Implizite Rationierung
notwendiger Pflegeleistungen –
Einflussfaktoren und Lösungsansätze
RECOM Jahrestagung 2018
Julia Köppen
Technische Universität Berlin
Fachgebiet Management imGesundheitswesen
Worum geht es?
• Was ist mit impliziter Rationierung (IR) gemeint?
• Ein Erklärungs-Modell für IR
• Wie kann man IR ermitteln?
• Welche Tätigkeiten sind von IR betroffen und wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?
• Gibt es Lösungsansätze um IR zu begegnen?
2
13%
55%
25%
53%
28%
82%
36%
81%
0% 25% 50% 75% 100%
Hautpflege
Zuwendung/Patientengespräche
Nicht durchgeführte Tätigkeiten
2015 2010 2010 - International 1999
40%
60%
80%
100%
120%
140%
160%
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95
19
96
19
97
19
98
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99
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00
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01
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15
20
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Ärzte (VK)
Fälle pro Pflegekraft
Patienten > 65 Jahre
Fallzahl
Pflegekräfte (VK)
Fälle pro Arzt
Verweildauer in Tagen
Referenz 100% 1995
3Eigene Berechnung, Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2017, 2018
Entwicklungen der letzten 20 Jahre
Begrifflichkeiten
4
Implizite vs. explizite Rationierung
Die vollständige oder teilweise
Vorenthaltung oder Unterlassung
notwendiger pflegerischer Tätigkeiten
aufgrund von
Zeitmangel, inadäquater Personalbesetzung und/oder Skill mix.
Definition – Implizite Rationierung
5
(in Anlehnung an Schubert et al. 2008)
Modell der impliziten Rationierung
6
Strukturen: Organisationsebene
• Arbeitsumgebung
• Personalbesetzung
Ergebnisse
• Patienten Qualität Sicherheit
• Pflegekraft Arbeits-
zufriedenheit FluktuationCharakteristika
• Patienten
• Pflegekräfte
Berurteilung
Entscheidung
Arbeitsaufkommen
Ressourcen der Pflegekräfte
Pflegerische Bedürfnisse der Patienten
Prozesse
(in Anlehnung an Schubert et al. 2007)
Grad der impliziten
RationierungPflegephilosophie
Messung von Impliziter Rationierung
7
8
• Vielzahl von Erhebungsinstrumenten
Bis zu 16 Kategorien
Datengrundlage
InternationalHospital Outcomes Study,US, CA, UK-E, UK-SC, DE: 29 KH
Registered Nurse Forecasting,12 Länder Europas,33659 Pflegekräfte, 488 KH,DE: 51 KH
„G-NWI“ Follow-up(Deutschland)71 KH
1998-1999 2009-2011 2015
IHOS RN4Cast RN4CastBERNCA-R
2011
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Veränderungen in 16 Jahren – nicht durchgeführte Tätigkeiten
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14%
22%
13%
27%
30%
37%
55%
24%
39%
28%
40%
54%
54%
82%
27%
35%
36%
47%
55%
55%
81%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Vorbereitung von Patienten auf die Entlassung
Mundpflege
Hautpflege
Adäquate Dokumentation der Pflegearbeit
Beratung/Anleitung von Patienten/Angehörigen
Entwicklung/Aktualisierung von Pflegeplänen
Zuwendung/Patientengespräche
2015 2010 1999
40%
60%
80%
100%
120%
140%
160%
19
95
19
96
19
97
19
98
19
99
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00
20
01
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02
20
03
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04
20
05
20
06
20
07
20
08
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13
20
14
20
15
20
16
Ärzte (VK)
Fälle pro Pflegekraft
Patienten > 65 Jahre
Fallzahl
Pflegekräfte (VK)
Fälle pro Arzt
Verweildauer in Tagen
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Entwicklungen der letzten 20 JahreReferenz 100% 1995
Eigene Berechnung, Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2017, 2018
Wo stand Deutschland 1999 im Vergleich zu anderen Ländern?
