar-tete Lage. Was sollte ich antworten? Denn eine Antworterwarteten alle von mir, das war ihren auf mich gerichte-ten Blicken anzusehen. Ich entschloss mich kurz:

„Ich kämpfe für alles Rechte und Gute und gegen alles,was unrecht und falsch ist. Mein Arm gehört euch; vorher

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aber muss ich diesen Mann, meinen Freund, dahin brin-gen, wohin ihn zu geleiten ich versprochen habe.“

„Wohin ist das?“„Das muss ich euch erklären. Vor mehreren tausend Jah-

ren lebte in diesem Land ein Volk, das große Städte undherrliche Paläste besaß. Das Volk ist untergegangen undseine Städte und Paläste liegen verschüttet unter der Erde.Wer aber in die Tiefe gräbt, der kann sehen und lernen,wie es vor Jahrtausenden gewesen ist, und dies will meinFreund tun. Er will in der Erde suchen nach alten Zeichenund Schriften, um sie zu enträtseln und zu lesen...“

„Und nach Gold, um es mitzunehmen“, fiel der Scheikein.

„Nein“, antwortete ich. „Er ist reich, er hat Gold undSilber, so viel er braucht. Er sucht nur Schriften und Bil-der, alles andere will er den Bewohnern dieses Landes las-sen.“

„Und was sollst du dabei tun?“„Ich soll ihn an eine Stelle führen, an der er findet, was

er sucht.“„Dazu braucht er dich nicht und du kannst immerhin

mit uns in den Kampf ziehen. Wir selbst werden ihm ge-nug solche Stellen zeigen. Das ganze Land ist voller Rui-nen und Trümmer.“

„Aber es kann niemand mit ihm sprechen, wenn ich nichtbei ihm bin. Ihr versteht nicht seine Sprache und er kenntnicht die eurige.“

„So mag er zuvor mit uns in den Kampf ziehen und dannwerden wir euch viele Orte zeigen, wo ihr Schriften undBilder finden könnt.“

Lindsay merkte, dass von ihm die Rede war.„Was sagen sie?“, fragte er mich.„Sie fragen mich, was Ihr in diesem Land wollt.“„Habt Ihr es ihnen gesagt, Sir?“„Ja.“„Dass ich Fowlingbulls ausgraben will?“

313

„Ja.“„Nun?“„Sie wollen, ich soll mit ihnen in den Kampf ziehen. Sie

halten mich für einen großen Helden.“„Hm! Wo finde ich Fowlingbulls?“„Sie wollen Euch solche zeigen.“„Ah! Aber ich verstehe diese Leute nicht!“„Das habe ich ihnen gesagt.“„Was geantwortet?“„Ihr sollt mit in den Kampf ziehen und dann wollen sie

uns zeigen, wo Inschriften und dergleichen zu finden sind.“„Well! Wir ziehen mit ihnen!“„Das geht ja nicht!“„Warum nicht?“„Wir gefährden uns dabei. Was gehen uns die Feindse-

ligkeiten anderer an?“„Nichts. Aber eben darum können wir gehen, mit wem

wir wollen.“„Das ist sehr zu überlegen.“„Fürchtet Ihr Euch, Sir?“„Nein.“„Ich dachte! Also mitziehen. Sagt es ihnen!“Er drehte sich zur Seite und das war ein untrügliches

Zeichen, dass er sein letztes Wort gesagt habe.Ich wandte mich also wieder an den Scheik.„Ich habe dir vorhin gesagt, dass ich für alles Rechte

und Gute kämpfe. Ist Eure Sache recht und gut?“„Soll ich sie dir erzählen?“„Ja.“„Hast du von dem Stamm der Dschehesch gehört?“„Ja. Es ist ein treuloser Stamm. Er verbindet sich sehr

oft mit den Abu Selman und den Taj-Arabern, um dieNachbarstämme zu berauben.“

„Du weißt es. Er fiel über den meinigen her und raubteuns mehrere Herden, wir aber eilten ihm nach und nahmenihm alles wieder. Nun hat uns der Scheik der Dschehesch

314

beim Statthalter verklagt und ihn bestochen. Dieser schick-te zu mir und entbot mich mit den vornehmsten Kriegernmeines Stammes zu einer Besprechung nach Mossul. Ichhatte eine Wunde erhalten und konnte weder reiten nochgehen. Darum sandte ich meinen Sohn mit fünfzehn Krie-gern zu ihm. Er war treulos, nahm sie gefangen und schick-te sie an einen Ort, den ich noch nicht erfahren habe.“

„Hast du dich nach ihnen erkundigt?“„Ja, aber ohne Erfolg, da kein Mann meines Stammes

sich nach Mossul wagen kann. Die Stämme der Schammarwaren entrüstet über diesen Verrat und töteten einige Sol-daten des Statthalters. Nun rüstet er gegen sie und hatzugleich die Obejde, die Abu Hammed und die Dschowarigegen mich gehetzt, obgleich sie nicht unter seine Hoheit,sondern nach Bagdad gehören.“

„Wo lagern deine Feinde?“„Sie rüsten erst.“„Willst du dich nicht mit den anderen Schammarstäm-

men vereinigen?“„Wo sollten da unsere Herden Weide finden?“„Du hast Recht. Ihr wollt euch teilen und den Gouver-

neur in die Wüste locken, um ihn zu verderben?“„So ist es. Er kann mit seinem Heer den Schammar nichts

tun. Anders aber ist es mit meinen Feinden; sie sind Ara-ber, ich darf sie nicht bis zu meinen Weideplätzen kom-men lassen.“

„Wie viele Krieger zählt dein Stamm?“„Elfhundert.“„Und die Stämme deiner Gegner?“„Mehr als dreimal so viel.“„Wie lange dauert es, die Krieger deines Stammes zu

versammeln?“„Einen Tag.“„Wo haben die Obejde ihr Lager?“„Am unteren Lauf des Sab el Asfal.“„Und die Abu Hammed?“

315

„In der Nähe von El Fatha, an der Stelle, wo der Tigrisdurch die Hamrin-Berge bricht.“

„Auf welcher Seite?“„Auf beiden.“„Und die Dschowari?“„Zwischen dem Dschebel Khernina und dem rechten

Ufer des Tigris.“„Hast du Kundschafter ausgesandt?“„Nein.“„Das hättest du tun sollen.“„Es geht nicht. Jeder Schammar ist sofort zu erkennen

und wäre verloren, wenn man ihm begegnete. Aber...“Er hielt inne und blickte mich forschend an. Dann fuhr

er fort:„Effendi, du bist wirklich der Freund von Malek, dem

Atejbeh?“„Ja.“„Und auch unser Freund?“„Ja.“„Komm mit mir, ich werde dir etwas zeigen!“Er verließ das Zelt. Ich folgte ihm mit dem Engländer

und allen anwesenden Arabern. Neben dem großen Zelthatte man während unseres Mahls ein kleineres für diebeiden Diener aufgeschlagen und im Vorübergehen be-merkte ich, dass man auch sie reichlich mit Speise undTrank bedacht hatte. Außerhalb des Zeltkreises standendie Pferde des Scheiks angebunden, zu ihnen führte ermich. Sie waren alle ausgezeichnet, zwei aber entzückten michförmlich. Eins war eine junge Schimmelstute, das schönsteGeschöpf, das ich jemals gesehen hatte. Seine Ohren warenlang, dünn und durchscheinend, die Nasenlöcher hoch, auf-geblasen und tief rot, Mähne und Schweif wie Seide.

„Herrlich!“, rief ich unwillkürlich.„Sage: Maschallah!“, bat mich der Scheik.Der Araber ist nämlich in Beziehung auf das so genannte

‚Beschreien‘ sehr abergläubisch. Wem irgendetwas sehr

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gefällt, der hat ‚Maschallah‘ zu sagen, wenn er nicht sehranstoßen will.

„Maschallah!“, antwortete ich.„Glaubst du, dass ich auf dieser Stute den wilden Esel

des Sindschar müde gejagt habe, bis er zusammenbrach?“„Unmöglich!“„Bei Allah, es ist wahr! Ihr könnt es bezeugen!“„Wir bezeugen es!“, riefen die Araber wie aus einem Mund.„Diese Stute geht nur mit meinem Leben von mir“, er-

klärte der Scheik. „Welches Pferd gefällt dir noch?“„Dieser Hengst. Sieh diese Gliederung, diese Symme-

trie, diesen Adel und diese wunderseltene Färbung, einSchwarz, das in Blau übergeht!“

„Das ist noch nicht alles. Der Hengst hat die drei höch-sten Tugenden eines guten Pferdes: Schnellfüßigkeit, Mutund einen langen Atem.“

„An welchen Zeichen erkennst du dies?“„Die Haare wirbeln sich an der Kruppe: Das zeigt, dass

er schnellfüßig ist. Sie wirbeln sich am Beginn der Mäh-ne: Das zeigt, dass er einen langen Atem hat. Und sie wir-beln sich in der Mitte der Stirn: Das zeigt, dass er einenfeurigen, stolzen Mut besitzt. Er lässt seinen Reiter nie imStich und trägt ihn durch tausend Feinde. Hast du einmalein solches Pferde besessen?“

„Ja.“„Ah! So bist du ein sehr reicher Mann?“„Es kostete mich nichts – es war ein Mustang.“„Was ist ein Mustang?“„Ein wildes Pferd, das man sich erst einfangen und zäh-

men muss.“„Würdest du diesen Rapphengst kaufen, wenn ich woll-

te und wenn du könntest?“„Auf der Stelle!“„Du kannst ihn dir verdienen!“„Ah! Unmöglich!“„Ja. Du kannst ihn zum Geschenk erhalten.“

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„Unter welcher Bedingung?“„Wenn du uns sichere Kundschaft bringst, wo die Obejde,

Abu Hammed und Dschowari sich vereinigen werden.“Beinahe hätte ich laut aufgejubelt. Der Preis war hoch,

aber das Tier war noch mehr wert. Ich besann mich nichtlange und fragte:

„Bis wann verlangst du diese Nachricht?“„Bis du sie bringen kannst.“„Und wann erhalte ich das Pferd?“„Wann du zurückgekehrt bist.“„Du hast Recht, ich kann es nicht eher verlangen, aber

dann kann ich deinen Auftrag auch nicht ausführen.“„Warum?“„Weil vielleicht alles darauf ankommt, dass ich ein Pferd

reite, auf das ich mich in jeder Beziehung verlassen kann.“Er blickte zu Boden.„Weißt du, dass bei einem solchen Vorhaben der Hengst

sehr leicht verloren gehen kann?“„Ich weiß es, es kommt auch auf den Reiter an. Aber

wenn ich ein solches Pferd unter mir habe, so wüsste ichkeinen Menschen der mich oder das Tier fangen könnte.“

„Reitest du so gut?“„Ich reite nicht so wie ihr, ich müsste das Pferd eines

Schammar erst an mich gewöhnen.“„So sind wir dir überlegen!“„Überlegen? Seid ihr gute Schützen?“„Wir schießen im Galopp die Taube vom Zelt.“„Gut. Leih mir den Hengst und schicke zehn Krieger

hinter mir her. Ich werde mich nicht auf tausend Lanzen-längen von deinem Lager entfernen und gebe ihnen dieErlaubnis, auf mich zu schießen, sooft es ihnen beliebt.Sie werden mich nicht fangen und mich auch nicht treffen.“

„Du sprichst im Scherz, Effendi!“„Ich rede im Ernst.“„Und wenn ich dich beim Wort nehme?“„Gut!“

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Die Augen der Araber leuchteten vor Vergnügen. Gewisswar ein jeder von ihnen ein vortrefflicher Reiter; sie brann-ten vor Verlangen, dass der Scheik auf mein Anerbieteneingehen möge.

Dieser aber blickte unschlüssig vor sich nieder.„Ich weiß, welcher Gedanke dein Herz bewegt, o Scheik“,

sagte ich ihm. „Sieh mich an! Trennt ein Mann sich von sol-chen Waffen, wie ich sie trage?“

„Nie!“Ich entledigte mich ihrer und legte sie vor ihm nieder.„Sieh, hier lege ich sie dir zu Füßen, als Pfand, dass ich

nicht gekommen bin, dir den Hengst zu rauben; und wenndies noch nicht genug ist, so sei mein Wort und auch hiermein Freund dir Pfand.“

Jetzt lächelte er beruhigt.„Es sei, also zehn Mann?“„Ja, auch zwölf oder fünfzehn.“„Die auf dich schießen dürfen?“„Ja. Wenn ich erschossen werde, wird sie kein Vorwurf

treffen. Wähle deine besten Reiter und Schützen aus!“„Du bist tollkühn, Effendi!“„Das glaubst du nur.“„Sie haben sich nur hinter dir zu halten?“„Sie können reiten, wie und wohin sie wollen, um mich

zu fangen oder mit ihrer Kugel zu treffen.“„Allah kerîm, so bist du bereits jetzt ein toter Mann!“„Aber sobald ich hier an diesem Ort halten bleibe, ist

das Spiel zu Ende!“„Wohl, du willst es nicht anders. Ich werde meine Stute

reiten, um alles sehen zu können.“„Erlaube mir zuvor, den Hengst zu prüfen!“„Tu es!“Ich sattelte, saß auf, und während der Scheik die Män-

ner bestimmte, die mich dann verfolgen sollten, merkteich, dass ich mich auf den Hengst ganz und gar verlassenkonnte. Dann sprang ich wieder ab und entfernte den

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Sattel wieder. Das stolze Tier merkte, dass etwas Unge-wöhnliches im Gange war; seine Augen funkelten, seineMähne hob sich und seine Füßchen gingen wie die Füßeeiner Tänzerin, die versuchen will, ob das Parkett des Saa-les ‚wichsig‘ genug ist. Ich schlang ihm einen Riemen umden Hals und knüpfte eine Schlinge an die eine Seite desfest angezogenen Bauchgurtes.

„Du entferntest den Sattel?“, fragte der Scheik. „Wozudiese Riemen?“

„Das wirst du sehr bald sehen. Hast du die Wahl unterdeinen Kriegern getroffen?“

„Ja, hier sind zehn!“Sie saßen bereits auf ihren Pferden, ebenso stiegen alle

Araber auf, die sich in der Nähe befanden.„So mag es beginnen. Seht ihr das einzelne Zelt, sechs-

hundert Schritte von hier? Sobald ich es erreicht habe,könnt ihr auf mich schießen; auch sollt ihr mir gar keinenVorsprung lassen. Vorwärts!“

Ich sprang auf – der Hengst schoss wie ein Pfeil davon.Die Araber folgten ihm hart auf den Hufen. Es war einPrachtpferd. Noch hatte ich die Hälfte der angegebenenEntfernung nicht zurückgelegt, als der vorderste Verfolgerbereits um fünfzig Schritte zurückgeblieben war.

Jetzt bog ich mich nieder, um den Arm in den Hals-riemen und das Bein in die Schlinge zu stecken. Kurz vordem angegebenen Zelt blickte ich mich um, alle zehn hiel-ten ihre langen Flinten oder ihre Pistolen schussfertig. Jetztwarf ich das Pferd in einem rechten Winkel herum. Einerder Verfolger parierte sein Pferd mit jener Sicherheit, wiees nur ein Araber zu Stande bringt; es stand, als sei es ausErz gegossen. Er hob die Flinte empor, der Schuss krachte.

„Allah, Wallah, Tallah!“, rief es.Sie glaubten, ich sei getroffen, denn ich war nicht mehr

zu sehen. Ich hatte mich nach Art der Indianer vom Pferdgeworfen und hing nun mittels des Riemens und derSchlinge an der Seite des Hengstes, die den Verfolgern

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abgewendet war. Ein Blick unter dem Hals des Rappenhindurch überzeugte mich, dass niemand mehr zielte, undsofort richtete ich mich wieder im Sattel empor, drücktedas Pferd wieder nach rechts hinüber und jagte weiter.

„Allah akbar, Maschallah!“, brauste es hinter mir. Dieguten Leute konnten sich die Sache nicht erklären.

Sie vermehrten ihre Schnelligkeit und hoben wieder dieFlinten. Ich zog den Rappen nach links, warf mich wiederab und ritt in einem spitzen Winkel an ihrer Flanke vo-rüber. Sie konnten nicht schießen, wenn sie nicht das Pferdtreffen wollten. Obwohl die Jagd gefährlich aussah, warsie bei der Vortrefflichkeit meines Pferdes doch nur wieein Kinderhaschen, das ich Indianern gegenüber allerdingsnicht hätte wagen dürfen. Wir jagten einige Male um dasaußerordentlich ausgedehnte Lager herum, dann galop-pierte ich, immer an der Seite des Pferdes hängend, mit-ten zwischen den Verfolgern hindurch, nach dem Platzzurück, an dem der Ritt begonnen hatte.

Als ich abstieg, zeigte der Rappe nicht eine Spur vonSchweiß oder Schaum. Er war wirklich kaum mit Geld zubezahlen. Nach und nach kamen auch die Verfolger an.Es waren im Ganzen fünf Schüsse auf mich gefallen, na-türlich aber hatte keiner getroffen. Der alte Scheik fasstemich bei der Hand.

„Hamdulillah! Preis sei Allah, dass du nicht verwundetbist! Ich habe Angst um dich gehabt. Es gibt im ganzenStamm der Schammar keinen solchen Reiter, wie du bist!“

„Du irrst. Es gibt in deinem Stamm sehr viele, die wahr-scheinlich besser reiten als ich; aber sie haben nichtgewusst, dass sich der Reiter hinter seinem Pferd verber-gen kann. Wenn ich von keiner Kugel und von keinemMann erreicht wurde, so habe ich das nicht mir, sonderndiesem Pferd zu verdanken. Aber, erlaubst du vielleicht,dass wir das Spiel einmal verändern?“

„Wie?“„Es soll so bleiben wie vorhin, nur mit dem Unterschied,

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dass ich auch ein Gewehr zu mir nehmen und auf diesezehn Männer schießen kann.“

„Allah ist gnädig, er verhüte ein solches Unglück, denndu würdest sie vom Pferd schießen!“

„So glaubst du nun wohl, dass ich mich weder vor denObejde noch vor den Abu Hammed und den Dschowarifürchte, wenn ich diesen Hengst unter mir habe?“

„Effendi, ich glaube es.“ Er rang sichtlich mit einemEntschluss dann aber setzte er hinzu: „Du bist Kara BenNemsi Effendi, der Freund meines Freundes Malek, undich vertraue dir. Nimm den Hengst und reite gegen Mor-gen. Bringst du mir keine Botschaft, so bleibt er mein;bringst du mir aber genügende Kunde, so ist er dein. Dannwerde ich dir auch sein Geheimnis sagen.“

Jedes arabische Pferd nämlich hat, wenn es besser alsmittelmäßig ist, sein Geheimnis, das heißt: Es ist auf eingewisses Zeichen eingeübt, auf das hin es den höchstenGrad seiner Schnelligkeit entwickelt und diese nicht ehermindert, als bis es entweder zusammenbricht oder vonseinem Reiter angehalten wird. Der Reiter verrät das ge-heime Zeichen selbst seinem Freund, seinem Vater oderBruder, seinem Sohn und seinem Weib nicht und wendetes erst dann an, wenn er sich in Todesgefahr befindet.

„Erst dann?“, antwortete ich. „Kann nicht der Fall ein-treten, dass nur das Geheimnis mich und das Pferd zu ret-ten vermag?“

„Du hast Recht, aber du bist noch nicht der Besitzer desRappen.“

„Ich werde es!“, rief ich zuversichtlich. „Und sollte iches nicht werden, so wird das Geheimnis in mir vergrabensein, dass keine Seele es erfahren kann.“

„So komm!“Er führte mich auf die Seite und flüsterte mir zu:„Wenn der Rappe fliegen soll wie der Falke in den Lüf-

ten, so leg ihm die Hand leicht zwischen die Ohren undruf laut das Wort ‚Rih‘!“

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„Rih, das heißt Wind.“„Ja, Rih, das ist der Name des Pferdes, denn es ist noch

schneller als der Wind, es ist so schnell wie der Sturm.“„Ich danke dir, Scheik. Ich werde deine Botschaft so

ausführen, als ob ich ein Sohn der Haddedihn oder als obich du selbst wäre. Wann soll ich reiten?“

„Morgen mit Anbruch des Tages, wenn es dir beliebt.“„Welche Datteln nehme ich mit für den Rappen?“„Er frisst nur Balahat. Ich brauche dir nicht zu sagen,

wie ein so kostbares Pferd zu behandeln ist?“„Nein.“„Schlafe heute auf seinem Leib und sage ihm die hundertste

Sure, die von den schnelleilenden Rossen handelt, in dieNüstern, so wird es dich lieben und dir gehorchen bis zumletzten Atemzug. Kennst du diese Sure?“

„Ja.“„Sag sie her!“Er war wirklich sehr besorgt um mich und sein Pferd.

Ich gehorchte also seinem Willen:„Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen! Bei den

schnelleilenden Rossen mit lärmendem Schnauben, undbei denen, die stampfend Feuerfunken sprühen, und beidenen, die wetteifernd des Morgens früh auf den Feindeinstürmen, die den Staub aufjagen und die feindlichenScharen durchbrechen; wahrlich, der Mensch ist undank-bar gegen seinen Herren, und er selbst muss solches be-zeugen. Zu unmäßig hängt er der Liebe zu irdischen Gü-tern an. Weiß er denn nicht, dass dann, wenn alles her-ausgenommen ist, was in den Gräbern liegt, und an dasLicht gebracht wird, was in des Menschen Brust verbor-gen war, dass dann an diesem Tage der Herr sie vollkom-men kennt?“

„Ja, du kannst diese Sure. Ich habe sie dem Rappen tau-sendmal des Nachts vorgesagt, tu dasselbe und er wird mer-ken, dass du sein Herr geworden bist. Jetzt aber komm insZelt zurück!“

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Der Engländer war bisher stiller Zuschauer gewesen, nuntrat er an meine Seite.

„Warum auf Euch geschossen?“„Ich wollte ihnen etwas zeigen, was sie noch nicht kennen.“„Ah, schön, Prachtpferd!“„Wisst Ihr, Sir, wem es gehört?“„Dem Scheik!“„Nein.“„Wem sonst?“„Mir.“„Pah!“„Mir, wirklich!“„Sir, mein Name ist David Lindsay und ich lasse mir

nichts weismachen; merkt Euch das!“„Gut, so behalte ich alles andere für mich!“„Was?“„Dass ich Euch morgen früh verlasse.“„Warum?“„Um auf Kundschaft auszureiten. Von der Feindselig-

keit wisst Ihr bereits. Ich soll zu erkunden suchen, wannund wo die feindlichen Stämme zusammentreffen, unddafür bekomme ich, wenn es mir gelingt, eben diesen Rap-pen geschenkt.“

„Glückskind! Werde mitreiten, mithorchen, mitkundschaf-ten!“

„Das geht nicht!“„Warum nicht?“„Ihr könnt mir nichts nützen, sondern nur schaden. Eure

Kleidung...“„Pah, ziehe mich als Araber an!“„Ohne ein Wort Arabisch zu verstehen?“„Richtig! Wie lange ausbleiben?“„Weiß noch nicht. Einige Tage. Ich muss weit über den

kleinen Sab hinunter und der ist ziemlich weit von hier.“„Böser Weg! Schlechtes Volk von Arabern!“„Werde mich in Acht nehmen.“

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„Gut. Will dableiben, wenn mir einen Gefallen tun.“„Welchen?“„Nicht bloß nach Beduinen forschen.“„Nach wem sonst noch?“„Nach schönen Ruinen. Muss nachgraben, Fowlingbull

finden, nach London ins Museum schicken!“„Werde es tun, verlasst Euch darauf!“„Well! Fertig, eintreten!“Wir nahmen unsere früheren Plätze im Zelt ein und ver-

brachten den Rest des Tages mit allerlei Erzählungen, wiesie der Araber liebt.

Am Abend wurde Musik gemacht und gesungen, wobei esnur zwei Instrumente gab: die Rubabah, eine Art Zither mitnur einer Saite, und die Tabl, eine kleine Pauke, die aber dochim Verhältnis zu den leisen, einförmigen Tönen der Rubabaheinen ganz entsetzlichen Lärm machte. Dann wurde dasNachtgebet gesprochen und wir gingen zur Ruhe.

Der Engländer schlief im Zelt des Scheiks, ich aber gingzu dem Hengst, der auf der Erde lag, und nahm Platz zwi-schen seinen Beinen. Habe ich ihm die hundertste Surewirklich in die Nüstern gesagt? Gewiss! Dabei hat michnicht etwa der Aberglaube geleitet, bewahre! Das Pferdwar an diesen Vorgang gewöhnt: Wir wurden also durchihn schnell vertraut miteinander, und indem ich beimRezitieren der Worte hart an seinen Nüstern atmete, lern-te es, um mich so auszudrücken, die Witterung seines neu-en Gebieters kennen. Ich lag zwischen seinen Hufen wieein Kind zwischen den Beinen eines treuen, verständigenNeufundländers.

Als der Tag eben graute, öffnete sich das Zelt des Scheiksund der Engländer trat heraus.

„Geschlafen, Sir?“, fragte er.„Ja.“„Ich nicht.“„Warum?“„Sehr lebendig im Zelt.“

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„Die Schläfer?“„Nein.“„Wer sonst?“„Fleas, Lice and Gnats!“Wer Englisch versteht, weiß, wen oder was er meinte;

ich musste lachen.„An solche Dinge werdet Ihr Euch bald gewöhnen, Sir

David.“„Nie. Konnte auch nicht schlafen, weil ich an Euch dachte.“„Warum?“„Konntet fortreiten, ohne mich noch zu sprechen.“„Ich hätte auf jeden Fall Abschied von Euch genommen.“„Wäre vielleicht zu spät gewesen.“„Warum?“„Habe Euch viel zu fragen.“„So fragt einmal zu!“Ich hatte ihm schon im Lauf des verflossenen Abends

allerlei Auskunft erteilen müssen, jetzt zog er sein Notiz-buch hervor.

„Werde mich führen lassen an Ruinen. Muss arabischreden. Mir sagen Verschiedenes. Was heißt Freund?“

„Kabîl.“„Feind?“„Chaßm.“„Muss bezahlen. Was heißt Dollar?“„Rijâl fransch.“„Was heißt Geldbeutel?“„Himjâu.“„Werde Steine graben. Was heißt Stein?“„Hadschar.“So fragte er mich nach einigen hundert Wörtern, die er

sich alle notierte. Dann wurde es im Lager rege und ichmusste in das Zelt des Scheiks kommen, um das Früh-mahl einzunehmen.

Dabei wurde noch vieles beraten, dann nahm ich Ab-schied, stieg auf und verließ meine neuen Freunde.

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14. Auf Kundschaft

Ich hatte mir vorgenommen, zunächst den südlichstender feindlichen Stämme, die Dschowari, aufzusuchen. Derbeste Weg zu ihnen wäre gewesen, dem Wadi Ssarßâr zufolgen, das fast stets parallel mit dem Tigris verläuft; lei-der aber war zu vermuten, dass just an seinen Ufern dieObejde ihre Herden weideten, und so hielt ich mich wei-ter westlich. Ich hatte mich so einzurichten, dass ich etwaeine Meile oberhalb Tekrit den Tigris erreichte; dann trafich sicher auf den gesuchten Stamm.

Mit Proviant war ich reichlich versehen, Wasser brauch-te ich für mein Pferd nicht, da der Pflanzenwuchs im vol-len Saft stand. Und so hatte ich weiter keine Sorge, als dieRichtung beizubehalten und jede feindliche Begegnung zuvermeiden. Für das Erste hatte ich den Ortssinn, die Son-ne und den Kompass und für das Letzte das Fernrohr, mitdessen Hilfe ich alles erkennen konnte, bevor ich selbstgesehen wurde.

Der Tag verging ohne irgendein Abenteuer und amAbend legte ich mich hinter einem einsamen Felsen zurRuhe. Bevor ich einschlief, kam mir der Gedanke, ob esnicht vielleicht besser sei, ganz bis Tekrit zu reiten, da ichdort ja ohne Aufsehen vieles erfahren konnte, was mir zuwissen notwendig war. Es war dies ein sehr überflüssigesÜberlegen, wie ich am anderen Morgen sehen sollte. Ichhatte nämlich sehr fest geschlafen und erwachte durch daswarnende Schnauben meines Pferdes. Als ich aufblickte, sahich fünf Reiter von Norden her gerade auf die Stelle zukom-men, an der ich mich befand. Sie waren so nahe, dass siemich bereits gesehen hatten. Flucht lag nicht in meinemSinn, obgleich mich der Rappe wohl schnell davongetra-gen hätte. Ich erhob mich also, saß auf, um für alles gerüstetzu sein, und nahm den Stutzen nachlässig zur Hand.

Sie kamen im Galopp herbei und parierten ihre Pferdeeinige Schritte vor mir. Da in ihren Mienen nicht die ge-

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ringste Feindseligkeit zu finden war, konnte ich mich einst-weilen beruhigen.

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte mich der eine.„We ’alejkum es selâm!“, antwortete ich.„Du hast hier diese Nacht geschlafen?“„So ist es.“„Hast du kein Zelt, unter dem du dein Haupt zur Ruhe

legen könntest?“„Nein. Allah hat seine Gaben verschieden ausgeteilt.

Dem einen gibt er ein Dach von Filz und dem anderen denHimmel zur Decke.“

„Du aber könntest ein Zelt besitzen; hast du doch einPferd, das mehr wert ist als hundert Zelte.“

„Es ist mein einziges Besitztum.“„Verkaufst du es?“„Nein.“„Du musst zu einem Stamm gehören, der nicht weit von

hier sein Lager hat.“„Warum?“„Dein Hengst ist frisch.“„Und dennoch wohnt mein Stamm viele Tagreisen von

hier, weit noch hinter den heiligen Städten im Westen.“„Wie heißt dein Stamm?“„Uled Alamani.“„Ja, da drüben im Moghreb sagt man meist Uled statt

Beni. Warum entfernst du dich so weit von deinem Land?“„Ich habe Mekka gesehen und will nun auch noch die

Duars und Städte sehen, die gegen Persien liegen, damitich den Meinen viel erzählen kann, wenn ich heimkehre.“

„Wohin geht zunächst dein Weg?“„Immer nach Aufgang der Sonne, wohin mich Allah führt.“„So kannst du mit uns reiten.“„Wo ist euer Ziel?“„Oberhalb der Khermina-Klippen, wo unsere Herden

am Ufer und auf den Inseln des Tigris weiden.“Hm! Sollten diese Leute etwa gar Dschowari sein? Sie

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hatten mich gefragt: Es war also nicht unhöflich, wennauch ich mich erkundigte.

„Welchem Stamm gehören diese Herden?“„Den Abu Mohammed.“„Sind noch andere Stämme in der Nähe?“„Ja. Abwärts die Alabejde, die dem Scheik von Khernina

Tribut bezahlen, und aufwärts die Dschowari.“„Wem bezahlen diese den Tribut?“„Man hört es, dass du aus fernen Landen kommt. Die

Dschowari zahlen nicht, sondern sie nehmen sich Tribut.Es sind Diebe und Räuber, vor denen unser Herden kei-nen Augenblick sicher sind. Komm mit uns, wenn du ge-gen sie kämpfen willst!“

„Ihr kämpft mit ihnen?“„Ja. Wir haben uns mit den Alabejde verbündet. Willst

du Taten tun, so kannst du bei uns lernen. Aber warumschläfst du hier am Hügel des Löwen?“

„Ich kenne diesen Ort nicht. Ich war müde und habemich zur Ruhe gelegt.“

„Allah kerîm – Gott ist gnädig; du bist ein Liebling Al-lahs, sonst hätte dich der Würger der Herden zerrissen.Niemand aus El Dschesireh möchte hier eine Stunde ru-hen, denn an diesem Felsen halten die Löwen ihre Zu-sammenkünfte.“

„Es gibt hier am Tigris Löwen?“„Ja, am unteren Lauf des Stroms, weiter oben aber fin-

dest du nur den Leopard. Willst du mit uns reiten?“„Wenn ich euer Gast sein soll.“„Du bist es. Nimm unsere Hand und lass uns Datteln

tauschen!“Wir legten die flachen Hände ineinander und dann be-

kam ich von jedem eine Dattel, die ich aß, während ichfünf andere dafür gab, die auch aus freier Hand verzehrtwurden. Dann schlugen wir die Richtung nach Südostenein. Einige Zeit später passierten wir den Ssarßâr und dieebene Gegend wurde nach und nach bergiger.

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Ich lernte in meinen Begleitern fünf ehrliche Nomadenkennen, in deren Herzen kein Falsch zu finden war. Siehatten zur Feier einer Hochzeit einen befreundeten Stammbesucht und kehrten nun zurück, voll Freude über dieFestlichkeiten und Gelage, denen sie beigewohnt hatten.

Das Gelände hob sich mehr und mehr, bis es sich plötz-lich wieder senkte. Zur Rechten wurden in weiter Fernedie Ruinen von Alt-Tekrit sichtbar, zur Linken, auch weitentfernt, der Dschebel Khernina, und vor uns breitete sichdas Tal des Tigris aus. In einer halben Stunde war der Stromerreicht. Er hatte hier die Breite wohl einer englischenMeile und seine Wasser wurden von einer großen, langgestreckten, grün bewachsenen Insel geteilt, auf welcherich mehrere Zelte erblickte.

„Du gehst mit hinüber? Du wirst unserem Scheik will-kommen sein!“

„Wie kommen wir hinüber?“„Das wirst du gleich sehen, denn wir sind bereits be-

merkt worden. Komm weiter aufwärts, wo das Kellek lan-det.“

Ein Kellek ist ein Floß, das gewöhnlich doppelt so langwie breit ist. Es besteht aus aufgeblasenen Ziegenfellen,die durch Querhölzer befestigt sind; über diese werdenBalken oder Bretter gelegt, auf denen sich die Last befin-det. Das einzige Bindemittel besteht aus Weiden. Gelenktwird so ein Floß durch zwei Ruder, deren Riemen aus ge-spaltenen und wieder zusammengebundenen Bambus-stücken gefertigt sind. Ein solches Floß stieß drüben vonder Insel ab. Es war so groß, dass es mehr als sechs Reitertragen konnte, und brachte uns wohlbehalten hinüber.

Wir wurden von einer Menge von Kindern, einigenHunden und einem alten, ehrwürdig aussehenden Araberbewillkommt, der der Vater eines meiner Gefährten war.

„Erlaube, dass ich dich zum Scheik führe“, sagte der bis-herige Wortführer.

Auf unserem Wege gesellten sich mehrere Männer zu

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uns, die sich aber bescheiden hinter uns hielten und michdurch keine Frage belästigten. Ihre Blicke hingen voll Be-wunderung an meinem Pferd. Der Weg ging nicht weit.Er endete vor einer ziemlich geräumigen Hütte, die ausWeidenstämmen gefertigt, mit Bambus gedeckt und voninnen mit Matten bekleidet war. Als wir eintraten, erhobsich ein stark und kräftig gebauter Mann vom Teppich. Erwar beschäftigt gewesen, sein Messer auf einem Stein zuschärfen.

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte ich.„We ’alejkum es selâm!“, antwortete er und musterte

mich scharf.„Erlaube mir, o Scheik, dir diesen Mann zu bringen“,

bat mein Begleiter. „Er ist ein vornehmer Krieger, sodassich ihm mein Zelt nicht anzubieten wage.“

„Wen du bringst, der ist mir willkommen“, lautete dieAntwort.

Der andere entfernte sich und der Scheik reichte mirdie Hand.

„Setze dich, Fremdling. Du bist müde und hungrig, dusollst ruhen und essen; erlaube aber zuvor, dass ich nachdeinem Pferd sehe!“

Das war ganz das Verhalten eines Arabers: erst das Pferdund dann der Mann. Als er wieder eintrat, sah ich es ihmsofort an, dass ihm der Anblick des Rappen Achtung fürmich eingeflößt hatte.

„Du hast ein edles Tier, Maschallah, möge es dir erhal-ten bleiben! Ich kenne es.“

Ah, das war allerdings schlimm! Vielleicht aber auch nicht!„Woher kennst du es?“„Es ist das beste Ross der Haddedihn.“„Auch die Haddedihn kennst du?“„Ich kenne alle Stämme. Aber dich kenne ich nicht.“„Kennst du den Scheik der Haddedihn?“„Mohammed Emin?“„Ja. Von ihm komme ich.“

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„Wohin willst du?“„Zu dir.“„Er hat dich zu mir gesandt?“„Nein, und dennoch komme ich als sein Bote zu dir.“„Ruhe dich erst aus, bevor du erzählst.“„Ich bin nicht müde, und was ich dir zu sagen habe, ist

so wichtig, dass ich es gleich sagen möchte.“„So sprich!“„Ich höre, dass die Dschowari deine Feinde sind.“„Sie sind es“, antwortete er mit finsterer Miene.„Sie sind auch die meinigen, sie sind auch die Feinde

der Haddedihn.“„Ich weiß es.“„Weißt du auch, dass sie sich mit den Abu Hammed

und Obejde verbunden haben, die Haddedihn in ihrenWeidegründen anzugreifen?“

„Ich weiß es.“„Ich höre, dass du dich mit den Alabejde vereinigt hast,

sie zu strafen?“„Ja.“„So komme ich zu dir, um das Nähere mit dir zu bespre-

chen.“„So sage ich nochmals: Sei mir willkommen! Du wirst

dich erquicken und uns nicht eher verlassen, als bis ichmeine Ältesten zusammengerufen habe.“

Nach kaum einer Stunde saßen acht Männer um michund den Scheik herum und rissen große Fetzen Fleischvon dem Hammel, der aufgetragen worden war. Diese achtMänner waren die Ältesten der Abu Mohammed. Ich er-zählte ihnen offen, wie ich zu den Haddedihn gekommenund der Bote ihres Scheik geworden war.

„Was willst du uns für Vorschläge machen?“, fragte derScheik.

„Keine. Über eure Häupter sind mehr Jahre gezogen alsüber mein Haupt. Es ziemt dem Jüngeren nicht, dem Al-ten die Wege vorzuschreiben.“

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„Du sprichst die Sprache der Weisen. Dein Haupt istnoch jung, aber dein Verstand ist alt, sonst hätte Moham-med Emin dich nicht zu seinem Gesandten gemacht. Rede!Wir werden hören und dann entscheiden.“

„Wie viele Krieger zählt dein Stamm?“„Neunhundert.“„Und die Alabejde?“„Achthundert.“„Das sind siebzehnhundert. Genau halb so viel, wie die

Feinde zusammen zählen.“„Wie viele Krieger haben die Haddedihn?“„Elfhundert. Doch auf die Zahl kommt es oftmals we-

niger an. Wisst ihr vielleicht, wann die Dschowari sichmit den Abu Hammed vereinigen wollen?“

„Am nächsten Jôm es Sabt1.“„Weißt du das genau?“„Wir haben einen treuen Verbündeten unter den Dscho-

wari.“„Und wo soll diese Vereinigung geschehen?“„Bei den Ruinen von Khan Khernina.“„Und dann?“„Dann werden sich diese beiden Stämme mit den Obejde

vereinigen.“„Wo?“„Zwischen dem Wirbel El Kelab und dem Südende des

Dschebel Khanuke.“„Wann?“„Am Jôm et tnên2.“„Du bist außerordentlich gut unterrichtet. Wohin wer-

den sie sich nachher wenden?“„Nach den Weideplätzen der Haddedihn.“„Was wolltet ihr tun?“„Wir wollten die Zelte überfallen, in denen sie ihre Frau-

en und Kinder zurücklassen, und dann ihre Herden weg-führen.“

1 Samstag 2 Montag

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„Wäre das klug?“„Wir nehmen uns nur wieder, was uns geraubt wurde.“„Ganz richtig. Aber die Haddedihn zählen elfhundert,

die Feinde aber dreitausend Krieger. Sie hätten gesiegt,wären als Sieger zurückgekehrt und euch nachgejagt, umeuch mit dem Raub auch eure jetzige Habe wegzunehmen.Wenn ich Unrecht habe, so sagt es.“

„Du hast Recht. Wir dachten, die Haddedihn würdendurch andere Stämme der Schammar verstärkt werden?“

„Diese Stämme werden vom Statthalter von Mossul an-gegriffen.“

„Was rätst du uns? Wäre es nicht am besten, die Feindeeinzeln zu vernichten?“

„Ihr würdet einen Stamm besiegen und die andern beidenaufmerksam machen. Sie müssen kurz nach ihrer Vereini-gung, also bei dem Wirbel El Kelab angegriffen werden.Wenn es euch recht ist, wird Mohammed Emin am Jôm ettnên mit seinen Kriegern von den Khanuke-Bergen herab-steigen und sich auf die Feinde werfen, während ihr sievon Süden angreift und sie somit in den Strudel Kelabtreibt.“

Dieser Plan wurde nach längerer Beratung angenommenund dann noch aufs Eingehendste besprochen. Darüberwar ein großer Teil des Nachmittags vergangen und derAbend rückte heran, sodass ich mich veranlasst sah, fürdie Nacht noch zu bleiben. Am andern Morgen aber wur-de ich beizeiten wieder ans Ufer gesetzt und ritt denselbenWeg zurück, den ich gekommen war.

Meine Aufgabe, die ein so schwieriges Aussehen gehabthatte, war auf eine so leichte und einfache Weise gelöstworden, dass ich mich fast schämen musste, es zu erzäh-len. Der Rappe durfte nicht so billig verdient werden. Waskonnte ich aber noch tun? Ja, war es nicht vielleicht bes-ser, den Kampfplatz vorher ein wenig zu studieren? Die-sen Gedanken wurde ich nicht wieder los. Ich setzte alsogar nicht über den Ssarßâr zurück, sondern ritt an seinem

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linken Ufer nach Norden hinauf, um die Khanuke-Bergezu erreichen. Erst als der Nachmittag beinahe zur Hälfteverflossen war, kam mir der Gedanke, ob nicht das WadiDschehennem, wo ich mit dem Engländer die Pferdediebegetroffen hatte, ein Teil dieser Khanuke-Berge sei. Ichwusste diese Frage nicht zu beantworten, setzte meinenWeg fort und hielt mich später mehr nach rechts, um indie Nähe des Dschebel Mukehil zu kommen.

Die Sonne war beinahe bis zum Horizont niedergesun-ken, als ich zwei Reiter bemerkte, die am westlichen Hori-zont erschienen und mit großer Schnelligkeit näher ka-men. Als sie mich sahen, hielten sie einen Augenblick an,kamen aber dann auf mich zu. Ich zügelte mein Pferd underwartete sie.

Es waren zwei Männer im rüstigen Alter.„Wer bist du?“, fragte der eine mit einem lüsternen Blick

auf den Rappen.Eine solche Anrede war mir unter Arabern noch nicht

vorgekommen.„Ein Fremdling“, antwortete ich kurz.„Woher kommst du?“„Von Westen, wie ihr seht.“„Wohin willst du?“„Wohin das Kismet mich führt.“„Komm mit uns. Du sollst unser Gast sein.“„Ich danke dir. Ich habe bereits einen Gastfreund, der

für mich sorgt.“„Wen?“„Allah. Lebt wohl!“Ich war zu sorglos gewesen, denn noch hatte ich mich

nicht abgewandt, so langte der eine in den Gürtel und imnächsten Augenblick flog mir seine Wurfkeule so an denKopf, dass ich sofort vom Pferd glitt. Zwar dauerte dieBetäubung nicht lange, aber die Räuber hatten mich dochunterdessen binden können.

„Selâm“, grüßte jetzt der eine. „Wir waren vorhin nicht

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höflich genug und daher war dir unsere Gastfreundschaftnicht angenehm. Wer bist du?“

Ich antwortete natürlich nicht.„Wer bist du?“Ich schwieg, obwohl er seine Frage mit einem Fußtritt

begleitete.„Lass ihn“, meinte der andere. „Allah wird Wunder tun

und ihm den Mund öffnen. Soll er reiten oder gehen?“„Gehen!“Sie lockerten mir die Riemen um die Beine und banden

mich an den Steigbügel des einen Pferdes. Dann nahmensie meinen Rappen beim Zügel und – fort ging es, scharfnach Osten. Ich war trotz meines guten Pferdes ein Gefange-ner. Der Mensch ist oft ein sehr übermütiges Geschöpf!

Das Gelände hob sich nach und nach. Wir kamen zwi-schen Bergen hindurch und endlich sah ich aus einem Talmehrere Feuer uns entgegenleuchten. Es war mittlerweileNacht geworden. Wir lenkten in dieses Tal ein, kamen anmehreren Zelten vorüber und hielten endlich vor eineman, aus dem in diesem Augenblick ein junger Mann trat.Er sah mich und ich ihn – wir erkannten einander.

„Maschallah! Wer ist dieser Gefangene?“, fragte er.„Wir fingen ihn draußen in der Ebene. Er ist ein Frem-

der, der uns keine Ssâr bringen wird. Sieh dieses Tier an,das er ritt!“

Der Angeredete trat zu dem Rappen und rief erstaunt:„Allah akbar, das ist ja der Rappe von Mohammed Emin,

dem Haddedihn! Führt diesen Menschen hinein zu mei-nem Vater, dem Scheik, dass er verhört wird! Ich rufe dieandern zusammen.“

„Was tun wir mit dem Pferd?“„Es bleibt vor dem Zelt des Scheiks.“„Und seine Waffen?“„Werden in das Zelt gebracht.“Eine halbe Stunde später stand ich abermals vor einer

Versammlung, aber vor einer Versammlung von Richtern.

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Hier konnte mein Schweigen nichts nützen und ich beschlossdaher zu sprechen.

„Kennst du mich?“, fragte der Älteste der Anwesenden.„Nein.“„Weißt du, wo du dich befindest?“„Nein.“„Kennst du diesen jungen, tapferen Araber?“„Ja.“„Wo hast du ihn gesehen?“„Am Dschebel Dschehennem. Er hatte mir vier Pferde

gestohlen, die ich mir wieder holte.“„Lüge nicht!“„Wer bist du, dass du so zu mir sprichst?“„Ich bin Zedar Ben Huli, der Scheik der Abu Hammed.“„Zedar Ben Huli, der Scheik der Pferderäuber!“„Mensch, schweig! Dieser junge Krieger ist mein Sohn.“„Du kannst stolz auf ihn sein, o Scheik!“„Schweig, sage ich dir abermals, sonst wirst du es bereu-

en. Wer ist ein Pferderäuber? Du bist es! Wem gehört dasPferd, das du geritten hast?“

„Mir.“„Lüge!“„Zedar Ben Huli, danke Allah, dass mir die Hände ge-

bunden sind. Wenn das nicht so wäre, so würdest du michniemals wieder einen Lügner nennen!“

„Bindet ihn fester!“, gebot er. „Aber dennoch sagst dudie Unwahrheit. Ich kenne diesen Hengst ganz genau, ergehört Mohammed Emin, dem Scheik der Haddedihn. Wiekommst du zu diesem Pferd?“

„Er hat es mir geschenkt!“„Du lügst! Kein Araber verschenkt ein solches Pferd.“„Ich sagte dir bereits, dass du Allah danken sollst dafür,

dass ich gefesselt bin!“„Warum hat er es dir geschenkt?“„Das ist seine Sache und die meinige, euch geht sie nichts

an!“

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„Du musst dem Scheik der Haddedihn einen großenDienst erwiesen haben, da er dir ein solches Geschenk gibt.Wir wollen dich nicht weiter darüber fragen. Wann hastdu die Haddedihn verlassen?“

„Vorgestern früh.“„Wo weiden ihre Herden?“„Ich weiß es nicht. Die Herden des Arabers sind bald hier,

bald dort.“„Könntest du uns zu ihnen führen?“„Nein.“„Wo warst du seit vorgestern?“„Überall.“„Gut, du willst nicht antworten. So magst du sehen, was

mit dir geschieht. Führt ihn fort!“Ich wurde in ein kleines, niedriges Zelt geschafft und

dort angebunden. Zu meiner Rechten und zu meiner Lin-ken kauerte sich je ein Beduine nieder, die dann späterabwechselnd schliefen. Ich hatte geglaubt, die Entschei-dung über mein Schicksal noch heute zu vernehmen, sahmich aber getäuscht; die Versammlung ging später, wieich hörte, auseinander, ohne dass mir etwas über ihrenBeschluss gesagt worden wäre. Ich schlief ein. Ein unruhi-ger Traum bemächtigte sich meiner. Ich lag nicht hier imZelt am Tigris, sondern in einer Oase der Sahara. Das Wacht-feuer loderte, der Lagmi1 ging von Hand zu Hand undMärchen wurden erzählt. Da plötzlich ließ sich jener grol-lende Donner vernehmen, den keiner vergessen kann, derihn einmal gehört hat, der Donner der Löwenstimme.Assad-Bej, der Herdenwürger, nahte, um sein Nachtmahlzu holen. Wieder und näher ertönte seine Stimme – icherwachte.

War das ein Traum gewesen? Neben mir lagen die bei-den Abu Hammed und ich hörte, wie der eine die heiligeFâtiha betete. Da grollte der Donner zum dritten Mal. Eswar Wirklichkeit – ein Löwe umschlich das Lager.

1 Dattelpalmensaft

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„Schlaft ihr?“, fragte ich.„Nein.“„Hört ihr den Löwen?“„Ja. Heute ist es das dritte Mal, dass er sich Speise holt.“„Tötet ihn!“„Wer soll ihn töten, den Mächtigen, den Erhabenen,

den Herrn des Todes?“„Feiglinge! Kommt er auch in das Innere des Lagers?“„Nein. Sonst ständen die Männer nicht vor ihren Zel-

ten, um seine Stimme vollständig zu hören.“„Ist der Scheik bei ihnen?“„Ja.“„Geh hinaus zu ihm und sage ihm, dass ich den Löwen

töten werde, wenn er mir mein Gewehr gibt.“„Du bist wahnsinnig!“„Ich bin vollständig bei Sinnen. Geh hinaus!“„Ist es dein Ernst?“„Ja, pack dich!“Es hatte sich eine ganz bedeutende Aufregung meiner

bemächtigt, ich hätte meine Fessel zersprengen mögen.Nach einigen Minuten kehrte der Mann zurück. Er bandmich los.

„Folge mir!“, gebot er.Draußen standen viele Männer mit den Waffen in der

Hand, aber keiner wagte es, aus dem Schutz der Zelte zutreten.

„Du hast mit mir sprechen wollen. Was willst du?“, fragteder Scheik.

„Erlaube mir, diesen Löwen zu erlegen.“„Du kannst keinen Löwen töten! Zwanzig von uns rei-

chen nicht aus, ihn zu jagen, und mehrere würden sterbendaran.“

„Ich töte ihn allein, es ist der erste nicht.“„Sagst du die Wahrheit?“„Ich sage sie.“„Wenn du ihn erlegen willst, so habe ich nichts dage-

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gen. Allah gibt das Leben und Allah nimmt es wieder, essteht alles im Buch verzeichnet.“

„So gib mir mein Gewehr!“„Welches?“„Das schwere und mein Messer.“„Bringt ihm beides“, gebot der Scheik.Der gute Mann sagte sich jedenfalls, dass ich ein Kind

des Todes und er dann unbestrittener Erbe meines Pferdessei. Mir aber war es um den Löwen, um die Freiheit undum das Pferd zugleich zu tun, und diese drei konnte ichhaben, wenn ich in den Besitz meiner Büchse gelangte.

Sie wurde mir nebst dem Messer gebracht.„Willst du mir nicht die Hände frei machen lassen, o

Scheik?“„Du willst wirklich nur den Löwen erschießen?“„Ja. Ich werde mit dieser Büchse nur auf den Löwen

schießen.“„So löst ihm die Hände!“Jetzt war ich frei. Die anderen Waffen lagen im Zelt des

Scheiks und vor diesem stand der Rappe. Ich hatte keineBesorgnis mehr.

Es war die Stunde, in der der Löwe am liebsten um dieHerden schleicht, die Zeit kurz vor dem Morgengrauen.Ich fühlte an meinem Gürtel, ob der Patronenbund nochvorhanden sei, dann schritt ich bis zum ersten Zelt vor.Hier blieb ich eine Weile stehen, um mein Auge an dieDunkelheit zu gewöhnen. Vor mir und zu beiden Seitengewahrte ich einige Kamele und zahlreiche Schafe, die sichzusammengedrängt hatten. Die Hunde, die sonst desNachts die Wächter dieser Tiere sind, waren entflohen undhatten sich hinter oder in die Zelte verkrochen.

Ich legte mich auf den Boden nieder und kroch leiseund langsam vorwärts. Ich wusste, dass ich den Löwennoch eher riechen würde, als ich ihn bei dieser Dunkelheitzu Gesicht bekommen konnte. Da – es war, als erbebte derBoden unter mir – erscholl der Donner seiner Stimme seit-

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wärts von mir und einige Augenblicke darauf vernahm icheinen dumpfen Schall, wie wenn ein schwerer Körper ge-gen einen anderen prallt – ein leises Stöhnen, ein Kna-cken und Krachen wie von zermalmt werdenden Knochen– und da, höchstens zwanzig Schritte vor mir, funkeltendie beiden Feuerkugeln: – Ich kannte dieses grünlich rol-lende Licht. Ich hob das Gewehr trotz der Dunkelheit,zielte, so gut es gehen wollte, und drückte ab.

Ein grässlicher Laut durchzitterte die Luft. Der Blitzmeines Schusses hatte dem Löwen seinen Feind gezeigt;auch ich hatte ihn gesehen, wie er auf dem Rücken einesKamels lag und dessen Halswirbel mit seinen Zähnen zer-malmte. Hatte ich ihn getroffen? Ein großer dunkler Ge-genstand schnellte durch die Luft und kam höchstens dreiSchritte vor mir auf den Boden nieder. Die Lichter fun-kelten abermals. Entweder war der Sprung schlecht be-rechnet gewesen oder das Tier war doch verwundet. Ichkniete noch fast im Anschlag und drückte den zweiten undletzten Schuss los, nicht zwischen die Augen, sondern mit-ten in das eine Auge hinein. Dann ließ ich die Büchse blitz-schnell fallen und nahm das Messer zur Hand – aber derFeind kam nicht über mich; er war von dem tödlichenSchuss förmlich zurückgeworfen worden. Trotzdem zog ichmich einige Schritte zurück, um wieder zu laden. Rings-um herrschte Stille, auch im Lager war kein Hauch zuhören. Man hielt mich wohl für tot.

Sobald aber der schwächste Schimmer des Tages den Kör-per des Löwen einigermaßen erkennen ließ, trat ich hinzu.Er war tot und nun machte ich mich daran, ihn aus der Hautzu schälen. Ich hatte meine Gründe, nicht lange damit zuwarten. Es fiel mir nicht ein, diese Trophäe zurückzulassen.Die Arbeit ging mehr nach dem Gefühl, war aber doch been-det, als der Morgenschimmer etwas kräftiger wurde.

Jetzt nahm ich das Fell, schlug es mir über die Schulterund kehrte ins Lager zurück. Es war jedenfalls nur ein klei-nes Zweiglager der räuberischen Abu Hammed. Die Män-

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ner, Frauen und Kinder saßen erwartungsvoll vor ihrenZelten. Als sie mich erblickten, erhob sich ein ungeheurerLärm. Allah wurde in allen Tönen angerufen und hundertHände streckten sich nach meiner Beute aus.

„Du hast ihn getötet?“, rief der Scheik. „Wirklich? Allein?“„Allein!“„So hat dir der Schejtan beigestanden! Oder hast du ei-

nen Zauber, ein Amulett, einen Talisman, mit Hilfe des-sen du diese Tat vollbringst?“

„Ja.“„Wo ist er?“„Hier!“Ich hielt ihm die Büchse vor die Nase.„Das ist es nicht. Du willst es uns nicht sagen. Wo liegt

der Körper des Löwen?“„Draußen rechts vor den Zelten. Holt ihn euch!“Die meisten der Anwesenden eilten fort. Das hatte ich

gewünscht.„Wem gehört die Haut des Löwen?“, fragte der Scheik

mit lüsternem Blick.„Darüber wollen wir in deinem Zelt beraten. Tretet ein!“Alle folgten mir, es waren wohl nur zehn oder zwölf

Männer da. Gleich beim Eintritt erblickte ich meine an-deren Waffen, sie hingen an einem Pflock. Mit zwei Schrit-ten stand ich dort, riss sie herab, warf die Büchse über dieSchulter und nahm den Stutzen in die Hand. Die Löwen-haut war mir infolge ihrer Größe und Schwere sehr hin-derlich, aber es musste doch versucht werden. Rasch standich wieder unter dem Eingang des Zeltes.

„Zedar Ben Huli, ich habe dir versprochen, mit dieserBüchse nur auf den Löwen zu schießen...“

„Ja.“„Aber auf wen ich mit diesem anderen Gewehr schießen

werde, das habe ich nicht gesagt.“„Es gehört hierher. Gib es zurück.“„Es gehört in meine Hand und die wird es behalten.“

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„Er wird fliehen – haltet ihn!“Da erhob ich den Stutzen zum Schuss.„Halt! Wer es wagt, mich zu hindern, der ist eine Leiche!

Zedar Ben Huli, ich danke dir für die Gastfreundschaft,die ich bei dir genossen habe. Wir sehen uns wieder!“

Ich trat hinaus. Eine Minute lang wagte niemand mirzu folgen. Diese kurze Zeit genügte, den Rappen zu be-steigen und die Haut vor mich hinzunehmen. Als sichdas Zelt wieder öffnete, galoppierte ich bereits am letztenZelt vorbei.

Hinter mir und zur Seite, wo der Körper des Löwen lag,erscholl ein wütendes Geschrei und ich bemerkte, dassalle zu den Waffen und zu den Pferden rannten. Als ichdas Lager hinter mir hatte, ritt ich nur im Schritt. DerRappe scheute vor dem Fell, er konnte den Geruch desLöwen nicht vertragen und schnaubte ängstlich zur Seite.Jetzt blickte ich rückwärts und sah die Verfolger zwischenden Zelten förmlich hervorquellen. Nun ließ ich denHengst traben, und erst als der vorderste Verfolger inSchussweite gekommen war, wollte ich den Rappen weiterausgreifen lassen; ich besann mich aber anders. Ich hielt,drehte mich um und zielte. Der Schuss krachte und dasPferd brach unter seinem Reiter tot zusammen. DiesenPferdedieben konnte eine solche Lehre nichts schaden.Nun erst ritt ich Galopp, wobei ich den abgeschossenenLauf wieder lud.

Als ich mich abermals umwandte, waren mir zwei wiedernahe genug gekommen; ihre Flinten freilich hätten michnicht zu erreichen vermocht. Ich hielt wieder, drehte umund zielte – zwei Schüsse knallten nacheinander und zweiPferde stürzten nieder. Das war den anderen doch zu viel,sie stutzten und blieben zurück. Als ich mich nach längererZeit wieder umschaute, erblickte ich sie in weiter Ferne, wosie nur noch meinen Spuren zu folgen schienen.

