ProjektGoethequartier
...wie ein Bremerhavener Altbauviertelwieder ins Positive kippen könnte.
Projekt Goethequartier...wie ein Bremerhavener Altbauviertel wieder ins Positive kippen könnte.
P3-Bericht
Studiengang Bachelor Stadtplanungan der HafenCity Universität Hamburg
Sommersemester 2011
Ralf AngermannMichael BurijLarissa GuschlLudger HellwegImmo HülsMelanie JohnsDavid RademacherStephan Strittmatter
Betreuer:Dipl.-Ing. Stefan Kreutz und Dipl.-Ing. Mario Abel
inhaltsverzeichnis
Vorwort 8
1. Einführung 11
1.1 Problemstellung 13
1.2 Zielsetzung 16
1.3 Arbeitsprozess und -methodik 17
1.4 Aufbau des Projektberichts 21
2. Analyse 25
2.1 Bremerhaven 27
2.1.1 Lage, Verkehrsanbindung, Zentralität 27
2.1.2 Geschichtlicher Überblick 28
2.1.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung 34
2.1.4 Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur 36
2.1.5 Wohnungsbestand und Immobilienmarkt 40
2.2 Ortsteil Goethestraße 43
2.2.1 Stadträumliche Lage und Abgrenzung 43
2.2.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung 43
2.2.3 Städtebauliche Struktur und Gebäudezustand 47
2.2.4 Infrastruktur und Nutzungsstruktur 48
2.2.5 Wohnungsbestand und Wanderungsbewegungen 50
Exkurs: Schrottimmobilien 53
2.3 Stadtumbauprojekte und Förderprogramme 59
2.4 Akteursanalyse 63
2.5 Experteninterviews 67
2.5.1 Stadtplanungsamt Bremerhaven 67
2.5.2 BIS Bremerhaven 68
2.5.3 Stäwog – Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH 70
2.5.4 „Lebens(t)raum“ – Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43 72
2.5.5 „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“ 76
2.5.6 Designlabor Bremerhaven 80
6
2.6 Zwischenfazit: Zentrale Erkenntnisse der Analyse 85
2.7 Potentialkarten 87
3. Konzept 95
3.1 Zentrale Projektfragen 97
3.2 Vision „Bürgerstadt Goethequartier“ 99
3.3 Toolbox 103
1) Möglichkeitsräume vier
2) Kümmererkonzepte neun
3) Lokale Ökonomien zehn
4) Marketinginstrumente elf
Katalog dreizehn
Nutzungshinweise vierzehn
Kurzübersichten fünfzehn
#01: NEIGHBOURHOOD BRANDING dreißig
#02: LEERSTANDS- UND BAULÜCKENINFORMATIONSSYSTEM siebenundreißig
#03: TEMPORÄRE STADT zweiundvierzig
#04: BAUSPIELPLATZ achtundvierzig
#05: NACHBARSCHAFTSGÄRTEN/INTERKULTURELLE GÄRTEN vierundfünfzig
#06: LADEN ZU VERSCHENKEN einundsechzig
#07: PROBEWOHNEN siebenundsechzig
#08: WÄCHTERHÄUSER einundsiebzig
#09: MODE AUS DEM QUARTIER siebenundsiebzig
#10: ÖFFENTLICHE HOTSPOTS zweiundachzig
#11: COWORKING neunzig
#12: GASTRONOMISCHE ZWISCHENNUTZUNG fünfundneunzig
#13: ZEN-GARTEN hunderteins
#14: ALTENGERECHTES WOHNEN hundertsieben
#15: BALKONE IN BAULÜCKEN hundertzwölf
7
4. Interventionen 105
4.1 Kinder-Fotosafari 106
4.2 Ausstellung 111
4.3 Öffentlichkeitsarbeit 114
5. Ausblick: Das Goethequartier im Jahr 2025 119
6. Fazit 129
Abbildungsverzeichnis 136
Literaturverzeichnis 144
Quellenverzeichnis 146
Vorwort
Von den „Baulücken in Bremerhaven“ zum „Projekt
Goethequartier“
Zu den wohl spannendsten Momenten in einem Projekt gehört der, in
dem man zum ersten Mal das neue, noch unbekannte Projektgebiet
„begeht“: Neugier mischt sich da eventuell mit Ratlosigkeit, erste
Eindrücke führen zu ersten Ideen, man vergleicht mit Bekanntem,
sucht nach offensichtlichen Missständen und Potentialen, fühlt sich
spontan angezogen oder – trotz allem Bemühen um „professionelle“
stadtplanerische Objektivität – eher abgestoßen. Und sofern Thema
und Untersuchungsgebiet selbst gewählt wurden, steht über allem die
Frage: Haben wir uns richtig entschieden?8
Abbildung 1: Die Projektgruppe
9
Um ehrlich zu sein, der Bremerhavener Ortsteil Lehe-Goethestraße hat
es uns da anfangs nicht so ganz leichtgemacht: Zu vieles passte nicht
zusammen, unterlief unsere Erwartungen, überforderte unser bis dahin
erworbenes stadtplanerisches Wissen und – ja, stieß uns eher ab.
Gerne hätte daher der eine oder die andere von uns das Projektgebiet
eingetauscht gegen eines, das man „versteht“, auch ohne von dort zu
stammen, das man mag, auch ohne dort bzw. in der Nachbarschaft
aufgewachsen zu sein, wie der Initiator unseres Projekts. Glücklicher-
weise allerdings haben wir diesen Tausch dann doch nicht gewagt,
denn natürlich haben wir den Ortsteil Goethestraße nach und nach
zu verstehen gelernt – und irgendwann mochten wir ihn dann sogar
richtig gerne. (Folgerichtig wurde aus dem sachlich-distanzierten Titel
„Baulücken in Bremerhaven“ im Laufe der Zeit auch etwas viel Emotio-
naleres: das „Projekt Goethequartier“.)
Beides, das Verstehen und das Mögen, hängt übrigens vor allem
mit den Menschen zusammen, die wir dort kennenlernen durften.
Zahlreiche Gespräche haben uns nicht nur die Analyse sehr erleichtert,
sondern uns auch mehr als einmal auf neue Ideen gebracht und somit
ganz wesentlich zum Erfolg des Projekts beigetragen. Wobei, ein
wirklicher Erfolg wäre es natürlich erst, wenn einige der von uns für
das Goethequartier vorgeschlagenen „Tools“, der stadtplanerischen
Werkzeuge, irgendwann einmal tatsächlich dort eingesetzt würden. Auf
dass sich das Viertel so entwickelt, wie wir uns das erhoffen…
Danken möchten wir neben unseren Gesprächs- und Interview-
partnern in Bremerhaven sowie allen an der Kinder-Fotosafari und der
Ausstellung Beteiligten nicht zuletzt auch unseren Projektbetreuern
Herrn Dipl.-Ing. Stefan Kreutz und Herrn Dipl.-Ing. Mario Abel, die uns
mit konstruktiver Kritik und vielen hilfreichen Hinweisen bei unserer
Arbeit unterstützt haben.
Hamburg im Juli 2011
1. Einführung
12
Abbildung 2: Eine Baulücke im Quartier
13
1.1 Problemstellung
Während in Hamburg, München oder Berlin – ebenso wie in anderen,
kleineren Städten in Deutschland – darüber diskutiert wird, wie
die „Gentrifizierung“ innenstadtnaher Altbauquartiere aufgehalten
werden kann, sieht sich der gründerzeitliche Bremerhavener Ortsteil
Lehe-Goethestraße seit Jahren mit dem umgekehrten Problem
konfrontiert: Hier ist eine Abwärtsspirale in Gang gekommen, die
sich zusammensetzt aus diversen regionalen Wirtschaftsstruktur-
krisen, dem Schrumpfen der gesamtstädtischen Einwohnerzahl,
dem Prozess der Suburbanisierung und dem Wegzug gutsituierter
Bevölkerungsschichten, einem schleichenden Imageverlust des
Viertels, Mietpreisverfall und Fehlspekulationen, dem Ausbleiben
von Investitionen, Verwahrlosung und Verfall etc. Die Folgen sind
inzwischen unübersehbar: Die Substanz vieler Gebäude ist in einem
besorgniserregenden Zustand, Balkone und Erker müssen gestützt
werden, Fassaden bröckeln, Hunderte von Wohnungen und zahlreiche
Ladenlokale stehen leer, um die verlassenen Häuser vor Vandalismus
zu schützen, wurden Fenster vernagelt, und in der Blockrandbebauung
entstehen durch Abriss bereits erste Lücken. In dieser Situation hätte
sicherlich niemand etwas einzuwenden gegen ein wenig Gentrifi-
zierung, gegen einen Aufwertungsprozess also, der verbunden ist mit
dem Zuzug neuer, finanzkräftiger Mieter und potentieller Eigentümer,
mit steigenden Mieten, einer schrittweisen Verbesserung der Bausub-
stanz sowie der Ansiedelung neuer Nutzungen.
Doch im Gegensatz zu eingangs erwähnten Metropolen verfügt
Bremerhaven als traditionelle Arbeiterstadt weder über ein vergleich-
bares Milieu aus Künstlern und Studenten, das ein Quartier belebt und
für andere Nutzer attraktiv macht, noch über eine stetig wachsende,
gut ausgebildete und gut verdienende Schicht junger Angestellter, die
auf der Suche ist nach zentralem, urbanem Wohnraum. Darauf, dass
ein Altbauquartier wie der Ortsteil Goethestraße früher oder später
„automatisch“ wieder begehrt wird und den Prozess der Aufwertung
durchläuft, kann sich die Stadt folglich nicht verlassen. Im Gegenteil:
Viel eher ist damit zu rechnen, dass Bremerhaven im Zuge des demo-
graphischen Wandels, der hier wie in ganz Deutschland abläuft, weiter
an Einwohnern verliert, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt weiter
abnimmt – und damit auch der Anreiz, in ein Viertel zu ziehen, das
primär assoziiert wird mit sozialen Problemen und einer schlechten
14
Bausubstanz, dessen städtebauliches Erscheinungsbild in vielen Teilen
also ebenso schlecht ist wie sein Image.
Andererseits: Dass Städte nicht nur wachsen, sondern von Zeit zu Zeit
durchaus auch mal schrumpfen können, ist historisch betrachtet wie
auch im weltweiten Maßstab keineswegs außergewöhnlich. Nach
Jahrzehnten des Wachstums jedoch fällt es, vor allem in Deutschland,
vielen nach wie vor schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden,
dass die Zahl der Einwohner (wie auch die Wirtschaftskraft) im Laufe
der Zeit nicht überall weiter zunehmen oder zumindest konstant
bleiben wird. Dabei lässt sich das Phänomen des Schrumpfens in
einigen Städten bzw. Regionen des Landes bereits seit den 1970er
Jahren beobachten, seit einer Zeit also, in der aufgrund der Struktur-
krise traditioneller Industrien ganze Beschäftigungszweige wegbrachen
und Menschen massenhaft arbeitslos wurden. Diverse finanzielle
Ausgleichsmechanismen, vom Länderfinanzausgleich über eine
Vielzahl unterschiedlicher Subventionen bis hin zu sonstigen staatlichen
Zuwendungen wie der Städtebauförderung, haben es vielen der von
Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung betroffenen
Gemeinden trotz schrumpfender Bevölkerung und erodierender
Steuereinnahmen noch eine ganze Weile ermöglicht, den gewohnten
Standard einigermaßen aufrechtzuerhalten.
Abbildung 3: Schrottimmobilie in der Uhlandstraße
15
Folglich waren es auch nicht die Standorte der einst boomenden
Branchen Bergbau, Stahlerzeugung oder Schiffbau – überwiegend im
Westen und Nordwesten Deutschlands gelegen –, die sich als erstes
gezwungen sahen, sich offensiv mit dem Thema „Schrumpfung“
auseinanderzusetzen, sondern vielmehr die Städte in den Neuen
Bundesländern: Dessau, Magdeburg oder Leipzig beispielsweise
wurden somit zu „Pionierstädten“ des demographischen Wandels.
Inzwischen müssen sich jedoch längst auch Kommunen im alten
Westen des Landes, etwa Bochum oder eben Bremerhaven,
Gedanken darüber machen, wie bei abnehmender Bevölkerungszahl
städtisches Leben organisiert werden kann – zumal in Zeiten leerer
öffentlicher Kassen. In diesem Zusammenhang beginnt sich immer
häufiger die Erkenntnis durchzusetzen, dass viele der konventionellen
Instrumente, die vor allem auf finanzieller Förderung beruhen, in der
Vergangenheit nicht immer den erwünschten Erfolg gebracht haben.
Hinzu kommt, dass aufgrund der sich rasch wandelnden Verhältnisse
provisorische, temporäre Strategien ganz offenbar gegenüber langfris-
tigen, auf Dauer angelegten Lösungen zu bevorzugen sind. Damit rückt
in den letzten Jahren vermehrt der Aspekt der Zwischennutzung, der
temporären Stadt, der urbanen Intervention in den Vordergrund – alles
Maßnahmen also, die die gebaute Stadt ergänzen und, im Idealfall,
wieder attraktiver machen können.
16
1.2 Zielsetzung
Ziel des zweisemestrigen Projekts war es, eine Strategie zu ent-
wickeln, wie die oben beschriebene Abwärtsspirale, in der sich der
Ortsteil Goethestraße befindet, gestoppt werden kann. Darüber hinaus
bestand der Anspruch der Projektgruppe darin, eine langfristige Vision
für das zentral gelegene Gründerzeitviertel zu entwerfen und mögliche
Schritte aufzuzeigen, mit deren Hilfe sich diese realisieren lässt. Im
Fokus stand dabei die Nutzung der Baulücken und Leerstände, da sie
aktuell das prägende Charakteristikum des Altbauquartiers darstellen.
Einen Hinweis darauf, dass es in diesem Zusammenhang nicht primär
um das Entwerfen neuer Gebäude bzw. sonstiger Bauwerke gehen
würde, lieferte bereits die erste Ortsbegehung, deren Eindrücke im
Folgenden auch durch die Analyse bestätigt wurden. Als konkrete
Zielsetzung kristallisierte sich stattdessen die Entwicklung eines
Katalogs von unabhängig voneinander anwendbaren Werkzeugen,
sogenannten „Tools“, heraus, die sich zu einem Werkzeugkasten, einer
„Toolbox“, bündeln lassen. Zum Teil entstammen sie dem weiten Feld
der Zwischennutzung sowie der urbanen Intervention, zum Teil sind sie
jedoch auch längerfristig angelegt, so dass es sinnvoll erschien, sie in
eine zeitliche Ordnung zu bringen.
Als weiteres Ziel kam im Laufe des Projekts hinzu, selbst einen kleinen
Impuls zur Aufwertung des Ortsteils Goethestraße zu setzen bzw. die
zahlreichen Initiativen, die dort bereits stattfinden, durch einen eigenen
Beitrag zu unterstützen. Dies sollte in Form einer öffentlichkeitswirk-
samen und innovativen Aktion geschehen, mit der die Projektgruppe
zwei Absichten verfolgte: Zu einen ging es darum, innerhalb des
Projektgebiets sowie der Stadt Bremerhaven wahrgenommen zu
werden und damit den Dialog über die eigenen Arbeit anzuregen. Zum
anderen war beabsichtigt, das anzuwendende Instrument aus einem
der Tools abzuleiten, um so dessen Tauglichkeit in der Praxis erproben
zu können.
17
1.3 arbeitsprozess und -methodik
Das in diesem Bericht dokumentierte Projekt erstreckte sich über einen
Zeitraum von zwei Semestern bzw. rund neun Monaten. Es fand statt
zwischen Oktober 2010 und Juli 2011 und wurde von insgesamt acht
Studenten des Bachelorstudiengangs Stadtplanung im abschließenden
Studienjahr durchgeführt. Das Thema konnte vollkommen frei gewählt
werden, ebenso wie die betreuenden Dozenten. Ersteres – anfänglich
„Baulücken in Bremerhaven“ – geht zurück auf den Vorschlag eines
Kommilitonen, der aus Bremerhaven stammt und dort aufgewachsen
ist. Um eine Kerngruppe, die das Projekt konzipiert und organisatorisch
vorbereitet hatte, sammelten sich Anfang Oktober 2010 die weiteren
Mitglieder, zwei weibliche und sechs männliche, die in dieser Konstel-
lation zuvor noch nie zusammengearbeitet hatten.
Für die beiden Dozenten entschied sich die Projektgruppe aus
verschiedenen Gründen: Persönliche Erfahrungen aus vorange-
gangenen Projekten bzw. dem Städtebaulichen Entwurf spielten
dabei ebenso eine Rolle wie die Überlegung, dass die Herkunft aus
unterschiedlichen Fachbereichen dem Projekt förderlich sein könnte.
Während der eine Betreuer als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Lehrstuhl für Projektentwicklung und Projektmanagement in der
Stadtplanung von Herrn Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger tätig ist, arbeitet
der andere ebenfalls als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und
Forschungsbereich Urban Design unter Prof. Dipl.-Ing. Bernd Kniess.
Auf diese Weise konnte eine breite Spannbreite an unterschiedlichen
Erfahrungen und Wissensgebieten abgedeckt werden, die in Form
von fachlichen Anregungen, Hinweisen sowie konstruktiver Kritik in die
Arbeit der Projektgruppe einfloss. Allerdings war die Betreuungsinten-
sität, wie es der Intention des P3 entspricht, eher gering, der direkte
Kontakt beschränkte sich auf etwa ein Treffen pro Monat, das jeweils
zwischen einer und maximal drei Stunden dauerte.
Die Projektgruppe selbst traf sich über die gesamten neun Monate
praktisch jede Woche einmal, bei Bedarf auch zusätzlich an einem
weiteren Tag, zu einer Plenumssitzung, die je nach Anzahl der Tages-
ordnungspunkte unterschiedlich lange dauerte. In diesem Forum
wurden die Rechercheergebnisse aus Kleingruppenarbeit sowie
individuelle Beiträge präsentiert und zentrale Fragen, Projektziele und
weitere Arbeitsschritte diskutiert. Breiten Raum nahmen daneben
18
organisatorische Aspekte ein, die bei einer Gruppengröße von acht
Personen natürlich eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen. Auch
gelegentliche persönliche Spannungen und individuelle Kontroversen
zwischen einzelnen Projektmitgliedern mussten teilweise auf der Ebene
der Gesamtgruppe geklärt werden. Die Frage nach der Notwendigkeit
einer Diskussionsleitung wurde während des Projektverlaufs mehrmals
gemeinsam erörtert, durch Mehrheitsentscheidung fiel dabei die
Entscheidung zugunsten einer flexiblen Handhabung: Im Regelfall
verlief die Diskussion frei, bei Bedarf – etwa wenn Vorschläge und
Ideen gesammelt und diskutiert oder Ergebnisse visuell strukturiert
werden sollten – übernahm ein Gruppenmitglied spontan die Leitung.
Im Übrigen wurden nahezu alle Projektsitzungen protokolliert.
In sämtlichen Phasen des Projekts – von der Analyse über die Konzep-
terarbeitung bis hin zur praktischen Anwendung des Konzepts in Form
von Interventionen – fanden in unregelmäßigen Abständen mehrere
Exkursionen nach Bremerhaven, speziell natürlich in den Ortsteil
Goethestraße, statt. Neben der Bestandsaufnahme und Kartierung
lag der Schwerpunkt der Arbeit dabei auf dem Gespräch mit diversen
Akteuren, die zum Teil auch außerhalb des unmittelbaren Projektge-
biets angesiedelt waren. Insbesondere im Zuge der Interventionen
konzentrierte sich die Projektarbeit dann verständlicherweise stark auf
das „Goethequartier“ selbst.
Im Folgenden werden die einzelnen Arbeitsschritte und -methoden
noch einmal detailliert beschrieben, um so den Projektverlauf nachvoll-
ziehbar zu machen (vgl. dazu Abb. 5). Grob gliedert sich das Projekt in
drei Phasen: Analyse, Konzept und Intervention. Zunächst verbrachte
Abbildung 4: Darstellung der vorläufigen Zeitplanung
19
die Gruppe einige Wochen damit, sämtliches relevantes Datenmaterial
sowie verfügbare Studien zu sichten und auszuwerten, um so einen
Überblick über das Thema, das Projektgebiet und den städtischen
Kontext zu erhalten. Dass dabei der Kreis anfangs bewusst weiter
gezogen wurde, als in diesem Bericht erkennbar wird – das heißt in
manchen Fällen natürlich auch zu weit –, versteht sich von selbst.
Zumal, da das Projektziel zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht klar
definiert werden konnte. Diese Eingrenzung fand erst im weiteren
Projektverlauf statt und ergab sich zum Teil aus den Experteninterviews,
die nach Abschluss der ersten, weitgehend theoretischen Analyse
geführt wurden. Zuvor galt es jedoch, die zentralen Akteure zunächst
einmal zu identifizieren; daneben bemühte sich die Gruppe darum,
sich bei Ortsbegehungen ein genaueres Bild des konkreten Raums zu
verschaffen, wozu der Bestand nach Kriterien wie Nutzung, Leerstand,
Gebäudezustand etc. kartiert wurde.
Gegen Ende der Analysephase, als sich abzeichnete, dass der
enorme Leerstand im Ortsteil Goethestraße ein mindestens ebenso
große Herausforderung darstellt wie die Baulücken (und dass beide
Probleme natürlich untrennbar zusammenhängen), begann die Gruppe
mit der Formulierung der Projektziele. Diese ergaben sich logisch
aus den zentralen Projektfragen, die wiederum aus den wichtigsten
Ergebnissen der Analyse resultierten. Damit trat das Projekt in die
eigentliche Konzeptphase ein. Aus Gründen, die in diesem Bericht
noch näher argelegt werden, entschied die Gruppe sich für die
Erarbeitung einer „Toolbox“, eines stadtplanerischen Werkzeugkastens
also, dessen Einzelteile sich innerhalb des Projektgebiets auch separat
implementieren lassen. Der konkrete Aufbau dieser Toolbox, d. h. die
Abbildung 5: Gantt-Diagramm des Projektablaufs
20
methodische Gestaltung wie auch ihre semantische Struktur, wurde
dabei intensiv diskutiert. Mitte Februar 2011 bot eine universitäts-
interne Zwischenpräsentation vor Kommilitonen und Lehrenden die
Möglichkeit, die bis dahin erreichten Ergebnisse vorzustellen sowie die
ersten, noch nicht voll ausgereiften Konzeptansätze zu diskutieren.
Um die diversen Tools räumlich besser im „Goethequartier“, wie das
Plangebiet nun projektintern hieß, verorten zu können, wurde nach
Abschluss der eigentlichen Analysephase noch einmal ein weiterer,
letzter Analyseschritt eingeschoben: Mithilfe von Potentialkarten, die
bei einer erneuten Ortsbegehung entstanden waren, ließen sich Orte
innerhalb des Viertels bestimmen, die nach Ansicht der Projektgruppe
geeignet sind, bei einer möglichen Umsetzung des Toolbox-Konzepts
als „Keimzellen“ für eine weitere Entwicklung bzw. Aufwertung zu
fungieren. Die Erarbeitung der konkreten Tools inklusive ihrer Ober-
kategorien nahm dann ungefähr vier Monate, von März bis Juni 2011,
in Anspruch.
Parallel dazu begann ab der zweiten Aprilhälfte die Planung und Vorbe-
reitung der Interventionen, die zugleich die abschließende Projektphase
bildeten. Durchgeführt wurden die beiden Aktionen, Kinder-Fotosafari
und Ausstellung, im Mai und Juni, wobei vor allem die Ausstellung über
einen Zeitraum von knapp zwei Wochen einen täglichen Einsatz einiger
Projektmitglieder erforderte. Ebenfalls täglich traf sich die Gruppe in
den beiden Projektwochen im Dezember und Mai, in denen keine
sonstigen Uni-Termine anstanden. Den Abschluss des Projekts bildete
universitätsintern eine Endpräsentation Mitte Juni, die Vorstellung
der Ergebnisse in Bremerhaven ist für Ende Juli geplant, steht zum
Zeitpunkt des Drucks dieses Berichts also noch aus. Verfasst und
zusammengestellt wurde der Bericht ungefähr seit Februar 2011, d.h.
etwa seit Mitte des Projekts, für die redaktionelle Arbeit im engeren
Sinne stand die Zeit nach der Endpräsentation zur Verfügung.
21
1.4 aufbau des Projektberichts
Der Aufbau dieses Berichts folgt im Wesentlichen dem Projektverlauf,
er gliedert sich folglich in einen analytischen und einen konzeptionel-
len Teil. Darüber hinaus wird den Interventionen in eigenes Kapitel
gewidmet, da sie zwar eine Anwendung eines der Tools darstellen
und damit strukturell dem Konzept zuzurechnen sind, aber faktisch
betrachtet einen davon unabhängigen, praktischen Arbeitsschritt
repräsentieren.
Im Analyseteil soll zunächst der gesamtstädtische Kontext des eigent-
lichen Projektgebiets in seinen wesentlichen Zügen umrissen werden:
Neben Lage und Verkehrsanbindung, Geschichte, Bevölkerungs-
struktur und -entwicklung sowie wirtschaftlicher Situation wird dabei
auch auf den Bremerhavener Wohnungsbestand und Immobilienmarkt
eingegangen. Anschließend fokussiert sich die Analyse auf die Mikro-
perspektive, also den Ortsteil Goethestraße. Einer stadträumlichen
Verortung und Abgrenzung des Gebiets folgt die Darstellung von Bevöl-
kerungsstruktur und -entwicklung, städtebaulicher Struktur inklusive
Gebäudezustand, Infra- und Nutzungsstruktur sowie Wohnungs-
bestand und Wanderungsbewegungen. In einem Exkurs wird dabei
gesondert die Problematik der Schrottimmobilien näher beleuchtet.
Im Folgenden werden die diversen Stadtumbauprojekte und Förder-
programme beschrieben und diskutiert, sofern sie für den Ortsteil
Goethestraße von Belang waren bzw. sind. Hieran schließt sich die
Analyse der für den Ortsteil Goethestraße relevanten Akteure an,
gefolgt von der Dokumentation der Interviews, die im Projektverlauf
mit Vertretern wichtiger Institutionen in und außerhalb des Plangebiets
geführt wurden. Dabei werden zum Teil auch die jeweiligen Einrich-
tungen selbst ausführlich vorgestellt. Den letzten analytischen Schritt
bilden einige selbst erstellte Karten, die aufzeigen sollen, welche Orte
innerhalb des Quartiers offenbar besonderes Potential im Hinblick auf
die Umsetzung des Konzepts besitzen. In einem Zwischenfazit werden
die zentralen Erkenntnisse der Analyse zusammengefasst.
Für den Konzeptteil dieses Berichts ergeben sich daraus die zentralen
Projektfragen, die weitere Zielsetzung erfolgt in Form einer Vision, die
den erhofften Endzustand des Ortsteils Goethestraße skizziert. Wesent-
licher Bestandteil sowohl des Projekts als auch der vorliegenden Arbeit
22
ist die sogenannte Toolbox, die als separates Element innerhalb des
Gesamtberichts angelegt ist, da sie auch extern, d. h. an „Kümmerer“
in Bremerhaven sowie andere Interessierte, verteilt werden soll. Sie
besitzt aus diesem Grund auch eine eigene, vom restlichen Bericht
unabhängige Seiten- und Abbildungsnummerierung. In diesem Kapitel,
3.3, werden zunächst die vier Oberkategorien vorgestellt, denen die
Tools zugeordnet werden können, daran schließt sich der Katalog aller
15 Tools an. Um eine bessere Übersicht zu gewährleisten, werden
dabei zunächst sämtliche dieser Werkzeuge bzw. Beispielprojekte
anhand einer steckbriefartigen Zusammenfassung vorgestellt, eine
ausführliche Darstellung folgt im Anschluss.
Die praktische Implementierung eines der Tools in Form zweier Inter-
ventionen soll in Kapitel 4 dokumentiert werden, dabei wird auch auf
die Öffentlichkeitsarbeit dieses P3-Projekts eingegangen. Anhand eines
Ausblicks, der das „Goethequartier“ im Jahr 2025 beschreibt, wird
danach aufzuzeigen versucht, welchen Beitrag zur Aufwertung des
Viertels die vorgeschlagenen Tools leisten könnten. In einem abschlie-
ßenden Fazit wird das gesamte Projekt noch einmal reflektiert, wobei
insbesondere das planerische Selbstverständnis, das dem „Projekt
Goethequartier“ zueigen ist, kritisch hinterfragt werden soll. Diese
Bewertung steht natürlich in engem Zusammenhang mit der Frage, ob
die selbst gesteckten Projektziele erreicht wurden.
23
2. Analyse
Abbildung 6: Kinderspielplatz im Quartier
27
2.1 Bremerhaven
2.1.1 Lage, Verkehrsanbindung, Zentralität
Bremerhaven liegt am östlichen Ufer der Weser, unmittelbar an deren
Mündung in die Nordsee. Mit ihren rund 114.000 Einwohnern ist die
Stadt die mit Abstand größte an der deutschen Nordseeküste und die
einzige Großstadt dort. Bremerhaven bildet zusammen mit Bremen
den Zwei-Städte-Staat „Freie Hansestadt Bremen“ und gliedert sich
administrativ in neun Stadt- und 23 Ortsteile. Das Stadtgebiet umfasst
eine Fläche von knapp 79 km², die Einwohnerdichte beträgt etwa 1.480
Einwohner/km².
Abbildung 7: Großräumliche Lage der Stadt Bremerhaven
Innerhalb Deutschlands nimmt Bremerhaven zwar eine relativ periphere
Lage ein, ist aber infrastrukturell vergleichsweise gut angeschlossen:
Die Verbindung zum Fernstraßennetz stellen drei Bundesstraßen (B 6,
B 71 und B 212) sowie die BAB 27 her, die in Richtung Süden, zum
Verkehrsknotenpunkt Bremen führt. Ein Defizit bei der Anbindung an
das Autobahnnetz besteht bislang noch in Ost-West-Richtung, aller-
dings befindet sich die BAB 22 in Planung, die parallel zur Küstenlinie
eine neue Verkehrsachse schaffen soll. Über die Schiene lässt sich der
etwa 70 km entfernte ICE-Haltepunkt Bremen mindestens stündlich
in einer guten halben Stunde erreichen, zudem wird die Bahnver-
bindung aufgrund des Hafenbetriebs sehr stark von Güterzügen
frequentiert. Dank seiner verkehrsgeographisch günstigen Lage an
der Wesermündung besitzt Bremerhaven einen direkten Zugang zu
den internationalen Hochseegewässern sowie eine Anbindung an die
deutschen Binnenschifffahrtswege. Nur geringe Bedeutung besitzt
der örtliche Regionalflughafen „Luneort“, die internationalen Flughäfen
Bremen, Hamburg und Hannover liegen zwischen 60 und 150 km
entfernt. Entscheidend verbessert hat sich die Erreichbarkeit Bremer-
havens durch den 2004 fertiggestellten Wesertunnel, der der Stadt
ein deutlich größeres Einzugsgebiet erschließt. Der ÖPNV besteht
aus 14 innerstädtischen Buslinien sowie 13 Regionalbuslinien, die
Straßenbahn wurde hingegen 1982 abgeschafft.
Bremerhaven besitzt als regionales Oberzentrum eine hohe überörtliche
Zentralität. Der städtische Einzelhandel zieht aus den niedersäch-
sischen Umlandgemeinden erhebliche Kaufkraft ab, wodurch die
eigene geringe Kaufkraft zumindest teilweise kompensiert wird. Trotz
der außergewöhnlich hohen Einzelhandelszentralität von 1,4 verfügt
Bremerhaven jedoch nur über eine Kaufkraftkennziffer von 87,5
Prozent (GEWOS 2004).
2.1.2 Geschichtlicher Überblick
Bremerhaven ist zwar eine vergleichsweise junge Stadt, hat jedoch
eine lange Geschichte, die sich bis heute in Form einzelner ehemals
unabhängiger Wachstumspole in der Stadtstruktur widerspiegelt.
Ausgrabungen um die heutige „Lange Straße“ herum belegen, dass es
bereits vor etwa 4.000 Jahren erste Besiedelungen des heutigen Stadt-28
29
gebietes gegeben haben muss. Die umliegenden Geesteinseln wurden
sogar schon vor rund 10.000 Jahren besiedelt. Die Dörfer Geestendorf
und Wulsdorf schließlich, die heute zu Bremerhaven gehören, wurden
erstmals 1139 urkundlich erwähnt, der Ort Lehe tritt als Marktstandort
und Amtssitz im Jahr 1290 erstmalig in Erscheinung (Scheper 1977).
Seine Lage nördlich der Geeste prädestinierte den Ort als Handels-
stadt – ein Vorteil, den auch die rivalisierenden Mächte Dänemark und
Schweden erkannten. Nachdem zunächst Dänemark versucht hatte,
an der Unterweser eine Stadt zu gründen, was durch Eingreifen des
Bremischen Rats unterbunden wurde, gelang es den Schweden, das
Gebiet für sich zu erobern. Im Jahre 1672 errichteten sie die Festung
Carlsburg, die jedoch bereits 1676 aufgrund mangelnder Ressourcen
wieder aufgegeben wurde (Scheper 1977).
Als Handelsstandort war das Gebiet um die Geestemündung aufgrund
der guten Wasserlage jedoch auch in der Folgezeit allseits begehrt.
Nachdem die Ländereien aus dänischer Besetzung 1719 auf das
Kurfürstentum (später Königreich) Hannover übergegangen waren,
kam es im 19. Jahrhundert zu einer doppelten Hafengründung : Da der
Oberlauf der Weser zu jener Zeit zu versanden drohte, musste Bremen
mit Einbußen im Schiffsverkehr rechnen. In dieser Situation gelang
es der Stadt, nach Verhandlungen des Bremer Senats unter Bürger-
meister Johann Smidt mit dem Königreich Hannover, ein Areal an der
Wesermündung zu erwerben. Am 11. Januar 1827 schließlich kam es
zur offiziellen Übergabe des Landstücks an die Freie und Hansestadt
Bremen: Damit war Bremerhaven gegründet und Bremen verfügte
über einen direkten Zugang zur Nordsee. Ein künstliches Hafenbecken
wurde angelegt und 1830 fertiggestellt. Zur gleichen Zeit wurde das
Bremische Amtshaus, das erste Gebäude aus Stein, errichtet; es folgte
die Einführung einer vorläufigen Gemeindeordnung für Bremerhaven
im Jahr 1837. Durch den Handel mit Amerika und die um 1830 einset-
zenden Massenauswanderungen erfuhr Bremerhaven in der Folgezeit
einen massiven Aufschwung. Es entstand eine städtische Ansiedlung,
und 1851 erhielt Bremerhaven „stadtähnliche Rechte“ (Scheper 1977).
Um Bremerhaven bzw. der Freien und Hansestadt Bremen Konkurrenz
bieten zu können, gründete das Königreich Hannover 1845 den
Hafenort Geestemünde. Am südlichen Geeste-Ufer baute man, als
Erweiterung des bereits 1819 geschaffenen hannoverschen Nothafens,
bis zum Jahr 1863 moderne Dock- und Hafenanlagen und einen
direkten Eisenbahnanschluss. Aufgrund dieser Infrastruktur entwickelte
sich Geestemünde zu einem wichtigen industriellen Zentrum und einem
zentralen Umschlagplatz für Holz, Reis und Petroleum (Scheper 1977).
Zeitgleich erlebte auch Bremerhaven durch den zunehmenden
transatlantischen Passagierverkehr weiteres Wirtschafts- und Bevöl-
kerungswachstum, so dass die Geestemündung insgesamt zu einem
bedeutenden Wirtschaftsstandort wurde. An den Ufern der Geeste
entstanden zahlreiche Werften mit Maschinenfabriken und anderen
Zuliefererbetrieben, neben Schiffbau und Handel entwickelte sich ab
etwa 1880 zudem die Hochseefischerei zu einem weiteren entschei-
denden Wirtschaftsfaktor.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nahm auch der Flächenbedarf
beider Städte kontinuierlich zu: Sowohl die Gewerbeflächen als auch
der Siedlungsraum vergrößerten sich zusehends, so dass sich die
beiden Städte einander immer mehr annäherten. Es entstand ein
städtisches Geflecht, welches bald über die Landesgrenzen Bremens
und des Königreichs Hannover hinausreichte. 1880 wurde Bremer-
haven zu einer selbstständigen Gemeinde innerhalb des Landes
Bremen ernannt. Die nördlich von Bremerhaven gelegene Gemeinde
Lehe erhielt stadtähnliche Rechte und wurde 1920 zur kreisfreien
Stadt. Im Jahre 1924 schließlich erfolgte der Zusammenschluss der
Städte Lehe und Geestemünde zur Stadt Wesermünde. Wenige Jahre
später wurden die Gemeinden Weddewarden, Schiffdorferdamm und
Speckenbüttel eingemeindet (Scheper 1977).
Im Zuge der politischen Entwicklungen wurde der Bremerhavener
Hafen 1938 der Stadt Bremen angeschlossen, während im folgenden
Jahr die Städte Wesermünde und Bremerhaven zur Großstadt Weser-
münde zusammengefügt wurden und fortan zur preußischen Provinz
Hannover gehörten.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen
und verlor einen Großteil ihrer Bevölkerung. Besonders stark war
der Innenstadtbereich mit den Stadtteilen Mitte und Geestemünde
betroffen, der dortige Wohnungsbestand hatte sich um nahezu 40 32
Abbildung 8: Historische Karte von Lehe, Bremerhaven und Geestemünde, um 1910
Prozent reduziert (Scheper 1977). Nach Kriegsende wählten die Ameri-
kaner Wesermünde als ihren deutschen Nachschubhafen, wodurch
die Stadt zur amerikanischen Enklave innerhalb der britischen Besat-
zungszone wurde. (Unter anderem betrat hier in den 1950er Jahren
Elvis Presley erstmals europäischen Boden.) Im Jahre 1947 erklärte die
amerikanische Militärregierung das Stadt- und Landgebiet Bremens
sowie den Stadtkreis Wesermünde, einschließlich Bremerhaven, zu
einem einzigen Verwaltungsgebiet. Im März desselben Jahres wurde
Wesermünde durch den Bremer Senat in Bremerhaven umbenannt,
zudem wurde die Stadt Teil des Bundeslandes Bremen. Dank einer
eigenen kommunalen Verfassung verfügt die Stadt Bremerhaven seither
über eine große Eigenständigkeit.
In den 50er und 60er Jahren, in der Zeit des Wiederaufbaus, entstand
eine neue Innenstadt. Der Stadtplaner und Architekt Ernst May wurde
beauftragt, auf Grundlage des Wirtschaftsplans Bremerhaven von
1958, einen neuen Flächennutzungsplan für das Innenstadtgebiet zu
erstellen, das durch den Krieg fast komplett zerstört worden war. Um
die große Zahl von obdachlos gewordenen Menschen, Flüchtlingen
und Vertriebenen unterbringen zu können, entstanden gleichzeitig am
Stadtrand Mehrfamilienhaussiedlungen (z. B. Grünhöfe) wie auch Ein-
und Zweifamilienhausgebiete. Durch den Bau der Großwohnsiedlungen
Leherheide West und Bürgerpark erweiterte sich das Angebot in den
1960er und 70er Jahren zusätzlich um mehrere Tausend Wohnungen.
Hafenumschlag, Schiffbau und Fischerei wurden nach dem Krieg
erneut tragende Wirtschaftszweige der Stadt, doch hielt der
Aufschwung nicht lange an. Zuerst und am stärksten betroffen war
vom Strukturwandel die Hafenwirtschaft: Bereits in den 1960er
Jahren gingen die Passagierzahlen im Schiffsverkehr zurück, in den
1980er Jahren führte die Schiffsbaukrise zunächst zur Schließung der
Rickmers-Werft, weitere Werften folgten. Auch die Hochseefischerei
und die Fischverarbeitung im ehemals größten Fischereihafen Europas
waren nicht mehr wirtschaftlich. Der Verlust an Arbeitsplätzen in diesem
Bereich konnte allerdings durch den Ausbau der allgemeinen Lebens-
mittelverarbeitung zumindest ansatzweise kompensiert werden.
33
34
2.1.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung
Die zahlreichen Krisen, von denen die Wirtschaft Bremerhavens
betroffen war (s. Kapitel 2.1.1 und 2.1.4), haben sich unverkennbar
auch in der Bevölkerungsentwicklung niedergeschlagen. Dieser
Trend ist bereits seit den 1970er Jahren zu beobachten, einer Zeit
also, in der die meisten deutschen Großstädte noch Wachstum oder
zumindest konstante Einwohnerzahlen verzeichnen konnten.
Hatte die Stadt Bremerhaven 1960 noch gut 141.000 Einwohner,
waren es 2010 nur noch 113.840. Dies bedeutet einen Bevölke-
rungsrückgang von knapp 20 Prozent oder rund 27.000 Menschen
innerhalb der vergangenen 50 Jahre. Besonders dramatisch stellt sich
die Situation – nach einem kurzen Zwischenhoch Anfang der 1990er
Jahre aufgrund verstärkter Zuwanderung durch Spätaussiedler – in den
letzten 15 Jahren dar: Zwischen 1996 und 2010 nahm die ursprüng-
liche Einwohnerzahl von 128.944 Einwohner um durchschnittlich
Abbildung 9: Bevölkerungsstruktur Bremerhavens
35
mehr als 1.000 Personen pro Jahr ab. Somit hat Bremerhaven allein
innerhalb dieses kurzen Betrachtungszeitraums 15.104 Menschen oder
12 Prozent seiner Einwohner verloren (Statistisches Landesamt Bremen
2010). Allerdings hat sich die Höhe der jährlichen Einwohnerverluste in
den vergangenen Jahren deutlich verringert, der Schrumpfungsprozess
scheint (vorübergehend) zum Stillstand gekommen zu sein (vgl. auch
Abb. 14).
Die Arbeitslosenquote in Bremerhaven beträgt 16,4 Prozent (Statis-
tisches Landesamt Bremen, 2010) und liegt damit weit über dem
bundesdeutschen Durchschnitt von 7,4 Prozent für das Jahr 2009
(destatis). Ausländer haben einen Anteil von 10,6 Prozent an der
Bremerhavener Bevölkerung im Vergleich zu 8,8 Prozent an der
Bevölkerung Deutschlands, allerdings ist die Quote rückläufig.
Leicht überrepräsentiert sind aktuell mit rund 22 Prozent zudem die
über 65-Jährigen – eine Folge der Abwanderung von Menschen im
Erwerbsalter. Verstärkend kommt hierbei der Prozess der Suburba-
nisierung hinzu: Während die Bevölkerungszahlen in Bremerhaven
kontinuierlich sinken, steigen sie in den niedersächsischen Umlandge-
meinden, wo eine verstärkte Neubautätigkeit im Einfamilienhaussektor
zu beobachten ist.
Der Rückgang der Einwohnerzahl korrespondiert – anders als im
Bundesvergleich – mit einer Abnahme der Zahl der Haushalte. Im Jahr
2000 gab es in Bremerhaven rund 59.000 Haushalte mit einer mittleren
Größe von 2,07 Personen gegenüber dem Bundesdurchschnitt von
2,19 Personen pro Haushalt. Im Jahr 1998 lag der Anteil der Ein- und
Zweipersonenhaushalte bei circa 75 Prozent (GEWOS 2004).