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20%
31%
13%
28%
41%
40%
22%
35%
14%
26%
47%
44%
10%
13%
13%
30%
34%
54%
0% 20% 40% 60%
Mundpflege
Hautpflege
Vorbereitung von Patienten und/oder Ihren Angehörigen auf dieKlinikentlassung
Beratung/Anleitung von Patienten und/oder Ihren Angehörigen
Entwicklung und Aktualisierung von Pflegeplänen
Patientengespräche/Zeit für Zuwendung
D Kanada USAAiken et al., 2001
Deutschland (2011) und die Schweiz (2010) im Vergleich
13
0 10 20 30 40
Aufnahmeassessment
Pat. vorbereiten für Untersuchung
Mundpflege
Teilwäsche
Verbandswechsel
….
Klingelnden Patienten warten lassen
Aktivierende Pflege
Statt Kontinenztraining IKM
Mobilisation
Emotionale und psychosoziale Unterstützung
Deutschland - Oft (%) Schweiz - Oft (%)
Daten Schweiz aus Schubert at al. 2013
Größere Unterschiede
Geringere Unterschiede
Pflegephilosophie?
Deutschland 2015 und 2010, mit internationalem Mittelwert
14
Deutschland 2015 und 2010, mit internationalem Mittelwert
15
Behandlungund Diagnostik
PsychosozialeAspekte,
Dokumentation
Die häufigsten rationierten Tätigkeiteno Emotionale Unterstützung
o Edukation
oKoordination und Entlassungsmanagement
oPflegeplanung
oPünktlichkeit der Intervention
Die am wenigsten rationierten Tätigkeiten Vermeidung von Infektionen
Behandlung, Tests, Prozeduren
Ernährung
Ausscheidung
Derzeitige Evidence-Lage – was wird rationiert
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o Indirekter Effekt auf Gesundheit
o Kein sofortiger Effekt auf Gesundheit
o Mehr Zeit notwendig
o Weniger überprüfbar
(Jones et al., 2015)
Unterschiede zwischen den Krankenhäusern
17
Beratung/Anleitung von Patienten/Angehörigen
An
zah
lKra
nke
nh
äuse
r
Anteil der Pflegekräfte je Krankenhaus, die dieTätigkeit nicht durchgeführt haben (%)
Mittelwert überalle Pflegekräfte 55%
Implizite Rationierung und Emotionale Erschöpfung
18
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Behandlungen und Prozeduren
Schmerzmanagement
Vorbereitung Entlassung
Zeitgerechte Medikamentengabe
Regelmäßiges Umlagern von Pat.
Mundpflege
Hautpflege
Planung der Pflege
Adäquate Dokumentation
Adäquate Patientenüberwachung
Entw. und Aktualisierung v. Pflegeplänen
Beratung
Zuwendung
Hohe emotionale Erschöpfung (n=1563)
Keine emotionale Erschöpfung (n=1255)
+34%
+16%
im Mittel +24%
91%66%
+30%
• 91,3% rationieren mind. 1 Tätigkeit
• 5,2 Tätigkeiten im Durchschnitt
• in 9 KH haben ALLE Befragten rationiert
• 17% Prozeduren bis 80% Zeit und Zuwendung
Werden Pflegetätigkeiten vernachlässigt?
Zusammenfassung – Wurden 2015 Pflegetätigkeiten vernachlässigt?