Jetzt jagte ich, um sie irrezuleiten, beinahe eine Stundelang nach West fort, dann bog ich auf einem steinigen

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Boden, wo die Hufspuren nicht zu sehen waren, nachNorden um und hatte bereits gegen Mittag den Tigris daerreicht, wo von Osten her der Sab el Asfal in ihn ein-mündet. Hier war auf dem diesseitigen Ufer die Stelle, wodie Khanuke-Berge in das Gebirge von Mukehil überge-hen. Dieser Übergang geschieht durch einzelne Erhöhun-gen, die durch tiefe und nicht sehr breite Täler getrenntwerden. Das breiteste Tal von ihnen wurde jedenfalls vonden Feinden zum Durchzug gewählt und so prägte ich mirdas Gelände und seine Zugänge möglichst genau ein; danneilte ich dem Thathar wieder entgegen, den ich am Nach-mittag erreichte und überschritt. Das Verlangen trieb michzu den Freunden, aber ich musste das Pferd schonen undhielt daher noch eine Nachtruhe.

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15. Die Atejbeh kommen

Am andern Mittag kam mir die erste Schafherde derHaddedihn wieder vor Augen und ich ritt im Galopp aufdas Zeltlager los, ohne auf die Zurufe zu achten, die vonallen Seiten erschollen.

Der Scheik hatte aus ihnen geschlossen, dass etwas Un-gewöhnliches vorgehe, und trat eben aus dem Zelt, als ichanlangte.

„Hamdulillah, Preis sei Gott, dass du wieder da bist!“,begrüßte er mich. „Wie ist es gegangen?“

„Gut.“„Hast du etwas erfahren?“„Alles!“„Alles? Was?“„Rufe die Ältesten zusammen, ich werde euch Bericht

erstatten.“Jetzt erst bemerkte er die Haut, die ich auf der anderen

Seite des Pferdes herabgeworfen hatte.„Maschallah, ein Löwe! Wie kommst du zu diesem Fell?“„Ich habe es ihm abgezogen!“„Ihm? Dem Herrn selbst?“„Ja.“„So hast du mit ihm gesprochen?“„Kurze Zeit.“„Wie viele Jäger waren dabei?“„Keiner.“„Allah sei mit dir, dass dich dein Gedächtnis nicht ver-

lasse!“„Ich war allein!“„Wo?“„Im Lager der Abu Hammed.“„Die hätten dich erschlagen!“„Sie haben es nicht getan, wie du siehst. Sogar Zedar

Ben Huli hat mir das Leben gelassen.“„Auch ihn hast du gesehen?“

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„Auch ihn. Ich habe ihm drei Pferde erschossen.“„Erzähle!“„Nicht jetzt, nicht dir allein, denn sonst muss ich alles

öfters erzählen. Rufe die Leute und dann sollst du allesausführlich hören!“

Er ging. Ich wollte eben in sein Zelt treten, als ich denEngländer in vollem Galopp daherstürmen sah.

„Habe soeben bemerkt, dass Ihr wieder da seid, Sir“,rief er schon von weitem. „Habt Ihr gefunden?“

„Ja, die Feinde, das Schlachtfeld und alles.“„Pah! Auch Ruinen mit Fowlingbull?“„Auch!“„Schön, sehr gut! Werde graben, finden und nach Lon-

don schicken. Erst aber wohl kämpfen?“„Ja.“„Gut, werde fechten wie Bayard. Ich auch gefunden.“„Was?“„Seltenheit, Schrift.“„Wo?“„Loch, hier in der Nähe. Ziegelstein.“„Eine Schrift auf einem Ziegelstein?“„Yes! Keilschrift. Könnt ihr lesen?“„Ein wenig.“„Ich nicht. Wollen sehen!“„Ja. Wo ist der Stein?“„In Zelt. Gleich holen!“Er ging hinein und brachte seinen kostbaren Fund zum

Vorschein.„Hier, ansehen, lesen!“Der Stein war beinahe vollständig zerbröckelt und die

wenigen Keile, die die verwitterte Inschrift noch zeigte,waren kaum mehr zu unterscheiden.

„Nun?“, fragte Lindsay neugierig.„Wartet nur. Das ist nicht so leicht, wie Ihr denkt. Ich

finde nur drei Worte, die vielleicht zu entziffern wären.Sie heißen, wenn ich nicht irre: Tetuda Babrut ésis.“

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„Was heißt das?“„Zum Ruhm Babylons aufgeführt.“Der gute David zog seinen parallelogrammen Mund bis

hinten an die Ohren.„Lest Ihr richtig, Sir?“„Ich denke es.“„Was daraus nehmen?“„Alles und nichts!“„Hm! Hier doch gar nicht Babylon!“„Was sonst?“„Ninive!“„Meinetwegen Rio de Janeiro! Reimt Euch das Ding da

selbst zusammen oder auseinander, ich habe jetzt keineZeit dazu.“

„Aber warum ich Euch mitgenommen?“„Gut! Hebt den Ziegelkloß auf, bis ich Zeit habe!“„Well! Was habt Ihr zu tun?“„Es wird gleich Sitzung sein, in der ich meine Erlebnisse

zu erzählen habe.“„Werde auch mittun!“„Übrigens muss ich vorher essen. Ich habe Hunger wie

ein Bär.“„Auch da werde ich mittun!“Er trat mit mir ins Zelt.„Wie seid Ihr denn mit Eurem Arabisch fortgekommen?“„Miserabel! Verlange Brot – Araber bringt Stiefel, ver-

lange Hut – Araber bringt Salz, verlange Flinte – Araberbringt Kopftuch. Schauderhaft, schrecklich! Lasse Euchnicht wieder fort!“

Nach der Rückkehr des Scheiks brauchte ich nicht lan-ge auf das Mahl zu warten. Währenddessen stellten sichdie Geladenen ein. Die Pfeifen wurden angezündet undder Kaffee ging herum.

Die Araber hatten wortlos und geduldig gewartet, bismein Hunger gestillt war, dann aber begann ich:

„Ihr habt mir eine sehr schwere Aufgabe gestellt, aber es

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ist mir wider alles Erwarten sehr leicht geworden, sie zulösen. Und dabei bringe ich euch eine so ausführlicheNachricht, wie ihr sie sicherlich nicht erwartet habt.“

„Rede!“, bat der Scheik.„Die Feinde haben ihre Rüstungen bereits vollendet. Es

sind die Orte bestimmt, wo die drei Stämme sich vereinigen,und ebenso ist die Zeit vereinbart, in der dies geschehen wird.“

„Aber du hast es nicht erfahren können!“„Doch! Die Dschowari werden sich mit den Abu Hammed

am Jôm es Sabt bei den Ruinen von Khan Khernina vereini-gen. Diese beiden Stämme stoßen dann am Jôm et tnên zwi-schen dem Wirbel El Kelab und dem Ende der Khanuke-Berge mit den Obejde zusammen.“

„Weißt du das gewiss?“„Ja.“„Von wem?“„Vom Scheik der Abu Mohammed.“„Hast du mit ihm gesprochen?“„Ich war sogar in seinem Zelt.“„Die Abu Mohammed leben mit den Dschowari und

Abu Hammed nicht in Frieden.“„Er sagte es. Er kannte deinen Rappen und ist dein

Freund. Er wird dir zusammen mit dem Stamm derAlabejde zu Hilfe kommen.“

„Sagst du die Wahrheit?“„Ich sage sie.“Da sprangen alle Anwesenden auf und reichten sich ju-

belnd die Hände. Ich wurde von ihnen beinahe erdrückt.Dann musste ich alles so ausführlich wie möglich erzäh-len. Ich tat es. Sie glaubten alles, nur dass ich den Löwenso ganz allein und noch dazu bei stockfinsterer Nacht er-legt haben wollte, das schienen sie sehr zu bezweifeln. DerAraber ist gewohnt, dieses Tier nur am Tag, und zwar inmöglichst zahlreicher Gesellschaft anzugreifen. Ich legteihnen endlich das Fell vor.

„Hat diese Haut ein Loch?“

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Sie besahen es höchst aufmerksam.„Nein“, lautete dann der Bescheid.„Wenn Araber einen Löwen töten, so hat die Haut sehr

viele Löcher. Ich habe ihm zwei Kugeln gegeben. Seht her!Die erste Kugel war zu hoch gezielt, weil er zu entferntvon mir war und ich in der Finsternis nicht ganz genau zuzielen vermochte. Sie hat die Kopfhaut gestreift und das Ohrverletzt. Hier seht ihr es. Die zweite Kugel gab ich ihm, als erzwei oder drei Schritte von mir war; sie ist ihm in das linkeAuge gedrungen. Ihr seht das hier, wo das Fell versengt ist.“

„Allah akbar, es ist wahr! Du hast dieses furchtbare Tierso nah an dich herankommen lassen, dass dein Pulver sei-ne Haare verbrannte! Wenn es dich nun gefressen hätte?“

„So hätte es so im Buch gestanden. Ich habe diese Hautmitgebracht für dich, o Scheik. Nimm sie von mir an undgebrauche Sie als Schmuck deines Zeltes!“

„Ist das dein Ernst?“, fragte er erfreut.„Mein Ernst.“„Ich danke dir, Kara Ben Nemsi Effendi! Auf diesem Fell

werde ich schlafen und der Mut des Löwen wird in meinHerz einziehen.“

„Es bedarf dieser Haut nicht, um deine Brust mit Mutzu erfüllen, den du übrigens auch bald brauchen wirst.“

„Wirst du mitkämpfen gegen unsere Feinde?“„Ja. Sie sind Diebe und Räuber und haben auch mir

nach dem Leben getrachtet, ich stelle mich unter deinenBefehl und hier mein Freund wird dasselbe tun.“

„Nein. Du sollst nicht gehorchen, sondern befehlen. Dusollst der Anführer einer Abteilung sein.“

„Davon lass uns später sprechen; für jetzt aber erlaubemir, an eurer Beratung teilzunehmen.“

„Du hast Recht, wir müssen uns beraten, denn wir ha-ben nur noch fünf Tage Zeit.“

„Hast du mir nicht gesagt, dass es eines Tages bedürfe,um die Krieger der Haddedihn um dich zu versammeln?“

„So ist es.“

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„So würde ich an deiner Stelle heute die Boten aussenden.“„Warum noch heute?“„Weil es nicht genug ist, die Krieger beisammen zu ha-

ben. Sie müssen auf diesen Kampf eingeübt werden.“Er lächelte stolz.„Die Söhne der Haddedihn sind seit ihren Knabenjahren

bereits den Kampf gewöhnt. Wir werden unsere Feindeüberwinden. Wie viele streitbare Männer hat der Stammder Abu Mohammed?“

„Neunhundert.“„Und die Alabejde?“„Achthundert.“„So zählen wir achtundzwanzighundert Mann, dazu kommt

die Überraschung da uns der Feind nicht erwartet; wir müs-sen siegen!“

„Oder wir werden besiegt!“„Maschallah, du tötest den Löwen und fürchtest den

Araber?“„Du irrst. Du bist tapfer und mutig; aber der Mut zählt

doppelt, wenn er vorsichtig ist. Hältst du es nicht fürmöglich, dass die Alabejde und Abu Mohammed zu späteintreffen?“

„Es ist möglich.“„Dann stehen wir mit elfhundert gegen dreitausend

Mann. Der Feind wird erst uns und dann unsere Freundevernichten. Wie leicht kann er erfahren, dass wir ihm ent-gegenziehen wollen! Dann fällt auch die Überraschungweg. Und was nützt es dir, wenn du kämpfst und den Feindnur zurückschlägst? Wäre ich der Scheik der Haddedihn,ich schlüge ihn so nieder, dass er sich auf lange Zeit nichtwieder erheben könnte und mir jährlich einen Tribut zah-len müsste.“

„Wie wolltest du das anfangen?“„Ich würde nicht wie die Araber, sondern wie die Fran-

ken kämpfen.“„Wie kämpfen diese?“

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Jetzt erhob ich mich, um eine Rede zu halten, eine Redeüber europäische Kriegskunst, ich, der Laie im Kriegs-wesen. Aber ich musste mich ja für diesen braven Stammder Haddedihn interessieren. Ich hielt es keineswegs füreine Versündigung am Leben meiner Mitmenschen, wennich mich hier beteiligte; es lag vielmehr wohl in meinerHand, die Grausamkeiten zu mildern, die bei diesen halb-wilden Leuten ein Sieg stets mit sich bringt. Ich beschriebalso zunächst ihre eigene Fechtart und schilderte derenNachteile; dann begann ich die eigentliche Auseinander-setzung. Sie hörten mir aufmerksam zu, und als ich geen-det hatte, bemerkte ich den Eindruck meiner Worte andem langen Schweigen, das nun folgte. Der Scheik ergriffzuerst wieder das Wort:

„Deine Rede ist gut und wahr; sie könnte uns den Siegbringen und vielen der Unseren das Leben erhalten, wennwir Zeit hätten, uns einzuüben.“

„Wir haben Zeit.“„Sagtest du nicht, dass es lange Jahre erfordere, ein sol-

ches Heer zu Stande zu bringen?“„Das sagte ich. Aber wir wollen ja nicht ein Heer bil-

den, sondern wir wollen nur die Obejde in die Flucht schla-gen, und dazu bedürfte es einer Vorbereitung von nur zweiTagen. Wenn du heute noch deine Boten aussendest, sosind die Krieger morgen beisammen; ich lehre sie den ge-schlossenen Angriff zu Pferde, der die Feinde über denHaufen werfen wird, und den Kampf zu Fuß mit demFeuergewehr.“

Ich nahm ein Kamelstöckchen von der Wand und zeich-nete auf den Boden.

„Schau hierher! Hier fließt der Tigris, hier ist der Wirbel ElKelab, hier liegen die Mukehil- und hier die Khanuke-Berge.Der Feind trifft hier zusammen. Die beiden ersten Stäm-me kommen am rechten Ufer des Flusses heraufgezogen,hinter ihnen im Stillen unsere Verbündeten, und die Obejdesetzen vom linken Ufer herüber. Um zu uns zu gelangen,

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müssen sie zwischen diesen einzelnen Bergen hindurch;diese Wege alle aber führen in das große Wadi Deradsch,das ‚Tal der Stufen‘ heißt, weil seine steilen Wände wieStufen emporsteigen. Es hat nur einen Eingang und einenAusgang. Hier müssen wir sie erwarten. Wir besetzen dieHöhen mit Schützen, die den Feind niederschießen, ohnedass ihnen selbst ein Leid geschehen kann. Den Ausgangverschließen wir mit einer Brustwehr, die auch von Schüt-zen verteidigt wird, und hier in diesen zwei Seiten-schluchten hüben und drüben verbergen sich die Reiter,die im Augenblick hervorbrechen, wenn der Feind sichvollständig im Tal befindet. Am Eingang wird er dann vonunseren Verbündeten im Rücken angegriffen, und solltendiese nicht zur rechten Zeit eintreffen, so wird er ihnenauf der Flucht entgegengetrieben.“

„Maschallah, deine Rede ist wie die Rede des Prophe-ten, der die Welt erobert hat. Ich werde deinen Rat befol-gen, wenn die anderen hier damit einverstanden sind. Werdagegen ist, der mag sprechen!“

Es widersprach niemand, darum fuhr der Scheik fort:„So werde ich gleich jetzt die Boten aussenden.“„Sei vorsichtig, o Scheik, und lass deinen Kriegern nicht

sagen, um was es sich handelt; es wäre sonst sehr leichtmöglich, dass der Feind von unserem Vorhaben Nachrichterhält.“

Er nickte zustimmend und entfernte sich. Lindsay hattedieser langen Unterredung mit sichtbarer Ungeduld zuge-hört, jetzt ergriff er die Gelegenheit zu sprechen:

„Sir, ich bin auch hier!“„Ich sehe Euch!“„Wollte auch hören!“„Meine Erlebnisse?“„Yes!“„Konntet denken, dass ich meinen Vortrag nicht in eng-

lischer Sprache halten würde. Sollt aber jetzt das Nötigeerfahren.“

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Ich teilte ihm in aller Kürze meine Erzählung und dannden Inhalt der Besprechung mit. Er war wie elektrisiert.

„Ah! Kein wilder Angriff, sondern militärische Taktik!Strategie! Feind umzingeln! Barrikade! Prächtig! Herrlich!Ich auch mit! Ihr seid General, ich bin Adjutant!“

„Würden uns beide wundervoll ausnehmen in diesenStellungen! Ein General, der von der Kriegsführung so vielversteht, wie das Flusspferd vom Filetstricken, und einAdjutant, der nicht reden kann! Übrigens wird es für Euchgeratener sein, wenn Ihr Euch von der Sache fern haltet.“

„Warum?“„Wegen des Vizekonsuls in Mossul.“„Ah! Wie?“„Man vermutet, dass er hier seine Hand im Spiel hat.“„Mag die Hand wegnehmen! Was geht mich Konsul an?

Pah!“Jetzt kam der Scheik wieder. Er hatte die Boten ausge-

sandt und brachte allerlei neue Gedanken mit:„Hat der Scheik der Abu Mohammed gesagt, welchen

Teil der Beute er erwartet?“„Nein.“„Was fordern die Alabejde?“„Ich weiß es nicht.“„Du hättest fragen sollen!“„Ich habe nicht gefragt, weil ich als Scheik der Haddedihn

nicht nach Beute fragen würde.“„Maschallah! Wonach sonst? Wer ersetzt mir meinen

Schaden?“„Der besiegte Feind.“„Also muss ich doch in seine Weideplätze einbrechen

und seine Weiber und Kinder nebst seinem Vieh fortfüh-ren!“

„Das ist nicht notwendig. Willst du gegen Frauen Kriegführen? Du gibst die Gefangenen, die wir machen wer-den, wenn wir glücklich sind, nicht eher frei, als bis duerhalten hast, was du forderst. Ist unser Sieg vollständig,

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so verlangst du einen jährlichen Tribut und behältst denScheik oder einige Anverwandte von ihm als Geiseln zu-rück.“

Es wurde nun über diesen Punkt beraten. Man nahmihn an.

„Und nun noch das Letzte“, bemerkte ich dann. „Es istnotwendig, dass wir von allen Bewegungen unserer Fein-de und unserer Verbündeten Kenntnis erhalten. Wir müs-sen daher von hier bis nach El Deradsch eine Postenlinieziehen.“

„Wie meinst du das?“„In El Deradsch verstecken sich zwei unserer Krieger,

von denen du überzeugt bist, dass sie fähig und treu sind.Sie lassen sich nicht sehen und beobachten alles. Von ElDeradsch bis hierher stellst du in gewissen Entfernungenandere auf; es genügen vier Mann, die darauf zu achtenhaben, dass sie mit keinem Fremden zusammenkommen,und uns alles berichten, was die ersten zwei erkunden.Einer trägt die Kunde zum andern und kehrt dann aufseinen Posten zurück.“

„Dieser Plan ist gut, ich werde ihn befolgen.“„Eine ebensolche Linie, nur etwas weitläufiger, stellst

du auf zwischen hier und den Weideplätzen der Abu Mo-hammed. Ich habe das mit ihrem Scheik bereits bespro-chen. Er wird die Hälfte dieser Linie mit seinen Leutenbilden. Ihr äußerster Posten wird bei der Ruine El Farr zutreffen sein.“

„Wie viele Männer werde ich dazu brauchen?“„Nur sechs. Die Abu Mohammed stellen ebenso viele.

Wie viele Krieger hast du hier im Lager?“„Es können vierhundert sein.“„Ich bitte dich, sie zu versammeln. Du musst noch heu-

te Musterung über sie halten und wir können mit unserenÜbungen heute noch beginnen.“

Das brachte reges Leben in die Versammlung. Binneneiner halben Stunde waren die vierhundert Mann beisam-

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men. Der Scheik hielt ihnen eine lange, blühende Redeund ließ sie schließlich beim Bart des Propheten schwö-ren, die Rüstung gegen keinen Unberufenen zu erwähnen;dann befahl er ihnen, sich in Reih und Glied aufzustellen.

Wir ritten die lange Reihe hinab. Alle waren zu Pferde,ein jeder hatte Messer, Säbel und die lange, befiederteLanze, die bei besserer Schulung eine fürchterliche Waffesein konnte. Viele trugen auch den gefährlichen Nebbut1

oder die kurze Wurflanze. Die Schusswaffen ließen vieleszu wünschen übrig. Einige Krieger hatten noch den altenLederschild nebst Köcher, Pfeil und Bogen. Andere besa-ßen Luntenflinten, die ihren Eigentümern gefährlicherwaren als dem Feind, und die übrigen hatten Hinterladermit überlangen Läufen.

Diese ließ ich vortreten, die andern aber schickte ichfort mit der Bemerkung, morgen in aller Frühe wiederzu-kommen. Die Zurückgebliebenen mussten absitzen undProben ihrer Fertigkeit im Schießen ablegen. Im Allge-meinen konnte ich mit ihnen zufrieden sein. Es warengegen zweihundert Mann. Ich bildete zwei Kompanien ausihnen und begann meinen Unterricht. Damit war es aller-dings nicht weit her. Die Leute sollten im Takt marschie-ren und laufen können und ein Schnellfeuer unterhaltenlernen. Sie waren gewohnt, nur zu Pferde anzugreifen undden Feind zu reizen, ohne ihm ernstlich standzuhalten;jetzt kam alles darauf an, sie so weit zu bringen, dass sie zuFuß einen Angriff aushalten lernten, ohne die Fassung zuverlieren.

Am nächsten Morgen nahm ich die andern vor. Bei ih-nen galt es, sie zu einem geschlossenen Angriff mit derLanze zu befähigen, wenn sie ihre Gewehre abgeschossenhatten. Ich kann sagen, dass die Leute sehr schnell begrif-fen und überaus begeistert waren.

Gegen Abend hörten wir, dass die Verbindung mit denAbu Mohammed hergestellt sei, und bekamen zu gleicher

1 Keule

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Zeit die Nachricht, dass ihr Scheik von meinem Abenteu-er bei den Abu Hammed bereits gehört habe. Es ging Ant-wort zurück und von diesem Augenblick an wurde eindurch die Posten vermittelter unausgesetzter Verkehr un-terhalten.

Schon war es beinahe dunkel, als ich nochmals denRapphengst bestieg, um einen Schnellritt hinein in dieSteppe zu machen. Ich war noch nicht weit gelangt, sokamen mir zwei Reiter entgegen. Der eine hatte eine ge-wöhnliche, mittelmäßige Gestalt, der andere aber war sehrklein von Statur und schien von der Unterhaltung mit sei-nem Begleiter außerordentlich in Anspruch genommen zusein, denn er focht mit Armen und Beinen in der Luft, alswolle er Mücken fangen.

Ich musste unwillkürlich an meinen kleinen Halef den-ken.

Ich galoppierte auf sie zu und zügelte vor ihnen meinPferd.

„Maschallah, Sihdi! Bist du es wirklich?“Er war es wirklich, der kleine Hadschi Halef Omar!„Ich bin es. Ich habe dich bereits von weitem erkannt.“Er sprang vom Pferd und fasste mein Gewand, um es in

seiner Freude zu küssen.„Hamdulillah, Preis sei Gott, dass ich dich wiedersehe,

Sihdi! Ich habe mich nach dir gesehnt wie der Tag nachder Sonne.“

„Wie geht es Scheik Malek?“„Er ist wohlauf.“„Amscha?“„Ebenso.“„Hanneh, dein Weib?“„O Sihdi, sie ist wie eine Haura des Paradieses.“„Und die andern?“„Sie sagten mir, dass ich dich grüßen solle, wenn ich

dich fände.“„Wo sind sie?“

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„Sie sind am Euphrat zurückgeblieben und haben michan den Scheik der Schammar vorausgesandt, damit ich beiihm um Aufnahme bitten soll.“

„Bei welchem Scheik?“„Es ist ganz gleich, bei dem, auf den ich zuerst treffe.“„Ich habe bereits für euch gesorgt. Da drüben ist das

Lager der Haddedihn.“„Das sind Schammar. Wie heißt ihr Scheik?“„Mohammed Emin.“„Wird er uns aufnehmen? Kennst du ihn?“„Ich kenne ihn und habe bereits mit ihm von euch ge-

sprochen. Sieh diesen Hengst! Wie gefällt er dir?“„Sihdi, ich habe ihn bereits bewundert, er ist sicher der

Abkömmling einer Stute von Koheli.“„Er gehört mir, er ist ein Geschenk des Scheiks. Nun

kannst du sehen, dass er mein Freund ist!“„Allah gebe ihm dafür ein langes Leben! Wird er uns

aufnehmen?“„Ihr werdet ihm willkommen sein. Kommt und folgt mir

jetzt.“Wir setzten uns in Marsch.„Sihdi“, meinte Halef, „die Wege Allahs sind unerforsch-

lich. Ich glaubte, lange nach dir fragen zu müssen, ehe icheine Kunde bekäme, und nun bist du der Erste, dem ichbegegne. Wie bist du zu den Haddedihn gekommen?“

Ich erzählte ihm das Nötige in Kürze und fuhr dannfort:

„Weißt du, was ich jetzt bei ihm bin?“„Nun?“„General.“„Hat er Truppen?“„Nein. Er hat aber Krieg.“„Gegen wen?“„Gegen die Obejde, Abu Hammed und Dschowari.“„Das sind Räuber, die am Sab und Tigris wohnen; ich

habe sehr viel von ihnen gehört, was nicht gut ist.“

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„Sie rüsten gegen ihn. Sie wollen ihn unversehens über-fallen; wir aber haben davon gehört und nun bin ich seinGeneral, der seine Krieger unterrichtet.“

„Ja, Sihdi, ich weiß, dass du alles verstehst und alleskannst, und es ist ein wahres Glück, dass du kein Giaurmehr bist!“

„Nicht?“„Nein. Du hast dich ja zum wahren Glauben bekehrt.“„Wer sagt dir das?“„Du warst in Mekka und hast den heiligen Brunnen Sem-

Sem bei dir, folglich bist du ein guter Moslem geworden.Habe ich dir nicht stets gesagt, dass ich dich bekehrenwürde, du magst wollen oder nicht?“

Wir erreichten das Lager und stiegen vor dem Zelt desScheik ab. Als wir eintraten, hatte er seine Räte bei sich.

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte Halef.Sein Begleiter tat dasselbe.Ich übernahm es, sie vorzustellen.„Erlaube mir, o Scheik, dir diese beiden Männer zu brin-

gen, die mit dir sprechen wollen. Dieser hier heißt Fehimund dieser ist Hadschi Halef Omar Ben Hadschi AbulAbbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, von dem ich dirbereits erzählt habe.“

„Von ihm?“„Ja. Ich habe ihn nicht bei seinem vollen Namen, son-

dern kurz nur Hadschi Halef Omar genannt.“„Dein Diener und Begleiter?“„Ja.“„Der Abu Sejf, den Vater des Säbels, erschlagen hat?“„Ja. Er gehört jetzt zum Stamm der Atejbeh, dessen

Scheik dein Freund Malek ist.“„Seid mir willkommen, ihr Männer! Sei mir willkom-

men, Hadschi Halef Omar! Deine Gestalt ist klein, aberdein Mut ist groß, und deine Tapferkeit ist erhaben. Möch-ten alle Männer so sein wie du! Bringst du mir Kunde vonMalek, meinem Freund?“

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„Ich bringe sie. Er lässt dich grüßen und fragen, ob duihn und die Seinigen in den Stamm der Haddedihn auf-nehmen magst.“

„Ich kenne sein Schicksal, aber er soll mir willkommensein. Wo befindet er sich jetzt?“

„Am Euphrat, in der Gegend von Hit. Ich höre, dass duKrieger brauchst?“

„So ist es. Es ist Feindschaft ausgebrochen zwischen unsund unsern Nachbarn.“

„Ich werde dir sechzig tapfere Leute bringen.“„Sechzig? Hier mein Freund Hadschi Kara Ben Nemsi

hat mir doch gesagt, dass ihr weniger seid!“„Wir haben auf unserer Reise die Reste eines verspreng-

ten Stammes bei uns aufgenommen.“„Was tragt ihr für Waffen?“„Säbel, Dolch, Messer und lauter gute Flinten. Mehrere

haben sogar auch Pistolen. Wie ich mit den Waffen um-zugehen verstehe, wird dir mein Sihdi sagen. Soll einervon uns sofort aufbrechen und Scheik Malek mit den Sei-nen herholen, da ihr Krieger braucht?“

„Ihr seid müde.“„Wir sind nicht ermüdet. Ich reite sofort zurück.“Sein Begleiter Fehim fiel ihm in die Rede:„Du hast deinen Effendi hier gefunden und musst blei-

ben, ich werde zurückkehren.“„Nimm zuvor Speise und Trank zu dir“, meinte der Scheik.„Herr, ich habe einen Schlauch und auch Datteln auf

meinem Pferd.“„Aber dein Pferd wird müde sein. Nimm das meinige,

es hat mehrere Tage ausgeruht und wird dich schnell zuMalek bringen, den du von mir grüßen mögest!“

Dies nahm Fehim an und bereits nach wenigen Minu-ten befand er sich auf dem Rückweg zum Euphrat.

„Effendi“, sagte der Scheik zu mir, „weißt du, was mei-ne Krieger von dir sagen?“

„Nun?“

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„Dass sie dich lieben...“„Ich danke dir!“„...und dass sie den Sieg gewinnen müssen, wenn du bei

ihnen bist.“„Ich bin jetzt mit ihnen zufrieden. Wir werden morgen

ein Manöver veranstalten.“„Wie? Was?“„Ich habe bis jetzt achthundert Mann beisammen. Die

Letzten werden morgen früh nachkommen. Sie sind schnelleingeübt und dann stellen wir den Kampf dar, den wirmit den drei Stämmen haben werden. Die Hälfte sind dieHaddedihn, die andere Hälfte sind die Feinde. Drübendie alten Ruinen gelten als die Berge von Mukehil undKhanuke und so werde ich deinen Kriegern zeigen, wie siedann gegen die wirklichen Feinde zu kämpfen haben.“

Diese Ankündigung steigerte die bereits vorhandeneBegeisterung um das Doppelte, und als sich die Kundedavon hinaus vor das Zelt verbreitete, erhob sich ein lau-ter Jubel über das ganze Lager, das sich während des heu-tigen Tages infolge der unausgesetzten Zuzüge bedeutendvergrößert hatte.

Was ich vorausgesagt hatte, das geschah: Am andernMittag waren wir vollzählig. Ich hatte Offiziere und Un-teroffiziere ernannt, die jeden Neuangekommenen, nach-dem ich ihm seinen Platz angewiesen hatte, sofort einüb-ten. Am Spätnachmittag begann das Manöver und fiel zurallgemeinen Zufriedenheit aus. Das Fußvolk schoss ganzexakt und die Bewegungen der einzelnen berittenen Kör-per wurden mit eleganter Sicherheit ausgeführt.

Noch während des Manövers kam das letzte Glied un-serer Postenkette herbeigeritten.

„Was bringst du?“, fragte der Scheik, dessen Gesicht vorZufriedenheit glänzte.

„Herr, gestern haben sich die Dschowari mit den AbuHammed vereinigt.“

„Wann?“

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„Gegen Abend.“„Und die Abu Mohammed?“„Sind bereits hinter ihnen her.“„Haben sie Kundschafter vor sich her gesandt, damit ihr

Marsch nicht verraten wird, wie ich es angeraten habe?“„Ja.“Der Mann hielt noch bei uns, als ein anderer nachgerit-

ten kam. Es war das diesseitige Glied der Kette nach demTal Deradsch hinüber.

„Ich bringe eine wichtige Nachricht, Effendi.“„Welche?“„Die Obejde haben Leute von Sab herübergesandt, um

die Gegend zu untersuchen.“„Wie viele Männer waren es?“„Acht.“„Wie weit sind sie gekommen?“„Bis durch Ed Deradsch hindurch.“„Haben sie unsere Leute gesehen?“„Nein, denn diese hielten sich sehr verborgen. Dann ha-

ben sie im Tale gelagert und vieles miteinander gesprochen.“„Ah! Hier hätte es möglich sein sollen, sie zu belauschen!“„Es war möglich und Merwân hat es getan.“Merwân war einer von den beiden Posten, die das Tal

Deradsch bewachen sollten.„Was hat er gehört? Wenn es wichtig ist, soll er eine

Belohnung erhalten.“„Sie haben gesagt, dass morgen genau zur Mittagszeit

die Obejde übersetzen wollen, um die Abu Hammed undDschowari zu treffen, die dann bereits auf sie warten wer-den. Sie wollen hierauf bis nach Ed Deradsch vordringenund dort während der Nacht lagern, weil sie glauben, dortnicht gesehen zu werden. Am nächsten Morgen nachherwollen sie über uns herfallen.“

„Sind diese acht Männer wieder fortgeritten?“„Nur sechs von ihnen. Zwei mussten zurückbleiben, um

das Tal zu bewachen.“

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„Reite zurück und sage Merwân und seinem Gefähr-ten, dass ich heute noch selbst zu ihnen kommen werde.Einer soll zurückbleiben, um die beiden feindlichen Spä-her zu beobachten, und der andere mag mich beim letztenPosten erwarten, um mir den Weg zu zeigen, wenn ichkomme.“

Der Mann ritt ab. Der vorige wartete noch auf Antwort.„Du hast gehört, was jener meldete?“, fragte ich ihn.„Ja, Effendi.“„So trage unsere Bitte weiter an den Scheik der Abu

Mohammed. Er soll sich hart hinter dem Feind halten undsich nicht sehen lassen. Ist der Gegner in das Tal Deradscheingedrungen, so soll er ihn sofort im Rücken angreifenund ihn ja nicht wieder herauslassen. Alle Täler zwischenEl Mukehil und dem Dschebel Khanuke sind zu besetzen.Das Übrige wird unsere Sorge sein.“

Er jagte davon. Wir aber brachen unsere Übung ab, umden Leuten Ruhe zu gönnen.

„Du willst nach Ed Deradsch?“, fragte der Scheik aufdem Rückweg. „Warum?“

„Um die beiden Spione gefangen zu nehmen.“„Kann dies kein anderer tun?“„Nein. Die Sache ist so wichtig, dass ich sie selbst über-

nehme. Wenn diese zwei nicht ganz ruhig und sicher auf-gehoben werden, so ist unser schöner Plan vollständig ver-dorben.“

„Nimm dir einige Männer mit.“„Das ist nicht nötig. Ich und unsere beiden Posten, das

ist genug.“„Sihdi, ich gehe mit!“, meinte Halef, der nicht von mei-

ner Seite gewichen war.Ich wusste, dass er auf der Erfüllung dieses Wunsches

bestehen würde, und nickte also.„Ich weiß nur nicht, ob dein Pferd einen so schnellen

Ritt aushalten wird. Ich muss während der Nacht hin undzurück.“

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„Ich werde ihm eins von meinen Pferden geben“, mein-te der Scheik.

Eine Stunde später waren wir unterwegs: ich auf demRappen und Halef auf einem Goldbraunen, der seinemHerrn alle Ehre machte. Wir legten die Strecke bis zumletzten Posten in sehr kurzer Zeit zurück. Dort erwarteteuns Merwân.

„Du hast die beiden Männer belauscht?“, frage ich ihn.„Ja, Herr.“„Du sollst eine Extragabe von der Beute erhalten. Wo

ist dein Gefährte?“„Ganz in der Nähe der beiden Kundschafter.“„Führe uns!“Der Ritt ging weiter. Die Nacht war halbdunkel und

bald erblickten wir den Höhenzug hinter dem El Deradschlag. Merwân bog seitwärts ein. Wir mussten ein Felsen-gewirr erklimmen und gelangten an den Eingang einerdunklen Vertiefung.

„Hier sind unsere Pferde, Herr.“Wir stiegen ab und brachten auch unsere Pferde hinein.

Sie standen so sicher, dass wir sie gar nicht zu bewachenbrauchten. Dann schritten wir auf dem Kamm des Hö-henzugs weiter, bis sich das Tal zu unseren Füßen öffnete.

„Nimm dich in Acht, Herr, dass kein Stein hinabfällt,der uns verraten könnte!“

Wir stiegen vorsichtig hinab: ich hinter dem Führer undHalef hinter mir, immer einer in den Fußstapfen des an-deren. Endlich langten wir unten an. Eine Gestalt kam unsentgegen, die sich als Merwâns Gefährte zu erkennen gab.

„Wo sind die Kundschafter?“, fragte ich.„Siehst du die Ecke des Felsens dort rechts?“„Ja.“„Sie liegen dahinter.“„Und ihre Pferde?“„Haben sie etwas weiter vorn angebunden.“„Bleibt hier, bis ich euch rufe. Komm, Halef!“

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Ich legte mich zur Erde nieder und kroch vorwärts. Erfolgte mir. Wir gelangten unbemerkt an die Ecke. Ich spür-te Tabaksgeruch und hörte zwei halblaute Stimmen mit-einander reden. Nachdem ich bis hart an die Kante vorge-drungen war, konnte ich die Worte verstehen:

„Zwei gegen sechs!“„Ja. Der eine hat schwarz und grau ausgesehen, ist lang

und dünn gewesen wie eine Lanze und hat ein graues Kano-nenrohr auf dem Kopf gehabt.“

„Der Schejtan!“„Nein, sondern nur ein böser Geist, ein Dschinn.“„Der andere aber ist der Teufel gewesen?“„Wie ein Mensch, aber fürchterlich! Sein Mund hat ge-

raucht und seine Augen haben Flammen gesprudelt. Erhat nur die Hand erhoben und da sind alle sechs Pferdetot zusammengestürzt, mit den anderen vier aber sind diezwei Teufel – Allah möge sie verfluchen – durch die Luftdavon geritten.“

„Am hellen Tag? Grässlich! Allah behüte uns vor demdreimal gesteinigten Teufel! Und dann ist er gar in das Lagerder Abu Hammed gekommen?“

„Gekommen nicht, sondern sie haben ihn gebracht.“„Wie?“„Sie haben ihn für einen Mann gehalten und sein Pferd

für den berühmten Rappen des Scheik Mohammed Eminder Haddedihn. Sie wollten das Pferd haben und nahmenihn gefangen. Als sie ihn aber in das Lager brachten, er-kannte ihn der Sohn des Scheiks.“

„Er hätte ihm die Freiheit geben sollen.“„Er glaubte immer noch, dass er vielleicht doch ein

Mensch wäre.“„Hatten sie ihn gefesselt?“„Ja. Aber da kam ein Löwe in das Lager und der Fremde

sagte, er wolle ihn ganz allein erlegen, wenn man ihm sei-ne Büchse gebe. Man gab sie ihm und er ging in die dunk-le Nacht hinaus. Nach einiger Zeit fielen Blitze vom Him-

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mel und es krachten zwei Schüsse. Nach einigen Minutenkam er. Er hatte das Fell des Löwen umgeworfen, stieg aufsein Pferd und ritt durch die Luft davon.“

„Hat ihn keiner halten wollen?“„Doch, aber die Männer griffen in die Luft. Und als

man ihm nachjagte, fielen drei Kugeln vom Himmel, diedrei der besten Pferde töteten.“

„Woher weißt du das?“„Der Bote erzählte es, den Zedar Ben Huli an unseren

Scheik sandte. Glaubst du nun, dass es der Schejtan war?“„Er war es.“„Was würdest du tun, wenn er dir erschiene?“„Ich würde auf ihn schießen und dazu die heilige Fâtiha

beten.“Ich trat um die Ecke und stand vor ihnen.„So bete sie!“, gebot ich ihm.„Allah kerîm!“„Allah il Allah, wo Mohammed resûl Allah!“Diese beiden Ausrufe waren alles, was sie hervorbrachten.„Ich bin der, von dem du erzählt hast. Du nennst mich

den Schejtan; wehe dir, wenn du ein Glied regst, um dichzu verteidigen! Halef, nimm ihnen die Waffen!“

Sie ließen es ruhig geschehen, ich meinte, ihre Zähneklappern zu hören.

„Binde ihnen die Hände mit ihren eigenen Gürteln!“Damit war Halef bald fertig und ich konnte fest über-

zeugt sein, dass die Knoten nicht aufgehen würden.„Jetzt beantwortete mir meine Fragen, wenn euch euer

Leben lieb ist! Von welchem Stamm seid ihr?“„Wir sind Obejde.“„Euer Stamm geht morgen über den Tigris?“„Ja.“„Wie viele Krieger habt ihr?“„Zwölfhundert.“„Womit sind sie bewaffnet?“„Mit Pfeilen und Luntenflinten.“

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„Habt ihr auch andere Flinten und vielleicht Pistolen?“„Nicht viele.“„Wie setzt ihr über – auf Kähnen?“„Auf Flößen, wir haben keine Kähne.“„Wie viele Krieger haben die Abu Hammed?“„Ebenso viele wie wir.“„Wie sind sie bewaffnet?“„Sie haben mehr Pfeile als Flinten.“„Und wie viele Männer bringen euch die Dschowari?“„Tausend.“„Haben diese Pfeile oder Flinten?“„Sie haben beides.“„Kommen nur eure Krieger herüber oder werdet ihr diese

Gegend auch mit euren Herden überziehen?“„Nur die Krieger kommen.“„Warum wollt ihr die Haddedihn bekriegen?“„Der Pascha hat es uns befohlen.“„Er hat euch nichts zu befehlen, ihr steht unter dem Statt-

halter von Bagdad. Wo sind eure Pferde?“„Dort.“„Ihr seid meine Gefangenen. Bei jedem Versuch, zu ent-

kommen, werde ich euch niederschießen. Merwân, kommt!“Der beiden Haddedihn kamen herbei.„Bindet diese beiden Männer hier fest auf ihre Pferde!“Die Obejde ergaben sich in ihr Schicksal, sie stiegen ohne

Weigerung auf und wurden auf ihren Tieren so festgebun-den, dass an eine Flucht gar nicht zu denken war.

Hierauf gab ich den Befehl:„Jetzt holt unsere Pferde drüben herab und bringt sie an

den Eingang zum Tal. Merwân, du bleibst hier in EdDeradsch zurück, dein Gefährte aber mag Halef die Ge-fangenen nach dem Lager schaffen helfen.“

Die beiden Haddedihn verschwanden, um unsere Pfer-de am äußersten Abhang des Tals hinabzuleiten. Dann stie-gen wir auf und kehrten zurück, während Merwân auf sei-nem Posten blieb.

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„Ich werde euch voraneilen, kommt so schnell wie mög-lich nach.“

Mit dieser Weisung gab ich meinem Pferd die Schenkel.Ich tat dies aus zwei Gründen: Erstens war meine Gegen-wart im Lager nötig und zweitens hatte ich heute einmalGelegenheit, das Geheimnis und den höchsten Leistungs-grad meines Rappen zu probieren. Er flog leicht wie einVogel über die Ebene dahin, der schnelle Lauf schien ihmsogar Vergnügen zu machen, denn er wieherte einige Malfreudig auf. Plötzlich legte ich ihm die Hand zwischen dieOhren...

„Rih!“Auf diesen Ruf legte er die Ohren zurück; er schien län-

ger und dünner zu werden, schien zwischen den Luft-teilchen hindurchschießen zu wollen. Dem bisherigenGalopp hätten hundert andere auch gute Pferde nicht zufolgen vermocht, aber gegen das, was nun erfolgte, war erwie die Windstille gegen eine rasende Bö, wie der Gangeiner Ente gegen den Flug einer Schwalbe. Die Geschwin-digkeit einer Lokomotive oder eines Eilkamels hätte nichtvermocht, die Schnelligkeit dieses Pferdes zu erreichen, unddabei war sein Lauf überaus glatt und gleichmäßig. Es warwirklich nicht zu viel, was Mohammed Emin gesagt hatte:„Dieses Pferd wird dich durch tausend Reiter hindurch-tragen.“ Ich fühlte mich unendlich stolz, der Besitzer die-ses ausgezeichneten Renners zu sein.

Doch musste ich daran denken, diese äußerste Anspan-nung aller Kräfte zu beenden, ich ließ den Rappen in Gangfallen und legte ihm liebkosend die Hand an den Hals.Das kluge Tier wieherte freudig bei diesem Beweis meinerAnerkennung und trug den Kopf stolz erhoben.

Als ich das Lager erreichte, hatte ich vom Tal Deradschnur den vierten Teil der Zeit gebraucht, die zum Hinwegnotwendig gewesen war. In der Nähe des Zeltes, das derScheik bewohnte, hielt auf Kamelen und Pferden eineMenge dunkler Gestalten, die ich wegen der Dunkelheit

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nicht genau zu erkennen vermochte, und im Zelt selbstwartete meiner eine sehr angenehme Überraschung: – Malekstand vor dem Scheik, der soeben im Begriff war, Worteder freundlichsten Begrüßung auszusprechen.

„Selâm!“, begrüßte mich der Atejbeh und streckte mirbeide Hände entgegen. „Meine Augen freuen sich, dich zusehen, und mein Ohr ist entzückt, die Schritte deines Fu-ßes zu vernehmen!“

„Allah segne deine Ankunft, Freund meiner Seele! Erhat ein Wunder getan, um dich heute schon zu uns zubringen.“

„Welches Wunder meinst du?“„Wir konnten dich heute unmöglich erwarten. Es sind

ja drei Tagreisen von hier bis in die Gegend von Hit amEuphrat und zurück!“

„Du sagst die Wahrheit. Aber Fehim, dein Bote, brauchtenicht bis zum Euphrat zu reiten. Nachdem er uns mit Halefverlassen hatte, erfuhr ich von einem verirrten Hirten, dassdie Krieger der Haddedihn hier ihre Herden weiden. IhrScheik, der berühmte und tapfere Mohammed Emin, istmein Freund; Hadschi Halef konnte nur auf ihn und kei-nen anderen getroffen sein und so berieten wir uns, nichtauf seine Rückkehr zu warten, sondern seiner Botschaftzuvorzukommen.“

„Dein Entschluss war gut, denn ohne ihn hätten wir dichheute nicht begrüßen können.“

„Wir trafen Fehim auf der Mitte des Weges und meinHerz freute sich, als ich erfuhr, dass ich dich, o Kara BenNemsi Effendi, bei den Kriegern der Haddedihn findenwürde. Allah liebt dich und mich, er lenkt unsere Füßeauf Pfade, die sich wieder begegnen. Doch sage, wo istHadschi Halef Omar, der Sohn meiner Achtung und mei-ner Liebe?“

„Er befindet sich unterwegs hierher. Ich ritt voraus undließ ihn mit zwei Gefangenen zurück, in kurzer Zeit wirstdu ihn sehen.“

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„Es ist dir gelungen?“, fragte mich Mohammed Emin.„Ja. Die Kundschafter sind in unserer Hand, sie können

uns nicht schaden.“„Ich höre“, meinte Malek, „dass Feindschaft ausgebro-

chen ist zwischen den Haddedihn und den Räubern amTigris?“

„Du hast recht gehört. Morgen, wenn die Sonne amhöchsten gestiegen ist, werden unsere Gewehre donnernund unsere Säbel blitzen.“

„Ihr werdet sie überfallen?“„Sie wollen uns überfallen, wir aber werden sie empfan-

gen.“„Dürfen euch die Männer der Atejbeh ihre Säbel lei-

hen?“„Ich weiß, dass dein Säbel ist wie Dsu ’l-fikar1, dem nie-

mand widerstehen kann. Du bist uns hoch willkommenmit allen, die bei dir sind. Wie viele Männer sind es?“

„Sechzig.“„Sie sind müde?“„Ist der Araber müde, wenn er den Schall der Waffen

hört und das Getöse des Kampfes vernimmt? Gib uns fri-sche Pferde und wir werden euch überallhin folgen, wo-hin ihr uns führen mögt!“

„Ich kenne euch. Eure Kugeln treffen sicher und dieSpitzen eurer Lanzen verfehlen nie ihr Ziel. Du wirst mitdeinen Männern die Schanze verteidigen, die den Ausgangdes Schlachtfeldes verschließen soll.“

Während dieser Unterredung saßen seine Leute drau-ßen ab; ich hörte, dass ihnen ein Mahl aufgetragen wurde,und auch das Zelt des Scheiks wurde reichlich mit Speiseversehen. Wir hatten das Abendessen noch nicht beendet,als der kleine Halef eintrat und die Ankunft der Gefange-nen meldete. Diese wurden dem Scheik vorgeführt. Er sahsie verächtlich an und fragte:

„Ihr seid vom Stamm der Obejde?“

1 Mohammes Säbel, der noch heute aufbewahrt wird

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„So ist es, o Scheik.“„Die Obejde sind Feiglinge. Sie fürchten sich, die tapfe-

ren Krieger der Haddedihn allein zu bekämpfen, und ha-ben sich deshalb mit den Schakalen der Abu Hammed undder Dschowari verbunden. Ihre Übermacht sollte uns er-drücken; wir aber werden sie auffressen und verzehren.Wisst ihr, was die Pflicht eines tapferen Kriegers ist, wenner einen Feind bekämpfen will?“

Sie sahen zu Boden und antworteten nicht.„Ein tapferer Araber kommt nicht wie ein Meuchelmör-

der; er sendet einen Boten, um den Kampf anzukündigen,damit der Streit ehrlich ist. Haben eure Anführer dies getan?“

„Wir wissen es nicht, o Scheik!“„Ihr wisst es nicht? Allah kürze eure Zungen! Euer Mund

trieft von Lügen und Falschheit! Ihr wisst es nicht undhattet doch den Auftrag, das Tal Deradsch zu bewachen,damit ich keine Kunde von euerm Einfall erhalten könne!Ich werde euch und die Euren so behandeln, wie sie esverdienen. Man rufe Abu Manßûr, den Besitzer des Mes-sers!“

Einer der Anwesenden entfernte sich und kehrte balddarauf mit einem Mann zurück, der ein Kästchen bei sichtrug.

„Man binde sie, dass sie sich nicht regen können, und neh-me ihnen die Marameh1 ab!“

Dies geschah und dann wandte sich der Scheik an denneu Angekommenen:

„Was ist die Zierde des Mannes und des Kriegers, AbuManßûr?“

„Das Haar, das sein Angesicht verschönt.“„Was gebührt einem Mann, der sich fürchtet wie ein

Weib und die Unwahrheit sagt wie die Tochter eines Wei-bes?“

„Er soll wie ein Weib und wie die Tochter eines Weibesbehandelt werden.“

1 Tuch, das anstatt des Turban auf dem Kopf getragen wird

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„Diese beiden Männer tragen Bärte, aber sie sind Wei-ber. Sorge dafür, Abu Manßûr, dass man sie als Weibererkenne!“

„Allah segne dich, du Tapferer und Weiser unter denKindern der Haddedihn! Du bist freundlich und mildegegen die Deinen und gerecht gegen die Feinde deinesStammes. Ich werde deinem Befehl gehorsam sein.“

Er öffnete sein Kästchen, das verschiedene Instrumenteenthielt, und nahm eine Dschanbije1 hervor, deren blan-ke Klinge im Schein des Zeltfeuers funkelte. Er war derBarbier des Stammes.

„Warum nimmst du nicht das Bartmesser?“, fragte ihnder Scheik.

„Soll ich mit dem Messer den Bart dieser Feiglinge weg-nehmen und dann mit ihm den Scheitel und die Schuscha2

der tapferen Haddedihn berühren, o Scheik?“„Du hast Recht, tu, wie du es dir vorgenommen hast!“Die gebundenen Obejde wehrten sich nach Möglich-

keit gegen die Prozedur, mit der die allergrößte Schandefür sie verbunden war; ihr Sträuben half ihnen nichts. Siewurden festgehalten und der Dolch Abu Manßûrs war soscharf, dass die Barthaare vor ihm wie vor der Schneideeines Rasiermessers wichen.

„Nun schafft sie hinaus“, gebot der Scheik. „Sie sindWeiber und sollen von den Weibern bewacht werden. Mangebe ihnen Brot, Datteln und Wasser; versuchen sie aberzu entkommen, so gebe man ihnen eine Kugel!“

Das Abscheren des Bartes war nicht nur eine Strafe, son-dern wohl auch ein gutes Mittel, die Gefangenen an ei-nem Fluchtversuch zu hindern. Sie wagten es jedenfallsnicht, sich bei den Ihrigen ohne Bart sehen zu lassen. Jetzterhob sich der Scheik und zog sein Messer. Ich sah es sei-ner feierlichen Miene an, dass nun etwas Ungewöhnlicheserfolgen und dass er dabei vielleicht eine Rede halten werde.

„La ilâha ill’Allah“, begann er, „es gibt keinen Gott au-

1 Krummer Dolch 2 Haarbüschel auf dem Scheitel

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ßer Allah. Alles, was da lebt, hat er geschaffen und wirsind seine Kinder. Warum sollen sich hassen, die sich lie-ben, und warum sollen sich entzweien, die einander ange-hören? Es rauschen viele Zweige im Wald und auf derEbene stehen viele Halme und viele Blumen. Sie sind ein-ander gleich, darum kennen sie sich und trennen sich nicht.Sind wir einander nicht auch gleich? Scheik Malek, dubist ein großer Krieger und ich habe zu dir gesagt: ‚Wirhaben Salz miteinander gegessen.‘ Ihr wohnt in meinemZelt, ihr seid meine Freunde und meine Gefährten, ihrsterbt für mich und ich sterbe für euch. Habe ich die Wahr-heit gesagt? Habe ich recht gesprochen?“

Wir bejahten durch ein ernstes, feierliches Kopfnicken.„Aber das Salz löst sich auf und vergeht“, fuhr er fort.

„Das Salz ist das Zeichen der Freundschaft; wenn es sichaufgelöst hat und aus dem Körper verschwunden ist, so istdie Freundschaft zu Ende und muss wieder erneuert wer-den. Ist das gut, ist das genügend? Ich sage nein! TapfereMänner schließen ihre Freundschaft nicht durch das Salz.Es gibt einen Stoff, der nie im Körper vergeht. Weißt du,Scheik Malek, was ich meine?“

„Ich weiß es.“„So sage es.“„Das Blut.“„Du hast recht gesprochen. Das Blut bleibt bis zum Tod

und die Freundschaft, die durch das Blut geschlossen wird,hört erst auf, wenn man stirbt. Scheik Malek, gib mir dei-nen Arm!“

Malek merkte ebenso wie ich, um was es sich handelte.Er entblößte seinen Unterarm und hielt ihn MohammedEmin dar, dieser ritzte ihn leicht mit der Spitze seinesMessers und ließ die hervorquellenden Tropfen in einenkleinen, mit Wasser gefüllten, hölzernen Becher fallen.

Dann winkte er mich herbei.„Kara Ben Nemsi Effendi, willst du mein Freund sein

und der Freund dieses Mannes?“

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„Ich will es.“„Willst du es sein bis zum Tod?“„Ich will es.“„So sind deine Freunde und Feinde auch unsere Freun-

de und Feinde, und unsere Freunde und Feinde sind auchdeine Freunde und Feinde?“

„Sie sind es.“„So gib mir deinen Arm!“Ich tat es; er schnitt leicht durch die Haut und ließ die

wenigen Blutstropfen, die hervorquollen, in den Becherfallen. Dann tat er dasselbe an seinem Arm und schwenk-te zuletzt den Becher, um das Blut gut mit dem Wasser zuvermischen.

„Jetzt teilt den Trank der Freundschaft in drei Teile undgenießt ihn mit dem Gedanken an den Allwissenden, derunsere geheimsten Gedanken kennt. Wir haben sechsFüße, sechs Arme, sechs Augen, sechs Ohren, sechs Lip-pen, und dennoch sei es nur ein Fuß, ein Arm, ein Auge,ein Ohr und eine Lippe. Wir haben drei Herzen und dreiKöpfe, aber dennoch sei es nur ein Herz und ein Kopf.Wo der eine ist, da wandeln die andern und was der einetut, das tue der andere so, als ob seine Gefährten es täten.Preis sei Gott, der uns diesen Tag gegeben hat!“

Er reichte mir den Becher dar.„Kara Ben Nemsi Effendi, dein Volk wohnt am weite-

sten von hier; trink deinen Teil zuerst und reiche dannden Becher unserem Freund.“

Ich hielt eine kurze Anrede und tat einen Schluck, Malekfolgte mir und Mohammed Emin trank den Rest aus. Dannumarmte er uns, während er jedem sagte:

„Jetzt bist du mein Rafîk1 und ich bin dein Rafîk; unse-re Freundschaft sei ewig, wenn auch Allah unsere Wegescheiden mag!“

Die Kunde von diesem Bund verbreitete sich schnelldurch das ganze Lager, und wer auch nur das kleinste Vor-

1 Freund, Blutsbruder. Ein solcher gilt mehr als jeder Aschab, Gefährte.

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recht oder die geringste Vergünstigung zu besitzen glaub-te, der kam ins Zelt, um uns zu beglückwünschen. Diesnahm eine nicht geringe Zeit in Anspruch, sodass wir erstspäter wieder nur zu dritt beieinander saßen.

Wir mussten Scheik Malek eine Beschreibung des Ge-ländes liefern, auf dem der Kampf voraussichtlich statt-finden werde, und ihn mit unserem Verteidigungsplanbekannt machen. Er billigte ihn vollständig und fragtezuletzt:

„Können die Feinde nicht nach Norden entweichen?“„Sie könnten zwischen dem Fluss und dem Dschebel

Khanuke, also längs des Wadi Dschehennem, durchbre-chen; aber wir werden ihnen auch diesen Weg verlegen.Scheik Mohammed, hast du angeordnet, dass Werkzeugevorhanden sind, um eine Brustwehr zu errichten?“

„Es ist geschehen.“„Sind die Frauen ausgewählt, die uns begleiten sollen,

um die Verwundeten zu verbinden?“„Sie sind bereit.“„So lass die Pferde aussuchen für unsern Gefährten und

seine Männer. Wir müssen aufbrechen, denn der Tag wirdbald erscheinen.“

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16. Eine Wüstenschlacht

Eine halbe Stunde später setzten sich die Haddedihn inBewegung, nicht etwa in einer ordnungslosen, aufgelöstenWolke, wie es gewöhnlich bei den Arabern der Fall ist, son-dern in festen, parallel miteinander reitenden Körpern. Einjeder wusste, wohin er gehörte.

Vor uns ritten die Krieger, hinter uns auf Kamelen und unterder Anführung einiger noch ziemlich rüstiger Greise die Frau-en, die das Sanitätskorps zu bilden hatten, und zuletzt ka-men die Leute, die zur Verbindung mit dem Weideplatz undzur Beaufsichtigung der Gefangenen dienen sollten.

Als die Sonnenscheibe sich über dem Horizont zeigte,stiegen alle ab und warfen sich zur Erde, um das Morgen-gebet zu verrichten. Es war ein erhebender Anblick, dieseHunderte im Staub vor jenem Herrn liegen zu sehen, derheute noch einen jeden von uns zu sich rufen konnte.