36
Abbildung 10: Strukturkrisen in Bremerhaven
2.1.4 Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur
Wie bereits im Rahmen des geschichtlichen Überblicks (Kapitel 2.1.2)
angedeutet, war die wirtschaftliche Entwicklung Bremerhavens in
den vergangenen Jahrzehnten bestimmt von zahlreichen Krisen, die
die Stadt allesamt hart getroffen haben. So setzte bereits in den
70er Jahren der Niedergang der großen Werften ein, die gegenüber
der ausländischen Konkurrenz, vor allem aus Asien, zunehmend an
Wettbewerbsfähigkeit verloren. Der Insolvenz und darauffolgenden
Schließung der traditionsreichen Rickmers-Werft 1986 folgten weitere
Unternehmenspleiten in diesem Sektor, auch in der Zuliefererindustrie.
Im Zuge dessen gingen bis in die 90er Jahre hinein zahlreiche Arbeits-
plätze verloren.
In den 1980er Jahren traf Bremerhaven zudem die Krise der Hochsee-
fischerei: Durch die Öffnung der internationalen Gewässer wuchs die
Konkurrenz aus dem Ausland, so dass sich die Fischfangquoten der
in Bremerhaven ansässigen Flotte verringerten, was zur Folge hatte,
dass diesem einst bedeutenden Wirtschaftszweig die ökonomische
Grundlage entzogen wurde.
Anfang der 1990er Jahre schließlich zogen dann die Amerikanischen
Streitkräfte aus Bremerhaven ab. Diese waren dort seit Ende des
Zweiten Weltkriegs stationiert gewesen und stellten einen wichtigen
wirtschaftlichen Faktor in der Stadt dar. Mit dem Abzug ging neben
dem Einkommen der GIs, das bis dahin natürlich zu Teilen in die
lokalen Ökononomien geflossen war, auch eine Vielzahl von Arbeits-
plätzen ziviler Beschäftigter verloren.
Abbildung 11: Arbeitslosigkeit und Beschäftigtenstruktur in Bremerhaven
37
Vor einigen Jahren betrug die Arbeitslosigkeit in Bremerhaven
zeitweise weit über 20 Prozent, aktuell liegt sie immer noch bei über
16 Prozent, was einen Spitzenwert unter den ehemals Westdeutschen
Bundesländern darstellt (vgl. destatis, 2010). Nach dem Wegfall vieler
Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe liegt der Beschäftigungs-
anteil im tertiären Sektor aktuell mit gut 76 Prozent weit über dem
Bundesdurchschnitt von rund 66 Prozent (Statistisches Landesamt,
2010).
Trotz der oben angeführten Krise traditioneller maritim geprägter
Wirtschaftszweige, zählt dieser Sektor bis heute zu den wichtigsten
der Stadt und stellt nach wie vor einen wesentlichen Teil der Arbeits-
plätze bereit. So ist der Bremerhavener Containerhafen mit einer
Umschlagskapazität von 6 Mio. Standardcontainern pro Jahr einer der
bedeutendsten in Europa und zudem Deutschlands größter Umschlag-
platz für Autos. Zu den größten Unternehmen in dieser Sparte zählen
die Logistikanbieter „BLG Logistics Group“ und „Eurogate“. Erhalten
geblieben ist der Stadt auch nach dem Ende der Hochseefischerei die
fischverarbeitende Industrie, die sukzessive zur modernen Lebensmit-
telindustrie ausgebaut wurde; Unternehmen wie „Frosta“, „Deutsche
See“ und „Nordsee“ haben in Bremerhaven ihren Sitz. Der Schiffbau
hingegen spielt inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle und
konzentriert sich auf spezialisierte Nischenbereiche.
Entsprechend der in der Stadt vertretenen ökonomischen Sektoren
hat die 1975 gegründete Hochschule Bremerhaven ihre Schwer-
punkte in den Bereichen Lebensmittelwirtschaft und -technologien,
Logistik sowie maritime Technologien. Das Alfred-Wegener-Institut für
Abbildung 12: Potentialachse von Bremerhaven
39
Polar- und Meeresforschung (AWI) konzentriert sich neben der Grund-
lagenarbeit in der Polar-, Meeres- und Klimaforschung verstärkt auf
die Entwicklung der sogenannten „Blauen Biotechnologien“ und die
Nutzung von Offshore-Ressourcen. Zudem konnte sich Bremerhaven,
auch aufgrund der vorhandenen Kompetenzen im Schiffbau, in den
vergangenen Jahren als Standort für den Bau von Windkraftanlagen
profilieren. Von Vorteil erweist sich in diesem Zusammenhang auch die
Lage direkt am Meer, die den Transport von Offshore-Windkraftanlagen
erleichtert. Um den technologieorientierten Strukturwandel weiter
voranzutreiben, wurden zudem das Bremerhavener Innovations- und
Technologiezentrum (BRIG) sowie der T.I.M.E-Port Bremerhaven als
Standort für junge Unternehmen der Informations- und Kommunikati-
onstechnologiebranchen gegründet.
Nicht zuletzt setzt Bremerhaven die Fördergelder aus Bund-, Länder-
und EU-Programmen sowie eigene Mittel dafür ein, den Tourismus,
vor allem den Tagestourismus, weiter zu steigern. Dazu wurden im
Zentrum der Stadt einige Leuchtturmprojekte geschaffen, die wegen
ihrer zum Teil futuristisch anmutenden Architektur Bremerhaven bereits
den leicht ironischen Titel „Dubai an der Waterkant“ eingebracht haben
(s. z. B. Merian). Kernprojekt ist mit einer Investitionssumme von 250
Mio. Euro die Umgestaltung des Alten/Neuen Hafens, hinzu kommen
als touristische Hauptattraktionen das Klimahaus Bremerhaven, der
„Zoo am Meer“, die „Erlebniswelt Auswanderung“ sowie das Schiff-
fahrtsmuseum. Ergänzt wird dieses Angebot durch ein Tagungshotel,
eine Marina und ein Einkaufszentrum im mediterranen Stil. Dass die
Stadt mit ihrer Strategie der Tourismusförderung offensichtlich Erfolg
hat, zeigt die Jahr für Jahr wachsende Zahl von Besuchern, Aktuell
sind es rund 1,2 Mio. pro Jahr.
Wie Abbildung 12 zeigt, konzentrieren sich die touristischen Anzie-
hungspunkte im Zentrum, westlich der Innenstadt. Südlich von dieser
befinden sich mehrere Forschungseinrichtungen sowie die Hochschule
Bremerhaven. In der nördlichen und südlichen Peripherie der Stadt
liegen zum einen der Überseehafen mit den Containerterminals, zum
anderen, in entgegengesetzter, südlicher Richtung, der Fischereihafen
samt lebensmittelverarbeitender Industrie. Gewerbebetriebe haben sich
vor allem im Norden, in Nachbarschaft zum Containerhafen angesiedelt,
da viele von ihnen einen Bezug zur Hafenwirtschaft besitzen.
Die örtlichen Wirtschaftsförderer sehen nach den zahlreichen Krisen
der vergangenen Jahrzehnte inzwischen wieder eine positive Tendenz.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt laut
ihrer Aussage langsam wieder an, zudem sei die Gewerbeflächennach-
frage konstant hoch (persönliches Interview BIS 15. Dezemder 2010).
2.1.5 Wohnungsbestand und Immobilienmarkt
Bremerhaven verfügt aktuell über einen Bestand von rund 65.000
marktrelevanten Wohneinheiten (WE), d. h. Mietwohneinheiten, von
denen etwa drei Viertel, also 40.000 WE, auf das Segment der Mehrfa-
milienhäuser entfallen (persönliche Information aus dem Interview mit
der Stäwog). Rund die Hälfte davon befindet sich im Besitz der städti-
schen Wohnungsbaugesellschaften, die andere Hälfte in der Hand
von privaten Unternehmen und Privatpersonen. Ca. 5.000 Mietwohn-
einheiten stehen zurzeit leer, das sind in etwa 8 Prozent. Ein gesunder
Wohnungsmarkt weist demgegenüber eine Leerstandquote von rund 3
Prozent auf. Für eine Gesundung des Wohnungsmarktes ist also ganz
offensichtlich der Abriss von Mietwohnungen erforderlich.
Die stadträumlich Verteilung der Wohnformen stellt sich wie folgt dar: In
den innerstädtischen Quartieren Bremerhavens finden sich vorwiegend
Gebiete mit Mehrfamilienhäusern, im Außenbereich der Stadt primär
Einfamilienhausquartiere. An der städtischen Peripherie existieren
zudem einige Großwohnsiedlungen (GEWOS 2004).
Während lediglich 25 Prozent des Immobilienbestands in Bremerhaven
vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, entstanden 64 Prozent
der Wohneinheiten in den Jahren zwischen 1949 und 1978. Dies ist
darauf zurückzuführen, dass im Zuge des heftigen Bombardements
im Zweiten Weltkrieg viele Gebäude zerstört wurden und in der
Nachkriegszeit ein entsprechender Bauboom einsetzte, um genügend
neuen Wohnraum für die Bevölkerung zur Verfügung stellen zu können.
65 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes bestehen aus 2- oder
3- Zimmerwohnungen, was wiederum die bescheidenen Ansprüche
während der Jahre des Wiederaufbaus widerspiegelt. Heute allerdings
erscheint diese Wohnungsgröße geeignet für die zunehmende Zahl
von Singlehaushalten.40
Ab 1979 wurde nur noch wenig gebaut, da die wirtschaftlichen Krisen
und der damit einhergehende Rückgang der Bevölkerung dies nicht
mehr erforderten. Somit stammen aktuell lediglich 7,2 Prozent der
Bestandimmobilien aus der Zeit nach 1979. Der überwiegende Teil
davon entfällt auf Einfamilienhäuser, für die seit den 90er Jahren bis
in die Gegenwart, ein gewisser Bauboom zu verzeichnen ist. Zuvor
hatte Bremerhaven verhältnismäßig viele Einwohner an das Umland
verloren, so dass man sich in Bremerhaven dazu entschloss, durch
die Ausweisung entsprechender Flächen diesem Trend zur Suburbani-
sierung entgegenzuwirken. Zwar wurden und werden diese Angebote
stark nachgefragt, doch können auch sie den Bevölkerungsrückgang
nicht vollständig aufhalten.
Die Wohnungsmarktprognose für Bremerhaven geht davon aus,
dass es vor allem im Bereich der Mietwohnungsbestände mittlerer
Wohnungsgrößen einen deutlichen Angebotsüberhang geben wird. Bei
kleineren Wohnungsgrößen wird dagegen nur ein geringer Angebots-
überhang prognostiziert und große Wohnungen werden laut Prognose
weiterhin stark genug nachgefragt, so dass kein Angebotsüberhang zu
erwarten ist (GEWOS 2004).
Von allen innerstädtischen Quartieren ist der Ortsteil Goethestraße vom
Bevölkerungsrückgang am stärksten betroffen. Ein ausschlaggebender
Grund hierfür ist der Umzug vieler ehemaliger Bewohner in Richtung
der EFH-Gebiete. Zudem wurde das Viertel aufgrund von Spekula-
tionen substanziell stark in Mitleidenschaft gezogen (GEWOS 2004;
s. dazu auch Kapitel 2.2.2). Dennoch sehen viele Akteure im Ortsteil
Goethestraße durchaus Potential: Die zentrale stadträumliche Lage
etwa gewinnt gerade bei älteren Menschen aufgrund der guten Versor-
gungssituation zunehmend an Attraktivität. Zudem handelt es sich bei
dem Areal rund um die Goethestraße um eines der wenigen Gründer-
zeitviertel der Stadt. Aus der Tatsache, dass andernorts eine solche
historische Bausubstanz eine sehr starke Nachfrage erfährt, wird die
Erwartung abgeleitet, dass der Ortsteil nach Lösung seines Imagepro-
blems sowie der Beseitigung substantieller baulicher Mängel ebenfalls
wieder stärker nachgefragt wird (s. auch das Experteninterview mit der
Stäwog, Kapitel 2.5.3).
41
Der Bremerhavener Mietspiegel 2011/12 weist für unmodernisierte
Wohnungen, die vor 1969 gebaut wurden, einen mittlere Nettokalt-
miete von zwei bis drei Euro/m2 aus, für teilmodernisierte Wohnungen
liegen die Kosten zwischen durchschnittlich drei Euro in einfachen
und 3,60 bis 4,60 Euro in guten Wohnlagen, und selbst im Segment
der vollmodernisierten Wohnungen beträgt der Mietpreis maximal fünf
Euro/m2. Nur unwesentlich darüber liegen die Werte für Wohnungen,
deren Baujahr zwischen 1970 und 1984 liegt, die Spitzenmieten
belaufen sich auf 7,50 bis 10 Euro für Wohnungen in guten Lagen, die
ab 2007 bezugsfertig waren (Mieterverein Bremerhaven).
Der durchschnittliche Kaufpreis für gebrauchte Eigentumswoh-
nungen in Bremerhaven lag 2006, dem letzten Jahr, aus dem Zahlen
verfügbar sind, bei 747 Euro/m2, wesentlich niedriger fielen die Preise
in Lehe aus, wo Käufer lediglich 618 Euro/m2 für ihre Immobilie
ausgeben mussten. Im Vergleich zum Vorjahr, 2005, ist ein deutlicher
Preisverfall von rund zehn Prozent zu verzeichnen, die Differenz
zum Durchschnittspreis von 2000 beträgt über 26 Prozent (vgl.
LBS-Immobilienmarktatlas).
42
43
2.2 ortsteil Goethestraße
2.2.1 Stadträumliche Lage und Abgrenzung
Nachdem in den bisherigen Kapiteln die gesamtstädtische Situation
dargestellt wurde, soll im Folgenden nun das eigentliche Projekt-
gebiet, der Leher Ortsteil Goethestraße, näher beleuchtet werden. Der
Stadtteil Lehe, dessen Name sich vermutlich von „Hohe Lieth“, dem
Geestrücken, auf dem diese Siedlung angelegt wurde, ableitet, ist
sowohl von der Fläche (rund 16 km2) als auch der Einwohnerzahl (ca.
36.700) der größte Bremerhavens. Er gliedert sich in insgesamt sieben
administrative Einheiten, die Ortsteile, unter denen die „Goethestraße“
mit 0,55 km2 der kleinste ist. Benachbart liegen die Ortsteile Mitte-
Nord im Westen, Twischkamp im Norden sowie Klushof im Osten
und Süden. Eingegrenzt wird das Gebiet durch die nördlich davon
verlaufende Rickmersstraße, die Pestalozzistraße auf der westlichen
Seite und die Hafenstraße im Osten. Diese ist zugleich die zentrale
Einkaufs- und Nahversorgungsachse nicht nur für das Projektgebiet,
sondern für den gesamten Stadtteil. Durch den Straßenverlauf ergibt
sich ein charakteristisches Dreieck, weshalb der Ortsteil Goethestraße
gelegentlich scherzhaft auch als „Bermudadreieck“ bezeichnet wird.
Seinen offiziellen Namen verdankt das Viertel der Goethestraße, die die
zentrale Nord-Süd-Achse darstellt.
Vom südlichen Ende des Ortsteils aus beträgt die Entfernung zur
Innenstadt gut einen Kilometer, die Wasserkante im Westen erreicht
man zu Fuß in rund sieben Minuten.
2.2.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung
Wie bereits gezeigt wurde (vgl. Kapitel 2.1.3), ist Bremerhaven als
Gesamtstadt von einem durchaus signifikanten Bevölkerungsrückgang
betroffen. Im Ortsteil Goethestraße allerdings stellt sich die Situation
ungleich dramatischer dar: Während dort im Jahr 1996 noch 9083
Menschen lebten, waren es 2010 nur noch 6812 (Statistisches
Landesamt Bremen). Damit verließen in diesem Zeitraum rund 25
Prozent aller Einwohner das Gebiet, ein absoluter Rückgang von 2271
Personen, das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Wande-
rungssaldo von -162.
Abbildung 13: Stadträumliche Lage des Ortsteils Goethestraße
45
Der Anteil der unter 18-Jährigen hat in den vergangenen Jahren, wie
auch in der Gesamtstadt, abgenommen, liegt aber mit knapp 18
Prozent immer noch deutlich über dem Bremerhavener Durchschnitt
von 16 Prozent. Unterrepräsentiert sind hingegen die über 65-Jährigen,
die seit Jahren lediglich gut 14 Prozent der Bevölkerung im Ortsteil
Goethestraße ausmachen, während der entsprechende Prozentsatz
in Bremerhaven auf mittlerweile fast 22 Prozent gestiegen ist (Bremer-
havener Strukturdatenatlas, 2010). Dies hängt unter anderem ganz
offensichtlich mit den in diesem Gebiet herrschenden sozialen
Problemen und der vergleichsweise hohen Kriminalitätsrate (vgl. Polizei-
liche Kriminalitätsstatistik des Landes Bremen, 2009) zusammen.
Die Arbeitslosenquote im Ortsteil Goethestraße liegt mit 33 Prozent fast
exakt doppelt so hoch wie in Bremerhaven insgesamt (Statistisches
Landesamt Bremen, 2010), gleiches gilt für den Anteil der Ausländer
(10,6 zu 21,3 Prozent; Statistisches Landesamt Bremen, 2010). Es
ist anzunehmen, dass zwischen diesen Werten ein gewisser Zusam-
menhang besteht, da Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland
im Schnitt doppelt so häufig erwerbslos sind wie Deutsche (Spiegel
Online). Betrachtet man die vertretenen Nationalitäten, so fällt auf, dass
auf die Gruppe der Türken zahlenmäßig Migranten aus Portugal folgen.
Dies erklärt sich eventuell durch die Tatsache, dass es sich bei Bremer-
haven um eine Hafenstadt handelt, wo häufig überdurchschnittlich viele
Portugiesen beheimatet sind.
Neben der hohen Zahl von Arbeitslosen finden sich in der Statistik
einige weitere Indizien, die dafür sprechen, dass sich im Ortsteil
Goethestraße viele Menschen in vergleichsweise prekären Verhält-
nissen befinden: Der Anteil der Haushalte, in denen geschiedene
Personen leben, ist beispielsweise mehr als doppelt so hoch als in der
Gesamtstadt (Bremerhavener Strukturdatenatlas, 2010). Statistisch
betrachtet hat diese Gruppe von Menschen überproportional häufig
mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Zahl der Pkw-Besitzer
pro 1.000 Einwohner ist dagegen in Bremerhaven weitaus höher als
im Ortsteil Goethestraße (382 zu 216) – was theoretisch natürlich auch
mit einem dort deutlich ausgeprägteren ökologischen Bewusstsein
in Zusammenhang stehen könnte. Betrachtet man zuletzt noch das
Wahlverhalten, so zeigt sich, dass der Stimmenanteil der Grünen
Abbildung 14: Bevölkerungsrückgang im Ortsteil Goethestraße
47
tatsächlich bei allen Wahlen deutlich über dem Bremerhavener Gesamt-
ergebnis liegt. Daneben fallen relativ hohe Werte für rechtsextreme und
rechtspopulistische Parteien sowie für Die Linke ins Auge. Dabei dürfte
es sich zu einem guten Teil um klassische Protestwähler handeln.
2.2.3 Städtebauliche Struktur und Gebäudezustand
Städtebaulich betrachtet handelt es sich beim Quartier östlich und
westlich der Goethestraße um ein klassisches Gründerzeitviertel,
dessen Struktur sich bis in die Gegenwart weitgehend erhalten hat.
Lediglich im Nordwesten des Gebiets, wo während der ursprüng-
lichen Bebauungsphase große Areale weitgehend frei blieben, prägen
Zeilenbauten und Reihenhäuser aus den 1950er Jahren das Bild (vgl.
Schwarzplan, Abb. 15). Auch im Bereich südlich davon, d. h. der
gesamte Teil westlich der Körnerstraße, sucht man die ansonsten
vorherrschende Bautypologie vergeblich. Stattdessen finden sich hier
ein großer Sportplatz sowie Backsteinhallen, die Relikte des ehema-
ligen Zollinland-Bahnhofs darstellen. Untypisch erscheint schließlich
auch der nordöstliche Teil des Ortsteils Goethestraße, jenseits der
Frenssenstraße, der ebenfalls überwiegend erst in der Nachkriegszeit
bebaut wurde und heute einen hohen Anteil an Gewerbebetrieben
aufweist.
Diese Heterogenität veranlasste die Gruppe dazu, sich im Verlauf des
Projekts primär auf das gründerzeitliche Kerngebiet zu konzentrieren,
also die Straßenzüge südlich der Frenssen- und östlich der Körner-
straße, wo etwa die Hälfte aller Gebäude aus der Zeit vor 1918 stammt.
In diesem Teil des Quartiers bestimmt eine weitgehend geschlossene
Blockrandbebauung mit großzügigen Innenhofbereichen das Erschei-
nungsbild, die Höhe der Gebäude variiert: in manchen Straßen beträgt
sie lediglich drei Stockwerke, in anderen fünf bis sechs. Aus den
vergleichsweise breiten Straßen resultiert eine relativ geringe Dichte,
die für ein Gründerzeitviertel eher untypisch ist. Bis auf die Goethe-
und die Uhlandstraße verfügen die Straßenzüge nur über geringen
Baumbestand.
48
Zwar weist die Blockrandstruktur bislang nur wenige Lücken auf,
doch lässt der Zustand einer Reihe von Gebäuden befürchten, dass
ein Abriss in vielen Fällen unvermeidlich ist (vgl. Abb. 17). Eine akute
Gefahr stellen einige komplett marode Häuser dar, deren Erker
und Balkone zum Teil gestützt werden müssen. Damit fallen diese
Immobilien in der Regel unter das Vorkaufsortsgesetz (s. Exkurs:
Schrottimmobilien). Eine detaillierte Kartierung ergab zudem, dass vor
allem im Nordosten des Gebiets bei zahlreichen Gebäuden Handlungs-
bedarf besteht. Vielfach beschränkt sich dieser auf die Notwendigkeit
einer baldigen Fassadenrenovierung, Andernorts jedoch könnte
mittelfristig ebenfalls die Substanz gefährdet sein. Zum beschleunigten
Verfall führt insbesondere langjähriger Leerstand ganzer Gebäude,
was im Ortsteil Goethestraße keine Seltenheit ist. Ein Problem besteht
hierbei auch darin, dass „kranke“ Gebäude „gesunde“ gewissermaßen
„infizieren“ können.
2.2.4 Infrastruktur und Nutzungsstruktur
Infrastrukturell ist der Ortsteil Goethestraße, der im Flächennut-
zungsplan überwiegend als Wohngebiet klassifiziert ist, insgesamt gut
erschlossen: Die Hafenstraße fungiert dabei als zentrale Nahversor-
gungsachse, die auch von den umliegenden Ortsteilen frequentiert
wird. Daneben finden sich innerhalb des Viertels bzw. in unmittelbarer
Umgebung mehrere Kindertagesstätten, Arztpraxen, gastronomische
Einrichtungen, diverse Kirchen sowie alle Schulformen. Die Schließung
zweier Grundschulen aufgrund des Bevölkerungsrückgangs hat die
Versorgungslage in diesem Bereich nicht beeinträchtigt. Das nächst-
gelegene Krankenhaus befindet sich zwar außerhalb des Ortsteils,
die Distanz dorthin beträgt jedoch nur etwa 500 m. An Spiel- und
Sportplätzen herrscht im Viertel kein Mangel, andere Naherholungs-
möglichkeiten und Sporteinrichtungen existieren hingegen eher wenig.
Buslinien entlang der Hafenstraße und der Rickmersstraße sorgen für
eine gute ÖPNV-Anbindung an die Innenstadt, der Bahnhof Lehe ist
fußläufig erreichbar und der Bremerhavener Hauptbahnhof ebenfalls
nur rund drei Kilometer entfernt. Zudem gelangt man über die Bundes-
straße 212 rasch zur Autobahnzufahrt Bremerhaven-Mitte.
49Abbildung 15: Städtebauliche Struktur des Ortsteils Goethestraße
Abgesehen von der Hafenstraße, wo sich der Einzelhandel konzent-
riert, finden sich Ladenlokale innerhalb des Projektgebiets lediglich im
mittleren Abschnitt der Goethestraße sowie in einigen Eckgebäuden
an Straßenkreuzungen. Ansonsten dominiert die Wohnnutzung, auch
wenn die ehemalige Nutzungsmischung aus Wohnen und Arbeiten
noch vielfach erkennbar ist.
502.2.5 Wohnungsbestand und Wanderungsbewegungen
Der Bestand an Wohngebäuden betrug zum Stichtag 31.12.2009 794,
davon 642 mit drei oder mehr Wohnungen. Gebäude mit nur einer (98)
oder zwei Wohnungen (54) bilden dagegen die Ausnahme. Die Anzahl
der Wohnungen im Ortsteil Goethestraße beträgt insgesamt 5.164,
darunter sind knapp 44 Prozent 4-Zimmerwohnungen und etwa 35
Abbildung 16: Gewerbliche Nutzung im Ortsteil Goethestraße
51Abbildung 17: Gebäudezustand im Ortsteil Goethestraße
Prozent 3-Zimmerwohnungen, 1- und 2-Zimmerwohnungen machen
gerade einmal gut 5 Prozent des Wohnungsbestandes aus, der Rest
entfällt auf größere Wohnungen (Bremerhavener Strukturdatenatlas,
2010).
Bedingt durch den Bevölkerungsrückgang (vgl. Kapitel 2.2.2) steigen
im Ortsteil Goethestraße die Leerstände. 2008, dem letzten Jahr aus
52
dem Zahlen zur Verfügung stehen, lag die Zahl der nicht belegten
Wohnungen bei 850, was einer Leerstandsquote von über 16 Prozent
entspricht. Zum Vergleich, in der Gesamtstadt ist diese halb so hoch.
Abbildung 22 zeigt eine Gegenüberstellung der Referenzjahre 2001
und 2008: Alleine in diesem Zeitraum hat sich der Leerstand um 369
Wohneinheiten erhöht. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser
Trend – zumal angesichts der negativen Bevölkerungsentwicklung –
weiter fortsetzt, sofern keine Interventionen erfolgen.
Die innerstädtische Mobilität ist im Ortsteil Goethestraße mit 22 Prozent
fast doppelt so hoch wie in der Gesamtstadt. So wurden während des
einjährigen Betrachtungszeitraums 600 Umzüge innerhalb des Ortsteils
registriert. 1.200 Personen haben in dieser Zeit das Gebiet verlassen,
1.100 zogen neu hinzu, das Wanderungssaldo ist somit negativ. In
Abb. 19 sind die markantesten Wanderungsbewegungen bezogen auf
den Ortsteil Goethestraße dargestellt. Hierbei fällt auf, dass vor allem
mit den benachbarten Stadt- bzw. Ortsteilen ausgeprägte Wechselbe-
ziehungen bestehen. Gesondert hervorzuheben ist der Austausch
zwischen den Ortsteilen Goethestraße, Leherheide West und
Geestendorf, da hier die größten Wanderungsbewegungen zu
Abbildung 18: Historische Aufnahme der Goethestraße, ca. 1917
53
verzeichnen sind. Offenbar wird hier unter anderem „Wohnungs-
tourismus“ von „jungen Arbeitslosen bzw. Leistungsempfängern“
betrieben, die aufgrund der entspannten Marktlage und begünstigt
durch ihre hohe Mobilität auf der Suche nach immer besseren
Angebotskonditionen sind (GEWOS 2004).
Exkurs: Schrottimmobilien
Als „Schrottimmobilien“ werden Objekte bezeichnet, die dem Erwerber
unter Vorspiegelung falscher Tatsachen weit über dem tatsächlichen
Marktwert verkauft wurden. Dabei müssen die Immobilien nicht
unbedingt verwahrlost sein, oftmals sind sie es jedoch. Der Zustand
der gekauften Immobilie ist dem Anleger in der Regel allerdings
nicht bekannt. Die Rückabwicklung solcher Käufe ist praktisch nicht
möglich, denn die Beweispflicht der Täuschung liegt in solch einem
Fall beim Anleger. Zudem sind die Vermittler im Nachhinein oft nicht
mehr auffindbar und das Widerrufsrecht gilt für Verbraucher auf Kredit-
verträge nur sehr eingeschränkt. Die Folge solcher Geschäfte sind
– neben gravierenden finanziellen Problemen auf Seiten der Anleger –
Leerstände in den entsprechenden Wohngebäuden und damit negative
städtebauliche Auswirkungen im Umfeld. Wegen der Belastungen
durch den überhöhten Kaufpreis für die Immobilie sowie die fehlenden
Mieteinnahmen, sind die Neueigentümer in aller Regel auch nicht mehr
Abbildung 19: Innerstädtische Wanderungsbewegungen
54Abbildung 20: Leerstand im Ortsteil Goethestraße
in der Lage, die Kosten für eine notwendige Sanierung aufzuwenden.
Für die Kommunen gestaltet sich der Umgang mit „Schrottimmobilien“
aus rechtlichen Gründen außerordentlich schwierig und belastet zudem
die Gemeindekasse. Im Weiteren soll die Problematik näher erläutert
werden, wobei auch das innovative rechtliche Instrumentarium, das in
Bremerhaven bereits zur Anwendung gekommen ist, kurz beleuchtet
wird (vgl. Zeit Online).
55
Im Ortsteil Goethestraße sind gleich eine ganze Reihe der Immobilien
von eben beschriebenen Spekulationsgeschäften betroffen und zum
Teil bereits extrem verwahrlost. Im bundesweiten Vergleich handelt
es dabei um einen besonders problematischen Fall, da hier gleich
mehrere erschwerende Aspekte zusammenkommen: Zum einen ist das
die durch den Strukturwandel bedingte rückläufige Bevölkerungszahl
und die damit einhergehende Veränderung der sozialen Mischung,
zum anderen vor allem die Handlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der
Eigentümer. Meist befinden sich die jeweiligen Gebäude zudem im
Besitz mehrerer Eigentümer, was die Situation zusätzlich erschwert,
da an den betroffenen Objekten bauliche Maßnahmen nur durchge-
führt werden können, wenn zuvor ein (Zwischen-)Erwerb durch die
Kommune stattgefunden hat. In einigen Fällen gelingt es dabei trotz
erheblichen Aufwands nicht, einen oder gar sämtliche Eigentümer zu
ermitteln (BMVBS 2009).
Grundstücke, für die keine nachhaltige Nutzungsperspektive existiert,
können für die jeweiligen Eigentümer grundsätzlich zu einer so hohen
Abbildung 21: Wohnungsleerstand
56Abbildung 22: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude
Belastung werden, dass sie die öffentlich-rechtlichen Lasten, die mit
diesem Eigentum verbunden sind, nicht mehr begleichen können. In
solchen Fällen leiten die Gemeinden üblicherweise ein Vollstreckungs-
verfahren bis hin zur Zwangsversteigerung ein. Dieses Instrument
wurde auch in Bremerhaven mehrfach eingesetzt, wobei es jedoch bei
zahlreichen Zwangsversteigerungen erneut zu offensichtlichen Speku-
57
Abbildung 23: Leerstandsentwicklung
lationskäufen kam. Helfen könnte der Gemeinde in solchen Fällen
lediglich ein Vorkaufsrecht.
Die bestehenden rechtlichen Regelungen zum Vorkaufsrecht nach
§ 24 ff. BauGB sind jedoch im Zwangsversteigerungsverfahren nicht
anwendbar. Das Land Bremen und die Stadt Bremerhaven hatten
daher den Versuch unternommen ein gesetzliches Vorkaufsrecht im
Zwangsversteigerungsverfahren einzuführen. Hierzu entwickelte die
Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz im April 2009 ein Sondergutachten,
woraus allerdings hervorgeht, dass nach der geltenden Rechtslage
(§ 471 BGB, § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB) solch eine Gesetzesänderung
ausgeschlossen ist (BMVBS 2009, Zeit Online).
Allerdings wurde von der Stadt Bremerhaven ein „Schrottimmobilien-
kataster“ erstellt, in dem die verwahrlosten Immobilien erfasst sind,
zudem kam im Einzelfall die sogenannte Ersatzvornahme zwecks
Gefahrenabwehr zum Einsatz. Eine Arbeitsgruppe mit den Vertretern
verschiedener Dezernate (Bauordnungsamt, Stadtkasse, Rechtsamt,
Stadtplanungsamt sowie ein externer Moderator) wurde eingerichtet.
Diese setzt sich gegenwärtigen mit der Immobiliensituation auseinander
(BMVBS 2009, Zeit Online).
58
Eine vollkommen neue Entwicklung auf diesem Gebiet ist seit Juni
2009 zu beobachten: Nach einem Beschluss der Stadtverordneten-
versammlung besitzt die Stadt nun mit dem „Vorkaufsortsgesetz“
das Vorkaufsrechte auf 16 genau bestimmte Gebäude, für die ein
dringender Handlungsbedarf im Sinne der Bauordnung besteht
(Bremerhaven Online). Zehn dieser Gebäude sind mithilfe dieses
experimentellen Gesetzes bereits in den Besitz der Stadt gelangt,
zwei davon konnten schon abgerissen werden. Am 14. April 2011
beschloss der Bauausschuss einstimmig, das Gesetz auf zwölf weitere
Häuser auszudehnen. Nach dem Bremerhavener Beispiel wird inzwi-
schen auch in Gelsenkirchen, wo ähnliche Probleme mit verwahrlosten
Immobilien zutage treten, an einem Vorkaufsortsgesetz gearbeitet (Zeit
Online, Nordseezeitung-Zeitung).
59
2.3 Stadtumbauprojekte und Förderprogramme
Im Folgenden sollen einige der im Rahmen des „Stadtumbaus West“
sowie des Programms „Urban II“ getroffenen Maßnahmen dargestellt
werden, sofern sie für Lehe und den Ortsteil Goethestraße von Belang
sind. Abschließend lässt sich beurteilen, inwiefern dadurch eine Verbes-
serung der Situation im Untersuchungsgebiet herbeigeführt werden
konnte.
Angesichts einer rückläufigen demografischen Entwicklung sowie den
negativen Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels wurde 2002
vom Bund nach dem Vorbild des „Stadtumbaus Ost“ der „Stadtumbau
West“ ins Leben gerufen, für den insgesamt 30 Mio. Euro bereitgestellt
wurden. Eine der 16 Pilotstädte, die im Rahmen des Forschungspro-
gramms ExWoSt (Experimenteller Wohnungs- und Städtebau) mithilfe
der Bundesförderung sowie ergänzender Landesmittel und kommu-
naler Gelder neue Strategien des Stadtumbaus erproben konnten war
Bremerhaven.
Die Zielsetzung lautete hier, gemeinsam mit den Akteuren der
Wohnungswirtschaft einen Rückbau von Wohnungsbestand bei gleich-
zeitiger Modernisierung des zu erhaltenden Bestandes zu organisieren.
Zu diesem Zweck initiierte die Stadt mehrere Impulsprojekte, deren
Fokus unter anderem auf dem Ortsteil Goethestraße lag. Beispielsweise
wurde – erstmalig in einer der beteiligten Pilotstädten – auf der Basis
von Stromzählerdaten eine gesamtstädtische Leerstandsanalyse vorge-
nommen, die im Laufe des Programms jährlich aktualisiert wurde.
Eine weitere Maßnahme im Rahmen des „Stadtumbaus West“ war die
Verlegung des Suchtzentrum in die Rickmerstraße im Jahr 2007, um
dadurch die örtliche Drogenszene, die für den Fortzug vieler Familien
aus dem Ortsteil-Goethestraße verantwortlicht gemacht wurde, zu
verlagern (vgl. Stadtumbau West 2008). Dem Problem sinkender
Schülerzahlen versuchte man durch Schließung der Deichschule und
der Theodor-Storm-Schule zu begegnen. Nach Abriss der ersteren
entstand an dieser Stelle eine öffentlich Freifläche, eine Art Quartiers-
platz, der allerdings aufgrund seiner unzureichenden Intetration in sein
städtebauliches Umfeld sowie seiner Freiraumgestaltung umstritten ist.
Das Gebäude der Theodor-Storm-Schule hingegen wurde erfolgreich
umgenutzt und beherbergt nun „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“
60
(Näheres dazu in Kapitel 2.5.5). Zwei weitere Schulen wurden zudem
zusammengelegt und durch einen Neubau ergänzt. Für den allge-
meinen Rückbau des Wohnungsbestandes richtete die Stadt zudem
einen Strukturfond „für den vereinfachten Erwerb von ungenutzten
bzw. verfallenen Gebäuden“ ein (vgl. Stadtumbau West 2008).
Ebenfalls Auswirkungen auf den Ortsteil Lehe-Goethestraße hatte
das europäische Förderprogramm Urban II, das in den Jahren 2001
bis 2006 für Maßnahmen der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Stadt-
entwicklung aufgelegt worden war. In Bremerhaven bezog es sich
auf ein Gebiet, in dem rund 23.000 Einwohner leben, insbesondere
den Stadtteil Lehe, aber auch auf angrenzende Ortsteile (Europäische
Union 2010). Ebenfalls umfasste war der Ortsteil Goethestraße.
Im Rahmen des Programms wurde eine allgemeine Strategie entwi-
ckelt, die vorsah, grundsätzlich die im Gebiet vorhandenen Potentiale
zu nutzen und langfristig durch Impulse von außen zu ergänzen. Dabei
fand eine Aufteilung in vier verschiedene Teilbereiche statt: Technologie
und Innovation, Qualifikation der Bewohner, Dienstleistung und Handel
sowie die Verbesserung der Lebens- und Umweltqualität. Innerhalb
des ersten Teilbereichs war es das Ziel, aus den Erfahrungen des
Bremerhavener Innovations- und Gründerzentrums zu lernen, um so
einen speziellen Technologie-Park zu entwickeln, der an die lokalen
Bedürfnisse angepasst ist. Betrachtet man das eigentliche Projekt-
gebiet, den Ortsteil Goethestraße, so stand dort die Qualifizierung der
Bewohner im Mittelpunkt der Bemühungen, um so die nötigen Voraus-
setzungen für das Entstehen neuer Arbeitsplätze zu schaffen. Mithilfe
dieser Maßnahme wird angestrebt, die Chancengleichheit zu erhöhen,
der Ausgrenzung benachteiligter Gruppen entgegenzuwirken und neue
wirtschaftliche und soziale Perspektiven zu schaffen (vgl. Europäische
Union 2010).
Als übergeordnete Ziele werden zudem eine Stabilisierung der
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und die (Wieder-)Herstellung
der Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Standorten im Stadtumland
genannt (Europäische Union 2010). Ausgehend vom diesem Zielka-
talog werden konkrete operative Handlungsschwerpunkte formuliert:
Dazu gehört unter anderem die Technologieförderung in Form des
„Leuchtturmprojekts“ „Technologie-Park“, der auf einem Areal am
Neuen Hafen entstehen soll, welches zwar nicht innerhalb des
eigenen Projektgebiets liegt, durch seine unmittelbare Nähe jedoch
61
Abbildung 24: Stadtumbauprojekte und Förderprogramme in Bremerhaven
die Arbeitsplatzsituation und Sozialstruktur im Gebiet beeinflussen
kann. Zur ökonomischen Belebung des Gebiets wurde darüber hinaus
ein Stadtteilmanagement ins Leben gerufen, welches kleinere und
mittlere Unternehmen bei der Identifizierung, Formulierung und Lösung
quartiersbezogener Probleme unterstützt. Zudem soll es das Image
nach innen und außen verbessern helfen sowie der Verwahrlosung
durch Aufwertungsmaßnahmen entgegenwirken. Dieses Projekt wird
mit einer Million Euro unterstützt (Europäische Union 2010).
Im Bereich Arbeitsmarkt und Soziales wurde zur Förderung von
Qualifizierung und Existenzgründung eine neue Organisations-
struktur gebildet, die die Vernetzung und Optimierung von Aktivitäten
innerhalb des Programmgebiets zum Ziel hat. Dazu schuf man das
„Activity-Center-Lehe“, das in Verbindung mit dem Stadtteilmana-
gement angesiedelt wurde und mit einem Volumen von drei Millionen
Euro gefördert wird. Zu den sozialen Maßnahmen gehören zum Beispiel
der Ausbau vorhandener Betreuungskapazitäten, sowie die Verbes-
serung der Kinder- und Jugendsozialarbeit, wie auch der Drogenarbeit
Zum Thema städtebauliche Erneuerung und Ökologie wird die Absicht
formuliert, einkommensstärkere Käuferschichten wieder vermehrt für
Lehe zu gewinnen und dem dortigen Einzelhandel neuen Schwung zu
verleihen. Dazu soll aus Mitteln eines Investitionsprogramms der öffent-
62
liche Raum im Leher Stadtteilzentrum aufgewertet werden. Neben der
Betonung städtebaulicher Alleinstellungsmerkmale (z. B. ortsprägende
Gebäude, Platzanlagen, Parks und Eingangssituationen) gehört dazu
auch die Verbesserung funktionaler Aspekte, beispielsweise der
Parkplatzsituation oder eine gute Erreichbarkeit für den Langsam-
verkehr (Fahrrad und Fuß). Des Weiteren wurden Industriebrachen
am Geeste-Ufer im Westen des Urban II-Projektgebiets ökologisch
nachhaltig saniert und durch Öffnung eines Freiraumzugs zum
Landschaftsraum Geeste-Niederung für eine zukünftige Freizeitnutzung
erschlossen. Außerdem stehen die Industriebrachen als mögliche
Konversionsflächen für neue gewerbliche Nutzungen im Technologie-
bereich zur Verfügung.
Neben den hier dargestellten „Stadtumbau West“ und „Urban II“
existiert noch eine Vielzahl weiterer Programme, die in den vergan-
genen 20 Jahren (z. T. auch noch länger) in Bremerhaven durchgeführt
worden sind. Abgesehen von den in den 1970er Jahren erfolgten
städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen hatten diese jedoch keinen
direkten physischen Einfluss auf den Ortsteil Goethestraße bzw.
betrafen nicht speziell dieses Gebiet, sondern die Gesamtstadt. In
der Regel lag der Fokus dabei auf ökonomischen Maßnahmen, die
das Projektgebiet allenfalls durch ihre sozialen und ökonomischen
Auswirkungen tangiert haben. Zu diesen Förderprogrammen zählen
beispielweise das Soziale Stadt-Programm des Bundes, das Ziel-
2-Programm, die Gemeinschaftsinitiativen KONVER und RESIDER
sowie das aktuelle EFRE-Bremen der Europäischen Union.
Die im Rahmen des „URBAN II“ sowie des „Stadtumbaus West“
durchgeführten Maßnahmen haben zweifellos zur Aufwertung des
physischen, d. h. gebauten öffentlichen Raums in Lehe beigetragen.
Außerdem haben sie offensichtlich geholfen die Situation sozial
benachteiligter Menschen zu verbessern, etwa indem Arbeitslosen eine
neue berufliche Perspektive geboten oder eine Anlaufstelle für Familien,
junge Erwachsene und Drogenabhängige geschaffen wurde. Auch der
Rückbau von Wohnungen hat in einigen Fällen durchaus funktioniert.