Die Patientenperspektive (2015)
38%
46%
50%
57%
67%
64%
95%
0% 20% 40% 60% 80% 100%
Auf Entlassung gut vorbereitet
Schmerzen IMMER gut kontrolliert
Kam Hilfe IMMER so schnell wie erwünscht (vom PP)
Ärztliches Personal hörte IMMER aufmerksam zu
IMMER mit Höflichkeit und Respekt von PP behandelt
Weiterempfehlung des KH (definitv ja)
Weiterempfehlung des KH (wahrscheinlich ja + definitivja)
Modell der impliziten Rationierung
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Strukturen: Organisationsebene
• Arbeitsumgebung
• Personalbesetzung
Ergebnisse
• Patienten Qualität Sicherheit
• Pflegekraft Arbeits-
zufriedenheit FluktuationCharakteristika
• Patienten
• Pflegekräfte
Berurteilung
Entscheidung
Arbeitsaufkommen
Ressourcen der Pflegekräfte
Pflegerische Bedürfnisse der Patienten
Prozesse
(in Anlehnung an Schubert et al. 2007)
Grad der impliziten
RationierungPflegephilosophie
(Moderate) Einfluss-Faktoren und Lösungsansätze
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Berurteilung
Entscheidung
Arbeitsaufkommen
Ressourcen der Pflegekräfte
Pflegerische Bedürfnisse der Patienten
Prozesse
Grad der impliziten
Rationierung
Meso-EbeneMakro-Ebene
Mikro-Ebene
Strukturen: • Personalbesetzung
(Pflegefachkräfte!) • Adäquate Ressourcen• Klima der
Patientensicherheit• Teamwork• Unerwartet viele oder
akute Fälle
Charakteristika:Pflegekräfte:• Kein Effekt oder nicht
eindeutig
ErgebnissePatienten: • Unerwünschte
Ereignisse• Geringere
Zufriedenheit
Pflegekräfte:• Fluktuation• Unzufriedenheit• Wechselabsicht
(Griffith et al. 2018, Jones et al., 2015)
Patienten-Pflegekraft Relation 2010 –Deutschland im internationalen Vergleich
7.6 7.8
5.5
9.9
9.1
5.9
4.8
3.7
9.710.2
5.4 5.3
0
2
4
6
8
10
12
Aiken et al., 2013
12.4
9.7
11.410.4
19.8
11.1
9.110.4
9.6
16.5
13.1
9.2
13.1
10.7
22.5
0
5
10
15
20
25
Alle Schichten Frühdienst Spätdienst Früh- und Spätdienst Nachtdienst
Alle Krankenhäuser Unikliniken BG-Kliniken
Patienten-Pflegekraft Relation 2015
12.4
9.711.4
10.4
19.8
11.19.1
10.4 9.6
16.5
13.1
9.2
13.1
10.7
22.5
0
5
10
15
20
25
AlleSchichten
Frühdienst Spätdienst Früh- undSpätdienst
Nachtdienst
Alle Krankenhäuser Unikliniken BG-Kliniken
Patienten-Pflegekraft Relation 2015 - Personaluntergrenzen
Aktuelles Thema: Personaluntergrenzen
10.3
14.5
21.9
10 10
20
9.911.5
18.2
12 12
24
Frühdienst Spätdienst Nachtdienst
RN4cast - Unfallchirurgie PpU-Grenze - Unfallchirurgie
RN4cast - Kardiologie PpU-Grenze - Kardiologie
n= 312 Unfallchirurgie; 306 Kardiologie
• Querschnitt-Studien kausaler Zusammenhang von Einflussfaktoren
nicht überprüfbar
• Hauptsächlich Selbstauskunft der Pflegekräfte
• Hauptsächlich chirurgische und internistische Stationen, keine
hochspezialisierten Pflegebereiche (z.B. ITS)
• Effekte auf Patienten-Oucomes wie Verweildauer, Wiedereinweisung,
Mortalität noch nicht bekannt
Limitationen
26
• Negative Entwicklung in der wahrgenommenen Versorgungsqualität
• Therapeutische Tätigkeiten werden eher rationiert als psychosoziale
• Personalmangel wird mit impliziter Rationierung assoziiert
• Angestrebte Personaluntergrenzen werden das Problem kaum lösen
können
• Implizite Rationierung könnte als Qualitätsindikator genutzt werden
Fazit und Diskussion
27
Zufriedenheit mit der Berufswahl
28
19%
50%
21%
10%
Sehr zufrieden
Eher zufrieden
Eher unzufrieden
Sehr unzufrieden
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Literatur
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