Von den ausgestellten Posten erfuhren wir, dass nichtsvorgefallen sei. Wir erreichten also ohne Störung den langgezogenen Dschebel Deradsch, hinter dem sich das fasteine Stunde lange Tal von West nach Ost erstreckte. DieMänner, die als Schützen ausersehen waren, stiegen ab;ihre Pferde wurden in gehöriger Ordnung in der Ebeneangepflockt, damit im Fall eines Rückzugs keine Verwir-rung entstehen konnte. Unweit davon wurden die Kameleentlastet und die Zelte, die sie getragen hatten, aufgeschla-gen; sie waren, wie bereits erwähnt, für die Verwundetenbestimmt. Wasser gab es in Schläuchen genug. Verband-zeug aber nur sehr wenig, ein Übelstand, der mich mitBedauern erfüllte.

Die Postenkette, die uns mit den Abu Mohammed ver-band, hatten wir natürlich hinter uns hergezogen, sodasswir mit ihnen in Verbindung blieben. Es waren fast stünd-lich Meldungen von ihnen gekommen und die letzte be-wies uns, dass die Feinde unseren Anmarsch noch nichtentdeckt hatten.

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Lindsay hatte sich am gestrigen Abend und auch heutesehr einsilbig verhalten. Es war mir ja keine Zeit geblie-ben, die ich ihm hätte widmen können. Jetzt hielt er anmeiner Seite.

„Wo schlagen, Sir? Hier?“, fragte er.„Nein, hinter dieser Höhe“, antwortete ich.„Bei Euch bleiben?“„Wie Ihr wollt.“„Wo seid Ihr? Infanterie, Kavallerie?“„Kavallerie, aber Dragoner; denn wir werden ebenso

schießen wie fechten, wenn es notwendig ist.“„Bleibe bei Euch.“„So wartet hier. Meine Abteilung hält hier, bis ich sie

abhole.“„Nicht hinein ins Tal?“„Nein, wir werden uns oberhalb von hier an den Fluss

ziehen, um den Feind zu verhindern, nach Norden zu ent-kommen.“

„Wie viel Mann?“„Hundert.“„Well! Sehr gut, ausgezeichnet!“Ich hatte diesen Posten mit einer gewissen Absicht

übernommen. Zwar war ich Freund und Gefährte derHaddedihn, aber es widerstrebte mir doch, Leute, wenn auchim offenen Kampf, zu töten, die mir nichts getan hatten.Der Zwist, der hier zwischen diesen Arabern ausgefoch-ten werden sollte, ging mich persönlich gar nichts an, undda nicht zu erwarten stand, dass die Feinde sich nach Nor-den wenden würden, so hatte ich gebeten, mich der Ab-teilung anschließen zu dürfen, die den Feinden dort dasVordringen verwehren sollte. Am liebsten wäre ich amVerbandsplatz zurückgeblieben, das war aber eine Unmög-lichkeit.

Jetzt führte der Scheik seine Reiterei in das Tal und ichschloss mich ihr an. Sie wurde in die beiden Seitentälerrechts und links verteilt. Dann folgte die Infanterie. Ein

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Drittel davon erstieg die Höhe rechts, das andere Dritteldie Höhe links, um – hinter den zahlreichen Felsen ver-steckt – den Feind von oben herab fassen zu können; dasletzte Drittel, das aus Scheik Malek und seinen Männernbestand, blieb am Eingang zurück, um diesen zu verbarri-kadieren und hinter der Verschanzung hervor den Feindzu begrüßen. Jetzt kehrte ich zurück und ritt mit meinenhundert Mann davon.

Unser Ritt ging gerade nach Norden, bis wir einenTalpass fanden, der es uns ermöglichte, den Dschebel zuübersteigen. Nach einer Stunde erblickten wir den Flussvor uns. Weiter rechts, also nach Süden zu, gab es eineStelle, an der das Gebirge zweimal hart an das Wasser tratund also einen Halbkreis bildete, aus dem heraus sehrschwer zu entkommen war, wenn man einmal das Unglückgehabt hatte, hineinzugeraten. Hier postierte ich meineLeute, denn hier konnten wir auch eine zehnfache Über-macht ohne große Anstrengung aufhalten.

Nachdem ich Vorposten aufgestellt hatte, saßen wir abund machten es uns bequem. Lindsay fragte mich:

„Hier bekannt, Sir?“„Nein“, antwortete ich.„Ob vielleicht Ruinen hier?“„Weiß nicht.“„Einmal fragen!“Ich tat es und gab ihm den Bescheid, indem ich die Ant-

wort übersetzte:„Weiter oben.“„Wie heißt?“„Kalat Schergat1“„Fowlingbulls dort?“„Hm! Man müsste erst sehen.“„Wie lange noch Zeit bis zum Kampf?“„Bis Mittag, auch wohl später. Vielleicht gibt es für uns

gar keinen Kampf.“1 Gemeint sind die Trümmer von Assur, deren Ausgrabung erst viel später (1903)

begonnen wurde.

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„Werde unterdessen einmal ansehen.“„Was?“„Kalat Schergat. Fowlingbulls ausgraben, Londoner Mu-

seum schicken, berühmt werden, well!“

„Das wird jetzt nicht gut möglich sein.“„Warum?“„Weil Ihr von hier bis dorthin etwa fünfzehn englische

Meilen zu reiten hättet.“„Ah! Hm! Miserabel! Werde dableiben!“Er legte sich hinter ein Euphorbien-Gebüsch, ich aber

beschloss, ein wenig auf Erkundung zu gehen, gab denLeuten die nötigen Weisungen und ritt südwärts am Flussentlang.

Mein Rappe war wie alle Schammar-Pferde ein ausge-zeichneter Kletterer; ich konnte es wagen, mit ihm denDschebel zu ersteigen, und so ritt ich denn, als sich mir eingünstiges Gelände bot, zur Höhe empor, um eine Übersichtzu gewinnen. Oben musterte ich mit meinem Fernrohr denöstlichen Horizont. Da sah ich, dass drüben, jenseits desFlusses, ein sehr reges Leben herrschte. Am südlichen, alsoam linken Ufer des Sab wimmelte die Ebene von Reiternbis beinahe nach dem Tell Hamlia hinab und unterhalblagen mehrere große Haufen von Ziegenschläuchen, ausdenen man wohl soeben die Flöße machen wollte, die zumÜbersetzen der Obejde dienen sollten. Das diesseitige Uferdes Tigris konnte ich nicht sehen wegen der Höhe, hinterder das Tal Deradsch lag. Da ich noch Zeit hatte, so nahmich mir vor, auch jene Höhe zu ersteigen.

Ich hatte auf dem Kamm des Höhenzuges einen sehrangestrengten Ritt und es dauerte weit mehr als eine Stun-de, bis ich den höchsten Punkt erreichte. Mein Pferd warerstaunlich frisch, ich band es an und kletterte über eineArt Felsenmauer hinauf. Da lag es unter mir, das WadiDeradsch. Ich sah ganz im Hintergrund die fertige Brust-wehr, hinter der ihre Verteidiger ruhten, und bemerktehüben und drüben die hinter den Felsen verborgenen

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Schützen und auch dort unten, mir gerade gegenüber, denKavallerie-Hinterhalt. Dann richtete ich das Rohr nachSüden.

Dort lag Zelt an Zelt, aber ich sah, dass man bereits imBegriff stand, sie abzubrechen. Das waren die Abu Hammedund die Dschowari. Dort hatten wohl auch die Scharenvon Sardanapal, Kyaxares und Alyattes gelagert. Dort hat-ten die Krieger des Nabopolassar auf den Knien gelegen,als am 5. Mai im fünften Jahre jenes Herrschers eine Mond-finsternis der totalen Sonnenfinsternis folgte, die dieSchlacht von Halys so schrecklich machte. Dort hatte manwohl die Pferde aus den Fluten des Tigris getränkt, alsNebukadnezar nach Ägypten zog, um den König Hophraabzusetzen, und das waren wohl dieselben Wasser, überdie der Todesgang des Nerikolassar und des Nabonnadherübergeklungen ist bis zu den Bergen Karat Schok, Sibarund Sar Hasana.

Ich sah, dass die Ziegenhäute aufgeblasen und verbun-den wurden, sah die Reiter, die ihre Pferde an der Handführten, sich auf die Flöße begeben; ich sah die Flöße ab-stoßen und am diesseitigen Ufer landen. Es war mir, alsmüsse ich das Geschrei hören, mit dem sie von ihren Ver-bündeten begrüßt wurden, die sich auf ihre Pferde war-fen, um eine glänzende Fantasia1 auszuführen.

Es kam mir erwünscht, dass sie ihre Pferde jetzt so an-strengten; die Tiere mussten dann, wenn es galt, ermüdetsein.

So saß ich wohl eine Stunde lang. Die Obejde warenjetzt alle herüber und ich sah, dass sich der Zug nach Nor-den in Bewegung setzte. Jetzt kletterte ich wieder hinab,bestieg mein Pferd und kehrte zurück. Die Stunde derEntscheidung war gekommen.

Ich brauchte wieder fast eine Stunde, um den Punkt zuerreichen, von dem aus es mir möglich war, von der Höhehinabzukommen. Schon wollte ich ins Tal lenken, als ich

1 Scheingefecht

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ganz dort oben am nördlichen Horizont etwas blitzen sah.Es war gewesen, als ob der Sonnenstrahl auf ein Glas-stückchen fiele. Wir konnten den Feind nur von Südenher erwarten, dennoch aber nahm ich mein Fernrohr zurHand und suchte die Stelle auf, an der ich den blitzarti-gen Schein bemerkt hatte. Endlich, endlich fand ich sie.Hart am Fluss bemerkte ich eine Anzahl dunkler Punkte,die sich abwärts bewegten. Es mussten Reiter sein und ei-ner von ihnen war es, dessen Körper das Licht der Sonnereflektierte.

Waren es Feinde? Sie befanden sich nördlich gerade soweit vom Versteck meiner Leute, wie ich südlich von ihmentfernt war. Hier galt kein Zögern, ich musste ihnen zu-vorkommen.

Ich trieb meinen Rappen an, der rasch abwärts stieg,dann aber, als er die Talsohle unter den Hufen hatte, wieein Vogel dahinflog. Ich war überzeugt, dass ich zur rech-ten Zeit eintreffen würde.

Als ich bei der Treppe anlangte, rief ich die Leute zu-sammen und teilte ihnen mit, was ich beobachtet hatte.Wir schafften die Pferde aus dem Halbkessel heraus, dendas Gelände bildete. Dann versteckte sich die Hälfte derHaddedihn hinter dem südlichen Vorsprung, während derandere Teil zurückblieb, um, hinter Euphorbien und Gum-mipflanzen verborgen, den Ankommenden den Rückzugabzuschneiden.

Wir hatten nicht sehr lange zu warten, bis wir Hufschlagvernahmen. Lindsay lag neben mir und lauschte, währender die Büchse im Anschlag hielt.

„Wie viele?“, fragte er kurz.„Konnte sie nicht genau zählen“, antwortete ich ihm.„Ungefähr?“„Zwanzig.“„Pah! Warum denn so viele Mühe geben?“Er erhob sich, schritt vor und setzte sich auf einen Stein-

block. Seine beiden Diener folgten ihm augenblicklich.

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Da kamen sie um die Ecke herum, voran ein hoher kräf-tiger Araber, der unter seiner Aba einen Schuppenpanzertrug. Diesen hatte ich vorhin blitzen sehen. Es war einewirklich königliche Gestalt. Der Mann hatte sich wohl niein seinem Leben gefürchtet, war noch niemals erschro-cken, denn selbst jetzt, als er so plötzlich und unerwartetdie hier so ungewöhnliche Gestalt des Englishman erblick-te, zuckte keine Wimper seiner Augen und nur die Handfuhr leise nach dem krummen Säbel.

Er ritt einige Schritte vor und wartete, bis die Seinigenalle herbeigekommen waren; dann winkte er einem Mann,der sich an seiner Seite befand. Dieser war sehr lang undhager und hing auf seinem Gaul, als hätte er noch niemalseinen Sattel berührt. Man sah ihm sofort die griechischeAbstammung an. Auf den erhaltenen Wink fragte er denEngländer in arabischer Sprache:

„Wer bist du?“Lindsay erhob sich, lüftete den Hut und machte eine

halbe Verbeugung, sagte aber kein Wort.Der Fragende wiederholte seine Worte in türkischer

Sprache.„I’m an Englishman – ich bin ein Engländer“, lautete

die Antwort.„Ah, so begrüße ich Euch, verehrter Herr!“, klang es jetzt

in englischen Lauten. „Es ist eine außerordentliche Über-raschung, hier in dieser Einsamkeit einen Sohn Albionszu treffen. Darf ich um Euren Namen bitten?“

„David Lindsay.“„Dies sind Eure Diener?“„Yes!“„Aber was tut Ihr hier?“„Nothing – nichts.“„Ihr müsst doch einen Zweck, ein Ziel haben?“„Yes!“„Und welches ist dieser Zweck?“„To dig – ausgraben.“

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„Was?“„Fowlingbulls.“„Ah!“, lächelte der Mann überlegen. „Dazu braucht man

Mittel, Zeit, Leute und Erlaubnis. Wie seid Ihr hierhergekommen?“

„Mit Dampfer.“„Wo ist er?“„Nach Bagdad zurück.“„So seid Ihr mit zwei Dienern ausgestiegen?“„Yes!“„Hm, sonderbar! Und wohin wollt Ihr zunächst?“„Wo Fowlingbulls sind. – Wer das?“Er deutete dabei auf den Araber im Schuppenpanzer.

Der Grieche übersetzte diesem das bisherige Gespräch undantwortete dann:

„Dieser berühmte Mann ist Esla el Mahem, Scheik derObejde – Araber, die da drüben ihre Weideplätze haben.“

Ich staunte über diese Antwort.Also der Scheik war während des Aufbruchs seines Stam-

mes nicht bei den Seinen gewesen.„Wer Ihr?“, fragte der Engländer weiter.„Ich bin Grieche und einer der Dolmetscher beim eng-

lischen Vizekonsul in Mossul.“„Ah! Wohin?“„Einer Expedition gegen die Haddedihn-Araber beiwoh-

nen.“„Expedition? Einfall? Krieg? Kampf? Warum?“„Diese Haddedihn sind ein störrischer Stamm, dem man

einmal Ordnung beibringen muss. Sie haben mehrere Jesidibeschützt, als diese Teufelsanbeter von dem Gouverneurvon Mossul angegriffen wurden. Aber wie kommt es,dass...“

Er hielt inne, denn hinter dem Vorsprung wieherte einsunserer Pferde und ein anderes folgte diesem Beispiel.Sofort griff der Scheik in die Zügel, um vorwärts zu reitenund nachzusehen. Jetzt erhob ich mich.

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„Erlaubt, dass auch ich mich vorstelle!“, sagte ich.Der Scheik blieb vor Überraschung halten.„Wer seid Ihr?“, fragte der Dolmetscher. „Auch ein Eng-

länder? Ihr tragt Euch aber doch genau wie ein Araber!“„Ich bin Deutscher und gehöre zur Expedition dieses Herrn.

Wir wollen hier Fowlingbulls ausgraben und zugleich unsein wenig um die Sitten dieses Landes kümmern.“

„Wer ist er?“, fragte der Scheik den Griechen.„Ein Alaman.“„Sind die Alaman Gläubige?“„Sie sind Christen“, antwortete ich ihm arabisch.„Du sprichst unsere Sprache?“„Ich spreche sie.“„Du gehörst zu diesem Ingilis?“„Ja.“„Wie lange seid ihr bereits hier in dieser Gegend?“„Bereits mehrere Tage.“Seine Brauen zogen sich zusammen. Er fragte weiter:„Kennst du die Haddedihn?“„Ich kenne sie.“„Woher hast du sie kennen gelernt?“„Ich bin der Rafîk ihres Scheiks.“„So bist du verloren!“„Warum?“„Ich nehme dich gefangen, dich und diese drei.“„Wann?“„Sofort.“„Du bist stark, aber Zedar Ben Huli, der Scheik der Abu

Hammed, war auch stark!“„Was willst du mit ihm?“„Er nahm mich gefangen und behielt mich nicht.“„Maschallah! Bist du der Mann, der den Löwen getötet hat?“„Ich bin es.“„So bist du mein. Mir entkommst du nicht.“„Oder du bist mein und entkommst mir nicht. Sieh dich

um!“

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Er tat es, bemerkte aber niemand.„Auf, ihr Männer!“, rief ich laut.Sofort erhoben sich sämtliche Haddedihn und legten die

Gewehre auf ihn und seine Leute an.„Ah, du bist klug wie ein Fuchs und tötest die Löwen,

mich aber fängst du nicht!“, rief er aus.Er riss den krummen Säbel vom Gürtel, drängte sein

Pferd zu mir heran und holte zum tödlichen Hieb aus. Eswar nicht schwer, mit ihm fertig zu werden. Ich schoss aufsein Pferd – dieses überstürzte sich – er fiel zu Boden –und ich hatte ihn rasch gepackt. Jetzt allerdings begannein Ringen, das mir bewies, dass er ein außerordentlichkräftiger Mann war; ich musste ihm den Turban abreißenund ihm einen betäubenden Hieb auf die Schläfe verset-zen, um seiner habhaft zu werden.

Während dieses kurzen Ringens wogte es rund um michher; aber was da geschah, das war kein Kampf zu nennen.Ich hatte den Haddedihn befohlen, nur auf die Pferde zuschießen; infolgedessen wurden gleich durch die erste Salve,die man gab, als der Scheik auf mich eindrang, sämtlichePferde der Obejde entweder getötet oder schwer verwun-det. Die Krieger lagen am Boden und von allen Seiten starr-ten ihnen die langen, bewimpelten Lanzen der Haddedihnentgegen, die ihnen fünffach überlegen waren. Selbst derFluss bot ihnen keine Gelegenheit zum Entkommen, daunsere Kugeln jeden Schwimmenden erreicht hätten. Alssich der Knäuel löste, den sie nach der ersten Salve bilde-ten, standen sie ratlos beieinander; ihren Scheik hatte ichbereits den beiden Dienern Lindsays zugeschoben und nunkonnte es nur mein Wunsch sein, den Auftritt ohne Blut-vergießen zu endigen.

„Gebt euch keine Mühe, ihr Krieger der Obejde; ihr seidin unseren Händen. Ihr seid zwanzig Mann, wir aber zäh-len über hundert Reiter und euer Scheik befindet sich inmeiner Hand!“

„Schießt ihn nieder!“, gebot ihnen der Scheik.

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„Wenn einer von euch seine Waffe gegen mich erhebt,so werden diese beiden Männer euern Scheik töten!“, ant-wortete ich.

„Schießt ihn nieder, den Dib1, den Ibn Awa2, den Arnab3!“,rief er trotz meiner Drohung.

„Lasst euch das nicht einfallen, denn auch ihr wärt ver-loren!“

„Eure Brüder werden euch und mich rächen!“, rief derScheik.

„Eure Brüder? Die Obejde? Vielleicht auch die Abu Ham-med und die Dschowari!“

Er blickte mich überrascht an.„Was weißt du von ihnen?“, stieß er hervor.„Dass sie in diesem Augenblick von den Kriegern der

Haddedihn ebenso überrumpelt werden, wie ich dich unddiese Männer gefangen habe.“

„Du lügst! Du bist ein Hund, der bellt, aber nieman-dem schaden kann. Meine Krieger werden dich mit allenSöhnen und Töchtern der Haddedihn fangen und fort-führen!“

„Allah behüte deinen Kopf, dass du die Gedanken nichtverlierst! Würden wir hier auf dich warten, wenn wir nichtgewusst hätten, was du gegen Scheik Mohammed unter-nehmen willst?“

„Woher weißt du, dass ich am Grab des Hadschi Ali war?“Ich beschloss, auf den Busch zu klopfen, und erwiderte

also:„Du warst am Grab des Hadschi Ali, um Glück für dein

Unternehmen zu erbeten, aber dieses Grab liegt auf demlinken Ufer des Tigris und du bist dann an dieses Ufergegangen, um im Wadi Murr zu erspähen, wo die andernStämme der Schammar sich befinden.“

Ich sah ihm an, dass ich mit meiner Kombination dasRichtige getroffen hatte. Er stieß trotzdem ein höhnischesGelächter aus und antwortete:

1 Wolf 2 Schakal 3 Hase

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„Dein Verstand ist faul und träge wie der Schlamm, derim Fluss liegt. Gib uns frei, so soll dir nichts geschehen!“

Jetzt lachte ich und fragte:„Was wird uns geschehen, wenn ich es nicht tue?“„Die Meinen werden mich suchen und finden. Dann

seid ihr verloren!“„Deine Augen sind blind und deine Ohren taub. Du

hast weder gehört noch gesehen, was vorging, ehe dieDeinen über den Fluss kamen.“

„Was soll geschehen sein?“, fragte er in verächtlichemTon.

„Sie werden erwartet, ganz ebenso, wie ich dich erwar-tet habe.“

„Wo?“„Im Wadi Deradsch.“Jetzt erschrak er sichtlich, daher setzte ich hinzu:„Du siehst, dass euer Plan verraten ist. Du weißt, dass

ich bei den Abu Hammed war. Bevor ich dorthin kam,war ich bei den Abu Mohammed. Sie und die Alabejde,die ihr so oft beraubtet, haben sich mit den Haddedihnverbunden, euch im Wadi Deradsch einzuschließen.Horch!“

Es war eben jetzt ein dumpfes Knattern zu hören.„Hörst du diese Schüsse? Sie sind bereits im Tal einge-

schlossen und werden alle niedergemacht, wenn sie sichnicht ergeben.“

„Ist das wahr?“„Es ist wahr.“„So töte mich!“„Du bist ein Feigling!“„Ist es feig, wenn ich den Tod verlange?“„Ja. Du bist der Scheik der Obejde, der Vater deines

Stammes, es ist deine Pflicht, ihm in der Not beizustehen;du aber willst ihn verlassen!“

„Bist du verrückt? Wie kann ich ihm beistehen, wennich gefangen bin!“

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„Mit einem Rat. Die Haddedihn sind keine Scheusale,die nach Blut lechzen; sie wollen euren Überfall zurück-weisen und dann Frieden mit euch schließen. Bei dieserBeratung darf der Scheik der Obejde nicht fehlen.“

„Noch einmal: Sagst du die Wahrheit?“„Ich sage sie.“„Schwöre!“„Das Wort eines Mannes ist sein Schwur. – Halt, Bur-

sche!“Dieser Ruf galt dem Griechen. Er hatte bisher ruhig

dagestanden, jetzt aber sprang er plötzlich auf einen mei-ner Leute zu, die nach und nach näher getreten waren,um unsere Worte zu verstehen, stieß ihn zur Seite und eil-te davon. Einige Schüsse krachten hinter ihm, aber in derEile war nicht genau gezielt worden; es gelang ihm, denFelsvorsprung zu erreichen und dahinter zu verschwinden.

„Schießt jeden nieder, der sich hier rührt!“Mit diesen Worten eilte ich dem Flüchtling nach. Als

ich den Vorsprung erreichte, war er bereits über hundertSchritte entfernt.

„Bleib stehen!“, rief ich ihm nach.Er sah sich rasch um, sprang aber weiter. Es tat mir Leid,

aber ich war gezwungen, auf ihn zu schießen; doch nahmich mir vor, ihn nur zu verwunden, wenn es möglich war.

Ich zielte scharf und drückte ab. Er lief noch eine kleineStrecke vorwärts und blieb dann stehen. Es war, als ob ihneine unsichtbare Hand einmal um seine eigene Achse dreh-te, dann fiel er nieder.

„Holt ihn herbei!“, gebot ich.Auf dieses Gebot liefen einige Haddedihn zu ihm und

trugen ihn herbei. Die Kugel saß in seinem Oberschenkel.„Du siehst, Esla el Mahem, dass wir Ernst machen. Be-

fiehl deinen Leuten, sich zu ergeben!“„Und wenn ich es ihnen nicht befehle?“, fragte er.„So zwingen wir sie und dann fließt ihr Blut, was wir

gern vermeiden wollen.“

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„Willst du mir später bezeugen, dass ich mich nur erge-ben habe, weil ihr fünfmal mehr seid als wir und weil dumir sagst, dass die Meinen im Wadi Deradsch eingeschlos-sen sind?“

„Ich bezeuge es dir!“„So gebt eure Waffen ab!“, knirschte er. „Aber Allah ver-

derbe dich bis in die tiefste Dschehenna, wenn du michbelogen hast!“

Die Obejde wurden entwaffnet.„Sir!“, rief Lindsay während dieses Vorgangs plötzlich.„Was?“, fragte ich und drehte mich um.Er hielt den Arm des verwundeten Griechen gefasst und

meldete:„Frisst Papier, der Kerl!“Ich trat hinzu. Der Grieche hatte noch einen Papierfet-

zen in der zusammengeballten Hand.„Gebt her!“, sagte ich.„Nein.“„Pah!“Ein Druck auf seine Hand – er schrie vor Schmerzen

auf und öffnete die Finger. Das Papier war der Teil einesBriefumschlags und enthielt nur ein einziges Wort: Bag-dad. Der Mensch hatte den andern Teil des Kuverts undden eigentlichen Brief entweder schon verschlungen odernoch im Mund.

„Gebt heraus, was Ihr im Mund habt!“, forderte ich ihn auf.Ein höhnisches Lächelns war seine Antwort und zugleich

sah ich, wie er den Kopf etwas erhob, um leichter schlin-gen zu können. Sofort fasste ich ihn bei der Kehle. Untermeinem nicht eben sanften Griff tat er in der Angst desErstickens den Mund auf. Es gelang mir nun, ein Papier-klümpchen ans Tageslicht zu fördern. Die Papierfetzenenthielten nur wenige Zeilen in Chiffreschrift und außer-dem schien es ganz unmöglich, die einzelnen Fetzen sozusammenzusetzen, wie sie zusammengehörten. Ich fassteden Griechen scharf ins Auge und fragte ihn:

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„Von wem war dieses Schreiben verfasst?“„Ich weiß es nicht“, antwortete er.„Von wem habt Ihr es erhalten?“„Ich weiß es nicht.“„Lügner!“, fuhr ich ihn auf Arabisch an. „Hast du Lust,

hier elend liegen zu bleiben und zu sterben?“Er sah mich erschrocken an und ich fuhr fort:„Wenn du nicht antwortest, wirst du nicht verbunden

und ich lasse dich hier zurück für die Geier und Schakale!“„Ich muss schweigen“, sagte er.„So schweig auf ewig!“Ich erhob mich. Das wirkte.„Frage, Effendi!“, rief er aus.„Von wem hast du diesen Brief?“„Vom englischen Vizekonsul in Mossul.“„An wen war er gerichtet?“„An den Konsul in Bagdad.“„Kennst du seinen Inhalt?“„Nein.“„Lüge nicht!“„Ich schwöre, dass ich keinen Buchstaben zu lesen be-

kam!“„Aber du ahnst, was er enthielt?“„Ja.“„So rede!“„Politik!“„Natürlich!“„Weiter darf ich nichts sagen.“„Hast du einen Schwur abgelegt?“„Ja.“„Hm! Du bist ein Grieche?“„Ja.“„Woher?“„Aus Lemnos.“„Ich dachte es! Der echte Türke ist ein ehrlicher, biederer

Charakter, und wenn er anders wird oder anders gewor-

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den ist, so tragt ihr die Schuld, ihr, die ihr euch Christennennt und doch schlimmer seid als die ärgsten Heiden.Wo in der Türkei eine Gaunerei oder ein Halunkenstreichverübt wird, da hat ein Grieche seine schmutzige Handim Spiel. Du würdest heute deinen Eid brechen, wenn ichdich zwänge oder dir den Eidbruch bezahlte, Spion! Wiehast du es zum Dragoman in Mossul gebracht? Schweig!Ich ahne es, denn ich weiß, wodurch ihr alles werdet, wasihr seid! Du magst deinem Eid treu bleiben, denn die Po-litik, von der du sprachst, kenne ich! Warum hetzt ihr die-se Stämme gegeneinander auf? Warum stachelt ihr einmalden Türken und dann den Perser gegen sie auf? Und dastun Christen! Andere, die die Lehre des Weltheilands wirk-lich befolgen, bringen mühsam die Worte der Liebe unddes Erbarmens in dieses Land und ihr sät Unkraut zwi-schen den Weizen, dass er erstickt, eure Saat aber tausend-fältige Früchte trägt. – Du hast auch den Russen gedient?“

„Ja, Herr.“„Wo?“„In Stambul.“„Wohlan! Ich sehe, dass du wenigstens noch fähig bist,

die Wahrheit zu bekennen, und daher will ich dich nichtder Rache der Haddedihn übergeben.“

„Tu es nicht, Effendi! Meine Seele wird dich dafür seg-nen!“

„Behalte deinen Segen! Wie ist dein Name?“„Alexandros Koletis.“„Du trägst einen berühmten Namen, aber du hast mit

dem, der ihn früher trug, nichts gemein. – Bill!“„Sir!“, antwortete der Gerufene.„Könnt Ihr eine Wunde verbinden?“„Das nicht, Sir, aber ein Loch verknüpfen, das kann ich

wohl.“„Knüpft es ihm zu!“Der Grieche wurde von dem Engländer verbunden. Wer

weiß, ob ich nicht anders gehandelt hätte, wenn ich da-

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mals gewusst hätte, unter welchen Umständen ich diesenMenschen später wieder sehen sollte! Ich wandte mich zudem gefesselten Scheik:

„Esla el Mahem, du bist ein tapferer Mann und es tutmir Leid, einen mutigen Krieger gefesselt zu sehen. Willstdu mir versprechen, stets an meiner Seite zu bleiben undkeinen Versuch zu machen, zu entfliehen?“

„Warum?“„Dann werde ich dir deine Fesseln abnehmen lassen.“„Ich verspreche es!“„Beim Bart des Propheten?“„Beim Bart des Propheten und dem meinigen!“„Nimm deinen Leuten dasselbe Versprechen ab!“„Schwört mir, diesem Mann nicht zu entfliehen!“, ge-

bot er.„Wir schwören es!“, ertönte die Antwort.„So sollt ihr nicht gebunden werden“, versprach ich ihnen.Zugleich löste ich die Bande des Scheiks.„Effendi, du bist ein edelmütiger Krieger“, sagte er. „Du

hast unsere Tiere töten lassen, uns aber verschont. Allahsegne dich – obgleich mein Pferd mir lieber als ein Bruderwar!“

Ich sah es seinen edlen Zügen an, dass diesem Mannjeder Verrat, jede Gemeinheit und Treulosigkeit fremd war,und sagte zu ihm:

„Du hast dich zu diesem Kampf gegen die Angehörigendeines Volkes von fremden Zungen verleiten lassen, seispäter stärker! Willst du dein Schwert, deinen Dolch unddeine Flinte wieder haben?“

„Das tust du nicht, Effendi!“, erwiderte er erstaunt.„Ich tue es. Ein Scheik soll der Edelste seines Stammes

sein; ich mag dich nicht wie einen Huteijeh oder wie ei-nen Chelawijeh1 behandeln. Du sollst vor MohammedEmin, den Scheik der Haddedihn, treten wie ein freierMann, mit den Waffen in der Hand.“

1 Verachtete Stämme, die zum Pöbel gerechnet werden, ungefähr wie die Ka-ste der Paria in Indien

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Ich gab ihm seinen Säbel und auch die anderen Waffen.Er sprang auf und starrte mich an.

„Wie ist dein Name, Effendi?“„Die Haddedihn nennen mich Kara Ben Nemsi.“„Du ein Christ, Effendi! Heute erfahre ich, dass die

Naßrani keine Hunde, sondern dass sie edelmütiger undweiser sind als die Moslemin. Denn glaube mir: Mit denWaffen, die du mir wiedergibst, hast du mich leichter über-wunden, als es mit den Waffen geschehen könnte, die dubei dir trägst und mit denen du mich töten könntest. Zei-ge mir deinen Dolch!“

Ich tat es. Er prüfte die Klinge und meinte dann:„Dieses Eisen breche ich mit der Hand auseinander, sieh

dagegen meine Dschanbije!“Er zog die Waffe aus der Scheide. Es war ein Kunstwerk,

zweischneidig, leicht gekrümmt, eine wunderbare DamaszenerArbeit, und in arabischer Sprache stand zu beiden Seitender Wahlspruch: „Nur nach dem Sieg in die Scheide.“ Erwar gewiss von einem jener alten, berühmten Waffen-schmiede in Damaskus gefertigt worden, die heutzutageausgestorben sind und mit denen sich jetzt keiner mehrvergleichen kann.

„Gefällt er dir?“, fragte der Scheik.„Er ist wohl fünfzig Schafe wert!“„Sag hundert oder hundertfünfzig, denn es haben ihn

zehn meiner Väter getragen und er ist niemals zersprun-gen. Er sei dein, gib mir den deinigen dafür!“

Das war ein Tausch, den ich nicht zurückweisen durfte,wenn ich den Scheik nicht unversöhnlich beleidigen woll-te. Ich reichte ihm also meine Waffe.

„Ich danke dir, Esla el Mahem, ich werde diese Klingetragen zum Andenken an dich und zu Ehren deiner Väter!“

„Sie lässt dich nie im Stich, solange deine Hand festbleibt!“

Da hörten wir den Hufschlag eines Pferdes und gleichdarauf bog ein Reiter um den Felsvorsprung, der unser

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Versteck nach Süden abschloss. Es war kein anderer alsmein kleiner Halef.

„Sihdi, du sollst kommen!“, rief er, als er mich erblickte.„Wie steht es, Hadschi Halef Omar?“„Wir haben gesiegt.“„Ging es schwer?“„Es ging leicht. Alle sind gefangen!“„Alle?“„Mit ihren Scheiks! Hamdulillah! Nur Esla el Mahem,

der Scheik der Obejde, fehlt.“Ich wandte mich an diesen:„Siehst du, dass ich dir die Wahrheit sagte?“ Dann fragte

ich Halef: „Trafen die Abu Mohammed zur rechten Zeit ein?“„Sie kamen hart hinter den Dschowari und schlossen

das Wadi so, dass kein Feind entkommen konnte. Wer sinddiese Männer?“

„Es ist Scheik Esla el Mahem, von dem du sprachst.“„Deine Gefangenen?“„Ja, sie werden mit mir kommen.“„Wallah, billah, tallah! Erlaube, dass ich gleich zurück-

kehre, um diese Kunde Mohammed Emin und ScheikMalek zu bringen!“

Er jagte wieder davon.Scheik Esla bestieg eins unserer Pferde, auch der Grie-

che wurde auf eins gesetzt, die Übrigen mussten gehen. Sosetzte sich der Zug in Bewegung. Wenn es im WadiDeradsch nicht mehr Blut gekostet hatte als bei uns, sokonnten wir zufrieden sein.

Der bereits erwähnte Talpass führte uns auf die andereSeite der Berge, dann ging es auf der Ebene stracks nachSüden. Wir hatten das Wadi noch lange nicht erreicht, alsich vier Reiter bemerkte, die uns entgegenkamen. Ich eilteauf sie zu. Malek, Mohammed Emin und die Scheiks derAbu Mohammed und der Alabejde waren es.

„Du hast ihn gefangen?“, rief mir jetzt Mohammed Eminentgegen.

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„Esla el Mahem? Ja.”„Allah sei Dank! Nur er fehlte uns noch. Wie viele Män-

ner hat dich der Kampf gekostet?“„Keinen.“„Wer wurde verwundet?“„Keiner. Nur einer der Feinde erhielt einen Schuss.“„So ist Allah gnädig gewesen mit uns. Wir haben nur

zwei Tote und elf Verwundete.“„Und der Feind?“„Dem ist es schlimmer ergangen. Er wurde so fest ein-

geschlossen, dass er sich nicht zu rühren vermochte. Un-sere Schützen trafen gut und konnten doch nicht selbstgetroffen werden, und unsere Reiter hielten fest zusam-men, wie du es sie gelehrt hast. Sie ritten alles nieder, alssie aus den Schluchten hervorbrachen.“

„Wo befindet sich der Feind?“„Gefangen im Wadi. Alle haben ihre Waffen abgeben

müssen und keiner kann entkommen, denn das Tal wirdvon uns eingeschlossen. Ah, jetzt sehe ich Esla el Mahem!Aber wie, er trägt Waffen?“

„Ja. Er hat mir versprochen, nicht zu entfliehen. Weißtdu, dass man den Tapfern ehren soll?“

„Er wollte uns vernichten!“„Er wird dafür bestraft werden.“„Du hast ihm die Waffen gelassen und so mag es gut sein.

Komm!“Wir eilten dem Kampfplatz zu, und die anderen folgten

uns so schnell wie möglich. Auf dem Verbandsplatz herrsch-te reges Leben und davor bildete eine Anzahl bewaffneterHaddedihn einen Kreis, in dessen Mitte die besiegten undjetzt gefesselten Scheiks saßen. Ich wartete, bis Esla her-beikam, und fragte ihn schonend:

„Willst du bei mir bleiben?“Seine Antwort klang, wie ich es erwartet hatte:„Sie sind meine Verbündeten, ich gehöre zu ihnen.“Er trat in den Kreis und setzte sich an ihrer Seite nieder.

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Es wurde dabei kein Wort gesprochen, aber man sah es,dass die beiden anderen bei seinem Erscheinen erschra-ken. Vielleicht hatten sie auf ihn noch einige Hoffnunggesetzt.

„Führe deine Gefangenen in das Wadi!“, sagte Malek.Ich folgte ihm. Als ich das Tal betrat, bot sich mir ein

außerordentlich malerischer Anblick dar. In die Brustwehrwar zur Erleichterung des Verkehrs eine Bresche gerissenworden, zu beiden Seiten der Talwände hatten sich Wacht-posten aufgestellt, die ganze Talsohle wimmelte von ge-fangenen Menschen und Pferden und im Hindergrundlagerten diejenigen unserer Verbündeten, die noch im WadiPlatz gefunden hatten. Dazwischen waren verschiedeneHaddedihn beschäftigt, die Pferde der Feinde zu sammeln,um sie hinaus auf die Ebene zu bringen, wo auch die er-beuteten Waffen auf einem großen Haufen lagen.

„Sind die feindlichen Verwundeten gut aufgehoben?“,erkundigte ich mich bei Mohammed Emin.

„Man hat sie verbunden, wie du angeordnet hast.“„Und was wird nun geschehen?“„Wir werden heute unseren Sieg feiern und die größte

Fantasia veranstalten, die es jemals hier gegeben hat.“„Nein, das werden wir nicht tun.“„Warum?“„Wollen wir die Feinde durch unser Fest verbittern?“„Haben sie uns gefragt, ob sie uns mit ihrem Einfall ver-

bittern werden?“„Haben wir Zeit zu einem solchen Fest?“„Was sollte uns abhalten?“„Die Arbeit. Freund und Feind müssen versorgt werden.“„Wir werden Leute beordern, die das zu tun haben.“„Wie lange wollt ihr die Gefangenen bewahren?“„Bis sie zurückkehren dürfen.“„Und wann soll dies geschehen?“„So bald wie möglich; wir hätten nichts zu essen für die-

ses Heer von Freunden und Feinden.“

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„Siehst du, dass ich Recht habe? Ein Freudenfest sollgefeiert werden, aber erst dann, wenn wir Zeit dazu ha-ben. Zunächst ist es notwendig, dass sich die Scheiks ver-sammeln, um über alles zu sprechen, was beschlossen wer-den muss, und dann müssen die Beschlüsse schleunigstausgeführt werden. Sage den Scheiks, dass sechstausendMenschen nicht viele Tage hier beisammen sein dürfen!“

Er ging. Nun trat Lindsay heran.„Herrlicher Sieg! Nicht?“, meinte er.„Sehr!“„Wie meine Sache gemacht, Sir?“„Ausgezeichnet!“„Schön! Hm! Viele Menschen hier.“„Man sieht es.“„Ob wohl einige darunter sind, die wissen, wo Ruinen

liegen.“„Möglich; man müsste sich einmal erkundigen.“„Fragt einmal, Sir!“„Sobald es möglich ist, ja.“„Jetzt gleich, sofort!“„Verzeiht, Sir, ich habe jetzt keine Zeit. Vielleicht ist

meine Anwesenheit bei der Beratung nötig, die jetzt be-ginnen wird.“

„Schön! Hm! Aber nachher fragen! Wie?“„Sicher!“Ich ließ ihn stehen und ging zu den Zelten.Dort fand ich reichliche Arbeit, da vieles an den Ver-

bänden zu verbessern war. Als ich dies besorgt hatte, tratich in das Zelt, in dem die Scheiks ihre Besprechung hiel-ten. Diese ging sehr lebhaft vor sich. Man konnte sichschon im Prinzip nicht einigen, und ich glaube, dass ichihnen willkommen kam.

„Du wirst uns Auskunft geben, Kara Ben Nemsi Effendi“,sagte Malek. „Du bist in allen Ländern der Erde gewesenund weißt, was recht und vorteilhaft ist.“

„Fragt, ich werde antworten!“

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„Wem gehören die Waffen der Besiegten?“„Dem Sieger.“„Wem ihre Pferde?“„Dem Sieger.“„Wem ihre Kleider?“„Die Räuber nehmen sie ihnen, der wahre Gläubige aber

lässt sie ihnen.“„Wem gehört ihr Geld, ihr Schmuck?“„Der wahre Gläubige nimmt nur ihre Waffen und ihre

Pferde.“„Wem gehören ihre Herden?“„Wenn sie nichts weiter besitzen als ihre Herden, so ge-

hören sie ihnen, aber sie haben die Kosten des Krieges undden jährlichen Tribut davon zu bezahlen.“

„Du sprichst wie ein Freund unserer Feinde. Wir habensie besiegt und nun gehört uns ihr Leben und alles, wassie besitzen.“

„Ich rede als ihr Freund und als der eurige. Du sagst,dass ihr Leben euch gehöre?“

„So ist es.“„Wollt ihr es ihnen nehmen?“„Nein. Wir sind keine Henker und keine Mörder.“„Und doch nehmt ihr ihnen ihre Herden? Können sie

leben ohne die Herden?“„Nein.“„Wenn ihr ihnen die Herden nehmt, so nehmt ihr

ihnen also das Leben. Ja, ihr beraubt euch in diesem Fallselbst!“

„Wie?“„Sie sollen euch in Zukunft Tribut bezahlen?“„Ja.“„Wovon? Kann ein Araber Tribut bezahlen, wenn er kei-

ne Herden hat?“„Dein Mund spricht weise und verständig.“„Hört weiter! Wenn ihr ihnen alles nehmt, so zwingt ihr

sie, zu stehlen und zu rauben, damit sie nicht verhungern.

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Und wo werden sie stehlen? Bei ihrem Nachbarn zunächst,das seid ihr. Wo werden sie rauben? Bei dem zuerst, der siearm gemacht hat und zum Rauben zwingt, und das seidihr. Was ist besser, Freunde zu Nachbarn zu haben oderRäuber?“

„Das erste.“„So macht sie zu euren Freunden und nicht zu Räubern!

Man nimmt dem Besiegten nur das, womit er schadenkann. Wenn ihr ihnen die Waffen und die Pferde nehmt,so erhaltet ihr zehntausend Stück verschiedene Waffen unddreitausend Pferde. Ist dies wenig?“

„Es ist viel, wenn man es sich recht bedenkt.“„Sie haben dann weder Waffen noch genug Pferde mehr,

um Krieg zu führen. Ihr werdet sie beherrschen und siewerden sich unter euren Schutz begeben müssen, um ge-gen ihre anderen Feinde gerüstet zu sein, dann werden sieeuch auch gegen eure Feinde helfen müssen. Ich habe ge-sprochen!“

„Du sollst noch mehr sprechen! Wie viel nimmt manihnen heute von ihren Herden?“

„So viel wie der Schaden beträgt, den euch ihr Überfallgemacht hat.“

„Und wie viel Tribut fordert man von ihnen?“„Man stellt eine solche Forderung, dass sie immer so

viel behalten, um ohne große Not leben zu können. Einkluger Scheik hätte dabei darauf zu sehen, dass sie nichtwieder mächtig genug werden, um die Niederlage vergel-ten zu können.“

„Nun bleibt die Blutrache übrig. Wir haben mehrere derIhren getötet!“

„Und sie immerhin einige von euch! Bevor die Gefange-nen entlassen werden, mögen die Verwandten zusammen-treten und den Blutpreis bestimmen. Ihr habt mehr zubezahlen als sie und könnt es gleich von der Beute bezah-len, die ihr macht.“

„Wird man uns die Kriegsentschädigung bringen?“

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„Nein. Ihr müsst sie holen. Die Gefangenen müssen hierbleiben, bis ihr sie erhalten habt. Und um des Tributs si-cher zu sein, müsst ihr stets einige vornehme Leute derbesiegten Stämme als Geiseln bei euch haben. Zahlt manden Tribut nicht, so kommen diese Geiseln in Gefahr.“

„Wir würden sie töten. Nun sollst du uns das Letzte sa-gen: Wie verteilen wir die Kriegsentschädigung und denTribut unter uns? Das ist schwer zu bestimmen.“

„Das ist sogar sehr leicht zu bestimmen, wenn ihr Freun-de seid. Die Entschädigung holt ihr euch, während ihr hiernoch beisammen seid, und dann könnt ihr sie nach denKöpfen verteilen.“

„So soll es sein!“„Nun seid ihr drei Stämme und sie sind drei Stämme,

auch die Zahl der Mitglieder dieser Stämme ist fast gleich.Warum soll nicht je ein Stamm von euch von einem Stammvon ihnen den jährlichen Tribut erhalten? Ihr seid Freundeund Gefährten. Wollt ihr euch um den Schwanz eines Scha-fes oder um die Hörner eines Stiers zanken und entzweien?“

„Du hast Recht. Wer aber soll die Kriegsentschädigungvon ihren Weideplätzen holen?“

„So viele Leute, wie dazu erforderlich sind, dabei sollenzwei Drittel Sieger und ein Drittel Besiegte sein.“

„Das ist gut. Und was wirst du von dieser Entschädi-gung erhalten?“

„Nichts. Ich ziehe weiter und brauche keine Herden.Waffen und ein Pferd habe ich.“

„Und die drei Männer, die bei dir sind?“„Die werden auch nichts nehmen; sie haben alles, was

sie brauchen.“„So wirst du nehmen müssen, was wir dir als Dank dar-

bringen werden. Dein Haupt ist nicht so alt wie eines derunsrigen, aber du hast dennoch unsere Krieger gelehrt, wieman über einen großen Feind siegt, ohne viele Tote zu haben.“

„Wenn ihr mir danken wollt, so tut denen wohl, die alseure Feinde verwundet in euren Zelten liegen, und seht,

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ob ihr eine Ruine findet, aus der man Figuren und Steinemit fremden Schriften graben kann. Mein Gefährtewünscht solche Dinge zu sehen. Nun habt ihr gehört, wasich euch zu sagen habe; Allah erleuchte eure Weisheit,damit ich bald erfahre, was ihr beschlossen habt!“

„Du sollst bleiben und mit uns beraten!“„Ich kann nichts anderes sagen, als was ich bereits ge-

sagt habe. Ihr werdet das Richtige treffen.“Ich ging hinaus und beeilte mich, den gefangenen

Scheiks Datteln und Wasser zu besorgen. Dann traf ichauf Halef, der mich nach dem Wadi Deradsch begleitete,das ich jetzt näher besichtigen wollte. Die gefangenen AbuHammed kannten mich. Einige von ihnen erhoben sichehrerbietig, als ich vor ihnen vorüberging; andere steck-ten flüsternd die Köpfe zusammen. Im Hintergrund wur-de ich von den dort anwesenden Abu Mohammed mitFreuden begrüßt. Sie waren ganz begeistert, die mächti-gen Feinde auf eine so leichte Weise besiegt zu haben. Ichging von Gruppe zu Gruppe und so kam es, dass mehrereStunden vergangen waren, als ich die Zelte wieder erreichte.

Während dieser Zeit hatten die nach dem Weideplatzgesandten Boten dafür gesorgt, dass das Lager abgebro-chen und in die unmittelbare Nähe des Wadi Deradschverlegt wurde. Die ganze Ebene wimmelte bereits vonHerden und nun gab es Hammel genug zu den Festmahl-zeiten, die heute Abend in jedem Zelt zu erwarten warten.Mohammed Emin hatte mich bereits gesucht.

„Dein Wort ist so gut wie deine Tat“, meinte er. „Es istbefolgt worden. Die Obejde werden den Haddedihn, dieAbu Hammed den Abu Mohammed und die Dschowariden Alabejde Tribut zahlen.“

„Wie viel Kriegsentschädigung entrichten die einzelnenStämme?“

Er nannte die Ziffern; sie waren bedeutend, doch nichtgrausam. Das freute mich außerordentlich, zumal ich mirsagen konnte, dass mein Wort hier nicht ganz ohne Einfluss

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gewesen war gegenüber den grausamen Gewohnheiten, diein solchen Fällen in Anwendung kamen. Von Sklaverei warkeine Rede gewesen.

„Wirst du mir eine Bitte erfüllen?“, fragte der Scheik.„Gern, wenn ich kann. Sprich sie aus!“„Wir werden einen Teil der Herden der Besiegten ho-

len; dazu brauchen die Männer, die wir senden, weise undtapfere Anführer. Ich und Scheik Malek müssen hier bei denGefangenen bleiben. Wir brauchen drei Anführer, einen zuden Obejde, einen zu den Abu Hammed und einen zu denDschowari. Die Scheiks der Abu Mohammed und derAlabejde sind bereit, es fehlt uns der dritte. Willst du es sein?“

„Ich will.“„Wohin willst du gehen?“„Wohin gehen die andern?“„Sie wollen dir die erste Wahl überlassen.“„So gehe ich zu den Abu Hammed, weil ich bereits ein-

mal bei ihnen gewesen bin. Wann sollen wir aufbrechen?“„Morgen. Wie viele Männer willst du mit dir nehmen?“„Vierzig Mann von den Abu Hammed und sechzig von

deinen Haddedihn. Auch Halef Omar nehme ich mit.“„So suche sie dir heraus. Werden die Abu Hammed be-

waffnet sein müssen?“„Nein, das wäre ein großer Fehler. Seid ihr mit den

Scheiks der Besiegten bereits einig geworden?“„Nein. Das wird bis zum letzten Gebet heute geschehen.“„Behalte die angesehenen Krieger hier und schicke nur

die gewöhnlichen Männer mit uns fort; diese sind zumTreiben der Herden gut genug.“

Ich ging, um mir meine Leute auszuwählen; dabei trafich auf Lindsay.

„Gefragt, Sir?“, redete er mich an.„Noch nicht.“„Warum nicht?“„Ist nicht nötig, denn ich habe den Scheiks Auftrag ge-

geben, nachzuforschen.“

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„Herrlich! Prächtig! Scheiks wissen alles! Werde Ruinenfinden!“

„Ich denke es! Wollt Ihr einen interessanten Ritt mit-machen?“

„Wohin?“„Bis unterhalb von El Fatha, wo der Tigris durch die

Mukehil-Berge geht.“„Was dort?“„Die Kriegsentschädigung holen, die in Herden besteht.“„Bei wem?“„Beim Stamm Abu Hammed, der uns damals unsere

Pferde raubte.“„Köstlich, Sir! Bin dabei! Wie viel Männer mit?“„Hundert.“„Gut! Prächtig! Imposanter Zug. Ruinen dort?“„Mehrere Gräberhügel, aber am linken Ufer.“„Kommen nicht hinüber?“„Nein.“„Schade! Jammerschade! Könnten nachsuchen! Fowling-

bulls finden!“„Wir werden trotzdem etwas Ausgezeichnetes finden!“„Was?“„Etwas Leckeres, das wir lange entbehrt haben, nämlich

Trüffeln.“„Trüffeln? Oh! Ah!“Er sperrte den Mund so weit auf, als wollte er eine ganze

Trüffelpastete auf einmal verspeisen.„Sie wachsen in Haufen in jener Gegend und ich habe

erfahren, dass damit ein nicht unbedeutender Handel nachBagdad, Basra, Kerkuk und Suleimanije getrieben wird.Sogar bis Kermanschah sollen sie gehen.“

„Gehe mit, Sir, gehe mit! Trüffeln! Hm! Prachtvoll!“Damit verschwand er, um seinen beiden Dienern die

große Neuigkeit mitzuteilen; ich aber ging und suchtemeine Leute aus.

Bis zum Abend sahen sich die drei besiegten Scheiks

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wirklich gezwungen, auf alle Forderungen der Sieger ein-zugehen, und nun begann ein Freudenfest, infolgedessenmancher feiste Hammel sein Leben lassen musste. Mittenin diesem Jubel lag ich unter duftenden Blüten, umklungenvon tausend Stimmen und doch allein mit meinen Ge-danken. Vor vielen Jahrhunderten hatten hier die Doryphorenihre gefürchteten Speere geschwungen. Hier hatte vielleichtauch das Zelt des Holofernes gestanden, aus Gold und Pur-pur gefertigt und mit Smaragden und Edelsteinen geschmückt.Und drüben auf den rauschenden Wellen des Flusses hat-ten die Fahrzeuge geankert, die Herodot beschreibt:

„Die Boote sind von kreisrunder Form und aus Fellengemacht. Sie werden in Armenien und in den Gegendenoberhalb von Assyrien gebaut. Die Rippen werden ausWeidenruten und Zweigen gemacht und sind außerhalbmit Fellen umgeben. Sie sind rund wie ein Schild undzwischen Vorderteil und Hinterteil ist kein Unterschied.Den Boden ihrer Schiffe kleiden die Schiffer mit Rohr oderStroh aus, und Kaufmannsgüter, besonders Palmwein, ein-nehmend, schwimmen sie den Fluss hinunter. Die Bootehaben zwei Ruder, an jedem ist ein Mann. Der eine zieht aufsich zu und der andere stößt von sich ab. Diese Schiffe habenverschiedene Maßverhältnisse, einige sind so groß, dass sieeine Last bis zum Wert von fünftausend Talenten1 tragen; diekleineren haben einen Esel an Bord, die größeren mehrere.Sobald die Bootsleute nach Babylon kommen, verfügen sieüber Waren und Güter und bieten dann die Rippen und dasRohr des Floßes zum Verkauf aus. Mit den Schläuchen bela-den sie dann ihre Esel und gehen mit ihnen nach Armenienzurück, wo sie neue Fahrzeuge bauen.“

Trotz der Jahrhunderte sind sich diese Fahrzeuge gleichgeblieben, aber die Völker, die hier lebten, sind verschwun-den. Wie wird es sein, wenn abermals eine solche Zeit ver-gangen ist?

1 Das bei Herodot gebräuchliche attische Talent als Gewicht entspricht etwasüber 25 kg. Damit käme man hier auf etwa 125 Tonnen Ladefähigkeit.

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17. Eine grausige Entdeckung

Am anderen Vormittag brachen wir auf: ich mit Halefund einem Abu Hammed als Führer voran, die andernhinter mir. Den Nachtrab machte Sir David Lindsay.

Wir kamen zwischen den Khanuke- und Mukehil-Bergenhindurch und erblickten bald am linken Ufer Tell Hamlia,einen kleinen, künstlichen Hügel. Am rechten Ufer lagKalat el Dschebbar, ‚die Burg der Tyrannen‘, eine Ruine,die aus einigen verfallenen, runden Türmen besteht, diedurch Wälle verbunden sind. Dann erreichten wir Tell edDahab, einen kleinen Hügel, der am linken Ufer des Flus-ses liegt, und bei Brey el Bad, einem ziemlich steilen Fel-sen, machten wir Halt, um das Mittagsmahl einzunehmen.Gegen Abend gelangten wir nach El Fatha, wo sich derFluss einen fünfzig Ellen breiten Weg durch die Mukehil-Berge erzwingt, und als wir diese Enge überwunden hat-ten, schlugen wir das Nachtlager auf. Die Abu Hammedwaren unbewaffnet, aber ich teilte die Haddedihn doch inzwei Hälften, die abwechselnd zu wachen hatten, damitkeiner der Gefangenen entfliehen solle. Wäre es nur ei-nem einzigen gelungen, so hätte er seinem Stamm unsereAnkunft verraten und die besten Tiere wären dann fort-geschafft oder versteckt worden.

Mit Tagesgrauen brachen wir wieder auf. Der Fluss warbreit und bildete viele Inseln. Am linken Ufer zogen sichniedrige Hügel hin, am rechten aber lag die Ebene offenvor uns und hier sollten sich längs des Flusses die AbuHammed gelagert haben.

„Habt ihr einen Weideplatz oder mehrere?“, fragte ichden Führer.

„Nur einen.“Ich sah es ihm an, dass er mir die Unwahrheit sagte.„Du lügst!“„Ich lüge nicht, Effendi!“„Nun gut. Ich will mir Mühe geben, dir zu glauben; aber

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wenn ich bemerke, dass du mich täuschst, jage ich dir eineKugel durch den Kopf!“

„Das wirst du nicht tun!“„Ich tue es!“„Du tust es nicht, denn ich sage dir, dass wir vielleicht

zwei Plätze haben.“„Oder drei?“„Nur zwei!“„Gut. Wenn ich aber drei finde, so bist du verloren!“„Verzeih, Effendi! Sie könnten ja unterdessen noch ei-

nen dritten gefunden haben. Dann sind es drei.“„Ah! Vielleicht sind es vier?“„Du wirst noch zehn haben wollen!“„Du bist ein Abu Hammed und willst nicht gern verlie-

ren, was du zusammengeraubt hast. Ich werde nicht wei-ter in dich dringen.“

„Wir haben vier, Effendi“, sagte er ängstlich.„Gut. Schweige nun, denn ich werde mich selbst über-

zeugen!“Ich hatte unterdessen den Horizont mit meinem Rohr

abgesucht und in der Ferne einige bewegliche Punkte ent-deckt. Ich rief den Haddedihn herbei, der die Leute untermir befehligte. Er war ein wackerer und entschlossenerKrieger, den ich für vollständig zuverlässig hielt.