Angesichts der langen Dauer dieser Programme und der Summe
öffentlicher Gelder, die hier investiert wurden, erscheint das Ausmaß
der städtebaulichen Missstände wie auch der sozialen Spannungen
dafür zu sprechen, dass diese Probleme nicht allein mit finanziellen
Mitteln zu lösen sind.
63
Abbildung 25: Eine Brachfläche gegenüber der „theo“
2.4 akteursanalyse
Abbildung 26 zeigt die Akteurslandschaft bezogen auf das Untersu-
chungsgebiet, wie sie im Verlauf der Projektarbeit von der Gruppe
eingeschätzt wurde. Diese Einschätzung leitet sich vor allem aus den
von uns durchgeführten Experteninterviews mit den Vertretern der
jeweiligen Institutionen ab. Die Nähe zur Mitte – das dortige Symbol
steht für den Ortsteil Goethestraße – deutet an, welche Relevanz dem
jeweiligen Akteur für das Gebiet beigemessen wird. Somit befinden sich
im innersten Kreis die Schlüsselakteure, also diejenigen, die von uns
als zentral für die Entwicklung der Goethestraße betrachtet werden:
das Arbeitsförderungs-Zentrum im Lande Bremen GmbH (AFZ), „die
theo“ (das Zentrum für Arbeit, Familie und Kultur) und die Städtische
Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH (Stäwog). Im mittleren Kreis
sind die Primärakteure versammelt, die ebenfalls eine herausgehobene
Rolle spielen bzw. spielen können: das Stadtplanungsamt Bremerhaven
64
Abbildung 26: Akteurslandschaft
und die Astrid-Lindgren-Schule. Im äußeren Kreis schließlich befinden
sich die Sekundärakteure, die wir als zum Teil interessante, aber für
das Gesamtgebiet nicht wesentliche Handelnde identifiziert haben: die
Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe (ESG Lehe), die Bewohner des
Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43, das Designlabor
Bremerhaven, das Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresfor-
schung (AWI), die Stadtteilkonferenz, die Behörde für Denkmalpflege
und das Bauordnungsamt, sowie die Bremerhavener Gesellschaft für
Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BIS).
Desweiteren sind in der Grafik die Akteure den drei Polen Zivilgesell-
schaft, Privatwirtschaft oder Staat zugeordnet. Je nach Ausrichtung
und Trägerform lässt sich der jeweilige Akteur entweder klar an einem
65
Abbildung 27: Bewertung der Akteure
der Pole verorten oder steht zwischen zweien der drei Kategorien.
Beispielsweise ist die Stäwog zwar eine Kapitalgesellschaft und lässt
sich somit der Privatwirtschaft zuordnen, allerdings ist sie vollständig
im Besitz der Stadt Bremerhaven und somit gleichzeitig ein staatlicher
Akteur mit großem Einfluss auf die Stadtentwicklungspolitik. Deutlich
wird zudem, dass im Bereich der Privatwirtschaft eindeutig Defizite
bestehen, da hier kein starker Akteur vorhanden ist – eine Erkenntnis,
die die Ergebnisse der bisherigen Analyse bestätigt.
Im Übrigen muss betont werden, dass diese Auflistung keinesfalls eine
vollständige Übersicht sämtlicher relevanter Akteure sein soll, sondern
vielmehr eine Momentaufnahme darstellt, die die entsprechende
Arbeitsphase des Projekts widerspiegelt. Im weiteren Projektverlauf
sind zu dieser Liste zusätzliche Akteure hinzugekommen, andere
erwiesen sich als weitgehend irrelevant. Im Hinblick auf die Schlüssel-
und Primärakteure allerdings gab es keine Veränderungen, so dass wir
uns dazu entschieden haben, die Grafik unverändert zu lassen, um den
Prozesscharakter der Arbeit zu betonen. Auf diese Weise wird deutlich,
dass im Verlauf eines Projekts gelegentlich auch Um- bzw. Holzwege
beschritten werden.
In Abbildung 27 werden die bereits bekannten Akteure nochmals
aufgelistet und in Bezug auf ihre Legitimität, ihre jeweiligen Ressourcen
sowie ihre Vernetzung innerhalb der Stadt und des Ortsteils bewertet.
Legitimität meint dabei die institutionelle Stellung, also „zugeschriebene
oder erworbene Rechte, die beispielsweise durch das Gesetz, den
Auftrag und die öffentliche Zustimmung abgesichert sind“ (gtz). Unter
Ressourcen können sowohl Wissen, Sachverstand und Fähigkeiten
als auch materielle und finanzielle Mittel verstanden werden, die es
66
dem Akteur erlauben, „gestaltenden Einfluss auf Thema und Verände-
rungsziel auszuüben“ (gtz). Der Punkt Vernetzung schließlich bezieht
sich auf „die Anzahl und Festigkeit der Beziehungen zu anderen
Akteuren“ (gtz). Für jedes dieser Attribute werden in der Tabelle drei
Werte unterschieden: Ein „+“ in der Spalte „Vernetzung“ beispielsweise
steht für „gut vernetzt“, ein „-“ für „wenig vernetzt“ und ein schwarzer
Kreis repräsentiert einen mittlere Stufe der Vernetzung.
Wie bereits erwähnt, wurden im Laufe der Projektarbeit zahlreiche
Experteninterviews mit den meisten der hier dargestellten Akteure
geführt. In diesen wurden nähere Informationen über die jeweilige Insti-
tution und deren Projekte, ihren spezifischen Beitrag zur Stadtteilarbeit,
die Wahrnehmung von Zusammenhängen innerhalb des Ortsteils
etc. ermittelt. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden im folgenden
Kapitel ausführlich dargestellt.
67
2.5 experteninterviews
2.5.1 Stadtplanungsamt Bremerhaven
Eines der ersten Experteninterviews wurde am 15. Dezember 2010,
also relativ früh im Projektverlauf, jedoch bereits nach Abschluss der
ersten Analysephase, mit dem Leiter des Bremerhavener Stadtpla-
nungsamtes Herrn Norbert Friedrich sowie einer weiteren Mitarbeiterin,
Frau Sandra Levknecht, geführt. Schon vor Beginn des Projekts
hatte zu diesen beiden Personen Kontakt bestanden, so dass die
Unterstützung durch Kartenmaterial u. Ä. bereits im Vorfeld gesichert
war. Außerdem wurde der Gruppe verdeutlicht, dass an den Ergeb-
nissen des Projekts durchaus Interesse bestünde, da die Stadt noch
über kein fertiges Konzept verfüge, wie mit den Baulücken zukünftig
umgegangen werden soll. Betont wurde allerdings auch, dass von
Seiten der Stadt bzw. der Stadtplanung kein „Grünzug“ gewünscht
sei, weswegen rein freiraumplanerische Lösungen nicht in Betracht
kämen. Stattdessen wurde deutlich, dass im Ortsteil Goethestraße
auch zukünftig am Ideal der geschlossenen gründerzeitlichen
Blockrandbebauung festgehalten wird und es ganz klar das Ziel ist, den
Bevölkerungsfortzug zu stoppen sowie den Prozess mittelfristig wieder
umzukehren. „Mehr Platz zum Leben“, so das Motto, das sich Bremer-
haven für seinen Stadtumbauprozess gegeben hat (der im Rahmen
des Stadtumbaus West stattfindet und sich intensiv mit dem Thema
demographischer Wandel bzw. schrumpfende Bevölkerung auseinan-
dersetzt), gilt für das Viertel um die Goethestraße also nur sehr bedingt.
Ein Projekt der vergangenen Jahre, das uns in diesem Zusammenhang
vorgestellt wurde, ist der Abriss der Deichschule, auf deren Grund-
stück unter starker Beteiligung der Öffentlichkeit in der Folge ein neuer
Quartiersplatz entstand. Nach Einschätzung von Herrn Friedrich verlief
dieser Prozess recht erfolgreich, demgegenüber stehen allerdings
auch Aussagen von Anwohnen, die neben dem Ablauf des Verfahrens
insbesondere das Ergebnis kritisieren. Darauf angesprochen, dass es
bezüglich der Gestaltung äußerst kontroverse Ansichten gegeben habe
– bemängelt wurde von Beteiligten beispielsweise, dass wesentliche
Wünsche der Bevölkerung, etwa nach mehr Grün, nicht berücksichtigt
worden seien –, verwies Herr Friedrich unter anderem auf die hohen
Kosten, die mit der Pflege eines solchen Freiraums verbunden sind.
Erstmals nähergebracht wurde uns bei diesem Gespräch auch die
68
Problematik der Schrottimmobilien, welche die Stadtplanung vor große
Herausforderungen stellt (vgl. Kapitel 2.2.5). Als vollkommen neuartigen
Lösungsansatz beschrieb man uns das Vorkaufsortsgesetz, das zu
jenem Zeitpunkt allerdings noch nicht verabschiedet war, also noch
nicht angewandt werden konnte. Weitere Erkenntnisse und Informa-
tionen, die in dem etwa einstündigen Experteninterview gewonnen
wurden, finden sich bereits in anderen Kapiteln dieses Berichts, so
dass an dieser Stelle auf weitere Ausführungen verzichtet werden kann.
Das Thema Zwischennutzung kam zwar am Rande zur Sprache,
bislang jedoch setzt die Stadt primär darauf, dass die bereits beste-
henden wie auch die zukünftigen Lücken in der Blockrandbebauung
dank mittelfristig steigender Einwohnerzahlen im Ortsteil Goethe-
straße rasch durch neue Gebäude geschlossen werden. Hierzu gab
es auch schon mehrere Ideenwettbewerbe, darunter das Projekt
„15räume“, bei dem das Stadtplanungsamt als Mitveranstalter
auftrat. Vorgeschlagen wurden dabei ausschließlich moderne, zum
Teil architektonisch sehr ansprechend gestaltete Wohnhäuser, deren
Verwirklichung angesichts des Leerstands und der damit verbundenen
sozialen Problemen im Ortsteil in absehbarer Zeit allerdings wenig
aussichtsreich erscheint.
Im Übrigen bleibt anzumerken, dass die an diesem Gespräch neben
Herrn Friedrich beteiligte Frau Levknecht das Stadtplanungsamt
Bremerhaven in der Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe e. V.
vertritt, so dass auch deren Perspektive berücksichtigt wurde.
2.5.2 BIS Bremerhaven
Bei der BIS (Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und
Stadtentwicklung mbH) handelt es sich um ein halbstaat-liches Unter-
nehmen, das von der Stadt Bremerhaven ins Leben gerufen wurde,
um Wirtschaftsförderung im Immobilien-, Infrastruktur- und Tourismus-
sektor zu betreiben. Matthias Pautzke, mit dem am 13.12.2010 ein
etwa einstündiges Experteninterview geführt wurde, ist ein langjähriger
Mitarbeiter dieser Einrichtung.
Er nimmt in Bremerhaven verschiedene Potentiale wahr: Dazu gehören
für ihn der Tourismus, welcher steigende Einnahmen generiert sowie
69
nach wie vor der Fischereihafen. Darüber hinaus hat sich Bremer-
haven seiner Ansicht nach in den vergangenen Jahren als Standort für
nachhaltige Energien und hier im Speziellen im Bereich der Windkraft-
anlagen profiliert. Namhafte Hersteller wie Areva produzieren ihre
Anlagen in der Stadt. Daher ist geplant, eigens einen Hafen anzulegen,
von dem aus großdimensionierte Offshore-Windkraftanlagen auf das
offene Meer verschifft werden können. Zudem soll der Bereich Bildung
und Forschung gestärkt werden. So befindet sich in Bremerhaven
eine Niederlassung des Fraunhofer Instituts, dessen weiterer Ausbau
bereits geplant ist. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeres-
forschung (AWI) hat in Bremerhaven einen Standort, überdies besitzt
die Stadt eine Hochschule, die sich auf den maritimen Forschungsbe-
reich konzentriert. Positiv zu vermerken ist, so Pautzke, nicht zuletzt
die konstante Nachfrage nach Gewerbefläche in der städtischen
Peripherie.
Im Zentrum von Bremerhaven wurden in der jüngeren Vergangenheit
städtebauliche Leuchtturmprojekte umgesetzt, um der städtischen
Wirtschaft neue Impulse zu geben. Unter anderem wurde dazu der
sogenannte T.I.M.E-Port geschaffen, Räume und Infrastrukturen, die
auf Gründer im IT-Bereich zugeschnitten sind. Bei der Akquise von
Fördermitteln wurde hierbei auch Lehe mit einbezogen.
Der Stadtteil Lehe hat aus Pautzkes Sicht vor allem ein Imageproblem,
ähnlich wie Bremerhaven aus gesamtdeutscher Sicht. Von Seiten der
BIS wurden zur Vermarktung des Wirtschaftsstandorts Bremerhaven
schon diverse Marketingstrategien umgesetzt, allerdings sieht Pautzke
die negative Presse immer wieder dafür verantwortlich, dass alle
Anstrengungen eines „Imagewechsels“ bislang eher erfolglos geblieben
seien. In Lehe erkennt er Potential nördlich der Grimsbruchstraße im
Kisterquartier: Auf dem ungenutzten Areal könne gewerbliche Nutzung
umgesetzt werden.
Für den Ortsteil Goethestraße sind von Seiten der BIS aktuell keine
Maßnahmen geplant, allerdings glaubt Pautzke, dass am ehesten
eine Identifikationsfigur, die sich der Probleme annimmt, die Situation
verbessern könnte. Bei neuen Projekten müsse in Zukunft zudem
grundsätzlich darauf geachtet werden, ein neues Aktionsschema
zu entwickeln. Bisher, so Pautzke, werde zu häufig als erstes nach
Fördermitteln verlangt.
70
2.5.3 Stäwog – Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH
Interviewpartner bei der Stäwog, der Städtischen Wohnungsgesell-
schaft Bremerhaven, war am 13.12.2010 ihr Geschäftsführer Christian
Bruns. Vor seiner Tätigkeit bei dem Unternehmen war Herr Bruns 16
Jahre lang bei der GEWOBA beschäftigt, einem überwiegend im Land
Bremen tätigen Wohnungsunternehmen und Immobilien-Dienstleister,
dessen Hauptaktionär die Stadt Bremen ist. In dieser Stellung hat
er die Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten im Ortsteil Lehe-
Goethestraße in den 1990er Jahren aus nächster Nähe miterlebt bzw.
aktiv daran mitgewirkt. Aufgrund dieser Tatsache und weil Herr Bruns
in Bremerhaven aufgewachsen ist, besitzt er einen äußerst engen
persönlichen Bezug zu dem Viertel rund um die Goethestraße, was ihn
nach Meinung der Projektgruppe zu einem entscheidenden Akteur dort
macht.
Wie er selbst darlegte, gehen auf sein individuelles Engagement auch
einige Entscheidungen zurück, die unter rein ökonomischen Gesichts-
punkten keinen unmittelbaren Sinn ergeben. Beispielsweise erwarb die
Gesellschaft vor einigen Jahren entgeltfrei eine Immobilie im Ortsteil-
Goethestraße, in der Schleusenstraße 33, da die Eigentümerin, eine
Rentnerin, den Gründerzeitbau finanziell nicht mehr tragen konnte.
40 Jahre lang waren an und in diesem Gebäude eigentlich notwendige
Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen vernachlässigt worden,
so dass sich die Kosten für die Sanierung schließlich auf 2.400 Euro/
m2 summierten. Wirtschaftlich vernünftiger wäre in solch einem
Fall natürlich ein Abriss (und eventueller Neubau) des Wohnhauses
gewesen, doch für Herrn Bruns stand der Aspekt des Denkmal-
schutzes in diesem Fall im Vordergrund. Die Stäwog, 1941 als
„Wesermünder Wohnungsgesellschaft mbH“ mit 463 Wohnungen
und drei Mitarbeitern gegründet, ist eine hundertprozentige Tochter
der Stadt Bremerhaven. Heute beschäftigt das Unternehmen 61
Mitarbeiter und verwaltet Wohnraum für rund 13.000 Mieter, womit es
zu den wichtigsten Anbietern von Wohnungen und Einzelhandelsge-
schäften in der Stadt gehört. Von den rund 65.000 Mietwohnungen
in Bremerhaven gehören etwa 5.000 der Stäwog (zum Vergleich, die
GEWOBA besitzt ca. 1.000), hinzu kommen 227 gewerbliche Objekte.
Des Weiteren übernimmt die Stäwog die Hausverwaltungen für Eigen-
tümergemeinschaften, beispielsweise bei einem Personalwohnhaus für
71
das Zentralkrankenhaus, einem behindertenfreundliches Mietshaus für
die Arbeiterwohlfahrt sowie bei mehreren Geschäftsgebäuden für die
BIS Bremerhaven.
Im Jahr 2009 betrugen die Umsatzerlöse der Gesellschaft 27 Mio.
Euro, ihre Bilanzsumme lag bei über 164 Mio. Euro. Hinzu kommt, dass
die Stäwog auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das Handwerk
in Bremerhaven ist: Sie nimmt regelmäßig die Dienste von etwa 150
Handwerksunternehmen für Instandsetzung, Instandhaltung, Moderni-
sierung und Sanierung von Immobilien in Anspruch. 2009 betrug das
Gesamtvolumen dieser Aufträge 11,7 Mio. Euro.
In einem knapp einstündigen Gespräch ging Herr Bruns ausführlich
auf die Probleme des Ortsteils Lehe-Goethestraße ein und legte dar,
welche Rolle die Stäwog in diesem Viertel spielt bzw. zukünftig zu
spielen gedenkt.
Zunächst stellte er dar, welche Faktoren aus seiner Sicht für den
privaten Leerstand im Ortsteil Lehe-Goethestraße verantwortlich sind.
Am Beginn dieses Prozesses stand für Herrn Bruns die Werften-
und Fischereikrise, entscheidend dazu bei trug seiner Ansicht nach
darüber hinaus der Abzug der amerikanischen Streitkräfte im Jahr
1993, wodurch sich in Bremerhaven der Wohnungsleerstand alleine
um rund 1.000 WE vergrößerte. Im Anschluss erläuterte Herr Bruns,
wie in den Folgejahren ahnungslose Privatanleger die zum Teil bereits
maroden Gebäude im Ortsteil Goethestraße gekauft hatten und sich
anschließend mit der notwendigen Sanierung finanziell überfordert
sahen (vgl. Exkurs Schrottimmobilien). Da solche Immobilien nicht
selten bis zu acht Eigentümer haben, bedeutet es zudem für die
Stäwog, die an einigen dieser Grundstücke Interesse zeigt, einen
enorm hohen Verwaltungsaufwand, alle Parteien eines Gebäudes
ausfindig zu machen. Um die Kooperation mit den verschuldeten
Eigentümern zu verbessern, arbeitet die Stäwog nach Herrn Bruns
Angaben daran, einen professionellen Schuldenberater einzusetzen,
der als Kommunikator und Mediator zwischen den betroffenen Banken
und Schuldnern agieren soll. Als weiterer Lösungsansatz böte sich an,
Immobilien, die erhaltenswert und noch nicht abbruchreif sind, unter
Denkmalschutz zu stellen, wodurch die steuerlichen Kosten zu neun
Prozent abgeschrieben werden könnten.
72
Schließlich widersprach Herr Bruns der Ansicht, die zum Beispiel auch
der Gesprächspartner bei der BIS vertreten hatte, dass in Zukunft
weniger auf Fördertöpfe als auf private Initiative gesetzt werden solle.
Seiner Meinung nach geht es nur mit öffentlichen Mitteln, die Städte-
bauförderung sollte daher keinesfalls gekürzt, sondern im Gegenteil
weiter ausgebaut werden. Zumal sich, so Herr Bruns, der Einsatz
öffentlicher Gelder, über die Jahre betrachtet auch wirtschaftlich
rechne, da es durch die ausgelösten Aufwertungseffekte zu einer
Verfünffachung der ursprünglichen Mittel komme. Bedauert wurde,
dass EFRE-Fördergelder bislang nur für touristische Projekte eingesetzt
werden konnten.
Zuletzt legte der Geschäftsführer der Stäwog noch seine Vision für den
Ortsteil Goethestraße dar: Gefragt seien in Zukunft verstärkt Pioniere
wie das Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43 – ein Projekt,
das die Stäwog durch den Einbau eines neuen, extern angebrachten
Aufzugs gefördert hat, obwohl diese Maßnahme unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten keinen Sinn ergibt, da sich die Kosten angesichts der
niedrigen Mieten kaum jemals amortisieren werden. Allerdings könnten,
so Herr Bruns, bereits zehn solcher „Leuchtturmprojekte“ das Image
der Goethestraße dauerhaft wandeln und somit das Quartier mittel-
fristig zum Kippen bringen.
2.5.4 „Lebens(t)raum“ – Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43
Ebenfalls am 15. Dezember 2010 war die Projektgruppe eingeladen
zu einem Gespräch mit einigen Bewohnern des Projekts „Lebens-
(t)raum – Gemeinschaftliches Wohnen in der Goethestraße/Bremer-
haven“. Zum einen erhielten wir dabei eine allgemeine Einschätzung
des Ortsteils Goethestraße aus der Perspektive überwiegend älterer
Menschen, zum anderen gewannen wir interessante Einblicke in die
innovative Wohnform des Mehrgenerationenhauses. Da uns dieses
Modell aus verschiedenen Gründen geeignet erscheint, den Aufwer-
tungsprozess im Ortsteil Goethestraße zu befördern, stand zudem vor
allem die Frage der konkreten Umsetzung eines solchen Projekts im
Vordergrund.
73
Die Idee dazu entstand im Herbst 2002 innerhalb eines Freundes-
kreises aus acht Frauen und Männern im Seniorenalter, die sich bereits
seit Längerem damit beschäftigt hatten, wie sie im Alter wohnen
wollen. Der Grundgedanke, den alle teilten, war ein gemeinsames
Wohnkonzept, das einerseits individuell und selbstbestimmt sein sollte,
andererseits aber auch den Aspekt der gegenseitigen Unterstützung
sowie die Möglichkeit gemeinsamer Freizeit- bzw. Alltagsgestaltung zu
berücksichtigen hatte. Die angestrebte Wohnform ähnelte damit einer
Wohngemeinschaft, mit der Ausnahme, dass sie sich auf ein gesamtes
Wohnhaus bezog. Das Konzept, das dafür entwickelt wurde, sieht
einzelne Wohnungen als privaten Rückzugsraum vor, wie man das
von der klassischen Wohnform des Mehrparteien-Hauses kennt, hinzu
kommen Gemeinschaftsräume, die den sozialen Austausch ermög-
lichen. Dadurch soll der Vereinsamung und möglichen Einschränkungen
im Alter entgegengewirkt werden. Erst während der Realisierungsphase
des Konzeptes entwickelte sich die Grundidee des Wohnens im Alter
schließlich zum Mehrgenerationswohnen weiter.
In einem weiteren Schritt musste für die Umsetzung des Konzepts eine
passende Immobilie gefunden werden, wobei zunächst völlig offen war,
in welchem Stadtteil diese liegen sollte. Um Unterstützer zu gewinnen
und auszuloten, ob ein solches Projekt breiteres Interesse weckt, arbei-
teten die Initiatoren ihre Vorstellungen schriftlich aus und verschickten
sie an verschiedene Organisationen in Bremerhaven, darunter die
Wohnungsgesellschaften Stäwog und GeWoBa, die Volkshochschule
(VHS) sowie das Bauamt.
Die Stäwog und das Bauamt nahmen sich der Idee bereitwillig an,
zudem unterstützte die VHS Bremerhaven die Gruppe intensiv in der
Realisierungsphase. 2003 etwa organisierte man Seminare und stellte
Räumlichkeiten zur Verfügung, in denen die Initiatoren tagen und die
zukünftige Wohngruppe zusammenstellen konnten. Darüber hinaus
agierte die VHS als Mediator und Kommunikator für die Gruppe und
akquirierte externe Berater, um das Wissen über gemeinschaftliche
Wohnformen zu vertiefen. Schließlich nahm sie sich des Themas
„Alternative Wohnformen im Alter“ im Rahmen einer Ausstellung
an, die bereits realisierte Projekte in Deutschland zeigte. Außerdem
besuchte der erweiterte Teilnehmerkreis dieser Aktionsreihe beste-
hende Wohnprojekte in Hamburg (Lärchenhaus), Bremen (Beginenhof),
Hannover und Bleckede.
74
Abbildung 28: Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43
Im Zuge der konkreten Realisierung fand dann ein partieller Austausch
der potentiellen Interessenten bzw. Bewerber statt. Dies hatte zwei
Gründe: Zum einen schreckten speziell junge Familien davor zurück,
nach Lehe zu ziehen, den Stadtteil also, für den sich die Mehrheit
der Beteiligten entschieden hatte, da sie die Sicherheit ihrer Kinder
im öffentlichen Raum gefährdet sahen. Zum anderen nahm die
Umsetzung des Projekts so viel Zeit und Energie in Anspruch, dass
Bewerber mit akutem Wohnbedarf nicht länger mitziehen konnten. Und
schließlich gab es potentielle Bewohner, die statt der innenstadtnahen
Lage einen Standort am Stadtrand präferierten, da sie auf einen großen
Garten wertlegten. Unsere Gesprächspartner hingegen bevorzugten
die Urbanität eines geschlossenen, innenstadtnahen Altbauquartiers
und waren froh, keine Gartenarbeit verrichten zu müssen, auch wenn
einzelne durchaus bedauerten, dass es in ihrer jetzigen Nachbarschaft
nur wenig Grün gibt.
Nachdem die Entscheidung für den Stadtteil Lehe bzw. den Ortsteil
Goethestraße gefallen war, bot die Stäwog den Initiatoren mehrere
Objekte im Quartier an. Darunter stellte sich der Gründerzeitbau in
der Goethestraße 43 als am geeignetsten heraus, da dort genügend
Raum für gemeinschaftliche Nutzungen zur Verfügung stand und sich
zudem im Innenhof ein Aufzug einbauen ließ, der für altengerechtes
Wohnen unabdingbar war. Die Umbaumaßnahmen führte die Stäwog
75
in enger Absprache mit den künftigen Mietern durch. Dabei wurde
das Treppenhaus saniert und der erwähnte Fahrstuhl installiert, die
historischen aber zu kleinen Balkone wurden durch größere ersetzt und
die Gemeinschaftsräume ausgebaut oder erweitert. Weitere Sonder-
wünsche der zukünftigen Mieter kalkulierten und finanzierten diese
selbst. Die Kosten für den Umbau in Höhe von rund 1 Mio. Euro trug
größtenteils die Stäwog, im Gegenzug bekam sie Mieteinnahmen über
einen Zeitraum von zehn Jahren vertraglich zugesicherte, die Unter-
zeichnung der Verträge fand vor Baubeginn statt.
Bei einer Führung durch das Haus, das 1903 erbaut wurde und unter
Denkmalschutz steht, bekamen wir einen Eindruck vom Inneren dieses
Wohnprojekts. In zehn Wohneinheiten, die jeweils zwei bis vier Zimmer
haben, leben drei Ehepaare, sechs Singles und eine vierköpfige Familie,
das jüngste Mitglied der Hausgemeinschaft ist fünf, das älteste 77
Jahre alt. Die Wohnung im Parterre wird gemeinschaftlich genutzt,
neben einem Gemeinschaftsraum, der regelmäßig auch von externen
Gruppen und kleineren Vereinen angemietet wird, finden sich dort
Bad und Küche, ein Atelier, eine Werkstatt sowie eine Saune, die
nach Fertigstellung des Hauses eingebaut wurde. Im Innenhof gibt es
einen gemeinsamen Garten, der Dachboden wurde zum Freizeitraum
umfunktioniert und mit Fitness-Geräten und einem Billardtisch
ausgestattet.
Einmal im Monat finden sich alle Bewohner zusammen, um über
sämtliche Belange des gemeinschaftlichen Lebens zu diskutieren,
Kosten zu kalkulieren und Beschlüsse zu fassen. Zugleich soll damit
das nachbarschaftliche Verhältnis und die Vernetzung gefördert
werden. Gemeinsam genutzte Räume wie Werkstatt, Atelier oder
Dachboden verwalten die jeweiligen Hauptnutzer, da diese erfahrungs-
gemäß bereitwilliger die Verantwortung tragen. Seit 2006 verfügt das
„Haus 43“, wie es in diesem Bericht auch gelegentlich genannt wird,
über einen Internetauftritt (www.wohnprojekt-bremerhaven.de), auf
dem über die Konzept, Entstehung und Umsetzung des Wohnprojekts
informiert wird.
Währen des Gesprächs wurde nicht zuletzt auch thematisiert, welche
Auswirkungen das Mehrgenerationenhaus auf den Ortsteil Goethe-
straße hat. Die Bewohner meinten, einen deutlichen Aufwertungseffekt
für die nähere Umgebung ausmachen zu können und sahen positive
Folgen für das Image des Gebiets auch über die Grenzen Bremer-
76
havens hinaus. Seit Bestehen der Gemeinschaft reagiert offensichtlich
nach und nach die Nachbarschaft auf das gepflegte Erscheinungsbild
des Hauses, indem beispielsweise Fensterscheiben regelmäßiger
geputzt, Gardinen erneuert oder Hauseingänge instandgesetzt werden.
Jährlich veranstalten die Bewohner einen Tag der offenen Tür sowie
mehrere Grillabende, als weiteres Engagement kommt die Beratung
von an ähnlichen Wohnprojekten Interessierten aus anderen Städten
hinzu.
Das Wohnprojekt „Lebens(t)raum“ ist zwar nicht das einzige im Ortsteil
Goethestraße (daneben existiert ein weiteres dieser Art), aber fraglos
das mit Abstand erfolgreichste, und stellt als solches einen wichtigen
Akteur dar. Zu verdanken ist es dem Einsatz und Durchhaltevermögen
einiger weniger Personen, darüber hinaus erscheint die Unterstützung
durch bestimmte Institutionen, insbesondere einer Wohnungsgesell-
schaften unabdingbar.
2.5.5 „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“
Durch Umnutzung eines ehemaligen Schulgebäudes, der Theodor-
Storm-Grundschule, entstand 2006 im Ortsteil Goethestraße „die
theo für Arbeit, Familie und Kultur“. Geboren wurde das Projekt aus
der Überlegung heraus, dass nach Schließung der Schule – bedingt
durch Wegzug und demografischen Wandel – eine weitere Brache
unbedingt vermieden werden sollte. Daher wurde nach einer neuen
Funktion für das schöne alte Gebäude gesucht. Initiator war das
Arbeitsförderungszentrum Bremerhaven (AFZ), das das Ziel verfolgte,
durch Zusammenführung und Vernetzung von arbeitsmarktpolitischen,
familienorientierten, sozialen und kulturellen Aktivitäten in einem Haus
den Stadtteil Lehe aufzuwerten und sein Image zu verbessern. Das
Konzept beinhaltet drei Schwerpunkte: Arbeit, Familie und Kultur. Im
Vordergrund steht zwar die Arbeitsvermittlung und Existenzsicherung,
doch wussten die Verantwortlichen, dass die gesamte Situation eines
Menschen in Not betrachtet werden muss, um sinnvoll helfen zu
können.
Am Beginn des Projekts fand sich eine große Runde möglicher Koope-
rationspartnern zusammen, die vom AFZ eingeladen worden waren.
77
Dabei wurden Ideen für mögliche Nutzungen gesammelt, die nach
und nach verpflichtend wurden: Für jeden Vorschlag sollte es einen
tatsächlich Verantwortlichen geben, der in der Lage ist, diesen auch
umzusetzen. Aus diesem Grund wurde nicht jede Idee automatisch
akzeptiert, sondern die Leitung des Projekts behielt im gesamten
Planungsprozess die Federführung. So wurde die Runde sukzessive
immer kleiner, bis sie nur noch aus zukünftigen Mietern bestand. Noch
vor dem Umbau waren 80 Prozent der geplanten Geschossfläche
vermietet. Über die eigentliche Arbeit, die im Haus selbst geleistet
wird, hinaus sollte das Projekt auch durch seine Ausstrahlwirkung zur
Aufwertung der Umgebung beitragen helfen.
Insgesamt wurden für den Umbau der ehemaligen Theodor-
Storm-Schule zum „Haus für Arbeit, Familie und Kultur“ 2,6 Mio.
Euro benötigt, die aus Mitteln der europäischen Union (URBAN 2),
verschiedenen Strukturfonds des Bundes und des Landes (EFRE
und ESF), dem Stadtumbau West-Programm sowie kommunalen
Arbeitsmarktfördertöpfen stammten. Bemerkenswert ist, dass
die im Voraus eingeplante Summe nicht überschritten wurde. Am
Umbauprozess beteiligt waren neben Seestadt Immobilien, einem
Eigenbetrieb der Stadt Bremerhaven, der alle städtischen und städtisch
genutzten Immobilien verwaltet, zahlreiche Handwerksbetriebe sowie
Erwerbslose. Der Eigentümer des Gebäudes ist weiterhin die Stadt
Bremerhaven, verwaltet wird es durch Seestadt Immobilien. „Die theo“
wurde als innovatives und soziales Projekt vielfach ausgezeichnet und
trägt sich dank einer hohen Auslastung der zur Verfügung stehenden
Räume von Anfang an selbst.
Vielfältige Nutzungen sind hier unter einem Dach vereint: Neben der
Agentur für Arbeit gehören unter anderem eine Schuldnerberatung,
eine Kinderkrippe, ein Kulturbüro und eine Filmdokumentationsfirma
zu den festen Mietern, darüber hinaus gibt es eine Existenzgründe-
retage mit einem flexiblen Raumangebot, für die eine lange Warteliste
existiert. Desweiteren befindet sich ein Restaurant in der ehema-
ligen Turnhalle der Schule. Die vielfältigen kulturellen Einrichtungen
und Veranstaltungen werden sehr gut angenommen, Angebote für
Jugendliche stehen allerdings nur sehr begrenzt zur Verfügung. Dies
ist jedoch eine bewusste Entscheidung, da sich in der unmittelbaren
Nachbarschaft der Lehe-treff, eine Jugendfreizeiteinrichtung, befindet,
mit der „die theo“ nicht in Konkurrenz treten soll. Nicht zuletzt finden
in den Räumlichkeiten auch Feiern, Veranstaltungen, Konferenzen und
78
Tagungen statt, eine schöne Jugendstil-Aula sowie modern ausge-
stattete Konferenzräume können auch von Externen für Veranstaltung
angemietet werden.
Zweimal im Jahr findet ein Mietertreffen statt, auf denen die drin-
gendsten Anliegen diskutiert sowie mögliche kleinere Projekte, welche
gemeinschaftlich durchgeführt werden sollen, organisiert werden.
Dazu gehören zum Beispiel einmal pro Jahr ein Tag der offenen Tür
oder die Lange Nacht der Kultur, bei der das Angebot der „theo“ einer
breiten Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Mieter besitzen dabei eine
große Verantwortung und müssen Ideen selbständig organisieren und
umsetzen, da kein Hausmanagement vorhanden ist.
Ein wichtiger Bestandteil des Hauses ist die sogenannte Existenz-
gründeretage, auf der Selbstständige aus unterschiedlichen Branchen
bezahlbaren Büroraum finden. Ab 100 Euro monatlich inklusive
Nebenkosten kann man hier einen Büroplatz mieten, der mit Tisch,
Stuhl und Schränken ausgestattet ist, neben Einzelbüros existieren
auch solche für bis zu vier Personen. Nach Bedarf kann ein Internetan-
schluss eingerichtet werden, um den sich die Mieter allerdings selbst
kümmern müssen. Derzeitige Mieter sind Programmierer, Handwerker,
Sicherheitsdienste, eine Versicherung, eine Unternehmensberatung, ein
Veranstalter von Kindergeburtstagen sowie eine Maklerin. Insgesamt
gibt es 16 Plätze, von denen zwei derzeit nicht belegt sind. Die
Verträge sind begrenzt auf jeweils drei Jahre, einmalig können sie
für zwei Jahre verlängert werden. Die Existenzgründer werden nach
Möglichkeit unterstützt, etwa, indem eine Einschätzung der Tragfä-
higkeit des Geschäftskonzepts vorgenommen wird. Darüber hinaus
werden regelmäßig Workshops für Gewerbetreibende veranstaltet. In
erster Linie allerdings ist es das Ziel der Verantwortlichen, Eigenenga-
gement zu fördern.
Öffentlichkeitsarbeit wir von der theo aufgrund der knappen Finanzlage
nur sehr begrenzt betrieben. Es existiert jedoch eine Internetseite
(www.die-theo.de ), die von den festen Mietern mitgestaltet wird,
außerdem beteiligt sich „die theo“ an Veranstaltungen im Quartier und
erstellt gelegentlich Flyer.
Das inklusive Hausführung rund anderthalbstündige Informationsge-
spräch wurde im Januar 2011 mit den beiden Vertreterinnen des AFZ,
Frau Anja Mengel und Frau Annabell Hänchen, geführt. Einige der
Abbildung 29: „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“
79
wesentlichen Überlegungen und Vorschläge, die dabei zur Sprache
kamen, sollen an dieser Stelle kurz wiedergegeben werden. Für die
Konzeption unseres eigenen Projekts relevant ist beispielsweise die
Tatsache, dass die Leitung der „theo“ an der Brachfläche, die vor
kurzem durch den Abriss einer Schrottimmobilie direkt gegenüber des
Gebäudes entstanden ist, großes Interesse hat: Vor allem bei größeren
Veranstaltungen fehlt es der Einrichtung an Parkplätzen.
Bedauert wurde, dass momentan kein Konzept existiert, wie mit den
Baulücken umgegangen werden soll. Die vermüllten oder mit Brettern
vernagelten leerstehenden Grundstücke jedoch haben nach Ansicht
unserer Gesprächspartnerinnen auf jeden Fall negative Auswirkungen
auf das Gebiet und tragen zum weiteren Verfall bei. Grünflächen in
den Brachen wurden tendenziell befürwortet, allerdings wurde auch
zu bedenken gegeben, dass sich darum jemand kümmern muss. Als
Lösung für dieses Problem schlug Frau Mengel vor, die Parzellen an
die anliegenden Häuser anzubinden und zu privaten Schrebergärten
umzufunktionieren. Eine weitere sinnvolle Nutzungsidee könnte ihrer
Meinung nach eine Hundewiese sein, da es im Ortsteil Goethestraße
viele Hundehalter gibt, jedoch keine Plätze, wo die Tiere ihr Geschäft
verrichten können. Die Gehwege im Viertel sind folglich stark mit
Hundekot verunreinigt, wie auch uns immer wieder auffiel, zumal es
vielen Bewohnern, so Frau Mengel, offensichtlich an Verantwortungs-
bewusstsein fehlt.
80
Auch für ähnliche Konzepte wie „die theo“ gäbe es nach Ansicht
der beiden AFZ-Mitarbeiterinnen noch Bedarf. Als vielversprechend
betrachten sie zum Beispiel ein Haus für Existenzgründer, welches
sich einem bestimmten Thema bzw. einer Branche widmet, etwa der
Gesundheit oder der Schönheitspflege. Nach Einschätzung unserer
Gesprächspartnerinnen ließen sich mit einer solchen Idee auch leichter
Fördergelder finden. Allgemein wurde angemerkt, dass bei allen
geplanten Maßnahmen mögliche Multiplikationseffekte berücksichtigt
werden müssten, um bereits im Vorfeld beurteilen zu können, wie viel
ein angestrebtes Projekt tatsächlich zur Aufwertung des Quartiers
beiträgt.
Das ursprüngliche Ziel, mithilfe der „theo“ die Aufwertung im Quartier
zu forcieren, gelang in dieser Hinsicht wohl nur zum Teil: Einige Häuser
in der Nähe wurden saniert, allerdings scheint die Ausstrahlungs-
wirkung der Institution noch nicht allzu weit zu reichen, da jenseits der
unmittelbaren Umgebung keine Verbesserungen zu beobachten sind.
Dennoch stellt diese Einrichtung nach drei Jahren des Bestehens auf
jeden Fall einen äußerst aktiven Akteur im Quartier dar.
2.5.6 Designlabor Bremerhaven
Am Geestehafen, wo historische Backsteinspeicher und schicke
Loftwohnungen an der Wasserkante ein wenig an die Hamburger
HafenCity erinnern, befindet sich in einem unscheinbaren grauen
Gebäude, welches ehemals als Fährhaus diente, das Designlabor
Bremerhaven. Innen überrascht es mit einem riesigen lichtdurchfluteten
Dachgeschoss mit Designermöbeln und englischsprachigen Zitaten an
den Wänden.
Mit der seit 1995 bestehenden Einrichtung hat sich Bremerhaven
zum Ziel gesetzt, als in hohem Maße vom Strukturwandel betroffene
Stadt vom Boom der „Creative Industries“ zu profitieren. Erforscht
werden sollen hier die Möglichkeiten interdisziplinärer Gestaltung für
die Zukunft. So erarbeiten die Teams des Designlabors Konzepte für
Wirtschaft und Wissenschaft, fördern den Austausch von Ideen sowie
die Entwicklung neuartiger Konzepte für den Markt und dienen somit
als Impulsgeber für Innovationen in der Region. Initiiert wurde das
Projekt von der Wirtschaftsförderung Bremen, außerdem erhält es
81
Mittel von der Europäischen Union. Das Institut gehört zur Einrichtung
der Bremer Design GmbH, und die Freie Hansestadt Bremen vergibt
regelmäßig Stipendien an junge Diplomdesigner aus dem europäischen
Raum, die im Designlabor Bremerhaven ein Team auf Zeit bilden. 2008
beispielsweise trafen dort mehr als 70 Bewerbungen von Nachwuchs-
gestaltern aus 15 europäischen Ländern ein. Als Projektleiter stehen
international renommierte Designspezialisten zur Verfügung, neben den
sechsmonatigen Projekten sind Beratung, Workshops und Ausstel-
lungen weitere wichtige Bestandteile der Arbeit des Labors.
Unser Gesprächspartner am 6. April 2011 war Holger Kattert, der
Projektmanager dieser Einrichtung. Er stellte uns zwei interessante
Projekte der vergangenen Jahre vor, von denen das erste den Titel
trug: „Verlorene Orte im Stadtraum – neue Perspektiven für den Laden-
leerstand“. Auftraggeber dieses Projekts war das Stadtplanungsamt
Bremerhaven, das sich davon neue, konzeptorientierte Ideen aus einer
innovativen Perspektive erhoffte. Von besonderer Relevanz für unser
P3-Projekt war die Tatsache, dass das Projekt des Designlabors in der
Hafenstraße umgesetzt wurde, die ja zugleich Teil des eigenen Projekt-
gebiets ist und als ehemals florierende Einkaufsstraße seit geraumer
Zeit eine hohe Leerstandsquote aufweist.
Eines der leerstehenden Ladenlokale wurde vom Designlabor
angemietet und von den Stipendiaten mit einfachen Mitteln in Selbst-
arbeit renoviert und gestaltet. Interessant ist in diesem Zusammenhang,
dass es trotz der offensichtlichen Verfügbarkeit geeigneter Läden
schwierig war, einen zu finden, der überhaupt zur Vermietung stand.