„Wir haben vierzig Abu Hammed bei uns. Glaubst du,sie mit dreißig unserer Leute sicher bewachen zu können?“

„Mit zehn, Effendi. Sie haben ja keine Waffen!“„Ich werde jetzt mit Hadschi Halef Omar vorwärts rei-

ten, um Kunde einzuziehen. Wenn die Sonne gerade überjenem Strauch steht und ich bin nicht zurück, so sendestdu mir dreißig Haddedihn nach, die mich suchen müs-sen!“

Ich rief den Engländer und er kam mit seinen beidenDienern heran. Ich sagte ihm:

„Ich habe Euch einen sehr wichtigen Posten anzuver-trauen.“

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„Well!“, antwortete er.„Ich werde jetzt einmal voranreiten, um zu sehen, wie

weit sich die Weideplätze der Abu Hammed ausdehnen.Bin ich in zwei Stunden noch nicht zurück, so kommenmir dreißig Mann der Unseren nach.“

„Ich mit?“„Nein. Ihr bleibt bei den Übrigen zurück, um die Ge-

fangenen zu bewachen. Wenn einer Miene macht, zu ent-fliehen, so schießt Ihr ihn nieder.“

„Yes! Wenn einer flieht, schieße alle nieder.“„Gut, aber mehr nicht!“„No. Aber Sir, wenn mit den Abu Hammed reden, dann

einmal fragen!“„Was?“„Nach Ruinen und Fowlingbulls.“„Gewiss. – Vorwärts, Halef!“Wir galoppierten über die Ebene hin und gerade auf die

Punkte zu, die ich gesehen hatte. Es war eine weidendeSchafherde, bei der ein alter Mann stand.

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte ich ihn.„We ’alejkum es selâm!“, antwortete er, sich tief vernei-

gend.„Ist Friede auf deiner Weide?“„Es ist Friede, o Herr. Bringst du auch Frieden?“„Ich bringe ihn. Du gehörst zum Stamm der Abu Ham-

med?“„Du sagst es.“„Wo ist euer Lager?“„Da unten hinter der Krümmung des Flusses.“„Habt ihr mehrere Weideplätze?“„Warum fragst du, o Herr?“„Weil ich eine Botschaft an alle deines Stammes auszu-

richten habe.“„Von wem?“„Von Zedar Ben Huli, deinem Scheik.“„Hamdulillah! Du wirst eine frohe Botschaft bringen.“

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„Ich bringe sie. Also sag, wie viele Weideplätze ihr habt.“„Sechs. Drei hier am Fluss hinab und drei auf den In-

seln im Strom.“„Sind alle Inseln hier euer Eigentum?“„Alle.“„Sind sie alle bewohnt?“„Alle, bis auf eine.“Es lag etwas in dem Ton dieser Antwort und in dem

Gesicht des Alten, was mich aufmerksam machte; ich ließmir aber nichts anmerken und fragte:

„Wo liegt diese eine?“„Gerade gegenüber von uns liegt die erste, und die ich

meine, ist die vierte, o Herr.“Ich beschloss im Stillen, auf diese Insel ein scharfes Auge

zu haben, laut aber erkundigte ich mich:„Warum ist sie nicht bewohnt?“„Weil man sehr schwer zu ihr gelangen kann, da der

Strom gefährlich ist.“Hm! Dann hatte sie ja recht gut die Eigenschaft, als

Aufenthaltsort für Gefangene zu dienen! So dachte ich undfuhrt fort:

„Wie viele Männer sind in euerm Lager?“„Bist du wirklich ein Abgesandter des Scheiks, o Herr?“Dieses Misstrauen vermehrte natürlich auch das meinige.„Ich bin es. Ich habe mit ihm und den Scheiks der Obejde

und der Dschowari gesprochen.“„Was bringst du für eine Botschaft?“„Die Botschaft des Friedens.“„Warum hat er keinen Mann seines Stammes gesandt?“„Die Männer der Abu Hammed kommen gleich hinter

mir.“Ich wollte nicht weiter in ihn dringen und ritt also wei-

ter, aber ganz nah an das Ufer des Flusses, um die Inselnzu zählen. Als wir die dritte hinter uns hatten, machte derFluss eine Krümmung und nun lagen die Zelte des Lagersvor unseren Augen. Die ganze Ebene ringsumher war von

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Kamelen, Rindern, Ziegen und Schafen angefüllt. Pferdesah ich nur wenige. Ebenso erblickte ich nur wenige Män-ner, die noch dazu alt und kraftlos, also ungefährlich, wa-ren. Wir ritten in die Zeltgasse ein.

Vor einem der Zelte stand ein junges Mädchen, das eindort angebundenes Pferd liebkoste. Als es mich erblickte,stieß es einen Schrei aus, sprang zu Pferd und jagte davon.Sollte ich der Flüchtigen nachreiten? Ich tat es nicht; eswürde auch nicht viel gefruchtet haben, denn ich wurdejetzt von allen umringt, die im Lager anwesend waren, vonGreisen, Kranken, Frauen und Mädchen. Ein Greis legtedie Hand auf den Hals meines Pferdes und fragte:

„Wer bist du, Herr?“„Ich bin ein Bote, den euch Zedar Ben Huli sendet.“„Der Scheik! Mit welcher Botschaft sendet er dich?“„Das werde ich euch sagen, wenn alle hier versammelt

sind. Wie viele Krieger hat er hier zurückgelassen?“„Fünfzehn junge Männer. Ajema wird fortgeritten sein,

um sie zu holen.“„So erlaube, dass ich absteige. Du aber“ – und nun wand-

te ich mich an Halef – „reite sofort weiter, denn dieDschowari müssen dieselbe Botschaft empfangen.“

Halef wandte sein Pferd und sprengte davon.„Kann dein Gefährte nicht hier bleiben, um sich auszu-

ruhen und Speise zu nehmen?“, fragte der Alte.„Er ist nicht müde und nicht hungrig und sein Auftrag

leidet kein Zögern. Wo befinden sich die jungen Krieger?“„Bei der Insel.“Ah, wieder die Insel!„Was tun sie dort?“„Sie...“ Er stockte und fuhr dann fort: „...sie weiden die

Herde.“„Ist diese Insel weit von hier?“„Nein. Sieh, da kommen sie schon!“Wirklich kam ein Trupp Bewaffneter vom Fluss her auf

uns zugesprengt. Es waren die Jüngsten des Stammes, fast

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noch Knaben; sie und die Alten hatte man zurückgelas-sen. Sie hatten keine Gewehre, sondern nur Spieße undKeulen. Der Vorderste und zugleich auch der Ansehnlich-ste von ihnen erhob die Keule im Reiten, schleuderte sienach mir und rief:

„Hund, du wagst es, zu uns zu kommen?“Ich hatte zum Glück die Büchse vorgenommen und

konnte mit ihrem Kolben den Wurf parieren; aber dieLanzen sämtlicher Knaben waren auf mich gerichtet. Ichmachte mir nicht sehr viel daraus, gab vielmehr meinemRappen die Schenkel und drängte ihn hart an das Rossdes Angreifers. Er allein von allen mochte das zwanzigsteJahr erreicht haben.

„Knabe, du wagst es, einen Gast deines Stammes anzu-greifen?“

Mit diesen Worten riss ich ihn zu mir herüber und setz-te ihn vor mir auf den Hengst. Er hing an meiner Handmit schlaffen Gelenken wie ein Gliedermann, die Angst warihm in den Leib gefahren.

„Nun stecht, wenn ihr jemanden töten wollt!“, fügte ichhinzu.

Sie hüteten sich wohl, dies zu tun, denn er bildete einenSchild vor mir, aber die wackeren Knaben waren nicht ganzunentschlossen. Einige von ihnen stiegen vom Pferd undversuchten, von der Seite oder von hinten an mich zu kom-men, während die anderen mich vorn beschäftigten. Soll-te ich sie verwunden? Auf keinen Fall.

Ich drängte also das Pferd hart an eins der Zelte, dassich den Rücken freibekam, und fragte:

„Was habe ich euch getan, dass ihr mich töten wollt?“„Wir kennen dich“, antwortete einer. „Du sollst uns

nicht wieder entkommen, du Mann mit der Löwenhaut!“„Du sprichst sehr kühn, du Knabe mit der Lämmerhaut!“Da hob eine alte Frau heulend ihre Hände empor und rief:„Ist er dieser? Oh, tut ihm nichts, denn er ist fürchterlich!“„Wir töten ihn!“, antwortete die Bande.

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„Er wird euch zerreißen und dann durch die Luft davon-reiten!“

„Ich werde nicht davonreiten, sondern bleiben“, ant-wortete ich und schleuderte nun meinen Gefangenen mit-ten unter die Angreifenden hinein. Dann glitt ich vomPferd und trat in das Zelt. Mit einem Schnitt meines Dol-ches erweiterte ich den Eingang so, dass ich das Tier, dasich keiner Gefahr aussetzen wollte, zu mir hereinziehenkonnte. Nun war ich vor den Stichen dieser Wespen soziemlich geborgen.

„Wir haben ihn! Hamdulillah, wir haben ihn!“, jubeltees draußen.

„Umgebt das Zelt, lasst ihn nicht heraus!“, rief eine an-dere Stimme.

„Schießt ihn durch die Wände tot!“, ertönte ein Ruf.„Nein, wir fangen ihn lebendig. Er hat den Rappen bei

sich, den dürfen wir nicht verletzen, der Scheik will ihnhaben!“

Dass sich keiner zu mir hereinwagen würde, konnte ichmir denken; daher setzte ich mich gemütlich nieder undlangte nach dem kalten Fleisch, das auf einer Platte inmeiner Nähe lag. Übrigens dauerte diese unfreiwillige Ein-quartierung nicht sehr lange, Halef hatte sein Pferd ange-strengt und gar bald erdröhnte der Boden unter dem Ga-lopp von dreißig Berittenen.

„Allah kerîm – Gott sei uns gnädig!“, hörte ich rufen.„Das sind Feinde!“

Ich trat aus dem Zelt. Von der ganzen Bevölkerung desLagers war niemand mehr zu sehen. Alle hatten sich in dieZelte verkrochen.

„Sihdi!“, rief laut die Stimme Halefs.„Hier, Hadschi Halef Omar!“„Hat man dir etwas getan?“„Nein. Besetzt das Lager, dass niemand entkommt! Wer

zu entfliehen sucht, wird niedergestoßen!“Diese Worte waren laut genug gesprochen, um von al-

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len gehört zu werden. Ich wollte nur drohen. Dann sand-te ich Halef von einem Zelt zum andern, um sämtlicheGreise herbeizuführen; die fünfzehn Knaben brauchte ichnicht. Es dauerte lange, bis die Alten beisammen waren;sie hatten sich versteckt und kamen nur mit Zittern undZagen herbei. Als sie in ängstlicher Erwartung um michherumsaßen, begann ich die Unterhaltung.

„Habt ihr die Tätowierung meiner Leute gesehen?“„Ja, Effendi.“„So habt ihr ihren Stamm erkannt?“„Ja. Es sind Haddedihn, Herr.“„Wo sind eure Krieger?“„Du wirst es wissen, Herr.“„Ja, ich weiß es und ich will es euch sagen: Alle sind

gefangen von den Haddedihn und nicht ein einziger istentkommen.“

„Allah kerîm!“„Ja, Allah möge ihnen und euch gnädig sein!“„Er lügt!“, flüsterte einer von ihnen, dem das Alter den

Mut noch nicht geknickt hatte.Ich drehte mich zu ihm:„Du sagst, dass ich lüge? Dein Haar ist grau und dein Rü-

cken beugt sich unter der Last der Jahre, daher will ich dir dieWorte verzeihen. Warum meinst du, dass ich dich belüge?“

„Wie können die Haddedihn drei ganze Stämme gefan-gen nehmen?“

„Du würdest es glauben, wenn du wüsstest, dass sie nichtallein gewesen sind. Sie waren mit den Abu Mohammedund den Alabejde verbunden. Sie wussten alles, und alsich von euren Kriegern gefangen genommen wurde, kamich von den Abu Mohammed, wo ich gewesen war, umden Krieg mit ihnen zu besprechen. Im Wadi Deradschhaben wir die Euren empfangen und es ist kein einzigerentkommen. Hört, welchen Befehl ich gebe!“

Ich trat unter den Eingang des Zeltes, in dem wir unsbefanden, und winkte Halef herbei.

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„Reite zurück und hole die gefangenen Abu Hammedherbei!“

Sie erschraken jetzt wirklich und der Alte fragte:„Ist es möglich, Herr?“„Ich sage die Wahrheit. Sämtliche Krieger eures Stam-

mes sind in unserer Hand. Entweder werden sie getötetoder ihr bezahlt das Lösegeld, das für sie gefordert wird.“

„Auch Scheik Zedar Ben Huli ist gefangen?“„Auch er.“„So hättest du wegen des Lösegeldes mit ihm reden sol-

len!“„Ich habe es getan.“„Was sagte er?“„Er will es zahlen und hat mir vierzig von euren Leuten

mitgegeben, die jetzt kommen, um es zu holen.“„Allah schütze uns! Wie hoch ist es?“„Das werdet ihr hören. Wie viel Stück zählen eure Her-

den?“„Wir wissen es nicht!“„Ihr lügt! Ein jeder kennt die Zahl der Tiere, die seinem

Stamm gehören. Wie viele Pferde habt ihr?“„Zwanzig, außer denen, die mit in den Kampf gezogen

sind.“„Die sind für euch verloren. Wie viele Kamele?“„Dreihundert.“„Rinder?“„Zwölfhundert.“„Esel und Maultiere?“„Vielleicht dreißig.“„Schafe?“„Neuntausend.“„Euer Stamm ist nicht reich. Das Lösegeld wird betra-

gen: zehn Pferde, hundert Kamele, dreihundert Rinder,zehn Esel und Maultiere und zweitausend Schafe.“

Da erhoben die Alten ein fürchterliches Wehgeheul. Sietaten mir allerdings sehr Leid, aber ich konnte ja nichts

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ändern, und wenn ich diese Ziffern mit denen verglich,die unter anderen Verhältnissen aufgestellt worden wären,so fühlte ich mich in meinem Gewissen vollständig beru-higt. Um dem Jammergeschrei ein Ende zu machen, riefich in etwas barschem Ton:

„Still! Scheik Zedar Ben Huli hat es genehmigt.“„Wir können so viel nicht geben!“, lautete die Antwort.„Ihr könnt es! Was man geraubt hat, das kann man sehr

leicht wieder hergeben!“„Wir haben nichts geraubt. Warum willst du uns für

Haramije1 halten?“„Seid still! Wurde ich nicht selbst von euch angefallen?“„Es geschah zum Scherz, Effendi!“„Dann treibt ihr einen gefährlichen Scherz. Wie viele

Weideplätze habt ihr?“„Sechs.“„Auch auf Inseln?“„Ja.“„Auch auf der Insel, bei der vorhin eure jungen Männer

waren?“„Nein.“„Man sagte mir doch, dass sie dort die Herden weide-

ten! Ihr habt den Mund voll Unwahrheit! Wer befindetsich auf dieser Insel?“

Sie sahen sich verlegen an, dann antwortete der Spre-cher:

„Es sind Männer da.“„Was für Männer?“„Fremde.“„Wo sind sie her?“„Wir wissen es nicht.“„Wer weiß es sonst?“„Nur der Scheik.“„Wer hat diese Männer zu euch gebracht?“„Unsere Krieger.“

1 Räuber. Dieses Wort ist übrigens eine Ehrenbezeichnung bei den Beduinen.

413

„Eure Krieger! Und nur der Scheik weiß es, wo sie hersind? Ich sehe, dass ich von euch dreitausend Schafe ver-langen muss – statt zweitausend! Oder wollt ihr nicht lie-ber sprechen?“

„Herr, wir dürfen nicht!“„Warum nicht?“„Der Scheik würde uns bestrafen. Sei barmherzig mit

uns!“„Ihr habt Recht, ich will euch diese Verlegenheit erspa-

ren.“Da kam es zwischen den Zelten herangetrabt: Es waren

die Gefangenen mit ihrer Bedeckung. Bei diesem Anblickerhob sich, ohne dass sich jemand sehen ließ, in allen Zel-ten ein großes Klagegeschrei. Ich stand auf.

„Jetzt könnt ihr sehen, dass ich die Wahrheit gespro-chen habe. Vierzig von euren Kriegern sind da, um dasLösegeld zu holen. Geht jetzt in die Zelte und holt alle Be-wohner des Lagers heraus; es soll ihnen nichts geschehen,aber ich habe mit ihnen zu reden.“

Es machte einige Mühe, diese Menge von Greisen, Frau-en und Kindern zu versammeln. Als sie beisammen wa-ren, trat ich zu den Gefangenen:

„Seht hier eure Väter, eure Mütter, Schwestern und Kin-der! Sie sind in meiner Hand und ich werde sie gefangenfortführen, wenn ihr den Befehlen ungehorsam seid, dieihr jetzt erhaltet. Ihr habt sechs Weideplätze, die alle inder Nähe sind. Ich teile euch in sechs Haufen, von denensich ein jeder unter der Aufsicht meiner Krieger nach ei-nem der Plätze begibt, um die Tiere hierher zu treiben. Ineiner Stunde müssen alle Herden hier beisammen sein!“

Wie ich angeordnet hatte, so geschah es. Die AbuHammed verteilten sich unter der Aufsicht der Haddedihnund nur zwölf Männer behielt ich von diesen zurück. Beiihnen war Halef.

„Ich werde mich jetzt entfernen, Halef“, sagte ich ihm.„Wohin, Sihdi?“, fragte er.

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„Nach der Insel. Du wirst hier auf Ordnung sehen unddann später die Auswahl der Tiere leiten. Sorge dafür, dassdiesen armen Leuten nicht bloß die besten genommenwerden. Die Ausscheidung soll gerecht geschehen.“

„Sie haben es nicht verdient, Sihdi!“„Aber ich will es so. Verstehst du, Halef?“Lindsay kam heran.„Habt Ihr gefragt, Sir?“„Noch nicht.“„Nicht vergessen, Sir!“„Nein. Ich habe Euch wieder einen Posten anzuvertrauen.“„Well! Welchen?“„Seht darauf, dass keine dieser Frauen entflieht!“„Yes!“„Wenn eine von ihnen Miene macht, davonzulaufen, so...“„Schieße ich sie nieder!“„Nicht doch!“„Was denn?“„...so lasst Ihr sie laufen!“„Well, Sir!“Diese zwei Worte brachte er heraus, aber den Mund

bekam er nicht wieder zu. Ich war übrigens fest überzeugt,dass schon der bloße Anblick von Sir David Lindsay denFrauen jede Absicht zur Flucht nehmen würde. In seinemkarierten Anzug musste er ihnen wie ein Ungeheuer vor-kommen.

Jetzt nahm ich zwei Haddedihn mit mir und schritt demFluss zu. Hier hatte ich die vierte Insel vor mir. Sie warlang und schmal und mit dichtem Rohr bewachsen, dasdie Höhe eines Mannes weit überragte. Ich konnte keinlebendes Wesen erblicken, aber sie barg ein Geheimnis,das ich unbedingt ergründen musste. Dass ich keinen derAbu Hammed mitgenommen hatte, war geschehen, umniemand für spätere Zeit in Schaden zu bringen.

„Sucht nach einem Floß!“, gebot ich den beiden.„Wohin willst du?“

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„Nach dieser Insel.“„Effendi, das ist nicht möglich!“„Warum?“„Siehst du nicht die reißende Strömung zu ihren beiden

Seiten? Es würde jedes Floß an ihr zerschellen.“Der Mann hatte Recht, aber dennoch hegte ich die Über-

zeugung, dass irgendein Verkehr zwischen dem Ufer unddieser Insel stattfinden müsse, und als ich schärfer hin-blickte, bemerkte ich, dass an ihrer oberen Spitze das Rohrniedergetreten war.

„Blickt dahin! Seht ihr nicht, dass dort Menschen gewe-sen sind?“

„Es scheint so, Effendi.“„So muss auch ein Fahrzeug vorhanden sein.“„Es würde zerschellen, das ist sicher!“„Sucht!“Sie gingen nach rechts und links am Ufer hinab und

hinauf, kehrten aber unverrichteter Sache zurück. Jetztsuchte ich selbst mit, lange vergeblich. Endlich aber ent-deckte ich – zwar kein Floß und keinen Kahn, aber eineVorrichtung, deren Zweck mir sofort einleuchtete. An denStamm eines Baumes, der oberhalb der Insel hart am Was-ser stand, war ein langes, starkes Palmfaserseil befestigt.Das eine Ende schlang sich um den Stamm, das Seil selbstaber war unter dem daneben wuchernden dichten Ge-strüpp versteckt. Als ich es hervorzog, zeigte sich an demanderen Ende ein jetzt zusammengesunkener Schlauch, auseiner Bockshaut gefertigt, und über diesem war ein Quer-holz angebracht, das jedenfalls dazu dienen sollte, sich mitden Händen daran festzuhalten.

„Seht, hier ist das Floß. Dieses kann allerdings nichtzerschellen. Ich werde hinüberschwimmen, während ihrhier wacht, dass ich nicht gestört werde.“

„Es ist gefährlich, Effendi!“„Andere sind auch hinübergekommen.“Ich warf die Oberkleider ab und blies den Schlauch auf.

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Die Öffnung wurde mit einer daran befestigten Schnurverschlossen.

„Haltet das Seil und lasst es langsam durch die Händelaufen!“

Ich fasste das Querholz fest und glitt in das Wasser. So-fort ergriff mich die Strömung, die so stark war, dass einMann alle seine Kräfte anstrengen musste, um das Seilhalten zu können. Einen Menschen vor drüben herüber-zuholen, dazu gehörten wohl die vereinten Kräfte vonmehreren Männern. Ich musste nach jenseits der Inselhalten; es gelang und ich landete glücklich, obgleich icheinen tüchtigen Stoß erhielt. Meine erste Sorge war, dasSeil so zu befestigen, dass es mir nicht abhanden kommenkonnte; dann ergriff ich den Dolch, den ich zu mir ge-steckt hatte.

Von der Spitze der Insel führte durch das Rohrdickichtein schmaler, ausgetretener Pfad, auf dem ich bald vor einekleine, aus Bambus, Schilf und Binsen gefertigte Hüttekam. Sie war so niedrig, dass kein Mensch in ihr zu stehenvermochte. Ihr Inneres enthielt nichts als einige Kleidungs-stücke. Ich betrachtete diese genau und bemerkte, dass esdie zerfetzten Anzüge von drei Männern waren. Keine Spurzeigte, dass ihre Besitzer noch vor kurzer Zeit hier gewe-sen seien, aber der Pfad führte weiter.

Ich folgte ihm und bald war es mir, als ob ich ein Stöh-nen hörte. Ich hastete vorwärts und gelangte an eine Stel-le, wo das Rohr abgehauen war. Auf dieser kleinen Blößebemerkte ich – drei Menschenköpfe, die mit dem Halsauf den Erdboden gestellt waren; so wenigstens schien esmir. Sie waren ganz unförmig aufgeschwollen und dieUrsache davon ließ sich sehr leicht erkennen, denn beimeiner Ankunft erhob sich eine dichte Wolke von Moski-tos und Schnaken in die Luft. Augen und Mund warengeschlossen. Waren das Totenköpfe, die man aus irgendei-nem Grunde hierher gestellt hatte?

Ich bückte mich nieder und berührte einen. Da hauchte

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ein leiser Wehlaut zwischen den Lippen hervor, die Augenöffneten sich und starrten mich mit einem gläsernen Blickan. Ich war wohl in meinem Leben selten erschrocken,jetzt aber entsetzte es mich so sehr, dass ich mehrere Schrit-te zurückprallte.

Ich trat wieder näher und untersuchte die Sache. Wahr-haftig, drei Männer waren eingegraben, lebendig einge-graben in den feuchten, fauligen Boden bis an die Köpfe.

„Wer seid ihr?“, fragte ich laut.Da öffneten alle drei die Augen und stierten mich mit

wahnsinnigen Blicken an. Die Lippen des einen taten sichauf:

„O Adi!“, ächzte er langsam.Adi? War das nicht der Name des großen Heiligen der

Jesidi, der so genannten Teufelsanbeter?“„Wer hat euch hierher gebracht?“, fragte ich weiter.Wieder öffnete sich der Mund, aber er war nicht mehr

im Stande, einen Laut hören zu lassen. Ich arbeitete michdurch das dichte Röhricht an dem Ufer der Insel und füll-te beide Hände mit Wasser. Rasch kehrte ich zurück undflößte das Nass den Gemarterten ein. Sie schlürften es mitGier. Ich konnte nur wenig auf einmal bringen, da es mirunterwegs zwischen den Fingern durchtropfte, und somusste ich sehr oft hin und her gehen, ehe sie ihren fürch-terlichen Durst gestillt hatten.

„Gibt es hier eine Hacke?“, fragte ich.„Mitgenommen“, flüsterte der eine.Ich rannte nach der oberen Spitze der Insel. Drüben stan-

den noch meine Begleiter. Ich legte die Hand an den Mund,um das Rauschen des Wassers zu übertönen, und rief ih-nen zu:

„Holt einen Spaten, eine Hacke und die drei Engländer,aber ganz heimlich!“

Sie verschwanden. Halef durfte ich nicht herbescheiden,weil er drüben notwendig war. Ich wartete mit Ungeduld– endlich aber erschienen die Haddedihn mit den drei

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Verlangten und auch mit einem Werkzeug, das einer Hackeähnlich sah.

„Sir David!“, rief ich hinüber.“„Yes!“, antwortete er.„Schnell herüber! Bill und Fred auch! Bringt die Hacke

mit!“„Meine Hacke? Fowlingbulls gefunden?“„Werden sehen!“Ich machten den Schlauch los und schob ihn in das

Wasser.„Zieht an!“Eine Weile danach stand Sir David auf der Insel.„Wo?“, fragte er.„Warten! Erst die anderen auch herüber!“„Well!“Er winkte den Leuten drüben, sich zu sputen, und end-

lich standen die beiden kräftigen Burschen an unserer Seite.Bill hatte die Hacke bei sich. Ich befestigte den Schlauchwieder.

„Kommt, Sir!“„Ah! Endlich!“„Sir David, wollt Ihr mir verzeihen?“„Was?“„Ich habe keine Fowlingbulls gefunden.“„Keine?“ – Er blieb stehen und riss den Mund weit auf.

„Keine? Ah!“„Aber ich habe etwas ganz Entsetzliches entdeckt! Kommt!“Ich ergriff die Hacke und schritt voran.Mit einem Ausruf des Entsetzens prallte der Engländer

zurück als wir den Platz erreichten. Jetzt war der Anblickallerdings fast noch schrecklicher als vorher, da die dreidie Augen offen hatten und die Köpfe bewegten, um denInsektenschwarm von sich abzuhalten.

„Man hat sie eingegraben!“, sagte ich.„Wer?“, fragte Lindsay.„Weiß es nicht, werden es erfahren.“

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Ich gebrauchte die Hacke mit solcher Hast und die an-dern scharrten und kratzten mit den Händen dazu, dasswir bereits nach einer Viertelstunde die drei Unglückli-chen vor uns liegen hatten. Sie waren von allen Kleidernentblößt und die Hände und Füße hatte man ihnen mitBaststricken zusammengebunden. Ich wusste, dass dieAraber ihre Kranken bei gewissen schlimmen Krankhei-ten bis an den Kopf in die Erde graben und diesem sogenannten ‚Einpacken‘ eine bedeutende Heilkraft zuschrei-ben; aber diese Männer waren gefesselt, also nicht krankgewesen.

Wir trugen sie an das Wasser und überspritzten sie. Dieserfrischte ihre Lebensgeister.

„Wer seid ihr?“, fragte ich.„Baadri!“, klang die Antwort.Baadri? Das war der Name eines Dorfes, das ausschließ-

lich von Teufelsanbetern bewohnt wurde! Ich hatte also dochwohl mit meinen Vermutungen das Richtige getroffen.

„Hinüber mit ihnen!“, befahl ich.„Wie?“, fragte der Engländer.„Ich schwimme zuerst hinüber, um ziehen zu helfen, und

nehme zugleich ihre Kleider mit. Ihr kommt dann nach,ein jeder mit einem von ihnen.“

„Well! Wird aber nicht leicht sein.“„Ihr nehmt ihn quer vor euch über die Arme.“Ich rollte die Kleider wie einen Turban zusammen und

nahm diesen auf den Kopf. Dann ließ ich mich an dasUfer ziehen. Was nun kam, das war für mich und die bei-den Haddedihn eine sehr harte Arbeit, für die andern aberaußerordentlich gefährlich; dennoch gelang es uns, allesechs glücklich ans Ufer zu bringen.

„Zieht ihnen die Kleider an! Dann bleiben sie heimlichhier liegen. Ihr, Sir David, werdet ihnen im Stillen Nah-rung bringen, während die andern sie bewachen.“

„Well! Fragt, wer sie eingegraben hat.“„Der Scheik natürlich.“

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„Totschlagen den Kerl!“Dieses letzte Ereignis hatte über eine Stunde Zeit in

Anspruch genommen. Als wir das Lager erreichten, wim-melte die Ebene von Tausenden von Tieren. Das Geschäftder Auswahl war schwierig, doch der kleine Hadschi HalefOmar war seiner Aufgabe vollständig gewachsen. Er hattemeinen Hengst bestiegen, natürlich mit der Absicht, schnel-ler vorwärts zu kommen und nebenbei ein wenig bewun-dert zu werden, und war allüberall zu sehen. Die Haddedihnwaren ganz begeistert für ihre Arbeit, die gefangenen AbuHammed aber, die ihnen helfen mussten, konnten denstillen Grimm in ihren Mienen nicht verbergen. Und nungar da, wo die Weiber und Greise saßen: Da flossen heißeTränen und mancher halblaute Fluch stahl sich zwischenden Lippen hervor. Ich trat zu der Weibergruppe. Ich hat-te da eine Frau bemerkt, die mit einer heimlichen Befrie-digung dem Treiben meiner Leute zusah. Hatte sie einenGroll gegen den Scheik im Herzen?“

„Folge mir!“, gebot ich ihr.„Herr, sei gnädig! Ich habe nichts getan!“, flehte sie er-

schrocken.„Es soll dir nichts geschehen!“Ich führte sie in das leere Zelt, in dem ich mich bereits

vorhin befunden hatte. Dort stellte ich mich vor sie hin,sah ihr scharf in die Augen und fragte sie:

„Du hast einen Feind in deinem Stamm?“Sie blickte überrascht empor.„Herr, woher weißt du das?“„Sei offen! Wer ist es?“„Du wirst es ihm sagen!“„Nein, denn er ist auch mein Feind.“„Du bist es, der ihn besiegt hat?“„Ich bin es. Du hasst den Scheik Zedar Ben Huli?“Da blitzte ihr dunkles Auge auf.„Ja, Herr, ich hasse ihn.“„Warum?“

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„Ich hasse ihn, weil er den Vater meiner Kinder tötenließ.“

„Warum?“„Mein Herr wollte nicht stehlen.“„Weshalb nicht?“„Weil der Scheik den größten Teil des Raubes erhält.“„Du bist arm?“„Der Oheim meiner Kinder hat mich zu sich genom-

men, auch er ist arm.“„Wie viele Tiere hat er?“„Ein Rind und zehn Schafe; er wird sie heute hergeben

müssen, denn wenn der Scheik zurückkehrt, so werdenwir den ganzen Verlust zu tragen haben. Der Scheik wirdnicht arm, sondern nur der Stamm.“

„Er soll nicht zurückkehren, wenn du aufrichtig bist.“„Herr, sagst du die Wahrheit?“„Ich sage sie. Ich werde ihn als Gefangenen zurückbe-

halten und den Abu Hammed einen Scheik geben, dergerecht und ehrlich ist. Der Oheim deiner Kinder soll be-halten, was er hat.“

„Herr, deine Hand ist voll Barmherzigkeit. Was willstdu von mir wissen?“

„Du kennst die Insel da drüben im Fluss?“Sie erbleichte.„Warum fragst du nach ihr?“„Weil ich mit dir von ihr sprechen will.“„Oh, tu das nicht, Herr, denn wer ihr Geheimnis verrät,

den wird der Scheik töten!“„Wenn du mir das Geheimnis sagst, wird er nicht wie-

derkommen.“„Ist das wirklich wahr?“„Glaube mir! Also wozu dient die Insel?“„Sie ist der Aufenthalt der Gefangenen des Scheiks.“„Welcher Gefangenen?“„Er fängt die Reisenden weg, die über die Ebene oder

auf dem Wasser kommen, und nimmt ihnen alles ab. Wenn

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sie nichts besitzen, so tötet er sie; wenn sie aber reich sind,so behält er sie bei sich, um ein Lösegeld zu erpressen.“

„Dann kommen sie auf die Insel?“„Ja, in die Schilfhütte. Sie können nicht entfliehen, denn

es werden ihnen die Hände und Füße gebunden.“„Wenn dann der Scheik das Lösegeld erhalten hat?“„So tötet er sie dennoch, um nicht verraten zu werden.“„Und wenn sie es nicht zahlen wollen oder nicht zahlen

können?“„So martert er sie.“„Worin bestehen die Qualen, die er ihnen bereitet?“„Er hat ihrer viele. Oft lässt er sie eingraben.“„Wer macht den Kerkermeister?“„Er und seine Söhne.“Der junge Kerl, der seinerzeit am Tigris unsere Pferde

gestohlen und mich dann als gefangenen Kundschafterwieder erkannt hatte, war auch sein Sohn; ich hatte ihnunter den Gefangenen im Wadi Deradsch bemerkt. Da-rum fragte ich:

„Wie viele Söhne hat der Scheik?“„Zwei.“„Ist einer von ihnen hier?“„Der Jüngling, der dich töten wollte, als du ins Lager

kamst.“„Sind jetzt Gefangene auf der Insel?“„Zwei oder drei.“„Wer sind sie?“„Ich weißt es nicht. Das erfahren nur die Männer, die

mit beim Fang waren.“„Wie sind sie in seine Hände gekommen?“„Sie kamen auf einem Kellek1 den Fluss herab und leg-

ten des Abends nicht weit von hier am Ufer an. Da hat ersie überfallen.“

„Wie viel Zeit ist seit ihrer Gefangenschaft verflossen?“Sie sann ein wenig nach und meinte dann:

1 Floß

423

„Wohl beinahe zwanzig Tage.“„Wie hat er sie behandelt?“„Ich weiß es nicht.“„Habt ihr hier viele Tachtirewanat1?“„Es sind mehrere vorhanden.“Ich griff in meinen Turban und nahm einige Geldstücke

hervor. Sie gehörten zu den Münzen, die ich in den Sat-teltaschen des Abu Sejf gefunden hatte.

„Ich danke dir! Hier hast du!“„O Herr!“„Es ist gut. Geh und sage keinem Menschen, was wir

gesprochen haben!“Sie ging und auch ich begab mich wieder hinaus. Man

war mit dem Abzählen der Tiere beinahe fertig geworden.Ich suchte Halef auf. Er kam, als ich ihm winkte, auf michzugeritten.

„Wer hat dir meinen Rappen erlaubt, Hadschi HalefOmar?“

„Ich wollte ihn an meine Beine gewöhnen, Sihdi!“„Er wird sich nicht sehr vor ihnen fürchten. Höre, Halef,

es wird ein Weib kommen und ein Rind und zehn Schafezurückverlangen. Die gibst du ihr.“

„Ich gehorche, Sihdi.“„Höre weiter! Du nimmst drei Tachtirewanat hier aus

dem Lager und sattelst drei Kamele mit ihnen.“„Wer soll hineinkommen, Sihdi?“„Schau hinüber nach dem Fluss! Siehst du das Gebüsch

und den Baum da rechts?“„Ich sehe beides.“„Dort liegen drei kranke Männer, die in die Körbe kom-

men sollen. Geh in das Zelt des Scheiks; es ist dein mitallem, was sich darin befindet. Nimm Decken davon wegund lege sie in die Körbe, damit die Kranken weich lie-gen. Aber kein Mensch darf jetzt oder unterwegs erfah-ren, wen die Kamele tragen!“

1 Sänftenartige Körbe, in denen die Frauen von Kamelen getragen werden

424

„Du weißt, Sihdi, dass ich alles tue, was du befiehlst;aber ich kann so viel nicht allein tun!“

„Die drei Engländer sind dort und auch zwei Haddedihn.Sie werden dir helfen. Gib mir jetzt den Hengst, ich wer-de die Aufsicht wieder übernehmen.“

Nach einer Stunde waren wir mit allem fertig. Währendalle Anwesenden ihre Aufmerksamkeit auf die Herden ge-richtet hatten, war es Halef gelungen, die Kranken unbe-merkt auf die Kamele zu bringen. Die ganze lange Tier-karawane stand zum Abzug bereit. Jetzt suchte ich nachdem jungen Menschen, der mich heute mit seiner Keulebewillkommnet hatte. Ich sah ihn inmitten seiner Kame-raden stehen und ritt zu ihm heran. Lindsay stand mitseinen Dienern ganz in der Nähe.

„Sir David, habt Ihr oder Eure Diener nicht so etwaswie eine Schnur bei Euch?“

„Denke, dass hier viele Stricke sind.“Er trat zu den wenigen Pferden, die dem Stamm gelas-

sen werden sollten. Sie waren mit Leinen an die Zeltstan-gen gebunden. Mit einigen Schnitten löste er mehrere die-ser Leinen ab. Dann kam er zurück.

„Seht Ihr den braunen Burschen da, Sir David?“Ich gab ihm mit den Augen einen verstohlenen Wink.„Sehe ihn, Sir.“„Diesen übergebe ich Euch. Er hatte die drei Unglückli-

chen zu beaufsichtigen und soll deshalb mit uns gehen.Bindet ihm die Hände sehr fest auf den Rücken und befes-tigt dann den Strick an Euerm Sattel oder am Steigebügel;er mag ein wenig laufen lernen.“

„Yes, Sir! Sehr schön!“„Er bekommt weder zu essen noch zu trinken, bis wir

das Wadi Deradsch erreichen.“„Hat es verdient!“„Ihr bewacht ihn. Wenn er Euch entkommt, so sind wir

geschiedene Leute und Ihr mögt sehen, wo Fowlingbullszu finden sind!“

425

„Werde ihn festhalten. Beim Nachtlager eingraben!“„Vorwärts also!“Der Engländer trat zu dem Jüngling heran und legte

ihm die Hand auf die Schulter.„Mitgehen, Galgenstrick!“Er hielt ihn fest und die beiden Diener banden ihm kunst-

gerecht die Hände. Der Junge war im ersten Augenblickverblüfft, dann aber drehte er sich zu mir herum.

„Was soll das, Effendi?“„Du wirst mit uns gehen.“„Ich bin kein Gefangener, ich bleibe hier!“Da drängte sich ein altes Weib herbei.„Allah kerîm, Effendi! Was willst du mit meinem Sohn

tun?“„Der wird uns begleiten.“„Er? Der Stern meines Alters, der Ruhm seiner Gespie-

len, der Stolz seines Stammes? Was hat er getan, dass duihn bindest wie einen Mörder, den die Blutrache ereilt?“

„Schnell, Sir! Bindet ihn an das Pferd und dannvorwärts!“

Sofort gab ich das Zeichen zum Aufbruch und ritt da-von. Ich hatte erst Mitleid mit dem so schwer bestraftenStamm gehabt, jetzt aber widerte mich jedes seiner Ge-sichter an, und als wir das Lager und das Wehegeheulhinter uns hatten, war es mir, als sei ich einem Sumpf ent-kommen.

Halef hatte sich mit seinen drei Kamelen an die Spitzedes Zeuges gestellt. Ich ritt zu ihm heran.

„Liegen sie bequem?“„Wie auf dem Diwan des Padyschah, Sihdi.“„Haben sie gegessen?“„Nein, Milch getrunken.“„Umso besser. Können sie reden?“„Sie haben nur einzelne Worte gesprochen, aber in einer

Sprache, die ich nicht verstehe, Effendi.“„Es wird Kurdisch sein.“

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„Kurdisch?“„Ja. Ich halte sie für Teufelsanbeter.“„Teufelsanbeter? Allah, behüte uns vor dem neunmal ge-

steinigten Teufel! Wie kann man den Teufel anbeten,Sihdi!“

„Sie beten ihn nicht an, obgleich man sie so nennt. Siesind sehr brave, sehr fleißige und ehrliche Leute, halbChristen und halb Moslemin.“

„Darum haben sie auch eine Sprache, die kein Moslemverstehen kann. Kannst du sie sprechen?“

„Nein.“Er fuhr beinahe erschrocken auf.„Nicht? Sihdi, das ist nicht wahr, du kannst alles!“„Ich verstehe diese Sprache nicht, sage ich dir.“„Gar nicht?“„Hm! Ich kann eine Sprache, die verwandt mit der

ihrigen ist; vielleicht, dass ich da einige Worte finde, michihnen verständlich zu machen.“

„Siehst du, dass ich Recht hatte, Sihdi!“„Nur Gott weiß alles, das Wissen der Menschen aber ist

Stückwerk. Weiß ich doch nicht einmal, wie Hanneh, dasLicht deiner Augen, mit ihrem Halef zufrieden ist!“

„Zufrieden, Sihdi? Bei ihr kommt erst Allah, dann Mo-hammed und dann kommt aber gleich Hadschi HalefOmar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd alGossarah.“

„So sei ihr dankbar und gehorche ihr!“Nach dieser Vermahnung ließ ich den kleinen Mann al-

lein.Es versteht sich von selbst, dass unsere Rückreise wegen

der Tiere viel langsamer vonstatten ging als die Hinreise.Bei Sonnenuntergang erreichten wir eine Stelle, die nochunterhalb Kalat el Dschebbar lag und sich, da sie mit Blu-men und üppigem Grün überdeckt war, sehr gut zumNachtlager eignete. Die Hauptaufgabe war jetzt, sowohldie Herden als auch die Abu Hammed zu überwachen;

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ich traf also die nötigen Maßregeln. Ich hatte mich amspäten Abend bereits zum Schlaf eingehüllt, als Sir Davidnoch einmal herbeikam.

„Entsetzlich! Fürchterlich, Sir!“„Was?“„Hm! Unbegreiflich!“„Was denn? Ist Euer Gefangener verschwunden?“„Der? No! Liegt fest angebunden!“„Nun, was ist denn so entsetzlich und unbegreiflich?“„Hauptsache vergessen!“„Nun? Redet nur!“„Trüffeln!“Jetzt musste ich hell auflachen.„Oh, das ist allerdings entsetzlich. Sir, zumal ich im La-

ger der Abu Hammed ganze Säcke voll davon stehen sah.“„Wo nun Trüffeln her?“„Wir werden morgen Trüffeln haben, verlasst Euch darauf!“„Schön! Gute Nacht, Sir!“Ich schlief ein, ohne mit den drei Kranken gesprochen

zu haben. Am andern Morgen stand ich schon früh beiihnen. Die Körbe waren so gestellt, dass ihre Insassen einan-der sehen konnten. Ihr Aussehen war ein wenig besser ge-worden und sie hatten sich bereits so erholt, dass ihnendas Sprechen keine Beschwerden mehr machte.

Wie ich bald bemerkte, sprachen alle drei sehr gut Ara-bisch, obgleich sie gestern in halbbewusstlosem Zustandnur Worte ihrer Muttersprache hervorgebracht hatten. Alsich mich ihnen nahte, erhob sich der eine und sah michfreudig forschend an.

„Du bist es!“, rief er, ehe ich grüßen konnte. „Du bistes! Ich erkenne dich wieder!“

„Wer bin ich, mein Freund?“„Du warst es, der mir erschien, als der Tod die Hand

nach meinem Herzen ausstreckte. O Kara Ben Nemsi Effendi,wie danke ich dir!“

„Wie, du kennst meinen Namen?“

428

„Wir kennen ihn, denn dieser gute Hadschi Halef Omarhat uns sehr viel von dir erzählt, seit wir aufgewacht sind.“

Ich drehte mich zu Halef um:„Plaudertasche!“„Sihdi, darf ich denn nicht von dir sprechen?“, vertei-

digte sich der Kleine.„Ja, aber ohne Prahlerei.“Dann wandte ich mich wieder zu den Kranken.„Seid ihr so gekräftigt, dass ihr reden könnt?“„Ja, Effendi.“„So erlaubt mir zu fragen, wer ihr seid.“„Ich heiße Pali, dieser heißt Selek und dieser Melaf.“„Wo ist eure Heimat?“„Unsere Heimat heißt Baadri, im Norden von Mossul.“„Wie kamt ihr in die Lage, in der ich euch fand?“„Unser Scheik sandte uns nach Bagdad, um dem Statt-

halter Geschenke und einen Brief von ihm zu bringen...“„Nach Bagdad? Gehört ihr nicht nach Mossul?“„Effendi, der Gouverneur von Mossul ist ein böser Mann,

der uns sehr bedrückt; der Statthalter von Bagdad aberbesitzt das Vertrauen des Großherrn, er sollte für uns bitten.“

„Wie seid ihr da gereist? Nach Mossul und den Stromherab?“

„Nein. Wir gingen nach dem Gomel-Fluss, bauten unsein Floß, fuhren darauf in den Ghasir Sû weiter und vonda in den Sab el Kebir, der in den Tigris mündet. Dortlandeten wir und wurden während des Schlafs vom Scheikder Abu Hammed überfallen.“

„Er beraubte euch?“„Er nahm uns die Geschenke, den Brief und alles ab,

was wir bei uns trugen. Dann wollte er uns zwingen, andie Unsrigen zu schreiben, damit sie ein Lösegeld schi-cken sollten.“

„Ihr tatet es nicht?“„Nein, denn wir sind arm und können kein Lösegeld

bezahlen.“

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„Aber euer Scheik?“„Auch an ihn sollten wir schreiben, aber wir weigerten

uns ebenso. Er hätte es gezahlt, aber wir wussten, dass esvergebens sein würde, da man uns dennoch getötet hätte.“

„Ihr hattet Recht. Man hätte euch das Leben genom-men, selbst wenn das Lösegeld gezahlt worden wäre.“

„Nun wurden wir gepeinigt. Wir erhielten Schläge, wur-den stundenlang an Händen und Füßen aufgehängt undendlich in die Erde gegraben.“

„Und diese ganze, lange Zeit hindurch wart ihr gefes-selt?“

„Ja.“„Ihr wisst, dass euer Henker sich in unseren Händen

befindet?“„Hadschi Halef Omar hat es uns erzählt.“„Der Scheik soll seine Strafe erhalten!“„Effendi, vergilt es ihm nicht!“„Wie?“„Du bist ein Moslem, wir aber haben eine andere Reli-

gion. Wir sind dem Leben wiedergegeben worden undwollen ihm verzeihen.“

Das also waren Teufelsanbeter!„Ihr irrt euch“, sagte ich, „Ich bin kein Moslem, son-

dern ein Christ.“„Ein Christ?“, rief er überrascht. „Was für einer bist du,

Effendi? Ein Chaldäer?“„Nein. Ich bin ein Franke.“„Kennst du die Jungfrau, die Gott geboren hat?“„Ja.“„Kennst du Isa 1, den Sohn des Vaters?“„Ja.“„Kennst du die heiligen Engel, die am Thron Gottes ste-

hen?“„Ja.“„Kennst du die heilige Taufe?“

1 Jesus

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„Ja.“„Glaubst du auch, dass Isa, der Sohn Gottes, wieder-

kommen wird?“„Ich glaube es.“„O Effendi, dein Glaube ist gut! Wir freuen uns, dass

wir dich getroffen haben! Erzeige uns also die Liebe undvergib dem Scheik der Abu Hammed, was er uns getanhat!“

Nach dieser kurzen Unterredung wurde der Marsch fort-gesetzt. Bei Kalat el Dschebbar gelang es mir, eine MengeTrüffeln zu entdecken, worüber der Engländer in Entzü-cken geriet. Er suchte sich einen Vorrat zusammen undversprach mir, mich zu einer Trüffelpastete einzuladen, dieer selbst bereiten werde.

Als der Mittag vorüber war, lenkten wir zwischen dieBerge von Khanuke und Mukehil ein und hielten geradeauf das Wadi Deradsch zu. Ich hatte unsere Ankunft mitVorbedacht nicht melden lassen, um den guten ScheikMohammed Emin zu überraschen; aber die Wachen derAbu Mohammed bemerkten uns und gaben das Zeichenzu einem Jubel, der das ganze Tal erfüllte. MohammedEmin und Malek kamen uns sofort entgegengeritten undbewillkommneten uns. Meine Herde war die erste, dieanlangte.

Es gab hinüber auf die Weideplätze der Haddedihn kei-nen andern Weg als durch das Wadi hindurch. Hier be-fanden sich noch sämtliche Kriegsgefangene und man kannsich die Blicke der Abu Hammed vorstellen, als sie einihnen bekanntes Tier nach dem andern an sich vorbeige-hen lassen mussten. Endlich waren wir wieder auf derEbene und nun stieg ich vom Pferd.

„Wer ist in den Tachtirewanat?“, fragte MohammedEmin.

„Drei Männer, die Scheik Zedar zu Tode martern wollte.Ich werde dir noch von ihnen erzählen. Wo sind die ge-fangenen Scheiks?“

431

„Hier im Zelt. Da kommen sie.“Sie traten soeben heraus. Die Augen des Scheiks der Abu

Hammed blitzten tückisch, als er seine Herde erkannte,und er trat auf mich zu.

„Hast du mehr gebracht, als du sollst?“„Du meinst Tiere?“„Ja.“„Ich habe die Zahl gebracht, die mir befohlen war.“„Ich werde zählen!“„Tu es“, antwortete ich kalt. „Aber dennoch habe ich

mehr gebracht, als ich sollte.“„Was?“„Willst du es sehen?“„Ich muss es sehen!“„So rufe jenen dort herbei.“Ich zeigte dabei auf seinen älteren Sohn, der soeben am

Eingang des Zeltes erschien. Er rief ihn herbei.„Kommt alle mit!“, sagte ich.Mohammed Emin, Malek und die Scheiks folgten mir

nach dem Ort, wo sich die drei Kamele mit den Tachtirewanatniedergelassen hatten. Halef ließ gerade die Jesidi ausstei-gen.

„Kennst du diese Männer?“, fragte ich Zedar Ben Huli.Er fuhr erschrocken zurück, sein Sohn ebenfalls.„Die Jesidi!“, rief er.„Ja, die Jesidi, die du langsam morden wolltest, wie du

schon viele gemordet hast, Ungeheuer!“Da funkelte er mich mit wahren Pantheraugen an.„Was hat er getan?“, fragte Esla el Mahem, der Obejde.„Lass es dir erzählen! Du wirst erstaunen, was für ein

Mensch dein Kampfgefährte gewesen ist.“Ich schilderte, auf welche Weise und in welchem Zu-

stand ich die drei Männer getroffen hatte. Als ich schwieg,traten alle von ihm zurück. Dadurch wurde der Blick aufden Eingang des Tals frei, wo sich in diesem Augenblickdrei Reiter zeigten: Lindsay mit seinen beiden Dienern.

432

Er hatte sich verspätet. Neben seinem Pferd schleppte sichder jüngere Sohn des Scheik einher.

Dieser sah den jungen Menschen und wandte sich au-genblicklich wieder zu mir:

„Was ist das! Mein zweiter Sohn gefangen?“„Wie du siehst!“„Was hat er getan?“„Er war der Gehilfe deiner Schandtaten. Deine beiden

Söhne sollten den Kopf ihres in die Erde gegrabenen Va-ters zwei Tage lang bewachen – eine Strafe, die viel zu ge-ring für dich und für deine Söhne ist. Geh hin und bindedeine Jüngsten los!“

Da sprang er zu dem Pferd des Engländers und griff nachdem Strick. Sir David war soeben abgestiegen, wehrte dieHand des Scheiks ab und rief:

„Pack dich! Dieser Bursche ist mein!“Da riss der Scheik dem Englishman eine seiner Riesen-

pistolen aus dem Gürtel, schlug an und feuerte. Lindsayhatte sich blitzschnell umgedreht, dennoch traf ihn dieKugel in den Arm, im nächsten Augenblick aber krachteein zweiter Schuss. Bill, der Irländer, hatte sein Büchseerhoben, um seinen Herrn zu verteidigen, und seine Ku-gel fuhr dem Scheik durch den Kopf. Dessen beiden Söh-ne warfen sich auf den Schützen, wurden aber handfestempfangen und überwältigt.

Ich wandte mich schaudernd ab. Die Züchtigung, dieich dem Missetäter zugedacht hatte, wäre zu unbedeutendgewesen. Und nun war auch mein Wort erfüllt, das ichjener Frau gegeben hatte: Der Scheik kehrte nicht in seinLager zurück.

Es verging eine Weile, bis wir alle unsere Ruhe wieder-erlangt hatten. Da kam zunächst die Frage Halefs:

„Sihdi, wohin soll ich diese drei Männer bringen?“„Das mag der Scheik bestimmen“, lautete meine Ant-

wort.Dieser trat zu den dreien.

433

„Marhaba – ihr sollt mir willkommen sein! Bleibt bei Mo-hammed Emin, bis ihr euch von euren Leiden erholt habt!“

Da blickte Selek schnell empor.„Mohammed Emin?“, fragte er.„So heiße ich.“„Du bist ein Schammar?“„Die Haddedihn gehören zu den Schammar.“„O Scheik, so habe ich eine Botschaft an dich!“„Sage sie!“„Es war in Baadri, und ehe wir unsere Reise antraten, ging

ich zum Bach, um zu schöpfen. An diesem lag ein TruppArnauten, die einen jungen Mann bewachten. Er bat mich,ihm zu trinken zu geben, und während er tat, als trinke er,flüsterte er mir zu: ‚Geh zu den Schammar, zu Moham-med Emin, meinem Vater, und sage ihm, dass ich nachAmadije geschafft werde!‘ Dies ist es, was ich dir zu sagenhabe.“

Der Scheik taumelte zurück.„Amad el Ghandur, mein Sohn!“, rief er. „Er war es, er

war es! Wie war er gestaltet?“„So lang und noch breiter als du, und sein schwarzer

Bart hing ihm bis zur Brust herab.“„Er ist es! Hamdulillah! Endlich, endlich habe ich eine

Spur von ihm! Freut euch, ihr Männer, freut euch mit mir,denn heute soll ein Festtag sein für alle, mögen sie nunFreunde oder Feinde heißen! Wann war es, als du mit ihmgeredet hast?“

„Sechs Wochen sind seitdem vergangen, Herr!“„Ich danke dir! Sechs Wochen, eine lange Zeit! Aber er

soll nicht länger schmachten; ich hole ihn, und wenn ichganz Amadije erobern und zerstören müsste! Kara BenNemsi Effendi, reitest du mit oder willst du mich bei die-ser Fahrt verlassen?“

„Ich reite mit!“„Allah segne dich! – Kommt, lasst uns diese Botschaft

allen Männern der Haddedihn verkündigen!“

434

Er eilte dem Wadi zu und Halef trat zu mir heran mitder Frage:

„Sihdi, ist es wahr, dass du mitgehst?“„Ich gehe mit.“„Sihdi, darf ich dir folgen?“„Halef, denke an dein Weib!“„Hanneh ist in guter Hut, aber du, Sihdi, brauchst ei-

nen treuen Diener! Darf ich dich begleiten?“„Gut, so nehme ich dich mit; doch frage vorher Scheik

Mohammed Emin und Scheik Malek, ob sie es erlauben.“

435

18. Beim Pascha von Mossul

So war ich denn in Mossul und erwartete eine Audienzbei Schekib Halil Pascha, dem Mutaßarryf1 des Ssandschak2.

Ich sollte mit Mohammed Emin hinauf in die kurdi-schen Gebirge reisen, um seinen Sohn Amad el Ghandurdurch List oder Gewalt aus der Festung Amadije heraus-zuholen: eine Aufgabe, die nicht ohne weiteres zu lösenwar. Der tapfere Scheik der Haddedihn wäre am liebstenmit den Kriegern seines Stammes aufgebrochen, um sichdurch das türkische Gebiet zu schlagen und Amadije freiund offen zu überfallen; doch gab es hundert dringendeGründe, die die Ausführung eines so fantastischen Plansunmöglich machten. Ein einzelner Mann hatte hier mehrHoffnung auf Erfolg als eine ganze Herde von Beduinen,und so war Mohammed Emin endlich auf meinen Vor-schlag eingegangen, das Unternehmen nur zu dritt auszu-führen. Diese drei waren: er, Halef und ich.

Freilich hatte es einen großen Aufwand an Überredunggekostet, um Sir David Lindsay, der sich gar zu gern ange-schlossen hätte, klarzumachen, dass er mit seinem Mangelan Sprachkenntnis und Anpassungsfähigkeit uns mehrSchaden als Nutzen bringen würde; aber er hatte sichschließlich doch entschlossen, bei den Haddedihn zu blei-ben und dort unsere Rückkehr zu erwarten. Dort konnteer sich des verwundeten Griechen Alexandros Koletis alsDolmetscher bedienen und nach Fowlingbulls graben. DieHaddedihn hatten versprochen, ihm Ruinen zu zeigen, soviel er wolle.

Die Streitigkeiten mit ihren Feinden waren geschlichtetworden. Die drei Stämme hatten sich unterworfen undGeiseln bei den Siegern zurücklassen müssen. So kam es,dass Mohammed Emin bei den Seinen entbehrt werdenkonnte. Er war natürlich nicht mit nach Mossul geritten,da er dort außerordentlich gefährdet gewesen wäre; wir hat-

1 Statthalter 2 Regierungsbezirk

436

ten uns vielmehr verabredet, in den Ruinen von Khorsabad,dem alten assyrischen Saraghum, wieder zusammenzutref-fen. Wir waren also zusammen durch das Wadi Murr nachKhal Khan und El Kasr geritten. Dort aber hatten wir unsgetrennt: Ich war mit Halef nach Mossul gereist, und derScheik hatte mit Hilfe eines Floßes seine Überfahrt überden Tigris bewerkstelligt, um auf der andern Seite des Flus-ses unser Stelldichein zu erreichen.

Was aber wollte ich in Mossul? Etwa den Vertreter Eng-lands aufsuchen, um mir seinen Schutz zu erbitten? Dasfiel mir gar nicht ein, denn ich war ohne ihn wenigstensebenso sicher wie mit ihm. Den Pascha aber musste ichaufsuchen, das war unumgänglich notwendig; denn ichwollte mich mit allem ausrüsten, was unser Vorhaben zufördern vermochte.

Es war eine fürchterliche Hitze in Mossul. Ein Blick aufdas Thermometer zeigte mir 46 Grad Celsius im Schat-ten, wenn ich mich zu ebener Erde befand. Ich hatte michaber in einem jener Serdâbs1 eingemietet, in denen dieBewohner der Stadt während der heißen Jahreszeit ihrenAufenthalt zu nehmen pflegen.

Halef saß bei mir und putzte seine Pistolen. Es hatte länge-res Stillschweigen zwischen uns geherrscht, doch sah ich esdem Kleinen an, dass er irgendetwas auf dem Herzen hatte.

Endlich drehte er sich mit einem raschen Ruck zu mirherum und sagte:

„Daran hatte ich nicht gedacht, Sihdi!“„Woran?“„Dass wir die Haddedihn niemals wieder sehen würden.“„Ah! Warum?“„Du willst nach Amadije, Sihdi?“„Ja. Du weißt dies ja längst.“„Ich habe es gewusst, aber der Weg, der dorthin führt,

den habe ich nicht gekannt. Allah us’ Allah! Es ist der Wegzum Tod und in die Dschehenna!”

1 Keller

437

Er schnitt dabei das bedenklichste Gesicht, das ich je beiihm gesehen hatte.

„So gefährlich, Hadschi Halef Omar?“„Du glaubst es nicht, Sihdi? Habe ich nicht gehört, dass

du auf diesem Weg die drei Männer besuchen willst, diesich Pali, Selek und Melaf nennen, die drei Männer, diedu auf der Insel Abu Hammed gerettet hast und die, nach-dem sie sich bei den Haddedihn erholt hatten, nach ihrerHeimat zogen?“

„Ich werde sie besuchen.“„Dann sind wir verloren. Du und ich, wir beide sind

wahre Gläubige; aber jeder Gläubige, der zu ihnen kommt,hat das Leben und den Himmel verloren.“

„Das ist mir neu, Hadschi Halef! Wer hat es dir gesagt?“„Das weiß jeder Moslem. Hast du noch nie erfahren, dass

das Land, in dem sie wohnen, Schejtanistan genannt wird?“Ah, jetzt wusste ich, was er meinte! Er fürchtete sich vor

den Jesidi, den Teufelsanbetern. Dennoch aber stellte ichmich ahnungslos und fragte:

„Schejtanistan, das Land des Teufels? Warum?“„Es wohnen die Ridschâl esch Schejtan dort, die Män-

ner des Teufels, die den Schejtan anbeten.“„Hadschi Halef Omar, wo gibt es Leute, die den Teufel

anbeten!“„Du glaubst es nicht? Hast du noch nie von solchen Leu-

ten gehört?“„Oh ja, ich habe sogar solche Leute gesehen. Aber nicht

hier. Ich war in einem Land, weit jenseits des großen Mee-res; die Franken nennen es Australien. Dort fand ich wil-de Männer, die einen Schejtan haben, dem sie den Na-men Jahu geben. Den beten sie an. Hier aber gibt es keineLeute, die den Teufel anbeten.“

„Sihdi, du bist klüger als ich und klüger als viele Leute,zuweilen aber ist deine Klugheit und deine Weisheit ganz ver-flogen. Frage einen jeden Mann, der dir begegnet, und er wirddir sagen, dass man in Schejtanistan den Teufel anbetet.“

438

„Warst du dabei, als sie ihn anbeteten?“„Nein. Ich habe es aber gehört.“„Waren denn jene Leute dabei, von denen du es gehört

hast?“„Sie hatten es auch von anderen gehört.“„So will ich dir sagen, dass es noch kein Mensch gese-

hen hat; denn die Jesidi lassen keinen Menschen bei ihrenGottesdiensten gegenwärtig sein, wenn er einen anderenGlauben hat als sie.“

„Aber dennoch weiß man alles, was sie tun.“„Nun?“„Hast du noch nicht gehört, dass man sie Tschyra ßöndüren

nennt?“„Ja.“„Das muss ein böser Name sein, ich weiß nicht, was er

bedeutet.“„Er bedeutet so viel wie Verlöscher des Lichts.“„Siehst du, Sihdi! Bei ihren Gottesdiensten, bei denen

auch die Frauen und Mädchen gegenwärtig sind, wird dasLicht verlöscht.“

„Da hat man dir eine große Lüge gesagt. Man hat die Jesidimit einer anderen Sekte1 verwechselt, bei der dies vorkom-men soll. Was weißt du noch von ihnen?“

„In ihren Gotteshäusern steht ein Hahn oder ein Pfau-hahn, den sie anbeten, und das ist der Teufel.“

„O Halef! Wie kurz sind deine Gedanken! Sage mir: Ha-ben diese Jesidi viele Gotteshäuser?“

„Ja.“„Und in jedem steht ein Hahn?“„Ja.“„Wie viele Teufel müsste es dann geben! Ich denke, es

gibt nur einen?“„O Sihdi, es gibt nur einen einzigen, aber der ist über-

all. Doch sie haben auch falsche Engel.“„Inwiefern?“

1 Mit den Assyren in Syrien

439

„Du weißt, der Korân lehrt, dass es nur vier Erzengelgibt, nämlich Dschibrajl1, Asrajl, den Todesengel, den manauch Abu Jahah nennt, dann Mikajl und endlich Israfil.Die Teufelsanbeter haben aber sieben Erzengel und dieseheißen Gabrajl, Michajl, Rafajl, Asrajl, Dedrajl, Asrafil undSchemkil. Ist dies nicht falsch?“

„Es ist nicht falsch, denn auch ich glaube, dass es siebenErzengel gibt.“

„Du? Warum?“, fragte er erstaunt.„Das heilige Buch der Christen sagt es2 und dem glaube

ich mehr als dem Korân.“„O Sihdi, was muss ich hören! Du warst in Mekka, bist

ein Hadschi und glaubst mehr an das Kitâb der Ungläubi-gen als an die Worte des Propheten! Nun wundere ich michnicht, dass du zu den Jesidi willst!“

„Du kannst wieder umkehren. Ich gehe allein!“„Umkehren? Nein! Es ist vielleicht doch möglich, dass

Mohammed nur von vier Engeln redet, weil die anderndrei gerade nicht im Himmel weilten, als er oben war. Siehatten auf der Erde zu tun und er lernte sie also nichtkennen.“

„Ich sage dir, Hadschi Halef Omar, dass du dich vorden Teufelsanbetern nicht zu fürchten brauchst. Sie betenden Schejtan nicht an, sie nennen ihn nicht einmal beimNamen. Sie sind reinlich, treu, dankbar, tapfer und auf-richtig und das findest du bei den Gläubigen wohl selten.Übrigens kommst du bei ihnen nicht um die Seligkeit,denn sie werden dir deinen Glauben nicht nehmen.“

„Sie werden mich nicht zwingen, den Teufel anzubeten?“„Nein. Ich versichere es dir!“„Aber sie werden uns töten!“„Weder mich noch dich.“„Sie haben aber so viele andere getötet; allerdings keine

Christen, sondern nur Moslemin.“„Sie haben sich nur gewehrt, als sie ausgerottet werden

1 Gabriel 2 Siehe Buch Tobias 12, 15, Offenbarung 1,4 und 4,5

440

sollten. Und sie töteten deshalb nur Moslemin, weil sie nurvon diesen und nicht von den Christen angegriffen wur-den.“

„Aber ich bin ein Moslem!“„Sie sind deine Freunde, weil sie die meinigen sind. Hast

du nicht drei ihrer Männer gepflegt, bis sie wieder gesundwaren?“

„Es ist wahr, Sihdi. Ich werde dich nicht verlassen, sondernmit dir gehen!“

Da hörte ich Schritte die Treppe herabkommen. Zwei Män-ner traten ein. Es waren zwei albanische Aghas von den Frei-scharen des Pascha. Sie blieben am Eingang stehen undeiner von ihnen fragte:

„Bist du der Ungläubige, den wir führen sollen?“Ich war auf keinen Fall gewillt, mich beschimpfen zu

lassen. Der Fragende erwartete natürlich eine Antwort, ichaber gab ihm keine; ja ich tat sogar, als hätte ich ihn wedergesehen noch gehört.

„Bist du taub und blind, dass du nicht antwortest?“, frag-te er barsch.

Die Arnauten sind rohe und zügellose, gefährliche Leu-te, die bei der geringsten Veranlassung nicht nur nach denWaffen greifen, sondern sie auch gebrauchen; ich beab-sichtigte aber nicht, mir ihre Art und Weise so ohne wei-teres gefallen zu lassen. Daher zog ich, wie unwillkürlich,den Revolver aus der Hawk1 und wandte mich an meinenDiener:

„Hadschi Halef Omar Agha, sage mir, ob jemand hierist!“

„Ja.“„Wer ist es?“„Es sind zwei Sabits2, die mit dir sprechen wollen.“„Wer sendet sie?“„Schekib Halil Pascha, dem Allah ein langes Leben ver-

leihen möge!“

1 Gürtel 2 Offiziere

441

„Das ist nicht wahr! Der Pascha – Allah schütze ihn! –würde mir höfliche Leute senden. Sage diesen Männern,die ein Schimpfwort statt des Grußes auf den Lippen tra-gen, dass sie gehen sollen. Sie mögen dem, der sie sandte,die Worte wiederholen, die ich mit dir gesprochen habe!“

Sie fuhren mit den Händen nach den Kolben ihrer Pis-tolen und sahen einander fragend an. Ich richtete wie zu-fällig den Lauf meiner Waffe auf sie und runzelte so fins-ter wie möglich die Stirn.

„Nun, Hadschi Halef Omar Agha, was habe ich dir be-fohlen?“

Ich sah es dem kleinen Mann an, dass mein Verhaltenganz nach seinem eigenen Geschmack war. Auch er hattebereits eine seiner Pistolen in der Hand und nun wandteer sich mit seiner stolzesten Miene dem Eingang zu:

„Hört, was ich euch zu sagen habe! Dieser tapfere undberühmte Effendi heißt Kara Ben Nemsi und ich binHadschi Halef Omar Agha Ben Hadschi Abul Abbas IbnHadschi Dawuhd al Gossarah. Ihr habt gehört, was meinEffendi sagte. Geht und tut, wie er euch befohlen hat.“

„Wir gehen nicht, der Pascha hat uns gesandt!“„So geht wieder zum Pascha und sagt ihm, dass er uns

höfliche Männer sende! Wer zu meinem Effendi kommt,hat die Schuhe auszuziehen und den Gruß zu sagen.“

„Bei einem Ungläubigen...“Im Nu war ich auf und stand vor ihnen.„Hinaus!“Im nächsten Augenblick war ich mit Halef wieder al-

lein. Sie mochten mir doch angesehen haben, dass ich kei-ne Lust hatte, mir von ihnen Vorschriften geben zu lassen.Man muss den Orientalen zu behandeln verstehen. DerAbendländer, der sich missachtet sieht, trägt selbst dieSchuld. Ein wenig persönlicher Mut und eine möglichstgroße Dosis Unbescheidenheit, unterstützt von der liebenTugend, die man bei uns Grobheit nennen würde, sindunter gewissen Voraussetzungen von allerbestem Erfolg.

442

Allerdings gibt es auch Verhältnisse, in denen man gezwun-gen ist, sich einiges gefallen zu lassen. Dann ist es abersehr geraten, sich so zu verhalten, als ob man gar nichtsbemerkt habe. Freilich gehört nicht nur Kenntnis der Ver-hältnisse und Berücksichtigung des einzelnen Falls, son-dern auch eine gute Übung dazu, um zu entscheiden, wasdann besser und klüger ist: Grobheit oder Geduld undSelbstüberwindung, die Hand an der Waffe oder – dieHand im Beutel.

„Sihdi, was hast du getan!“, rief Halef.Er fürchtete trotz seiner Unerschrockenheit doch die

Folgen meines Verhaltens.„Was ich getan habe? Nun, die beiden Lümmel hinaus-

gewiesen!“„Kennst du diese Arnauten?“„Sie sind blutgierig und rachsüchtig.“„Das sind sie. Hast du in Kahira nicht gesehen, dass

einer von ihnen eine alten Frau bloß deshalb niederschoss,weil sie ihm nicht auswich? Sie war blind.“

„Ich habe es gesehen. Diese hier aber werden uns nichtniederschießen.“

„Des Paschas wegen? Kennst du ihn?“„Er ist ein sehr guter Mann!“„Oh, sehr gut, Sihdi! Halb Mossul ist leer, weil sich alle

vor ihm fürchten. Kein Tag vergeht, ohne dass zehn oderzwanzig die Bastonade erhalten. Wer reich ist, lebt mor-gen nicht mehr und sein Vermögen gehört dem Pascha. Erhetzt die Stämme der Araber aufeinander und bekriegtdann den Sieger, um ihm die Beute abzunehmen. Er sprichtzu seinen Arnauten: ‚Geht, zerstört, mordet, aber bringtmir Geld!‘ Sie tun es und er wird reicher als der Padyschah.Wer heute noch sein Vertrauter ist, den lässt er morgeneinstecken und übermorgen köpfen. Sihdi, was wird er mituns tun?“

„Das müssen wir abwarten.“„Ich will dir etwas sagen, Sihdi. Sobald ich sehe, dass er

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uns etwas Böses zufügen will, werde ich ihn niederschie-ßen. Ich sterbe nicht, ohne ihn mitzunehmen.“

„Du wirst gar nicht in die Lage kommen, denn ich geheallein zu ihm.“

„Allein? Das gebe ich nicht zu! Ich gehe mit!“„Darf ich dich mitnehmen, wenn er nur mich bei sich

sehen will?“„Allah! So werde ich hier warten. Aber ich schwöre es

dir bei allen Kalifen: Wenn du am Abend noch nicht zu-rück bist, so lasse ich ihm sagen, dass ich ihm etwas Wich-tiges mitzuteilen hätte; er wird mich empfangen und dannschieße ich ihm alle beide Kugeln meiner Doppelpistoledurch den Kopf!“

Es war sein Ernst und ich bin überzeugt, er hätte es ge-tan, der wackere Kleine. Einen solchen Schwur hätte ernicht gebrochen.

„Aber Hanneh?“, fragte ich.„Sie soll weinen, aber stolz auf mich sein. Sie soll nicht

einen Mann lieben, der seinen Sihdi töten lässt!“„Ich danke dir, mein guter Halef! Aber ich bin über-

zeugt, dass es nicht so weit kommen wird.“Nach einer Weile vernahmen wir wieder Schritte. Ein

gewöhnlicher Soldat trat ein. Er hatte die Schuhe draußenausgezogen.

„Ssabahynys hajyr olßun – guten Morgen!“, grüßte er.„Ssabahynys hajyr olßun! Was willst du?“„Bist du der Effendi, der mit dem Pascha reden will?“„Ja.“„Der Pascha – Allah schenke ihm tausend Jahre! – hat

dir eine Sänfte gesandt. Du sollst zu ihm kommen!“„Geh hinauf. Ich komme gleich!“Als er hinaus war, sagte Halef:„Sihdi, siehst du, dass es gefährlich wird?“„Warum?“„Er sendet keinen Agha, sondern einen gewöhnlichen

Soldaten!“

444

„Es mag sein, aber mach dir keine Sorge!“Ich stieg die wenigen Stufen hinauf. Ah! Vor dem Haus

hielt ein Trupp von etwa zwanzig Arnauten. Sie waren bisan die Zähne bewaffnet und einer der beiden Aghas, dievorher bei mir gewesen waren, befehligte sie. Zwei Hammâls1

hielten einen Tragsessel bereit.„Steig ein!“, gebot mir der Agha mit finsterer Miene.Ich tat es möglichst unbefangen. Die Eskorte ließ mich

vermuten, dass ich so halb und halb Gefangener sei. Ichwurde im Trab fortgetragen, bis man vor einem Tor hielt.

„Steig aus und folge mir!“, befahl der Agha im vorigenTon.

Er führte mich eine Treppe empor nach einem Zimmer,in dem verschiedene Offiziere standen, die mich mit fins-teren Blicken musterten. Am Eingang saßen einige Zivilis-ten, Einwohner der Stadt, denen man es ansah, dass siesich hier in der Höhle des Löwen nicht sehr wohl fühlten.Ich wurde sofort angemeldet, zog meine Sandalen aus, dieich zu diesem Zweck angelegt hatte, und trat ein:

„Es selâm ’alejkum!“, grüßte ich, verschränkte die Armeüber die Brust und verbeugte mich.

„’Alej...“Der Pascha unterbrach sich aber sofort und fragte dann:„Dein Bote hat gesagt, dass ein Alaman mit mir reden

wolle?“„So ist es.“„Sind die Deutschen Moslemin?“„Nein. Sie sind Christen.“„Und dennoch wagst du den Gruß der Gläubigen!“„Du bist ein Moslem, ein Liebling Allahs und ein Lieb-

ling des Padyschah – Gott beschirme ihn! – Soll ich dichmit dem Gruß der Heiden bedenken, die keinen Gott undkein heiliges Buch haben?“

„Du bist kühn, Fremdling!“Es war ein eigentümlicher, lauernder Blick, den er mir

1 Träger

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zuwarf. Schekib Halil Pascha war nicht groß und von sehrhagerer Gestalt; sein Gesicht wäre sehr gewöhnlich gewe-sen, wenn der Zug von Schlauheit und Grausamkeit ge-fehlt hätte, der sofort auffallen musste. Dabei war ihm dierechte Wange stark geschwollen und neben ihm stand einsilbernes, mit Wasser gefülltes Becken, das ihm als Spuck-napf diente. Seine Kleidung bestand ganz aus Seide. DerGriff seines Dolches und die Agraffe an seinem Turbanfunkelten von Diamanten, seine Finger glänzten von Rin-gen und die Wasserpfeife, aus der er rauchte, war eine derkostbarsten, die ich je gesehen hatte.

Nachdem er mich eine Weile von Kopf bis Fuß gemus-tert hatte, fragte er weiter:

„Warum hast du dich nicht durch einen Konsul vorstel-len lassen?“

„Die Deutschen haben keinen Konsul in Mossul unddie anderen Konsuln sind mir ebenso fremd wie du selbst.Ein Konsul kann mich nicht besser und schlechter ma-chen, als ich bin, und du hast ein scharfes Auge; du brauchstmich nicht durch das Auge eines Konsuls kennen zu ler-nen.“

„Maschallah! Du sprichst wirklich sehr kühn! Du sprichst,als ob du ein sehr großer Mann seiest!“

„Würde ein anderer Mann es wagen, dich zu besuchen?“Dies war nun allerdings sehr unverfroren, aber ich sah

auch gleich, dass es den erwarteten Eindruck machte.„Wie heißt du?“„Exzellenz, ich habe verschiedene Namen.“„Verschiedene? Ich denke, der Mensch hat nur einen

Namen!“„Gewöhnlich. Bei mir aber ist es anders, denn in jedem

Land und bei jedem Volk, das ich besuchte, hat man michanders genannt.“

„So hast du viele Länder und viele Völker gesehen?“„Ja.“„Nenne die Völker!“

446

„Die Osmanlylar, Franßisler, Ingilisler, Espanjollar...“Ich konnte ihm eine hübsche Reihe von Namen nennen

und setzte natürlich aus Höflichkeit die Türken voran.Seine Augen wurde bei jedem Wort größer. Endlich platz-te er heraus:

„Tschok schej1! – Gibt es so viele Völker auf der Erde?“„Noch viel mehr!“„Allah akbar! Er hat so viele Nationen geschaffen, wie

Ameisen in einem Haufen sind. Du bist noch jung. Wiekannst du so viele Länder besucht haben? Wie alt warstdu, als du aus Almanja gingst?“

„Ich zählte achtzehn Jahre, als ich über die See nach Jenidünja2 kam.“

„Und was bist du?“„Ich schreibe Zeitungen und Bücher, die dann gedruckt

werden.“„Was schreibst du da?“„Ich schreibe meist, was ich sehe und höre, was ich erle-

be.“„Kommen in diesen Gaseteler3 auch die Männer vor, mit

denen du zusammentriffst?“„Nur die vorzüglichsten.“„Auch ich?“„Auch du.“„Was würdest du über mich schreiben?“„Wie soll ich das jetzt schon wissen, o Pascha? Ich kann

die Leute doch nur so beschreiben, wie sie sich gegen michverhalten haben.“

„Und wer liest das?“„Viele Tausende von hohen und niederen Männern.“„Auch Paschas und Fürsten?“„Auch sie.“In diesem Augenblick ertönte vom Hof herauf der Schall

von Schlägen, begleitet vom Wimmern eines Gezüchtig-ten. Ich horchte unwillkürlich auf.

1 Ausruf des Erstaunens 2 Amerika, eigentlich „Neue Welt“ 3 Zeitungen

447

„Höre nicht darauf“, mahnte der Pascha. „Es ist meinHekim.“

„Dein Arzt?“, fragte ich verwundert.„Ja. Hast du einmal Disch aghryßy1 gehabt?“„Als Kind.“„So weißt du, wie es ist. Ich habe einen kranken Zahn.

Dieser Hund sollte ihn mir herausnehmen, aber er mach-te es so ungeschickt, dass es mir zu weh tat. Nun wird erdafür ausgepeitscht. Jetzt kann ich den Mund nicht zu-bringen.

Den Mund nicht zubringen? Sollte der Zahn bereits ge-hoben sein?“

Ich beschloss, dies zu benutzen.„Darf ich den kranken Zahn einmal sehen, o Pascha?“„Bist du ein Hekim?“„Bei Gelegenheit.“„So komm her! Unten rechts!“Er öffnete den Mund und ich guckte hinein.„Erlaubst du mir, den Zahn zu befühlen?“„Wenn es nicht weh tut!“Ich hätte dem gestrengen Pascha beinahe ins Gesicht

gelacht. Es war der Eckzahn und er hing so lose zwischendem angeschwollenen Zahnfleisch, dass ich nur der Fingerbedurfte, um die unterbrochene Operation zu vollenden.

„Wie viele Streiche soll der Hekim erhalten?“„Sechzig.“„Willst du ihm die noch fehlenden erlassen, wenn ich

dir den Zahn herausnehme, ohne dass es dich schmerzt?“„Du kannst es nicht!“„Ich kann es!“„Gut! Aber wenn es schmerzt, so bekommst du die Hie-

be, die ihm erlassen werden.“Er klatschte in die Hände und ein Offizier trat herein.„Lasst den Hekim los! Dieser Fremdling hat für ihn ge-

beten.“

1 Zahnschmerzen

448

Der Mann trat mit sehr erstauntem Gesicht zurück.Nun steckte ich dem Pascha zwei Finger in den Mund,

drückte erst – des Hokuspokus wegen – ein wenig an demNachbarzahn herum, fasste dann den kranken Eckzahnund nahm ihn weg. Der Patient zuckte mit den Wimpern,schien aber gar nicht zu ahnen, dass ich den Zahn bereitshatte. Er fasste schnell meine Hand und schob sie von sichweg.

„Wenn du ein Hekim bist, so probiere nicht erst lange!Hier liegt das Ding!“

Er deutete auf den Fußboden. Ich hielt den Zahn unbe-merkt zwischen den Fingern und bückte mich. Der Gegen-stand, den ich da liegen sah, war ein alter, ganz unmöglichgewordener Geißfuß, und daneben lag eine Zahnzange – aberwas für eine! Man hätte mit ihr jede Sorte von Plättstählenaus dem Feuer nehmen können. Ein wenig Spiegelfechte-rei konnte nicht schaden. Ich fuhr dem Pascha mit demGeißfuß in den nicht allzu kleinen Mund.

„Pass auf, ob es weh tut! Bir, iki, ütsch – eins, zwei drei!Hier ist der Ungehorsame, der dir solche Schmerzen be-reitet hat!“ Ich gab ihm den Zahn.

Er sah mich ganz erstaunt an.„Maschallah! Ich habe gar nichts gefühlt!“„So können es die Ärzte der Almanlar, o Pascha!“Er griff sich in den Mund, er besah den Zahn und nun

erst war er überzeugt, dass er von dem Übel befreit wor-den war.

„Du bist ein großer Hekim! Wie soll ich dich nennen?“„Die Beni Arab nennen mich Kara Ben Nemsi.“„Nimmst du jeden Zahn so gut heraus?“„Hm! Unter Umständen!“Er klatschte abermals in die Hände und der vorige Offi-

zier erschien.„Frage überall im Hause nach, ob jemand Zahnschmer-

zen hat!“Der Adjutant verschwand und mir war es ganz so, als

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ob ich jetzt selbst Zahnschmerzen bekommen hätte, ob-wohl die Miene des Pascha sehr gnädig geworden war.

„Warum folgtest du meinem Boten nicht sofort?“, fragte er.„Weil sie mich beschimpften.“„Erzähle!“Ich berichtete ihm das Vorkommnis. Er hörte aufmerk-

sam zu und erhob dann drohend seine Hand.„Du tatest unrecht. Ich hatte befohlen und du musstest

sofort kommen. Danke Allah, dass er dir offenbarte, dieZähne ohne Schmerzen herauszunehmen!“

„Was hättest du mir getan?“„Du wärst bestraft worden. Wie, das weiß ich jetzt nicht.“„Bestraft? Das hättest du nicht getan!“„Maschallah! Warum nicht? Wer sollte mich hindern?“„Der Großherr selbst.“„Der Großherr?“, fragte er verblüfft.„Kein anderer. Ich habe nichts verbrochen und darf wohl

verlangen, dass deine Aghas höflich gegen mich sind. Odermeinst du, dass es nicht notwendig sei, diesen Ausweis zuberücksichtigen? Hier nimm und lies!“

Er öffnete das Papier und legte es, als er einen Blick da-rauf geworfen hatte, sich ehrfurchtsvoll an Stirn, Mundund Herz.

„Ein Bujrultu des Großherrn – Allah segne ihn!“Er las es, legte es zusammen und gab es mir dann zu-

rück.„Du stehst im Schatten des Großherrn! Wie kommst du

dazu?“„Du bist Gouverneur von Mossul! Wie kommst du dazu,

o Pascha?“„Wirklich, du bist sehr kühn! Ich bin Gouverneur des

hiesigen Bezirks, weil die Sonne des Padyschah mich er-leuchtet.“

„Und ich stehe im Schatten des Großherrn, weil seineGnade über mir erglänzte. Der Padyschah hat mir die Er-laubnis gegeben, alle seine Länder zu besuchen, und dann

450

werde ich große Bücher und Zeitungen darüber schrei-ben, wie ich von den Seinigen aufgenommen wurde.“

Das wirkte. Er zeigte neben sich auf den kostbaren Smyr-nateppich.

„Setz dich!“Dann befahl er dem Negerknaben, der vor ihm kauerte,

um seine Pfeife zu bedienen, Kaffee und mir eine Pfeife zubringen.

So saßen wir rauchend und trinkend beieinander, als obwir alte Bekannte seien. Er schien immer mehr Gefallenan mir zu finden, und um mir dies zu beweisen, ließ ermeine beiden arnautischen Aghas eintreten. Er machteihnen ein Gesicht, das ihnen nichts weniger als ein großesGlück verkündete, und fragte:

„Ihr solltet diesen Bej zu mir holen?“„Du befahlst es, o Herr!“, antwortete der eine.„Ihr habt nicht gegrüßt! Ihr habt eure Schuhe anbehal-

ten! Ihr habt ihn sogar einen Ungläubigen genannt!“„Wir taten es, weil du ihn selbst so nanntest.“„Schweig, Hund, und sage ob ich ihn wirklich so ge-

nannt habe!“„Herr, du hast...“„Schweig! Habe ich ihn einen Ungläubigen genannt?“„Nein, o Pascha.“„Und doch hast du es behauptet! Geht hinunter in den

Hof! Es soll ein jeder von euch fünfzig Streiche auf dieFußsohlen erhalten. Meldet es draußen!“

Das war wirklich ein allerliebster Freundschaftsbeweisgegen mich. Fünfzig Hiebe? Es war doch zu viel. Zehnoder fünfzehn hätte ich ihnen gegönnt. So aber mussteich mich ihrer annehmen.

„Du richtest gerecht, o Pascha“, meinte ich daher. „Dei-ne Weisheit ist erhaben, aber deine Güte ist noch größer.Die Gnade ist das Recht aller Kaiser, aller Könige undHerrscher. Du bist der Fürst von Mossul und du wirst deineGnade über diese Männer leuchten lassen!“

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„Über diese Halunken, die dich beleidigt haben? Ist diesnicht ganz so, als ob sie mich beleidigt hätten?“

„Exzellenz, du stehst so erhaben über ihnen wie der Sternüber der Erde. Der Schakal heult die Sterne an, diese aberhören es nicht und leuchten fort. Man wird im Abend-land deine Güte rühmen, wenn ich erzähle, dass du meineBitte erfüllt hast.“

„Diese Hunde sind es nicht wert, dass wir ihnen verge-ben; aber damit du siehst, dass ich dich lieb habe, magihnen die Strafe erlassen sein. Packt euch fort und lassteuch heute nicht mehr vor unserm Angesicht sehen!“

Als sie das Zimmer verlassen hatten, erkundigte er sich:„In welchem Land bist du zuletzt gewesen?“„In Ägypten. Und dann kam ich durch die Wüste hier-

her.“Ich formulierte es so, weil ich keine Lüge machen wollte

und ihm doch auch nicht sagen konnte, dass ich bei denHaddedihn gewesen war.

„Durch die Wüste? Durch welche? Doch durch die desSinai und die syrische! Das ist ein böser Weg; aber dankeGott, dass du ihn eingeschlagen hast!“

„Warum?“„Weil du sonst unter die Schammar-Araber geraten und

von ihnen ermordet worden wärst.“Wenn er das gewusst hätte, was ich ihm verschwieg!„Sind diese Schammar so schlimm, Exzellenz?“, fragte

ich.„Es ist ein freches, räuberisches Gesindel, das ich zu

Paaren treiben werde. Sie zahlen weder Steuer noch Tri-but; daher habe ich bereits begonnen, sie zu vernichten.“

„Du hast deine Truppen gegen sie gesandt?“„Nein. Die Arnauten sind zu besseren Dingen zu ge-

brauchen.“Diese „besseren Dinge“ waren leicht zu erraten: Aus-

rauben der Untertanen, um den Pascha zu bereichern.„Ah, ich errate!“

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„Was errätst du?“„Ein kluger Herrscher schont die Seinen und schlägt die

Feinde, indem er sie untereinander entzweit!“„Wallahi! Die Almanlar sind keine dummen Menschen.

Ich habe es wirklich so gemacht.“„Ist es gelungen?“„Schlecht! Und weißt du, wer die Schuld daran trägt?“„Wer?“„Ein Engländer und ein fremder Emir. Die Haddedihn

sind die tapfersten unter den Schammar. Sie sollten abervernichtet werden, ohne dass das Blut der Meinen floss,und so sandten wir drei andere Stämme gegen sie. Da kamdieser Engländer mit dem Emir und warb andere Stämme,die den Haddedihn halfen. Meine Verbündeten wurden allegetötet oder gefangen genommen. Sie haben den größten Teilihrer Herden verloren und müssen Tribut zahlen.“

„Zu welchem Stamm gehörte dieser Emir?“„Niemand weiß es; aber man sagt, dass er kein Mensch

sei. Er tötet des Nachts den Löwen allein, seine Kugel trifftviele Meilen weit und seine Augen funkeln im Dunkel wiedas Feuer in der Hölle.“

„Kannst du seiner nicht habhaft werden?“„Ich werde es versuchen, aber es ist sehr wenig Hoff-

nung dazu vorhanden. Die Abu Hammed haben ihn be-reits einmal gefangen, er ist ihnen jedoch durch die Luftwieder davongeritten.“

Der gute Pascha schien ein wenig abergläubisch zu sein.Er hatte keine Ahnung davon, dass dieser Teufelskerl so-eben mit ihm Kaffee trank.

„Von wem hast du dies erfahren, Exzellenz?“„Von einem Obejde, der mir als Bote gesandt wurde, als

es bereits zu spät war. Die Haddedihn hatten die Herdenbereits weggenommen.“

„Du wirst sie bestrafen?“„Ja.“„Sogleich?“

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„Ich wollte, aber ich muss ihnen leider noch eine Fristgewähren, obgleich ich meine Truppen bereits vollständigzusammengezogen habe. Warst du schon in den Ruinenvon Kujundschik?“

„Nein.“„Dort ist alles Militär versammelt, das gegen die Schammar

ziehen sollte; jetzt aber werde ich die Leute nach einemandern Ort schicken.“

„Darf ich fragen, wohin?“„Das ist mein Geheimnis und niemand darf es erfahren.

Du weißt wohl auch, dass diplomatische Heimlichkeitensehr streng bewahrt werden müssen.“

Jetzt trat der Mann ein, den er vorhin mit dem Auftragfortgeschickt hatte, einen mit Zahnschmerzen Behaftetenausfindig zu machen. Ich suchte ihm das Ergebnis seinerForschung vom Gesicht abzulesen, denn es war mir kei-neswegs genehm, mit dem alten Geißfuß oder dem Zangen-ungetüm in die Zahnpalisaden eines Arnauten eine Breschereißen zu müssen – und zwar schmerzlos, wie es jedenfallsverlangt wurde.

„Nun?“, fragte der Gouverneur.„Verzeihe, o Pascha, ich habe keinen Menschen gefun-

den, der an Disch aghryßy leidet!“„Auch du selbst leidest nicht daran?“„Nein.“Mir wurde das Herz leicht. Der liebenswürdige Pascha

wandte sich bedauernd zu mir:„Es ist schade! Ich wollte dir Gelegenheit geben, deine

Kunst bewundern zu lassen. Aber vielleicht findet sichmorgen oder übermorgen einer.“

„Morgen und übermorgen werde ich nicht mehr hiersein.“

„Nicht? Du musst bleiben. Du sollst in meinem Palastwohnen und so bedient werden wie ich. – Geh!“

Dieses Wort galt dem Offizier, der sich wieder entfern-te. Ich antwortete:

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„Und doch muss ich für jetzt fort, werde aber wiederkom-men.“

„Wohin willst du gehen?“„Ich will hinauf in die kurdischen Gebirge.“„Wie weit?“„Das ist noch unbestimmt, vielleicht bis zum Tura Schina

oder gar bis nach Dschulamerg.“„Was willst du dort?“„Ich will sehen, was für Menschen es dort gibt und wel-

che Pflanzen und Kräuter in jenen Gegenden wachsen.“„Und warum soll dies so bald geschehen, dass du nicht

einige Tage bei mir bleiben kannst?“„Weil die Pflanzen, die ich suche, sonst verwelken.“„Die Menschen dort oben brauchst du nicht kennen zu

lernen. Es sind kurdische Räuber und einige Jesidi, dieAllah verdammen wolle! Aber die Kräuter? Wozu? Ah, dubist ein Hekim und brauchst Kräuter! Aber hast du nichtdaran gedacht, dass die Kurden dich vielleicht töten werden?“

„Ich bin bei schlimmeren Menschen gewesen als bei ih-nen.“

„Ohne Begleitung? Ohne Arnauten oder Baschybosuks1?“„Ja. Ich habe einen scharfen Dolch und eine gute Büchse

und – ich habe ja auch dich, o Pascha!“„Mich?“„Ja. Deine Macht reicht bis hinauf nach Amadije?“„Gerade so weit. Amadije ist die Grenzfestung meines

Bezirks. Ich habe dort Kanonen und eine Besatzung vondreihundert Albaniern.“

„Amadije muss eine sehr starke Festung sein!“„Nicht nur stark, sondern völlig uneinnehmbar. Sie ist der

Schlüssel gegen das Land der freien Kurden. Aber auch dieunterworfenen Stämme sind widerspenstig und schlimm.“

„Du hast mein Bujrultu gesehen und wirst mir deinenSchutz gewähren. Das ist die Bitte, deretwegen ich zu dir kam.“

1 Das türkische Wort ‚baschybosuk‘ bedeutet eigentlich ‚Zivilist‘, doch gab esum die Zeit, in der diese Erzählung spielt, im Osmanischen Reich eine irreguläreTruppe, die als ‚Baschybosukefrat‘ bezeichnet wurde.

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„Sie soll dir gewährt sein, doch unter einer Bedingung.“„Welche?“„Du kommst wieder zurück und wirst mein Gast.“„Das nehme ich gern an.“„Ich werde dir zwei Saptijeler mitgeben, die dich bedie-

nen und beschützen sollen. Weißt du auch, dass du durchdas Land der Jesidi kommst?“

„Ich weiß es.“„Das ist ein böses, ungehorsames Volk, dem man die

Zähne zeigen soll. Sie beten den Teufel an, löschen dieLichter aus und trinken Wein.“

„Ist gerade das Weintrinken so schlimm?“Er sah mich von der Seite forschend an.„Trinkst du Wein?“„Sehr gern.“„Hast du Wein bei dir?“„Nein.“„Ich dachte, du hättest welchen. – Dann – dann – hätte

ich dich vor deiner Abreise einmal besucht.“Um dies hören zu dürfen, musste ich sein Vertrauen

bereits einigermaßen gewonnen haben. Ich konnte mir dieszu Nutze machen und sagte also:

„Besuche mich! Ich kann mir Wein verschaffen.“„Auch solchen, der spritzt?“Er meinte jedenfalls Champagner.„Hast du bereits einmal solchen getrunken, o Pascha?“„O nein! Weißt du nicht, dass der Prophet verboten hat,

Wein zu trinken? Ich bin ein treuer Anhänger des Korân!“„Ich weiß es. Aber man kann solchen Spritzwein künst-

lich machen und dann ist es kein eigentlicher Wein!“„Du kannst spritzenden Wein machen?“„Ja.“„Aber dies dauert lange Zeit – vielleicht einige Wochen

oder gar Monate?“„Es dauert nur einige Stunden.“„Willst du mir einen solchen Trank machen?“

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„Ich wollte gern, aber ich habe nicht die Dinge, die dazunötig sind.“

„Was brauchst du?“„Flaschen.“„Die habe ich.“„Zucker und Rosinen.“„Bekommst du von mir.“„Essig und Wasser.“„Hat mein Aschtschy1.“„Und dann einiges, was man nur in der Apotheke be-

kommt.“„Gehört es zu den Ilatschlar2?“„Ja.“„Mein Hekim hat eine Apotheke. Brauchst du noch et-

was?“„Nein. Aber du müsstest mir erlauben, den Wein in dei-

ner Küche zu bereiten.“„Darf ich zusehen, damit ich es lerne?“„Das ist fast unmöglich, o Pascha! Wein zu bereiten, den

ein Moslem trinken darf, Wein, der spritzt und die Seeleerheitert, das ist ein sehr großes Geheimnis!“

„Ich gebe dir, was du verlangst!“„Ein so wichtiges Geheimnis verkauft man nicht. Nur

ein Freund darf es erfahren.“„Bin ich nicht dein Freund, Kara Ben Nemsi? Ich liebe

dich und werde gern alles gewähren, was du von mir er-bittest.“

„Ich weiß es, o Pascha, und darum sollst du mein Ge-heimnis erfahren. Wie viele Flaschen soll ich dir füllen?“

„Zwanzig. Oder ist es zu viel?“„Nein. Lass uns in die Küche gehen!“Der Mutaßarryf von Mossul war ganz sicher ein heimli-

cher Untertan des Königs Bacchus. Es wurden andere Pfei-fen angezündet und dann begaben wir uns in die Küche.

Die Herren des Vorzimmers machten sehr große Augen,

1 Koch 2 Arzneien

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als sie mich so kameradschaftlich an der Seite des Gebie-ters erblickten; er aber beachtete sie nicht. Die Küche lagzu ebener Erde und war ein hoher, dunkler Raum mit ei-nem ungeheuren Herd, auf dem über dem Feuer ein gro-ßer Kessel voll siedenden Wassers hing, das zur Bereitungdes Kaffees bestimmt war. Unser Eintritt erregte wenigerÜberraschung als vielmehr Entsetzen. Es saßen fünf odersechs Kerle rauchend am Boden und hatten den dampfen-den Mokka vor sich stehen. Der Pascha war wohl nochnie in seiner Küche gewesen und bei seinem Erscheinenwurden die Leute völlig starr vor Schreck. Sie blieben sit-zen und stierten ihn mit weit geöffneten Augen an.

Er trat mitten in den Kreis hinein, sprengte ihn mitFußtritten auseinander und rief:

„Auf, ihr Faulenzer, ihr Sklaven! Kennt ihr mich nicht,dass ihr sitzen bleibt, als wäre ich einer euresgleichen?“

Sie sprangen auf und warfen sich dann wieder nieder,ihm zu Füßen.

„Habt ihr heißes Wasser?“„Dort kocht es, Herr“, antwortete einer, der hier der

Koch zu sein schien, denn er war der Dickste und Schmut-zigste von allen.

„Hol Rosinen, du Lümmel!“„Wie viel?“„Wie viel brauchst du?“, fragte mich der Mutaßarryf.Ich prüfte die Menge des Wassers und wies dann auf ein

leeres Gefäß.„Diesen Krug dreimal voll.“„Und Zucker?“„Noch einmal so viel.“„Und Essig?“„Vielleicht den zehnten Teil.“„Habt ihr’s gehört, ihr Scheusale? Packt euch!“Sie eilten hinaus und brachten bald die Ingredienzien.

Ich ließ die Rosinen waschen und tat dann alles in daskochende Wasser. Ein abendländischer Champagner-

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fabrikant hätte meine Brauerei belacht, ich aber hatte kei-ne Zeit und musste die Sache so kurz wie möglich ma-chen, um das chemische Gedächtnis des edlen Pascha nichtmit allzu vielen Prozeduren zu beschweren.

„Nun in die Apotheke!“, bat ich ihn.„Komm!“Er schritt voran und führte mich in ein Gemach, das

auch zu ebener Erde war. Darin lag der arme Hekim mitverbundenen Füßen am Boden. Auch ihm gab der Paschaeinen Fußtritt.

„Steh auf, Widerwärtiger, und erzeige mir und diesemEffendi die Ehre, die uns gebührt. Danke ihm, denn erhat für dich gebeten, dass ich dir deine Portion Hiebe er-ließ. Wisse, du Nichtsnutz, dass er mir den Zahn heraus-genommen hat, ohne dass ich es fühlte. Ich gebiete dir,ihm zu danken!“

O welche Lust, der Leibarzt eines Pascha zu sein! Dieserarme Schlucker warf sich vor mir nieder und küsste denSaum meines alten Hajk. Dann fragte der Pascha:

„Wo ist die Apotheke?“Der Arzt deutete auf einen großen, wurmstichigen Kasten.„Hier, o Pascha!“„Öffne!“Ich bekam ein wirres Durcheinander von allerhand Tü-

ten, Blättern, Büchsen, Pflasterstangen und sonstigemZeug zu sehen, dessen Charakter und Bestimmung mirvollständig unbekannt war. Ich fragte nach kohlensauremNatron und Weinsteinsäure. Vom ersten war genug, vomzweiten aber nur ganz wenig vorhanden. Doch es genügte.

„Hast du alles?“, fragte mich der Pascha.„Ja.“Er gab dem Arzt einen Abschiedstritt und gebot ihm:„Besorge von diesen beiden Sachen eine größere Menge

und merke dir ihre Namen. Ich brauche sie sehr notwen-dig, falls ein Pferd krank wird. Wenn du die Namenvergisst, erhältst du fünfzig Hiebe.“

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Wir kehrten in die Küche zurück. Es wurden Flaschen,Lack, Draht und kaltes Wasser beigeschafft und dann jag-te der Pascha das Gesinde hinaus. Kein Mensch außer ihmsollte, wenn auch nur teilweise, Mitwisser des großen Ge-heimnisses werden, einen Wein zu bereiten, der kein Weinwar und also von jedem guten Moslem ohne Gewissens-bisse getrunken werden konnte.

Dann kochten, brauten, kühlten, füllten, pfropften undsiegelten wir, dass ihm der Schweiß vom Gesicht troff, undals wir endlich fertig waren, durften die Diener wiedereintreten, um die Flaschen an den kühlsten Ort des Kel-lers zu bringen. Eine aber nahm der Pascha zur Prüfungmit und trug sie mit höchsteigener Hand durch das Vor-zimmer in sein Gemach, wo wir uns wieder niederließen.

„Wollen wir trinken?“, fragte er.„Er ist noch nicht abgekühlt genug.“„Wir trinken ihn warm.“„So schmeckt er nicht.“„Er muss!“Natürlich musste er, denn der Pascha gebot es ja! Schekib

Halil ließ zwei Gläser bringen, verbot jedermann, selbstdem Meldenden, den Eintritt und löste den Draht.

Puff! – Der Stöpsel flog an die Decke.„Maschallah!“, rief der Statthalter erschrocken.Gischtend schoss der Kunstwein aus der Flasche. Ich

wollte mein Glas schnell unterhalten.„Maschallah! Er spritzt wirklich!“Der Pascha tat den Mund auf und schob den Hals der

Flasche zwischen die Lippen. Sie war fast leer, als er wie-der absetzte und den Finger in die Öffnung steckte, umsie zu verschließen.

„Fewkalade – prächtig! Höre, mein Freund, ich liebedich! Dieser Wein ist sogar besser als das Wasser vom Brun-nen Sem-Sem!“

„Findest du?“„Ja. Er ist sogar noch besser als das Wasser Hawus Kewser,

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das man im Paradies trinken wird. Ich werde dir nicht zwei,sondern vier Saptijeler mitgeben.“

„Ich danke dir! Hast du dir genau gemerkt, wie mandiesen Wein bereitet?“

„Sehr genau. Ich werde es nicht vergessen!“Ohne an mich oder daran zu denken, dass zwei Gläser

vorhanden waren, setzte er die Flasche wieder an den Mundund nahm sie erst weg, als sie leer war.

„Bombosch – ganz leer! Sie ist versiegt. Warum ist sienicht größer gewesen?“

„Merkst du nun, wie kostbar mein Geheimnis war?“„Beim Propheten, ich merke es! Oh, ihr Almanlar seid sehr

kluge Leute! Aber erlaube mir, dich einmal zu verlassen!“Er erhob sich und verließ das Zimmer. Als er nach einer

Weile zurückkehrte, trug er etwas unter seinem Kaftanverborgen. Es waren – zwei Flaschen.

Ich lachte.„Du hast sie selbst geholt?“, fragte ich.„Kendim – selbst! Diesen Wein, der kein Wein ist, darf

niemand anrühren außer mir. Ich habe es unten befohlen,und wer von jetzt an die Flasche nur betastet, den lasse ichtotpeitschen!“

„Du willst noch trinken?“„Sollte ich nicht? Ist dieses Getränk nicht köstlich?“„Aber ich sage dir, dass dieser Wein erst dann den rech-

ten Geschmack haben wird, wenn er kalt geworden ist.“„Wie muss er dann schmecken, wenn er jetzt schon so

köstlich ist! Preis sei Allah, der Wasser, Rosinen, Zuckerund Arzneien wachsen lässt, um das Herz seiner Gläubi-gen zu erquicken!“

Und er trank, ohne an mich zu denken. Seine Mienedrückte die höchste Wonne aus, und als die zweite Flascheleer war, meinte er:

„Freund, dir kommt keiner gleich, weder ein Gläubigernoch ein Ungläubiger. Vier Saptijeler sind für dich zu we-nig, du sollst sechs haben!“

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„Deine Güte ist groß, Exzellenz, ich werde sie zu rüh-men wissen!“

„Wirst du auch von dem erzählen, was ich jetzt getrun-ken habe?“

„Nein, darüber werde ich schweigen, denn ich werdeauch das nicht sagen, was ich getrunken habe.“

„O weh, du hast Recht! Ich trinke, ohne an dich zu den-ken. Reiche mir dein Glas, ich werde diese Flasche nochöffnen.“

Jetzt bekam ich mein Kunstprodukt zu kosten. Es schmecktegenauso, wie ungekühltes Sodawasser mit Rosinenbrühe undZucker schmecken muss; für den anspruchslosen Gaumendes Pascha musste es ein Genuss sein.

„Weißt du“, sagte er und tat wieder einen langen Zug,„dass sechs Saptijeler für dich immer noch zu wenig sind?Du sollst zehn bekommen!“

„Ich danke dir, o Pascha!“Wenn das Trinken so fortging, war ich gezwungen, mei-

ne Reise mit einem ganzen Heer von Polizisten anzutre-ten, und das konnte mir unter Umständen außerordent-lich hinderlich werden.

„Also du gehst durch das Land der Teufelsanbeter“, be-rührte er das alte Thema. „Kennst du ihre Sprache?“

„Es ist die kurdische?“„Ein kurdischer Dialekt. Es sprechen nur wenige von ih-

nen Arabisch.“„Ich kenne ihn nicht.“„So werde ich dir einen Dolmetscher mitgeben.“„Vielleicht ist dies unnötig. Das Kurdische ist dem Per-

sischen verwandt und dieses verstehe ich.“„Ich verstehe beides nicht und du musst am besten wis-

sen, ob du einen Dolmetscher brauchst. Aber halte dichin ihrem Land ja nicht lange auf! Ruhe dich bei ihnennicht aus, sondern reite durch ihr Gebiet schnell hindurch!“

„Warum?“„Es könnte dir sonst etwas Schlimmes passieren.“

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„Was?“„Das ist mein Geheimnis. Ich sage dir nur, dass dir ge-

rade die Schutzwache, die ich dir mitgebe, gefährlich wer-den könnte. Trink!“

Dies war bereits das zweite Geheimnis, das er berührte.„Deine Leute können mich nur bis Amadije begleiten?“„Ja, denn meine Macht reicht nicht weiter.“„Welches Gebiet kommt dann?“„Das Gebiet der Kurden von Berwari.“„Wie heißt ihre Hauptstadt?“„Gumri, das ist ein festes Schloss, das ihr Bej bewohnt.

Ich werde dir einen Brief an ihm mitgeben; aber ob dasSchreiben eine gute Wirkung hat, das kann ich dir nichtversprechen. Wie viele Begleiter hast du?“

„Einen Diener.“„Nur einen? Hast du gute Pferde?“„Ja.“„Das ist gut für dich, denn vom Pferd hängt sehr oft die

Freiheit und das Leben des Reiters ab. Und es wäre sehrschade, wenn dir ein Unglück geschähe; denn du warstder Besitzer eines sehr schönen Geheimnisses und hast esmir offenbart. Aber ich will dir auch dankbar sein. Weißtdu, was ich für dich tun werde?“

„Was?“Er trank die Flasche aus und antwortete mit seiner wohl-

wollendsten Miene:„Weißt du, was das Disch paraßy ist?“„Ich weiß es.“„Nun?“„Es ist eine Steuer, die nur du allein zu fordern hast.“Ich drückte mich hierbei sehr gelinde aus, denn das Disch

paraßy, die ‚Zahnvergütung‘, ist eine Abgabe an Geld, dieüberall erhoben wird, wo der Pascha auf seinen Reisenanhält, und zwar dafür, dass er sich seine Zähne beim Kauenderjenigen Lebensmittel abnutzt, die ihm die betreffen-den Einwohner unentgeltlich liefern müssen.

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„Du hast es erraten“, meinte er. „Ich werde dir eineSchrift mitgeben, in der ich befehle, dir überall, wohin dukommst, das Disch paraßy auszuzahlen, gerade als ob ichan deiner Stelle sei. Wann willst du abreisen?“

„Morgen früh.“„Warte, ich werde mein Siegel holen, um das Schreiben

sogleich ausfertigen zu lassen!“Er stand auf und verließ das Zimmer. Da der Schwarze

ihm die Pfeife nachtragen musste, so blieb ich allein zu-rück. Neben dem Pascha hatten einige Papiere gelegen,mit denen er sich vor meinem Erscheinen beschäftigt ha-ben mochte. Schnell griff ich zu und öffnete eins. Es warein Plan des Tals von Scheik Adi. Ah! Sollte dieser Planvielleicht mit seinem Geheimnissen in Verbindung stehen?Ich konnte diesen Gedanken nicht weiter verfolgen, dennder Gouverneur trat wieder ein. Auf seinen Befehl erschiensein Geheimschreiber, dem er drei Schreiben diktierte: einsan den kurdischen Bej, eins an den Kommandanten derFestung Amadije und das dritte an alle Ortsoberhäupterund sonstigen Behörden, und darin hieß es, dass ich dasRecht hätte, das Disch paraßy zu erheben, und die Be-wohner meinen Anforderungen ganz so entsprechen soll-ten, als ob der Pascha selbst sie stelle.

Konnte ich mehr verlangen? Der Zweck meiner Anwe-senheit in Mossul war wider Erwarten vollständig erreichtund dieses Wunder hatte außer meinem furchtlosen Auf-treten nur das kohlensaure Natron erreicht.

„Bist du mit mir zufrieden?“, fragte er.„Unendlich, o Pascha. Deine Güte will mich mit Wohl-

taten erdrücken!“„Danke mir nicht jetzt, sondern später.“„Ich wünsche, dass ich es einst vermag!“„Du vermagst es!“„Wodurch?“„Das kann ich dir bereits jetzt sagen. Du bist nicht nur

ein Hekim, sondern auch ein Offizier.“

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„Weshalb vermutest du dies?“„Ein Hekim oder ein Mann, der Bücher schreibt, würde

es nicht wagen, mich ohne die Begleitung eines Konsulszu besuchen. Du hast ein Bujrultu des Großherrn und ichweiß, dass der Padyschah zuweilen fremde Offiziere kom-men lässt, die seine Länder bereisen müssen, um ihm dannmilitärischen Bericht zu erstatten. Gestehe es, du bist einsolcher!“

Diese irrige Ansicht konnte mir nur von Vorteil sein undes wäre unklug gewesen, sie zu widerlegen. Ich wollte aberauch nicht lügen und darum drechselte ich folgende dip-lomatische Phrasen:

„Ich kann es nicht gestehen, o Pascha. Wenn du weißt,dass der Padyschah solche fremde Offiziere sendet, so hastdu wohl auch gehört, dass dies meist im Geheimen ge-schieht. Dürfen sie ihr Geheimnis verraten?“

„Nein. Ich will dich gar nicht dazu bereden, aber duwirst mir in bestimmter Hinsicht nützlich sein können.Das ist es, was ich vorhin meinte.“

„Womit kann ich dir meine Dankbarkeit beweisen?“„Wenn du aus den Bergen von Kurdistan zurückkehrst,

werde ich dich zu den Arabern von Schammar senden,besonders zu den Haddedihn. Du sollst ihre Gebiete be-reisen und mir dann melden, wie ich sie besiegen kann.“

„Ah!“„Ja. Dir wird dies leichter werden als einem meiner Leute.

Ich weiß, dass die Offiziere der Franken klüger sind alsdie unsrigen, obgleich ich selbst Oberst gewesen bin unddem Padyschah große Dienste geleistet habe. Ich würdedich ersuchen, dir die Gegenden der Jesidi anzusehen; aberdazu ist es schon zu spät. Ich habe von ihnen bereits das,was ich brauche.“

Diese Worte gaben mir die Überzeugung, dass ich vor-hin ganz richtig vermutet hatte. Die in Kujundschik ver-sammelten Truppen standen bereit, über die Teufelsanbeterherzufallen. Er fuhr fort:

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„Du wirst ihr Gebiet sehr schnell durchreisen und nichtetwa warten bis zu dem Tag, an dem sie ihr großes Festfeiern.“

„Welches Fest?“„Das Fest ihres Heiligen, es wird am Grab ihres Scheik

Adi gefeiert. Hier hast du deine Schreiben. Allah sei beidir! Zu welcher Zeit wirst du morgen früh die Stadt ver-lassen?“

„Zur Zeit des ersten Gebetes.“„Die zehn Saptijeler sollen dann in deiner Wohnung

sein.“„Exzellenz, ich habe an zweien genug.“„Das verstehst du nicht. Zehn sind besser als zwei, das

merke dir. Du sollst fünf Arnauten und fünf Baschybosukserhalten. Kehre bald zurück und vergiss nicht, dass ich dirmeine Liebe geschenkt habe!“

Er gab mir das Zeichen der Entlassung und ich ging er-hobenen Hauptes aus dem Haus, das ich vor einigen Stun-den als halber Gefangener betreten hatte. Als ich meineWohnung erreichte, fand ich Halef in Waffen.

„Preis sei Allah, dass du kommst, Sihdi!“, begrüßte ermich. „Wärst du beim Untergang der Sonne noch nichthier gewesen so hätte ich mein Wort gehalten und denPascha erschossen!“

„Das muss ich mir verbitten, der Pascha ist mein Freund!“„Was? Wie kann der Tiger der Freund des Menschen sein!“„Ich habe ihn gezähmt.“„Maschallah! Dann hast du ein Wunder getan. Wie ist

das gekommen?“„Es ging leichter, als ich ahnen konnte. Wir stehen un-

ter seinem Schutz und werden zehn Soldaten erhalten, dieuns begleiten.“

„Das ist gut!“„Vielleicht auch nicht! Außerdem hat er mir Empfeh-

lungsbriefe gegeben und das Recht, das Disch paraßy zuerheben.“

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„Allah akbar, so bist du ja auch Pascha geworden! Abersage, Sihdi, wer hat zu gehorchen: ich den Soldaten odersie mir?“

„Sie dir, denn du bist nicht ein Diener, sondern HadschiHalef Omar Agha, mein Begleiter und Beschützer.“

„Das ist gut, und ich sage dir, dass sie mich kennen ler-nen sollen, wenn es ihnen einfällt, mir die Achtung zuverweigern.“

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19. Bei den Teufelsanbetern

Der Gouverneur hielt Wort. Als Halef sich am nächstenMorgen in aller Frühe erhob und den Kopf zur Tür hinaus-steckte, wurde er von zehn Männern begrüßt, die zu Pfer-de davor hielten. Er weckte mich sofort und ich beeiltemich natürlich, meine Herren Beschützer in Augenscheinzu nehmen.

Es waren wie der Pascha versprochen hatte, fünf Arnautenund fünf Baschybosuks. Letztere trugen die gewöhnlicheKleidung des türkischen Militärs. Die Arnauten hattenpurpurne Samtoberwesten, grüne, mit Samt besetzteUnterwesten, breite Schärpen, rote Beinkleider mit me-tallenen Schienen, rote Turbane und trugen so viele Waf-fen an sich, dass man mit ihren Messern und Pistolen einedreimal zahlreichere Schar hätte bewaffnen können. DieBaschybosuks wurden von einem alten Bölük Emini1 unddie Arnauten von einem wild blickenden Onbaschy2 kom-mandiert.

Der Bölük Emini schien ein Original zu sein. Er rittkein Pferd, sondern einen Esel und trug das Zeichen sei-ner Würde – ein ungeheures Tintenfass – an einem Rie-men um den Hals. In seinem Turban steckten einige Dut-zend Schreibfedern. Er war ein kleines dickes Männchen,dem die Nase fehlte; desto größer aber war der Schnurr-bart, der ihm an der Oberlippe herabhing. Seine Wangensahen fast blau aus und waren so fleischig, dass die Hautkaum zuzulangen schien, und für die Augen blieb nur soviel Raum zum Öffnen übrig, wie notwendig war, einenkleinen Lichtstrahl in das Gehirn des Mannes gelangen zulassen.

Ich gab Halef eine Flasche voll Raki und befahl ihm,diese tapferen Helden damit zu begrüßen. Er trat hinauszu ihnen und ich stellte mich so, dass ich den Vorgangbeobachten konnte.

1 Quartiermacher, Kompanieschreiber 2 Korporal

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„Ssabahynys hajyr olßun – guten Morgen, ihr wackerenStreiter! Seid uns willkommen!“

„Ssabahynys hajyr olßun – guten Morgen!“, erwidertenalle zugleich.