Zum einen fürchten sich viele Vermieter vor Mietnomaden, welche nicht
nur keine Miete bezahlen, sondern nach dem Auszug auch ein totales
Chaos hinterlassen, zum anderen scheinen viele Vermieter bereits
resigniert zu haben, so dass sie weder postalisch noch telefonisch zu
erreichen sind. Ihre Läden sind oft schmutzig und vollgestellt mit alten
Kisten, enthalten jedoch keinerlei Informationen für potentielle Mieter.
Mit ein wenig frischer Farbe und einem seriösen Schild, so Herr Kattert,
wären dagegen rasch eventuelle Interessenten gefunden. Schließlich
gibt es drittens auch einige Optimisten unter den Vermietern, die auf
bessere Zeiten hoffen und ihren Laden nicht zum derzeitigen Marktpreis
anbieten wollen.
Nach längerer Suche konnte jedoch ein ehemaliger Schuhladen für eine
geringe Miete übernommen werden. Dort bot sich den Stipendiaten
82
des Designlabors die Möglichkeit, unterschiedliche Nutzungen für
leerstehende Geschäfte zu testen. In der Renovierungsphase, welche
bereits viel Aufmerksamkeit innerhalb des Viertel erzeugte, erhielt der
Laden durch einfache, aber konsequent umgesetzte Designelemente,
wie beispielsweise ein wiederkehrendes Logo, die Farbe Grün und
Einrichtungsgegenstände aus recycelten Materialien, eine ungewöhn-
liche Gestaltung. Im Folgenden sah das Konzept eine zweimonatige
Projektlaufzeit vor, welche sich in drei aufeinanderfolgende Phasen aus
Galerie, Mediencafé und Verkaufslokal für Designprodukte gliederte.
Die Eröffnung des neuen Ladenlokals in der Hafenstraße 73 unter dem
Namen „vorübergehend* geöffnet“ erfolgte mit einer Fotoausstellung
der Stipendiaten, welche den Blick von außen auf Bremerhaven
einfangen sollte. Bei dieser Gelegenheit wurden Einwegkameras an
die Besucher verteilt, mit denen diese selbst zum Thema „Heimatliebe“
Fotos ihrer jeweiligen Lieblingsorte in Bremerhaven schießen konnten,
um damit an einem Wettbewerb teilzunehmen. Die Rücklaufquote der
Kameras lag bis zur zweiten Vernissage, bei welcher die Gewinner
dieses Wettbewerbs prämiert werden sollten, bei rund 90 Prozent.
Die zahlreichen Teilnehmer wie auch die Galeriebesucher der ersten
Ausstellung konnten somit ein weiteres Mal in die Hafenstraße geladen
werden, zudem schmückten die Siegerfotos in der Folgezeit das Café,
welches der Galerienutzung folgte.
In dieser zweiten Konzeptphase, dem Mediencafé, richteten die Stipen-
diaten des Designlabors einen kleinen Cafébetrieb ein und installierten
ein großes Regal, in welches die Besucher Bücher einstellen sollten,
die dann von anderen im Café gelesen bzw. angesehen oder aber
mitgenommen werden konnten. Während der dritten Phase schließlich
wurden Designgegenständen von befreundeten Künstlern verkauft,
hinzu kamen eine kleine eigene Kollektion sowie das selbst entworfene
Mobiliar aus dem Café, welches sich als besonders begehrt erwies.
Die Besucherzahlen des Ladens waren sehr unterschiedlich,
Spitzenwerte wurden jeweils zur Eröffnung einer neuen Phase und an
Wochenenden registriert. Die meisten Besucher, so Herr Kattert, waren
„die üblichen Verdächtigen“, also kunst- und designaffine Personen,
daneben nahmen aber auch Anwohner aus Lehe das Angebot
wahr. Offensichtlich bestanden jedoch bei manchen auch Barrieren:
Bestimmte Personen saßen zwar jeden Tag auf den Sitzgelegenheiten
vor dem Café, betraten dieses aber nie. Die Wunschvorstellung
83
der Veranstalter war es gewesen, das Konzept einem Nachfolger
an die Hand zu geben, um so „vorübergehend*geöffnet“ zu einer
festen Institution in der Hafenstraße zu machen, was allerdings an
mangelndem Interesse scheiterte.
Ein nachfolgendes Projekt mit dem Titel „Projekt Brache – Verlorene
Orte 2“, das uns Herr Kattert ebenfalls vorstellte, beschäftigte sich mit
dem kreativen Umgang mit Freiräumen in schrumpfenden Städten. Im
Fokus stand dabei die Erschließung einer Brachfläche für die öffent-
liche Nutzung in Bremerhaven-Geestemünde. Städtebauliche und
gestalterische Interventionen für die konkrete Umsetzung in der Brache
wurden zunächst angeleitet und werden nun, nach Projektende, von
Stadtteilbewohnern weitergeführt. Aus Fehlern beim vorangegangenen
Ladenleerstandsprojekt wurden die Lehren gezogen, dass eine aktive
Öffentlichkeitsarbeit, etwa durch die Berichterstattung in der Norde-
ezeitung, notwendig ist und dass die Anwohner integriert werden
müssen:
„Die Erfahrung aus Vorgängerprojekten zeigt, dass Revitalisierung
möglich ist, wenn gestalterische Interventionen von den Bürgern als
Chance begriffen werden, ein Stück neue Lebensqualität in ihrem
Umfeld zu entwickeln. Das Designlabor wird daher die Akteure aus der
Stadt in die aktive Mitgestaltung einbeziehen. Zu diesem Zweck wurde
eigens ein Laden an der Georgstraße in Bremerhaven angemietet, um
vor Ort mit den Bürgern gemeinsam Ideen zur kreativen Rückeroberung
von Freiräumen zu entwickeln. In einem Workshop wurde zum
Beispiel aus alten Ästen von der Brachfläche Hocker gebaut oder es
wurde gemeinsam mit dem Kindergarten zu Weihnachten die Bäume
geschmückt“ (Designlabor Bremerhaven).
Viel Wert legte Herr Kattert schließlich auf die Feststellung, dass es
in Bremerhaven genügend Projekte unter dem sozialen Mantel gebe.
Worauf es in Zukunft dagegen vermehrt ankäme, sei eine aktive
Förderung der Bewohner, um sie dazu zu animieren, eigene Ideen
umzusetzen. Oft fehle allerdings auch schlichtweg das Wissen, wie
man ein Problem angeht, wie auch das Beispiel der Brachflächen in
Lehe zeige. Zudem herrsche vielfach Unklarheit über die Besitzverhält-
nisse und damit die Furcht, sich eine Brachfläche anzueignen. Nach
Meinung Herrn Katterts ist bei neuen Projekten das Entscheidende
ein hoher Innovationsgehalt, es sollte also nach Möglichkeit etwas
völlig Neues, noch nie Dagewesenes ins Viertel getragen werden,
84
das zudem durch gutes Design mit großem Wiedererkennungswert
besticht. Andererseits sollte man dabei die Erwartungen nicht zu hoch
ansetzen, so Kattert, da es in kleineren Städten wie Bremerhaven an
der kreativen, künstlerischen und studentischen Szene fehlt, die für
Stadterneuerungsprozesse bzw. die Initiierung von alternativen Stadt-
gestaltungen so wichtig ist, wie man beispielsweise an Berlin sehen
kann.
Zweifellos stellt das Designlabor Bremerhaven ein großes Potential
auch für den Ortsteil Goethestraße dar. Fruchtbar könnte unter
Umständen eine Kooperation der Institution mit der „theo“ sein, da
einerseits das Designlabor das nötige Know-how im Bereich Design,
Produktgestaltung und kreativer Ideenfindung besitzt, während die
Theo durch ihre Stadtteilarbeit viel mit den Menschen im Quartier in
Kontakt kommt, Räumlichkeiten zur Verfügung stellen kann sowie viel
Kompetenz im sozialen und wirtschaftlichen Bereich mitbringt.
85
2.6 Zwischenfazit: Zentrale erkenntnisse der analyse
In einem Zwischenfazit sollen die wichtigsten Erkenntnisse aus der
Analyse hier noch einmal kurz zusammengefasst werden. Der Fokus
liegt dabei auf jenen Punkten, die sich für das Konzept als besonders
relevant erwiesen haben, aus denen also Handlungsfelder und Zielset-
zungen für die weitere Arbeit abgeleitet wurden:
1. Der Leerstand im Quartier, bedingt durch starke Abwanderungs-
tendenzen, schreitet voran und stellt ein enormes Problem dar. Dabei
verteilen sich allerdings Leerstände wie auch Lücken nicht gleichmäßig
über den gesamten Ortsteil, sondern konzentrieren sich an bestimmten
Stellen. Ein Abriss maroder Gebäude ist in vielen Fällen mittlerweile
kaum noch zu vermeiden, es werden folglich weitere Baulücken
hinzukommen.
2. Die klassischen Instrumente der Stadtplanung alleine scheinen ganz
offenbar nicht auszureichen, um das Viertel nachhaltig zu stabilisieren,
geschweige denn aufzuwerten. Durch diverse Stadtumbauprojekte
und Förderprogramme wurden zwar an einzelnen Stellen bauliche
Verbesserungen erreicht – die wie „die theo“ auch die soziale Infra-
struktur stärken – diese können aber die Abwärtsspirale, in dem sich
der Ortsteil Goethestraße befindet, bislang nicht aufhalten. Ein Problem
in diesem Zusammenhang ist zweifellos die starke Abhängigkeit von
öffentlichen Geldern (die in Zeiten leerer Gemiendekassen zukünftig
zudem eher spärlicher als bisher fließen dürften). Neben den finanziellen
Mitteln sind auch die personellen Ressourcen der Stadtplanung in
Bremerhaven beschränkt. Andererseits finden sich in- und außerhalb
des Ortsteils zahlreiche engagierte Akteure, sowohl aus dem zivilgesell-
schaftlichen als auch aus dem institutionellen Bereich.
3. Die Bremerhavener Wirtschaft wurde in den vergangenen
Jahrzehnten von mehreren Strukturkrisen hart getroffen, unzählige
Arbeitsplätze in hafenabhängigen Betrieben gingen dabei verloren.
Hinzu kam der Abzug der amerikansichen Streitkräfte, der auf Kaufkraft
wie Arbeitsmarkt ebenfalls nachteilige Effekte hatte. Mittlerweile setzt
die Stadt recht erfolgreich auf die Förderung und Neuansiedlung von
Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, der Logistik
sowie der Nahrungsmitteltechnologie, daneben existieren diverse
Forschungs- und Hochschuleinrichtungen, deren Beschäftigtenzahl
86
aller Voraussicht nach weiter zunehmen wird. Allerdings bietet der
tertiäre, größtenteils stark wissensbasierte Sektor so gut wie keine
Arbeitsplätze für jene gering Qualifizierten, die zuvor im primären
(Fischfang) und sekundären (v. a. Schiffbau) Sektor tätig waren. Die
Arbeitslosigkeit in der Gesamtstadt ist hoch, wird allerdings noch weit
übertroffen von der Quote, die der Ortsteil Goethestraße zu verzeichen
hat. Andererseits scheint es dort sehr viele potentielle Existenzgründer
zu geben, wie etwa die lange Warteliste der „theo“ belegt. Zugleich
zeigt sich, dass trotz des Leerstands vielfach geeignete Räume fehlen.
4. Der Ortsteil Goethestraße verfügt aufgrund der baulichen Mängel
wie der sozialen Probleme über ein extem schlechtes Image in
Bremerhaven. Allerdings ist er weder bei den Bewohnern noch in
der Gesamtbevölkerung als „Quartier“ im Bewusstsein, sondern wird
dem Stadtteil, zu dem er gehört, d. h. Lehe, zugerechnet. Potentiell
attraktiv ist er als Wohnstandort aufgrund seiner sehr zentralen Lage,
zudem hebt er sich wegen der besonderen städtebaulichen Struktur
und des hohen Altbaubestands deutlich von anderen Bremerhavener
Vierteln ab, er besitz damit gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal
innerhalb der Stadt.
87
2.7 Potentialkarten
Methodisch wie inhaltlich (sowie auch im Hinblick auf den Projekt-
verlauf) sind die Potentialkarten zwischen Analyse und Konzept
angesiedelt. Sie wurden zu einem Zeitpunkt erstellt, als die Analyse
bereits abgeschlossen und das Konzept, die Toolbox, in Grundzügen
entwickelt war. Die Notwendigkeit, einer solchen Karte zeigte sich, als
bei der Erarbeitung der ersten Tools die Frage auftauchte, wo diese
im Projektgebiet konkret zu verorten seien. Erst wenn dies geklärt ist,
lässt sich nämlich mit einiger Gewissheit beurteilen, ob und wie die
vorgeschlagenen Projekte, die in anderen Städten bereits funktionieren,
auf das Quartier übertragbar sind. Bei einer weiteren Ortsbegehung
wurden daher also die räumlichen Potentiale noch einmal gesondert
untersucht und in drei Karten dargestellt, die die Bestandskarten zu
Gebäudezustand, Leerstand und Nutzungsstruktur ergänzen.
Auf der Übersichtskarte (Abb. 30) lässt sich zunächst einmal ablesen,
welche Bedeutung die Hafenstraße für die Nahversorgung besitzt:
Praktisch alle Geschäfte im Untersuchungsgebiet konzentrieren
sich entlang dieser Achse, die trotz vereinzeltem Ladenleerstand im
Großen und Ganzen „funktioniert“. Einige wenige Nahversorgungs-
einrichtungen befinden sich darüber hinaus in der zentral gelegenen
Goethestraße, die im Norden zudem einen kleinen, beinahe trichter-
förmigen Platz besitzt, der wie eine Art Quartierseingang wirkt bzw.
als solcher fungieren könnte. Desweiteren dargestellt ist die fußläufige
Entfernung zum Wasser, d. h. zum Hafen in der Wesermündung,
sowie zur Innenstadt. Die vom Vorkaufsortsgesetz betroffenen Häuser
dürfen insofern als Potentiale gelten, da sie – im Gegensatz zu anderen
Schrottimmobilien, die unter Umständen noch über Jahre hinweg ihre
negative Wirkung verbreiten – in Kürze abgerissen werden, so dass die
Grundstücke für eine neue Nutzung zur Verfügung stehen. Schließlich
finden sich in der Karte zwei horizontale Zäsuren, von denen die erste
auf Höhe der Kistnerstraße eine Änderung der Nutzungsstruktur der
Goethestraße markiert: Während im nördlichen Teil noch Ladenlokale
zu finden sind, existieren solche im südlichen Abschnitt der Straße nicht
mehr. Die Zollinlandstraße, eine Parallelstraße weiter südlich, stellt zum
einen eine Zäsur im Hinblick auf den Charakter der Goethestraße dar,
die sich ab hier verengt und von einer zentralen Erschließungsstraße zu
einer reinen Anliegerstraße wird. Zum anderen verändert sich südlich
davon auch die städtebauliche Struktur, da dort zahlreiche Nachkriegs-
88
gebäude die gründerzeitlichen Blöcke ergänzen bzw. schließen und
zudem die Geschosshöhe tendenziell abnimmt, in einigen Straßen auf
nur noch zwei bis drei Stockwerke.
Bereits vermerkt sind auf der Übersichtskarte auch die beiden im
Zuge der Kartierung definierten „Keimzellen“, die im Folgenden jeweils
separat im Detail dargestellt werden (Abb. 31 und 32). Keimzelle 1
liegt im Nordosten des Gebiets, das im Vergleich zu den vorherigen
Kartendarstellungen bereits an der Frenssenstraße endet, da sich
im Zuge der Analyse ein Kerngebiet herausgebildet hat, das das
nördlich davon gelegenen Areal nicht miteinschließt (vgl. Kapitel 2.2.1).
Das „Schlüsselgebäude“ ist hier ganz eindeutig „die theo“, da sie
aufgrund ihres hervorragenden baulichen Zustands wie auch ihrer
Nutzung eine positive Wirkung oder zumindest Ausstrahlung auf ihre
Umgebung besitzt. Eventuell kann auch dem Leher Jugendtreff eine
solche Funktion zukommen. In der Umgebung der „theo“ finden sich
einige weitere Gebäude, die dank ihres guten Erhaltungszustands und
ihrer optischen Anmutung als „besonders schöne Häuser“ klassifiziert
wurden. Weshalb auch sie ein Potential darstellen, wird deutlich, wenn
man die Aussagen von Akteuren wie den Bewohnern des Mehrgene-
rationenhauses oder dem Geschäftsführer der Stäwog berücksichtigt,
dass gepflegte Gebäude die Nachbarschaft aufwerten (während
umgekehrt marode Häuser benachbarte „anstecken“ können). Gastro-
nomische Einrichtungen, Spielplätze, besonders schöne begrünte
Innenhöfe sowie ein erhöhtes Passantenaufkommen zählen aus
jeweils nachvollziehbaren Gründen ebenfalls zu den Potentialen, zu
denen nicht zuletzt auch die Brachflächen zu zählen sind, auch wenn
sie momentan zum Teil noch durch physische Barrieren, d. h. Zäune,
abgetrennt sind.
Die zweite Keimzelle liegt sehr zentral im Zentrum des Quartiers, ihr
Kern befindet sich in der Goethestraße etwa auf Höhe der Adolfstraße.
Dieser Abschnitt der von Nord nach Süd verlaufenden Mittelachse,
die dem Ortsteil ihren Namen gibt, weist eindeutig den stärksten
Passantenverkehr auf, außerdem spielen hier zahlreiche Kinder auf
der verkehrsberuhigten Straße und den breiten Gehwegen. Neben
baumbestandenen Innenhöfen fallen die zum Teil liebevoll gepflegten
und bepflanzten kleinen Vorgärten vor allem auf der westlichen Seite
der Goethestraße auf. Nahversorgungseinrichtungen, Gastronomie und
ein Friseur finden sich hier ebenso wie soziale Einrichtungen, etwa die
Kindernachmittagsbetreuung Rückenwind e. V. (s. dazu auch Kapitel
92
Abbildung 30: Potentialkarte Ortsteil Goethestraße
Abbildung 31: Potentialkarte Keimzelle 1
Abbildung 32: Potentialkarte Keimzelle 2
4.1), hinzu kommt als eines der Schlüsselgebäude das Mehrgenerati-
onenhaus in der Goethestraße 43. Als potentielles Schlüsselgebäude
wurde zudem ein Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße
ausgemacht, das momentan leersteht, aber dank seiner exponierten
Lage für vielfältige Nutzungen infrage kommt. Unbesetzte Räume
stellen daneben zwei kleinere Brachflächen in Baulücken dar.
93
3. Konzept
96
Abbildung 33: Eines der prämierten Bilder der Kinder-Fotosafari
97
3.1 Zentrale Projektfragen
Auf Grundlage der wichtigsten Analyseerkenntnisse formulierte die
Gruppe im weiteren Projektverlauf eine Reihe von Fragen, aus denen
wiederum die Leitgedanken und zentralen Kategorien des Konzepts
abgeleitet wurden. Um diesen Prozess auch im Rahmen dieses
Berichts anschaulich und nachvollziehbar zu machen, entspricht dabei
je eine Frage einem der unter Kapitel 2.7 aufgeführten Punkte, die
ebenfalls bereits vier Oberthemen zugeordnet sind.
1. Zweifellos stellt die hohe Leerstandquote im Ortsteil Goethestraße
ein großes Problem dar. Der Verfall vieler davon betroffener Gebäude
schreitet voran, was sich wiederum negativ auf die noch intakten
Gebäude, auf die Lebensumstände der Bewohner sowie nicht zuletzt
auch auf das Image des Viertels auswirkt. Einen ähnlichen Effekt haben
momentan die Baulücken, da durch sie die nach wie vor prägende
Blockrandstruktur zerstört wird. Ohne Nachnutzung bleiben Brach-
flächen zurück, die das Stadtbild nicht nur optisch beeinträchtigen,
sondern auch auf symbolischer Ebene den Niedergang verkörpern.
Andererseits ließe sich die Frage stellen, ob und inwiefern Leerstand,
Lücken und Brachen nicht auch als Chance begriffen werden können,
d. h., ob und wie sie sich eventuell für eine zukünftige Aufwertung
dieses dichten, innenstadtnahen Wohnviertels nutzen lassen. Also:
Leerstand und Baulücken als Potential?
2. Die bisherigen Bemühungen und Maßnahmen der Stadtplanung zur
Aufwertung des Ortsteils Goethestraße werden durchaus anerkannt. Da
sie aber offensichtlich alleine nicht ausreichen, das Viertel zum Kippen
zu bringen, müssen weitere Akteure gefunden werden, die hier einen
positiven Einfluss ausüben. Die im Projektverlauf interviewten Personen
sowie die durch sie vertretenen Einrichtungen, zählen bereits jetzt
dazu. Daneben gilt es jedoch, weitere potentielle „Kümmerer“ auf allen
Ebenen zu identifizieren und nach Möglichkeiten zu suchen, wie diese
besser eingebunden bzw. selbst in die Lage versetzt werden können,
ihre Ideen zu verwirklichen. Kurz: Wer sind die Kümmerer und wie
können sie aktiviert werden?
3. Der Fokus städtischer Wirtschaftsförderung liegt meist auf Großbe-
trieben einerseits und andererseits auf dem breiten Spektrum an
wissensbasierten Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung,
98
Informations- und Hochtechnologie etc. Auf diesen Feldern hat auch
Bremerhaven in den vergangenen Jahren einigen Erfolg vorzuweisen,
vorbildlich ist zudem die Unterstützung für junge Startup-Unternehmen
insbesondere aus der IT-Branche. Potentielle Existenzgründer
finden sich allerdings nicht nur in den genannten Sparten, sondern
auch in weniger prestigeträchtigen und medienwirksamen Beschäf-
tigungsfeldern, etwa dem Handwerk, der Beratung, den sozialen
Dienstleistungen sowie dem sonstigen Servicebereich. Mit der „theo“
steht eine erste Anlaufstelle für Menschen zur Verfügung, die sich trotz
geringer finanzieller Mittel selbständig machen wollen. Hier stellt sich
die Frage: Wie können diese lokalen Ökonomien unterstützt werden?
4. Hinlänglich beschrieben wurde bereits das Imageproblem, unter
dem der Ortsteil Goethestraße seit mittlerweile vielen Jahren leidet. Zu
den tatsächlichen Mängeln und Nachteilen treten dabei verstärkend
zahlreiche Vorurteile sowie verzerrte bzw. übertriebene Darstellungen
hinzu, die die öffentliche Wahrnehmung zusätzlich negativ beeinflussen.
Von den Bewohnern selbst wird die Situation zwar ebenfalls als proble-
matisch wahrgenommen, ihr Bild entspricht jedoch nicht annähernd
dem der Bremerhavener Gesamtbevölkerung. Dass sich das Image
eines Viertels im Laufe der Zeit wandelt, mal zum Positiven, mal zum
Negativen, stellt im Übrigen keine Ausnahme, sondern vielmehr den
Normalfall dar. Allerdings ist dies kein unabänderliches Schicksal, da
dieser Prozess gezielt beeinflusst werden kann, zumal wenn objektive
Potentiale vorhanden sind. Deshalb zuletzt die Frage: Wie lässt sich
das Image des Ortsteils Goethestraße verbessern?
99
3.2 Vision „Bürgerstadt Goethequartier“
Im Rahmen der Konzeptentwicklung entwarf die Projektgruppe für den
Ortsteil Goethestraße eine Vision, die als (vorläufiges) Leitbild dienen
sollte, an dem sich die einzelnen Bestandteile des Konzepts ausrichten.
Hierbei wurde versucht, sämtliche der oben dargestellten Themenfelder
und zentralen Projektfragen zu integrieren und auf ein prägnantes
Bild zu verdichten. Es lautet: „Unter Nutzung der Möglichkeitsräume
entsteht eine „Bürgerstadt‘ Goethequartier“.
Der Begriff „Möglichkeitsräume“ greift dabei die unter Kapitel 3.1
ausgeführte Überlegung auf, dass Leerstand und Baulücken derzeit
zwar vor allem als Mangel wahrgenommen werden, prinzipiell jedoch
auch ein Potential darstellen, da sie vielfältige neue Nutzungen ermög-
lichen. Welche Räume genau darunter zu verstehen sind, wird unter
3.3.1 näher ausgeführt und visuell anhand einer „Typologie der Möglich-
keitsräume“ verdeutlicht. Als Nutzer der leerstehenden Wohnungen
und Ladenlokale, aber auch der Baulücken kommen unter anderem
natürlich Existenzgründer, also Vertreter der lokalen Ökonomien,
infrage, weshalb gerade für sie solche freien (und vergleichsweise
günstigen!) Flächen eine große Chance darstellen.
Die „Bürgerstadt“ leitet sich ab aus der Erkenntnis, dass neben den
klassischen, d. h. institutionell verankerten, Akteuren der Stadtplanung
viele weitere vorhanden sind, die der zivilgesellschaftlichen Sphäre
entstammen und sich freiwillig bzw. ehrenamtlich für die Gesell-
schaft einsetzen. Ein Beispiel ist der Rückenwind e. V., der für sozial
benachteiligte Kinder aus dem Ortsteil Goethestraße eine kostenlose
Nachmittagsbetreuung inklusive Abendessen anbietet. Andere, wie
die Bewohner des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße
43, haben zwar primär ihre eigenen Interessen im Blick, interagieren
darüber hinaus aber in vielfältiger Weise mit ihrer Umgebung und wirken
nicht zuletzt auch indirekt positiv auf ihr Lebensumfeld ein, etwa durch
die Vorbildfunktion, die sie ausüben. Wiederum andere engagieren sich
– zum Teil jenseits ihres eigentlichen Auftrags bzw. aus persönlicher
Betroffenheit stärker als gewöhnlich – im Rahmen ihrer beruflichen
Funktion, so etwa der Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft
Stäwog. Weitere tatsächliche und potentielle „Kümmerer“ traten zum
Beispiel bei den Leher Sommer-Kulturwochen 2011 in Erscheinung (s.
dazu Kapitel 4.2), etwa der Vorsitzende der ESG Lehe als Mitinitiator
100
oder die Organisatoren und Helfer dieser Veranstaltung, die größtenteils
unbezahlt ihren Dienst versahen.
Solches und ähnliches bürgerschaftliches Engagement wird in Zukunft
ohne Zweifel verstärkt notwendig sein, wenn heute selbstverständ-
liche kommunale Leistungen (etwa im Bereich Bildung, Soziales und
Kultur, aber auch bei der Gestaltung und Pflege des öffentlichen
Raumes) auch zukünftig gewährleistet sein sollen. Kritiker mögen hier
– durchaus zurecht – den Rückzug des Staates aus seiner bisherigen
Verantwortung beklagen, doch angesichts der finanziellen Schieflage
vieler Kommunen sowie anhaltender wirtschaftlicher Schwäche, hoher
Arbeitslosigkeit, Abwanderung und demografischem Wandel bleibt
ihm vielerorts vermutlich gar keine andere Wahl mehr, als immer mehr
Aufgaben von der staatlichen auf die zivilgesellschaftliche Ebene zu
verlagern. Andererseits hat sich der Staat in der Vergangenheit nicht
immer als effizienter und erfolgreicher Problemlöser erwiesen, weshalb
verstärkte Bürgerbeteiligung und Selbstorganisation – nicht nur in der
Planung, sondern auch der Umsetzung – nicht nur als Notlösung,
sondern vor allem als Chance betrachtet werden sollten.
Das Konzept der „Bürgerstadt“ bzw. der „Bürgergesellschaft“, dessen
profilierteste Vertreter die Soziologen Ulrich Beck und Amitai Etzioni
sind, wird im Rahmen dieses Projekts keinesfalls so verstanden, dass
sich der lokale Staat als Akteur der Stadtentwicklung, d. h. hier der
Aufwertung des Ortsteils Goethestraße, zurückziehen und das Feld
den Bürgerinnen und Bürgern überlassen sollte. Vielmehr geht es
darum, dass Stadt und Stadtplanung sich zukünftig verstärkt darum
bemühen, interessierte Bewohner organisatorisch und rechtlich zu
unterstützen sowie eventuell zu qualifizieren, um sie damit in die Lage
zu versetzen, ihre Projekte eigenständig zu verwirklichen. Das Ideal ist
somit der „aktivierende und befähigende Staat“, wie er beispielsweise
von Anthony Giddens propagiert wird. Seine theoretischen Wurzeln hat
dieses Konzept in der angloamerikanischen Tradition der handlungs-
orientierten Philosophie des Kommunitarismus, der – anders als in den
stark sozialstaatlich geprägten Ländern Mitteleuropas oft behauptet
– durchaus an den gesellschaftlichen Zielen des sozialen Ausgleichs
und der sozialen Emanzipation festhält, diese jedoch in eine Balance zu
bringen versucht mit dem Anspruch größtmöglicher Freiheit und Eigen-
verantwortung des Individuums. Konkret setzt dieses Konzept dabei
vor allem auf die Stärkung von Nachbarschaftsbeziehungen und der
Förderung gemeinsamer Kommunikation.
101
Das Grundproblem, das sich in diesem Zusammenhang allerdings
stellt, ist, dass Menschen mit höherer Bildung, die sich in gesicherten
Verhältnissen befinden, weitaus eher bereit sind, sich bürgerschaftlich
zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen als jene, deren
Lebenssituation prekär ist. Dass jedoch auch solche Personen aktiviert
werden können, zeigt wiederum das Beispiel des Rückenwind e.
V., wo zumindest einige der Betreuerinnen ganz offenbar selbst aus
schwierigen sozialen und ökonomischen Verhältnissen stammen. Der
Schlüssel scheint hierbei die direkte persönliche Betroffenheit der
Frauen zu sein, deren Kinder zumeist ebenfalls die Nachmittagsbe-
treuung besuchen. Die Initiative für ein Projekt allerdings wird in den
allermeisten Fällen von Menschen ausgehen müssen, die aufgrund
ihrer (früheren) beruflichen Tätigkeit, ihrer sonstigen Qualifikationen
und Fähigkeiten, ihrer Vernetzung etc. für die Rolle des „Kümmerers“
prädestiniert sind. Dies gilt es auch bei der Beurteilung der folgenden
konzeptionellen Vorschläge im Auge zu behalten.
Der Begriff „Quartier“, das letzte Element der Vision, schließlich soll
betonen, dass es von der Projektgruppe als wünschenswert erachtet
wird, dass der Ortsteil Goethestraße innerhalb wie außerhalb dieses
Gebiets künftig weitaus stärker als Einheit wahrgenommen wird. Statt
der bisherigen administrativen Bezeichnung wurde mit „Goethequartier“
ein wesentlich prägnanterer Name gewählt, der zugleich eine gewisse
emotionale Verhaftung mit diesem Raum ausdrückt. Sowieso sprechen
die meisten Menschen bislang meist nur von „Lehe“ – und assoziieren
damit eher Negatives, während das „Goethequartier“ noch unbelastet
ist, so dass im Idealfall ein vollkommen neues Image geprägt werden
kann. Im Gegensatz zu unzähligen Investoren-Architekturträumen,
denen das „Quartier“ als komplett beliebiges und artifizielles Etikett
„aufgeklebt“ wird, um so die Immobilien besser vermarkten zu können,
handelt es sich beim Goethequartier in großen Teilen um ein histo-
risch gewachsenes Viertel, das sich durch seine relativ homogene,
in Bremerhaven einzigartige Bausubstanz auszeichnet. Zudem lässt
es sich vergleichsweise leicht von seiner Umgebung abgrenzen und
erscheint auf einer Kartendarstellung als markantes Dreieck.
„Möglichkeitsräume“, deren vielfältige, zumindest partiell lokalöko-
nomische, neue Nutzungen zu einer Aufwertung ihrer Umgebung
beitragen, eine aktive Bürgergesellschaft, die (unterstützt durch einen
ermöglichenden kommunalen Staat) viele ihrer Belange selbst in die
Hand nimmt und ein klar wahrnehmbares Quartier, das ein positives
Image besitzt – so lautet also die Vision, an der sich die nun folgenden
Konzeptvorschläge orientieren. Im Anschluss soll das hier entworfene
Szenario noch einmal anhand der einzelnen Konzeptbausteine konkre-
tisiert und auf seinen Wahrscheinlichkeitsgehalt hin überprüft werden.
3.3 toolbox
zwei
Das Konzept, das wir, das „Projekt Goethequartier“, für den Ortsteil
Goethestraße vorschlagen, besteht nicht aus einer fertigen, in sich
geschlossenen Strategie, sondern besitzt die Form einer sogenannten
„Toolbox“ (was auf Deutsch nichts anderes heißt als Werkzeugkasten).
Dies bedeutet, dass die einzelnen Maßnahmen, die Tools oder
Werkzeuge, vollkommen unabhängig voneinander funktionieren und
somit jederzeit auch einzeln angewandt werden können. Warum das
so sein soll, wird verständlich, wenn man einmal betrachtet, an wen
sich dieser Maßnahmenkatalog in erster Linie richtet: Nicht an „die
Stadt“ oder das Stadtplanungsamt, sondern an einzelne Personen
oder kleine Gruppen, die in ihrem Viertel selbst etwas bewegen wollen.
Und anders als die eben genannten Institutionen, sind solche Akteure
normalerweise natürlich nicht in der Lage, langfristige, koordinierte
Strategien umzusetzen und große Projekte zu stemmen, wie sie in
stadtplanerischen Konzepten ansonsten häufig vorgeschlagen werden.
Dazu fehlen neben den finanziellen Mitteln meist auch die personellen
Ressourcen, ganz zu schweigen von der demokratischen Legitimation,
die man braucht, um im Großen etwas zu verändern. Kleine Projekte
hingegen benötigen oft nicht mehr als drei, vier engagierte Menschen
mit viel Tatkraft und Enthusiasmus, eine überschaubare Summe an
Geld und von Fall zu Fall vielleicht noch ein wenig guten Willen und
Kooperationsbereitschaft seitens der Behörden, die das Ganze geneh-
migen müssen.
Welche Kosten jedes der von uns vorgeschlagenen Tools mit sich
bringt, wie lange die Umsetzung dauert, welche Rechtsform sich dafür
anbietet, wo eventuelle Hürden und Hemmnisse liegen, an welchem
Ort es möglicherweise verwirklicht werden könnte und vor allem, wo
das jeweilige Projekt bereits erfolgreich funktioniert (hat) – all das soll
in dem nun folgenden Katalog beantwortet werden. Dieser setzt sich
zusammen aus einer steckbriefartigen Zusammenfassung aller 15
Tools, die anschließend dann ausführlich beschrieben werden. Zuvor
allerdings möchten wir noch kurz jene vier Handlungsfelder vorstellen,
denen sich die Maßnahmen und Projekte jeweils zuordnen lassen.
Sie haben sich ergeben aus einer umfangreichen Analyse, die wir,
eine Gruppe von Stadtplanungsstudenten der HafenCity Universität
Hamburg, über Monate hinweg im Ortsteil Goethestraße durchge-
führt haben. Trotzdem sind natürlich Sie, die Leser (und hoffentlich
irgendwann auch Nutzer!) unseres Konzepts, der Toolbox, die eigent-
lichen Experten. Jedenfalls sofern Sie in Bremerhaven und vielleicht
drei
sogar im „Goethequartier“ leben. Deshalb sind wir interessiert an allen
Ideen und Vorschlägen Ihrerseits – spontanen, noch unausgegorene
wie auch konkreten – und freuen uns darüber, wenn Sie uns diese
mitteilen wollen. (Sie erreichen uns übrigens unter: goethequartier@
googlemail.com und finden uns auch auf Facebook). Schließlich ist es
ja gerade das Prinzip der Toolbox, dass sie jederzeit erweitert werden
kann – während andere Tools, die sich als unbrauchbar erweisen,
daraus möglicherweise irgendwann auch wieder verschwinden.
vier
1) MöGlichkeitSräuMe
Unter „Möglichkeitsräumen“ verstehen wir sämtliche Räume, ob in
geschlossenen Gebäuden oder im Freien, die momentan nicht oder
nicht ausreichend genutzt werden, aber in Zukunft für eine neue, zum
Teil dauerhafte, zum Teil auch nur temporäre Nutzung infrage kommen.
Da sie zumeist noch in keiner Weise festgelegt sind, stehen sie für
alle Möglichkeiten offen, sie bieten Raum für verrückte Fantasien und
wilde Träumereien, ebenso wie für sehr konkrete Planungen. Da sich
andererseits jedoch nicht jede Idee an jedem Ort verwirklichen lässt
und manche Räume für bestimmte Nutzungen besser geeignet sind
als andere, haben wir eine kleine „Typologie der Möglichkeitsräume“
erstellt: Mit Hilfe von Piktogrammen, also kleinen symbolischen Bildern,
wird die jeweilige Raumsituation dargestellt und durch jeweils ein
beispielhaftes Foto illustriert. Und so betrachtet wird eine Baulücke
vielleicht auf einmal zu einem „Möglichkeitsraum“ für eine abendliche
Filmvorführung, ein leerstehendes Ladenlokal bietet Potential für
ein neues, innovatives Geschäftskonzept, und wo heute noch ein
abbruchreifes Gebäude steht, kann schon morgen ein Garten auf Zeit
entstehen.
Zum ersten ist da natürlich die klassische Baulücke, also eine Brach-
fläche, die entstanden ist, nachdem ein Gebäude aus einem Block
herausgerissen wurde. Stand dieses Gebäude an einer Ecke, so
hinterlässt sein Abriss eine „Ecklücke“, also eine Brachfläche, die
zumeist deutlich größer ist und sich in exponierterer Lage befindet
als eine Lücke innerhalb eines Blocks. Einzelne Flächen liegen auch
bereits seit vielen Jahren brach und sind inzwischen mit hohen
Bäumen bewachsen, was manche Nutzungen ausschließt. An anderen
Stellen lassen sich möglicherweise der Blockinnenhof hinter der Lücke
(oder zumindest Teile davon) in eine neue Nutzung mit einbeziehen.
Schließlich gibt es das verlassene Ladenlokal und die leerstehende
Abbildung (1): Klassische Baulücke
Wohnung sowie nicht zuletzt die zukünftige bzw. entstehende
Baulücke, das heißt Häuser, die in absehbarere Zeit abgerissen und
dadurch schon heute vom „Schandfleck“ zum „Möglichkeitsraum“
werden.
fünf
Abbildung (3): Baulücke mit größerem Baum
Abbildung (2): „Ecklücke“
sechs
Abbildung (4): Baulücke inklusive Blockinnenhof
Abbildung (5): Leerstehendes Ladenlokal im Erdgeschoss
sieben
Abbildung (6): Zukünftige bzw. entstehende Baulücke
Abbildung (7): Leerstehende Wohnung
zehn
neun
2) küMMererkonZePte
Ein „Kümmerer“ ist ganz allgemein gesprochen ein Mensch, der sich
für ein Projekt oder für seine Mitmenschen engagiert, der sich nicht mit
den Gegebenheiten abfindet, sondern im Rahmen seiner Möglichkeiten
etwas bewegen will, der Ideen hat, wie man die eigene Nachbarschaft,
das eigene Viertel zum Positiven verändern kann, und diese dann auch
umzusetzen versucht. Dazu wird er als Veranstalter und Organisator
tätig, ist Ansprechpartner für andere Interessierte und animiert diese
dazu, sich für seine Sache – die damit zur gemeinsamen Sache wird
– einzusetzen. Neben Organisationstalent verfügt er zumeist über gute
Kontakte zu verschiedenen Akteuren (oder ist in der Lage, diese rasch
aufzubauen), er ist kommunikativ und hat, sofern bei dem Projekt Geld
im Spiel ist, ein gewisses Grundverständnis in wirtschaftlichen und
finanziellen Fragen. Dabei kann fast jeder ein Kümmerer sein, ob er
nun im Rahmen seiner bezahlten Arbeit außergewöhnlich stark für ein
bestimmtes Anliegen eintritt oder ob er ehrenamtlich, neben oder nach
seinem Berufsleben aktiv wird. Und manchmal kann aus einer Tätigkeit
als Kümmerer mit der Zeit sogar ein Beruf werden…
Im Goethequartier und in Bremerhaven haben wir bei unserem Projekt
eine ganze Reihe von Kümmerern kennengelernt: die Verantwort-
lichen der „theo“ beispielsweise, den Geschäftsführer der Stäwog, die
Initiatoren des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 und
nicht zuletzt auch die außerordentlich engagierten Ehrenamtlichen und
zu geringen Bezügen Angestellten des Rückenwind e. V., mit denen
zusammen wir eine Kinder-Fotosafari veranstalten durften. Auch bei
den Leher Sommer-Kulturwochen 2011, bei denen wir die Fotos
der Kinder in der Kulturwohnung ausgestellt haben, sind uns solche
Menschen begegnet, nicht zuletzt die Organisatoren dieser tollen
Veranstaltungsreihe selbst. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass es
viele weitere potentielle Kümmerer gibt, die Lust haben, ihren eigenen
zehn
3) lokale ökonoMien
Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die es sich weder zeitlich
noch finanziell leisten können, sich als Kümmerer zu engagieren, die
sich um ihr eigenes berufliches Fortkommen sorgen müssen und daher
voll auf ihre Arbeit konzentriert sind. Andererseits ist die Zahl derer, die
keine Arbeit haben, im Ortsteil Goethestraße wie auch in Bremerhaven
insgesamt enorm hoch, viele Jobsuchende hier hoffen zum Teil schon
lange vergeblich darauf, in dieser Stadt eine Stelle zu finden. Dabei ist
es gar nicht mal unbedingt so, dass diese Menschen nicht können. Im
Gegenteil, viele von ihnen haben mal einen Beruf erlernt und würden
gerne wieder darin arbeiten. Oder haben eine tolle Geschäftsidee,
die sie unbedingt in die Tat umsetzen wollen. Um solchen Leuten
den (Wieder-)Einstieg in den Job zu erleichtern, bietet „die theo“ auf
einer ganzen Etage Räume für Existenzgründer an, wo diese zu sehr
geringen Mieten ein Büro zur Verfügung gestellt bekommen, inklusive
zwanglosem Kontakt zu anderen Selbstständigen, die sich in einer
ähnlichen Situation befinden, etwa beim wöchentlichen gemeinsamen
Frühstück.
Dieses Konzept hat uns beeindruckt. Allerdings reichen die Kapazitäten
der „theo“ bei weitem nicht aus, um allen, die sich darum bewerben,
auch tatsächlich einen Raum anzubieten. Viele der potentielle Gründer
müssen stattdessen mit der Warteliste vorliebnehmen und bekommen
ihre Chance somit eventuell erst in einigen Jahren. Und damit bleibt
Beitrag zu leisten, dass ihre Nachbarschaft, ihr Quartier vorankommt.
Ihnen wollen wir mit dieser Toolbox eine erste kleine Hilfestellung
geben.
elf
eine gute Idee für weitere Jahre in der Schublade, ein weiterer Mensch
bleibt ohne bezahlte Arbeit und andere, denen er vielleicht irgendwann
eine Stelle geboten hätte, müssen ebenfalls weiter warten.