„Ihr seid gekommen, den berühmten Kara Ben NemsiEffendi auf seiner Reise zu begleiten?“

„Der Pascha sendet uns zu diesem Zweck.“„So will ich euch sagen, dass mein Name Hadschi Halef

Omar Agha Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhdal Gossarah ist; ich bin der Reisemarschall und Agha des-sen, den ihr begleiten sollt, und ihr habt also meinen Wei-sungen Gehorsam zu leisten. Wie lautet der Befehl, deneuch der Pascha gegeben hat?“

Der Bölük Emini antwortete, und zwar mit einer sol-chen Fistelstimme, dass es klang, als höre man eine alte,eingerostete F-Trompete blasen:

„Ich bin Bölük Emini des Padyschah, den Allah segnenmöge, und heiße Ifra. Merke dir diesen Namen! Der Pascha,dessen treuster Diener ich bin, hat mir dieses Tintenfassund diese Federn nebst vielem Papier gegeben, um allesaufzuschreiben, was euch und uns begegnet. Ich bin dertapfere Führer dieser Leute und werde euch beweisen,dass...“

„Schweig, Eschek ßüwarißi1!“, unterbrach ihn der Onba-schy und strich sich den gewaltigen Bart. „Was bist du?Unser Anführer? Du Zwerg! Herr des Tintenfasses und derGänse, von denen deine Federn sind, das bist du, aberweiter nichts!“

„Was? Ich bin Bölük Emini und heiße Ifra. Meine Tap-ferkeit...“

„Schweig, sage ich dir! Deine Tapferkeit wächst in denFüßen deines Esels, den Allah verbrennen möge; denn dieseKreatur hat die armselige Angewohnheit, des Tages durch-zugehen und des Nachts den Himmel anzubrüllen. Wirkennen dich und deinen Esel, aber dennoch ist es sehr un-

1 Eselreiter

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gewiss, wer von euch der Bölük Emini und wer der Eselist!“

„Wahre deine Zunge, Onbaschy! Weißt du nicht, dassich so tapfer bin, dass ich mich im Kampf sogar dahingewagt habe, wo man die Nasen abhaut? Blicke meine Nasean, die leider nicht mehr vorhanden ist, und du wirst stau-nen über die Verwegenheit, mit der ich gefochten habe!Oder kennst du etwa die Geschichte vom Verlust meinerNase nicht? So höre! Es war damals, als wir vor Sebastopolgegen die Moskows kämpften; da stand ich im dichtestenSchlachtgewühl und erhob soeben meinen Arm, um...“

„Schweig! Deine Geschichte hat man bereits tausend-mal gehört!“ – Und sich zu Halef wendend, fuhr der Arnautfort: „Ich bin der Onbaschy Ular Ali. Wir haben gehört,dass der Effendi Kara Ben Nemsi ein tapferer Mann ist,und das gefällt uns; wir haben ferner gehört, dass er sichunserer Aghas angenommen hat, und das gefällt uns nochmehr. Wir werden ihn beschützen und ihm dienen und ersoll mit uns zufrieden sein!“

„So frage ich noch einmal, welche Befehle euch der Pa-scha gegeben hat.“

„Der Mutaßarryf hat uns befohlen, dafür zu sorgen, dassder Effendi wie der beste Freund, wie der Bruder des Pa-scha aufgenommen werde.“

„So werden wir überall unentgeltlich Obdach und Nah-rung erhalten?“

„Alles, was ihr braucht, und auch wir.“„Hat er auch vom Disch paraßy gesprochen?“„Ja.“„Es wird in barem Geld erhoben?“„Ja.“„Wie hoch beläuft es sich?“„So hoch der Effendi will.“„Allah segne den Pascha! Sein Verstand ist hell wie die

Sonne und seine Weisheit erleuchtet die Welt. Ihr sollt esgut haben bei uns. Seid ihr bereit, die Reise anzutreten?“

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„Ja.“„Habt ihr zu essen?“„Für einen Tag.“„Aber keine Zelte!“„Wir brauchen keine, denn wir werden an jedem Abend

eine gute Wohnung bekommen.“„Wisst ihr, dass wir durch das Land der Jesidi gehen

werden?“„Wir wissen es.“„Fürchtet ihr euch vor den Teufelsanbetern?“„Fürchten? Agha Halef Omar, hast du vielleicht einmal

gehört, dass ein Arnaut sich gefürchtet hat? Oder ist viel-leicht ein Merd-i Schejtan, ein Mann des Teufels, derSchejtan selbst? Sage dem Effendi, dass wir bereit sind,ihn zu empfangen!“

Nach einer Weile ließ ich mein Pferd vorführen und trathinaus. Die zehn standen in Achtung vor mir, ein jederbei dem Kopf seines Pferdes. Ich grüßte, stieg auf undwinkte, mir zu folgen. Der kleine Trupp setzte sich in Bewe-gung.

Wir ritten über die Schiffbrücke hinüber und befandenuns dann am linken Ufer des Tigris außerhalb der StadtMossul. Dort erst rief ich den Onbaschy an meine Seite undfragte ihn dann:

„Wem dienst du jetzt, mir oder dem Pascha?“„Dir, Effendi.“„Ich bin mit dir zufrieden. Schicke mir den Bölük Emini

her.“Er ritt zurück und dann kam der kleine Dicke.„Dein Name ist Ifra? Ich habe gehört, dass du ein tapfe-

rer Krieger bist.“„Sehr tapfer!“, versicherte er mit seiner Trompeten-

stimme.„Du kannst schreiben?“„Sehr gut, sehr schön, Effendi!“„Wo hast du gedient und gekämpft?“

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„In allen Ländern der Erde.“„Ah! Nenne mir diese Länder.“„Wozu, Effendi? Es würden mehr als tausend Namen

sein!“„So musst du ein berühmter Bölük Emini sein.“„Sehr berühmt! Hast du noch nichts von mir gehört?“„Nein.“„So bist du sicher in deinem Leben noch nicht aus dem

Lande fortgekommen, sonst hättest du von meinem Ruhmgehört. Ich muss dir zum Beispiel erzählen, wie ich ummeine Nase gekommen bin. Das war nämlich damals, alswir vor Sebastopol gegen die Moskows kämpften; da standich im dichtesten Kampfgewühl und erhob gerade mei-nen Arm...“

Er wurde unterbrochen. Mein Rappe konnte jedenfallsden Geruch des Esels nicht ertragen; er schnaubte zornig,sträubte die Mähne und biss nach dem Grauen des BölükEmini. Der Esel erhob sich vorn, um dem Biss auszuwei-chen, drehte sich dann zur Seite und riss aus – ja, es warkeine Flucht, sondern ein wirkliches Ausreißen. Es gingüber Stock und Stein, uns voran; der kleine Bölük Eminikonnte sich kaum auf dem Rücken des Esels erhalten undbald waren beide aus unsern Augen entschwunden.

„So geht es ihm stets!“, hörte ich den Onbaschy zu Halefsagen.

„Wir müssen ihm nach“, antwortete dieser, „sonst verlie-ren wir ihn.“

„Den?“, lachte der Arnaut. „Es wäre nicht schade umihn. Aber sorge dich nicht! Es ist ihm schon tausendmalpassiert und niemals ging er verloren.“

„Aber warum reitet er diese Bestie?“„Er muss.“„Muss? Warum?“„Der Jüsbaschy1 will es. Er macht sich einen Spaß mit

Ifra und dem Esel.“

1 Hauptmann, Befehlshaber von hundert Mann

472

Als wir zwischen Kujundschik und dem Kloster des hei-ligen Georg hindurch waren, sahen wir den Bölük Eminivor uns halten. Er ließ mich herankommen und rief be-reits von weitem:

„Herr, hast du vielleicht geglaubt, dass der Esel mit mirdurchgegangen ist?“

„Ich bin überzeugt davon.“„Du irrst, Effendi! Ich bin nur vorausgeritten, um den

Weg zu untersuchen, den wir reiten werden. Gehen wirden Khausser entlang oder reiten wir den gewöhnlichenWeg?“

„Wir bleiben auf dem Pfad.“„So erlaube mir, dass ich dir meine Geschichte später

erzähle. Ich werde euch jetzt als Wegweiser dienen.“Er ritt voran. Der Khausser ist ein Bach oder Flüsschen,

das an den nördlichen Ausläufern des Dschebel Maklubentspringt und auf seinem Lauf nach Mossul die Lände-reien zahlreicher Dörfer bewässert. Wir ritten auf einerkleinen Brücke über ihn weg und hatten ihn dann stets zuunserer linken Seite. Die Ruinen und das Dorf von Khor-sabad liegen ungefähr sieben Wegstunden nördlich vonMossul. Die Gegend besteht aus Marschboden, aus demgiftige Fieberdünste emporsteigen. Wir eilten, unser Zielzu erreichen, hatten aber wohl noch eine gute Wegstundevor uns, als uns ein Trupp von vielleicht fünfzig Arnautenentgegenkam. An der Spitze ritten einige Offiziere undin der Mitte sah ich die weiße Kleidung eines Arabers.Näher gekommen, erkannte ich – Scheik MohammedEmin.

O weh! Er war in die Hände dieser Leute gefallen, er,der Feind des Pascha, von dem ihm bereits der Sohn ge-fangen genommen und nach Amadije geschickt wordenwar. Jetzt fragte sich vor allen Dingen, ob er sich gewehrthatte; doch konnte ich keinen einzigen Verwundeten ent-decken. Hatten sie ihn vielleicht im Schlaf überrumpelt?Ich musste alles aufbieten, ihn aus dieser gefährlichen

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Gesellschaft zu bringen. Daher blieb ich mitten im Weghalten und ließ den Trupp herankommen.

Meine Begleitung stieg vom Pferd, um sich am Weg-rand zu lagern. Halef und ich blieben zu Pferd. Der An-führer trennte sich von den andern und kam uns in schar-fem Trab entgegen geritten. Hart vor mir zügelte er seinPferd und fragte, ohne die am Boden Liegenden zu beach-ten:

„Selâm! Wer bist du?“„’Alejkum! Ich bin ein Effendi aus dem Westen.“„Von welchem Stamm?“„Vom Volk der Almanlar.“„Wohin willst du?“„Nach dem Osten.“„Zu wem?“„Überallhin!“„Mann, du antwortest sehr kurz! Weißt du, was ich bin?“„Ich sehe es.“„So antworte besser! Mit welchem Recht reist du hier?“„Mit demselben Recht, mit dem du hier reitest!“„Wallahi – bei Gott, du bist sehr kühn! Ich reite hier auf

Befehl des Mutaßarryf von Mossul; das kannst du dir den-ken!“

„Und ich reite hier auf Befehl des Mutaßarryf von Mossulund des Padyschah von Konstantinopel; das kannst du dirdenken!“

Er öffnete die Augen ein wenig mehr und befahl mir dann:„Beweise es!“„Hier!“Ich gab ihm meine Legitimationen. Er öffnete sie unter

den vorgeschriebenen Formalitäten und las sie dann. Da-rauf faltete er sie sorgfältig wieder zusammen, gab sie mirzurück und meinte dann in sehr höflichem Ton:

„Du trägst selbst die Schuld, dass ich streng zu dir sprach.Du sahst, wer ich bin, und hättest mir höflicher antwor-ten sollen!“

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„Du trägst selbst die Schuld, dass dies nicht geschehenist“, antwortete ich ihm. „Du sahst meine Begleitung, diemich als einen Mann legitimiert, der sich der Freundschaftdes Mutaßarryf erfreut, und hättest höflicher fragen sollen! –Grüße deinen Herrn vielmals von mir, guten Morgen!“

„Zu Befehl, Effendi!“, antwortete er.Ich wandte mich weiter. Es war meine Absicht gewesen,

etwas zur Befreiung Mohammed Emins zu tun, aber ichhatte gleich zu Anfang des Gesprächs mit dem Offizierbemerkt, dass dies unnötig war. Die Begleitung desselbenwar etwas rückwärts hinter ihm halten geblieben und hieltihre Augen mehr auf mich als auf ihren Gefangenen ge-richtet. Dieser machte sich diesen Umstand sofort zu Nut-ze. Er war nur leicht gefesselt und saß auf einem schlech-ten türkischen Pferd. Im letzten Glied des Trupps aberführte man sein vortreffliches Tier, an dessen Sattel alleseine Waffen hingen. Ich bemerkte seine glücklichen Be-mühungen, sich die Hände frei zu machen, und gerade indem Augenblick, als ich das Gespräch abbrach, sprang ermit den Füßen auf den Rücken seines Tieres.

„Halef, aufgepasst!“, raunte ich dem Diener zu, der eben-so aufmerksam beobachtet hatte, wie ich selbst.

„Zwischen sie und ihn hinein, Sihdi!“, antwortete er mir.Er hatte mich also sofort verstanden. Jetzt wagte der

Haddedihn einige kühne Sprünge von Kruppe zu Kruppeder hinter ihm haltenden Pferde, deren Reiter sich einersolchen Verwegenheit gar nicht versehen hatten, und ehesie ihn noch zu fassen vermochten, hatte er seinen eigenenRenner erreicht, saß im Sattel, riss die Zügel aus der Handdessen, der ihn hielt, und jagte seitwärts von dannen, nichtden Weg hinauf oder hinab, sondern stracks auf das Flüss-chen zu.

Ein vielstimmiger Schrei der Überraschung und des Grimmserscholl hinter ihm.

„Dein Gefangener flieht“, rief ich dem Anführer zu, „lassuns ihm nachjagen!“

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Zu gleicher Zeit zog ich mein Pferd herum und spreng-te dem Flüchtigen nach. Halef hielt sich an meiner Seite.

„Nicht so nah bei mir, Halef! Weiter ab! Reite so, dasssie nicht schießen können, ohne uns zu treffen!“

Es war eine scharfe, wilde Jagd, die jetzt begann. ZumGlück dachten die Verfolger zunächst nur daran, Moham-med Emin einzuholen, und als sie sahen, dass sein Pferdden ihrigen überlegen war, und zu den Waffen griffen, warder Vorsprung, den er gewonnen hatte, bereits zu großgeworden. Auch waren ihre Gewehre nicht gut zu gebrau-chen, da ich mit Halef nicht in gerader Linie vor ihnenher, sondern in einem kurzen Zickzack ritt und mir dabeialle mögliche Mühe gab, mein Pferd als störrisch zu zei-gen. Bald blieb es stehen und bockte, dann schnellte esdavon, warf sich mitten im Lauf zur Seite, drehte sich aufden Hinterfüßen um seine eigene Achse, schoss eine Streckeweit nach rechts oder links und schwenkte dann in haar-scharfer Drehung in die rechte Richtung ein. Halef tatganz dasselbe und so kam es, dass die Türken nicht schie-ßen konnten, aus Furcht, uns zu treffen.

Der Haddedihn hatte sein Pferd furchtlos in die Flutendes Khausser getrieben. Er kam glücklich hinüber und ichmit Halef auch; aber ehe es den anderen gelang, uns diesnachzutun, hatten sie uns einen bedeutenden Vorsprunggelassen. So flogen wir auf unsern guten Tieren vorwärts,immer nach Nordwesten, bis wir ungefähr zwei Wegstun-den zurückgelegt hatten und auf die Straße trafen, die vonMossul über Tell Kef direkt nach Rabban-Hormusd führtund parallel zu jener verläuft, auf der wir vorhinKhorsabad, Dscherraje und Baadri erreichen wollten. Ersthier hielt der Haddedihn an. Er sah nur uns beide, denndie andern waren längst hinter dem Horizont verschwun-den.

„Preis sei Gott!“, rief er. „Effendi, ich danke dir, dass duihnen die Hände von den Flinten genommen hast! Wastun wir nun, damit sie uns verlieren?“

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„Wie bist du in ihre Hände gekommen, Scheik?“, fragteder kleine Halef.

„Das wird er uns später sagen; jetzt ist keine Zeit dazu“,antwortete ich. „Mohammed Emin, kennst du das sumpfigeLand zwischen dem Tigris und dem Dschebel Maklub?“

„Ich bin einmal von Baascheika und Baasani über Ras ulAin nach Dehuk geritten.“

„Ist der Sumpf gefährlich?“„Nein.“„Seht ihr dort im Nordosten jene Höhe, die man viel-

leicht in drei Stunden erreichen kann?“„Wir sehen sie.“„Dort werden wir wieder zusammentreffen, denn hier

müssen wir uns wieder trennen. Die Straße dürfen wirnicht verfolgen, denn sonst würde man uns sehen undunsere Richtung erraten. Wir müssen in den Sumpf, undzwar einzeln, damit die Verfolger, wenn sie doch hierherkommen sollten, nicht wissen, welcher Spur sie zu folgenhaben.“

„Aber unsere Arnauten und Baschybosuks, Sihdi?“, fragteHalef.

„Die gehen uns jetzt nichts an. Sie sind uns überhaupt mehrhinderlich als förderlich; sie bringen mir keinen größerenSchutz als den, den mir meine Pässe und Briefe gewähren.Halef, du gehst hier ab und behältst die südlichste Linie, ichwerde in der Mitte reiten und der Scheik bleibt im Norden –jeder wenigstens eine halbe Wegstunde vom andern entfernt.“

Beide trennten sich von mir und auch ich bog von demgebahnten Weg ab und in den Sumpf hinein, der aller-dings nicht die Eigenschaften eines wirklichen Morasteshatte. Die Gefährten entschwanden meinem Auge, undich strebte allein dem Ziel zu, das wir vereinbart hatten.

Bereits seit Tagen befand ich mich in einem Zustandder Spannung, wie ich ihn seit langer Zeit nicht an mirbemerkt hatte. Das war durch die Landschaft bedingt. Esgab kein Land der Erde, das so zahlreiche und tiefe Rätsel

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birgt, wie der Boden, den die Hufe meines Pferdes jetztberührten. Auch abgesehen von den Ruinen des assyri-schen und babylonischen Reiches, die hier bei jedemSchritt zu sehen sind, tauchten jetzt vor mir die Berge auf,deren Abhänge und Täler von Menschen bewohnt wer-den, deren Nationalität und Religion nur mit der größtenSchwierigkeit zu entwirren sind. Lichtverlöscher, Feueranbe-ter, Teufelsanbeter, Nestorianer, Chaldäer, Nahumiten,Sunniten, Schiiten, Nadschijeten, Gholatten, Mutaziliten,Wahhabiten, Araber, Juden, Türken, Armenier, Syrer, Drusen,Manoniten, Kurden, Perser, Turkmenen: Ein Angehörigerdieser Nationen, Stämme und Sekten kann einem bei je-dem Schritt begegnen, und wer kennt die Fehler und Ver-stöße, die ein Fremder bei einer solchen Gelegenheit be-gehen kann! Diese Berge rauchen noch heute vom Blutderer, die dem Völkerhass, dem wildesten Fanatismus, derEroberungssucht, der politischen Treulosigkeit, der Raub-lust oder der Blutrache zum Opfer fielen. Hier hängen diemenschlichen Wohnungen an den Felsenhöhen undSteinklüften wie die Horste des Geiers, der stets bereit ist,sich auf die ahnungslose Beute niederzustürzen. Hier hatdas System der Unterdrückung, der rücksichtslosen Aus-saugung jene ingrimmige Verbitterung erzeugt, die kaumnoch zwischen Freund und Feind unterscheiden mag, unddas Wort der versöhnenden Liebe, das von den christli-chen Sendboten gepredigt wurde, es ist in alle Winde ver-schollen. Mögen amerikanische Missionare von Erfolgenreden: Es können nur Scheinerfolge sein, denn der Ackerist nicht zubereitet, das Senfkorn aufzunehmen. Mögenandere Gottesmänner alles tun und wagen: In den kurdi-schen Bergen fließen die feindseligsten Strömungen zu ei-nem wilden Strudel zusammen, der erst dann zur Ruhekommen kann, wenn es einer gewaltigen Faust gelingt,die Klippen zu zermalmen, den Hass zu bezwingen unddem hässlichen, leise schleichenden Blutschacher den Kopfzu zertreten. Dann werden die Wege frei sein für die Füße

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derjenigen, die „den Frieden predigen und das Heil ver-künden“. Dann wird kein Bewohner jener Berge mehrsagen können: „Ich bin ein Christ geworden, weil ich sonstvon dem Agha die Bastonade erhalten hätte.“ Und dieserAgha war – ein strenger Mohammedaner.

Der Berg rückte mir immer näher und näher oder viel-mehr ich ihm. Der Boden war zwar leicht und feucht, aberes gab nur wenige Stellen, an denen die Hufe meines Pfer-des beträchtlich eingesunken wären, und endlich kam tro-ckenes Land. Die Fiebergegend des Tigris lag hinter mir.Jetzt sah ich rechts von mir einen Reiter und erkannte sehrbald Halef, nach kurzer Zeit hielten wir beieinander.

„Ist dir jemand begegnet?“, fragte ich ihn.„Nein, Sihdi. Kein Mensch. Nur weit im Süden sah ich

auf dem Weg, den wir verlassen haben, einen kleinenMenschen laufen, der ein Tier hinter sich herzog. Ich konn-te ihn aber nicht genau erkennen.“

„Kannst du den dort erkennen?“, fragte ich, nach Nor-den deutend.

„O Sihdi, das ist kein anderer als der Scheik!“„Ja, es ist Mohammed Emin. In zehn Minuten wird er

bei uns sein.“So war es auch. Er erkannte uns und ritt in Eile herbei.„Was nun, Effendi?“, fragte er mich.„Das wird sich ganz nach dem richten, was du erfahren

hast. Bist du vielleicht bemerkt worden?“„Nein. Nur ein Schäfer trieb in weiter Entfernung seine

Herde an mir vorüber.“„Wie wurdest du gefangen?“„Du hattest mich nach den Ruinen von Khorsabad be-

stellt. Bis heute Morgen verbarg ich mich im südlichenTeil, dann aber postierte ich mich näher am Weg, um dichkommen zu sehen. Hier wurde ich von den Soldaten gese-hen und umzingelt. Ich konnte mich nicht wehren, weiles ihrer zu viele waren, und weshalb sie mich gefangennahmen, das weiß ich nicht.“

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„Fragten sie dich nach deinem Stamm und einem Namen?“„Ja, aber ich habe sie falsch berichtet.“„Diese Leute sind unerfahren. Ein Araber hätte dich an

deiner Tätowierung erkannt. Sie nahmen dich gefangen,weil in den Ruinen von Kujundschik die Truppen des Pa-scha liegen, die bestimmt sind, gegen die Schammar zuziehen.“

Er erschrak und hielt sein Pferd an.„Gegen die Schammar? Allah helfe uns, da muss ich so-

fort umkehren!“„Das ist nicht nötig. Ich kenne den Plan des Mutaßarryf.

Der Zug gegen die Schammar ist für jetzt nur eine Maske.Der Pascha will zunächst die Jesidi überfallen. Diese sol-len das nicht ahnen und daher gibt er vor, gegen die Scham-mar ziehen zu wollen.“

„Weißt du dies genau?“„Ganz genau, denn ich habe mit ihm selbst gesprochen.

Ich soll zurückkommen und ihm die Weideplätze der Scham-mar auskundschaften.“

„Aber wenn er mit den Jesidi schnell fertig wird, so be-nutzt er sicher die Gelegenheit, sein Heer sofort auch ge-gen die Schammar zu schicken.“

„Er wird mit den Jesidi nicht so schnell fertig werden,darauf kannst du dich verlassen. Und dann ist die kurzeFrühlingszeit vorüber. Sobald die heißen Tage kommen,verdorren die Pflanzen und die Ebene trocknet aus. DieBedwan ziehen sich mit ihren Herden nach den Bergendes Schammar oder des Sindschar zurück und das Heerdes Pascha müsste elend verschmachten.“

„Du hast Recht, Effendi. So wollen wir unsern Weg ge-trost fortsetzen, aber ich kenne ihn nicht.“

„Wir haben rechts die Straße nach Aïn Sifni, links denWeg nach Dscherraije und Baadri. Bis Baadri aber darfman uns nicht sehen und so wird es zweckmäßig sein, unsimmer am Ufer des Khausser zu halten. Haben wir Dscherraijehinter uns, so brauchen wir uns nicht mehr zu verbergen.“

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„Wie weit haben wir bis Baadri?“„Drei Stunden.“„Effendi, du bist aus einem weit entfernten Land und

kennst diese Gegend besser als ich?“„Wir wollen nach Amadije und ich habe mich genau

nach der Gegend erkundigt, durch die wir reisen müssen.Das ist alles! Jetzt aber vorwärts!“

Obgleich die beiden Wege, die wir vermeiden wollten,kaum eine halbe Stunde voneinander entfernt lagen, glück-te es uns doch, unbemerkt zu bleiben. Sahen wir rechtsLeute kommen, so ritten wir nach links hinüber, und er-blickten wir links Menschen, so hielten wir uns nach rechts.Natürlich leistete mir mein Fernrohr dabei die wichtigs-ten Dienste und nur ihm allein hatten wir es zu verdan-ken, dass wir uns endlich beim Anblick von Baadri sicherfühlen konnten.

Wir waren nun beinahe zehn Stunden lang im Sattelgewesen und also ziemlich müde, als wir die Hügelreiheerreichten, an deren Fuße das Dorf lag, das der Wohnplatzdes geistlichen Oberhauptes der Teufelsanbeter sowie desweltlichen Oberhauptes des Stammes war. Ich fragte denersten Mann, der mir begegnete, nach dem Namen desBej. Er sah mich verlegen an. Ich hatte ganz außer Achtgelassen, dass die Jesidi meist nicht Arabisch reden.

„Bejin ady nedir – wie heißt der Bej?“, fragte ich tür-kisch.

„Ali Bej“, antwortete er mir.„Nerde oturujor – wo wohnt er?“„Gel, ßeni götürürüm – komm, ich werde dich führen!“Er führte uns bis an ein großes, aus Steinen aufgeführ-

tes Gebäude.„Bunda oturujor – da drinnen wohnt er“, sagte der Mann,

dann entfernte er sich wieder.Das Dorf war außerordentlich belebt. Ich bemerkte au-

ßer den Häusern und Hütten auch eine Menge Zelte, vordenen Pferde oder Esel angebunden waren, und zwischen

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ihnen bewegte sich eine zahlreiche Menschenmenge hinund her. Diese war so bedeutend, dass unser Kommen garnicht aufzufallen schien.

„Sihdi, schau hierher!“, sagte Halef. „Kennst du den?“Er zeigte auf einen Esel, der am Eingang des Hauses

angebunden war. Wahrhaftig, es war der Esel unseres di-cken Bölük Emini! Ich stieg ab und trat ein. Da scholl mirdie dünne Fistelstimme des tapferen Ifra entgegen:

„Und du willst mir wirklich keine andere Wohnung geben?“„Ich habe keine andere“, antwortete eine andere Stim-

me in sehr trockenem Ton.„Du bist der Muchtar1, du musst eine andere schaffen!“„Ich habe dir bereits gesagt, dass ich keine andere habe.

Das Dorf ist voll von Pilgern, es ist kein Platz mehr leer.Warum führt dein Effendi nicht ein Zelt bei sich?“

„Mein Effendi? Ein Emir ist er, ein großer Bej, der be-rühmter ist als alle Jesidifürsten im Gebirge!“

„Wo ist er?“„Er wird nachkommen. Er will erst einen Gefangenen

fangen.“„Einen Gefangenen fangen? Bist du toll?“„Einen entflohenen Gefangenen.“„Ach so!“„Er hat einen Ferman2 des Großherrn, einen Ferman und

viele Briefe des Mutaßarryf, und hier ist auch meine Beschei-nigung.“

„Dein Herr mag selbst kommen!“„Was? Er hat das Disch paraßy und du sagst, er möge

selbst kommen! Ich werde mit dem Scheik sprechen!“„Der ist nicht hier.“„So rede ich mit dem Bej!“„Geh hinein zu ihm!“„Ja, ich werde gehen. Ich bin ein Bölük Emini des Groß-

herrn, habe fünfunddreißig Piaster3 Monatssold und brauch’mich vor keinem Muchtar zu fürchten. Hörst du?“

1 Dorfoberhaupt 2 Pass 3 Sieben Mark

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„Ja. Fünfunddreißig Piaster für den Monat!“, klang esbeinahe lustig. „Was bekommst du noch?“

„Was noch? Höre es! Zwei Pfund Brot, siebzehn Lot1

Fleisch, drei Lot Butter, fünf Lot Reis, ein Lot Salz und an-derthalb Lot Zutaten täglich, außerdem auch noch Seife,Öl und Stiefelschmiere. Verstehst du mich? Und wenn duüber meine Nase lachst, die ich nicht mehr habe, so werdeich dir erzählen, wie sie mir abhanden gekommen ist! Daswar damals, als wir vor Sebastopol standen; ich befandmich im dicksten Kugelregen und...“

„Ich habe keine Zeit, dich anzuhören. Soll ich dem Bejsagen, dass du mit ihm reden willst?“

„Sage es ihm. Doch vergiss nicht zu erwähnen, dass ichmich nicht abweisen lasse!“

Meine Person war also der Gegenstand dieser lautenUnterhaltung. Ich trat ein, Mohammed Emin und Halefhinter mir. Der Muchtar stand eben im Begriff, eine Türzu öffnen, drehte sich aber bei unserem Erscheinen um.

„Da kommt der Effendi selbst“, meinte Ifra. „Er wirddir zeigen, wem du zu gehorchen hast!“

Ich wandte mich zunächst zu dem Bölük Emini:„Du hier? Wie kommst du so ganz allein nach Baadri?“Sein Gesicht zeigte eine kleine Verlegenheit, doch blieb

er mir die Antwort nicht schuldig:„Habe ich dir nicht gesagt, dass ich voranreiten würde,

Exzellenz?“„Wo sind die andern?“„Verschwunden, verduftet, weggeblasen!“„Wohin?“„Ich weiß es nicht, Hoheit.“„Du musst es doch gesehen haben!“„Nur ein wenig. Als der Gefangene entfloh, jagten alle

hinter ihm her, auch meine Leute und die Arnauten.“„Warum du nicht?“„Escheghim istemedi, effendim – mein Esel wollte nicht,

1 Lot = 15 g

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Herr. Und außerdem musste ich doch nach Baadri, umdir Quartier zu machen.“

„Hast du den entflohenen Gefangenen genau angese-hen?“

„Wie konnte ich? Ich lag ja mit dem Angesicht zur Erde,und als ich mich erhob, um der Jagd zu folgen, war erbereits weit fort.“

Dies war mir sehr lieb, der Sicherheit Mohammed Eminswegen.

„Werden die andern bald nachkommen?“„Wer weiß es! Allah ist unerforschlich; er führt den Gläu-

bigen dahin und dorthin, nach rechts und nach links, wiees ihm gefällt, denn die Wege des Menschen sind im Kitâb-i takdir, im Buch der Vorsehung, verzeichnet.“

„Ist Ali Bej hier?“, fragte ich jetzt den Dorfvorsteher.„Ja. Bu kapynyn ardynda – hinter dieser Tür.“„Sage ihm, dass wir ihn sprechen wollen!“Während er in das andere Gemach ging, stieß Ifra den

kleinen Halef in die Seite und sagte leise, nach Moham-med Emin blinzelnd:

„Wer ist dieser Araber?“„Ein Scheik.“„Wo kommt er her?“„Wir haben ihn gefunden. Er ist ein Freund meines Sihdi

und wird jetzt bei uns bleiben.“„Tschok Bachschisch werir mi – gibt er viel Trinkgeld?“„Bu kadar – so viel!“, meinte Halef, wobei er alle zehn

Finger emporstreckte.Das war dem guten Bölük Emini genug, wie ich seiner

vor Zufriedenheit strahlenden Miene anmerkte. Jetzt öff-nete sich die Tür und der Dorfvorsteher kehrte zurück.Hinter ihm erschien ein junger Mann von auffallend schö-ner Gestalt. Er war hoch und schlank gewachsen, hatteregelmäßige Gesichtszüge und ein Paar Augen, deren Feu-er überraschend war. Er trug eine fein gestickte Hose, einreiches Jäckchen und einen Turban, unter dem eine Fülle

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der prächtigsten Locken hervorquoll. In seinem Gürtelbefand sich nur ein Messer, dessen Griff von sehr kunst-voller Arbeit war.

„Hosch geldin – seid willkommen!“, sagte er, währender zunächst mir, dann dem Scheik und endlich auch Halefdie Hand reichte. Den Bölük Emini aber schien er gar nichtzu bemerken.

„Af bujurun, bej effendi – vergib mir, Herr, dass ich deinHaus betrete“, antwortete ich. „Der Abend ist nahe undich wollte dich fragen, ob es in deinem Gebiet eine Stellegibt, an der wir unser Haupt zur Ruhe legen können.“

Er betrachtete mich sehr aufmerksam von Kopf bis Fußund erwiderte dann:

„Man soll den Wanderer nicht fragen, woher und wo-hin. Aber mein Muchtar sagte mir, dass du ein Emir seist.“

„Ich bin kein Araber und kein Türke, sondern ein Alaman,weit vom Abendland her.“

„Ein Alaman? Ich kenne dieses Volk nicht und habe auchnoch keinen seiner Söhne gesehen. Aber ich habe von einemAlaman gehört, den ich sehr gern kennen lernen möchte.“

„Darf ich fragen, warum?“„Weil drei von meinen Männern ihm das Leben zu ver-

danken haben.“„Inwiefern?“„Er hat sie aus der Gefangenschaft befreit und zu den

Haddedihn gebracht.“„Sind sie hier in Baadri?“„Ja.“„Und heißen Pali, Selek und Melaf?“Er trat überrascht einen Schritt zurück.„Du kennst sie?“„Wie hieß der Alaman, den du meinst?“„Kara Ben Nemsi wurde er genannt.“„So ist mein Name. Dieser Mann hier ist Mohammed

Emin, der Scheik der Haddedihn, und der andere ist Halef,mein Begleiter.“

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„Ist es möglich? Welch eine Überraschung! Sini kudschak-lajym – ich muss dich umarmen!“

Er zog mich an sich und küsste mich auf beide Wangen,dasselbe tat er auch mit Mohammed und Halef, nur dasser bei dem Hadschi den Kuss unterließ. Dann fasste ermich bei der Hand und sagte:

„Tschelebim, münaßib geldin – Herr, du kommst zurrechten Zeit. Wir haben ein großes Fest, bei dem man nichtFremde zuzulassen pflegt; du aber sollst dich mit uns freu-en. Bleibe hier, solange die fröhlichen Tage dauern, undauch später noch recht lange!“

„Ich bleibe gern, wenn es dem Scheik gefällt.“„Es wird ihm gefallen.“„Du musst wissen, dass sein Herz ihn vorwärts treibt,

wie wir dir noch erzählen werden.“„Ich weiß es. Aber tretet herein. Mein Haus ist euer Haus

und mein Brot ist euer Brot, Ihr sollt unsere Brüder sein,solange wir leben!“

Während wir durch die Tür schritten, hörte ich Ifra zudem Gemeindeältesten sagen:

„Hast du gehört, Alter, was für ein berühmter Emir meinEffendi ist? Lerne auch mich danach schätzen!“

Das Gemach, das wir betraten, war sehr einfach aus-gestattet. Der Scheik und ich mussten zur Seite Ali BejsPlatz nehmen. Dieser hatte meine Hand noch immer nichtlosgelassen und betrachtete mich abermals sehr aufmerk-sam.

„Also du bist der Mann, der die Feinde der Haddedihngeschlagen hat!“

„Willst du meine Wangen schamrot machen?“„Und der des Nachts ohne alle Hilfe einen Löwen töte-

te! Ich möchte sein wie du! Du bist ein Christ?“„Ja.“„Die Christen sind mächtiger als andere Leute, aber ich

bin auch ein Christ.“„Sind die Jesidi Christen?“

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„Sie sind alles. Die Jesidi haben von allen Religionennur das Gute für sich genommen...“

„Weißt du das gewiss?“Er zog die Brauen zusammen.„Ich sage dir, Effendi, dass in diesen Bergen keine Reli-

gion allein zu herrschen vermag; denn unser Volk ist zer-teilt, unsere Stämme sind gespalten und unsere Herzen sindzerrissen. Eine gute Religion muss Liebe predigen, abereine freiwillige, aus dem Innern hervorwachsende Liebekann bei uns nicht Wurzel schlagen, weil der Acker ausdem Boden des Hasses, der Rachsucht, des Verrates undder Grausamkeit zusammengesetzt ist. Hätte ich die Macht,so würde ich die Liebe predigen, aber nicht mit den Lip-pen, sondern mit dem Schwert in der Faust, denn wo eineedle Blume gedeihen soll, da muss zuvor das Unkraut aus-gerottet werden. Oder meinst du, dass eine Predigt im Stan-de sei, aus Sehirli ot1 eine Karanfil2 zu machen? Der Gärt-ner kann die Blüte der Giftpflanze füllen und verschönern,das Gift aber wird im Innern heimtückisch verborgen blei-ben. Und ich sage dir, die Predigt meines Schwertes sollteLämmer aus Wölfen machen. Wer diese Predigt hörte,würde glücklich sein; wer ihr aber widerstrebte, den wür-de ich zermalmen. Dann erst könnte ich das Schwert indie Scheide stecken und zu meinem Zelt heimkehren, ummich meines Werkes zu freuen. Denn wenn sie einmal ein-gezogen ist, so ist es wahr, was das heilige Buch der Chris-ten von ihr sagt: Muhabbet bitmes – die Liebe hört nie auf!“

Sein Auge leuchtete, seine Wangen hatten sich gerötetund der Ton seiner Stimme kam aus der Tiefe eines vollenHerzens heraus. Er war ein edler Mann.

„Du glaubst also, dass die christlichen Prediger, die ausder Ferne kommen, hier nichts zu wirken vermögen?“, frag-te ich nun.

„Wir Jesidi kennen euer heiliges Buch. Dieses sagt:‚Hudanyn ßösü, kajalary esen bir tschekitschtir – das Wort

1 Giftkraut 2 Nelke

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Gottes ist ein Hammer, der Felsen zertrümmert.‘ Aberkannst du mit einem Hammer das Wasser zermalmen?Kannst du mit ihm die Dünste zerschmettern, die demSumpf entsteigen und das Leben töten? Frage die Män-ner, die aus Amerika herübergekommen sind! Sie habenviel gelehrt und gesprochen; sie haben schöne Sachen ge-schenkt und verkauft; sie haben sogar als Buchdruckerunter uns gearbeitet. Und die Leute haben sie angehört,haben ihre Geschenke genommen, haben sich taufen las-sen und dann sind sie hingegangen, um zu rauben, zu steh-len und zu töten wie vorher. Das heilige Buch wurde inunserer Sprache gedruckt, aber kein Mensch hier kannschreiben oder lesen. Glaubst du, dass diese frommenMänner uns das Schreiben und das Lesen lehren sollten?Unsere Feder darf jetzt nur von scharfem Stahl sein. Dublickst mich an mit großen Augen; du meinst, der Friedesei besser als der Krieg und die Schaufel besser als die Keu-le? Ich meine es auch. Aber kannst du dir den Friedendenken, ohne dass er mit dem Säbel errungen ist? Müssenwir hier nicht die Keule tragen, um mit der Schaufel ar-beiten zu können? Sieh dich an, nur dich allein! Du trägstsehr viele Waffen an dir und sie sind besser als die, die wirbesitzen. Warum trägst du sie? Trägst du sie in Almanjaauch, wenn du eine Reise unternimmst?“

„Nein“, musste ich antworten.„Da siehst du es! Ihr könnt zur Kiliße1 gehen und zu

Allah beten ohne Sorge; ihr könnt euch zum Lehrer setzenund auf seine Stimme hören ohne Angst; ihr könnt eureEltern ehren und eure Kinder unterweisen ohne Furcht;ihr lebt im Garten Eden unverzagt, denn eurer Schlangeist der Kopf zertreten. Wir aber warten noch des Helden,der das ‚Geschrei in den Bergen‘ beruhigen soll, von demeuer Buch erzählt. Und ich sage dir, dass er noch kommenwird. Nicht der Russe wird es sein und auch nicht derEngländer, nicht der Türke, der uns aussaugt, und auch

1 Kirche

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nicht der Perser, der uns so höflich belügt und betrügt. Wirglaubten einst, Bonaperta werde es sein, der große Schah derFranzosen; jetzt aber wissen wir, dass der Löwe nicht vomAdler Hilfe erwarten soll, denn das Reich beider ist verschie-den. Hast du einmal gehört, was die Jesidi gelitten haben?“

„Ja.“„Wir wohnten in Frieden und Eintracht am Dschebel

Sindschar, aber wir wurden unterdrückt und vertrieben.Es war im Frühjahr, der Fluss war ausgetreten und dieBrücke weggerissen. Da lagen unsere Greise, unsere Wei-ber und Kinder unten bei Mossul am Wasser. Sie wurdenin die brausenden Fluten getrieben oder hingeschlachtetwie die wilden Tiere und auf den Terrassen der Stadt standdas Volk von Mossul und jubelte über die Würgerei. DieÜbriggebliebenen wussten nicht, wohin sie ihr Haupt le-gen sollten. Sie gingen in die Berge des Maklub, nachBuhtan, Scheikhan, Missuri, nach Syrien und sogar überdie russische Grenze. Dort haben sie eine Heimat errun-gen, dort arbeiten sie, und wenn du ihre Wohnungen, ihreKleider, ihre Gärten und Felder siehst, so freust du dich;denn da herrscht Fleiß, Ordnung und Sauberkeit, wäh-rend du rundum nur Schmutz und Faulheit findest. Dasaber lockt die andern, und wenn sie Geld und Leute brau-chen, so fallen sie über uns her und morden uns und un-ser Glück. Wir feiern in drei Tagen das Fest unseres gro-ßen Heiligen. Wir haben es seit vielen Jahren nicht feiernkönnen, weil die Pilger auf der Reise nach Scheik Adi dasLeben gewagt hätten. In diesem Jahr aber scheint es, alsob sich unsere Feinde ruhig verhalten wollten, und sowerden wir nach langer Zeit wieder einmal unsern Heili-gen verehren. Tschelebim, münaßib geldin – du kommstzur rechten Zeit. Zwar mögen wir Fremde nicht bei unse-ren Festen haben, du aber bist der Wohltäter der Meini-gen und wirst uns willkommen sein.“

Nichts war mir angenehmer als diese Einladung, dennsie gab mir Gelegenheit, die Sitten und Gebräuche der

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rätselhaften Teufelsanbeter kennen zu lernen. Die Ridschâlesch Schejtan oder Schejtanyn halky1 waren mir so schlimmgeschildert worden und erschienen mir doch in einem vielbesseren Licht, sodass ich begierig war, mir Aufklärungüber sie zu verschaffen.

„Habe Dank für dein freundliches Anerbieten“, antwor-tete ich. „Ich würde sehr gern bei dir verweilen, aber wirhaben eine Aufgabe zu lösen, die erfordert, dass wir baldwieder Baadri verlassen.“

„Ich kenne diese Aufgabe“, antwortete er. „Du kannsttrotzdem unser Fest mitfeiern.“

„Du kennst sie?“„Ja. Ihr wollt zu Amad el Ghandur, dem Sohn des Scheik

Mohammed Emin. Er befindet sich in Amadije.“„Woher weißt du dies?“„Von den drei Männern, die du gerettet hast. Ihr werdet

ihn aber jetzt nicht befreien können.“„Warum?“„Der Mutaßarryf von Mossul scheint einen Einfall der

östlichen Kurden zu befürchten und hat viele Truppen nachAmadije bestimmt, von denen bereits eine Anzahl dorteingetroffen ist.“

„Wie viel?“„Zwei Jüsbaschy mit zweihundert Mann vom sechsten

Infanterieregiment Anatoli ordußu in Diarbekr und dreiJüsbaschy mit dreihundert Mann vom dritten Infanterie-regiment Anadolu ordußu in Kerkuk, zusammen also fünf-hundert Mann, die unter einem Binbaschy stehen.“

„Und Amadije liegt zwölf Stunden von hier?“„Ja, doch die Wege sind so mühsam, dass du innerhalb

eines Tages nicht hinzukommen vermagst. Man übernach-tet gewöhnlich in Kheloki oder Spinduri und reitet erstam nächsten Morgen über die steilen und beschwerlichenGhara-Berge, hinter denen die Ebene und der Felsenkegelvon Amadije liegt.“

1 Teufelsleute

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„Welche Truppen stehen in Mossul?“„Teile vom zweiten Dragoner- und vom vierten Infante-

rieregiment der Irak-Division. Auch sie sind in Bewegung.Eine Abteilung soll gegen die Beduinen ziehen und eineandere wird über unsere Berge kommen, um nach Amadijezu marschieren.“

„Wie hoch zählen diese?“„Tausend Mann unter einem Miralaj, bei dem sich auch

ein Alaj Emini1 befindet. Diesen Miralaj kenne ich, er hatdas Weib und die beiden Söhne von Pir2 Kamek getötetund heißt Omar Achmed.“

„Weißt du, wo sie sich versammeln?“„Die gegen die Beduinen bestimmt sind, halten sich in

den Ruinen von Kujundschik verborgen; ich habe durchmeine Kundschafter erfahren, dass sie bereits übermorgenaufbrechen werden. Die anderen aber werden erst spätermarschfertig.“

„Ich glaube, dass du von deinen Kundschaftern falschberichtet worden bist.“

„Wieso?“„Glaubst du wirklich, dass der Mutaßarryf Truppen so

weit her aus Diarbekr kommen lässt, um sie gegen die öst-lichen Kurden zu verwenden? Hätte er das zweite Infante-rieregiment Anadolu ordußu, das in Suleimanije liegt, nichtviel näher? Und besteht das dritte Regiment in Kerkuknicht meistenteils aus Kurden? Glaubst du, dass er denFehler begeht, dreihundert Mann von ihnen gegen die ei-genen Stammesgenossen zu schicken?“

Er machte eine sehr nachdenkliche Miene und meinte dann:„Deine Rede ist klug, aber ich begreife sie nicht.“„Haben die Truppen, die in Kujundschik halten, Kano-

nen bei sich?“„Nein.“„Wenn man einen Zug in die Ebene beabsichtigt, wird

man gewisslich Kanoniere mitnehmen. Eine Truppe, bei

1 Regimentsquartiermeister 2 Jesidischer Heiliger

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der sich keine Artillerie befindet, wird ganz sicher in dieBerge bestimmt sein.“

„So hat mein Kundschafter eine Verwechslung began-gen. Die Leute, die in den Ruinen halten, sind nicht ge-gen die Beduinen, sondern nach Amadije bestimmt.“

„Sie sollen bereits übermorgen aufbrechen? Dann kom-men sie just am Tag eures großen Festes hier an!“

„Effendi!“Er sprach nur dies eine Wort, aber im Ton des höchsten

Schreckens.Ich fuhr fort:„Bemerke, dass weder die Süd- noch die Nordseite von

Scheik Adi, sondern nur die West- und die Ostseite fürTruppen zugänglich sind. Zehn Stunden von hier versam-meln sich im Westen tausend Mann bei Mossul und zwölfStunden von hier im Osten vereinigen sich fünfhundertMann in Amadije. Scheik Adi wird eingeschlossen und esist kein Entrinnen möglich.“

„Herr, wäre das so gemeint?“„Glaubst du wirklich, dass fünfhundert Mann hinrei-

chend wären, in das Gebiet der Kurden von Berwari, vonBuhtan, Tijari, Khal, Hakkiari, Tura Ghara, Bos Dagh undSchirwan einzufallen? Diese Kurden würden ihnen schonam dritten Tag sechstausend Streiter entgegenstellen kön-nen.“

„Du hast Recht, es ist auf uns abgesehen!“„Jetzt, wo du dich von den Gründen der Wahrschein-

lichkeit überzeugen ließest, vernimm denn: Ich weiß esaus dem eigenen Mund des Mutaßarryf, dass er euch inScheik Adi überfallen will.“

„Wirklich?“„Höre!“Ich erzählte ihm von meiner Unterredung mit Schekib

Halil Pascha das, was mich zu meiner Schlussfolgerungberechtigte. Als ich geendet hatte, erhob er sich und schritteinige Mal auf und ab. Dann bot er mir die Hand.

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„Ich danke dir, Effendi, du hast uns alle gerettet! Hät-ten uns fünfzehnhundert Soldaten unerwartet überfallen,so wären wir verloren gewesen; nun aber wird es mir liebsein, wenn sie wirklich kommen. Der Mutaßarryf hat unsmit Vorbedacht in Sicherheit gewiegt, um uns zur Wallfahrtnach Scheik Adi zu verlocken; er hat sich alles sehr schlauausgesonnen, eins aber hat er außer Acht gelassen: Die Mäu-se, die er fangen will, werden so zahlreich werden, dass sie dieKatzen erdrücken können. Es wird ratsam sein, keinem Men-schen etwas von dem zu sagen, was wir gesprochen haben;erlaube, dass ich mich für einige Augenblicke entferne.“

Er ging hinaus.„Wie gefällt er dir, Effendi?“, fragte Mohammed Emin.„Ebenso wie dir!“„Und dies soll ein Merd-i Schejtan, ein Teufelsanbeter

sein?“, fragte Halef. „Einen Jesidi habe ich mir vorgestelltmit dem Rachen eines Wolfes, mit den Augen eines Tigersund mit den Krallen eines Vampirs!“

„Glaubst du nun immer noch, dass dich die Jesidi umden Himmel bringen werden?“, fragte ich ihn lächelnd.

„Warte es noch ab, Sihdi! Ich habe gehört, dass der Teu-fel oft eine sehr schöne Gestalt annehme, um den Gläubi-gen desto sicherer zu betrügen.“

Da öffnete sich die Tür und ein Mann trat ein, dessenAnblick ganz ungewöhnlich war. Seine Kleidung zeigte dasreinste Weiß und schneeweiß war auch das Haar, das ihmin langen, lockigen Strähnen über den Rücken herabwallte.Er mochte wohl achtzig Jahre zählen, seine Wangen wa-ren eingefallen und seine Augen lagen tief in ihren Höh-len, aber ihr Blick war kühn und scharf und die Bewe-gung, mit der er eingetreten war und die Tür geschlossenhatte, zeigte eine elastische Gewandtheit. Der volle Bart,der ihm rabenschwarz und schwer bis über den Gürtel her-niederhing, bildete einen merkwürdigen Kontrast zu demglänzenden Schnee des Haupthaars. Er verbeugte sich voruns und grüßte mit volltönender Stimme:

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„Güneschinis hitsch ßönmeßin – eure Sonne verlöschenie!“ Und dann fügte er hinzu: „Hun be kurmandschi zanin– versteht ihr, Kurdisch zu sprechen?“

Diese letztere Frage war im kurdischen Dialekt desKurmandschi ausgesprochen, und als ich unwillkürlich mitder Antwort zögerte, meinte er:

„Schima zazadscha zani?“Dies war ganz dieselbe Frage in Zaza-Dialekt. Diese

beiden Dialekte sind die bedeutendsten der kurdischenSprache, die ich damals noch nicht kannte. Ich verstanddaher die Worte nicht und antwortete auf Türkisch:

„Sseni anlamyjorus – wir verstehen dich nicht. Ridschaederim türktsche ßöjle – bitte, rede Türkisch!“

Dabei erhob ich mich, um ihm meinen Platz anzubie-ten, wie es seinem Alter gegenüber der Anstand erfordert.Er ergriff meine Hand und fragte:

„Alman olan ßen mißin – bist du der Deutsche?“„Ja.“„Müßaade et, ßeni kudschaklajym – erlaube, dass ich

dich umarme!“Er drückte mich in der herzlichsten Weise an sich, nahm

aber den angebotenen Platz nicht an, sondern setzte sichan die Stelle, wo der Bej gesessen hatte.

„Mein Name ist Kamek“, begann er. „Ali Bej sendet michzu euch.“

„Kamek? Der Bej hat bereits von dir gesprochen.“„Wobei hat er mich erwähnt?“„Es würde dir Schmerz machen, es zu hören.“„Schmerz? Kamek hat niemals Schmerz. Alle Schmer-

zen, deren das Herz des Menschen fähig ist, habe ich ineiner einzigen Stunde durchkostet. Wie kann es da nochein Leid für mich geben?“

„Ali Bej sagte, dass du den Miralaj Omar Achmed kennst.“Es zuckte keine Falte seines Gesichtes und seine Stimme

klang völlig ruhig, als er antwortete:„Ich kenne ihn, aber er kennt mich noch nicht. Er hat

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mir mein Weib und meine Söhne getötet. Was ist mitihm?“

„Verzeihe, Ali Bej wird es dir selbst sagen!“„Ich weiß, dass ihr nicht sprechen sollt, aber Ali Bej hat

kein Geheimnis vor mir. Er hat mir mitgeteilt, was du ihmvon der Absicht des Türken gesagt hast. Glaubst du wirk-lich, dass sie kommen werden, um unser Fest zu stören?“

„Ich glaube es.“„Sie sollen uns besser gerüstet finden als damals, wo

meine Seele verloren ging. Hast du ein Weib und hast duKinder?“

„Nein.“„So kannst du auch nicht ermessen, dass ich lebe und doch

längst gestorben bin. Aber du sollst es erfahren. Kennstdu Tell Afar?“

„Ja.“„Du warst dort?“„Nein, aber ich habe von ihm gelesen.“„Wo?“„In den Beschreibungen dieses Landes und auch in – du

bist ein Pir, ein berühmter Heiliger der Jesidi, du kennstalso auch das heilige Buch der Christen?“

„Ich besitze den Teil, der Tewrat1 genannt wird, in tür-kischer Sprache.“

„Nun, so hast du auch das Buch des Propheten Jesaiasgelesen?“

„Ich kenne es. Dschesaja ist der erste der sechzehn Pro-pheten.“

„So schlage in diesem Buch das siebenunddreißigste Kapi-tel nach! Dort lautet der zwölfte Vers: ‚Haben auch dieGötter der Heiden alle die gerettet, so von meinen Väternvernichtet wurden, Gozam und Harram, und Reseph, unddie Söhne Edens zu Thalassar?‘ Dieses Thalassar ist TellAfar.“

Er blickte mich erstaunt an.

1 Altes Testament

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„So kennt Ihr aus eurem heiligen Buch die Städte unse-res Landes, die bereits vor Jahrtausenden bestanden?“

„So ist es.“„Euer Kitâb ist größer als der Korân. Aber höre! Ich

wohnte in Mikran, am Fuß des Dschebel Sindschar, alsdie Türken über uns hereinbrachen. Ich flüchtete mitmeinem Weib und zwei Söhnen nach Tell Afar, denn es isteine feste Stadt und ich hatte dort einen Freund, der michbei sich aufnahm und verbarg. Aber auch hier drangen dieWütenden ein, um alle Jesidi, die hier Schutz gesucht hat-ten, zu töten. Mein Versteck wurde entdeckt und meinFreund für seine Barmherzigkeit erschossen. Ich wurdegebunden und mit Weib und Kindern vor die Stadt ge-bracht. Dort loderten die Feuer, in denen wir den Todfinden sollten, und dort floss das Blut der Gemarterten.Ein Mülasim stach mir, um mir Schmerz zu bereiten, seinMesser durch die Wangen. Hier siehst du die Narben noch.Meine Söhne waren mutige Jünglinge, sie sahen meineQual und vergriffen sich an ihm. Dafür wurden auch siegefesselt und ebenso geschah es ihrer Mutter. Man schlugbeiden die rechte Hand ab und schleppte sie dann zumFeuer. Auch mein Weib wurde verbrannt und ich musstees sehen. Dann zog der Mülasim das Messer aus meinemAntlitz und stach es mir langsam, sehr langsam in die Brust.Als ich erwachte, war es Nacht und ich lag unter Leichen.Die Klinge hatte das Herz nicht getroffen, aber ich lag inmeinem Blut. Ein Chaldäer fand mich am Morgen undverbarg mich in den Ruinen von Kara Tepe. Es vergingenviele Wochen, ehe ich mich erheben konnte, und meinHaar war in der Todesstunde der Meinen weiß geworden.Mein Leib lebte wieder, aber mein Seele war tot. MeinHerz ist verschwunden; an seiner Stelle klopft und schlägtein Name, der Name Omar Achmed, denn so hieß jenerMülasim. Er ist jetzt Miralaj.“

Er erzählte das in einem einförmigen, gleichgültigen Ton,der mich mehr ergriff als der glühendste Ausdruck eines

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unversöhnlichen Rachegefühls. Die Erzählung klang somonoton, so automatisch, als würde sie von einem Hyp-notisierten oder einem Nachtwandler vorgetragen. Es warschrecklich anzuhören.

„Du willst dich rächen?“, fragte ich.„Rächen? Was ist Rache?“, antwortete er in demselben

Ton. „Sie ist eine böse, heimtückische Tat. Ich werde ihnbestrafen und dann wird mein Leib dorthin gehen, wohinihm meine Seele vorangegangen ist. – Ihr werdet währendunseres Festes bei uns verweilen?“

„Wir wissen es noch nicht.“„Bleibt hier! Wenn ihr geht, wird euch euer Vorhaben nicht

glücken; bleibt ihr aber, so dürft ihr alle Hoffnung haben,dass es gelingen werde; denn es wird euch kein Türke mehrim Weg sein und die Jesidi können euch leicht unterstützen.“

Er sprach jetzt wieder in einem ganz anderen Ton undsein Auge hatte das frühere Leben wiederbekommen.

„Unsere Anwesenheit würde euer Fest vielleicht stören“,sagte ich in der Absicht, vielleicht einiges über seine Sektezu erfahren.