Neben Tools, die auf Kümmererkonzepten basieren enthält die Toolbox
daher auch eine Reihe von Vorschlägen, die darauf abzielen, die lokalen
Ökonomien, d. h. vor allem Existenzgründer und Selbständige, zu
stärken – damit das Goethequartier irgendwann sein eigenes kleines
„Wirtschaftswunder“ erlebt.
4) MarketinGinStruMente
„Marketing? Das ist doch viel heiße Luft mit nichts dahinter!“ – so
denken viele unwillkürlich, wenn sie diesen Begriff hören. Zumal, wenn
es dabei um Städte geht. Denn eine Stadt ist doch nun einmal, was sie
ist, ebenso wie auch ein Stadt- bzw. Ortsteil immer der gleiche bleibt,
ob nun mit Marketing oder ohne. Oder etwa nicht? Wir sagen ganz
klar, „Nein“, denn wir sind davon überzeugt, dass sich durch Marketing
viel verändern lässt, weshalb dieses Instrument unserer Auffassung
nach auch zu jedem guten Konzept dazugehört. Denn zum einen ist
Marketing viel mehr als „Werbung“, auch wenn es damit umgangs-
sprachlich häufig gleichgesetzt wird, zum anderen sehen wir, dass man
beim Ortsteil Goethestraße gar keine „heiße Luft“ produzieren muss,
denn dort ist bereits jede Menge vorhanden, auf das man aufbauen
kann. Doch zunächst zur Frage, was Marketing – das ja ursprünglich
aus der Welt der Unternehmen stammt – im Zusammenhang mit
Städten oder Quartieren überhaupt bedeutet. Um an dieser Stelle nicht
zu viel zu verraten (da gleich das erste Tool, Neighbourhood Branding,
auf diesen Aspekt ausführlich eingeht), hier nur ein paar zentrale
Gedanken: Wie wir alle wissen, besitzt jeder Stadtteil, jedes Quartier
zwölf
sein eigenes Image, seinen estimmten Ruf. Im Falle des Ortsteils
Goethestraße ist es darum im Moment leider nicht zum Besten bestellt.
Was zum Teil natürlich an den tatsächlich vorhandenen Problemen
liegt, zum Teil aber auch an den Dingen, die andere Bremerhavener,
von denen manche noch nie hier waren, über das Viertel erzählen. Die
Menschen, die selbst hier leben, sehen einiges davon möglicherweise
ganz anders, und mögen, trotz aller Schwierigkeiten, ihre Nachbar-
schaft alles in allem ganz gerne.
Auch wir glauben, dass es sich rund um die Goethestraße im Grunde
ziemlich gut wohnen lässt, dass dieses Viertel auf jeden Fall etwas
Besonderes ist und deshalb eines Tages wieder richtig attraktiv sein
kann, für junge Familien mit Kindern ebenso wie für Senioren, kurz,
dass es unglaublich viel Potential besitzt. Und damit dies alle erfahren,
damit auch die Menschen von Außerhalb in Zukunft wieder das
Positive erkennen, dazu braucht es Marketing. Zum einen sind das
natürlich die klassischen Werbemaßnahmen, zum anderen aber eben
auch tolle Projekte und interessante Veranstaltungen – so wie etwa die
Leher Sommer-Kulturwochen 2011.
Katalog
#01: Neighbourhood Branding
#02: Leerstands- und Baulückeninformationssystemsystem
#03: temporäre stadt
#04: Bauspielplatz
#05: Nachbarschaftsgärten/Interkulturelle Gärten
#06: Laden zu verschenken
#07: Probewohnen
#08: Wächterhäuser
#09: mode aus dem Quartier
#10: Öffentliche Hotspots
#11: Coworking
#12: Gastronomie
#13: Zen-Garten
#14: Altengerechtes Wohnen
#15: Balkone in Baulücken
dreizehnKatalog
kataloGAbbildung (8): Einordnung der Tools in die vier Oberkategorien
vierzehn
nutZunGShinweiSe
Die untenstehenden Symbole dienen der Orientierung innerhalb dieses
Katalogs und sollen das Auffinden von Informationen erleichtern. Ihre
jeweilige Bedeutung wird im Folgenden kurz erläutert.
Neben diesem Symbol sind die jeweiligen Referenzbeispiele
beschrieben. Es handelt sich hierbei um erfolgreiche Projekte,
Maßnahmen oder Instrumente, deren Anwendung auch im Ortsteil
Goethestraße in Frage kommt.
Weshalb die Referenzbeispiele auf das Goethequartier übertragbar sind
und wie sie sich dort umsetzen lassen, wird neben diesem Symbol
erklärt.
Die Euro-Symbole zeigen an, wie viel die Umsetzung des jeweiligen
Tools voraussichtlich kostet. Je mehr davon markiert sind, desto höher
die Kosten. Auch die Frage, ob eventuell Einnahmen zu erwarten sind,
wird hier beantwortet.
Welche Akteure das Tool umsetzen könnten und wer auf jeden Fall zu
beteiligen ist, lässt sich unter diesem Punkt nachlesen.
Hier finden sich Angaben zu Umsetzungszeitpunkt und -zeitraum. Eine
Uhr symbolisiert, dass sich das Tool rasch umsetzen lässt, drei Uhren
stehen für eine relativ lange Planungs- und Realisierungsphase.
Neben diesem Symbol ist ein Vorschlag notiert, welche Rechtsform
sich für das jeweilige Tool anbietet.
Eventuelle Konflikte oder Hemmnisse, die der Umsetzung des Tools
im Wege stehen könnten, sind hier aufgeführt. Außerdem gibt es
Hinweise, wie damit umgegangen werden kann.
Abschließend wird jedes Tools einer oder mehrerer der Oberkategorien
zugeordnet, die oben beschrieben wurden. Also: Werden Möglich-
keitsräume genutzt? Lässt sich das Tool für Marketingzwecke
verwenden? Dient es der Förderung lokaler Ökonomien? Beinhaltet es
Kümmererkonzepte?
Der nun folgende Katalog enthält insgesamt 15 Tools. Zunächst
werden diese jeweils auf einer Seite in Form eines kurzen Steckbriefs
vorgestellt. Anschließend folgt eine ausführliche Beschreibung jedes
einzelnen Tools.
fünfzehn
#01: neiGhBourhooD BranDinG
Referenz: Beteiligungsverfahren in der niederländischen Gemeinde
Hoogvliet, einer rund 20 km von Rotterdam entfernten Satellitenstadt,
die unter einem schlechten Ruf litt. Ergebnis des Prozesses war eine
signifikante Imageverbesserung.
Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße be-
sitzt ebenfalls ein negatives Image. Daher bietet sich die Durchführung
eines ähnlichen Verfahrens an, wie es im Rahmen von INTERREG IIIB
entwickelt wurde. Die Marke „Goethequartier“ könnte hierbei ein erster
Schritt auf dem Weg hin zu einem neuen Image sein.
Finanzierung: Kosten fallen lediglich für Personal (Moderatoren), Ver-
anstaltungsräume und Medienkommunikation an.
Akteure: Erwünscht ist ein möglichst großer Teilnehmerkreis,
bestehend aus Bewohnern des Viertels, Haus- und Grundstücks-
eigentümern, Wohnungsgesellschaften, Einzelhändlern etc.
Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühe Umsetzung wird empfoh-
len, die Durchführung dauert nur wenige Tage.
Rechtsraum: Informelles Beteiligungsverfahren, das keine spezielle
Rechtsform benötigt.
Konflikte/Hemmnisse: Problematisch ist die heterogene Eigentü-
merstruktur im Viertel; in anderen Fällen litt die Moderation z. T. unter
mangelnder Akzeptanz.
Übergeordnete Kategorie(n): Marketinginstrumente
kurZüBerSichten
sechzehn
Referenz: Elektronisches Baulückeninformationssystem in Berlin, Leer-
standsmelder in Hamburg
Übertragbarkeit und Implementierung: Direkte Übertragung des
Berliner Beispiels möglich, Leerstandsmelder muss den Verhältnissen
im Goethequartier angepasst werden. Baulückenkataster und freiwilli-
ge Angaben von Haus- und Wohnungseigentümern werden im Internet
veröffentlicht. Hauptadressaten des Tools sind Zwischennnutzer.
Finanzierung: Im günstigsten Fall (d. h. der Verwendung von Google
Maps wie beim Hamburger Leerstandmelder) liegen die Kosten für die
Einrichtung einer solchen Internet-Plattform bei maximal 1.000 Euro,
der Betrieb ist ebenfalls sehr günstig.
Akteure: Stadtplanungsamt, Grundstücks- und Immobilieneigentümer,
ESG Lehe
Zeitpunkt und Dauer: Das Tool sollte so zeitnah wie möglich um-
gesetzt werden, da es eine wichtige Basis für weitere Maßnahmen
darstellt. Je nachdem, welches Programm dafür gewählt wird, kann ein
solches Informationssystem innerhalb weniger Wochen einsatzbereit
sein.
Rechtsraum: Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine be-
sondere Rechtsform notwendig.
Konflikte/Hemmnisse: Aufgrund der extrem heterogenen Eigentümer-
struktur im Viertel ist die freiwillige Beteiligung eventuell gering. Fraglich
ist zudem die Finanzierung.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, lokale Ökonomien
#02: leerStanDS- unD Baulücken- inForMationSSySteM
siebzehn
#03: teMPoräre StaDt
Referenz: Provisorische Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum (Pécs),
befristeter Shared Space (Duisburg), temporäre Brücken (Istanbul), pro-
visorische Grillplätze (Basel), Open Air-Kino (Hamburg)
Übertragbarkeit und Implementierung: Denkbar sind von den
Anwohner organisierte Filmvorführungen, Märkte, Feste, Ausstel-
lungen, Musikfestivals etc. Ein Beispiel war auch die Einrichtung der
„Kulturwohnung“ während den Leher Sommer-Kulturwochen (mit Foto-
ausstellung des „Projekts Goethequartier“).
Finanzierung: Kosten variieren stark, je nach Veranstaltung. Von Null-
Euro-Projekten bis hin zu kostenintensiveren Events ist alles möglich.
Finanzielle Einnahmen, die die Ausgaben decken, sind in Einzelfällen zu
erwarten.
Akteure: Veranstalter sind in erster Linie Vereine und Bewohner-
gruppen.
Zeitpunkt und Dauer: Sehr kurzfristige Umsetzung möglich, zum Teil
auch längere Planung notwendig. Charakteristisch für dieses Tool ist
die begrenzte zeitliche Dauer aller Aktionen.
Rechtsraum: Normalerweise keine Rechtsform notwendig, z. T. emp-
fiehlt sich jedoch die Gründung eines eingetragenen Vereins oder einer
BGR. Eine Genehmigung ist im Regelfall obligatorisch.
Konflikte/Hemmnisse: Ordnungsrechtliche Vorschriften wie Brand-
schutz, sanitäre Anlagen etc. können ein Problem darstellen.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte
Referenz: Die Idee der „Gerümpelspielplätze“ stammt ursprünglich
aus Dänemark. Beispiele für Bauspielplätze in Deutschland sind der
„RaBauKi“ in Siegen oder der „Kolle 37“ in Berlin.
Übertragbarkeit und Implementierung: Im Ortsteil Goethestraße
existieren viele konventionelle Spielplätze, diese werden aber vor allem
von den älteren Kindern kaum genutzt. Die Zahl der Kinder ist über-
proportional hoch, viele stammen zudem aus sozial schwierigen
Verhältnissen. Bauspielplätze ermöglichen die Gestaltung der eigenen
Spielumgebung und verbinden dies mit pädagogischen Konzepten. Ein
Grundtsück hierfür steht im Goethequartier zur Verfügung.
Finanzierung: Die Kosten für die Realisierung sind nicht allzu hoch,
der Betrieb kann jedoch nur auf ehrenamtlicher Basis organisiert wer-
den.Hilfreich sind zudem Spendengelder und eine Teilfinanzierung über
Fördermittel.
Akteure: Optimale Kooperationspartner wären etwa der Rückenwind
e.V. und das Jugendzentrum Lehe-Treff.
Zeitpunkt und Dauer: Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeit-
nah umsetzen, da ein passendes Grundstück vorhanden ist und für
den Anfang nur wenig Material benötigt wird.
Rechtsraum: Betrieben werden Bauspielplätze in aller Regel von
einem eingetragener Verein.
Konflikte/Hemmnisse: Eventuelle Konflikte mit Anwohnern aufgrund
von Lärm sind nicht auszuschließen.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, Kümmererkonzepte
achtzehn
#04: BauSPielPlatZ
neunzehn
#05: nachBarSchaFtSGärten/ interkulturelle Gärten
Referenz: Die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße (Leipzig) und
der „Prinzessinnengarten“ in Berlin sowie diverse interkulturelle Gärten.
Übertragbarkeit und Implementierung: Wünschenswert wäre dieses
Tool wegen des geringen Grünanteils im Quartier. Für die zahlreichen
Migranten im Ortsteil Goethestraße könnten interkulturelle Gärten die
Möglichkeit für eine bessere Integration bieten. Geeignete Brachflächen
in Baulücken stehen zur Verfügung.
Finanzierung: Die Anfangsinvestitionen belaufen sich auf rund 5.000
Euro für Geräte und Material. Weitere Kosten können durch Eigenleis-
tung von Freiwilligen aufgefangen werden.
Akteure: Eigenorganisation durch die Bewohner ist realistisch. Die
jeweiligen Grundstücke müssen durch die jeweiligen Eigentümer (be-
fristet) bereitgestellt werden; idealerweise hat die Stadt die Fläche zuvor
erworben.
Zeitpunkt und Dauer: Eine Umsetzung innerhalb weniger Wochen ist
möglich, insbesondere, wenn nicht direkt in die Erde gepflanzt werden
soll. Beste Zeitpunkt für den Beginn ist der Frühling.
Rechtsraum: Die Pachtung des Grundstücks und die Vermietung der
Parzellen an die einzelnen Nutzer wird meist von einem eingetragenen
Verein übernommen.
Konflikte/Hemmnisse: Um das Konfliktpotential mit den Grund-
stückseigentümern zu minimieren, sollte die Gartennutzung zeitlich
befristet sein. Bei der Nutzung kann eine geringfügige Störung der un-
mittelbaren Anwohner nicht ausgeschlossen werden.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketing-
instrumente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte
zwanzig
#06: laDen Zu VerSchenken
Referenz: Wettbewerb „Laden zu verschenken“ in der Langen Straße
in Rostock. Gesucht wurde das innovativste Geschäftkonzept, der Ge-
winner erhielt ein Ladenlokal mietfrei für ein Jahr.
Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße
ist von hohem Ladenleerstand betroffen. Für eine Umsetzung des
Konzepts eignet sich etwa ein leersteendes Ladenlokal an der Ecke
Goethestraße/Kistnerstraße.
Finanzierung: Beim Rostocker Referenzbeispiel fielen Kosten von ca.
18.000 Euro an, hauptsächlich für die Miete des Objekts. Angesichts
der niedrigen Gewerbemieten in Bremerhaven kann diese Summe
auch geringer ausfallen.
Akteure: Veranstalter in Rostock war die Lokalzeitung, die ausführ-
lich über den Wettbewerb berichtete. In Bremerhaven kommt daher
die Nordsee-Zeitung infrage. Gewonnen werden muss auch ein Eigen-
tümer, der Interesse hat, seine Immobilie für das Projekt zur Verfügung
zu stellen.
Zeitpunkt und Dauer: Realistisch sind ungefähr drei Monate von der
Idee bis zum Ende des Wettbewerbs. Eine Umsetzung des Tools ist je-
derzeit möglich, sobald ein Ladenlokal gefunden ist.
Rechtsraum: Abgeschlossen wird ein Pachtvertrag; die Teilnehmer
des Wettbewerbs erkären ihr Einverständnis zur Medienarbeit.
Konflikte/Hemmnisse: Erschwerende Faktoren sind unklare Besitzver-
hältnisse und eventuell mangelnde Bereitschaft seitens der Eigentümer.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, lokale Ökonomien
Referenz: Probewohnen in der Innenstadt von Görlitz. Zur Verfügung
gestellt wurde dabei eine voll eingerichtete Altbauwohnung, die eine
Woche lang kostenfrei genutzt werden konnte.
Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der vergleichbaren
Situation, also der innenstadtnahen Lage in einem historischen Altbau-
viertel, würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten.
Mögliche Wohnungen sind zu Genüge vorhanden, müssten zuvor je-
doch vermutlich renoviert werden.
Finanzierung: Renovierung und Einrichtung verursachen gewisse
Kosten, darüber hinaus muss die Miete getragen werden.
Akteure: Die Wohnung könnte von der Stäwog bereitgestellt werden,
das Stadtplanungsamt und das Designlabor kommen als Partner infra-
ge, die das Projekt – ähnlich wie im Referenzfall – forschend begleiten.
Zeitpunkt und Dauer: Probewohnen lässt sich zu jedem Zeitpunkt mit
geringem Aufwand realisieren, die Dauer kann auf zunächst ein Jahr
begrenzt werden.
Rechtsraum: Die Rechtsform ergibt sich aufgrund des Veranstalters,
etwa der Wohnungsgesellschaft Stäwog.
Konflikte/Hemmnisse: Die individuelle Dauer des Probewohnens sollte
eine Woche nicht übersteigen, zudem müssen die Bewerber sorgfältig
ausgewählt werden, da andernfalls Probleme mit „Mietnomaden“ auf-
treten können, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, lokale Ökonomien
einundzwanzig
#07: ProBewohnen
zweiundzwanzig
#08: wächterhäuSer
Referenz: Das Referenzprojekt sind die „Wächterhäuser“ in Leipzig.
Dort bekommen Nutzer leerstehender Altbauten den Mietpreis erlassen
und bezahlen nur die Verbrauchskosten. Im Gegenzug kümmern sie
sich um die Renovierung der Gebäude und verhindern Vandalismus.
Der Gundsatz lautet also: „Erhalt durch Nutzung“.
Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der ähnlichen
Problematik im Ortsteil Goethestraße ist das Projekt für eine Imple-
mentierung bestens geeignet. Der Erfinder der „Wächterhäuser“,
HausHalten e.V. in Leipzig, lädt zudem ausdrücklich dazu ein, das Kon-
zept zu kopieren und stellt sämtliche Informationen zur Verfügung.
Finanzierung: Die Anfangsinvestition für die Einrichtung der „Wächt-
erhäuser“ sind recht hoch, durch ehrenamtliche Arbeit können aber
zumindest die Betriebskosten beinahe auf Null reduziert werden.
Akteure: Kooperationspartner können die Stadt Bremerhaven und die
Stäwog sein, potentielle Nutzer wären die Bewohner.
Zeitpunkt und Dauer: Planung und Umsetzung können einige Monate
bis über ein Jahr in Anspruch nehmen.
Rechtsraum: Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für
solche Projekte als vorteilhaft erwiesen hat.
Konflikte/Hemmnisse: Wiederum ist die heterogene Eigentümer-
struktur ein Problem, auch ist die Bereitschaft seitens der Eigentümer,
sich an Projekten wie diesen zu beteiligen, schwer einschätzbar. Von
den Vereinsgründern erfordert das Tool viel Eigeninitiative und bedeutet
einen hohen Zeitaufwand.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte
dreiundzwanzig
#09: MoDe auS DeM quartier
Referenz: „Made auf Veddel“ in Hamburg. Migrantinnen aus einem
sozial benachteiligten Stadtteil, die traditionelle Handarbeitstechni-
ken beherrschen, fertigen in Zusammenarbeit mit einer Modemacherin
Haute Couture.
Übertragbarkeit und Implementierung: Auch im Goethequartier
lassen sich, insbeondere unter den zahlreichen Bewohnern nicht-deut-
scher Herkunft, mit Sicherheit Personen finden, die über besondere
Fähigkeiten im Handarbeitsbereich verfügen.
Finanzierung: Keine großen Anfangsinvestitionen notwendig, da Ar-
beitsgeräte meist schon vorhanden sind. Im Idealfall lassen sich mit
diesem Projekt Gewinne erzielen.
Akteure: Bewohnerinnen des Quartiers mit besonderen Fähigkeiten in
Handarbeitstechniken
Zeitrpunkt und Dauer: Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen
gebunden, es könnte also sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Er-
folg dürfte sich frühestens nach einem Jahr einstellen.
Rechtsraum: Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig,
es kann jedoch ein Verein gegründet werden. Bestehen irgendwann
Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine Offene Handelsge-
sellschaft (OHG).
Konflikte/Hemmnisse: Eventuell sind Sprachbarrieren und kulturelle
Differenzen zu überwinden, auch die Suche nach interessierten Perso-
nen gestaltet sich möglicherweise schwierig.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, lokale Ökonomien,
Kümmererkonzepte
vierundzwanzig
#10: öFFentliche hotSPotS
Referenz: Flächendeckende öffentliche WLAN-Netze an vielen Orten
der Welt, z. B. in Estland. Darüber ist der kostenlose Zugang ins Inter-
net möglich.
Übertragbarkeit und Implementierung: Eine direkte Übertragbarkeit
dieses Konzepts auf das Goethequartier ist jederzeit möglich, dabei
stehen verschiedene technische Varianten zur Auswahl.
Finanzierung: Je nach Variante entstehen kaum Kosten, angesichts
der großen Vorteile erscheinen die Einrichtungskosten allemal gering.
Akteure: Zwei Modelle sind denkbar: Entweder können Bewohner
ihre privaten WLAN-Zugangspunkte zu einem „BürgerInnennetz“ ver-
knüpfen oder die Stadt richtet (eventuell in Kooperation mit einem
Unternehmen) im gesamten Viertel ein öffentliches Netz ein.
Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühzeitge Umsetzung wird
empfohlen, Planung und Realisierung benötigen nur sehr wenig Zeit.
Rechtsraum: Die Umsetzung kann entweder als kommunales Pro-
jekt oder in Form einer GmbH erfolgen. Für BürgerInnennetze sind laut
Gesetz sogenannte „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Da-
tenweiterleitung erforderlich.
Konflikte/Hemmnisse: Bei den BürgerInnennetzen stellen juristische
Fallstricke und technische Schwierigkeiten gewisse Hürden dar.
Übergeordnete Kategorie(n): Marketinginstrumente, lokale Ökono-
mien, Kümmererkonzepte
fünfundzwanzig
#11: coworkinG
Referenz: Gute Beispiele mit jeweils leicht unterschiedlichen Konzepten
sind das betahaus in Hamburg oder das Rockzipfel Eltern-Kind-Büro
in Leipzig. Coworking bedeutet das Teilen von Arbeitsräumen und da-
zugehöriger Infrastruktur durch Selbständige und Freiberufler, die keine
eigenes Büro benötigen.
Übertragbarkeit und Implementierung: Im Goethequartier sind of-
fenbar viele potentielle Existenzgründer vorhanden, denen jedoch die
geeigneten Räume fehlen. Viele leerstehende Häuser oder einzelne un-
genutzte Räume bieten sich als mögliche Coworking Spaces an.
Finanzierung: Eine kostendeckende Bewirtschaftung ist möglich, aller-
dings fallen anfangs Kosten für Renovierung und Einrichtung an, damit
die Räume überhaupt als Büro genutzt werden können.
Akteure: Potentielle Existenzgründer können das Tool in Eigenregie
nutzen, Institutionen wie die BIS oder „die theo“ sollten jedoch ihre Un-
terstützung anbieten.
Zeitpunkt und Dauer: Da viele Existenzgründer dringend einen Raum
suchen, sollte ein solches Projekt bald umgesetzt werden. Die Umset-
zungsdauer beträgt rund ein Jahr.
Rechtsraum: Als Rechtsformen infrage kommen eine GmbH oder ein
eingetragener Verein.
Konflikte/Hemmnisse: Im Moment stellt der Ortsteil Goethestraße si-
cherlich keine allzu prestigeträchtige Adresse dar. Die Anwesenheit
heterogene Nutzergruppen in einem Raum kann zu Konflikten führen.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, lokale Ökonomien
sechsundzwanzig
#12: GaStronoMiSche ZwiSchen- nutZunG
Referenz: Die „Ponybar“ in Berlin. Welch zentrale Rolle gastronomi-
schen Zwischennutzungen auf Brachflächen bei der Aufwertung von
Stadträumen zukommt, lässt sich mittlerweile an vielen Orten beobach-
ten. Sehr häufig sind „Raumpioniere“ die Auslöser für weitere innovative
Nutzungen.
Übertragbarkeit und Implementierung: Freiräume sind im Goethe-
quartier reichlich vorhanden, andererseits fehlt es an Gastronomie-
betrieben, die auch eine jüngere Klientel ansprechen. Um zudem
Personen von außerhalb anzuziehen, sind solche Einrichtungen in
hohem Maße geeignet.
Finanzierung: Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Spei-
sen sind auf jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest
der Betrieb einer Zwischennutzung finanzieren lässt.
Akteure: Die wesentlichen Akteure neben den Betreibern sind die
Eigentümer der Brachflächen, die sich zu einer solchen Zwischen-
nutzungslösung bereit erklären müssen.
Zeitpunkt und Dauer: Eine kurzfristige Umsetzung ist jederzeit mög-
lich. Allerdings kann das Genehmigungsverfahren einige Zeit in
Anspruch nehmen.
Rechtsraum: Auf jeden Fall ist eine Gaststättenerlaubnis einzuholen,
die Betriebsformen der gastronomischen Einrichtungen sind variabel.
Konflikte/Hemmnisse: Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind
in einem dicht bebauten Wohngebiet wie dem Goethequartier nicht
auszuschließen.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, lokale ökonomien, Kümmererkonzepte
siebenundzwanzig
#13: Zen-Garten
Referenz: Zen-Garten in Gelsenkirchen, „Japanischer Garten Kaisers-
lautern e. V.“, Japanischer Garten im Erholungspark Marzahn in Berlin.
Zen-Gärten stellen eine besondere Form der Gartengestaltung dar, die
nicht auf die herkömmlichen Elemente setzt, sondern als Materialien
Kies, Steine und Moos verwendet.
Übertragbarkeit und Implementierung: Ein japanischer Steingarten in
einer Baulücke würde einen überraschenden Akzent im Goethequartier
setzen. Die Referenzbeispiele zeigen, dass sich für eine solches Projekt
nicht nur exklusive, sondern auch ganz gewöhnliche Orte eignen.
Finanzierung: Ein Zen-Garten ist im Unterhalt sehr günstig, da er nach
dem Anlegen kaum Pflege benötigt. Für das Material müssen ebenfalls
nur sehr geringe Kosten veranschlagt werden, bei den Referenzbesipie-
len betrugen sie maximal 5.000 Euro.
Akteure: Einrichten könnte einen solchen Garten entweder die Stadt
oder ein noch zu gründender Verein. Als Kooperationspartner kommt
eventuell auch die Astrid-Lindgren-Schule in Betracht.
Zeitpunkt und Dauer: Eine Realsierung dieses Tools ist jederzeit mög-
lich und nimmt verlgleichsweise wenig Zeit in Anspruch.
Rechtsraum: Dank des geringen Aufwands für die Einrichtung handelt
es sich bei diesem Tool um eine potentielle Zwischennutzung. Dafür
sind eine Nutzungsvereinbarung bzw. ein Pachtvertrag notwendig.
Konflikte/Hemmnisse: Mit möglichen Nutzungskonflikten wie Zweck-
entfremdung und Vandalismus ist zu rechnen.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, Kümmererkonzepte
achtundzwanzig
#14: altenGerechteS wohnen
Referenz: Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“ in der Goethestraße
43, ein Wohnprojekt in einem altengerecht sanierten Gründerzeit-
bau. Die überwiegend älteren Bewohner waren von Anfang an in die
Planung einbezogen und entschieden sich bewusst für den innenstadt-
nahen und urbanen Standort.
Übertragbarkeit und Implementierung: Das Modell des altersge-
rechten Wohnens stellt für das Goethequartier ein großes Potential dar.
Dies hätte positive Effekte auf das gesamte Viertel.
Finanzierung: Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten
verbunden, eine Refinanzierung über höhere Mieten ist im Moment nur
zum Teil möglich.
Akteure: Neben älteren Menschen, die ein solches Wohnprojekt of-
fensiv verfolgen, braucht es für die Umsetzung das Engagement einer
Wohnungsgesellschaft, etwa der Stäwog
Zeitpunkt und Dauer: Die Durchführung von Projekten dieser Art
würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen.
Rechtsraum: Eine bestimmte Rechtsform ist nicht notwendig: Wäh-
rend manche Wohnprojekte als e. V. oder GbR organisiert sind,
verzichten andere auf eine rechtliche Absicherung und schließen ihre
Mietvertrag direkt mit dem Vermieter ab.
Konflikte/Hemmnisse: Das Imageproblem des Quartiers stellt im Mo-
ment noch eine recht hohe Hürde dar. Zudem ist die Finanzierung nur
mit wohwollender Unterstützung einer Wohnungsgesellschaft möglich.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, Kümmererkonzepte
Referenz: Vorbild für dieses Tool sind Architekturbeispiele aus Leipzig-
Connewitz und München. Diese innovativen Projekte zeigen, welche
Qualitäten Balkonbrücken entwickeln können, zumal, wenn sie mit Klet-
terpflanzen dicht bewachsen sind.
Übertragbarkeit und Implementierung: Die vorhandenen und zu-
künftig entstehenden Baulücken stellen einerseits ein Problem dar,
andererseits können sie auch genutzt werden, um die Wohnungen
in den benachbarten Gebäuden deutlich auzuwerten, damit diese für
neue Mieter- bzw. Käuferschichten interessant werden.
Finanzierung: Im Vergleich zu anderen Maßnahmen dieses Katalogs ist
dieses Tool jedem Fall als relativ teuer einzuschätzen. Die Kosten müs-
sen vom Eigentümer getragen werden.
Akteure: Verantwortlich für dieses Projekt sind die Eigentümer selbst,
Unterstützung könnte eventuell die ESG Lehe bieten.
Zeitpunkt und Dauer: Die Einrichtung von Balkonen in Lücken ist erst
zu einem Zeitpunkt denkbar, wenn sich der Immobilienmarkt im Quar-
tier einigermaßen stabilisiert hat.
Rechtsraum: Für ein solches Projekt ist lediglich eine Bauge-
nehmigung erforderlich.
Konflikte/Hemmnisse: Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planeri-
sche, finanzielle und zeitliche Aufwand dar.
Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-
mente, lokale Ökonomien
neunundzwanzig
#15: Balkone in lücken
dreißig
#01: neiGhBourhooD BranDinG
Jeder Teilraum einer Stadt hat einen gewissen Ruf, ein Image. Dieses
kann positiv oder negativ sein. Gilt ein Raum als „stigmatisiert“, leiden
darunter seine Bewohner ganz erheblich: So entscheidet der Ruf eines
Quartiers oftmals darüber, welche Chancen seine Bewohner erhalten
und vor allem, welche nicht. Eine bestimmte Adresse kann die Verwei-
gerung eines angestrebten Arbeitsplatzes oder die Exklusion aus einem
sozialen Netzwerk bedeuten. Interessant dabei ist, dass sich häufig
der Ruf eines Gebiets, also das Fremdbild, entscheidend von dem Bild
unterscheidet, das die Bewohner dieses Gebiets selbst wahrnehmen
(Selbstbild, Identität). Da das Image eines Quartiers oftmals durch die
mediale Berichterstattung und Gerüchte bestimmt wird, kann ersteres
deutlich negativer ausfallen, als das Selbstbild der Einwohnerschaft
(vgl. Jung 2010).
Aus der Sicht der Wohnungswirtschaft führen große Verände-
rungen, wie die wachsende Bedeutung von Wohnungsbestand, sich
ändernde Präferenzen einer neuen Generation von Mietern sowie
der Wandel vom Vermieter- zum Mietermarkt dazu, dass die Images
von Quartieren für die erfolgreiche Stadtentwicklung immer relevanter
werden. Besonders in den schrumpfenden Regionen (aber nicht
nur dort) besteht die Aufgabe der Wohnungspolitik inzwischen nicht
mehr in der quantitativen Bedarfsdeckung mit Wohnraum, sondern
vielmehr in der Anpassung des Bestandes an die Bedürfnisse unter-
schiedlicher Mietergruppen. Ähnlich wie Menschen durch den Kauf
bestimmter Produkte (Autos, Zeitschriften, elektronischer Geräte)
ihren Lebensstil ausdrücken wollen, wählen sie Quartiere mit einem zu
ihnen passenden Image aus. Bei der Vermarktung kann es daher keine
Standardlösungen für alle Quartiere geben: Bestimmte Konsumenten-
millieus suchen eher Sicherheit, Ordnung und Ruhe, andere wiederum
Diversität und Erlebnissreichtum (PNDonline).
Neighbourhood Branding ist eine Technik, die sich an der Marken-
bildung im Konsumbereich orientiert, die Marke wird allerdings nicht für
ein Produkt, sondern für einen bestimmten urbanen Raum entwickelt.
Im Brandingprozess erhält die Marke eine Leitbildfunktion, da sie
grundsätzlich für alle baulichen und nicht-baulichen, sowie physischen
#01: neiGhBourhooD BranDinG
einunddreißig
und nicht-physischen Aktivitäten in diesem Raum verwendet werden
kann. Kern des Neighbourhood Branding ist dabei die Arbeit am Image
des jeweiligen Raums. Mithilfe bestimmter Kommunikationsstrategien
wird der Versuch unternommen, Einfluss auf Identität (Innensicht) wie
Image (Außensicht) zu nehmen. Ziel ist die Steigerung der Sympa-
thien für ein Quartier, wobei die Stärken und einzigartigen Merkmale
hervorgehoben werden, so dass sich der entsprechende Ort nachhaltig
zu einer Marke entwickeln kann (vgl. Jung 2010, Prediger 2011).
Insbesondere werden dabei auch nachbarschaftsorientierte Strukturen
unterstützt, was den Bewohnern ermöglicht, sich mit „ihrem“ jeweiligen
Ort zu identifizieren.
Darüber hinaus ist Neighbourhood Branding allerdings mehr als
ein Marketing-Tool, da im Zuge dieses Prozesses zugleich ein Bild
erarbeitet und kommuniziert wird, das von den Menschen im Quartier
als gehaltvoll und richtig angesehen wird. Konkret demonstrieren lässt
sich dieses Phänomen an der Gemeinde Hoogvliet, einer etwa 20 km
von Rotterdam entfernten Satellitenstadt, die in den 1960er Jahren
errichtet wurde und derzeit ca. 40.000 Einwohner zählt. Etwa ein Drittel
des ursprünglichen Gebäudebestandes wurde bereits abgerissen und
durch Neubauten ersetzt, nachdem die hier tätige Wohnungsbaugesell-
schaft Woonbron festgestellt hatte, dass für Hoogvliet eine Anpassung
Abbildung (9): Impression von Hoogvliet
zweiunddreißig
an die sich verändernden Wohnbedürfnisse notwendig ist, um die
Konkurrenzfähigkeit des dortigen Wohnungsmarktes zu erhalten
(Stadtentwicklung Zürich 2006).
Zudem mussten in Hoogvliet jedoch auch emotionale Aspekte in
die Planung miteinbezogen werden. Denn wie eine Umfrage im
Vorfeld gezeigt hatte, resultierte die Unzufriedenheit der Bewohner im
Normalfall nicht aus dem Zustand ihrer jeweiligen Wohnung, sondern
vor allem aus dem negativen Image der Siedlung. Luftverschmutzung,
Verkehrslärm, Plattenbauten mit kleinen grauen Wohnungen – das
sind die Schlagworte, mit denen Hoogvliet im nahen Rotterdam
assoziiert wurde. In deutlichem Kontrast dazu stand das Bild, das
die Anwohner von ihrem Quartier zeichneten: ruhig, grün, fahrrad-
freundlich, mit stark ausgeprägten sozialen Netzwerken etc. Während
des Branding-Prozesses führte man daher zum einen SWOT-Analysen
sowie historische Gebietsanalysen durch, zum anderen ermittelte
man darüber hinaus in einem Beteiligungsprozess (drei ganztägige
Termine mit 70 Bewohnern) identitätsstiftende Kernbegriffe wie Selbst-
bewusstsein, Entschlossenheit, Gemeinschaft und Abenteuer, die in
einem „Brandbook“ mit 200 atmosphärischen Fotos aus der Stadt
illustriert wurden. Zudem entwickelten die Bewohner ein Logo und
einen Slogan. Wie die Evaluation des Projekts gezeigt hat, verbesserte
sich das Image der Großwohnsiedlung durch diese Maßnahmen ganz
erheblich, wovon sowohl die Bewohner als auch die Investoren profi-
tieren konnten. Besonders erfolgreich wurde das Verfahren im ebenfalls
von Imageproblemen geprägten Quartier Schwamendingen in Zürich
angewandt, und auch in Deutschland wird Neighbourhood Branding
inzwischen als Planungsinstrument eingesetzt (Stadtentwicklung Zürich
2006).
Die Erfahrung mit Neighbourhood Branding zeigt, dass dieses Tool
ganz maßgeblich dazu beiträgt, neue Erkentnisse über ein Gebiet zu
gewinnen. Selbst Spezialisten, die bereits jahrelang in einem Quartier
gearbeitet hatten und es zu kennen glaubten, konnten nach dem
Einsatz dieses Werkzeugs entscheidende Durchbrüche erzielen
(PNDonline).
Schließlich trägt Neighbourhood Branding auch dem ökonomischen
Verwertungsgedanken Rechnung: Ebenso wie mit Hilfe von Marke-
tingmaßnahmen in der Industrieproduktion die Nachfrage aktiviert
wird, so wird hier durch Bildung einer Marke die Nachfrage für ein
dreiunddreißig
spezifisches Wohnprodukt gefördert. Um Leerstände und andere
negative Effekte auf dem Wohnungsmarkt zu minimieren, müssen
sich die Anbieter von Wohnungen sowie die Verantwortlichen in der
Stadtentwicklung differenziert mit den Wünschen der Mieter und Käufer
sowie denen der ansässigen und potentiellen Bewohner außeinander-
setzen. Die dabei entwickelte Marke spricht zwar nicht jeden an, bei
den Bewohnern eines Quartiers jedoch führt sie zu mehr Zufriedenheit,
der Branding-Prozess kann Partizipation fördern und reduziert die
Planungsunsicherheit (PNDonline; Jung 2010).
Die Erfahrung aus Holland, wo das Werkzeug bereits seit 2000 erfolg-
reich praktiziert wird, zeigt, dass sich Neighbourhood Branding vor
allem finanziell lohnt. So kam das niederländische Planungsbüro
Ruimtelijk in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Wert eines
bebauten Grundstücks ungefähr zur Hälfte vom Image des Quartiers
abhängt, in dem sich dieses befindet. Zudem stellte sich heraus, dass
nach dem Einsatz des Tools in als schwierig geltenden Gebieten in
vielen Fällen neue Bewohnerschichten angesiedelt werden konnten, die
das Gebiet stabilisierten (PNDonline).
Die Analyse der Projektgruppe zeigte, dass das negative Image
neben der Spekulation mit Schrottimmobilien und dem Bevölkerungs-
rückgang in Bremerhaven die wichtigsten Ursache für die Probleme
des Immobilienmarktes im Goethequartier ist. Die Experteninterviews
brachten zudem die Erkenntnis, dass das Image des Quartiers deutlich
schlechter ist als das Bild, das die Bewohner von ihm haben. Ein
deutlicher Hinweis auf die negative Wirkung des Quartiers-Images ist
die Tatsache, dass das Gebiet trotz seines Alleinstellungsmerkmals
Abbildung (10): Imageplakate aus Hoogvliet
vierunddreißig
in Bremerhaven (gründerzeitliche Blockrandbebauung) sowie
bedeutender tandortvorteile (Nähe zum Stadtzentrum und Wasser)
– Faktoren, die in Städten wie Hamburg oder Berlin zu hohen Immobi-
lienpreisen führen würden – unter Bremerhavenern als Wohnort eher
unbeliebt bleibt. Die Leerstandsquote hier ist deutlich höher als in der
übrigen Stadt und Investitionen für die Sanierungen bleiben weitgehend
aus. Die Image-Verbesserung des Goethequartiers scheint vor diesem
Hintergrund ein Schlüsselelement der behutsamen Aufwertung und
Erneuerung dieses Gebiets zu sein (vgl. Jung 2010).
Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaftsinitiative INTERREG
III B wurde, angelehnt an die Praktiken in Holland, anhand von fünf
Großwohnsiedlungen eine praktikable Vorgehensweise für Neigh-
bourhood Branding-Verfahren im deutschen Kontext entwickelt. In
einem ersten Schritt werden die relevanten Akteure über das Verfahren
informiert. In der zweiten Phase untersuchen die Teilnehmer die
historische Entwicklung des Gebiets sowie die aktuell herrschende
Stimmung. Parallel werden SWOT-Analysen erstellt und Interviews
mit Interessensgruppen geführt. Schlüsselthemen werden identifiziert,
Stärken und Schwächen des Gebiets, Hoffnungen und Frustrationen
werden in Form von Kollagen und Cartoons festgehalten. In der dritten
Phase erfolgt dann das eigentliche Branding: Ohne den Einfluss von
Profis wird in moderierten Sitzungen die Identität des Raums erarbeitet
und in Form von Bildern und Texten festgehalten. Sobald sich ein
umfassendes Bild von den Stärken und Potentialen des Quartiers
ergeben hat, kann dieses anhand der Kernwerte analysiert werden.
Im letzten Schritt erfolgt die Implementierung: die Ergebnisse des
Prozesses werden in die übrigen Maßnahmen integriert. Da die Marke
fortan die Vision des Quartiers bildet, an deren Realisierung alle Akteure
arbeiten können, muss sie diesen zunächst bekannt gemacht. Ab
diesem Zeitpunkt wird „eine Markenkultur entwickelt, die sich wie eine
Corporate Identity durch alle Handlungsfelder zieht“ (Jung 2010, S.
188).
Zumindest einer der erwähnten Schritte, nämlich die Akteurs-
Interviews, wurde bereits in der vorliegenden Arbeit durchgeführt und
dokumentiert. Von der Projektgruppe werden zudem eine sinnvolle
Abgrenzung des Gebiets, die der administrativen Einheit des Ortsteils
Goethestraße entspricht, sowie ein neuer, medienwirksamer Name
(„Goethequartier“) vorgeschlagen. Der vorliegende Projektbericht kann
fünfunddreißig
somit als erste Hilfestellung oder Anregung bzw. als Ideenpool sowie
als Grundlage bei der Umsetzung von Neighbourhood Branding im
Goethequartier dienen. Ein weiterer Schritt könnte in diesem Zusam-
menhang zudem im Rahmen des Verfahrens gemacht werden: Den
Bewohner bliebe es überlassen zu entscheiden, welche der anderen
Tools im vorliegenden Katalog sie für ihr Quartier als geeignet erachten,
welche sich mit ihrer Zukunftsvision nicht decken und welche weiter-
entwickelt werden müssen.
Die Umsetzungskosten dieses Tools sind sehr niedrig einzuschätzen.
Da es sich zunächst um ein Bürgerbeteiligungsverfahren handelt,
müssen vorerst keine baulichen Maßnahmen durchgeführt werden.
Lediglich die Personalkosten für Vorbereitung, Moderation und
Dokumentation, die Kosten für PR und Werbung (vor dem Verfahren
und danach) sowie die Räumlichkeiten, in denen das Verfahren
durchgeführt wird, müssen berücksichtigt werden. Durch ehrenamt-
liches Engagement und die Nutzung der vorhandenen Ressourcen
in der Verwaltung und der beteiligten Wohnungsgesellschaft (z. B.
Moderation, Bereitstellung von Räumen etc.) können auch diese
Kosten praktisch auf Null reduziert werden.
Die Teilnahme (oder zumindest das Interesse) wichtiger Akteure
(Anwohner, Grundstückseigentümer, Wohnungsbaugesellschaften,
Investoren und Einzelhändler) ist für Neighbourhood Branding von
entscheidender Bedeutung. Hierbei gilt: Je mehr Akteure bei der
Umsetzung Engagement zeigen, desto größer ist die Wirkung, die die
Maßnahme entfaltet (Prediger 2011).
Zu empfehlen ist eine möglichst frühzeitige Durchführung der
Maßnahme. Dadurch kann sich – nachdem eine Marke und eine
Vision entwickelt wurden – die weitere Entwicklung des Quartiers an
diesen zwei Säulen orientieren. Kostspielige Eingriffe in das Gebiet,
die von den Bewohnern und anderen Akteuren gar nicht erwünscht
sind und deswegen ihre Wirkung verfehlen, werden damit im Vorhinein
vermieden, die weitere Entwicklung verläuft zielgerichteter und
effizienter.
Die Umsetzung selbst kann ebenfalls in einem sehr kurzen Zeitraum
durchgeführt werden. Für Information und Koordination der beteiligten
sechsunddreißig
Akteure werden eventuell einige Wochen benötigt, das Verfahren selbst
dauert den Referenzbeispielen zufolge nur wenige Tage.
Bei Neighbourhood Branding handelt es sich um ein informelles
Bürgerbeteiligungsverfahren. Eine besondere Rechtsform ist hierfür
nicht vorgesehen und auch nicht notwendig.
Bei den meisten Quartieren, in denen das Verfahren in der Vergan-
genheit durchgeführt worden ist, handelt es sich um Plattenbau- und
Großwohnsiedlungen. Die Immobilien waren in der Regel im Eigentum
einer einzigen oder einiger weniger Wohnungsgesellschaften. Dagegen
könnte die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Goethequartier
womöglich ein Hindernis darstellen. Andererseits existieren keine
Belege dafür, dass Neighbourhood Branding in Altbauquartieren, die
ja in keinem Fall völlig homogene Eigentumsverhältnisse aufweisen,
grundsätzlich nicht funktioniert. Vielmehr kann gerade dieses Merkmal
in Verbindung mit der historischen Bedeutung des Ortes bei der
Entwicklung einer erfolgreichen Marke eine entscheidende Rolle
spielen.
Wie in Gesprächen mit Teilnehmern einer früheren Beteiligungs-
veranstaltung in Lehe durchklang, hat der Einsatz einer externen
Moderation dort bei vielen Bewohnern zu Ablehnung geführt. Um dies
zu vermeiden empfiehlt es sich eventuell, mit der Moderation eine
Person aus dem Gebiet zu betrauen.
Neighbourhood Branding ist in erster Linie ein Marketingwerkzeug,
das darauf abzielt, einen in einem schlechten Zustand befindlichen
Wohnungsmarkt zu stabilisieren. Die Bedeutung, die weiche Stand-
ortfaktoren wie das Image eines Quartiers für die Wohnungswirtschaft
besitzen, darf keineswegs unterschätzt werden. Andererseits aller-
dings darf es nicht beim reinen Marketing bleiben, vielmehr muss
Neighbourhood Branding in Verbindung mit anderen Werkzeugen,
klassischen wie innovativen, sinnvoll eingesetzt werden.
siebenunddreißig
#02: leerStanDS- unD Baulücken- inForMationSSySteM
Vorbild für dieses Tool ist unter anderem das elektronische Baulü-
ckeninformationssystem in Berlin, das das Kataster aller in der Stadt
bestehenden Baulücken und „mindergenutzten Flächen“ im Internet
zugänglich macht und mithilfe von interaktiven Karten grafisch abbildet
(vgl.: http://fbinter.stadt-berlin.de/blm). Neben der Lage sind sämtliche
relevante Daten wie Flurstückgröße und Größe der bebaubaren Fläche
angegeben, außerdem erhält der Interessent anhand von Fotos einen
ersten Eindruck vom Grundstück und seiner Umgebung. Weitere
Informationen betreffen die Eigentumsverhältnisse (im Eigentum
der Stadt oder in privatem Eigentum?), die mögliche Nutzung, die
Eignung für Baugemeinschaften/Baugruppen, die Nähe zum Wasser,
zu Grünräumen und zu U- und S-Bahn sowie die planungsrechtliche
Situation (Bebauungsplan vorhanden?, Sanierungs- oder Erhal-
tungsgebiet?, Denkmalschutz?). Zudem haben die Eigentümer die
Möglichkeit, ihre (E-Mail-)Adresse anzugeben oder auf ihre Homepage
hinzuweisen. Ein Link zur Bauberatung und zur Vermessungsbehörde
ermöglicht den Nutzern die direkte Kontaktaufnahme mit der jeweils
zuständigen Stelle auf Bezirks- oder Stadtebene.
Außer über die Kartenfunktion können potentielle Investoren sowie
Architekten und Bauherren auch mithilfe eines detaillierten Suchrasters
nach Flächen mit bestimmten Standortfaktoren recherchieren.
Neben den genannten Personengruppen wird das System auch von
den Sachbearbeitern in den bezirklichen Stadtplanungsämtern als
Instrument zur effizienten Verwaltung der Bauflächen genutzt. Die
Zugriffszahlen auf die Internetseite lagen im ersten Jahr, 2002, bei
durchschnittlich ca. 7.500 im Monat, Ende 2009 waren es bereits
knapp 17.000 Nutzer. In dieser Zeit hat sich zudem der im System
registrierte Grundstücksbestand deutlich reduziert, 260 Flächen mit
insgesamt 110 ha konnten aktiviert werden (werkstatt-stadt.de).
Ein weiteres Referenzprojekt ist der sogenannte Leerstandsmelder in
Hamburg (www.leerstandsmelder.de), bei dem es sich im Gegensatz
zum Baulückenmanagement in Berlin um eine private Initiative einer
Gruppe von Künstlern und Stadtplanern handelt (zum jeweiligen
rechtlichen Hintergrund, s. u.). Hierbei sind die Nutzer dazu aufge-
achtunddreißig
rufen, Wohnungs- und Gewerbeleerstand mithilfe einer Checkliste zu
registrieren und anschließend auf der Internet-Plattform des Projekts
einzutragen. Die entsprechenden Orte werden dann jeweils auf einer
Karte markiert, die einen interaktiven Zugang zu den steckbriefartig
aufgelisteten Daten ermöglicht, also Lage, vorherige Nutzung (Wohnen,
Büro, Gewerbe), Umfang und Dauer des Leerstands, Eigentümer
(öffentlich/privat) etc. Ergänzt werden diese Informationen durch Fotos
der jeweiligen Gebäude.
Beide der vorgestellten Internetprojekte lassen sich – in unter-
schiedlicher Weise, doch nach Möglichkeit kombiniert – auf das
Goethequartier bzw. Bremerhaven als Gesamtstadt übertragen.
Ein Baulückenkataster liegt beim Stadtplanungsamt vor, ist aber
momentan nicht öffentlich zugänglich. Die rechtliche Grundlage für
eine Veröffentlichung auch im Internet bildet das Baugesetzbuch
(BauGB), in dem es unter § 200 Abs. 3 heißt: „Die Gemeinde kann
sofort oder in absehbarer Zeit bebaubare Flächen in Karten oder Listen
auf der Grundlage eines Lageplans erfassen, der Flur- und Flurstücks-
nummern, Straßennamen und Angaben zur Grundstücksgröße enthält
(Baulandkataster). Sie kann die Flächen in Karten oder Listen veröffent-
lichen, soweit der Grundstückseigentümer nicht widersprochen hat.
Die Gemeinde hat ihre Absicht zur Veröffentlichung einen Monat vorher
öffentlich bekanntzugeben und dabei auf das Widerspruchsrecht der
Grundstückseigentümer hinzuweisen“ (Senatsverwaltung für Stadtent-
wicklung Berlin).
In Berlin hat die Erfahrung gezeigt, dass nur wenige Eigentümer von
diesem Recht Gebrauch machen. Umgekehrt haben aber einige
die Möglichkeit genutzt, ihre Adresse bzw. einen E-Mail-Kontakt
anzugeben, um so für potentielle Interessenten unmittelbar erreichbar
zu sein. Auch der direkte Link zu den Planungs- und Genehmigungs-
behörden darf als vorbildlich gelten, da dies eine zeitaufwendige Suche
nach den jeweils zuständigen Stellen erspart. Im Gegensatz zu Berlin,
das in den vergangenen Jahren ein konstantes, wenn auch moderates
Bevölkerungswachstum vorzuweisen hat, sollte der Hauptfokus des
Bremerhavener Baulückenmanagementsystems momentan (!) nicht
auf einer möglichen Bebauung der verzeichneten Brachengrundstücke
liegen, sondern auf deren temporärer Nutzung. Adressaten wären also
nicht primär potentielle Investoren und Bauherren, sondern Zwischen-
nutzer, weshalb auch die Kategorien des Berliner Vorbilds dahingehend
angepasst werden müssten (d. h. zum Beispiel Art der möglichen
neununddreißig
Zwischennutzung, eventuelle Konflikte, Ansprechpartner bei den
Behörden etc.).
Idealerweise müsste das Baulückenkataster mit dem ebenfalls vorhan-
denen – wenn auch nicht mehr gleichermaßen intensiv gepflegten
– Leerstandskataster der Stadt Bremerhaven verknüpft werden. Dazu
bietet allerdings das Baugesetzbuch keine rechtliche Grundlage,
da eine Veröffentlichung solcher Daten einen zu starken Eingriff in
die Privatsphäre der Eigentümer darstellen würde. Das Hamburger
Beispiel basiert, wie oben dargestellt, daher auch nicht auf offiziellen
Daten, sondern auf Informationen aus der interessierten Öffentlichkeit.
Angesichts der völlig unterschiedlichen Situation – in Hamburg erklärt
sich das große Interesse an der Leerstandsthematik aus dem enormen
Nachfragedruck, der auf dem Wohnungsmarkt lastet – ist mit einer
ähnlichen Beteiligung der Bevölkerung im Goethequartier kaum zu
rechnen. Erfolgversprechender erscheint daher ein System, das auf
den freiwilligen Angaben der Eigentümer basiert, wie das etwa beim
Einzelhandels-Informations-System (EIS) der Stadt Aachen der Fall
ist (Stadt Aachen), und das sich eventuell zunächst auf die Erfassung
von leerstehenden Ladenlokalen und anderen gewerblich nutzbaren
Flächen beschränkt. In einem weiteren Schritt kann eine solche
Online-Plattform um Wohnungsleerstände erweitert werden, die von
Abbildung (11): Hamburger Leerstandsmelder
vierzig
Eigentümern, die noch nicht resigniert haben, selbst gemeldet werden.
Dieses System sollte ebenfalls primär Informationen zu einer möglichen
Zwischennutzung enthalten. Die Kombination der beiden Instrumente
Brachflächenkataster und (freiwilliges) Leerstandskataster ergäbe
dann ein umfassendes interaktives Datenbanksystem aller temporär
nutzbaren „Möglichkeitsräume“ – wodurch eine spätere reguläre,
also dauerhafte Nutzung natürlich keineswegs ausgeschlossen wäre,
sondern im Gegenteil sogar befördert würde.
Da dieses Tool zumindest teilweise im Baugesetzbuch rechtlich
verankert ist, kommt für die Finanzierung in erster Linie natürlich die
Stadt Bremerhaven infrage, die dazu eventuell auf finanzielle Mittel
aus dem EFRE-Programm 2007-2013 zurückgreifen könnte. Dafür
sind „ökonomische[...], soziale[...] und ökologische[...] Kriterien“ (Land
Bremen 2011) ausschlaggebend, die in diesem Fall erfüllt wären. Da
von der Maßnahme auch die Eigentümer im Goethequartier (bzw. in
der Gesamtstadt) profitieren würden, erscheint eine Beteiligung von
dieser Seite nicht ausgeschlossen, allerdings sind viele dieser Personen
finanziell dazu wohl nicht (mehr) in der Lage.
Im günstigsten Fall, also der Verwendung von Google Maps wie beim
Hamburger Leerstandsmelder, liegen die Kosten für die Einrichtung
einer solchen Internet-Plattform bei rund 1.000 Euro, hinzu kommen
Host-Kosten, die zwischen 5 Euro pro Jahr und maximal 50 Euro im
Monat liegen, je nach Anbieter und zur Verfügung stehender Leistung.
Die gelegentlichen Kosten für die Wartung der Website durch einen
Programmierer sind ebenfalls eher zu vernachlässigen, falls diese
Kompetenz nicht beim Stadtplanungsamt vorhanden ist, könnte
eventuell auch eine freiwillige Person diese Aufgabe unentgeltlich
übernehmen.
Dieses Tool ist das einzige innerhalb des Katalogs, bei dem die Initi-
ative nur vom Stadtplanungsamt ausgehen kann. Für die konkrete
Umsetzung fehlen eventuell die personellen Ressourcen, daher müsste
diese Aufgabe gegebenenfalls extern, also an ein privates Büro oder
einen sonstigen Dienstleister vergeben werden. Die Mitwirkung der
Grundstücks- und Immobilieneigentümer ist wünschenswert, Interesse
an einer engen Zusammenarbeit hätte aus nachvollziehbaren Gründen
auf jeden Fall die Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe.
einundvierzig
Das Tool sollte so zeitnah wie möglich umgesetzt werden, da es eine
wichtige Basis für weitere Maßnahmen darstellt. Je nachdem, welches
Programm dafür gewählt wird, d. h. wie aufwendig sich die technische
Umsetzung gestaltet, kann ein solches Informationssystem innerhalb
weniger Wochen einsatzbereit sein. Im Folgenden ist eine regelmäßige
Aktualisierung und Erweiterung notwendig, die im einfachsten Fall
jedoch keinerlei technologischer Sachverstand erfordert.
Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine beson-
dere Rechtsform notwendig.
Das Hauptproblem bei diesem Tool dürften eventuelle Finanzierungs-
probleme sein, außerdem erscheint fraglich, ob bei der Stadt
Bremerhaven und dem Stadtplanungsamt der nötige (politische) Wille
für ein solches Projekt vorhanden ist. Ein weiteres Hindernis stellt
zudem die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Quartier dar.
Als rein virtuelles Tool, nutzt ein Leerstands- und Baulückeninformati-
onssystem zwar keine Möglichkeitsräume, schafft aber eine wichtige
Grundlage für andere Tools, d. h. Projekte, aus dieser Kategorie und
beschleunigt deren Realisierung.
Zudem ist ein Leerstands- und Baulückeninformationssystem in
höchstem Maße dazu geeignet, lokale Ökonomien zu fördern, indem es
die Suche nach gewerblich nutzbaren Räumen stark vereinfacht. Durch
eine entsprechende Gestaltung der Online-Plattform können schließlich
auch Marketingeffekte erzielt werden.
zweiundvierzig
#03: teMPoräre StaDt
Der Begriff „temporäre Stadt“ wird in der aktuellen Stadtplanungs-
debatte häufig verwendet. Er beschreibt zeitlich begrenzte
Veranstaltungen oder Installationen, die sich über einen klar definierten
Zeitraum an einem bestimmten Ort im städtischen Raum befinden.
Der planerische Hintergrund dieses Konzepts lässt sich wie folgt
beschreiben:„Die Aufgabe der Architektur und Stadtplanung besteht
heute nicht mehr allein darin, neue Räume für geforderte Nutzungen
zu schaffen, sondern parallel dazu Strategien zur Aktvierung existie-
render Stadträume zu entwickeln. Urbanistische Projekte bedeuten
hier nicht die Implementierung einer dauerhaften Struktur, sondern das
Initiieren und Auslösen nachhaltiger räumlicher Aneignungsprozesse“
(P2 Temporäre Stadt, HafenCity Universität Hamburg). Somit ist die
„temporäre Stadt“ ein Instrument, um beispielsweise vernachlässigte
oder „vergessene“ Stadträume wieder zu aktivieren.
Im Jahr 2010 wurden in den drei damaligen europäischen Kultur-
hauptstädten Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet in einem
Studentenwettbewerb innovative Lösungen zu diesem Thema
befördert. Primär ging es dabei darum, Stadträume durch temporäre
Installationen oder sonstige Ideen miteinander zu verbinden und
erlebbar zu machen. In Pécs, der fünftgrößten Stadt Ungarns, etwa
versuchte man, mithilfe von Hockern, die im öffentlichen Raum aufge-
stellt wurden, eine Verbindung zwischen zwei städtebaulich getrennten
Teilen der Stadt herzustellen. Die Anwohner und Besucher konnten die
Sitzgelegenheiten selbst platzieren und nach Belieben nutzen, wodurch
das Ziel, die räumliche Barriere zu überwinden, erreicht wurde.
Im Ruhrgebiet wollte man den Duisburger Innenhafen an die Innenstadt
anbinden, von der er normalerweise durch eine stark frequentierte
Verkehrstrasse abgeschnitten ist. Im Zuge des Kulturhauptstadtjahrs
entstand auf dieser Straße ein „Shared Space“, also ein Verkehrsraum,
in dem alle Teilnehmer gleichberechtigt und daher gezwungen sind,
einander zu respektieren. Zwar wurden die Autofahrer durch die neuen
Nutzer, das heißt Fußgänger und Radfahrer, die sich auf ihrer
angestammten Straße bewegen, etwas ausgebremst, doch durch
die vereinfachte räumliche Zugänglichkeit der Innenstadt konnte
#03: teMPoräre StaDt
dreiundvierzig
tatsächlich eine städtebauliche Brücke zwischen dieser und dem
Innenhafen geschaffen werden. In Istanbul schließlich sollte ein altes
Hafenareal belebt werden, in dem Stadtplaner viel Potential sahen.
Dazu wurden schwimmende Flöße ins Hafenbecken eingelassen, die
viele Besucher anzogen, wodurch das Areal in den Mittelpunkt der
städtischen Wahrnehmung rückte und den Bürgern somit nachhaltig
ins Gedächtnis gerufen wurde (P2 Temporäre Stadt).
Neben diesen neuartigen, relativ spektakulären Ideen, die in universi-
tären Wettbewerben erdacht wurden und teilweise erhebliche Kosten
verursachten, funktioniert die „temporäre Stadt“ aber auch auf einer
niederschwelligeren Ebene: So lassen sich zum Beispiel jegliche Feste,
Ausstellungen, Märkte und Festivals diesem Instrument zuordnen.
Besonders populär sind in den vergangenen Jahren zudem sommer-
liche Open Air-Filmvorführungen geworden. In Hamburg etwa wird an
manchen Abenden der Rathausmarkt, also ein Ort, der sich natürlich
bereits voll im städtischen Bewusstsein befindet, zum Freiluftkino.
Ähnliches geschieht jedoch auch in Wilhelmburg, einem sozial eher
benachteiligten Stadtteil, wo ebenfalls ein temporäres Kino existiert,
das dazu beitragen soll, der Öffentlichkeit die räumlichen Potentiale
des Stadtteils zu vermitteln. An anderen Orten, etwa in Basel, haben
Abbildung (12): Open Air-Kino
vierundvierzig
sich beispielsweise Grillplätze auf Zeit als sehr erfolgreich erwiesen,
auch Lesungen und Ausstellungen an ungewöhnlichen Orten sind
beliebte Projekte im Kontext der „temporären Stadt“. Grundsätzlich
sind der Kreativität bei diesem Tool kaum Grenzen gesetzt; eventuelle
Konflikte werden alleine schon dadurch entschärft, dass es sich jeweils
nur um eine zeitweilige Aktion handelt, ein Experiment, das nach
einigen Tagen, Wochen oder Monaten wieder endet und auch vorher
jederzeit abgebrochen bzw. gegebenenfalls modifiziert werden kann.
Sehr häufig nutzen Events aus dem Bereich der „temporären Stadt“
natürlich Brachflächen, da hier meist geringere Konflikte mit anderen,
regulären Nutzungen auftreten als im öffentlichen Raum. Auch für die
Eigentümer einer solchen Fläche kann eine Zwischennutzungslösung
vielfach von Vorteil sein, und das gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen
müssen sie nicht fürchten – wie das bei einer dauerhaften, doch finan-
ziell ebenfalls wenig attraktiven Nutzung der Fall wäre –, dass sie bei
einem lukrativeren Angebot für ihr Grundstück die Zwischennutzer nur
schwer wieder loswerden. Zum anderen rückt damit ihre Brachfläche
wieder verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit – und damit auch
von Personen, die eventuell an einer dauerhaften und wirtschaftlichen
tragfähigen Nutzung interessiert sind.
Veranstaltungen von einer ähnlichen Dimension wie in den Kultur-
hauptstädten (die als Referenz für die „temporäre Stadt“ vor allem
deshalb gewählt wurden, weil der Begriff in diesem Zusammenhang
geprägt wurde), sind im Goethequartier eher unwahrscheinlich und
nach unserer Einschätzung auch gar nicht nötig. Denn während es
in Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet um großräumliche Problem-
lösungen ging, stellt sich die Situation rund um die Goethestraße
herum vollkommen anders dar: Baulücken und Leerstand sind zwar
ebenfalls eine städtebauliche Herausforderung, verlangen aber eher
nach kleinmaßstäblicheren Lösungsansätzen. Überschaubare Projekte
wie Filmvorführungen, Feste, Kunstausstellungen und Musikfestivals
lassen sich zudem von den Anwohnern selbst organisieren und
umsetzen. Der Austausch der Bürger untereinander wird gefördert, und
auch sonst eher inaktive Personen werden eventuell zum Mitmachen
animiert. Andererseits erfordert „temporäre Stadt“ aber eben auch
Kreativität, Engagement und Einsatz, ein fertiges Konzept für das Was,
Wo und Wie der Umsetzung gibt es meist nicht.
Einen kleinen Beitrag im Sinne der „temporären Stadt“ haben wir, das
„Projekt Goethequartier“, im Rahmen unserer Projektarbeit im Ortsteil
fünfundvierzig
Goethestraße übrigens selbst geleistet: In Kooperation mit der Aktion
Rückenwind e. V., einer Nachmittagsbetreuungseinrichtung für Kinder
aus dem Stadtteil, wurde eine Fotosafari veranstaltet, bei der die Kinder
mit Einwegkameras besonders schöne und besonders hässliche Orte
im Quartier fotografieren sollten. Anschließend wurden die Ergebnisse
aufbereitet und im Rahmen der Leher Sommer-Kulturwochen in der
„Kulturwohnung“ präsentiert. Ein temporäres Projekt aus dem Bereich
Kunst und Kultur also, das gleich auf doppelte Weise einen vernach-
lässigten Raum ins Rampenlicht zu rücken hilft: Einerseits durch
Zwischennutzung einer zuvor leerstehenden Wohnung, andererseits
aber auch durch die neuen, zum Teil überraschenden Blickwinkel
auf das Viertel, die den Besuchern beim Betrachten der Kinderfotos
vermittelt wurden.
Angaben über die zu erwartenden Kosten lassen sich an dieser Stelle
kaum machen, da diese immer abhängig sind von Art und Größe
des Projekts. Um das Beispiel Open Air-Kino zu nehmen: Bereits mit
einem Beamer und einem Bettlaken lässt sich praktisch kostenlos
eine kleine Filmvorführung organisieren. Wenn jedoch finanzielle Mittel
bereit stehen, können dazu auch eine Leinwand, ein Filmprojektor
und eine Bühne aufgebaut werden. In solch einem Fall lassen sich
gegebenenfalls natürlich auch Einnahmen erzielen, die zumindest die
entstandenen Kosten decken. Auch der unbezahlte Einsatz freiwilliger
Helfer kann bei vielen Projekten dazu beitragen, die Ausgaben zu
minimieren.
Wie schon bei der Frage nach den Kosten sind angesichts der Fülle
möglicher Projekte Angaben hinsichtlich der zu beteiligenden Akteure
ebenfalls nur schwer möglich. Generell bietet sich für kulturelle Events
natürlich das Kulturbüro Lehe als Kooperationspartner und eventueller
Mitorganisator an, darüber hinaus besteht von Fall zu Fall sicherlich
auch Interesse seitens des Stadtplanungsamtes. Als eine der Institu-
tionen, die eventuell Räume zur Verfügung stellen können (u. a. auch
einen großen Saal mit Bühne), kommt im Goethequartier grundsätzlich
„die theo“ in Betracht. Bei Freiluftveranstaltungen müssen selbstver-
ständlich die Eigentümer des betreffenden Grundstücks einwilligen.
Ist eine sonstige öffentliche Genehmigung erforderlich, sind zusätzlich
die entsprechenden Ämter und Behörden zu kontaktieren. Veranstal-
tungen, die Lärm erwarten lassen, sollten darüber hinaus unbedingt mit
den Anwohnern abgestimmt werden.
sechundvierzig
Auch hier gilt das Gleiche wie für Kosten und Akteure. „Temporäre
Stadt“ impliziert allerdings bereits, dass das Entsprechende Projekt
zeitlich begrenzt ist, dauerhafte Einrichtungen zählen daher nicht zu
diesem Tool. Veranstaltungen unter freiem Himmel werden vorwiegend
im Sommerhalbjahr stattfinden, da sie meist stark witterungsabhängig
sind.
Für Privatpersonen gilt, dass Veranstaltungen grundsätzlich organisiert
werden dürfen, solange keine Gewinnabsicht besteht, lediglich eine
Aufwandsentschädigung kann erhoben werden. Einem eingetragener
Verein ist es zudem erlaubt, kostendeckend zu arbeiten. Falls Gewinn-
absichten bestehen, kann ein Unternehmen mit Rechtsform gegründet
werden, etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, für die keine
Einlagen notwendig sind.
Die „Möglichkeitsräume“, die für das Tool „temporäre Stadt“
infrage kommen, können sowohl Baulücken als auch leerstehende
Wohnungen bzw. Ladenlokalen sein. Für Veranstaltungen im öffent-
lichen und halböffentlichen Raum erteilt dabei grundsätzlich das
Ordnungsamt die benötigte Genehmigung. Ist von der Planung
eine Fläche oder ein Raum betroffen, der sich in privatem Eigentum
befindet, müssen beim Liegenschaftsamt Auskünfte über die Eigen-
tumsverhältnisse eingeholt werden. Wurden die Eigentümer informiert,
können sie ihre Erlaubnis zur Durchführung eines Events, dem
Aufstellen einer Installation etc. geben.
Abhängig von Größe, Art und Ort einer Veranstaltung sind ordnungs-
rechtliche Vorschriften zu Brandschutz, Fluchtmöglichkeiten,
Lärmschutz, sanitären Anlagen usw. zu beachten. Darüber hinaus sind
Konflikte mit Anwohnern nie ganz auszuschließen.
Die meisten der Projekte, die im Rahmen dieses Tools vorstellbar sind,
werden auf die eine oder andere Weise Möglichkeitsräume nutzen. Die
Initiative für eine Veranstaltung geht in aller Regel von einem Kümmerer
aus, der sich stark mit seinem Projekt identifiziert und deshalb auch
im weiteren Verlauf einen Großteil der organisatorischen Aufgaben
übernimmt, also Helfer rekrutiert, Räume sucht, Genehmigungen
einholt, Werbung macht, Kooperationspartner gewinnt etc.
siebenundvierzig
Zur Stärkung der lokalen Ökonomie können kulturelle und künstlerische
Events höchstens indirekt beitragen, die Projekte selbst haben norma-
lerweise keine Gewinnabsicht, sind also nicht primär wirtschaftlich
orientiert.
Veranstaltungen aus dem Spektrum der „temporären Stadt“ eignen
sich in höchstem Maße als Marketinginstrumente, da sie aufgrund
ihres meist deutlich innovativen und kreativen Gehalts häufig ein
Bild des Raumes vermitteln, das dem Bekannten vollkommen
widerspricht. Speziell in „Problemvierteln“ können sie damit zu einer
Imageverbesserung beitragen helfen, zumal sich zu solchen Anlässen
gegebenenfalls auch Personen von außerhalb einfinden. Daneben
fördern besondere Ereignisse, insbesondere Feste, das Zusammen-
gehörigkeitsgefühl der Bewohner und tragen so in hohem Maße zur
Stärkung der Identifikation mit „ihrem“ Viertel bei. War eine Veran-
staltung erfolgreich, kommt außerdem noch der Stolz auf das Erreichte
hinzu, der die Beteiligten dazu animiert, sich auch künftig für ihre
Nachbarschaft zu engagieren.
achtundvierzig
#04: BauSPielPlatZ
Von herkömmlichen Spielplätzen unterscheiden sich Bauspielplätze
dadurch, dass Kindern dort die Möglichkeit gegeben wird, die vorhan-
denen Geräte nicht nur passiv zu nutzen, sondern ihre Spielumgebung
aktiv (mit) zu gestalten. Beispielsweise können sie Holzhütten bauen,
Lagerfeuer machen, ihre Fahrräder reparieren, den Garten bepflanzen,
Nistkästen basteln, Metall und Holz bearbeiten und vieles mehr. Dazu
bekommen sie Baumaterialien und Werkzeug zu Verfügung gestellt
und erhalten, wenn nötig, Hilfe von Erwachsenen. Teil des Konzepts
ist häufig ein pädagogischer Ansatz: So sollen die Kinder auf dem
Bauspielplatz lernen, Respekt und Rücksicht aufeinander zu üben,
ohne Gewalt jeglicher Art miteinander umzugehen und gemeinsam
Aufgaben zu bewältigen. Zugleich ist es das Ziel, dass die Kinder
dabei ihre eigenen körperlichen Grenzen erfahren sowie lernen, mit
Rückschlägen umzugehen und durch Ausdauer zu einem selbstge-
steckten Ziel zu gelangen. Durch den erzielten Erfolg gewinnen sie
Selbstbestätigung und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Vorbild für diese Form der Abenteuerspielplätze sind die sogenannten
„Gerümpelspielplätze“, die in Dänemark eine lange Tradition besitzen.
Deren Konzeption resultiert aus den Erkenntnissen des Landschafts-
architekten C. Th. Sorenson, der Kinder beim Spielen auf Baustellen
und Schrottplätzen beobachtete. Mitte der 60er Jahre kam die Idee
nach Deutschland, als viele Erwachsene die bis dahin geltenden
Erziehungskonzepte, die fantasielosen Spielplätze sowie die Funk-
tionalisierung öffentlicher Räume hinterfragten und nach Alternativen
suchten, um ihren Kindern wieder sinnliche Erfahrungen zu ermög-
lichen und ihr Geschick, ihre Ausdauer, Kreativität und Fantasie zu
fördern (RaBauKi).
Eher temporären Charakter hat das Bauspielplatz-Projekt „RaBauKi“ in
Siegen, im Zuge dessen seit 16 Jahren jeweils für drei Wochen in den
Sommerferien eine Wiese zu einer kleinen Stadt aus Hütten, Buden
und anderen Bauwerken verwandelt wird. Aufgrund der begrenzten
Teilnehmerzahl von 150 Kindern müssen die Plätze verlost werden.
Gemeinsam mit circa 25 ehrenamtlichen Helfern sowie Lehramts- und
Sozialpädagogikstudenten wird den Kindern ein vielfältiger Lern- und
#04: BauSPielPlatZ
neunundvierzig
Erfahrungsraum geboten, bei welchem die Kinder nicht nur Hütten
bauen sondern auch zusammen kochen und spielen. Am Ende gibt es
ein großes Fest, zu welchem auch die Eltern eingeladen werden. Der
ehrenamtliche Verein RaBauKi e. V. finanziert sich neben öffentlichen
Mitteln aus Geld- und Sachspenden. Für die Kinder ist die Teilnahme
am Bauspielplatz kostenlos.
Auch in Berlin-Prenzlauer Berg gibt es seit 1990 einen Bauspielplatz,
den Kolle 37, zwischen Jüdischem Friedhof und Kollwitzstraße. Zur Zeit
seiner Gründung verstand sich der Bauspielplatz vor allem als Freizeit-
einrichtung mit vorrangig handwerklichen Angeboten. Im Laufe der Zeit,
angeregt durch den Kontakt mit den Kindern, die zum großen Teil aus
problembelasteten, sozial benachteiligten Familien stammen, wurde
dieses Angebot erweitert, um diesen Kindern besondere Aufmerk-
samkeit widmen zu können. Das Bezirksamt fördert das Projekt durch
die Finanzierung von 3,5 Stellen für pädagogische Mitarbeiter und
einer Zivildienststelle. Desweiteren wurde der Bauspielplatz mit Mitteln
des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung im Rahmen des
URBAN-Programmes finanziert sowie durch Spenden mehrerer großer
gemeinnütziger Organisationen, wie etwa der Stiftung Deutsches
Hilfswerk oder der Deutschen Klassenlotterie (Kolle 37). Der Bauspiel-
platz steht den Kindern ganzjährig am Nachmittag zur Verfügung, er
Abbildung (13): Eine der Aktivitäten auf einem Bauspielplatz
fünfzig
ist, ebenso wie der „RaBauKi“, kostenlos und ist als offene Einrichtung
konzipiert, an der jeder partizipieren darf. Der Samstag ist jeweils
Familientag, an dem sich auch die Eltern handwerklich betätigen
dürfen, zudem gibt es einen täglichen Mittagstisch. Die Aktivitäten, die
auf dem Programm stehen, reichen von Backen, Filzen, Schmieden
und kreatives Gestalten über Bogenschießen, Klettern und Akrobatik
bis hin zur Tierpflege. Jugendliche nutzen vor allem das Angebot des
kostenlosen Musikproberaums, außerdem bietet der Bauspielplatz
gute Voraussetzungen, etwas über die Natur und ihre Kreisläufe zu
erfahren: In vielen Winkeln und Nischen gedeiht eine große Artenvielfalt
an Pflanzen, Vögeln und Insekten, so dass Themen wie Ökologie,
Nachhaltigkeit und Umweltschutz den Kindern selbstverständlich und
spielerisch vermittelt werden. Ein Highlight des „Kolle 37“ stellt das
jährlich stattfindende Hüttenbaufestival dar, bei dem Gruppen von drei
bis sieben Kindern in einem Zeitraum von sechs Wochen ihre selbst
entworfene Hütte errichten.
Im Goethequartier gibt es zwar eine Menge Spielplätze, dennoch
scheinen viele der zahlreichen Kinder im Viertel ihre Zeit am liebsten
auf der Straße zu verbringen. Die meisten der vorhandenen Spiel-
plätze werden, so die Erfahrung, als eher langweilig und fantasielos
empfunden und daher trotz mangelnder Alternativen selten genutzt.
Tatsächlich sind die konventionellen Spielgeräte starr und unbeweglich,
in Beton zementiert, und lassen den Kindern daher kaum Freiraum
zu eigener Gestaltung. Besonders angesichts der dichten gründer-
zeitlichen Bebauung des Quartiers, in dem die meisten Kinder zudem
in Mietwohnungen zu Hause sind und es keinen Wald oder größere
Freiflächen gibt, wäre es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem die
Kinder (und jüngeren Jugendlichen) selbstbestimmt spielen können
Und Raum haben, ihrer Energie freien Lauf zu lassen.
Wie die Referenzbeispiele zeigen, ist ein Bauspielplatz dank seiner
Kombination aus Freiflächen und handwerklicher Angebote, hervor-
ragend dazu geeignet, Freizeitgestaltung und sozialpädagogische
Aspekte wirksam miteinander zu verbinden. Besonders geeignet
erscheint ein solcher Ansatz angesichts der sozialen Situation im
Goethequartier: Die Kinderarmut hier beträgt rund 40 Prozent, viele
Eltern sind alleinerziehend, es herrscht zum Teil eine hohe Suchtpro-
blematik und viele der Kindern können dem Regelunterricht aufgrund
von Sprachdefiziten und fehlender Unterstützung von zuhause nicht
einundfünfzig
folgen (Rückenwind e. V.). Aus eigener Erfahrung können wir zudem
sagen, dass viele der Kinder im Quartier wenig Vertrauen in ihre Fähig-
keiten besitzen, sich andererseits aber durch Neugierde und Ausdauer
auszeichnen und durchaus ihre Potentiale haben. Durch einen Bau-
spielplatz können diese Fähigkeiten gestärkt werden: Die Kinder im
Goethequartier würden mehr Selbstvertrauen erlangen und soziales,
gemeinschaftliches Handeln erlernen.
Aus Gesprächen mit den Betreuerinnen des Rückenwind e. V. wissen
wir, dass die Nachmittagsbetreuung mit bis zu 90 Kindern ihre Kapazi-
tätsgrenzen erreicht hat. Ein Bauspielplatz würde hier ein sinnvolles
Ergänzungsangebot darstellen, besonders auch für ältere Kinder, die
der Verein mit seinem Angebot nicht mehr erreicht und die noch zu
jung sind für den Jugendtreff. Anstatt auf der Straße zu spielen würde
der Bauspielplatz hier eine spannende Alternative darstellen. Um den
Bauspielplatz umzusetzen, wird vor allem viel Platz benötigt. Zwischen
Zollinlandstraße und Meidestraße befindet sich ein großes öffentliches
Areal, eine Rasenfläche, neben dem sich ein offenbar wenig genutzter
Spielplatz befindet, der in einen zukünftigen Bauspielplatz integriert
werden könnte.
Abbildung (14): Verortung des Tools „Bauspielplatz“
zweiundfünfzig
Wie die Referenzbeispiele zeigen, kann solch ein Projekt nur auf ehren-
amtlicher Basis gestemmt werden, hilfreich sind zudem Spendengelder
und eine Teilfinanzierung über Fördermittel. Andererseits können die
Kosten relativ niedrig gehalten werden, wenn das Holz und sonstige
Baumaterialien gespendet werden. Die Fläche müsste zudem natürlich
von der Stadt zur Verfügung gestellt werden.
Wichtige Akteure im Quartier, die momentan in der Kinder- und
Jugendarbeit aktiv sind und von deren Erfahrung man somit profi-
tieren könnte, sind der Rückenwind e. V. sowie das Jugendzentrum
Lehe-Treff. Eine enge Kooperation mit diesen beiden Einrichtungen
ist vor allem deswegen zu empfehlen, weil der Bauspielplatz das
bereits vorhandene Angebot im Goethequartier sinnvoll erweitern und
ergänzen kann, jedoch keinesfalls eine Konkurrenz zu bestehenden
Institutionen darstellen soll. Der Rückenwind e. V. als möglicher Partner
besitzt zudem schon Expertise im Bau von Holzhütten mit Kindern,
da eine solche Aktion bereits im eigenen Garten durchgeführt wurde.
Desweiteren wäre es denkbar, dass ein lokaler Handwerksbetrieb
die Patenschaft für das Projekt übernimmt und den Kindern mit
Fachwissen und Material zur Seite steht. Auch sonstige Bildungs- und
Betreuungseinrichtungen, wie zum Beispiel die Astrid-Lindgren-Schule,
könnten in das Projekt miteinbezogen werden und – wie andernorts
der Fall – den Bauspielplatz am Vormittag für diverse Aktivitäten mit
Klassen oder Kindergartengruppen nutzen.
Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeitnah umsetzen, da ein
passendes Grundstück zur Verfügung steht und für den Anfang nur
wenig Material benötigt wird.
Für die Gründung des Bauspielplatzes ist es ratsam, dass sich alle
Interessierten, vor allem natürlich Eltern, idealerweise angeführt von
einem „Kümmerer“, in einem gemeinnützigen Vereins zusammen-
schließen. Dadurch wird der Austausch von Ideen gefördert und das
Projekt beschleunigt, zugleich hilft eine starke Organisation dabei,
Hemmnisse zu beseitigen und die Finanzierung zu erleichtern. Deswei-
teren muss mit der Stadt ein Zwischennutzungsvertrag geschlossen
werden, der den Bauspielplatz zunächst einmal temporär – beispiels-
weise auf ein Jahr – beschränkt. Falls auf dem Areal zukünftig anderes
geplant werden sollte, kann der Spielplatz rasch wieder abgebaut
werden, ansonsten ließe sich der Vertrag mit dem Einverständnis der
beiden Vertragspartner, beliebig oft verlängern.
dreiundfünfzig
Wo gehobelt wird, da fallen Späne – und natürlich entsteht auch Lärm,
d. h., Konflikte mit Anwohnern sind nicht auszuschließen. Allerdings ist
an der betreffenden Stelle bereits ein Spielplatz vorhanden, der, falls er
gemäß seiner Bestimmung intensiv genutzt würde, auch jetzt schon
eine Geräuschkulisse erzeugen würde, außerdem ist das Quartier
in Teilen bereits jetzt durch Mischnutzung geprägt, so dass sich der
Unterschied in Grenzen halten dürfte. Eine Lösung wäre, die Öffnungs-
zeiten auf wenige Stunden am Nachmittag zu beschränken, um die
Lärmbelastung einzudämmen. Desweiteren müssten sich Erwachsene
finden, die den Bauspielplatz innerhalb der Öffnungszeiten betreuen,
da sonst die Verletzungsgefahr zu groß ist. Ein allgemeines Problem ist
zudem Vandalismus: Der Rückenwind e.V. etwa verlor im Frühjahr 2010
drei Hütten durch mutmaßliche Brandstiftung. Aus diesem Grund sollte
der Bauspielplatz außerhalb der Öffnungszeiten unzugänglich sein.
Das Tool „Bauspielplatz“ stellt eine neue, intensive Nutzungsmög-
lichkeit für einen momentan stark untergenutzten bis gar nicht
genutzten Freiraum im Quartier dar, fällt also unter die Kategorie
„Möglichkeitsraum“.
Auf jeden Fall bedarf es für Realisierung wie Betreuung eines solchen
Platzes mehrerer „Kümmerer“, die sich der pädagogischen und
handwerklichen Erziehung der Kinder annehmen und Spaß haben an
der gemeinsamen Arbeit mit jungen Menschen.
Nicht zuletzt besitzt das Tool auch unter Marketinggesichtspunkten
eine große Bedeutung, da sich viele Eltern, besonders in größeren
Städten, einen Ort wünschen, an dem ihre Kinder sich wohlfühlen und
in sicherer Umgebung spielerisch lernen, ihrer Kreativität Ausdruck zu
verleihen. Das Projekt Bauspielplatz kann, wie auch das Beispiel in
Siegen zeigt, Ausstrahlkraft weit über das Quartier hinaus entfalten.
vierundfünfzig
#05: nachBarSchaFtSGärten/ interkulturelle Gärten
In Deutschland noch vor wenigen Jahren als innovative Idee gefeiert,
gehören gemeinschaftlich genutzte Gärten in der Großstadt inzwischen
längst zum Standardrepertoire, wenn es um die (temporäre) Nutzung
innerstädtischer Brachflächen geht.