Er machte eine verneinende Geste.„Glaubst du auch das Märchen oder vielmehr die Lü-

gen, die man von uns erzählt? Vergleiche uns mit anderen,so wirst du Reinlichkeit und Reinheit finden. Die Rein-heit ist es, nach der wir streben; die Reinheit des Leibesund die Reinheit des Geistes, die Reinheit der Rede unddie Reinheit der Lehre. Rein ist das Wasser und rein ist dieFlamme. Darum lieben wir das Wasser und taufen mit ihm.Darum verehren wir das Licht als das Symbol des reinenGottes, von dem auch euer Kitâb sagt, dass er in einemLicht wohnt, zu dem niemand kommen kann. Ihr heiligteuch mit geweihtem Wasser und wir heiligen uns mit ge-weihtem Feuer. Wir tauchen die Hand in die Flamme undsegnen mit ihr unsere Stirn, wie ihr es mit dem Wassertut. Ihr sagt, Hasret-i Isa1 sei auf der Erde gewesen und

1 Der Herr Jesus

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werde einst wiederkommen; wir wissen ebenso, dass er einstunter den Menschen wandelte, und glauben, dass er zu-rückkehren werde, um uns die Tore des Himmels zu öff-nen. Ihr verehrt den Heiland, der auf der Erde lebte; wirverehren den Heiland, der einst wiederkommen wird. Wirwissen, wann er ein Mensch gewesen war, aber wir wissennicht, wann er wiederkommen wird, und daher tun wirdas, was er den Seinen befahl, als er sie im Garten Gethse-mane schlafend fand: ‚Ighwaya düschmemek itschin, ujanykdurup dua dedinis – wacht und betet, auf dass ihr nicht inVersuchung fallt!‘ Darum bedienen wir uns des Hahns,der ein Symbol der Wachsamkeit ist. Tut ihr dies nichtauch? Ich habe mir erzählen lassen, dass die Christen aufden Dächern ihrer Häuser und ihrer Tempel sehr oft ei-nen Hahn anbringen, der aus Blech gemacht und mit Goldüberzogen ist. Ihr nehmt einen blechernen Hahn und wireinen lebendigen. Sind wir deshalb Götzendiener oder böseMenschen? Eure Priester sind weiser und eure Lehren sindbesser; wir würden bessere Lehren haben, wenn wir weiserePriester hätten. Ich bin unter allen Jesidi der einzige, dereuer Kitâb lesen und schreiben kann, und darum rede ichzu dir, wie kein anderer zu dir reden wird.“

„Warum bittet ihr nicht um Priester, die die eurigenunterweisen können?“

„Weil wir nicht teilnehmen wollen an eurer Uneinig-keit. Die Lehre der Christen ist gespalten. Wenn ihr unseinmal sagen könnt, dass ihr einig seid, so werdet ihr unswillkommen sein. Wenn die Christen des Abendlandes unsLehrer senden, von denen jeder anders lehrt, so tun sieselbst den größten Schaden. Isa sagt in eurem Kitâb: ‚Tarikwe hakikat we hajat benim – ich bin der Weg, die Wahr-heit und das Leben.‘ Warum haben die Abendländer soviele Wege, so viele Wahrheiten, da es doch nur den einengibt, der das Leben ist? Darum streiten wir uns nicht überden Heiland, der bereits hier gewesen ist, sondern wir hal-ten uns rein und harren des Erlösers, der kommen wird.“

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Da trat Ali Bej wieder ein und das war mir – offen ge-standen – sehr lieb. Meine Wissbegierde in Beziehung aufdie Teufelsanbeter hätte mich beinahe diesem einfachenKurden gegenüber in Verlegenheit gebracht. Ich musstebei dem Vorwurf der Glaubensspaltung in meiner eigenenHeimat schweigen – leider, leider! Der Pir erhob sich undreichte mir die Hand.

„Allah sei bei dir und auch bei mir! Ich gehe den Weg,den ich gehen muss, aber wir werden uns wieder sehen.“

Er reichte auch den andern die Hand und ging. Ali Bejwinkte ihm nach und sagte:

„Das ist der Weiseste unter den Jesidi, ihm kommt kei-ner gleich. Er war in Iran und Indien, er war in Jerusalemund Stambul, er hat überall gesehen und gelernt und so-gar ein Buch geschrieben.“

„Ein Buch?“, fragte ich erstaunt.„Er ist der einzige, der schreiben kann. Er wünscht, dass

unser Volk einst so klug und gesittet werde wie die Män-ner des Abendlandes, und dies können wir nur aus denBüchern der Franken lernen. Damit nun einmal dieseBücher in unserer Sprache niedergeschrieben werden kön-nen, hat er viele hundert Wörter unserer Mundarten ver-zeichnet. Das ist sein Buch.“

„Das wäre ja köstlich! Wo befindet sich dieses Buch?“„In seiner Wohnung.“„Und wo ist diese?“„In meinem Haus. Pir Kamek ist ein Heiliger. Er wan-

dert im Land umher und ist überall hochwillkommen.Ganz Kurdistan ist seine Wohnung, aber seine Heimat hater bei mir aufgeschlagen.“

„Denkst du, dass er dieses Buch mir einmal zeigen wird?“„Er wird es sehr gern tun.“„Ich werde ihn sofort darum bitten! Wohin ist er gegan-

gen?“„Bleibe! Du wirst ihn nicht finden, denn er ist gegan-

gen, um über die Seinigen zu wachen. Dennoch aber sollst

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du das Buch erhalten, ich werde es dir holen. Vorher aberversprecht mir, dass ihr bleiben wollt!“

„Du meinst, wir sollen den Ritt nach Amadije aufschie-ben?“

„Ja. Es waren drei Männer aus Kaloni da. Sie gehörenzu dem Zweige Badinan des Stammes Missuri und sindgewandt, tapfer, klug und mir treu ergeben. Ich habe sienach Amadije ausgesandt, um die Türken auszukundschaf-ten. Sie werden zugleich versuchen, Amad el Ghandur zufinden; das habe ich ihnen ganz besonders empfohlen, undbis sie Nachricht bringen, mögt ihr es euch bei mir gefal-len lassen!“

Damit waren wir herzlich gern einverstanden; Ali Bejumarmte uns vor Freude nochmals, als wir ihm dies mit-teilten, und bat uns:

„Kommt jetzt mit mir, damit auch mein Weib euch sehe!“Ich war erstaunt über diese Einladung, machte aber spä-

ter die Erfahrung, dass die Jesidi ihre Frauen bei weitemnicht so abschließen, wie es die Mohammedaner tun. Sieführen ein patriarchalisches Leben und nie bin ich imOrient so an das heimatliche, deutsche Familienleben er-innert worden wie bei ihnen. Natürlich besaßen die ge-wöhnlichen Leute nicht die Klarheit der religiösen Ansichtwie Pir Kamek, aber dem falschen Griechen, dem schachern-den, sittenlosen Armenier, dem rachsüchtigen Araber, demträgen Türken, dem heuchlerischen Perser und dem raub-süchtigen Kurden gegenüber musste ich den fälschlicher-weise so übel beleumundeten ‚Teufelsanbeter‘ achten ler-nen. Sein Kultus schwankt zwischen Chaldäismus, Islamund Christentum, aber nirgends dürfte das Letzte einenso furchtbaren Boden finden wie bei den Jesidi, falls diefrommen Sendboten es verstehen wollten, ihren Sitten undGebräuchen Rechnung zu tragen.

Draußen vor dem Haus saß der Bölük Emini neben sei-nem Esel. Beide speisten, der Esel Gerste und Ifra getrock-nete Feigen vom Sindschar, von denen er mehrere Schnü-

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re vor sich liegen hatte. Und dabei erzählte er kauend denzahlreich um ihn Stehenden von seinen Heldentaten. Halefgesellte sich zu ihm, wir drei anderen aber gingen nachder Abteilung des Hauses, die der Gebieterin zur Woh-nung diente.

Sie war sehr jugendlich und trug einen kleinen Knabenauf dem Arm. Ihr schönes schwarzes Haar war in viele,lang herabhängende Zöpfe geflochten und eine Anzahlfunkelnder Goldstücke bedeckte ihre Stirn.

„Seid willkommen, ihr Herren!“, sagte sie in schmuck-loser, ungekünstelter Einfachheit und reichte uns die Rechte.

Ali Bej nannte uns die Namen und ihr dann auch dieunsrigen. Ihr Name ist mir leider wieder entfallen. Ichnahm ihr den Knaben vom Arm und liebkoste ihn. Sieschien mir dies hoch anzurechnen und darauf recht stolzzu sein. Der kleine Bej war allerdings auch ein nettes Kerl-chen, höchst sauber gehalten und ganz unähnlich jenendickleibigen und frühalten orientalischen Kindern, die manbesonders häufig bei den Türken findet. Ali Bej fragtemich, wo wir essen wollten: ob in unserm Gemach oderhier in der Frauenwohnung, und ich entschloss mich so-fort für das letzte.

Dem kleinen Teufelsanbeter schien es bei mir recht gutzu gefallen; er blitzte mich mit seinen dunklen Äugleinneckisch an, zauste mir im Bart herum, strampelte vorVergnügen mit Armen und Beinen und stammelte zuwei-len ein Wort, das weder er noch ich verstand. Wir standenin Beziehung auf das Kurdische auf ganz gleicher Rang-stufe und darum gab ich ihn auch während des Mahls nichther, was mir die Mutter dadurch vergalt, dass sie mir denbesten Teil der Speise vorlegte und mir nach Tisch ihrenGarten zeigte.

Am besten schmeckte mir der Kursch, ein Gericht ausSahne, das im Ofen gebacken und dann mit Zucker undHonig übergossen wird, und am besten gefiel mir im Gar-ten jene wundervolle feuerfarbene Baumblüte, bei der sich

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immer Blume neben Blume erzeugt und die von den Ara-bern Bint el Onßul, Tochter des Konsuls, genannt wird.

Dann holte mich Ali Bej ab, um mir mein Gemach zuzeigen. Es befand sich auf der Plattform des Daches, sodassich mich der herrlichsten Aussicht erfreute.

Als ich eintrat, bemerkte ich auf dem niedrigen Tischein starkes Heft.

„Das ist das Buch des Pir“, erklärte Ali auf meinen fra-genden Blick.

Im Nu hatte ich es ergriffen und mich damit auf demDiwan niedergelassen. Der Bej aber ging lächelnd hinaus,um mich beim Studium des kostbaren Fundes nicht zustören. Das Heft war in arabisch-persischer Schrift ge-schrieben und enthielt eine ansehnliche Sammlung vonWörtern und Redensarten in mehreren kurdischen Dia-lekten. Ich bemerkte bald, dass es mir nicht schwer fallenwürde, mich im Kurdischen verständlich zu machen, so-bald es mir nur erst gelungen sei, mir über die phoneti-sche Bedeutung der Buchstaben klar zu werden. Hier wardie Praxis von Bedeutung und ich beschloss, den hiesigenAufenthalt in dieser Beziehung möglichst zu nützen.

Mittlerweile brach die Dämmerung herein und untenam Bach, wo die Mädchen Wasser schöpften, während ei-nige Burschen ihnen dabei halfen, erklang folgender Ge-sang:

„Ghawra min ave theBina michak, dartschin ber pischte

Dave min chala surat ta kateNatschalnik ak bjerdza ma, bischanda ma Rusete1.“

1 Frei übersetzt:„Ein christliches Mädchen kommt Wasser zu holen.Ich steh’ ihr im Rücken und atme verstohlen.Das Mal ihrer Wange, mein Mund wird es küssen,Und sollt’ ich in Fesseln nach Russland dann müssen.“

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Das war ein rhythmisch und melodisch hübscher Ge-sang, wie man ihn sonst im Orient nicht gleich zu hörenbekommt. Ich lauschte, aber leider blieb es bei dieser ei-nen Strophe und ich erhob mich, um hinauszugehen, woein reges Leben herrschte, denn es kamen immerfort Frem-de und Zelt neben Zelt wurde errichtet. Man merkte, dassein bedeutendes Fest nahe bevorstand. Als ich vor die Türtrat, sah ich eine ansehnliche Versammlung um den klei-nen Bölük Emini stehen, der laut erzählte.

„Schon bei Saida habe ich gekämpft“, rühmte er sich, „unddann auf der Insel Kandia, wo wir die Empörer besiegten.Nachher focht ich in Beirut unter dem berühmten MustafaNuri Pascha, dessen tapfere Seele jetzt im Paradies lebt. Da-mals hatte ich auch meine Nase noch und diese verlor ich inSerbien, wohin ich mit Schekib Effendi gehen musste, alsKjamil Pascha den Michael Obrenowitsch fortjagte.“

Der gute Baschybosuk schien gar nicht mehr genau zuwissen, bei welcher Gelegenheit er um seine Nase gekom-men war. Er fuhr fort:

„Ich wurde nämlich hinter Bukarest überfallen. Zwarwehrte ich mich tapfer, schon lagen über zwanzig Feindetot am Boden, da holte einer mit dem Säbel aus; der Hiebsollte mir eigentlich den Kopf spalten, da ich diesen aberzurückzog, so traf er meine Na...“

In diesem Augenblick erscholl in unmittelbarer Näheein Schrei, wie ich ihn in meinem Leben noch gar nichtgehört hatte. Es klang, als ob auf den hohen, schrillen Pfiffeiner Dampfpfeife das Kollern eines Truthahns folge, unddaran schloss sich jenes vielstimmige, ächzende Wimmern,das man zu hören bekommt, wenn einer Orgel mitten imSpiel der Wind ausgeht. Die Anwesenden starrten erschro-cken das Wesen an, das diese rätselhaften Töne ausgesto-ßen hatte. Ifra aber meinte ruhig:

„Was staunt ihr denn? Mein Esel war’s! Er kann dieDunkelheit nicht leiden, darum schreit er die ganze Nachthindurch, bis es wieder licht geworden ist.“

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Hm! Wenn es so stand, so war dieser Esel doch eine ganzliebenswürdige Kreatur! Diese Stimme musste ja Tote le-bendig machen! Wer sollte während der Nacht an Schlaf undRuhe denken, wenn man die musikalischen Impromptusdieses vierbeinigen Opernsängers anhören musste, der inder Lunge eine Diskantposaune, in der Gurgel einen Du-delsack und im Kehlkopf die Schnäbel und Klappen vonzehn Klarinetten zu haben schien.

Übrigens war es jetzt bereits zum vierten Mal, dass ichdie Erzählung von der Nase des Bölük Emini zu hörenbekam. Es schien ‚im Buch verzeichnet‘ zu sein, dass erdiese Erzählung niemals zu Ende bringen durfte.

„So schreit das Tier also die ganze Nacht?“, fragte einer.„Die ganze Nacht“, bestätigte er mit der Ergebenheit

eines Märtyrers. „Alle zwei Minuten einmal.“„Gewöhne es ihm ab!“„Womit?“„Ich weiß es nicht!“„So behalte auch deinen Rat für dich! Ich habe alles ver-

gebens versucht: Schläge, Hunger und Durst.“„Stelle es ihm einmal in ernsten Worten vor, damit er

sein Unrecht erkennt!“„Ich habe ihm ernste und auch liebevolle Reden gehal-

ten. Er sieht mich an, hört ruhig zu, schüttelt den Kopfund – schreit weiter.“

„Das ist doch sonderbar. Er versteht dich, er versteht dichganz gewiss, aber hat keine Lust, dir den Gefallen zu tun.“

„Ja, ich habe auch sehr oft gehört, dass die Tiere denMenschen verstehen, denn zuweilen soll in ihnen die See-le eines Verstorbenen stecken, die dazu verdammt ist, aufdiese Weise ihre Sünden abzubüßen. Der Kerl, der in die-sem Esel steckt, muss früher taub gewesen sein, stummaber gewisslich nicht.“

„Du musst einmal zu erforschen versuchen, zu welchemStamm er gehört hat. In welcher Sprache redest du zu demEsel?“

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„In der türkischen.“„Wenn nun die Seele ein Perser, ein Araber oder gar ein

Giaur gewesen ist, der das Türkische gar nicht versteht?“„Allah akbar, das ist wahr! Daran habe ich gar nicht ge-

dacht!“„Warum schüttelt der Esel stets den Kopf, wenn du zu

ihm redest? Sein Geist versteht das Türkische nicht. Sprichin einer anderen Sprache zu ihm!“

„Aber ob ich die richtige finde? Ich werden den Effendibitten. Hadschi Halef Omar hat mir gesagt, dass dieserdie Sprachen aller Völker reden kann. Vielleicht entdeckt er,wo der Geist meines Esel früher gelebt hat. Auch Ssulejman 1

konnte alle Tiere verstehen.“„Es hat auch andere gegeben, die dies verstanden. Kennst

du die Erzählung von dem reichen Mann, dessen Söhnesogar mit dem Stein gesprochen haben?“

„Nein.“„So werde ich sie euch erzählen! De vachtha beni Isráil

meru ki dauletlü hebu, mir; du lau wi man, male wi pürma, haneki wi ma. Va her du lavi wi va hania khoè parvedierin, pev tschun, jek debee …”

„Halt!”, unterbrach ihn Ifra. „In welcher Sprache redest du?“„In unserer. Es ist Kurmandschi.“„Das verstehe ich nicht. Erzähle doch türkisch!“„So geht es dir gerade wie dem Geist deines Esels, der

auch nur seine Sprache versteht. Aber wie kann ich einekurdische Geschichte türkisch erzählen? Sie wird ganz an-ders klingen!“

„Versuche es nur!“„Ich will sehen! Also zur Zeit der Kinder Israel gab es

einen reichen Mann, der starb. Er hinterließ zwei Söhne,viel Reichtum und ein Haus. Als die beiden Söhne ihr Hausteilen wollten, gerieten sie aneinander. Der eine sagte: ‚Esist mein Haus!‘ Der andere sagte: ‚Es ist mein Haus!‘ Daerhob sich durch den Willen Gottes in der Wand ein Back-

1 Salomo

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stein und sprach: ‚Was, schämt ihr euch nicht? Dieses Hausist weder dein noch sein. Ich, ein Mann, der ein großerKönig war, war dreihundert Jahre in der Welt groß; daraufstarb ich. Dreihundert Jahre lag ich im Grabe, verwesteund wurde zu Staub. Darauf kam ein Mann und machtemich zum Backstein. Vierzig Jahre war ich ein Haus, daraufzerfiel ich. Dreiundsiebzig Jahre lag ich auf dem Felde, dakam wieder ein Mann: Ich wurde wieder zum Backsteinund in dieses Haus getan. In diesem Haus befinde ich michdreihundertunddreißig Jahre und weiß nicht, was ich vonheute an sein werde. Einstweilen schmerzt mich meineSeele nicht...“

Er wurde unterbrochen. Den Esel schien die Erzählung,da er anerkanntermaßen die türkische Sprache nicht ver-stand, zu langweilen; er tat das Maul auf und ließ einenDoppeltriller erschallen, der nur mit der vereinten Leis-tung einer Hornpipe und einer zerbrochenen Tuba vergli-chen werden konnte. Da drängte sich ein Mann durch dieVersammlung und trat in den Flur. Hier bemerkte er mich.

„Effendi, ist es wahr, dass du angekommen bist? Ich hörtees erst jetzt, da ich in den Bergen war. Wie freue ich mich!Erlaube, dass ich dich begrüße.“

Es war Selek. Er nahm meine Hand und küsste sie. DieseArt, seinen Respekt zu beweisen, ist bei den Jesidi gebräuch-lich.

„Wo sind Pali und Melaf?“, fragte ich ihn.„Sie haben Pir Kamek getroffen und sind mit ihm hinab

nach Mossul zu. Ich habe Ali Bej eine Botschaft zu brin-gen. Sehe ich dich nachher wieder?“

„Ich stand soeben im Begriff, zu ihm zu gehen. Ist dieseBotschaft vielleicht ein Geheimnis?“

„Möglich, aber du darfst sie hören. Komm!“Wir gingen in die Frauenwohnung, wo der Bej sich be-

fand. Der Zutritt schien dort jedermann erlaubt zu sein.Auch Halef befand sich dort. Der gute Hadschi war schonwieder beim Essen.

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„Bej“, meinte Selek, „ich war in den Bergen über Bosanhinauf und habe dir etwas mitzuteilen.“

„Sprich!“„Wir glaubten, dass der Mutaßarryf von Mossul fünfhun-

dert Türken nach Amadije legen wolle, zum Schutz gegendie Kurden. Das aber ist nicht wahr. Die zweihundert Mann,die von Diarbekr kommen, sind über Urmeli marschiert undhalten sich in den Wäldern der Tura Ghara versteckt.“

„Wer sagte das?“„Ein Holzfäller aus Mungaischi, den ich traf. Er wollte

hinab nach Kara Kojunlu, wo eins seiner Flöße liegt. Unddie dreihundert Mann aus Kerkuk befinden sich auch nichtauf dem Weg nach Amadije. Sie sind über Altyn Köprünach Erbil und Girdaschir gegangen und stehen jetzt ober-halb Mar Mattei am Ghasir-Fluss.“

„Wer sagte dir dieses?“„Ein Zibar-Kurde, der am Khausser gereist ist, um über

Bosan nach Dehuk zu gehen.“„Die Zibar sind zuverlässige Leute: Sie lügen nie und

hassen die Türken. Ich glaube, was die beiden Männergesagt haben. Kennt du das Tal Idis am Gomel, seitwärtsoberhalb Kaloni?“

„Nur wenige kennen es, ich aber bin sehr oft dort gewe-sen.“

„Kann man von hier aus Pferde und Rinder hinbringen,um sie dort zu verbergen?“

„Wer den Wald genau kennt, dem wird es gelingen!“„Wie lange würde man brauchen, um unsere Weiber und

Kinder und auch unsere Tiere dort unterzubringen?“„Einen halben Tag. Geht man über Scheik Adi, so steigt

man hinter dem Grab des Heiligen die enge Schlucht em-por, und kein Türke wird bemerken, was wir tun.“

„Du bist der beste Kenner dieser Gegend. Ich werdeweiter mit dir sprechen, bis dahin aber schweigst du gegenjedermann. Ich wollte dich bitten, hier den Effendi zubedienen, aber du wirst wohl anderweitig gebraucht.“

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„Darf ich ihm meinen Sohn senden?“„Tu das!“„Spricht er ein gutes Kurdisch?“, fragte ich.„Er versteht Kurmandschi und auch Zaza.“„So sende ihn mir, er wird mir sehr willkommen sein!“Selek ging und es wurde die Vorbereitung zum Mahl

getroffen. Da die Gastfreundschaft der Jesidi unbeschränktist, so waren beim Essen wohl gegen zwanzig Personenbeteiligt und Mohammed Emin und mir zur Ehre wurdeeine Tafelmusik veranstaltet. Die Kapelle bestand aus dreiMännern, die die Thembure, Kamantsche und die Bülurespielten, drei Instrumente, die man mit unserer Flöte, Gi-tarre und Violine vergleichen könnte. Die Musik war sanftund melodiös; überhaupt bemerkte ich später, dass dieJesidi einen besseren musikalischen Geschmack besitzenals die Anhänger des Islam.

Während des Essens traf der Sohn Seleks ein, mit demich mich in mein Gemach zurückzog, um mit seiner Hilfedas Manuskript Pir Kameks zu studieren. Der geistigeHorizont des jungen Mannes war sehr eng, doch fand ichbei ihm hinreichend Aufschluss über alles, was ich vonihm zu wissen begehrte. Pir Kamek war der Unterrichtetsteunter den Teufelsanbetern und nur bei ihm war wohl dieErfahrung und die Anschauungsweise zu finden, mit derer mich überrascht hatte. Die anderen waren befangenerund ich durfte mich nicht wundern, dass sie das Symbolfür die Sache selbst nahmen und an ihren Gebräuchenmehr aus Gewohnheit und blindem Glauben als aus inne-rer Überzeugung hingen. Das Mysteriöse ihrer Anbetungs-form war es, von dem sie festgehalten wurden, wie ja derOrient sich mehr dem Dunkeln, dem Geheimnisvollenzuneigt als dem klar und offen zu Tage Liegenden.

Unsere Unterhaltung verlief keineswegs ungestört, dennin fast regelmäßigen Zwischenräumen von einigen Minu-ten ertönte das widerliche, markdurchdringende Geschreides Esels, das auf die Dauer gar nicht auszuhalten war. Es

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wurde ertragen und sogar belacht, solange noch reges Le-ben im Dorf herrschte, wo immer noch neue Pilger ka-men; als aber das Geräusch doch endlich mehr und mehrverstummte und man sich zur Ruhe begab, wurden dieüberlauten Interjektionen des Graurocks geradezu uner-träglich und es erhoben sich verschiedene Stimmen, diezunächst nur verdrossen murrten, jedoch bald in lautesZanken übergingen.

Statt den Esel abzuschrecken, schienen diese ärgerlichenZurufe ihn zu immer angestrengteren Leistungen zu be-geistern; er wurde auf seine Triller ganz versessen, die Pau-sen zwischen ihnen wurden immer kürzer und endlichvereinigten sich die Schreie zu einer Symphonie, die gera-dezu infernalisch genannt werden musste.

Eben erhob ich mich, um zur Abhilfe zu schreiten, alsunten ein verworrener Lärm erscholl. Man rückte in Hau-fen auf den kleinen Bölük Emini ein. Was man mit ihmverhandelte, konnte ich nicht verstehen; jedenfalls abersah er sich so in die Enge getrieben, dass er sich nicht zuhelfen wusste, denn ich hörte nach kurzer Zeit seine Schrit-te vor meiner Tür. Er trat ein.

„Schläfst du schon, Effendi?“Diese Frage war ziemlich überflüssig, da er sah, dass wir

beide noch in voller Bekleidung vor dem Buch saßen; aberer hatte in seiner Angst keine bessere Einleitung findenkönnen.

„Du fragst noch? Wie kann man schlafen bei dem ent-setzlichen Gesang, den dein Esel vollführt!“

„O Herr, das ist es ja eben! Ich kann ja auch nicht schla-fen. Jetzt kommen sie alle zu mir und verlangen, dass ichdas Tier hinaus in den Wald schaffen und dort anbindensoll, sonst wollen sie es erschießen. So weit darf ich es nichtkommen lassen; denn ich muss den Esel doch wieder nachMossul bringen, sonst erhalte ich die Bastonade und ver-liere meinen Grad.“

„So schaff ihn in den Wald.“

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„Effendi, das geht nicht!“„Warum nicht?“„Soll ich ihn von einem Wolf fressen lassen? Es gibt

Wölfe im Wald.“„So bleibe mit draußen und bewache ihn!“„Es könnten doch wohl auch zwei Wölfe kommen!“„Nun?“„Dann frisst einer den Esel und der andere mich!“„Das ist sehr gut, denn da bekommst du ja die Bastona-

de nicht.“„Du machst Scherze! Einige sagen, dass ich zu dir gehen

solle.“„Zu mir? Warum?“„Herr, glaubst du, dass dieser Esel eine Seele hat?“„Natürlich hat er eine.“„Vielleicht hat er eine andere als die seinige!“„Wo sollte da die seinige sein? Vielleicht habt ihr ge-

tauscht: Seine Seele ist in dich und deine Seele ist in ihngefahren. Nun bist du der Esel und fürchtest dich wie einHase und er ist der Bölük Emini und brüllt wie ein Löwe.Was könnte ich dagegen tun?“

„Effendi, es ist ganz sicher, dass er eine andere Seele hat;aber eine türkische ist es nicht, denn sie versteht die Spra-che der Osmanlylar nicht. Du aber redest alle Sprachender Erde und darum bitte ich dich herabzukommen. Wenndu mit dem Esel redest, so wirst du bald bemerken, wer inihm steckt, ob ein Perser oder Turkmene oder ein Armeni-er. Vielleicht ist auch ein Russe in ihn gefahren, weil eruns so gar keine Ruhe lässt.“

„Glaubt du denn wirklich, dass...“In diesem Augenblick erhob das Tier seine Stimme aber-

mals, und zwar mit solcher Stärke, dass die ganze meuterischeVersammlung im Chor mit einfiel.

„Allah kerîm, sie werden den Esel ermorden! Herr, kommschnell herab, sonst ist er verloren und seine Seele auch!“

Er rannte fort und ich folgte ihn. Sollte ich mir einen

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Spaß machen? Vielleicht war es unrecht, aber seine An-sicht über die Seele des Grautiers hatte mich in eine Stim-mung gebracht, der ich nicht gut widerstehen konnte. Alsich unten ankam, harrte die Menge meiner.

„Wer weiß ein Mittel, dieses Tier zum Schweigen zu brin-gen?“, fragte ich.

Niemand antwortete. Nur Halef meinte endlich:„Sihdi, nur du allein kannst das!“Mein Hadschi gehört also zu den ‚wahren Gläubigen‘. Ich

trat an den Esel heran und fasste ihn beim Zügel. Nachdemich ihm laut einige fremdländische Fragen vorgelegt hatte,hielt ich das Ohr an seine Nase und horchte. Dann machteich eine Bewegung der Überraschung und wandte mich anIfra.

„Bölük Emini, wie hieß dein Vater?“„Nassyr Mehmed.“„Der ist es nicht. Wie hieß der Vater deines Vaters?“„Ssülejman Tschausch.“„Der ist es! Wo wohnte er?“„In Hirmenlü, nordwestlich von Adrianopel.“„Das stimmt. Er ist einmal von Hirmenlü nach Haßköj

geritten und hat, um den Esel zu ärgern, ihm einen schwe-ren Stein an den Schwanz gebunden. Der Prophet aberhat gesagt: ‚Escheghini ßew – liebe deine Esel!‘ Nun mussder Geist deines Großvaters diese Tat sühnen. Er hat ander Brücke Ssirat, die zum Paradies und zur Hölle führt,umkehren müssen und ist in diesen Esel gefahren. Er hatseinem Tier einen Stein an den Schwanz gebunden und nunkann er nur dadurch erlöst werden, dass ihm auch ein Steinan den Schwanz gebunden wird. Willst du ihn erlösen, Ifra?“

„Effendi, ich will es!“, rief dieser. Das Weinen war ihmnäher als das Lachen, denn die Vorstellung, dass sein Groß-vater in diesem Esel schmachte, musste für ihn, den ech-ten Moslem, geradezu schrecklich sein. „Sage mir auchalles, was ich sonst noch zu tun habe, um den Vater mei-nes Vaters zu erretten.“

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„Hole einen Stein und eine Schnur!“Der Esel merkte, dass wir uns mit ihm beschäftigten, er

öffnete das Maul und schrie.„Schnell, Ifra! Dies wird das letzte Mal sein, dass er ge-

jammert hat.“Ich hielt den Schwanz des Tieres und der kleine Baschy-

bosuk band den Stein an dessen Spitze. Als diese Operationbeendet war, drehte der Esel den Kopf nach hinten, umden Stein mit dem Maul zu entfernen; dies ging natürlichnicht. Jetzt versuchte er, den Stein mit dem Schwanz fort-zuschleudern; er war aber zu schwer und der Schwanzbrachte es bloß bis zu einer kleinen Pendelbewegung, dieaber sofort eingestellt wurde, weil der Stein dabei an dieBeine schlug. Der Esel befand sich ganz augenscheinlichin einer Art von Verblüffung; er schielte mit den Augennach hinten, er wedelte höchst bedenklich mit den langenOhren, er schnaubte und öffnete endlich das Maul, um zuschreien - aber die Stimme versagte ihm; das Bewusstsein,dass seine größte Zierde hinten fest und niedergehaltenwurde, raubte ihm vollständig das Vermögen, seine Ge-fühle in Tönen auszudrücken.

„Er schreit wahrhaftig nicht!“, rief der Baschybosuk.„Effendi, du bist der weiseste Mann, den ich gesehen habe!“

Ich ging fort und legte mich zur Ruhe. Unten aber stan-den die Pilger noch lange, um abzuwarten, ob das Wun-der wirklich gelungen sei.

Ich wurde bereits am frühen Morgen durch das regeLeben geweckt, das im Dorf hin und her flutete. Es ka-men bereits wieder Pilger, die teils in Baadri blieben, teilsaber auch nach einer kurzen Rast nach Scheik Adi weiter-zogen. Der Erste, der bei mir eintrat, war Scheik Moham-med Emin.

„Hast du hinunter vor das Haus gesehen?“, fragte er mich.„Nein.“„Blicke hinab!“Ich trat hinaus auf das Dach und sah hinunter. Da stan-

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den Hunderte von Menschen bei dem Esel und stauntenihn mit großen Augen an. Einer hatte dem andern erzählt,was geschehen war, und als sie mich hier oben erblickten,traten sie ehrfurchtsvoll vom Haus zurück. Das hatte ichnicht beabsichtigt! Ich war einem lustigen Einfall gefolgt,keineswegs aber wollte ich diese Leute in ihrem törichtenAberglauben bestärken.

Auch Ali Bej kam. Er lächelte, als er mich grüßte.„Effendi, wir haben dir eine ruhige Nacht zu verdan-

ken. Du bist ein großer Zauberer. Wird der Esel wiederschreien, wenn der Stein entfernt ist?“

„Ja. Das Tier fürchtet sich bei Nacht und will sich durchden Klang seiner eigenen Stimme ermutigen. Ich habe ihmdas Schreien durch einen kleinen Trick verleidet.“

„Wollt ihr mir zum Frühmahl folgen?“Wir gingen hinab in die Frauenwohnung. Dort befand

sich bereits Halef mit dem Sohn Seleks, den ich meinenDolmetscher im Kurdischen nennen musste, und auch Ifra,der eine auffallend betrübte Miene machte. Die Frau desBej kam mir mit einem freundlichen Gesicht entgegen undbot mir die Hand.

„Sabah’l kher – guten Morgen!“, grüßte ich sie.„Sabah’l kher!“, antwortete sie. „Keifata tschava – wie

ist dein Befinden?“„Kandscha! Tu tschava – gut; wie befindest du dich?“„Schzuker chode, kandscha – Gott sei Dank, gut!“„Du redest ja Kurmandschi!“, rief Ali Bej erstaunt.„Nur das, was ich gestern Abend aus dem Buch des Pir

gelernt habe“, antwortete ich. „Und das ist wenig genug.“„Kommt herbei und setzt euch!“Es gab zunächst Kaffee mit Honigkuchen und dann

Hammelbraten, den man in dünnen, breiten Stücken wieBrot aß. Dazu trank man Arpa, eine Art Dünnbier, dasder Türke Arpa ßuju, Gerstenwasser, zu nennen pflegt.Alle nahmen an dieser Mahlzeit teil, nur der Bölük Eminikauerte trübsinnig seitwärts.

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„Ifra, warum kommst du nicht zu uns?“, fragte ich ihn.„Ich kann nicht essen, Effendi“, antwortete er.„Was fehlt dir?“„Trost, Herr. Ich habe bisher meinen Esel geritten, ge-

schlagen und beschimpft, habe ihn wenig gebürstet undgewaschen, habe ihn wohl auch oft hungern lassen undnun höre ich, dass er der Vater meines Vaters ist. Draußensteht er und noch immer hängt ihm der Stein am Schwanz!“

Der Bölük Emini war zu bedauern und mein Gewissenregte sich, aber die Situation war doch in Wahrheit so toll,dass ich mich nicht enthalten konnte, laut aufzulachen.

„Du lachst!“, erwiderte er vorwurfsvoll. „Hättest du ei-nen Esel, der der Vater deines Vaters ist, so würdest duweinen. Ich soll dich nach Amadije bringen, aber ich kannnicht, denn ich setze mich nie wieder auf den Geist mei-nes Großvaters!“

„Das sollst du auch nicht; das wäre ja auch gar nichtmöglich, denn auf einen Geist kann sich niemand setzen.“

„Auf wem soll ich denn reiten?“„Auf deinem Esel.“Er sah mich mit einem ganz verwirrten Blick an.„Aber mein Esel ist doch ein Geist, du hast es ja gesagt!“„Das war nur Scherz.“„Oh, du sagst dies nur, um mich zu beruhigen!“„Nein, sondern ich sage es, weil es mir Leid tut, dass du

dir meinen Scherz so zu Herzen nimmst.“„Effendi, du willst mich wirklich nur trösten! Warum

ist der Esel so oft mit mir durchgegangen? Warum hat ermich so oft abgeworfen? Weil er gewusst hat, dass er keinEsel ist und dass ich der Sohn seines Sohnes bin. Und warumhat der Stein sofort geholfen, als ich tat, was dir die Seeledes Esels anbefohlen hat?“

„Sie hat mir nichts anbefohlen, und warum mein Mittelgeholfen hat, das will ich dir sagen. Hast du niemals be-merkt, dass der Hahn die Augen schließt, wenn er kräht?“

„Ich habe es gesehen.“

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„Halte ihm durch irgendeine Vorrichtung mit Gewaltdie Augen offen, so wird er niemals krähen. Hast du be-obachtet, dass dein Esel stets den Schwanz hebt, wenn erschreien will?“

„Ja, wirklich, das tut er, Effendi!“„So sorge dafür, dass er den Schwanz nicht in die Höhe

bringen kann, dann wird er das Schreien lassen.“„Ist das wirklich so?“„Wirklich. Versuche es heute Abend, wenn er wieder

schreit!“„So ist der Vater meines Vaters wirklich nicht verzau-

bert?“„Nein, ich versichere es dir. Der Korân verbietet doch

die Zauberei!“„Hamdulillah! Allah sei tausend Dank!“Er sprang hinaus und riss dem Tier den Stein vom

Schwanz, dann kehrte er eilig zurück, um sich noch nach-träglich am Mahl zu beteiligen. Dass er, der Untergebene,mit dem Bej zu Tisch sitzen durfte, zeigte mir von neuem,wie patriarchalisch die Jesidi untereinander leben.

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20. Das große Fest

Eine Stunde später ritt ich mit meinem Dolmetscher inden lichten Morgen hinein spazieren. Mohammed Eminhatte es vorgezogen, daheim zu bleiben und sich überhauptso wenig wie möglich zu zeigen.

„Kennst du das Tal Idis?“, fragte ich den Begleiter.„Ja.“„Wie lange reitet man von hier aus, um hinzukommen?“„Zwei Stunden.“„Ich möchte es sehen. Willst du mich hinführen?“„Wie du befiehlst, Herr. Wollen wir den geraden Weg

nehmen oder den über Scheik Adi?“„Welcher Weg ist kürzer?“„Der direkte, aber er ist auch der beschwerlichere.“„Wir wählen ihn dennoch.“„Wird dein Pferd ihn aushalten? Es ist ein kostbares Tier,

wie ich kaum jemals eins gesehen habe; aber es wird wohlnur die Ebene gewohnt sein.“

„Oh nein, alle Schammar-Pferde sind gute Kletterer.Aber hier habe ich ja Gelegenheit, dies zu prüfen.“

Wir hatten Baadri hinter uns. Der Weg, unter dem mansich ja nicht einen gebahnten Steig zu denken hat, gingsteil bergan und wieder steil bergab, aber mein Rappe hieltwacker aus. Die Höhen, die erst mit Gebüsch bestandenwaren, zeigten sich jetzt von dichtem, dunklem Wald be-setzt, unter dessen Laub- und Nadelkronen wir dahinritten.Endlich wurde der Pfad so gefährlich, dass wir absteigenund die Pferde führen mussten. Es war erforderlich, jedeStelle genau zu untersuchen, ehe wir den Fuß auf sie setz-ten. Das Pferd des Dolmetschers war diese Art Geländegewohnt: Es trat mit mehr Sicherheit auf und wusste diegefährlichen Stellen aus Erfahrung besser von den unge-fährlichen zu unterscheiden. Aber mein Rappe besaß ei-nen glücklichen Instinkt der Vorsichtigkeit und ich be-kam die Überzeugung, dass er bereits nach kurzer Übung

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ein sehr guter Berggänger sein würde; wenigstens zeigte erbereits heute, dass er nicht ermüdete, während das andereTier schwitzte und endlich auch mit dem Atem zu kämp-fen begann.

Die zwei Stunden waren beinahe abgelaufen, als wir anein Dickicht gelangten, hinter dem die Felsen fast senk-recht hinabfielen.

„Das ist das Tal“, meinte der Führer.„Wie kommen wir hinab?“„Es gibt nur einen Weg, hinunterzukommen, und die-

ser führt von Scheik Adi hierher.“„Ist er betreten?“„Nein, er ist von dem übrigen Boden gar nicht zu un-

terscheiden. Komm!“Ich folgte ihm längs der dichten Büsche hin, die den

Rand des Tals ringsum so vollständig bedeckten, dass einführerloser Fremder sicher nicht das Mindeste geahnt hätte.Nach einiger Zeit gelangten wir an eine Stelle, wo derFührer wieder abstieg. Er deutete nach rechts.

„Hier kommt man durch den Wald nach Scheik Adi,aber nur ein Jesidi weiß den Weg zu finden. Und hier linksgeht er ins Tal hinab.“

Er schob die Büsche auseinander und nun sah ich vormir einen weiten Talkessel, dessen Wände steil empor-stiegen und zum Auf- und Niedersteigen nur die eine Stelleboten, an der wir uns befanden. Wir kletterten, die Pferdeam Zügel führend, hinab. Unten angelangt, konnte ichdas Tal in seiner ganzen Breite überschauen. Es war großgenug, um mehreren tausend Menschen Zuflucht zu bie-ten, und verschiedene Höhlenöffnungen ließen vermuten,dass es vor noch nicht sehr langer Zeit bereits Bewohnergehabt habe. Die Sohle des Kessels war mit kräftigem Gras-wuchs überzogen, der selbst das Verbergen von Herdenhier erleichterte, und einige künstlich in den Boden ge-grabene Löcher hatten Trinkwasser genug für viele dursti-ge Kehlen.

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Wir ließen die Pferde weiden und legten uns ins Gras.Dann begann ich das Gespräch mit der Bemerkung:

„Das ist ein Versteck, wie die Natur es nicht praktischeranlegen konnte.“

„Es hat diesem Zweck auch bereits gedient, Effendi. Beider letzten Verfolgung der Jesidi haben über tausend Men-schen hier ihre Sicherheit gefunden. Darum wird keinAngehöriger unseres Glaubens diesen Ort verraten. Manweiß ja nicht, ob man ihn wieder brauchen wird.“

„Das scheint jetzt der Fall zu werden.“„Ich weiß es. Aber es handelt sich jetzt nicht um eine

allgemeine Verfolgung angeblich um des Glaubens willen,sondern nur um eine Maßregel, die den Zweck hat, unsauszuplündern. Der Mutaßarryf sendet fünfzehnhundertMann gegen uns, die uns unerwartet überfallen sollen, aberer wird sich täuschen. Wir haben seit sehr langen Jahrendas Fest nicht gefeiert, darum wird kommen, wer nur kom-men kann, sodass wir den Türken einige tausend kampf-bereite Männer entgegenstellen können.“

„Sind sie alle bewaffnet?“„Alle. Du selbst wirst sehen, wie viel bei unserem Fest

geschossen wird. Der Mutaßarryf braucht für seine Solda-ten während eines ganzen Jahres nicht so viel Pulver wiewir in diesen drei Tagen für unsere Freudensalven.“

„Warum verfolgt man euch? Des Glaubens wegen?“„Denke das nicht, Effendi! Dem Mutaßarryf ist der Glau-

be sehr gleichgültig. Er hat nur das eine Ziel, reich zuwerden, und dazu müssen ihm bald die Araber und dieChaldäer, bald die Kurden oder die Jesidi verhelfen. Odermeinst du, dass unser Glaube so schlimm sei, dass er ver-diene, ausgerottet zu werden?“

Auf diesem Punkt wollte ich den jungen Mann haben.Von ihm konnte ich erfahren, was der Pir noch nicht ge-sagt hatte.

„Ich kenne ihn nicht“, antwortete ich.„Und hast du auch nichts über ihn gehört?“

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„Sehr wenig, und dieses wenige glaube ich nicht.“„Ja, Effendi, man redet sehr viel Unwahres über uns.

Hast du auch von meinem Vater nichts erfahren oder vonPali und Melaf?“

„Nein, wenigstens nichts Hauptsächliches; aber ich den-ke, dass du mir einiges sagen wirst.“

„O Effendi, wir sprechen nie zu Fremden über unserenGlauben!“

„Bin ich dir fremd?“„Nein. Du hast dem Vater das Leben gerettet und auch

jetzt uns vor den Türken gewarnt, wie ich vom Bej erfah-ren habe. Du bist der Einzige, dem ich Auskunft erteilenwerde. Aber ich muss dir sagen, dass ich selbst nicht allesweiß.“

„Gibt es bei euch Dinge, die nicht jeder wissen darf?“„Nein. Aber gibt es nicht in jedem Haus Dinge, die die

Eltern ganz allein zu wissen brauchen? Unsere Priester sindunsere Väter.“

„Darf ich dich fragen?“„Frage; aber ich bitte dich, einen Namen nicht zu nen-

nen!“„Ich weiß es, aber ich möchte gerade über diesen Ge-

genstand einiges wissen. Wirst du mir Auskunft geben,wenn ich das Wort vermeide?“

„So weit ich es vermag, ja.“Dieses Wort war der Name des Teufels, den die Jesidi

niemals aussprechen. Das Wort ‚Schejtan‘ ist bei ihnen soverpönt, dass sie selbst ähnliche Wörter sorgfältig vermei-den. Wenn sie zum Beispiel von einem Fluss sprechen, sosagen sie ‚Nahr‘, aber niemals ‚Schat‘, weil dieses Wort zuder ersten Silbe von Schejtan in naher Beziehung steht.Das Wort ‚Kejtan‘ (Franse oder Faden) wird vermiedenund auch die Wörter ‚Nâl‘ (Hufeisen) und ‚Nâlband‘ (Huf-schmied), weil sie den Wörtern ‚Lân‘ (Fluch) und ‚malûn‘(verflucht) nahe stehen. Die ‚Teufelsanbeter‘ sprechen vomTeufel nur in Umschreibungen, und zwar mit Ehrfurcht.

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Sie nennen ihn Melek el Kuth, den mächtigen König, oderMelek Ta’us, König Pfauhahn.

„Ihr habt neben dem guten Gott auch noch ein anderesWesen?“

„Neben? Nein. Das Wesen, das du meinst, steht unterGott. Dieser Meleklerin Kraly 1 war das oberste der himm-lischen Wesen, aber Gott war sein Schöpfer und Herr.“

„Wo ist er jetzt?“„Er empörte sich gegen Gott und Gott verbannte ihn.“„Wohin?“„Auf die Erde und auf alle Sterne.“„Nun ist er der Herr aller, die in der Dschehenna woh-

nen?“„Nein. Ihr glaubt wohl, dass er ewig unglücklich ist?“„Ja.“„Glaubt ihr auch, dass Gott allgütig, gnädig und barm-

herzig ist?“„Ja.“„Dann wird er auch verzeihen – den Menschen und den

Engeln, die gegen ihn sündigen. Das glauben wir und da-rum bedauern wir jenen, den du meinst. Jetzt kann er unsschaden und darum nennen wir seinen Namen nicht. Spä-ter, wenn er seine Macht zurückerhält, kann er die Men-schen belohnen und darum reden wir nichts Böses vonihm.“

„Ihr verehrt ihn? Ihr betet ihn an?“„Nein, denn er ist Gottes Geschöpf wie wir; aber wir

hüten uns, ihn zu beleidigen.“„Was bedeutet der Hahn, der bei euren Gottesdiensten

zugegen ist?“„Der bedeutet nicht jenen, den du meinst. Er ist ein

Bild der Wachsamkeit. Hat euch Isa, der Sohn Gottes, nichterzählt von den Jungfrauen, die den Bräutigam erwarte-ten?“

„Ja.“

1 König der Engel

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„Fünf von ihnen schliefen ein und dürfen nun nicht inden Himmel. Kennst du die Erzählung von dem Jünger,der seinen Meister verleugnete?“

„Ja.“„Auch da krähte der Hahn. Darum ist er bei uns das

Zeichen, dass wir wachen!“„Glaubt ihr, was die Bibel erzählt?“„Wir glauben es, obgleich ich nicht alles kenne, was sie

erzählt.“„Habt ihr nicht auch ein heiliges Buch, in dem eure

Lehren verzeichnet sind?“„Wir hatten ein solches. Es wurde in Baascheika aufbe-

wahrt, aber ich habe gehört, dass es verloren gegangen ist.„Welches sind eure heiligen Handlungen?“„Du wirst sie alle in Scheik Adi kennen lernen.“„Kannst du mir sagen, wer Scheik Adi war?“„Das weiß ich nicht genau.“„Betet ihr zu ihm?“„Nein. Wir verehren ihn nur dadurch, dass wir an seinem

Grab zu Gott beten. Er war ein Heiliger und wohnt bei Gott.“„Welche Arten von Priestern gibt es bei euch?“„Zunächst kommen die Pirs. Dieses Wort heißt eigent-

lich ‚alter Mann‘, hier aber bedeutet es ‚heiliger Mann‘.“„Wie kleiden sie sich?“„Sie können sich kleiden, wie es ihnen gefällt; aber sie

führen ein sehr frommes Leben und Gott gibt ihnen dieMacht, durch ihre Fürbitte alle Krankheiten des Leibesund der Seele zu heilen.“

„Gibt es viele Pirs?“„Ich kenne jetzt nur drei. Pir Kamek ist der größte von

ihnen.“„Weiter!“„Nach ihnen kommen die Scheiks. Sie müssen Arabisch

lernen, um unsere heiligen Lieder zu verstehen.“„Werden denn diese in arabischer Sprache gesungen?

Warum nicht in kurdischer?“

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„Ich weiß es nicht. Aus den Scheiks werden die Wächterdes heiligen Grabes gewählt, die dort das Feuer unterhal-ten und die Pilger bewirten müssen.“

„Haben sie eine besondere Kleidung?“„Sie gehen ganz weiß gekleidet und tragen als Zeichen

ihres Amtes einen Gürtel, der rot und gelb ist. Nach die-sen Scheiks kommen die Prediger, die wir Kawali nennen.Sie können die heiligen Instrumente spielen und gehenvon Ort zu Ort, um die Gläubigen zu belehren.“

„Welches sind die heiligen Instrumente?“„Das Tamburin und die Flöte. Auch verstehen die Kawali

bei den hohen Festen zu singen.“„Wie kleiden sie sich?“„Sie können alle Farben tragen, doch kleiden sie sich

gewöhnlich weiß. Dann aber muss ihr Turban schwarz sein,zur Unterscheidung von den Scheiks. Nach ihnen kom-men die Fakire, die die niederen Dienste am Grab undauch anderswo verrichten. Sie haben meist dunkle Gewän-der und tragen ein rotes Tuch quer über dem Turban.“

„Wer ernennt eure Priester?“„Sie werden nicht ernannt, denn diese Würde ist erb-

lich. Wenn ein Priester stirbt und keinen Sohn hinterlässt,so geht sein Amt auf seine älteste Tochter über.“

Das war allerdings höchst merkwürdig, besonders imOrient!

„Und wer ist der Oberste aller Priester?“„Der Scheik von Baadri. Du hast ihn noch nicht gese-

hen, denn er befindet sich bereits in Scheik Adi, um dasFest vorzubereiten. Hast du noch etwas zu fragen?“

„Noch vieles! Werden eure Kinder getauft?“„Getauft und beschnitten.“„Gibt es unreine Speisen, die ihr nicht essen dürft?“„Wir essen kein Schweinefleisch und haben keine blaue

Farbe, denn der Himmel ist so erhaben, dass wir seine Farbenicht unsern irdischen Dingen geben mögen.“

„Habt ihr eine Kibla?“

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„Ja. Wenn wir beten, wenden wir das Gesicht dem Ortzu, an dem die Sonne aufgegangen ist. Auch die Totenwerden bei ihrem Begräbnis so gelegt, dass ihr Angesichtnach dieser Gegend gerichtet ist.“

„Weißt du, woher eure Religion gekommen ist?“„Scheik Adi, der Heilige, hat sie uns gelehrt. Wir selbst

aber sind aus den Ländern des unteren Euphrat gekom-men. Dann zogen unsere Väter nach Syrien, nach demSindschar und endlich hierher.“

Ich hätte sehr gern noch weiter gefragt, aber es erschall-te von oben her ein Schrei, und als wir emporblickten,erkannten wir Selek, der im Begriff war, zu uns herabzu-steigen. Bald stand er neben uns und reichte uns die Hand.

„Von oben herab hielt ich euch für Fremde und solchedürfen in dieses Tal nicht eindringen. Dann aber erkann-te ich euch. Ich komme, um nachzusehen, ob das Tal derVorbereitung bedarf.“

„Zur Aufnahme der Flüchtigen?“„Der Flüchtigen? Wir werden nicht fliehen; aber ich habe

dem Bej erzählt, wie listig du die Feinde der Schammarnach jenem Tal locktest, in dem ihr sie gefangen nahmt,und wir werden ganz dasselbe tun.“

„Ihr wollt die Türken hierher locken?“„Nein, sondern nach Scheik Adi; die Pilger aber sollen

während des Kampfes hier untergebracht werden. Der Bejhat es so befohlen und der Scheik ist damit einverstan-den.“

Er untersuchte das Wasser und die Höhlen und fragteuns dann, ob wir ihn zurückbegleiten wollten. Dies ver-stand sich von selbst. Wir führten unsere Pferde empor,saßen auf und hielten stracks auf Baadri zu. Als wir dortankamen, fand ich den Bej einigermaßen in Aufregung.

„Ich habe Kunde erhalten, seit du fortgeritten bist“, sagteer. „Die Türken aus Diarbekr stehen bereits am Gomel-Fluss und die aus Kerkuk haben unterhalb der Berge auchschon den Gomel erreicht.“

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„So sind deine Kundschafter von Amadije bereits zu-rück?“

„Sie sind gar nicht bis nach Amadije gekommen, dennsie mussten sich teilen, um diese Truppen zu beobachten.Es ist nun erwiesen, dass der geplante Überfall nur unsgilt.“

„Ist das bereits bekannt?“„Nein, denn dadurch könnte der Feind erfahren, dass er

uns gerüstet finden wird. Ich sage dir, Effendi, ich werdeentweder sterben oder diesem Mutaßarryf eine Lehre ge-ben, die er nie vergessen soll!“

„Ich werde bis nach dem Kampf bei dir bleiben.“„Ich danke dir, Effendi, aber kämpfen sollst du nicht!“„Weshalb nicht?“„Du bist mein Gast, Gott hat mir dein Leben anver-

traut.“„Gott kann es am besten schützen. Soll ich dein Gast

sein und dich allein in den Kampf gehen lassen? Sollendie Deinen von mir erzählen, dass ich ein Feigling bin?“

„Das werden sie niemals sagen. Bist du nicht auch derGast des Mutaßarryf gewesen? Hast du nicht seinen Passund seine Briefe in der Tasche? Und jetzt willst du gegenihn kämpfen? Musst du nicht deinen Arm aufheben fürden Sohn deines Freundes, den ihr befreien wollt? Undkannst du mir nicht dienen, auch ohne dass du meine Fein-de tötest?“

„Du hast Recht in allem, was du sagst. Ich wollte auchnicht töten, sondern vielleicht dahin wirken, dass kein Blutvergossen wird.“

„Lass diese Sorge mir, Effendi! Ich trachte nicht nachBlut, ich will nur den Tyrannen zurückweisen.“

„Wie willst du dies durchführen?“„Weißt du, dass in Scheik Adi bereits dreitausend Pilger

eingetroffen sind? Bis zum Beginn des Festes werden essechstausend und noch mehr sein.“

„Männer, Frauen und Kinder?“

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„Ja. Die Frauen und Kinder sende ich ins Tal Idis undnur die Männer bleiben zurück. Die Truppen aus Diarbekrund Kerkuk werden sich auf dem Weg von Kaloni her ver-einigen und die aus Mossul kommen über Dscherraije oderAin Sifni herauf. Sie wollen uns im Tal des Heiligen ein-schließen, wir aber steigen hinter dem Grab empor undstehen rund um das Tal, wenn sie eingerückt sind. Dannkönnen wir sie niederstrecken bis auf den letzten Mann,wenn sie sich nicht ergeben. Andernfalls aber sende icheinen Boten an den Mutaßarryf und stelle meine Bedin-gungen, unter denen ich sie freigebe. Er wird sich dannvor dem Großherrn in Stambul zu verantworten haben.“

„Er wird diesem die Angelegenheit in einem falschenLicht schildern.“

„Aber es wird ihm nicht gelingen, den Padyschah zu täu-schen; denn ich habe vorhin eine heimliche Gesandtschaftnach Stambul gesandt, die ihm zuvorkommen wird.“

Ich musste mir eingestehen, dass Ali Bej nicht nur einmutiger, sondern auch ein kluger und darum vorsichtigerMann war.

„Und wie willst du mich verwenden?“, fragte ich ihn.„Du sollst mit denen ziehen, die unsere Frauen und Kin-

der und unsere Habe beschützen werden.“„Eure Habe nehmt ihr mit?“„So viel wir fortbringen. Ich werde noch heute allen

Bewohnern von Baadri sagen lassen, dass sie alles nach demTal Idis schaffen mögen, aber heimlich, damit mein Plannicht verraten wird.“

„Und Scheik Mohammed Emin?“„Er geht mit dir. Ihr könntet jetzt nicht nach Amadije

kommen, da der Weg dorthin bereits nicht mehr frei ist.“„Die Türken würden das Bujrultu des Großherrn und

den Ferman des Mutaßarryf achten müssen.“„Aber es sind Leute aus Kerkuk dabei und wie leicht ist

es möglich, dass einer von ihnen Mohammed Emin kennt!“Noch während wir sprachen, kamen zwei Männer ins

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Haus. Es waren meine beiden alten Bekannten Pali undMelaf, die ganz außer sich waren, als sie mich erblickten,und mir vor Freude wohl zehnmal die Hände küssten.

„Wo ist der Pir?“, fragte Ali Bej.„Im Grabe des Jonas bei Kujundschik. Er sendet uns,

um dir zu sagen, dass wir am zweiten Tag des Festes früham Morgen überfallen werden sollen.“

„Kennt er den Vorwand, den der Mutaßarryf angebenwird?“

„Es seien in Malthaije von einem Jesidi zwei Türken er-schlagen worden. Er will die Täter in Scheik Adi holen.“

„Es sind in Malthaije von zwei Türken zwei Jesidi er-schlagen worden, so lautet die Wahrheit. Siehst du, Effendi,wie diese Türken sind? Sie erschlagen meine Leute, umUrsache zum Einfall in unser Gebiet zu haben. Mögen siefinden, was sie suchen!“

Ich begab mich mit meinem Dolmetscher nach meinemZimmer, wo ich meine Übungen begann. MohammedEmin saß wortlos dabei, rauchte seine Pfeife und wunder-te sich darüber, dass ich mir so viel Mühe gab, ein Buch zulesen und die Worte einer fremden Sprache zu verstehen.Dies tat ich während des ganzen Tages und am Abend.Auch der nächste Tag verging unter dieser angenehmenBeschäftigung.

Unterdessen hatte ich bemerkt, dass die Bewohner vonBaadri ihre Habe ohne Aufsehen fortschafften; auch wur-de in einer Stube unseres Hauses eine große Menge Ku-geln gegossen. Beifügen muss ich noch, dass der Esel desBölük Emini während dieser Zeit nicht wieder laut ge-worden war, da ihm sein Herr und Meister sofort bei Ein-bruch der Dunkelheit den Stein am Schwanz befestigthatte.

Pilger kamen fortwährend, bald einzeln, bald in Familienund bald in größeren Trupps. Viele waren arm und auf dieMildtätigkeit anderer angewiesen. Dann trieb einer eineZiege oder einen fetten Hammel herbei; reichere Leute

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hatten einen Ochsen oder zwei, ja einige Male sah ich so-gar ganze Herden vorüberziehen. Das waren die Liebes-und Opfergaben, die die Wohlhabenden zum heiligen Grabbrachten, damit ihre armen Brüder nicht Mangel leidensollten. So viele auch kamen und gingen: Meine Baschybosuksund Arnauten blieben verschollen, und ich habe bis heutenicht erfahren, wo sie geblieben sind.

Am dritten Tag, dem ersten Tag des Festes, saß ich mitmeinem Dolmetscher wieder beim Buch. Es war noch vorSonnenaufgang. Ich war in die Arbeit so vertieft, dass ichgar nicht bemerkte, dass der Bölük Emini eingetreten war.

„Effendi!“, rief er, nachdem er sich bereits mehrmalsgeräuspert hatte, ohne dass es von mir bemerkt wordenwar.