Ihren Ursprung hat die urban gardening-Bewegung in den USA, wo
bereits in den 1970er Jahren erste Gemeinschaftsgärten (community
gardens) entstanden, unter anderem in New York, das damals zu
großen Teilen im wirtschaftlichen Niedergang begriffen war. In jüngerer
Vergangenheit boomt dieses Konzept vor allem im ehemals indust-
riell geprägten Nordosten des Landes, wo zahlreiche Städte schon
seit Jahrzehnten mit dem Phänomen der Schrumpfung konfrontiert
sind. Typischerweise trifft dieser Prozess zuerst und am stärksten die
Wohngebiete im Stadtzentrum, die Stück für Stück entvölkert werden.
Während sich die Wohlhabenderen in die – auch bei schrumpfenden
Städten wie Detroit häufig florierenden – suburbanen Einfamilienhaus-
siedlungen zurückziehen, bleiben insbesondere ärmere, zumeist den
ethnischen Minderheiten zugehörige Bevölkerungsgruppen zurück.
Innerhalb Deutschlands kann für Bremerhaven zum Beispiel Leipzig
als Vorbild dienen, da dort ebenfalls innenstadtnahe Altbauquartiere
von Bevölkerungsschwund und nachfolgendem Leerstand bzw. Abriss
betroffen sind. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, entstanden
2004 im Stadtteil Lindenau auf Initiative des dortigen Stadtteilvereins
die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße, die ehemals verwahr-
loste und vermüllte Brachengrundstücke nutzen. Ziel des Projekts
war dabei „nicht die Schaffung von dauerhaftem Grün, sondern eine
stadträumliche und soziale Aufwertung dieses stark von Perforation
geprägten Gebietes als Beitrag zur langfristigen Etablierung neuer
Wohnmodelle“ (Leipziger Westen).
Am Anfang des Projekts stand die Recherche nach den Grundstücks-
eigentümern und die anschließende Kontaktaufnahme. Stellvertretend
für die Gartennutzer schloss der Stadtteilverein Lindenau daraufhin
mit den diversen Eigentümern Nutzungsvereinbarungen, die die
unentgeltliche Nutzung der Grundstücke für Nachbarschaftsgärten
fünfundfünfzig
gewährleisten. Die Verträge verlängern sich jeweils automatisch um ein
Jahr, sofern sie nicht gekündigt werden. Eine Kündigung ist allerdings
nur im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Bebauung zulässig.
Beim Anlegen des Gartens halfen neben den Mitgliedern des
Bürgervereins auch Bewohner des Stadtteil sowie Jugendliche, die
Sozialstunden ableisten mussten. Die Finanzierung erfolgte über das
EU-Programm URBAN II sowie zum überwiegenden Teil durch ehren-
amtliche Tätigkeit und Sachspenden. Entscheidend hierbei war die
tägliche Berichterstattung in der lokalen Presse, die dazu beitrug, alle
Bewohner des Stadtteils zu informieren, Spenden zu akquirieren und
weitere Bürger zum Mitmachen zu motivieren.
Die Gartenparzellen, die nicht durch Zäune abgegrenzt werden (dürfen),
werden jedes Jahr im Februar neu vergeben, die Aufteilung erfolgt
dabei in Absprache mit bereits aktiven Nutzern. Die Nutzung der
Gärten ist – abgesehen von einem einmaligen Anteil von 45 Euro am
Wasserverbrauch – kostenfrei. Um Vandalismus zu verhindern, ist das
gesamte 500 qm große Grundstück nur durch ein abschließbares Tor
zugänglich, zudem kümmert sich ein ehrenamtlicher Verantwortlicher
darum, dass einzelne Parzellen nicht verwahrlosen, d. h., er spricht
Abbildung (15): Prinzessinengarten Berlin
sechsundfünfzig
Nutzer, die ihren Teil des Grundstücks offensichtlich nicht mehr pflegen,
bei Bedarf direkt an. Die erhofften positiven sozialen Folgen haben sich
nach Angaben des Stadtteilvereins bereits eingestellt: So zog beispiels-
weise eine Familie mit fünf Kindern in ein Gebäude direkt neben den
Nachbarschaftsgärten, weil ihr die Aussicht auf eine grüne Umgebung
sowie die Möglichkeit der gärtnerischen Betätigung direkt vor der
Haustür attraktiv erschien.
Unter den unzähligen Gartenprojekten, die in Berlin verwirklicht
werden, hat in den vergangenen Jahren insbesondere der 2009
gegründete „Prinzessinnengarten“ im Stadtteil Kreuzberg eine relativ
große Bekanntheit erlangt. Vorbildlich ist er vor allem aufgrund seines
dezidiert temporären Charakters sowie seiner ökonomischen Tragfä-
higkeit. Das gemeinnützige Unternehmen ‚Nomadisch Grün‘, das die
rund 6.000 qm große Brachfläche am Moritzplatz vom Berliner Liegen-
schaftsfond gepachtet hat, versteht sich zwar in erster Linie als eine
Einrichtung zur „Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in den Bereichen
Umweltschutz, Biodiversität, Gesundheitsfürsorge, Klimaschutz und
nachhaltige Stadtentwicklung“ (Nomadisch Grün), daneben steht
jedoch auch ein gewerblicher Ansatz, der sich in einer Gartengas-
tronomie und der Direktvermarktung des Gemüses äußert. Zudem
akquirieren die Betreiber Fördergelder für ihre diversen Bildungs-,
Jugend- und Umweltprojekte und vergeben für 55 Euro pro Jahr
Patenschaften für jeweils ein Gemüsebeet.
Diese Beete bestehen aus recycelten Industriekörben, die zusammen
ein transportables und modulares System bilden, das das Projekt mobil
und gleichzeitig vom Boden unabhängig macht, wodurch zugleich
der Anbau nach Biokriterien gewährleistet ist. Gemäß ihres sozialen
und kulturellen Anspruchs veranstalten die Betreiber des „Prinzessin-
nengartens“ kollektive Gartenbauaktionen, an denen jeweils mehrerer
hundert Anwohner und sonstige Interessierte teilnehmen, eine regel-
mäßige „Gartensprechstunde“, ein Kulturprogramm, Bildungsangebote
für Kinder und Jugendliche etc. Auf diese Weise werden unterschied-
liche städtische Kulturen, Milieus und Lebensformen einbezogen, was
letztlich die Nachbarschaft in dem sozial schwachen Quartier stärkt
und aktiviert.Als weitere Argumente für die urbane Landwirtschaft
lassen sich die kostengünstige Versorgung mit gesunden, frischen
Lebensmitteln sowie die dadurch bedingte Steigerung der Lebens-
qualität anführen, hinzu kommt die Attraktivitätssteigerung durch mehr
siebenundfünfzig
Grün in der Stadt. Aspekte wie die Verkürzung von Transportwegen,
also die Reduktion von Verkehr und CO2 sowie die Verbesserung des
Mikroklimas spielen im Kontext des Goethequartiers dagegen eine eher
untergeordnete Rolle.
Die Integration von Bewohnern mit kulturell vollkommen unter-
schiedlichen Hintergründen ist das primäre Ziel der interkulturellen
oder internationalen Gärten, die seit einigen Jahren das Spektrum
der Gartenprojekte bereichern. Referenzbeispiele hierzu finden sich
zahlreich auf der Website der Stiftung Interkultur (www.stiftung-inter-
kultur.de), die ein informelles Netzwerk für sämtliche Gärten dieses Typs
in Deutschland, Österreich und der Schweiz darstellt und viele nützliche
Tipps anbietet sowie Praxisseminare veranstaltet. Insgesamt sind unter
diesem Dach momentan 112 Interkulturelle Gärten organisiert, 65
weitere sind nach Angaben der Stiftung derzeit in Planung, darunter
einer in Bremerhaven-Wulsdorf.
Welche potentiellen Vorteile und Chancen sich aus innerstädtischen
Gärten speziell für Migranten ergeben, schildert die Stiftung Interkultur
vor dem Hintergrund jahrelanger Erfahrung: Zum einen stammen
diese Menschen häufig aus kleinbäuerlichen Verhältnissen oder bringen
sonstige Erfahrungen in Gartenwirtschaft oder Handwerk mit, sind
also an Subsistenzwirtschaft gewöhnt und aufgrund ihrer begrenzten
finanziellen Mittel zum Teil sogar darauf angewiesen. Dadurch, dass
sie auch in der neuen Heimat ihre spezifischen Fähigkeiten einbringen
können, ergeben sich zudem Erfolgserlebnisse, die insbesondere für
sozial benachteiligte Menschen von großer Bedeutung sind. Darüber
hinaus stellen Interkulturelle Gärten im Idealfall Anknüpfungspunkte für
eine stärkere Integration in den Arbeitsmarkt dar und sind der beruf-
lichen Orientierung Jugendlicher förderlich. Auch das bei Migranten
häufig vermisste bürgerschaftliche Engagement kann sich in diesem
Rahmen eventuell leichter entfalten. Nicht zuletzt bietet die Vielfalt der
Pflanzen und der damit zubereiteten Gerichte die Chance des inter-
kulturellen Austauschs zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft.
Das gemeinsame Essen, das in den Interkulturellen Gärten stattfindet,
wird so zum verbindenden Element. In diesem Zusammenhang weist
die Stiftung Interkultur darauf hin, dass es sich vielfach bewährt habe,
gewisse Quoten für die Nutzung der Parzellen einzuführen, um auf
diese Weise zu verhindern, dass sich bestimmte Gruppen bewusst
abschotten (Stiftung Interkultur).
achtundfünfzig
Insbesondere das Leipziger Beispiel erscheint für den Ortsteil Goethe-
straße relevant, da Ausgangssituation (schrumpfende Stadt) wie Lage
(Altbauquartier) sehr ähnlich sind. Die einzelnen Realisierungsschritte
können daher im Grunde übernommen werden. Als vorbildlich darf
vor allem die dortige Nutzungsvereinbarung gelten, die bei konkreten
Plänen für eine Neubebauung die rasche Kündigung vorsieht, während
eine willkürliche bzw. prophylaktische Vertragsauflösung ausge-
schlossen ist. Das Modell des interkulturellen Gartens könnte zudem
für das Goethequartier interessant sein, da hier der Anteil an Menschen
mit nicht-deutscher Herkunft besonders hoch ist.
Als konkreter Ort für die Realisierung kommt im Prinzip jede Baulücke
infrage, die Größe spielt dabei keine entscheidende Rolle. Hinsichtlich
der Lage stellen sich jedoch zwei Fragen, die miteinander zusammen-
hängen: Erstens, soll der Garten etwas abseits angelegt sein, also
ruhig und geschützt, oder sich an einer eher exponierten und damit
publikumswirksamen Stelle befinden? Und zweitens, soll er primär von
den unmittelbaren Anwohnern genutzt werden oder, im Idealfall, eine
Art Treffpunkt für die Menschen aus dem gesamten Goethequartier
bilden? Im zweiten Fall würde sich das große Grundstück gegenüber
Abbildung (16): Urban Gardening in Brooklyn, New York
neunundfünfzig
der „theo“ (oder ein Teil davon) anbieten, wobei zu berücksichtigen ist,
dass diese Einrichtung selbst auf die Freifläche spekuliert, um sie als
Parkplatz nutzen zu können. Zudem könnte das Areal eventuell wieder
bebaut werden, was einer temporären Gartennutzung allerdings nicht
im Wege steht.
Wie die Beispiele zeigen, entstehen vor allem zu Beginn des Projekts
gewisse Kosten, die jedoch größtenteils durch Eigenleistung von
Freiwilligen aufgefangen werden können. Die Stiftung Interkultur rechnet
mit Anfangsinvestitionen von 5.000 bis 9.000 Euro für Geräte und
Material (Stiftung Interkultur), darin enthalten sind aber auch Posten,
die nicht in jedem Fall notwendig sind. Die Pofitorientierung spielt nur
bei den allerwenigsten Gartenprojekten eine Rolle, Gewinne lassen sich
realistischerweise nur auf größeren Grundstücken erzielen.
Relevante Akteure sind zunächst einmal die jeweiligen Grundstücks-
eigentümer; idealerweise ist dies die Stadt, die die Fläche zuvor
erworben hat. Darüber hinaus müssen auf jeden Fall die unmittelbaren
Anwohner einbezogen werden, da sie durch die Nutzungsänderung
voraussichtlich beeinträchtigt sind.
Je nachdem, wie viele (ehrenamtliche) Mitarbeiter zur Verfügung
stehen, kann eine Brachfläche innerhalb weniger Wochen für die
Gartennutzung vorbereitet werden. Zeitaufwändig gestaltet sich vor
allem die Bearbeitung bzw. der Austausch des Bodens, falls direkt
ins Erdreich gepflanzt werden soll. Werden andere Pflanzbehältnisse
benutzt, bedarf es dagegen nur einer sehr kurzen Vorbereitungszeit. Es
empfiehlt sich, mit den ersten Schritten im Winter zu beginnen, damit
die Beete rechtzeitig zu Beginn des Frühjahrs zur Verfügung stehen.
Als rechtlicher Rahmen bietet sich am ehesten ein eingetragener Verein
an, der das gesamte Grundstück vom Eigentümer (unentgeltlich)
pachtet und zeitlich befristet an die Nutzer vergibt.
Um das Konfliktpotential mit den Grundstückseigentümern zu
minimieren, ist es entscheidend, diese davon zu überzeugen, dass
die Gartennutzung auf eine zeitliche Befristung hin ausgelegt ist
und jederzeit beendet werden kann. Empfehlenswert sind daher
Nutzungsvereinbarungen nach dem Beispiel Leipzigs sowie bewusst
temporäre Pflanzbehältnisse wie im „Prinzessinnengarten“. Sofern
sechzig
sich das entsprechende Grundstück im Besitz der Stadt Bremerhaven
befindet, ist allerdings fraglich, ob eine gärtnerische Zwischennutzung
für die Verantwortlichen überhaupt in Frage kommt. Bei der Nutzung
selbst schließlich kann eine geringfügige Störung der unmittelbaren
Anwohner – je nach Lage des entsprechenden Grundstücks – nicht
ausgeschlossen werden.
Sämtliche denkbare Gartenprojekte sind primär natürlich unter dem
Aspekt der Nutzung von Möglichkeitsräumen zu betrachten, da sie in
Baulücken bzw. auf Brachflächen angesiedelt sind.
Allerdings lassen sich damit auch Marketingabsichten verfolgen, da
innerstädtische Garten-Initiativen, trotz des Booms der vergangenen
Jahre, auf lokaler Ebene immer noch eine gewisse Aufmerksamkeit
erzeugen dürften. Da Gärten zudem für die meisten Menschen extrem
positiv besetzt sind, ist damit zu rechnen, dass ein solches Projekt das
Image des Quartiers deutlich aufwertet.
Insbesondere in der Planungs- und Vorbereitungsphase braucht es
Menschen, die sich für ein relativ umfangreiches Projekt wie dieses
einsetzen. Auch danach kann, wie die Referenzbeispiele zeigen, auf die
Betreuung durch einen „Kümmerer“ vermutlich nicht völlig verzichtet
werden, da ansonsten völlige Vernachlässigung durch einige Nutzer
und eventuell Vandalismus drohen.
Die lokalökonomische Bedeutung eines Gemeinschaftsgartens
beschränkt sich in aller Regel auf die Eigenversorgung der betei-
ligten Anwohner. Wie das Beispiel des „Prinzessinnengartens“ zeigt,
kann jedoch ein solches Projekt bei entsprechender Größe auch mit
(beschränktem) kommerziellem Hintergrund betrieben werden.
einundsechzig
#06: laDen Zu VerSchenken
Ein überaus interessantes Projekt zur Belebung einer Einkaufsstraße
lief im Frühjahr 2011 in Rostock an: Dort initiierte das städtische
Wohnungsunternehmen WIRO in Kooperation mit der Ostsee-Zeitung
unter dem plakativen Namen „Laden zu verschenken“ einen Ideen-
wettbewerb, bei dem die Teilnehmer ihre Geschäftsidee für einen
Laden in der Langen Straße 5 einreichen konnten. Prämiert wurde
das beste Konzept, das selbstverständlich einen Geschäftsplan
enthalten musste, anhand dessen unter anderem Finanzierung und
wirtschaftliche Tragfähigkeit beurteilt werden konnten. Der Gewinner
des Wettbewerbs konnte ab Juni das 86 Quadratmeter große Geschäft
beziehen, die Jahresnettokaltmiete von ca.18.000 Euro wurde ihm von
der WIRO für ein Jahr erlassen. Die Jury des Wettbewerbs bestand
aus Vertretern von Politik, Wirtschaft und Medien, zudem berichtete
die Ostsee-Zeitung als Mitveranstalter ausführlich über dieses Projekt
und spendiert nach eigenen Angaben dem Sieger ein öffentlich-
keitswirksames, auf die Idee zugeschnittenes Werbekonzept (WIRO,
Ostsee-Zeitung).
Das Projekt richtete sich ausdrücklich an Existenzgründer, daher durfte
im Zusammenhang mit der Idee zuvor weder eine Gewerbeanmeldung
vorgelegen haben, noch durfte das Konzept in der Vergangenheit bei
einem anderen Wettbewerb eingereicht worden sein. Um die Existenz-
gründung zu unterstützen, bot die WIRO dem Gewinner nach dem
Wettbewerb eine fachliche Beratung an (WIRO).
Erstmals über das Projekt berichtet hatte die Ostsee-Zeitung Anfang
März 2011, nach Angaben der WIRO waren zudem rund vier Wochen
Vorbereitungszeit notwendig. Die Idee zu dem Wettbewerb stammte
von einer Mitarbeiterin der Wohnungsgesellschaft, die Gewerbefläche,
die im Rahmen dessen zur Verfügung gestellt wurde, befand sich
bereits im Bestand der WIRO (WIRO, Ostsee-Zeitung).
Im Zuge der Analyse, die die Projektgruppe im Ortsteil Goethestraße
durchführte, zeigte sich, dass Ladenleerstand hier ein Problem darstellt,
für das bislang keine befriedigende Lösung gefunden wurde – eine
Einschätzung, die unter anderem von Holger Kattert vom Designlabor
zweiundsechzig
Bremerhaven bestätigt wurde. Außerdem ergab die Analyse, dass
Existenzgründer für die wirtschaftliche Entwicklung im Ortsteil Goethe-
straße eine weit größere Rolle spielen könnten als bisher. Beide dieser
Erkenntnisse versucht das Tool „Laden zu verschenken“ zu verbinden.
Für die Implementierung des Projekts sollte ein strategisch günstiger
Ort gewählt werden. Infrage kommt beispielsweise ein leerstehendes
Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, das momentan
das einzig nicht genutzte in der Goethestraße ist. Der Laden
befindet sich in einem sanierungsbedürftigen Gebäude mit sieben
Wohneinheiten und einer Gewerbeeinheit, das derzeit im Rahmen
einer Zwangsversteigerung durch die wesDA Consulting Real Estate
Vertriebsgesellschaft mbH verkauft wird (wesDA). Dieses Gebäude
könnte aufgrund seiner Lage an der Grenze zwischen dem relativ
belebten nördlichen Abschnitt der Goethestraße und dem südlichen
Teil, der rein dem Wohnen vorbehalten ist (die Zäsur bildet hier die
Kistnerstraße), eventuell eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des
Quartiers spielen. Die Umsetzung eines öffentlichkeitswirksamen
Projekts wie „Laden zu verschenken“ an dieser Stelle wäre zudem
ein sinnvoller Beitrag zur Aufwertung des Gebiets. Sollte sich die
Durchführung hier nicht realisieren lassen, sind natürlich auch andere
Abbildung (17): Das Ladenlokal in Rostock
dreiundsechzig
Standorte denkbar, beispielsweise in der Hafenstraße, die ebenfalls
Ladenleerstand zu verzeichnen hat.
Neben der Nachnutzung eines einzelnen leerstehenden Ladens ließe
ein Ideenwettbewerb wie der eben beschriebene weitere positive
Effekte für das Gebiet erhoffen: Da die Teilnehmer mit der Erstellung
eines Geschäftsplans (in den unter Umständen viel Zeit investiert
wurde) bereits den ersten Schritt in Richtung einer Existenzgründung
unternommen haben, könnten sich einige von ihnen, die nicht den
ersten Platz erreicht haben, dazu entschließen, ihr Konzept an einem
anderen Ort umzusetzen. Auf diese Weise werden durch das Tool
möglicherweise private Existenzgründungen generell gefördert und
somit die lokalen Ökonomien auch indirekt unterstützt.
Die Kosten der Jahresnettokaltmiete beim Referenzbeispiel aus
Rostock belaufen sich auf 18.000 €, zuzüglich einiger Kosten für die
Vorbereitung des Projekts, die allerdings von der veranstaltenden
Wohnungsgesellschaft als eher niedrig eingeschätzt wurden. Zu
beachten ist allerdings, dass sich das Ladenlokal in der Langen Straße
bereits vor Beginn des Wettbewerbs im Bestand der WIRO befand,
während das von uns für die Umsetzung eines solchen Projekts
G O
E T
H E
S T
R A
S S
E
U H L A N D S T R A S S E
H E I N R I C H S S T R A S S E
A D O L F S T R A S S E
K I S T N E R S T R A S S E
Z O L L I N L A N D S T R A S S E
§HAUS 43
RÜCKENWIND
FRAUENCAFÉ
POTENTIALE (KEIMZELLE #2)
§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude
Einzelhandel
Restaurant
Café
Kneipe
Friseur
physische Barrieren
Schlüsselgebäude
Passanten
spielende Kinder
Begrünung
gestaltete Gärten
Brachfläche
Abbildung (18): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“
vierundsechzig
empfohlene Gebäude erst noch zwangsversteigert wird. Der Mindest-
kaufpreis beträgt dabei 70.000 €. (Ostsee-Zeitung, wesDA).
Die tatsächlichen Kosten der Implementierung des Tools „Laden zu
verschenken“ hängen stark von der Art der Durchführung ab und sind
nur schwer abzuschätzen. Denkbar wäre etwa, dass die Stäwog,
die grundsätzlich am Kauf einiger Gebäude im Ortsteil Goethestraße
interessiert ist, das Haus inklusive des Ladens erwirbt, um dann
das Erdgeschoss dafür zu nutzen, einen ähnlichen Wettbewerb
umzusetzen. Auch wenn hierbei neben dem Kaufpreis noch zusätzliche
Kosten für die Gebäudesanierung anfallen würden, erscheint diese
Variante besonders empfehlenswert, da so das Ladenprojekt mit einem
beispielhaften Wohnprojekt in den oberen Geschossen gekoppelt
werden könnte.
Ein alternatives Szenario sähe so aus, dass das Gebäude zunächst
von einem beliebigen Käufer erworben wird, an den anschließend der
Wettbewerbsveranstalter, eventuell das Stadtplanungsamt, herantritt,
um ihm die Durchführung des beschrieben Projekts anzubieten. Für
den Neueigentümer könnte dies attraktiv sein, da ein Geschäft mit
Abbildung (19): Leerstehendes Ladenlokal in der Goethestraße
fünfundsechzig
einem tragfähigen Konzept langfristig den Leerstand des Laden-
lokals verhindert und zugleich die gesamte Immobilie aufwertet. Bei
dieser Variante könnten die Kosten für die Anwendung des Tools
entscheidend minimiert werden, zugleich kommen jedoch andere
Unwägbarkeiten hinzu, da erfahrungsgemäß die Bereitschaft des
Eigentümers zur Beteiligung an einem solchen Projekt nicht vorausge-
setzt werden kann.
Das Beispiel aus Rostock zeigt, dass es für solch ein Projekt lediglich
zweier Parteien bedarf, die beide allerdings von großer Bedeutung
sind: Zum einen ist das der Eigentümer des fraglichen Objekts, je nach
Ausgang der Zwangsversteigerung wäre das im Goethequartier die
Stäwog, die Stadt oder ein Dritter. Im letzteren Fall sollte die Rolle des
Vermittlers und des Projektinitiators im Idealfall vom Stadtplanungsamt
übernommen werden. Zum anderen ist für eine erfolgreiche Durch-
führung eine hohe Medienpräsenz entscheidend, entsprechend der
Ostsee-Zeitung in Rostock käme im Ortsteil Goethestraße
natürlich die Nordsee-Zeitung als Kooperationspartner infrage.
In Rostock dauerte der Wettbewerb rund drei Monate, inklusive vier
Wochen Vorbereitungszeit. Eine vergleichsweise schnelle Umsetzung
scheint also möglich. Dass das empfohlene Objekt bereits zum Verkauf
steht und momentan nicht vermietet ist, spricht ebenfalls für eine
zügige Durchführung.
Nach Abschluss des Wettbewerbs kann ein gewöhnlicher Pachtvertrag
zwischen dem Besitzer und dem Nutzer abgeschlossen werden. Alle
Teilnehmer müssen zudem eine „Einverständniserklärung zur Medien-
arbeit“ unterzeichnen, in der sie sich mit der Presseberichterstattung
auch über ihre Person einverstanden erklären.
Die Besitzverhältnisse im Ortsteil Goethestraße stellen wohl die größte
Hürde bei der Implementierung des Tools „Laden zu verschenken“ am
empfohlenen Ort dar. Die Lösung dieses Problems (Zwischenerwerb
durch die Stadt) ist aufgrund der Immobilienspekulation oftmals mit
einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden.
Sollte das Objekt dagegen von einem Dritten erworben werden, der
von einer Kooperation überzeugt werden kann, weil er statt an einer
kurzfristigen Gewinnerzielung an einer nachhaltigen ökonomischen
sechsundsechzig
Verwertung interessiert ist, steht einem solchen Projekt kaum etwas
im Wege. Falls hingegen kein Interesse des Eigentümers an einem
solchen Wettbewerb besteht, müsste die Maßnahme an einem Ort mit
günstigeren Besitzverhältnissen umgesetzt werden.
Da der Schwerpunkt des Tools „Laden zu verschenken“ auf der Unter-
stützung der Existenzgründer liegt, dient es vor allem der Förderung
der lokalen Ökonomie.
Das Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße stellt aufgrund
des derzeitigen Leerstands eindeutig einen Möglichkeitsraum dar.
Durch das Tool kann dieser nachhaltig aktiviert werden, die Art seiner
Nutzung ergibt sich dabei aus dem Konzept des künftigen Mieters.
Die intensive Medienberichterstattung über ein solches Projekt erhöht
nicht nur die Chancen auf eine rege Beteiligung und auf einen ökono-
mischen Erfolg des zukünftigen Nutzers, sondern wirkt sich zweifellos
auch positiv auf das Image des gesamten Quartiers aus.
siebenundsechzig
#07: ProBewohnen
In der historischen Innenstadt von Görlitz können seit 2008 sämtliche
Interessierte – Familien, Alleinerziehende mit Kindern, Lebensgemein-
schaften, Ehepaare ohne Kinder, Singles und Senioren – unter dem
Motto „Schau doch mal rein! Probewohnen“ eine Woche lang sanierte
und voll eingerichtete Wohnungen mietfrei nutzen. Das Projekt wurde
unter der Federführung der TU Dresden in Zusammenarbeit mit dem
Görlitz Kompetenzzentrum Revitalisierender Städtebau, der Stadt
Görlitz und der WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz ins Leben
gerufen und mit Mitteln des Bundes aus dem Forschungsprogramm
„Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) gefördert.
Insgesamt gab es über 750 Bewerber aus ganz Deutschland und dem
angrenzenden Ausland, die das Angebot annehmen wollten. Aufgrund
dieses großen Interesses entschlossen sich die drei Projektpartner zur
Fortsetzung des Programms bis 2010, so dass letztlich 120 Personen,
Paaren und Familien eine Teilnahme ermöglicht werden konnte.
Während die WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz mbH die Organi-
sation übernahm, führte das Kompetenzzentrum die wissenschaftliche
Begleitstudie durch, für die jeder erwachsene Teilnehmer befragt
wurde.
Ziel der gesamten Aktion war es, Görlitzern wie auch Ortsfremden
die Vorteile und die Lebensqualität aufzuzeigen, die mit dem Leben in
der Görlitzer Innenstadt verbunden sind. Durch die Erprobung bzw.
Simulation des Wohnalltags konnten dabei eigene Wohnerfahrungen
gemacht werden, außerdem erhofft man sich von den „Probewohner“
Hinweise für die weitere Quartiersentwicklung. Angesichts des hohen
baukulturellen Werts der historischen Innenstadt ist eine Verbesserung
der dortigen Wohnqualität wie auch des Images dieses Stadtraums
von großer Bedeutung: „Nur auf dieser Basis gelingt die Erhaltung
und zukunftsorientierte Nutzung älterer Häuser in der Innenstadt von
Görlitz“ (Stadtforschung TU Bremen). Aufgrund des großen Erfolgs des
Projekts erhielt die Initiative „Probewohnen“ 2009 den Nationalen Preis
für integrierte Stadtentwicklung und Baukultur.
Aufgrund der vergleichbaren Situation, also der Lage des Gebiets in
einem historischen Innenstadtgebiet und der hohen Leerstandsquote,
achtundsechzig
würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten. Momentan
gibt es bereits ein ähnliches Projekt, das leerstehende Immobilien als
Ferienwohnungen offeriert. Der Ansatz des Probewohnens würde
allerdings noch weiter greifen: Zum einen würde das Projekt Leute
anlocken, die bislang nicht die Absicht hatten, Bremerhaven zu
besuchen, zudem würden der Charme des Gründerzeitquartiers ins
Bewusstsein rücken und die Leerstandsproblematikt thematisiert
werden, es ließe sich mediale Aufmerksamkeit erzielen und die Inter-
views mit den Probanden könnten eventuell dabei helfen, Potentiale
aufzudecken. Das Probewohnen wäre somit auch Forschungsge-
genstand und würde dazu beitragen, elementare Fragen zu klären,
wie sich die Wertschätzung des Ortsteils Goethestraße sowie seine
Wohnqualität verbessern lassen und welche gestalterischen Verände-
rungen damit verbunden sind.
Als erster Schritt ist es natürlich notwendig, eine passende Immobilie
für das Projekt ausfindig zu machen. Auf der Website der Wohnungs-
gesellschaft Stäwog steht momentan beispielsweise eine 67m2 große
Wohnung im Herzen des Goethequartiers in einem schönen sanierten
Gründerzeitgebäude leer. Das Objekt befindet sich in der Adolfstraße.
Da die betreffende Wohnung aufgrund der momentanen Leerstands-
problematik im Quartier vermutlich für einen längeren Zeitraum nicht
regulär vermietet werden kann, entstünden durch das Probewohnen
nur relativ geringe Kosten, etwa für den organisatorischen Aufwand
und die eventuell notwendige Renovierung. Andererseits würde die
G O
E T
H E
S T
R A
S S
E
U H L A N D S T R A S S E
H E I N R I C H S S T R A S S E
A D O L F S T R A S S E
K I S T N E R S T R A S S E
Z O L L I N L A N D S T R A S S E
§HAUS 43
RÜCKENWIND
FRAUENCAFÉ
POTENTIALE (KEIMZELLE #2)
§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude
Einzelhandel
Restaurant
Café
Kneipe
Friseur
physische Barrieren
Schlüsselgebäude
Passanten
spielende Kinder
Begrünung
gestaltete Gärten
Brachfläche
Abbildung (20): Verortung des Tools „Probewohnen“
neunundsechzig
Aktion der Stäwog voraussichtlich viel mediale und öffentliche Aufmerk-
samkeit bescheren, die sich mittelfristig auch ökonomisch auszahlen
dürfte. Zudem befände sich die Wohnung durch die Renovierung in
bestem Zustand, so dass sie bei Interesse sofort vermietet werden
könnte. Für die Möblierung der Wohnung würde es sich anbieten,
ortsansässige Möbelgeschäfte oder Möbeltischlereien um Ausstel-
lungsstücke zu bitten, um die Wohnung komfortabel und gemütlich
einrichten zu können (im Unterschied zu Görlitz, wo ausschließlich
IKEA-Möbel verwendet wurden). Die Renovierung könnten Bremer-
havener Handwerksbetriebe übernehmen und im Gegenzug dafür als
Sponsoren wirksame mediale Aufmerksamkeit genießen.
Als Hauptakteur, der die Wohnung bereitstellt, kommt in erster Linie
natürlich die Stäwog in Frage, das Stadtplanungsamt wäre wichtig
bei der Koordinierung und Organisation des Projekts. Außerdem
könnte das Designlabor die Aktion begleiten und auch die Befragung
der Probanden sowie die Auswertung der gesammelten Daten
übernehmen. Zudem müssten Sponsoren gefunden werden, die Möbel
zur Verfügung stellen und Handwerksarbeiten übernehmen.
Eventuell könnte auch das gesamte Projekt „Probewohnen“ unter
Federführung des Designlabors stattfinden (in Kooperation mit
der Stäwog natürlich) und unter dem Titel „Verlorene Orte 3“ die
Forschungsreihe dieser Einrichtung mit dem Thema Leerstände im
Wohnungsbereich fortsetzen. Damit würde das Projekt zweifellos auch
Abbildung (21): Probewohnen in der historischen Altstadt von Görlitz
siebzig
einen besonders hohen kreativen und innovativen Gehalt bekommen.
Beispielsweise könnten die Möbelstücke und Accessoires für die
Wohnung von den Stipendiaten des Designlabors in Eigenregie herge-
stellt werden, zudem würden die Ergebnisse der Aktion anschließend in
einem Projektbericht veröffentlicht werden.
Das Tool „Probewohnen“ sollte baldmöglichst in Angriff genommen
werden, da es relativ einfach und mit wenig finanziellem Aufwand
umzusetzen ist, bei den Teilnehmern jedoch interessante Erfahrungen
zutage fördert und auch den veranstaltenden Institutionen eventuell
zu neuen Erkenntnissen verhilft. Zudem bringt solch ein Projekt auf
jeden Fall mediale Aufmerksamkeit für das Goethequartier mit sich.
Hinsichtlich der zeitlichen Dauer kann die Aktion zunächst auf einen
einjährigen Zeitraum beschränkt werden, bei großer Nachfrage lässt
sich das Projekt nach Belieben verlängern.
Wenn das Projekt in Kooperation mit der Stäwog erfolgt, ergeben
sich keinerlei rechtlichen Probleme, da die Wohnungsgesellschaft auf
diesem Gebiet viel Kompetenz und Erfahrung mitbringt und im Allge-
meinen gegen Schäden etc. bereits gut abgesichert ist.
Die Dauer des Probewohnens sollte eine Woche nicht übersteigen,
außerdem müssen die Bewerber sorgfältig ausgewählt werden, da
andernfalls eventuell Probleme mit sogenannten „Mietnomaden“
auftreten, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen.
Zum einen nutzt das Tool „Probewohnen“ einen Möglichkeitsraum und
zeigt durch attraktive Zwischennutzung dessen Potential auf.
Zum anderen lässt es sich unter die Kategorie der Förderung lokaler
Ökonomien einordnen, da es sich aktiv damit beschäftigt, wieder eine
funktionierende Immobilienstruktur und damit Perspektiven für Mieter
und Vermieter im Quartier zu schaffen.
Nicht zuletzt beinhaltet es einen Marketingaspekt, da es mediale
Aufmerksamkeit verschafft und der Außenrepräsentation dient.
einundsiebzig
#08: wächterhäuSer
Große mediale Aufmerksamkeit erfuhr in jüngster Zeit das Projekt
des 2004 in Leipzig gegründeten Vereins HausHalten e. V. Engagierte
Stadtplaner, Architekten und Geographen haben sich dabei zum Ziel
gesetzt, Altbaugebäude in städtebaulich wichtigen Lagen vor dem
Verfall zu bewahren. Hintergrund der Aktion ist die seit 1990 erfolgte
Sanierung von circa 80 Prozent der gründerzeitlichen Bebauung in
Leipzig, die einherging mit einem Rückgang der Bevölkerung um rund
100.000 Einwohner im selben Zeitraum. Infolge dessen stehen derzeit
etwa 45.000 Wohnungen in der Stadt leer. Durch das extreme Überan-
gebot an Wohnraum besteht vielerorts kaum eine Chance auf reguläre
Wiedernutzung, zugleich führt der Leerstand nicht nur zu einem
schnelleren Verfall der Gebäudesubstanz, sondern bringt die Eigen-
tümer oftmals auch in eine schwierige finanzielle Lage. Um den Verlust
zumindest der denkmalgeschützten Gebäude zu vermeiden, hat es
sich HausHalten e. V. zur Aufgabe gemacht, Eigentümer leerstehender
Gebäude und kreative Raumsuchende zusammenzubringen: Die einen
werden von ihren Betriebskosten entlastet und erhalten von den Nutzer
Leistungen wie Instandhaltung und Kontrolle, die anderen bekommen
ihrerseits viel Fläche für wenig Geld zur Verfügung gestellt. Mit diesem
Modell wird Vandalismus verhindert, und entstehende Witterungs-
schäden werden von den Nutzern zügig gemeldet oder eigenständig
behoben. Der Leitgedanke der „Wächterhäuser“ lautet somit: „Gebäu-
deerhalt durch Nutzung“.
Konkret sieht es so aus, dass sich Interessenten bei dem Verein mit
einem Konzept für ein „Wächterhaus“ bewerben können. Bevorzugt
werden besonders kulturelle, soziale und gewerbliche Nutzungen,
da man davon ausgeht, dass sie eine positive Ausstrahlung auf
das Quartier haben. Wohnnutzung ist aus diesem Grund nur in
Verbindung mit Gewerbenutzung möglich. Die Nutzer, die vor Einzug
Mitglieder des Vereins werden müssen, bezahlen in der Regel keine
Mietkosten, lediglich Betriebskosten und Vereinsbeiträge. Besonders
in den ersten Monaten werden sie zudem in organisatorischen und
bautechnischen Fragen unterstützt, außerdem stellt der Verein über
die gesamte Nutzungsdauer Werkzeug für Reparaturarbeiten zur
Verfügung. Generell übernimmt HausHalten e. V. neben der Vermittlung
auch eine beratende Funktion: Eigentümern in besonders schwieriger
zweiundsiebzig
Lage beispielsweise wird geholfen, Fördermittel zur Sicherung ihrer
Gebäude zu beantragen. Zugleich werden vom Verein offensiv solche
Nutzer („Hauswächter“) angeworben, die mit fachlicher Unterstützung
in der Lage sind, die Immobilienobjekte in einen nutzbaren Zustand
versetzten. Dabei wird auch auf das Wissen und Können der lokalen
Bevölkerung und des Handwerks zurückgegriffen, kleinere Arbeiten an
den Häusern werden zudem von langzeitarbeitslosen Jugendlichen im
Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt (HausHalten e.
V.).
Die Wohndauer in „Wächterhäusern“ ist zumeist begrenzt auf fünf
Jahre, das Modell stellt also eine befristete Zwischennutzungslösung
dar. Allerdings hat der Eigentümer die Möglichkeit, sein Objekt auch
vorzeitig auf den klassischen Immobilienmarkt zurückzuführen, weshalb
für beide Parteien eine Kündigungsfrist von vier Wochen gilt. Das
Projekt ist mittlerweile so erfolgreich, dass alleine in Leipzig bereits 13
solcher Wächterhäuser existieren, daneben interessieren sich auch
andere ostdeutsche Städte (sowie zunehmend solche im Westen)
für das Konzept. So wurden beispielsweise in Erfuhrt, Chemnitz und
Magdeburg Vereine nach dem Modell von HausHalten e. V. gegründet
Abbildung (22): Eines der Wächterhäuser in Leipzig
dreiundsiebzig
und es entstanden erste Wächterhäuser (HausHalten e. V., HausHalten
Magdeburg e. V., Stadthalten-Chemnitz e. V.).
HausHalten e. V. in Leipzig lädt ausdrücklich dazu ein, das Konzept
„Wächterhäuser“ zu kopieren. Aufgrund einer ähnlichen Problematik im
Goethequartier (Leerstand und Verfall der gründerzeitlichen Bebauung)
eignet sich das Konzept ganz offensichtlich für die Implementierung in
diesem Gebiet. Da Eckgebäude in der hauptsächlich von Altbau gebil-
deten Blockrandstruktur eine herausgehobene Bedeutung haben, d. h.
entscheidend für das Straßenbild sind, sollten diese zuerst als poten-
tielle „Wächterhäuser“ geprüft werden. Zumal sie sich aufgrund eher
ungünstiger Grundrisse und einem relativ kleinen Innenhofgrundstück
regulär besonders schwer vermieten lassen und damit mehr als andere
Gebäude vom Verfall bedroht sind. Konkret könnte sich etwa das als
„Schlüsselgebäude“ identifizierter Objekt an der Ecke Goethestraße/
Kistnerstraße für die Umsetzung des Tools „Wächterhaus“ anbieten,
doch auch andere Immobilien müssten natürlich auf ihre Eignung
geprüft werden.
G O
E T
H E
S T
R A
S S
E
U H L A N D S T R A S S E
H E I N R I C H S S T R A S S E
A D O L F S T R A S S E
K I S T N E R S T R A S S E
Z O L L I N L A N D S T R A S S E
§HAUS 43
RÜCKENWIND
FRAUENCAFÉ
POTENTIALE (KEIMZELLE #2)
§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude
Einzelhandel
Restaurant
Café
Kneipe
Friseur
physische Barrieren
Schlüsselgebäude
Passanten
spielende Kinder
Begrünung
gestaltete Gärten
Brachfläche
Abbildung (23): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“
vierundsiebzig
Für die Übertragung des Leipziger Konzepts auf andere Städte gibt es
bei HausHalten e. V. eine Ansprechperson, die Beratung interessierter
Kommunen übernimmt das Bildungs- und Kompetenzzentrum des
Vereins. Zudem wurde ein Maßnahmenkatalog für die Errichtung eines
„Wächterhauses“ erarbeitet, der an dieser Stelle kurz skizziert werden
soll:
1. Zunächst werden geeigneter Objekte identifiziert, danach erfolgt die
Kontaktaufnahme mit den Eigentümern. Diesen wird der Projektansatz
vorgestellt und somit eine Möglichkeit aufgezeigt, ihrer häufig ausweg-
losen Situation zu entkommen. Anschließend folgen die Einschätzung
des baulichen Zustands sowie die Erstellung eines fachlich fundierten
Gutachtens über die unumgänglichen Sicherungsmaßnahmen.
2. In einem nächsten Schritt wird der rechtliche Rahmen des jeweiligen
Projekts festgelegt. Auf Grundlage der abgeschlossenen Verträge
können Zuschüsse und Fördermittel zur Gebäudesicherung an den
Hauseigentümer gewährt werden.
Abbildung (24): Wächterhaus in Leipzig-Lindenau
fünfundsiebzig
3. Danach werden Nutzer mit einem für das konkrete Gebäude
passenden Konzept gesucht und die erforderlichen Sicherungs- bzw.
Instandsetzungsmaßnahmen durch Fachfirmen durchgeführt. Nun kann
die Übergabe der Immobilie an die „Hauswächter“, die vom Verein
beraten unterstützt werden, erfolgen.
4. Um den Ansatz des „HausHaltens“ insgesamt bekannt zu machen
und zugleich positive Auswirkungen für das Quartier zu erzielen, bietet
sich eine öffentlichkeitswirksame Eröffnung des Hauses, etwa mit
einem Straßenfest, an (HausHalten e. V.).