„Was gibt es?“„Fort!“Jetzt erst bemerkte ich, dass er bereits gespornt und ge-

stiefelt war, übergab dem Sohn Seleks das Buch und sprangauf. Ich hatte ganz vergessen, dass ich baden und frischeWäsche anlegen musste, wenn ich überhaupt am Grab desHeiligen würdig erscheinen wollte. Ich nahm die Wäschezu mir, ging hinab und eilte hinaus vors Dorf. Der Bachwimmelte von Badenden und ich musste ziemlich weitgehen, um eine Stelle zu finden, an der ich mich unbeob-achtet glaubte.

Hier badete ich und wechselte die Wäsche, eine Proze-dur, die man auf Reisen im Orient nicht gar zu häufigvornehmen kann. Daher fühlte ich mich wie neu geborenund wollte bereits den Ort verlassen, als ich eine leise Be-wegung des Gebüsches bemerkte, das sich an den Uferndes Baches hinzog. War es ein Tier oder ein Mensch? Wirstanden in Kriegsbereitschaft und so konnte es nichts scha-den, wenn ich die Sache einmal näher untersuchte. Ich tatdaher vollständig unbefangen, pflückte einige Blumen undnäherte mich dabei scheinbar absichtslos dem Ort, an demich die erwähnte Bewegung bemerkt hatte. Dabei kehrte

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ich dem Busch den Rücken zu, plötzlich aber drehte ichmich um und stand mit einem schnellen Sprung mittenim dichten Zweigwerk. Vor mir kauerte ein Mann. Er warnoch jung, sah aber beinahe militärisch aus, obgleich ichnur ein Messer als einzige Waffe bei ihm bemerkte. Einebreite Narbe zog sich über seine rechte Wange. Er erhobsich und wollte sich rasch zurückziehen, ich aber fassteseine Hand und hielt ihn fest.

„Was tust du hier?“, fragte ich.„Nichts.“„Wer bist du?“„Ein – ein Jesidi“, klang es zaghaft.„Woher?“„Ich heiße Lassa und bin ein Dassini.“Ich hatte gehört, dass die Dassini eine der vornehmsten

Familien der Jesidi waren; er sah mir aber gar nicht wieein Teufelsanbeter aus.

„Ich habe dich gefragt, was du hier tust?“„Ich versteckte mich, weil ich dich nicht stören wollte.“„Und was tatest du vorher hier?“„Ich wollte baden.“„Wo hast du die Wäsche?“„Ich habe keine.“„Du warst vor mir hier und hattest also das Recht, hier

zu bleiben, statt dich zu verstecken. Wo hast du diese Nachtgeschlafen?“

„Im Dorf.“„Bei wem?“„Bei – bei – bei – ich kenne seinen Namen nicht.“„Ein Dassini kehrt bei keinem Mann ein, dessen Na-

men er nicht kennt. Komm mit mir und zeige mir deinenWirt!“

„Ich muss vorher baden!“„Das wirst du nachher tun. Vorwärts!“Er versuchte sich von meinem Griff zu befreien.„Mit welchem Recht sprichst du in dieser Weise zu mir?“

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„Mit dem Recht des Misstrauens.“„Ebenso könnte ich dir misstrauen!“„Natürlich! Ich bitte dich, es zu tun. Dann führst du

mich in das Dorf und es wird sich zeigen, wer ich bin.“„Geh, wohin es dir beliebt!“„Das tue ich auch, aber du wirst mich begleiten.“Sein Blick hing an meinem Gürtel; er bemerkte, dass

ich keine Waffe bei mir trug, und ich sah es ihm an, dasser im Begriff stand, nach seinem Messer zu greifen. Dieskonnte mich aber nicht irremachen; darum hielt ich seinHandgelenk nur fester und gab ihm einen scharfen Ruck,der ihn zwang, aus dem Busch heraus ins Freie zu treten.

„Was wagst du?“, blitzte er mich an.„Gar nichts. Du gehst mit mir, derhal – sofort!“„Lass meine Hand los, sonst...“„Was sonst?“„...brauche ich Gewalt!“„Brauche sie!“„Da!“Er zog das Messer und stieß nach mir, ich aber griff von

unten herauf und fasste nun auch seine zweite Hand.„Schade um dich, denn du scheinst kein Feigling zu sein!“Ich drückte ihm die Hand, dass er das Messer fallen ließ,

hob dieses schnell auf und fasste ihn bei der Jacke.„Nun vorwärts, sonst...! Hier, nimm meine Wäsche auf

und trage sie!“Jetzt verlegte er sich aufs Bitten.„Herr, lass mich!“„Warum?“„Bist du ein Jesidi?“„Nein.“„Warum willst du mich dann nach dem Dorf schaffen?“„Das will ich dir sagen: Du bist ein türkischer Soldat

aus Mossul.“Er erbleichte.„Du irrst, Herr! Wenn du kein Jesidi bist, so lass mich frei!“

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„Jesidi oder nicht – vorwärts!“Er krümmte sich unter meinem Griff, aber er musste

mit. Ich zwang ihn sogar, meine Wäsche zu tragen. Wirerregten kein geringes Aufsehen, als wir das Dorf erreich-ten, und eine ziemliche Menschenmenge folgte uns nachder Wohnung des Bej. Er befand sich im Sselâmlyk, wo-hin ich auch den Fremden schaffte. Unweit der Tür stand,ohne dass der Gefangene ihn bemerkte, mein Baschybosuk,der eine sehr überraschte Miene machte, als wir an ihmvorübergingen. Er musste ihn kennen.

„Wen bringst du mir da?“, fragte Ali Bej.„Einen Fremden, den ich draußen am Bach fand. Er hatte

sich versteckt, und zwar an einem Ort, von dem aus er dasganze Dorf und auch den Weg nach Scheik Adi überblickenkonnte.“

„Wer ist er?“„Er behauptet, Lassa zu heißen und ein Dassini zu sein.“„Dann müsste ich ihn kennen, auch gibt es keinen

Dassini dieses Namens.“„Er stach nach mir, als ich ihn zwang, mit mir zu gehen.

Hier ist er. Tu mit ihm, was du willst!“Ich verließ den Raum. Draußen stand der Bölük Emini

noch.„Kennst du den Mann, den ich jetzt brachte?“„Ja. Was hat er getan, Effendi? Gewiss hast du ihn ver-

kannt! Er ist kein Dieb und kein Räuber.“„Was sonst?“„Er ist Kolaghaßy1 bei meinem Regiment.“„Ah! Wie heißt er?“„Naßyr. Er ist der Freund des Miralaj Omar Achmed.“„Gut, sage Halef, dass er satteln möge!“Ich kehrte ins Sselâmlyk zurück, wo vor Mohammed

Emin und einigen der zufällig anwesenden bedeutende-ren Dorfbewohner das Verhör bereits begonnen hatte.

„Seit wann lagst du im Busch?“, fragte der Bej.

1 Stabsoffizier, im Rang zwischen Hauptmann und Major

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„Seit dieser Mann hier badete.“„Dieser Mann ist ein Effendi, merke dir das! Du bist

kein Dassini und auch kein Jesidi. Wie heißt du?“„Das sage ich nicht!“„Warum nicht?“„Ich habe eine Blutrache oben in den kurdischen Ber-

gen, ich muss verschweigen, wer ich bin und wie ich heiße.“„Seit wann hat ein Kolaghaßy mit der Blutrache der frei-

en Kurden zu tun?“, fragte ich ihn.Er wurde noch bleicher als vorhin am Bach.„Kolaghaßy? Was meinst du?“, fragte er dennoch beherzt.„Ich meine, dass ich Naßyr, den Vertrauten des Miralaj

Omar Achmed, so genau kenne, dass ich mich nicht täu-schen lasse.“

„Du – du – du kennst mich? Wallahi, so bin ich verlo-ren, das ist mein Verhängnis!“

„Nein, es ist dein Kismet nicht. Gestehe aufrichtig, wasdu hier tatest, so wird dir vielleicht nichts geschehen!“

„Ich habe nichts zu sagen.“Da fuhr der Bej zornig auf.„Dann bist du verl...“Ich unterbrach ihn mit einer schnellen Handbewegung

und wandte mich wieder zu dem Gefangenen.„Ist das von Blutrache die Wahrheit?“„Ja, Effendi!“„So sei ein andermal vorsichtiger. Wenn du mir ver-

sprichst, unverweilt nach Mossul zurückzukehren und dieRache für jetzt aufzuschieben, so bist du frei.“

„Effendi!“, rief da der Bej erschrocken. „Bedenke doch,dass wir ja...“

„Ich weiß, was du sagen willst“, unterbrach ich ihn aber-mals. „Dieser Mann ist ein Stabsoffizier des Mutaßarryf,ein Kolaghaßy, aus dem einst vielleicht ein General wer-den kann, und du lebst mit dem Mutaßarryf in Freund-schaft und in tiefstem Frieden. Es tut mir jetzt Leid, die-sen Offizier belästigt zu haben, was gar nicht geschehen

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wäre, wenn ich ihn sofort erkannt hätte. – Du versprichstmir also, unverweilt nach Mossul zurückzukehren?“

„Ich verspreche es.“„Betrifft diese Rache einen Jesidi?“„Nein.“„So gehe, und Allah behüte dich, dass die Rache nicht

gefährlich für dich selbst wird!“Er stand ganz erstaunt. Noch vor einem Augenblick hatte

er den gewissen Tod vor sich gesehen und jetzt sah er sichfrei. Er fasste meine Hand und rief:

„Effendi, ich danke dir! Allah segne dich und alle dieDeinen!“

Dann war er in größter Eile zur Tür hinaus. Er mochtebefürchten, dass wir unsere Großmut noch bereuen könn-ten.

„Was hast du getan!“, sagte Ali Bej mehr erzürnt als er-staunt.

„Das Beste, was ich tun konnte“, antwortete ich.„Das Beste? Dieser Mensch ist ein Spion!“„Das ist richtig.“„Und hatte den Tod verdient!“„Das ist richtig.“„Und du schenktest ihm die Freiheit! Zwangst ihn nicht

zum Geständnis!“Auch die andern Jesidi schauten finster drein. Ich ließ

mich dadurch nicht anfechten und antwortete:„Was hättest du durch sein Geständnis erfahren?“„Vielleicht viel!“„Nicht mehr, als wir bereits wissen. Und übrigens schien

er der Mann zu sein, der lieber stirbt als gesteht.“„So hätten wir ihn getötet!“„Und was wäre die Folge davon gewesen?“„Dass es einen Spion weniger gegeben hätte!“„Oh, die Folgen wären noch ganz andere gewesen! Der

Kolaghaßy war jedenfalls abgeschickt, sich zu überzeugen,ob wir eine Ahnung von dem beabsichtigten Überfall hät-

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ten. Töteten wir ihn oder hielten ihn gefangen, so kehrteer nicht zurück und man hätte gewusst, dass wir bereitsgewarnt sind. Nun aber hat er seine Freiheit wieder erhal-ten und der Miralaj Omar Achmed wird als ganz sicherannehmen, dass wir nicht das Geringste vom Anschlag desMutaßarryf ahnen. Es würde doch die allergrößte Dumm-heit sein, einen Spion zu entlassen, wenn man überzeugtist, dass man überfallen werden soll – so werden sie sichsagen. Habe ich Recht?“

Der Bej umarmte mich.„Verzeih, Effendi! Meine Gedanken reichten nicht so

weit wie die deinigen. Aber ich werde ihm einen Spähernachsenden, um mich zu überzeugen, dass er auch wirk-lich fortgeht.“

„Auch dies solltest du nicht tun.“„Warum nicht?“„Er könnte gerade dadurch auf das aufmerksam werden,

was wir ihm durch seine Freilassung verborgen haben. Erwird sich hüten, hier zu bleiben, und übrigens kommenjetzt genug Leute an, bei denen du dich erkundigen kannst,ob sie ihm begegnet sind.“

Auch hier drang ich durch. Es war mir eine angenehmeGenugtuung, zwei Vorteile verbunden zu haben: Ich hatteeinem Menschen, der doch nur auf Befehl gehandelt hat-te, das Leben erhalten und zu gleicher Zeit den Plan desMutaßarryf vereitelt. Mit diesem Gefühl ging ich in dasFrauengemach, das hier eigentlich Küche genannt werdenmusste, um das Frühstück einzunehmen. Vorher aber hol-te ich aus meiner kleinen Raritätensammlung, die ich vonIsla Ben Maflei erhalten hatte, ein Armband, an dem einMedaillon angebracht war.

Der kleine Bej war auch bereits munter. Während ihn sei-ne Mutter hielt, versuchte ich sein niedliches Gesichtchen zuPapier zu bringen. Es gelang ganz leidlich, denn Kindersind einander ähnlich. Dann legte ich das Papier in dasMedaillon und gab der Mutter das Armband.

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„Trage dies als Andenken an den Alaman“, bat ich sie,„das Gesicht deines Sohnes befindet sich darin; es wirdewig jung bleiben, auch wenn er alt geworden ist.“

Sie sah das Bild an und war ganz entzückt. In fünf Mi-nuten hatte sie es sämtlichen Bewohnern des Hauses undallen Anwesenden gezeigt und ich konnte mich vor Dank-barkeitsbezeigungen kaum retten. Dann aber brachen wirauf, allerdings nicht mit dem Gefühl, dass es zu einer Lust-barkeit gehe, sondern in sehr ernster Stimmung.

Ali Bej hatte seine kostbarste Kleidung angelegt. Er rittmit mir voraus und dann folgten die angesehensten Leutedes Dorfes. Mohammed Emin befand sich natürlich anunserer Seite. Er war missmutig, da unser Ritt nach Amadijeeine solche Unterbrechung erlitten hatte. Vor uns her zogeine Schar von Musikanten mit Flöten und Tamburins.Hinterher kamen die Frauen, meist mit Eseln, die mit Tep-pichen, Kissen und allerlei Gerätschaften beladen waren.

„Hast du deine Vorbereitungen für Baadri getroffen?“,fragte ich den Bej.

„Ja. Bis Dscherraije stehen Posten, die mir das Nahendes Feindes sofort melden.“

„Baadri wirst du den Türken ohne Verteidigung lassen?“„Natürlich. Sie werden still hindurchziehen, um uns

nicht vor der Zeit aufmerksam zu machen.“Von jetzt an ging es sehr laut um uns zu. Wir wurden

von Reitern umschwärmt, die Scheingefechte aufführten,und von allen Seiten knallten unaufhörlich Salven. Jetztwurde der Weg sehr schmal und wand sich stellenweise sosteil an den Bergen empor, dass wir absteigen und, einerhinter dem andern, unsere Pferde über die Felsen führenmussten. Erst nach einer guten Stunde erreichten wir denGipfel des Passes und konnten nun in das grüne bewalde-te Tal von Scheik Adi hinabblicken.

Ein jeder schoss, sobald er die weiße Turmspitze desGrabmals erblickte, sein Gewehr ab und von unten heraufantworteten ununterbrochen Schüsse, sodass es klang, als

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finde ein großes Gefecht statt, dessen Echo in den Bergenwiderhallte. Hinter uns kamen immer neue Züge, und alswir den Abhang hinabritten, sahen wir rechts und links zurSeite zahlreiche Pilger unter den Bäumen liegen. Sie ruh-ten sich hier von den Strapazen des Steigens aus und ge-nossen dabei den Anblick des Heiligtums und der herrli-chen Gebirgsnatur, der für die Bewohner der Ebene einewahre Erquickung sein musste.

Wir hatten das Grabmal noch nicht erreicht, so kamuns Mir Scheik Khan, das geistliche Oberhaupt der Jesidi,an der Spitze mehrerer Scheiks entgegen. Er wird EmirHadschi genannt und stammt von der Familie der Ommaija-den ab. Seine Familie wird als die Hauptfamilie der Jesidibetrachtet und Posmir oder Bejsade’s genannt. Er selbstwar ein kräftiger Greis von mildem, ehrwürdigem Ausse-hen und schien nicht den mindesten hierarchischen Stolzzu besitzen, denn er verbeugte sich vor mir und umarmtemich dann so innig, wie man es bei einem Sohn tun würde.

„’Alejk selâm u rahmet Allah. Ser sere men at – der Frie-de und die Barmherzigkeit Gottes sei mit dir! Ihr seid mirwillkommen!“, grüßte er.

„Chode schogholeta rast init – Gott stehe dir bei in dei-nem Amt!“, antwortete ich. „Aber willst du nicht Türkischmit mir sprechen? Ich verstehe die Sprache eures Landesnoch nicht!“

„Befiehl über mich nach deinem Gefallen und sei meinGast im Haus dessen, an dessen Grab wir die Allmachtund die Gnade verehren.“

Wir waren natürlich bei seinem Nahen abgestiegen. Aufeinen Wink von ihm wurden unsere Pferde in Empfanggenommen und wir, nämlich Ali Bej, Mohammed Eminund ich, schritten an seiner Seite dem Grabmal zu. Wirgelangten zunächst in einen von einer Mauer umgebenenHof, der bereits ganz von Menschen erfüllt war; dann ge-langten wir an den Eingang des inneren Hofes, der vonden Jesidi nie anders als barfuß betreten wird. Ich folgte

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diesem Beispiel, zog meine Schuhe aus und ließ sie amEingang zurück.

Im inneren Hof standen viele Bäume, deren Schattenden Pilgern Kühlung und Labung bringen sollte; dichterOleander trieb Blüte an Blüte und ein ungeheurer Wein-stock bildete eine Laube, nach der uns der Mir Scheik Khanführte und in der wir Platz nahmen. Einige Scheiks undKawali ruhten unter den Bäumen, sonst waren wir allein.

In diesem Hof erhebt sich das eigentliche Gebäude desGrabmals, das von zwei weißen Türmen überragt wird,die sich von dem tiefen Grün des Tals lebhaft und wohl-tuend unterscheiden. Ihre Spitzen sind vergoldet und ihreSeiten in viele Winkel gebrochen, zwischen denen sichLicht und Schatten jagen. Über dem Torweg waren einigeFiguren ausgehauen, in denen ich einen Löwen, eineSchlange, ein Beil, einen Mann und einen Kamm erkann-te. Das Innere des Gebäudes ist, wie ich nachher sah, indrei Hauptabteilungen geschieden, von denen die einegrößer ist als die beiden andern. Diese Halle wird vonSäulen und Bogen getragen und hat einen Brunnen, des-sen Wasser für heilig gehalten wird. Mit ihm werden dieKinder getauft. In der einen der zwei kleineren Abteilun-gen befindet sich das eigentliche Grab des Heiligen. Überder Gruft erhebt sich ein großes kubisches Gehäuse, dasaus Ton gebildet und mit Gips überzogen ist. Als einzigerSchmuck ist ein grünes gesticktes Tuch darüber gebreitetund eine ewige Lampe brennt im Gemach.

Der Ton des Grabmals bedarf von Zeit zu Zeit einerErgänzung, da die Hüter des Heiligtums kleine Kugelndaraus bereiten, die von den Pilgern gern gekauft und alsAndenken mitgenommen, vielleicht auch als Amulettegetragen werden. Diese Kugeln befinden sich in einemGefäß, das an dem erwähnten Weinstock angebracht ist,und haben verschiedene Größen: von der Größe einer Erb-se bis zu der jener kleinen Marmor- oder Glaskugeln, mitdenen bei uns die Kinder spielen.

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In dem zweiten kleinen Gemach befindet sich auch einGrab, über dessen Inhalt die Jesidi sich aber selbst nichtklar zu sein scheinen.

In der Umfassungsmauer, die das Heiligtum umgibt, sindzahlreiche Nischen angebracht, die die Lichter aufzuneh-men haben, mit denen bei größeren Festen illuminiertwird. Das Grabmal wird von Gebäuden umgeben, die denPriestern und Dienern des Grabes zur Wohnung dienen.Der ganze Ort aber liegt in einer engen Talschlucht, derenFelsen von allen Seiten sehr steil in die Höhe steigen. Erbesteht nur aus wenigen profanen Wohnungen und ent-hält äußer dem Heiligtum vorzugsweise Gebäude, die Pil-ger aufzunehmen haben. Jeder Stamm oder auch jede grö-ßere Abteilung hat dann ein solches Haus ausschließlichfür sich in Besitz.

Draußen vor den Mauern hatte sich ein förmlicher Jahr-markt entfaltet. Alle möglichen Arten von Gewerbe undZeug hingen zum Verkauf von den Ästen der Bäume nie-der; alle möglichen Früchte und Esswaren wurden feilge-boten, Waffen, Schmuckgegenstände und allerlei orienta-lisches Allerhand war zu bekommen. Wäre die Tracht nichtgewesen, so hätte ich mich in der Heimat glauben können,so heiter und unbefangen, so harmlos und gutmütig war dasbunte Treiben im Dorf des Heiligen. Wahrhaftig, diese Teufels-anbeter erwarben sich immer mehr meine Sympathie.

Natürlich ließ ich meiner Wissbegierde nicht die Zügelschießen, sodass sie zur lästigen Neugierde werden konn-te, und vielleicht gerade darum wurde unsere Unterhal-tung so herzlich, als ob wir Glieder einer Familie seienund uns von Jugend auf geliebt und geachtet hätten. Zu-nächst kam die Rede auf den bevorstehenden Angriff, dochwurde dieser Gegenstand bald beiseite gelegt, da es sichherausstellte, dass Ali Bej alle erforderlichen Maßregelnmit der größten Sorgfalt getroffen hatte. Dann kam dasGespräch auf Mohammed Emin und mich, auf unsere Er-lebnisse und gegenwärtigen Absichten.

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„Vielleicht kommt ihr dabei in Gefahr und bedürft derHilfe“, meinte der Mir Scheik Khan. „Ich werde euch einZeichen mitgeben, das euch den Beistand aller Jesidi si-chert, denen ihr es zeigt.“

„Ich danke dir! Es wird ein Brief sein?“, fragte ich.„Nein, sondern ein Melek Ta’us.“Fast wäre ich wie elektrisiert emporgesprungen. Das war

ja die Benennung des Teufels! Das war ja der Name desje-nigen Tiers, das nach den über sie verbreiteten Verleum-dungen bei ihren Gottesdiensten auf dem Altar stand unddie Lichter verlöschen musste, wenn die Orgien beginnensollten! Das war endlich auch der Name der Legitimation,die der Mir Scheik Khan jedem Priester anvertraut, den ermit einer besonderen Mission beehrt! Und dieses große,dieses geheimnisvolle Wort, über das so viel gestrittenworden ist, sprach er hier so gelassen aus? Ich nahm einesehr unbefangene Miene an und fragte:

„Ein Melek Ta’us? Darf ich fragen, was das ist?“Mit der freundlichen Miene eines Vaters, der seinem

unwissenden Sohn eine notwendige Erklärung gibt, ant-wortete er:

„Melek Ta’us nennen wir jenen, dessen eigentlicher Namebei uns nicht ausgesprochen wird. Melek Ta’us heißt auchdas Tier, das bei uns ein Symbol des Mutes und der Wach-samkeit ist, und Melek Ta’us nennen wir auch die Abbil-dung dieses Tiers, die ich jenen verleihe, zu denen ich Ver-trauen habe. Ich weiß alles, was man über uns fabelt; aberdeine Weisheit wird dir sagen, dass ich uns vor dir nichtzu verteidigen brauche. Ich habe mit einem Mann gespro-chen, der in vielen christlichen Kirchen gewesen ist. Ersagte mir, dass dort die Bilder der Gottesmutter, des Got-tessohns und vieler Heiligen seien. Auch ein Auge sollt ihrhaben, das ein Symbol des Gottesvaters, und eine Taube,die das Zeichen des Geistes ist. Ihr kniet und betet an denOrten, wo diese Bilder sind, aber ich werde niemals glau-ben, dass ihr diese Bilder anbetet. Wir glauben von euch das

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Richtige und ihr glaubt von uns das Falsche. Wer ist ver-ständiger und gütiger, ihr oder wir? Blicke hin an das Tor!Meinst du, dass wir diese Bilder anbeten?“

„Nein.“„Du siehst einen Löwen, eine Schlange, ein Beil, einen

Mann und einen Kamm. Die Jesidi können nicht lesen,daher ist es besser, man sagt ihnen durch diese Bilder, wasman ihnen sagen möchte. Eine Schrift würden sie nichtverstehen, die Bilder aber werden sie nie vergessen, weildiese am Grab ihres Heiligen zu sehen sind. Dieser Heili-ge war ein Mensch, darum beten wir ihn nicht an, aberwir versammeln uns an seinem Grab, wie sich die Kinderam Grab ihres Vaters versammeln.“

„Er hat euern Glauben gestiftet?“„Er hat uns unsern Glauben, nicht aber unsere Gebräu-

che gegeben. Der Glaube wohnt im Herzen, die Sitten aberwachsen aus dem Boden, auf dem wir leben, und aus demLand, das diesen Boden rings umgrenzt. Scheik Adi hatvor Mohammed gelebt. Zu seiner Lehre sind auch jeneSatzungen des Korâns gekommen, die wir als gut und heil-sam erkannt haben.“

„Man erzählte mir, dass er Wunder getan habe.“„Wunder kann nur Gott tun; aber wenn er sie tut, so tut

er sie durch die Hand der Menschen. Blicke hinein, dortin die Halle! Dort steht ein Brunnen, den Scheik Adi her-vorgebracht hat. Dieser ist noch vor Mohammed in Mek-ka gewesen. Schon damals war Sem-Sem eine heilige Quel-le. Er nahm von dem Wasser des Sem-Sem und tropfte eshier auf den Felsen. Sofort öffnete sich dieser und das hei-lige Wasser sprang hervor. So wird uns erzählt. Wir gebie-ten nicht, dies zu glauben, denn das Wunder ist ohnediesda. Oder ist es kein Wunder, wenn aus dem harten, totenStein das lebendige Wasser fließt? Dieses ist bei uns einSymbol der Reinheit unserer Seele und darum halten wires für heilig, nicht aber, weil es von der Quelle Sem-Semstammen soll.“

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Mir Scheik Khan brach seine Rede ab, denn jetzt öffne-te sich das äußere Tor, um einen langen Zug von Pilgerneinzulassen, von denen jeder eine Lampe trug. Diese Lam-pen waren die Dank- und Weihgeschenke für die Heilungeiner Krankheit oder die Rettung aus irgendeiner Gefahr.Sie waren für Scheik Schems 1 bestimmt, das leuchtendeSymbol der göttlichen Klarheit.

Alle diese Pilger waren gut bewaffnet. Ich sah dabei rechteigentümliche kurdische Flinten. Bei einer davon warenLauf und Schaft durch zwanzig starke, breite eiserne Rin-ge verbunden, die ein sicheres Zielen ganz unmöglichmachten. Eine zweite zeigte eine Art Bajonett, das eineGabel bildete, deren zwei Zinken an beiden Seiten des Laufsbefestigt waren. Die Männer überreichten ihre Krüge denPriestern und traten der Reihe nach zu Mir Scheik Khan,um ihm die Hand zu küssen, wobei sie ihre Waffen neig-ten oder ganz ablegten.

Die Lampen werden gebraucht, um am Abend des Fes-tes den heiligen Ort mit seiner ganzen Umgebung festlichzu beleuchten. Es darf dabei kein gewöhnliches Öl odergar Erdpech und Naphtha gebrannt werden, da dies fürunrein gilt. Nur das Öl vom Sesam ist gestattet.

Als die Prozession sich entfernt hatte, wurden wohl ge-gen zwanzig Kinder getauft und beschnitten, die zum Teilvon sehr weit hergebracht worden waren. Ich wohnte die-sen religiösen Handlungen bei.

Später entfernte ich mich mit Mohammed Emin, umeinen Gang durch das Tal zu machen. Am auffälligstenwar mir die ungeheure Zahl von Fackeln, die zum Verkaufauslagen. Nach einer ungefähren Schätzung konnten eszehntausend sein. Die Händler machten glänzende Ge-schäfte, denn ihre Ware wurde ihnen förmlich aus derHand gerissen.

Eben standen wir vor einem Verkäufer von Glas- undunechten Korallenwaren, als ich die weiße Gestalt des Pir

1 Sonne

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Kamek den Bergpfad herabkommen sah. Er musste, wenner zum Heiligtum wollte, an uns vorüber; als er uns er-reichte, blieb er bei uns stehen.

„Willkommen hier, ihr Gäste von Scheik Schems! Ihrwerdet den Heiligen der Jesidi kennen lernen.“

Er reichte uns die Hände. Sobald er bemerkt wordenwar, wurde er vom Volk umringt und ein jeder bemühtesich, seine Hand oder den Saum seines Gewandes zu be-rühren und zu küssen. Er hielt eine Ansprache an die Ver-sammelten; sein langes weißes Haar flatterte im Morgen-wind, seine Augen leuchteten und seine Gebärden zeigtendie Lebhaftigkeit der Begeisterung. Dazu krachten die Schüsseder Ankommenden von oben herab und ganze Salven ant-worteten aus dem Tal hinauf. Leider konnte ich seine Redenicht verstehen, da er sie in kurdischer Sprache hielt. AmSchluss aber intonierte er einen Gesang, in den alle einfie-len und dessen Anfang mir der Sohn Seleks, der geradehinzukam, übersetzte:

„O gnädiger und großmütiger Gott, der nährt die Ameiseund die kriechende Schlange, Nacht und Tag Lenkender,Lebendiger, Höchster, Ursachloser, welcher der Nacht dieFinsternis und dem Tag das Licht zuweist! Weiser, herr-sche über die Weisheit, Starker, herrsche über die Stärke,Lebendiger, herrsche über den Tod!“

Nach dem Gesang zerstreute sich die Menge und der Pirtrat zu mir.

„Hast du verstanden, was ich den Pilgern sagte?“„Nein. Du weißt, dass ich deine Sprache nicht rede.“„Ich sagte ihnen, dass ich Scheik Schems ein Opfer brin-

gen werde, und nun sind sie in den Wald gegangen, umdas nötige Holz zu holen. Willst du dem Opfer beiwoh-nen, so bist du willkommen. Jetzt aber verzeihe, Effendi,dort kommen bereits die Opferstiere.“

Er ging dem Grabmal zu, vor dessen Mauern soeben einelange Reihe von Ochsen aufgeführt wurde. Wir folgtenihm langsam nach.

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„Was geschieht mit den Tieren?“, fragte ich meinenDolmetscher.

„Sie werden geschlachtet.“„Für wen?“„Für Scheik Schems.“„Kann die Sonne Stiere essen?“„Nein, sie verschenkt sie an die Armen.“„Nur das Fleisch?“„Alles: das Fleisch, die Eingeweide und die Haut. Mir

Scheik Khan übernimmt die Verteilung.“„Und das Blut?“„Das wird nicht gegessen, sondern in die Erde gegra-

ben, denn die Seele ist im Blut.“Das war also genau die alttestamentliche Anschauung,

dass das Leben des Leibes, dass die Seele im Blut liege. Ichsah, dass es sich hier nicht um eine heidnische Opferung,sondern um eine Liebesgabe handelte, die es den Armenermöglichen sollte, die Festtage ohne Nahrungssorgen fei-ern zu können.

Als wir den Platz erreichten, trat eben Mir Scheik Khanaus den Tor, gefolgt von Pir Kamek, von einigen Scheiksund Kawali und einer größeren Anzahl von Fakiren. Allehatten Messer in der Rechten. Der Platz wurde von einergroßen Menge Krieger umgeben, die ihre Gewehre schuss-bereit hielten. Da warf Mir Scheik Khan das Obergewandab, sprang auf den ersten Stier und stieß ihm das Messermit solcher Sicherheit in den Nackenwirbel, dass das Tiersofort tot niederstürzte. Im selben Augenblick erhob sichein hundertstimmiger Jubel und ebenso viele Schüssekrachten.

Mir Scheik Khan trat zurück und Pir Kamek setzte dasWerk fort. Es gewährte einen eigentümlichen Anblick,diesen Mann mit weißem Haar und schwarzem Bart voneinem Stier auf den nächsten springen und sie alle der Reihenach mit dem sicheren Messerstich fällen zu sehen. Dabeifloss kein Tropfen Blut. Nun aber traten die Scheiks her-

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bei, um die Halsader zu öffnen, und die Fakire nahtensich mit großen Gefäßen, um das Blut aufzufangen. Alsdies beendet war, wurde eine bedeutende Anzahl von Scha-fen herbeigetrieben, deren erstes wieder Mir Scheik Khantötete, die andern aber wurden von den Fakiren geschlach-tet, die eine außerordentliche Geschicklichkeit in diesemGeschäft bewiesen.

Da trat Ali Bej zu mir.„Willst du mich nach Kaloni begleiten?“, fragte er. „Ich

muss mich der Freundschaft der Badinan versichern.“„Ihr lebt mit ihnen in Unfrieden?“„Hätte ich dann meine Kundschafter aus ihnen wählen

können? Ihr Häuptling ist mein Freund, doch gibt es Fäl-le, in denen man so sicher wie möglich gehen muss. Komm!“

Wir hatten nicht weit zu gehen, um das sehr große, ausrohen Steinen aufgeführte Haus zu erreichen, das Ali Bejzur Zeit des Festes bewohnte. Sein Weib hatte bereits aufuns gewartet. Wir fanden auf der Plattform des Gebäudesmehrere Teppiche ausgebreitet, auf denen wir Platz nah-men, um das Frühstück zu genießen. Von diesem Punktaus konnten wir beinahe das ganze Tal überblicken. Über-all lagerten Menschen. Jeder Baum war zum Zelt gewor-den.

Drüben, rechts von uns, stand ein Tempel, der der Son-ne, Scheik Schems, gewidmet war. Er stand so, dass ihndie ersten Strahlen des Morgenlichts treffen mussten. Alsich ihn später betrat, fand ich nur vier nackte Wände undkeinerlei Vorrichtung, die auf eine götzendienerischeHandlung schließen ließ; aber ein heller Wasserstrahl flossin einer Rinne des Fußbodens und an der reinlichen wei-ßen Kalkmauer sah ich in arabischer Sprache die Wortegeschrieben: „O Sonne, o Licht, o Leben von Gott!“

Jetzt saßen an seiner Außenseite mehrere Familien derreichen Kotschers1. Die Männer lehnten an der Wand, inhellfarbige Jacken und Turbane gekleidet und mit fantas-

1 Wandernde Stämme

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tischen Waffen geschmückt. Die Frauen hatten seideneGewänder und trugen das Haar in viele über den Rückenfallende Flechten geflochten, in die bunte Blumen gewo-ben waren. Ihre Stirnen waren mit goldenen und silber-nen Münzen fast ganz bedeckt und lange Schnüre vonMünzen, Glasperlen und geschnittenen Steinen hingenihnen um den Nacken.

Vor mir stand ein Mann aus dem Sindschar am Stammeines Baumes. Seine Haut war dunkelbraun, sein Gewandaber weiß und rein. Er musterte mit durchdringenden Bli-cken die Umgebung und schüttelte sich zuweilen das lan-ge Haar aus dem Gesicht. Seine Flinte hatte ein plumpes,altes Luntenschloss und sein Messer war an einem rohgeschnitzten Griff befestigt; aber man sah es ihm an, dasser der Mann war, diese einfachen Waffen mit Erfolg zugebrauchen. Neben ihm saß sein Weib bei einem kleinenFeuer, an dem sie Gerstenkuchen buk, und über ihm klet-terten in den Zweigen zwei halb nackte, braune Bubenherum die auch schon ihre Messer in einem dünnen Stricktrugen, den sie um den Leib geschlungen hatten.

Nicht weit von ihm lagerten zahlreiche Städtebewohner,vielleicht aus Mossul; die Männer versorgten ihre mage-ren Esel, die Frauen sahen blass und ausgemerkgelt aus,ein sprechendes Bild der Not und Sorge und Unterdrü-ckung, der diese Leute ausgesetzt sind.

Dann sah ich Männer, Frauen und Kinder aus dem SchejkKhan, aus Syrien, aus Midiad und Semsat, aus Mardin undNußaybin, aus dem Gebiet der Kendali und der Delmamikan,von Kokan und Kotschaljan, ja sogar aus dem Bereich derTuzik und der Delmagumgumuku. Alt und Jung, Arm undReich, alle waren reinlich. Die einen hatten ihre Turbanemit Straußenfedern geschmückt und die anderen konntenkaum ihre Blöße bedecken, aber alle trugen Waffen. Sieverkehrten untereinander wie Brüder und Schwestern; mangab sich die Hände, man umarmte und küsste sich; keineFrau und kein Mädchen verbarg ihr Angesicht vor einem

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Fremden – es waren die Angehörigen einer großen Fami-lie, die hier zusammentrafen.

Jetzt krachte eine Salve und ich sah, wie sich die Män-ner in einzelnen größeren oder kleineren Gruppen nachdem Grabmal begaben.

„Was tun sie dort?“, fragte ich Ali Bej.„Sie holen sich ihr Fleisch von den Opferstieren.“„Gibt es eine gewisse Aufsicht dabei?“„Ja. Nur die Armen kommen. Sie treten nach ihren Stäm-

men und Wohnsitzen zusammen, deren Anführer sie be-gleitet oder von dem sie eine Bescheinigung vorzeigen.“

„Eure Priester erhalten keinen Teil des Fleisches?“„Von diesen Stieren nicht, am letzten Tag des Festes aber

werden einige Tiere geschlachtet, die weiß, ganz weiß seinmüssen, und deren Fleisch gehört den Priestern.“

„Können eure Priester Sünde tun?“„Warum nicht? Sie sind doch Menschen!“„Glaubst du, dass auch der große Heilige Scheik Adi

Sünde getan hat?“„Auch er war ein Sünder, denn er war nicht Gott.“„Lasst ihr eure Sünden auf eurer Seele liegen?“„Nein, wir entfernen sie.“„Wie?“„Durch die Symbole der Reinheit, durch das Feuer und

das Wasser. Du weißt, dass wir uns bereits gestern oderheute gewaschen haben. Dabei erkennen wir unsere Sün-de und geloben, sie von uns zu tun; dann werden sie vomWasser fortgenommen. Und heute Abend wirst du sehen,dass wir unsere Seelen auch durch die Flamme reinigen.“

„Du glaubst also, dass die Seele nicht mit dem Leib stirbt?“„Wie könnte sie sterben, da sie von Gott ist!“„Wie kannst du mir dies beweisen, wenn ich es nicht

glaube?“„Du scherzest! Steht nicht in eurem Kitâb: We jüsüne

hajat nefeßini nefhejledi – er blies ihm einen lebendigenOdem in seine Nase?“

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„Nun gut! Wenn die Seele also nicht stirbt, wo bleibt sienach dem Tod des Leibes?“

„Du atmest die Luft wieder ein, nachdem du sie ausge-atmet hast. Auch Gottes Odem geht wieder zu ihm zu-rück, nachdem er von Sünden rein geworden ist. – Lassuns nun aufbrechen!“

„Wie weit ist es bis Kaloni?“„Man reitet vier Stunden lang.“Unten standen unsere Pferde. Wir stiegen auf und ver-

ließen ohne Begleitung das Tal. Der Weg führte an dersteilen Bergwand empor, und als wir die Höhe erreichthatten, sah ich ein dicht bewaldetes, von zahlreichen Tä-lern durchzogenes Gebirgsland vor mir. Dieses Land wirdvon den großen Stämmen der Missuri-Kurden bewohnt,zu denen auch die Badinan gehören. Unser Weg führtebald bergab, bald wieder bergauf, bald zwischen nacktenFelsen und bald durch dichten Wald dahin. An den Ab-hängen sahen wir einige kleine Dörfer liegen, aber dieHäuser waren verlassen. Hier und da hatten wir die kaltenFluten eines wilden Bergbaches zu durchreiten, der seinWasser dem Gomel entgegenschickte, um mit diesem demGhasir zuzufließen, der in den großen Sab geht und sichmit diesem bei Eski Kuschaf in den Tirgris ergießt. DieseHäuser waren von Weingärten umgeben, neben denenSesam, Korn und Baumwolle gediehen, und erhielten einbesonders schmuckes Aussehen durch die Blüten undFrüchte der sorgsam gepflegten Feigen-, Walnuss-, Granat-apfel-, Pfirsich-, Kirschen-, Maulbeer- und Olivenbäume.

Kein Mensch begegnete uns, denn die Jesidi, die dieGegend bis Dschulamerg bewohnten, waren schon alle inScheik Adi eingetroffen, und wir waren bereits zwei Stun-den weit geritten, als wir eine Stimme hörten, die uns anrief.

Ein Mann trat aus dem Wald. Es war ein Kurde. Er hat-te sehr weite, unten offene Hosen an und die nackten Füßesteckten in niedrigen Lederschuhen. Der Körper war nurmit einem am Hals viereckig ausgeschnittenen Hemd be-

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kleidet, das bis zur Wade niederging. Sein dichtes Haarhing in lockigen Strähnen über die Schultern herab undauf dem Kopf trug er eine jener merkwürdigen, hässlichenFilzmützen, die das Aussehen einer riesigen Spinne haben,deren runder Körper den Scheitel bedeckt und deren lan-ge Beine hinten und zur Seite bis auf die Achseln nieder-hängen. Im Gürtel trug er ein Messer, eine Pulverflascheund den Kugelbeutel, eine Flinte aber war nicht zu sehen.

„Ni’ vor’l kjer – guten Tag!“, grüßte er uns. „Wohin willAli Bej, der Tapfere, reiten?“

„Chode t’aveschket – Gott behüte dich!“, antwortete derBej. „Du kennst mich? Von welchem Stamm bist du?“

„Ich bin ein Badinan, Herr.“„Aus Kaloni?“„Ja, aus Kalahoni, wie wir es nennen.“„Wohnt ihr noch in euren Häusern?“„Nein. Wir haben unsere Hütten bereits bezogen.“„Sie liegen hier in der Nähe?“„Woher vermutest du das?“„Wenn ein Krieger sich weit von seiner Wohnung ent-

fernt, so nimmt er sein Gewehr mit. Du aber hast deinsnicht bei dir.“

„Du hast es erraten. Mit wem willst du reden?“„Mit deinem Anführer Hussejn Agha.“„Steig ab und folge mir!“Wir stiegen von den Pferden und nahmen sie beim Zü-

gel. Der Kurde führte uns in den Wald hinein, in dessenTiefe wir einen starken aus gefällten Bäumen errichtetenVerhau erreichten, hinter dem wir zahlreiche Hütten lie-gen sahen, die nur aus Stangen, Ästen und Laubwerk her-gestellt waren. In dieser Barrikade war eine schmale Öff-nung gelassen worden, die uns den Eingang gestattete. Nunsahen wir mehrere hundert Kinder sich zwischen denHütten und Bäumen umhertummeln, während die Er-wachsenen, Männer wie Frauen, damit beschäftigt waren,den Verhau zu vergrößern und zu befestigen. Auf einer

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der größten Hütten saß ein Mann. Es war der Anführer,der diesen höheren Platz eingenommen hatte, um einenfreieren Überblick zu haben und die Arbeit besser leitenzu können. Als er meinen Begleiter erblickte, sprang erherab und kam uns entgegen.

„Sei willkommen, Gott vermehre deinen Reichtum!“Mit diesen Worten gab er ihm die Hand und winkte

einem Weib, das eine Decke ausbreitete, auf die wir unsniedersetzten. Mich schien er gar nicht zu beachten. EinJesidi wäre auch gegen mich höflich gewesen. DasselbeWeib, das jedenfalls seine Frau war, brachte jetzt drei Pfei-fen, die ziemlich roh aus dem Holz eines Pomeranzenbaumsgeschnitten waren, und ein junges Mädchen trug eineSchüssel auf, in der Trauben und Honigscheiben lagen.Hussejn Agha nahm seinen Tabaksbeutel, der aus dem Felleiner Katze gearbeitet war, vom Gürtel, öffnete ihn undlegte ihn vor Ali Bej.

„Taklif b’ ela k’narek, au’ bejn ma’ batal – mache keineUmstände, die unter uns überflüssig sind!“, sagte er.

Dabei griff er mit seinen schmutzigen Händen in denHonig, zog sich mit den Fingern ein Stück heraus und schobes in den Mund.

Der Bej stopfte sich die Pfeife und steckte sie in Brand.„Sage mir, ob Freundschaft ist zwischen mir und dir!“,

begann er die Unterhaltung.„Es ist Freundschaft zwischen mir und dir“, lautete die

einfache Antwort.„Auch zwischen deinen Leuten und meinen Leuten?“„Auch zwischen ihnen.“„Wirst du mich um Hilfe bitten, wenn ein Feind kommt,

um dich anzugreifen und zu überfallen?“„Wenn ich zu schwach bin, ihn zu besiegen, werde ich

dich um Hilfe bitten.“„Und würdest du auch mir helfen, wenn ich dich darum

ersuche?“„Wenn dein Feind nicht mein Freund ist, werde ich es tun.“

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„Ist der Pascha von Mossul dein Freund?“„Er ist mein Feind, er ist der Feind aller freien Kurden.

Er ist ein Räuber, der unsere Herden lichtet und unsereTöchter verkauft.“

„Hast du gehört, dass er uns in Scheik Adi überfallen will?“„Ich hörte es von meinen Leuten, die dir als Kundschaf-

ter dienten.“„Sie kommen durch dein Land. Was wirst du tun?“„Du siehst es!“ Er deutete dabei mit einer Armbewegung

auf die Hütten ringsumher. „Wir haben Kalahoni verlas-sen und uns im Wald Hütten gebaut. Nun machen wiruns eine Mauer, hinter der wir uns verteidigen können,wenn die Türken angreifen.“

„Sie werden euch nicht angreifen.“„Woher weißt du das?“„Ich vermute es. Wenn es ihnen gelingen soll, uns zu

überraschen, so müssen sie vorher allen Kampf und Lärmvermeiden. Sie werden also dein Gebiet sehr ruhig durch-ziehen. Sie werden vielleicht gar den offenen Weg vermei-den und durch die Wälder gehen, um die Höhe von ScheikAdi unbemerkt zu erreichen.“

„Deine Gedanken haben das Richtige getroffen.“„Aber wenn sie uns besiegt haben, dann werden sie auch

über euch herfallen.“„Du wirst dich nicht besiegen lassen.“„Willst du mir dazu helfen?“„Ich will es. Was soll ich tun? Soll ich dir meine Krieger

nach Scheik Adi senden?“„Nein, denn ich habe genug Krieger bei mir, um ohne

Hilfe mit den Türken fertig zu werden. Du sollst nur dei-ne Krieger verbergen und die Türken ruhig ziehen lassen,damit sie sich für sicher halten.“

„Ihnen folgen soll ich nicht?“„Nein. Aber du magst hinter ihnen den Weg verschlie-

ßen, dass sie nicht wieder zurück können. Auf der zweitenHöhe zwischen hier und Scheik Adi ist der Pass so schmal,

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dass nur zwei Männer nebeneinander gehen können. Wenndu dort eine Schanze machst, kannst du mit zwanzig Krie-gern tausend Türken aufhalten.“

„Ich werde es tun. Aber was gibst du mir dafür?“„Wenn du nicht zum Kampf kommst, sodass ich sie al-

lein besiege, sollst du fünfzig Gewehre erhalten; hast duaber mit ihnen zu kämpfen, so gebe ich dir hundert Türken-flinten, wenn du dich tapfer hältst.“

„Hundert Türkenflinten!“, rief Hussejn begeistert. Erfuhr mit größter Eile in den Honig und steckte sich einesolches Stück davon in den Mund, dass ich glaubte, esmüsse ihn erwürgen. „Hundert Türkenflinten!“, wieder-holte er kauend. „Wirst du Wort halten?“

„Habe ich dich bereits einmal belogen?“„Nein. Du bist mein Bruder, mein Gefährte, mein

Freund, mein Kampfgenosse, und ich glaube dir. Ich wer-de mir die Gewehre verdienen!“

„Du kannst sie dir aber nur dann verdienen, wenn du dieTürken bei ihrem Kommen ungestört ziehen lässt...“

„Sie sollen keinen von meinen Männern sehen!“„...und sie dann hinderst, zurückzukehren, wenn es mir

nicht gelingen sollte, sie zu umzingeln und festzuhalten.“„Ich werde nicht nur den Pass, sondern auch die Seiten-

täler besetzen, damit sie weder nach rechts noch nach links,weder vor- noch rückwärts können!“

„Daran tust du wohl. Doch will ich nicht haben, dassviel Blut vergossen wird. Die Soldaten können nichts da-für, sie müssen dem Pascha gehorchen; und wenn wir grau-sam sind, so ist der Padyschah zu Stambul mächtig genug,ein großes Heer zu senden, das uns vernichten kann.“

„Ich verstehe dich. Ein guter Feldherr muss Gewalt undauch List anzuwenden verstehen. Dann kann er mit ei-nem kleinen Gefolge ein großes Heer besiegen. Wannwerden die Türken kommen?“

„Sie werden es so einrichten, dass sie beim Anbruch desmorgigen Tages Scheik Adi überfallen können.“

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„Die Überrumpelung sollen sie selbst haben. Ich weiß,dass du ein tapferer Krieger bist. Du wirst es den Türkenganz ebenso machen, wie es da unten in der Ebene dieHaddedihn-Schammar ihren Feinden gemacht haben.“

„Du hast davon gehört?“„Wer sollte dies nicht wissen? Die Kunde von solchen

Heldentaten verbreitet sich schnell über Berg und Tal. Mo-hammed Emin hat die Seinen zum reichsten Stamm ge-macht.“

Ali Bej lächelte mir heimlich zu und meinte dann:„Es ist eine schöne Tat, Tausende gefangen zu nehmen,

ohne dass ein Kampf stattfindet.“„Diese Tat wäre Mohammed Emin nicht gelungen. Er

ist stark und tapfer, aber er hat einen fremden Feldherrnbei sich gehabt.“

„Einen fremden?“, fragte der schlaue Bej.Ihn ärgerte jedenfalls die Nichtbeachtung, die mir von

Seiten des Badinan widerfahren war, und er ergriff nundie Gelegenheit, ihn zu beschämen. Dabei konnte es na-türlich auf ein Übermaß an Lob gar nicht ankommen.

„Ja, einen fremden“, antwortete Hussejn. „Weißt du dasnoch nicht?“

„Erzähle es!“Und der Kurde tat es in folgender Weise:„Mohammed Emin, der Scheik der Haddedihn, saß vor

seinem Zelt, um Rat zu halten mit den Ältesten seinesStammes. Da tat sich eine Wolke auf und ein Reiter kamherbei, dessen Pferd gerade mitten im Kreis der Alten dieErde berührte.

‚Es selâm ’alejkum!‘, grüßte er.‚’Alejkum es selâm!‘, antwortete Mohammed Emin.

‚Fremdling, wer bist du und woher kommst du?‘Das Pferd des Reiters war schwarz wie die Nacht, er selbst

aber trug ein Panzerhemd, Arm- und Beinschienen undeinen Helm aus gediegenem Gold. Um seinen Helm warein Schal gewunden, den die Huri des Paradieses gewebt

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hatten; denn tausend lebendige Sterne kreisten in seinenMaschen. Der Schaft seiner Lanze war von reinem Silber,ihre Spitze leuchtete wie der Strahl des Blitzes und unterihr waren die Bärte von hundert erlegten Feinden befes-tigt. Sein Dolch funkelte wie Diamant und sein Schwertkonnte Stahl und Eisen zermalmen.

‚Ich bin der Feldherr eines fernen Landes‘, antworteteder Glänzende. ‚Ich liebe dich und hörte vor einer Stun-de, dass dein Stamm ausgerottet werden soll. Darum setz-te ich mich auf mein Ross, das zu fliegen vermag wie derGedanke des Menschen, und eilte herbei, dich zu warnen.‘

‚Wer ist es, der meinen Stamm ausrotten will?‘, fragteMohammed Emin.

Der Himmlische nannte die Namen der Feinde.‚Weißt du dies gewiss?‘‚Mein Schild sagt mir alles, was auf Erden geschieht.

Blicke her!‘Mohammed Emin sah auf den goldenen Schild. In der

Mitte war ein Karfunkel, fünfmal größer als die Hand ei-nes Mannes, und in diesem sah er alle seine Feinde, wiesie sich versammelten, um gegen ihn zu ziehen.

‚Welch ein Heer!‘, rief er. ‚Wir sind verloren!‘‚Nein, denn ich werde dir helfen‘, antwortete der Frem-

de. ‚Versammle alle deiner Krieger um das Tal der Stufenund warte, bis ich dir die Feinde bringe!‘

Er gab hierauf seinem Pferd ein Zeichen, worauf es wie-der emporstieg und hinter der Wolke verschwand. Mo-hammed Emin aber wappnete sich und die Seinen undzog nach dem Tal der Stufen, das er rundum besetzte,sodass die Feinde wohl hinein, aber nicht wieder herauskonnten. Am andern Morgen kam der fremde Held gerit-ten. Er leuchtete wie hundert Sonnen und dieses Lichtblendete die Feinde, sodass sie die Augen schlossen undihm folgten, mitten in das Tal der Stufen hinein. Dortaber kehrte er seinen Schild um, der Glanz wich von ihmund sie öffneten die Augen. Da sahen sie sich in einem

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Tal, aus dem es keinen Ausweg gab, und mussten sich er-geben. Mohammed Emin tötete sie nicht; aber er nahmihnen einen Teil ihrer Herden und forderte einen Tributvon ihnen, den sie jährlich geben müssen, solange die Erdesteht.“

So erzählte der Kurde, jetzt schwieg er.„Und was geschah mit dem fremden Feldherrn?“, fragte

der Bej.„‚Es selâm ’alejkum!‘, sprach er, dann erhob sich sein

schwarzes Ross in die Wolken und verschwand“, lautetedie Antwort.

„Diese Geschichte ist sehr schön zu hören; aber weißtdu auch, ob sie wirklich geschehen ist?“

„Sie ist geschehen. Fünf Männer von Dschelu waren zuderselben Zeit in Selâmije gewesen, wo es von den Haddedihnerzählt wurde. Sie kamen hier vorüber und berichteten esmir und meinen Leuten.“

„Du hast Recht, diese Geschichte ist geschehen, aberanders, als du sie vernommen hast. Willst du das schwarzeRoss des Seraskers sehen?“

„Herr, das ist nicht möglich!“„Es ist möglich, denn es steht in der Nähe.“„Wo?“„Dort der Rapphengst ist es.“„Du scherzest, Bej!“„Ich scherze nicht, sondern ich sage dir die Wahrheit.“„Das Pferd ist herrlich, wie ich noch keins gesehen habe,

aber es ist ja das Ross dieses Mannes!“„Und dieser Mann ist der Serasker, von dem du erzählt

hast.“„Unmöglich!“Er machte vor Erstaunen den Mund so weit auf, dass

man die ausgiebigsten zahnärztlichen Beobachtungen hättevornehmen können.

„Unmöglich, sagst du? Habe ich dich einmal belogen?Ich sage dir noch einmal, dass er es wirklich ist!“

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Die Augen und Lippen des Kurden öffneten sich immerweiter; er starrte mich sinnlos an und streckte ganz un-willkürlich seine Hand nach dem Honig aus, kam aberdaneben und griff in den Tabaksbeutel. Ohne dies zu be-merken, langte er zu und schob eine ziemliche Portion desnarkotischen Krautes zwischen seine weißglänzenden Zäh-ne hinein. Ich hatte diesen Tabak sehr in Verdacht, allesandere, aber nur kein Tabak zu sein, und jedenfalls hatteich da ganz richtig vermutet; denn er brachte im Augen-blick eine so schnelle krampfhebende Wirkung hervor, dassHussejn Agha augenblicklich die Kinnladen zuklappte undmeinem guten Ali Bej den Inhalt seines Mundes ins Ge-sicht sprudelte.

„Um des Propheten willen! Ist er es wirklich?“, fragte ernoch einmal, und zwar in äußerster Bestürzung.

„Ich habe es dir bereits versichert!“, antwortete der An-gefeuchtete und reinigte sich mit dem Zipfel seines Klei-des das Gesicht.

„O Serasker“, wandte sich der Agha jetzt zu mir, „atinata, inschiallah, kejra – gebe Gott, dass uns dein BesuchGlück bringe!“

„Er bringt dir Glück, das verspreche ich dir!“, antworte-te ich.

„Dein Ross ist hier, das schwarze“, fuhr er fort, „aberwo ist dein Schild mit dem Karfunkel, dein Panzer, deinHelm, deine Lanze, dein Säbel?“

„Höre, was ich dir sage! Ich bin der fremde Krieger, derbei Mohammed Emin gewesen ist, aber ich stieg nicht vomHimmel herab. Ich komme aus einem fernen Land, aberich bin nicht dessen Serasker. Ich habe nicht goldene undsilberne Waffen gehabt, aber hier siehst du Waffen, mitdenen ich mich vor vielen Feinden nicht zu fürchten brau-che. Soll ich dir zeigen, wie sie schießen?“

„Sere ta, ser babe ta, ser hemscher ta Ali Bej – bei dei-nem Haupt, beim Haupt deines Vaters und beim Hauptdeines Freundes Ali Bej, tu es nicht!“, bat er erschrocken.

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„Du hast die Rüstung, die Lanze, den Schild und das Schwertvon dir gelegt, um diese Waffen zu gebrauchen, die viel-leicht noch viel gefährlicher sind. Ich weiß nicht, was ichdir geben soll; aber versprich mir, dass du mein Freundsein willst!“

„Was kann es nützen, wenn du mein Freund wirst? Indiesem Land gibt es ein Sprichwort, das lautet: ‚Dischminibe akil schi yari be akil tschitire – ein Feind mit Verstandist besser als ein Freund ohne Verstand.‘“

„Bin ich unverständig gewesen, Herr?“„Weißt du nicht, dass man einen Gast begrüßen muss,

zumal wenn er mit einem Freund kommt?“„Du hast Recht, Herr! Du strafst mich mit einem Sprich-

wort, erlaube, dass ich dir mit einem anderen antworte:‚Betschuk lasime thabe’i mesinan bebe – der Kleine mussdem Großen gehorsam sein.‘ Sei du der Große, ich werdedir gehorchen!“

„Gehorche zunächst meinem Freund Ali Bej! Er wirdsiegen, und deine Türkenflinten sind dir dann gewiss.“

„Du zürnst? Verzeihe mir! Ser sere men; bu kalmeta tatschuh taksir nakem – bei meinem Haupt; um dir zu die-nen, werde ich nichts sparen. Nimm diese Trauben undiss; nimm diesen Tabak und rauche!“

„Wir danken dir“, antwortete Ali Bej, der jedenfalls auchan sauberere Genüsse gewöhnt war. „Wir haben vor unse-rem Aufbruch gegessen und dürfen keine Zeit verlieren,nach Scheik Adi zurückzukehren.“

Er erhob sich und ich tat dasselbe. Hussejn Agha beglei-tete uns bis an den Pfad und versprach noch einmal, seinePflicht so gut wie möglich zu erfüllen. Dann ritten wirdenselben Weg zurück, den wir gekommen waren.