Für die erfolgreiche Einrichtung der „Wächterhäuser“ bedarf es
natürlich gewisser Anfangsinvestitionen Allerdings können diese durch
Einbeziehung von Fördermitteln und ehrenamtlicher Arbeit (zumindest
theoretisch) beinahe auf Null reduziert werden.
Obwohl prinzipiell ganz unterschiedliche Akteure für die Einrichtung
der Wächterhäuser denkbar wären, etwa die Stadt selbst, die Stäwog,
einzelne Eigentümer etc., scheint sich am ehesten das Modell
aus Leipzig anzubieten: ein zu diesem Ziel gegründeter Verein aus
engagierten Bürgern, die die gründerzeitliche Bausubstanz ihrer Stadt
bzw. ihres Viertels erhalten wollen. Fachwissen in den Bereichen Archi-
tektur, Bauingenieurwesen, Stadtplanung oder Jura wäre dabei zwar
von Vorteil, ist allerdings keine unbedingte Voraussetzung, da auf die
grundsätzlichen, vielfach erprobten Verfahrensweisen sowie auf alle
notwendigen rechtlichen Instrumente, die in Leipzig erarbeitet wurden,
zurückgegriffen werden kann.
Die Vorbereitung des Projekts kann einige Zeit in Anspruch nehmen,
da viele Aspekte geklärt werden müssen. Die konkrete Zeitspanne, die
etwa zwischen einigen Monaten und über einem Jahr variieren dürfte,
häng dabei von vielen Faktoren ab: der Suche nach Eigentümern, der
Zusammenstellung der beteiligten Personen, der Bereitstellung von
Fördermitteln etc. Entscheidend ist jedoch, dass kaum etwas dagegen
spricht, mit der Umsetzung sofort zu beginnen.
Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für solche Projekte
als vorteilhaft erwiesen hat. Den grundsätzlichen rechtlichen Rahmen
für die Wächterhäuser stellt zudem die sogenannte „Gestattungsver-
einbarung Haus“ zwischen dem Eigentümer und dem zuständigen
sechsundsiebzig
Verein/Akteur dar. Hierdurch wird die Übergabe der Nutzungsrechte
an den Verein für einen bestimmten Zeitraum – in der Regel fünf Jahre
– festgelegt. Die Eigentumsrechte und -pflichten werden dabei nicht
berührt; ein Verkauf oder eine herkömmliche Sanierung beispielsweise
sind weiterhin (auch während der Vertragszeit) möglich. Zwischen
dem Verein und den Nutzern werden sodann Unternutzungsverträge
abgeschlossen. In der Folge kann sich daraus ein direktes, reguläres
Vertragsverhältnis ergeben (HausHalten e. V.).
Ab dem Zeitpunkt, da der Wunsch entsteht, das Tool „Wächter-
häuser“ im Goethequartier zu implementieren, bis zur Eröffnung des
ersten Hauses sind sicherlich einige Hürden zu überwinden. So ist
beispielsweise nicht sicher, ob der Eigentümer einer ins Auge gefassten
Immobilie erfolgreich ermittelt werden kann und ob seinerseits die
Bereitschaft zur Mitwirkung an dem Projekt besteht. Zudem müsste
zunächst sichergestellt sein, ob in Bremerhaven überhaupt genügend
Personen vorhanden sind, die willens und in der Lage sind, einen
Verein zu gründen und dessen Arbeit voranzutreiben. Durch die
umfangreiche Vorleistung des HausHalten e. V. in Leipzig steht aller-
dings ein nicht zu unterschätzender Pool an Know-how bereit, der bei
der Lösung möglicher Probleme hilfreich sein kann.
Das Tool deckt wie kaum ein anderes alle übergeordneten Kategorien
ab, die für das Quartier als ausschlaggebend ermittelt wurden.
Zunächst einmal werden durch die Wächterhäuser „Möglichkeits-
räume“, d. h. hier Wohnungsleerstand, nachhaltig aktiviert und für
einen für das Quartier positiven Zweck eingesetzt.
Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutige
Orientierung an gewerblicher und kultureller Nutzung. Auch die Einbe-
ziehung lokaler Handwerksbetriebe und die Zusammenarbeit mit der
Arbeitsagentur verfolgt das Ziel, die Wirtschaftskraft im Quartier zu
stärken.
Die Berichterstattung über das innovative und medienwirksame Projekt
kann das Image des Quartiers zu verbessern helfen.
Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt,
so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als
besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven
städtischen Gesellschaft.
siebenundsiebzig
#09: MoDe auS DeM quartier
Der kleine Hamburger Stadtteil Veddel, auf einer Elbinsel im Hafen-
gebiet gelegen, ist äußerst multikulturell geprägt und wird in der
Öffentlichkeit zumeist als sozialer Brennpunkt wahrgenommen. Das
„Förderwerk Elbinseln e.V.“ jedoch suchte 2008 nach den Potentialen
der dort lebenden Menschen und entdeckte, dass viele der Migran-
tinnen ausgesprochen gute Näherinnen sind und zum Teil Techniken
beherrschen, die andernorts längst in Vergessenheit geraten sind.
Daraufhin initiierte man – finanziert durch Gelder der Internationalen
Bauausstellung Hamburg (IBA) – ein Bewerbungs- und Ausbildungs-
programm, das sich als so erfolgreich erwies, dass im folgenden Jahr,
2009, mit finanzieller Unterstützung der EU-Initiative „Lokales Kapital
für soziale Zwecke – Stärken vor Ort“ ein Werkstatt-Atelier im Stadtteil
Veddel eingerichtet wurde. Es folgte, ermöglicht durch Privatspenden
und Förderprogramme, die Gründung einer Produktionsgenossen-
schaft, aus der schließlich in Kooperation mit der Hamburger
Modedesignerin Sibilla Pavenstedt das integrative Projekt „Made auf
Veddel“ hervorging. Im Herbst 2010 wurde dieses an die Pavenstedt &
Pauli GmbH übertragen, die sich dazu verpflichtet hat, es mindestens
bis 2013 im Sinne der Initiatoren weiterzuführen.
Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit entsteht nun auf der Veddel
aufwendige, multikulturell inspirierte Haute Couture. Als echter
Verkaufsschlager erwies sich daneben zur Advents- und Weihnachts-
zeit individuell gefertigter Christbaumschmuck, der in Hamburger
Boutiquen verkauft wurde. Die Teilnehmerinnen, Frauen aus aller Welt,
profitieren von dem Projekt in mehrfacher Hinsicht: Zum einen wird
ihnen ermöglicht, ihre handwerklichen Fähigkeiten einzusetzen und
weiterzuentwickeln, zum anderen gewinnen sie im Zuge dessen einen
engeren Bezug zum eigenen Stadtteil und fühlen sich dadurch stärker
integriert.
Auch im Goethequartier leben viele Menschen nicht-deutscher
Herkunft, weshalb man davon ausgehen kann, dass auch unter ihnen
die eine oder andere Person zu finden ist, die über besondere Fähig-
keiten in einer der diversen Handarbeitstechniken verfügt. Allerdings
muss das Referenzprojekt „Made auf Veddel“ an die lokalen Gegeben-
heiten in Bremerhaven angepasst werden, da hier beispielsweise nicht
achtundsiebzig
dieselben potentiellen Käuferschichten wie in Hamburg existieren.
Deswegen empfiehlt es sich, das Tool „Mode aus dem Quartier“
(zunächst) auf einer weit niedrigeren Ebene anzusiedeln und andere
Kooperationspartner, Kunden und Vertriebswege eventuell erst zu
einem späteren Zeitpunkt ins Auge zu fassen. Zunächst einmal sollte
es darum gehen, einen losen Kreis aus talentierten Menschen mit
Handarbeitsfähigkeiten zu bilden, der anfangs als informelles Netzwerk
fungiert und dem persönlichen und fachlichen Austausch dient.
Dafür müssen zunächst weder Räume gemietet werden, noch ist es
notwendig, einen Verein, eine Genossenschaft o. Ä. zu gründen.
Möglicherweise findet sich unter den Beteiligten bereits eine Person,
die gemeinsam mit anderen eigene Entwürfe umsetzen möchte. Falls
nicht, könnten etwa Privatpersonen gesucht werden, die Interesse an
einer kostengünstigen Fertigung ihrer selbstentworfenen Kreationen
haben. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass dies explizit unter
einem eigenen Namen geschieht (der optimalerweise Bezug nimmt
auf den Herkunftsort), da es mittelfristig das Ziel sein muss, die „Mode
aus dem Goethequartier“ zu einer eigenen „Marke“ zu machen – nicht
notwendigerweise im rechtlichen Sinne, aber zumindest inoffiziell. Als
Kooperationspartner infrage kommen eventuell auch Absolventen
des Studiengangs „Mensch und Mode“ der Hochschule für Künste
Abbildung (25): Eine Näherin fertigt Weihnachtsschmuck
neunundsiebzig
Bremen, die sich nach dem Studium selbständig zu machen versuchen
und dabei zum größten Teil über wenig finanzielle Mittel verfügen.
Sollte es irgendwann gelingen, das Projekt kommerziell so erfolgreich
zu gestalten, dass Einnahmen erzielt werden, kann schließlich auch
über die Anmietung eigener Räume nachgedacht werden. Ein geeig-
neter Ort hierfür wäre beispielsweise das unter Tool #08 erwähnte
potentielle „Wächterhaus“ an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, da
dieses Konzept ausdrücklich eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe
vorsieht.
Da Menschen mit besonderer Begabung für textile Handarbeit im
Normalfall eine Nähmaschine besitzen, sind keine größeren Anfangsin-
vestitionen notwendig. Für das Anbieten der eigenen Dienstleistungen
eignen sich Anzeigen, Aushänge, Flyer etc., die ebenfalls nur recht
geringe Kosten verursachen, hinzu kommt kostenlose Mund-zu-Mund-
Propaganda und eventuell ein Internetauftritt.
Ob mit diesem Projekt, ähnlich wie in Hamburg, Gewinne zu erzielen
sind, lässt sich wegen der mangelnden direkten Vergleichbarkeit vieler
Faktoren im Vorfeld nicht abschätzen. In diesem Zusammenhang muss
allerdings immer berücksichtigt werden, dass bei „Made auf Veddel“
Abbildung (26): Vorlage für eine Suchanzeige
achtzig
wesentlich höhere Investitionen getätigt wurden, die durch Stiftung-
und Fördergelder aufgebracht wurden. Selbstverständlich bietet sich
die Beantragung von Mittel aus Initiativen wie „Lokales Kapital für
soziale Zwecke - Stärken vor Ort“ auch für das Goethequartier an,
dazu muss das Projekt zunächst einmal allerdings einen hohen Konkre-
tisierungsgrad erreicht haben und konzeptionell ausgearbeitet werden.
Falls es gelingt „Mode aus dem Quartier“ bis auf eine kommerziell
erfolgreiche Stufe zu führen, sind natürlich auch Einnahmen zu
erwarten, da handgearbeitete Textilwaren prinzipiell begehrt sind. Im
Vordergrund steht aber zunächst der integrative Gedanke.
Personen, die über besondere Handarbeitskenntnisse verfügen,
können eventuell in der Moschee im Viertel, in Kulturvereinen oder dem
Frauencafé in der Goethestraße geworben werden. Die Vorlage einer
solchen Anzeige inklusive Übersetzungen ins Türkische und Arabische,
findet sich in Abbildung 26. Außerdem ist das Tool „Mode aus dem
Quartier“ in besonderem Maße auf „Kümmerer“ angewiesen, die bei
diesem Projekt die Initiative übernehmen, d. h. potentielle Kunden
akquirieren, Kontakte suchen (bzw. bereits über diese verfügen), die
Verständigung innerhalb der Gruppe organisieren etc.
Abbildung (27): Eine Modenschau
einundachtzig
Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen gebunden, könnte also
sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Erfolg dürfte sich frühestens
nach einem Jahr einstellen, bis die „Marke“ in Bremerhaven sowie,
idealerweise, auch darüber hinaus ansatzweise etabliert ist, kann ein
weiteres Jahr oder mehr vergehen.
Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig, es kann
jedoch ein eingetragener Verein gegründet werden. Bestehen
irgendwann Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine
Offene Handelsgesellschaft (OHG).
Sofern die Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen kommen, sind
aller Voraussicht nach gewisse Sprachbarrieren und kulturelle Diffe-
renzen zu überwinden, auch die erste Kontaktaufnahme, d. h. die
Suche nach interessierten Personen, gestaltet sich eventuell schwierig.
Je nach Gruppengröße muss außerdem ein geeigneter Raum gefunden
werden; infrage kommen hier sicherlich die „theo“ sowie möglicher-
weise das Frauencafé. Die größte Hürde dürfte jedoch das Herantragen
des Angebots an mögliche Kunden darstellen, auf diesem Feld muss
der „Kümmerer“ also besonders aktiv sein.
Das Tool lässt sich zunächst einmal in die Kategorie „Kümmerkon-
zepte“ einordnen, da der Schwerpunkt bei diesem Projekt vor allem zu
Beginn auf der sozialen Integration liegt und das Projekt viel persön-
liches Engagement benötigt.
Im Idealfall gewinnt die „Mode aus dem Quartier“ auch eine lokal-
ökonomische Bedeutung und kann damit zugleich zur Nutzung von
Möglichkeitsräumen beitragen.
Schließlich hätte eine Marke, die Bezug nimmt auf das Goethequartier,
auch unter Marketinggesichtspunkten eine positive Wirkung auf das
Image des Viertels.
zweiundachtzig
#10: öFFentliche hotSPotS
Die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verarbeiten und auszutau-
schen ist im 21. Jahrhundert zweifellos eine Grundvoraussetzung für
sozialen und ökonomischen Erfolg. Unumstritten ist mittlerweile auch,
dass das Internet als eine Metatechnologie die Schlüsselrolle in der
Informationsgesellschaft spielt.
Für Privatpersonen wird ohne Internetverbindung der Zugang zu vielen
Verdienstmöglichkeiten, beruflichen Netzwerken und Konsummärkten
erheblich erschwert, zum Teil sogar unmöglich gemacht. Zugleich
zeigen empirische Studien, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen
(in den Industrieländern sind es Frauen, ethnische Minderheiten,
Menschen mit niedriger Bildung und geringem Einkommen, Bewohner
des ländlichen Raums und Ältere) bei der Internetnutzung unterre-
präsentiert sind. Dieses gesellschaftliche Phänomen wird als „Digitale
Spaltung“ oder „Digitale Kluft“ bezeichnet. Da sich die Ungleichheit
beim Zugang zum Internet zudem nachhaltig negativ auf die übrigen
Lebensbereiche auswirkt, kann bzw. muss die Bekämpfung der
„Digitalen Spaltung“ durchaus als öffentliche Aufgabe gesehen werden
(Hiesmeir u.a. 2011).
Viele Gemeinden stellen sich dieser Aufgabe bereits und fördern neben
Internet-Einsteigerkursen beispielsweise den Ausbau der kostenlosen
Internet-Infrastruktur. Eines der ersten Projekte dieser Art existiert seit
Dezember 2002 in Hamburg: HOTSPOT HAMBURG ist ein Projekt der
Initiative Hamburg@work in Kooperation mit der Deutschen Telekom,
Fujitsu Siemens Computers, Datenlotsen-Informationssysteme und
Siggelkow Computer und ermöglicht mittlerweile vielerorts einen
drahtlosen Internetzugang. Zwar richtet sich das Angebot vor allem
an Touristen, kann und wird jedoch auch von den Anwohnern genutzt
(Hamburg Tourismus, Flensburg Online).
Ein weiteres Pilotprojekt ist die „Hotspot-Initiative“ der österreichischen
Stadt Linz. Hier wurden an 130 öffentlichen Gebäuden und Orten
Verbindungsstationen für den Einstieg ins Internet per Funknetz einge-
richtet. Zusätzlich gibt es an ausgewählten Orten auch kostenlose
Leihlaptops (Hiesmeir u.a. 2011).
#10: öFFentliche hotSPotS
dreiundachtzig
Weltweit bekannt ist zudem das Angebot des Konzerns Starbucks: In
mehr als 6.800 ihrer amerikanischen Filialen betreibt die Kaffeehaus-
Kette eine Mediennetzwerk, bei dem die Besucher über das Internet
auch Zugriff auf zahlreiche Musik- und E-Book-Angebote haben. In den
deutschen Filialen ist die Internetnutzung allerdings auf zwei Stunden
begrenzt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Aufenthaltsqualität durch
kostenfreien Internetzugang so gesteigert wird, dass sich die Einrich-
tungskosten im Hinblick auf die ökonomischen Vorteile häufig sehr
relativieren (Süddeutsche Zeitung).
Das größte Projekt dieser Art kommt allerdings aus Estland: Der
kostenlose Internetzugang ist in dem baltischen Staat ein verfas-
sungsmäßiges Grundrecht. Mit über 1.000 Zugangspunkten wird hier
praktisch das gesamte Land mit einer schnurlosen Internet-Infrastruktur
erschlossen, rund die Hälfte der Punkte ist kostenfrei (Hamburger
Abendblatt).
Bremerhaven verfügt zwar bereits über einige kostenfreie Hotspots,
allerdings handelt es sich überwiegend um kommerzielle Angebote,
also um solche in Cafés oder Hotels. Außerdem befinden sich alle
Angebote außerhalb des Ortsteils Goethestraße (Cityreview).
Abbildung (28): Beschilderung eines Hotspotbereichs
sechsundachtzig
Unsere Analyse der Bevölkerungsstruktur hat ergeben, dass jedoch
gerade hier viele der Bevölkerungsgruppen leben, die bei der Inter-
netnutzung in der Regel unterrepräsentiert bleiben, insbesondere
ethnische Minderheiten und Menschen mit geringem Einkommen. Eine
Hotspot-Initiative im Goethequartier könnte also zugleich ein wichtiger
Beitrag zur Bekämpfung der „Digitalen Spaltung“ wie zur Aufwertung
des Gebiets und zur Tourismusförderung sein.
Bei der Umsetzung gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansatz-
punkte: Die Umsetzung seitens der Kommune (Stadtnetz) oder das
sogenannte „BürgerInnennetz“. Bei der technischen Implementierung
eines Stadtnetzes bietet sich die sogenannte „vermaschte Topologie“
an. Dabei werden mehrere Zugangspunkte (oder Access-Points) in
einem Netzwerk zusammengeschlossen, wobei sich jeder Punkt
in Reichweite von zwei anderen befindet. Auf diese Weise kann ein
größerer Versorgungsbereich mit Wireless LAN (WLAN) abgedeckt
werden als bei anderen Technologien, die Einrichtung ist kostengüns-
tiger, weil weniger Kabel benötigt werden, zudem kann so ein höherer
Grad an Zuverlässigkeit hergestellt werden, da der Ausfall eines
Knotens durch die anderen Knoten im Netzwerk abgefangen wird
(Vachon u.a. 2009).
Der zweite Ansatz, das „BürgerInnennetz“ existiert zum Beispiel bereits
in London, Wien, Graz und in fast allen deutschen Großstädten. Seine
Verbreitung wird allerdings durch den geringeren Bekanntheitsgrad
etwas gehemmt. Grundlage dieser Technologie ist die Verbindung
von privaten WLAN-Knoten seitens der Internetnutzer oder durch
Vereine. Dabei wird der eigene Zugang kostenlos anderen Nutzern
zur Verfügung gestellt, der Zusammenschluss erfolgt in der Regel
selbstorganisiert. Bei genügend Teilnehmern entsteht auf diese Weise
ein Netzwerk, das ganze Stadtteile umfassen kann und sämtlichen
Mitgliedern einen mobilen Internetzugang ermöglicht. Die Abhängigkeit
von einem Provider wird auf diese Weise überwunden. Unter www.
freifunk.net wird die Funktionsweise und die Einrichtung eines „Bürger-
Innennetzes“ näher beschrieben (Hiesmeir u.a. 2011).
Im Falle eines Stadtnetzes ist die Investition seitens der Gemeinde
notwendig, angesichts der enormen positiven Auswirkungen werden
Abbildung (29): Schematische Darstellung einer Hotspot-Infrastruktur
siebenundachtzig
diese eher geringen Ausgaben aber als sinnvoll erachtet. Da durch die
Maßnahme auch die Privatwirtschaft in dem jeweiligen Gebiet profitiert,
könnte die Finanzierung zudem durch die städtische Wirtschafts-
förderung erfolgen. Auch die Einbeziehung von EU-Fördergeldern
für Tourismusprojekte sowie eine eventuelle Mischfinanzierung sind
denkbar.
Eine Kooperation mit privaten Akteuren ist möglich, aber nicht
vollkommen unbedenklich. Das Beispiel San Francisco, wo die Stadt
eine Kooperation mit dem Konzern Google einging, hat gezeigt, dass
bei diesem Modell ein Potential für Missbrauch durch die privaten
Partner besteht. So wurden persönliche Nutzerdaten im großen
Umfang gesammelt, um durch personifizierte und ortsgebundene
Werbeanzeigen das Projekt zu refinanzieren.
Ein „BürgerInnennetz“ erfordert dagegen keine städtischen Inves-
titionen, wie die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, werden im
Grundsatz lediglich ein alter Computer, eine selbstgebastelte Antenne
und etwas Kabel benötigt, um ein Haus mit 35 Bewohnern für weniger
als vier Euro pro Person und Monat mit Bandbreitinternet zu versorgen
(Hiesmeir u.a. 2011).
Abbildung (30): Internetnutzung im öffentlichen Raum
achtundachtzig
Die Akteurskonstellation variiert je nach Umsetzungsform: Eine
kommunale Durchführung im Alleingang ist ebenso möglich, wie eine
Kooperation mit der technisch ausgerichteten Hochschule Bremer-
haven oder privaten IT-Unternehmen.
Im Falle des „BürgerInnennetzes“ erfolgt die Umsetzung durch die
Bewohner im Ortsteil selbst. Zu empfehlen sind bei dieser Variante
Angebote zur technischen und juristischen Unterstützung der
Anwohner.
Im Hinblick auf die eher niedrigen Kosten, die sehr kurze Planungs-
und Ausführungsdauer sowie die gleichzeitig zu erwartenden großen
positiven Auswirkungen empfiehlt sich eine frühzeitige Umsetzung.
Denkbare Rechtsformen sind: die Realisierung als ein kommunales
Projekt sowie die Umsetzung durch einen zu diesem Zweck gegrün-
deten Verein oder eine GmbH.
„BürgerInnennetze“ erfordern eine spezielle Vertragsform, die
sogenannten „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Datenwei-
terleitung (Hiesmeir u.a. 2011).
Für das Projekt lassen sich einige wenige Hemmnisse identifizieren:
Zum einen ist die anonyme Nutzung von Hotspots in Deutschland aus
juristischen Gründen untersagt, daher ist eine Anmeldung zumindest
mit Nachnamen und einer beliebigen E-Mail-Adresse notwendig.
Dadurch kann einerseits die Nutzungsbereitschaft sinken, anderer-
seits bedarf es eines zusätzlichen Aufwands, um eine funktionierende
Datenbank der angemeldeten Nutzer und ein Registrierungsinterface
einzurichten (Hamburg Tourismus).
Was die „BürgerInnennetze“ angeht, so hat sich erwiesen, dass – trotz
der theoretisch recht einfachen Installation – die technische Umsetzung
häufig eine immense Hürde darstellt, weshalb solche Freifunknetze
bislang auch erst wenig Verbreitung gefunden haben. Zudem wirken
die rechtlichen Aspekte auf Laien oftmals abschreckend, eine
technische und juristische Beratung der Bürger erscheint deswegen
unerlässlich (Hiesmeir u.a. 2011).
neunundachtzig
Wie eine eigene Analyse der WLAN-Zugangspunkte im Goethequartier
ergab, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt voraussichtlich noch
kein Bürgernetz einrichten, da die dafür notwendige kritische Maße an
Nutzern noch nicht erreicht ist. Somit empfiehlt sich die Umsetzung
des Tools in Form eines Stadtnetzes. Insbesondere in diesem Fall stellt
die Maßnahme eine indirekte Förderung der lokalen Wirtschaft dar,
vor allem die Aufenthaltsqualität in gastronomischen Betrieben und im
öffentlichen Raum wird durch den flächendeckenden Internetzugang
erheblich verbessert. Bei einer baldigen Umsetzung, würden die öffent-
lichen Hotspots zudem in Bremerhaven ein Novum bedeuten und für
das Goethequartier ein Alleinstellungsmerkmal schaffen. Nicht zuletzt
könnten auch Existenzgründer auf die Einrichtung eines eigenen Inter-
netanschlusses verzichten.
Selbstverständlich kann flächendeckender Internetzugang auch für
offensives Stadtteilmarketing genutzt werden: Öffentliche Hotspots
bringen nicht nur einen höheres Maß an Aufenthaltsqualität und ökono-
mische Standortvorteile für den Einzelhandel, sondern sind auch für
Touristen von Interesse.
Für die erfolgreiche Umsetzung des Zugangs als ein BürgerInnennetz
scheint die Unterstützung der Anwohner in technischen und juristi-
schen Fragen von enormer Bedeutung zu sein. Eine mit diesen Fragen
vertraute Person aus dem Ortsteil könnte eine ideale Lösung beim
Abbau der identifizieren Hemmnisse darstellen.
neunzig
#11: coworkinG
Coworking (auch Co-working, auf Deutsch „zusammen arbeiten“)
bezeichnet das Teilen eines Büros oder Arbeitsraumes, des
Coworking-Space, sowie der damit verbundenen Infrastruktur. Im
Unterschied zur Beschäftigungskonstellation in einem typischen Büro
arbeiten die einzelnen Coworker meist nicht in derselben Firma oder für
denselben Arbeitgeber, sondern sind Selbstständige und Freiberufler,
die mit ihrer Arbeit häufig nicht an einen festen Ort gebunden sind.
Auch für Leute die ansonsten zuhause arbeiten, stellt Coworking eine
attraktive Alternative da. Die Vorteile sind dabei nicht nur finanzieller
Art: Hinzu kommt, dass man zwar alleine arbeitet, sich dabei jedoch
in einer belebten, gut ausgestatteten Arbeitsumgebung befindet. Die
so entstehenden Kontakte wiederum fördern nebenbei die Kommu-
nikation mit anderen selbständig Beschäftigten aus ähnlichen oder
völlig anderen Arbeitsfeldern, woraus sich nicht selten Synergieef-
fekte ergeben. Zudem veranstalten einige dieser Einrichtungen auch
gemeinsame Workshops oder Seminare (Coworking Wiki).
Ein Beispiel für einen solchen Coworking Space ist das „betahaus“
in Hamburg, das seit 2009 besteht und zurückgeht auf die Initi-
ative mehrerer Selbständiger und Freiberufler, die gemeinsam das
Konzept entwickelten und umsetzten. Momentan gibt es in zwei
Räumen insgesamt 44 Arbeitsplätze, die flexibel vermietet werden:
Einen Arbeitsplatz gibt es für einen Tag, eine Woche oder auch einen
ganzen Monat, daneben steht ein Konferenzraum zur Verfügung. Ein
Tagesticket (9-17 Uhr) kostet 17 Euro, die monatliche Nutzungsgebühr
beträgt 249 Euro, auch eine 24-Stunden-Nutzung ist gegen einen
geringen Aufschlag möglich. Im Preis bereits inbegriffen ist die Nutzung
der gesamten Infrastruktur: Hochgeschwindigkeitsinternet, WLAN,
Drucker, Scanner, Kopierer, Fax sowie eine kleine Bar, an der kosten-
günstig Kalt- und Heißgetränke erworben werden können (betahaus
Hamburg)
Ein weiteres Referenzbespiel für das Tool „Coworking“ ist das
„Rockzipfel Eltern-Kind-Büro“ in Leipzig. Die Besonderheit hier ist,
dass arbeitenden Eltern ihre Kinder zur Arbeit mitbringen können, wo
diese von anderen Coworkern wechselseitig betreut werden. Die Eltern
einundneunzig
geben dabei ihre Verantwortung nicht ab, sondern haben ihre Kinder in
der Nähe und können jederzeit mit ihnen in Kontakt treten. In diesem
Coworking-Space stehen sieben Räume zur Verfügung, darunter auch
Ruheräume, Wickel- und Spielzimmer (Rockzipfel).
Unter vielen Coworking-Spaces gibt es im Übrigen sogenannte
„Roaming-Vereinbarungen“: So kann man z. B. mit einem Monatsticket
des „betahauses“ Hamburg auch die gleichnamige Einrichtung in Berlin
nutzen und wird somit in der Wahl seines Arbeitsortes noch flexibler.
Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier in einem leerste-
henden Ladenlokal oder einer Erdgeschosswohnungen, aber auch in
einem komplett unbenutzten Gebäude eingerichtet werden. Mögliche
Standorte hierfür sind im zahlreich vorhanden, eine Immobilie, die
sich beispielsweise besonders anbietet, ist das Gebäude an der Ecke
Goethestraße/Kistnerstraße. Eine große potentielle Nutzergruppe
stellen dabei die Existenzgründer im Quartier dar, von denen einige
momentan für eine befristete Dauer die Existenzgründeretage in der
„theo“ nutzen, für die jedoch wiederum eine Warteliste existiert. Ähnlich
wie in Hamburg sollte sich eine Gruppe möglicher Coworker zusam-
menfinden und gemeinsam ein Konzept entwickeln. Die Initiative dazu
Abbildung (31): Beispiel für einen Coworking Space :
zweiundneunzig
könnte etwa auch von der „theo“ ausgehen, indem Personen von der
Warteliste und Nutzer, die aufgrund des Endes ihrer auf fünf Jahre
beschränkten Mietzeit in absehbarer Zeit ausziehen müssen, aktiv
miteinander in Kontakt gebracht werden, beispielsweise im Rahmen
eines Existenzgründerseminars.
Zur Einrichtung eines Coworking-Space sind zunächst einmal Inves-
titionen in die Arbeitsinfrastruktur notwendig. Dem Beispiel der „theo“
folgend, könnte sich die Möblierung jedoch auf einen einfachen
Schreibtisch, einen Bürostuhl und einen kleinen Schrank bzw. ein
Regal pro Arbeitsplatz beschränken, wodurch sich die Kosten deutlich
eingrenzen lassen. Größere finanzielle Aufwendungen sind darüber
hinaus notwendig, um die Räumlichkeiten zu renovieren und in einen
Zustand zu bringen, der die Nutzung als Büro ermöglicht. Bewirt-
schaftet werden kann ein Coworking-Space bei entsprechender
Auslastung kostendeckend, zudem lassen sich die Anfangsinvesti-
tionen wieder hereinholen. Für einen eventuellen Betreiber ist es auch
möglich, kleinere Einnahmen zu erzielen
Die zentralen Akteure sind die potentiellen Coworker selbst. Bei
der Entwicklung und Umsetzung eines solchen Konzepts kann die
Wirtschaftsförderung Bremerhaven sowie „die theo“ Hilfestellung
geben. Desweiteren empfiehlt es sich, einem der deutschlandweiten
Netzwerke beizutreten, die sich mittlerweile gebildet haben (mehr
dazu unter www.coworking.de). Bei der Anmietung eines geeigneten
Raumes könnten die Stäwog und das Stadtplanungsamt ein wichtiger
Partner sein.
Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier jederzeit entstehen.
Wichtige vorbereitende Schritte wie die Erarbeitung eines Konzepts,
die Schaffung aller nötigen rechtlichen Voraussetzungen (also z. B. die
Gründung eines Vereins oder einer Gesellschaft) sowie die Suche nach
geeigneten Räumen dürften rund ein Jahr beanspruchen.
Das Projekt kann als eigenständige Firma im Handelsregister der Stadt
Bremerhaven als GmbH eingetragen werden, ebenso ist die Organi-
sation als Verein denkbar.
Eine gewisse Herausforderung stellt das Finden geeigneter Räumlich-
keiten dar. Viele Gebäude im Goethequartier haben einen hohen
Renovierungsbedarf, bei leerstehenden Wohnungen kann zudem
Abbildung (32): Arbeit in einem Coworking Space
dreiundneunzig
oftmals nicht einmal der Eigentümer ausfindig gemacht werden.
Sollte ein geeigneter Raum gefunden werden, können die Renovie-
rungskosten eventuell das Budget der Beteiligten übersteigen. Für
Selbständige, die Kundenkontakt haben oder auf eine prestige-
trächtige Adresse angewiesen sind bzw. Wert legen, könnte das
momentane Imageproblem des Viertels unter Umständen ein Problem
darstellen. Konflikte während der Nutzung schließlich sind nie völlig
auszuschließen, da in Coworking-Spaces häufig sehr heterogene
Berufsgruppen und unterschiedlche Arbeitsweisen aufeinandertreffen.
Allerdings lässt sich in diesem Zusammenhang das Konfliktpotential
bereits im Vorfeld minimieren, indem sich Nutzer aus ähnlichen
Beschäftigungsfeldern zusammentun.
vierundneunzig
Dieses Tool nutzt mit leerstehenden Wohnungen oder Ladenlokalen
Möglichkeitsräume im Quartier.
Zudem dient es der Unterstützung und Förderung von Existenzgrün-
dungen, ist also von hoher Relevanz für die lokalen Ökonomien.
Sollte ein Coworking-Space im Goethequartier eingerichtet werden,
wäre dies der erste in Bremerhaven, woraus sich auch Potential
für Marketingmaßnahmen ergäbe. Immerhin handelt es sich
hierbei um eine innovative und äußerst zukunftsträchtige Form der
Arbeitsorganisation.
fünfundneunzig
#12: GaStronoMiSche ZwiSchen- nutZunG
Auch wenn ihre Dauer begrenzt ist, tragen Zwischennutzungen häufig
zur räumlichen Entwicklung bei: Indem sie auf soziale Prozesse Einfluss
nehmen, prägen sie den Ort, an dem stattfinden, über den Zeitraum
ihres Bestehens hinaus. Ein temporär genutzter Ort kann sich im Zuge
dessen dauerhaft im städtischen Kontext verankern. Zudem verkörpern
Zwischennutzer meist innovative, urbane Lebensstile, die durch sie
entstehende Nachfrage kann nicht mehr mittels der zuvor existenten,
etablierten Angebotsstrukturen abgedeckt werden, woraus wiederum
auch längerfristigen Nutzungen ökonomische Vorteile ziehen.
Zwischennutzungen finden in der Regel auf Flächen statt, für die sich
zum entsprechenden Zeitpunkt keine reguläre, d. h. wirtschaftliche,
Verwertung findet. Zugleich gilt: Je intakter die umliegende Infrastruktur,
je besser die Anbindung und je dichter das Netz an potentiellen
Akteuren ist, desto erfolgreicher kann eine Zwischennutzung reali-
siert werden. Ideale Bedingungen bestehen daher in Quartieren mit
hoher Zentralität, guter Anbindung und einem Bewohnermilieu, das
Zwischennutzungen annimmt. Am Beispiel Berlins zeigt sich, dass es
vor allem junge Bewohner und Zugezogene sind, die imstande sind,
sich ungenutzte Räume schnell anzueignen. Angestammte Bewohner
hingegen brauchen dazu gewisse Anreize. Denn neben den Eigen-
schaften des Ortes spielen für die Initiierung einer Zwischennutzung die
Bereitschaft zu Eigenleistung sowie gegenseitige Unterstützung, Kreati-
vität und ein gut funktionierendes Netzwerk eine wesentliche Rolle.
Wenn erst einmal ein Zwischennutzungsprojekt besteht und sich
etabliert hat, kann dies eine Art Kettenreaktion ähnlicher Projekte
auslösen: Das Vorhandensein neuer Konsumenten führt dazu, dass
sich weitere Zwischennutzungen ansiedeln, die Konzentration bewirkt
Konkurrenz, die sich mittelfristig positiv auf den gesamten Standort
auswirkt (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007).
Der sogenannte Spreeraum-Ost in Berlin gilt als eines der bekanntesten
Beispiele für eine intensive Zwischennutzung, zwischen Michaelbrücke
und Elsenbrücke hat sich in den letzten Jahren eine einzigartige Dichte
an Projekten aus diesem Bereich entwickelt. Ausschlaggebende
Faktoren waren unter anderem die zentrale Lage, die bis dahin eher
sechsundneunzig
schleppend verlaufene wirtschaftliche Situation des Gebiets, die gute
Anbindung und die Verfügbarkeit sehr unterschiedlicher Flächen. Eine
entscheidende Rolle unter den diversen Typen temporärer Nutzung
kommt dabei der Gastronomie zu, da gastronomische Angebote
Konsumenten aus allen Bevölkerungsgruppen anlocken; es werden
mehr Milieus angesprochen als beispielsweise durch ein Sportangebot
auf einer Konversionsfläche.
Eine der populärsten gastronomischen temporären Nutzungen in
Berlin ist die Ponybar in Berlin-Mitte, Alte Schönhauser Straße 44.
Das Projekt wurde 2001 zuerst als „Gastronomischer Garten“ in
einer Baulücke realisiert, 2003 übernahmen die Betreiber der Ponybar
den heutigen Garten. Das Gewerbe hat zwei Geschäftsführer, drei
Angestellte und wird als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
betrieben. Konsumenten sind vorwiegend junge Leute, darunter ein
Drittel Touristen und zwei Drittel Berliner.
Eine gastronomische Zwischennutzung in einer Baulücke wäre
Teil einer Strategie, mit der eventuell auch Bevölkerungsgruppen
von außerhalb ins Quartier gelockt werden könnten. Da zudem die
vorhandene Angebotsstruktur momentan nur unzureichend die
Nachfrage der jungen Bewohner aus dem Ortsteil selbst bedient,
Abbildung (33): Der BundesPresseStrand in Berlin
siebenundneunzig
erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt eine solche Nutzung als
wünschenswert.
Je nachdem, wie viel Kapital zur Verfügung steht, welcher Aufwand
betreiben werden soll und welcher zeitliche Rahmen ins Auge gefasst
wird, können unterschiedliche Konzepte realisiert werden: Ein Garten-
Café wie die Pony Bar in Berlin etwa wird man nur saisonal betreiben
können. Die räumliche Intervention, die damit verbunden ist, würde
sich auf Möbel, Sonnenschirme, ein Toilettenhäuschen und einen
überdachten Tresen beschränken. Für die Zubereitung von Getränken
wäre zudem ein Strom- und Wasseranschluss notwendig.
Bei der Suche nach einem geeigneten Ort ist weniger der Ist-Zustand
des Grundstücks entscheidend als vielmehr die Idee hinter dem
geplanten Konzept. Andererseits wird die ursprüngliche Idee in der
Regel maßgeblich durch den Ort beeinflusst, so dass es also im
Wesentlichen darum geht, zu ergründen, welche Inspiration ein Raum
vermittelt und wie er andererseits an die Idee angepasst werden
kann. Der nächste entscheidende Schritt für die Realisierung ist das
Herantreten an bzw. die Suche nach dem jeweiligen Eigentümer
des Grundstücks. Dabei kann das Vermessungs- und Katasteramt
Bremerhaven behilflich sein, bei dem alle Liegenschaften und deren
Eigentümer verzeichnet sind. Konkret infrage kommt im Goethequartier
jede bestehende und zukünftige Baulücke, die weder zu groß ist (da
darunter die Atmosphäre einer gastronomischen Zwischennutzung
leidet) noch zu klein (da in diesem Fall nicht genügend Platz zur
Verfügung steht). Auch eine ruhige und abgeschiedene Lage ist wegen
des mangelnden Publikumsverkehrs nicht zu empfehlen, dagegen stellt
Baumbestand kein Problem dar, sondern wird vielfach sogar erwünscht
sein. Sehr zentral gelegen ist beispielsweise ein Brachengrundstück in
der Uhlandstraße, sehr nah zur Goethestraße, das sich zudem direkt
hinter dem Frauencafé befindet, so dass möglicherweise dessen Infra-
struktur mit genutzt werden könnte.
Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Speisen sind auf
jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest der Betrieb
der Zwischennutzung finanzieren lässt. Trotzdem sind eine detaillierte
Kostenaufstellung und eine realistische Finanzierungsplanung vorweg
zu empfehlen, ein Businessplan ist zudem ein gängiges und wichtiges
Instrument, das für die Beantragung eventueller Kredite und die
Akquirierung von Fördermittel unerlässlich ist. Bei diesem Schritt kann
achtundneunzig
möglicherweise „die theo“, die über eine hohe Kompetenz im Bereich
Existenzgründung verfügt, behilflich sein.
Der Kostenaufwand vor Eröffnung kann je nach Ausstattung und
Aufwand unterschiedlich ausfallen. Zu berücksichtigen ist dabei aller-
dings, dass Firmen häufig zu Marketingzwecken Mobiliar und andere
Sponsoring-Materialien zur Verfügung stellen, wodurch die Kosten
für die Einrichtung einer temporären Nutzungen erheblich gesenkt
werden können. Meist sind dies Getränkelieferanten bzw. -hersteller,
die damit den Abschluss von Verträgen über die Versorgung der
gastronomischen Einrichtung mit ihren Produkten verbinden. Hierbei ist
selbstverständlich die beschränkte Laufzeit der jeweiligen Zwischen-
nutzung zu bedenken.
Der wichtigste Akteur ist zunächst einmal der Eigentümer der jeweiligen
Brachfläche, ohne dessen Einverständnis eine Umsetzung natürlich
unmöglich ist. Eine befristete Nutzung hat dabei den Vorteil, dass sie
kaum Veränderungen am Grundstück selbst mit sich bringt und zeitnah
wieder entfernt werden kann, was den Vorstellungen eines Eigen-
tümers entgegenkommt, der mittelfristig auf eine lukrativere Nutzung
seiner Fläche spekuliert bzw. hofft. Als Vermittler, der in dieser Hinsicht
Vertrauen schaffen kann, kommt die ESG Lehe in Betracht, zumal
sich der Verein bereits seit geraumer Zeit mit dem Thema beschäftigt
und das nötige Netzwerk besitzt. „Die theo“ steht bei Fragen zum
Thema Existenzgründung zur Seite und stellt eventuell Räume für die
Planungsphase zur Verfügung. Was bei temporären Projekten immer
eine Rolle spielt, sind persönliche Netzwerke, Freunde, Bekannte und
Nachbarn, die angesichts des meist engen finanziellen Rahmens als
freiwillige Helfer willkommen sind. Zudem schafft dies ein Gefühl der
Zugehörigkeit, sowohl in Bezug auf die Nutzung als auch den jewei-
ligen Ort.
Die Umsetzung dieses Tool an sich nimmt nicht viel Zeit in Anspruch.
Was man aber berücksichtigen sollte, ist die Vorlaufzeit: Die Kommu-
nikation mit dem entsprechenden Grundstückseigentümer kann sich
unter Umständen schwierig und langwierig gestalten und auch für das
Genehmigungsverfahren sollte etwas Zeit eingeplant werden. (Hierbei
gilt es zu berücksichtigen, dass gastronomische Nutzungen, die auf
die Zubereitung von warmen Speisen verzichten, vom Gewerbeamt
weitaus schneller genehmigt werden als solche mit „warmer Küche“,
neunundneunzig
da sie wesentlich weniger Auflagen erfüllen müssen.) Ein durchdachtes
Konzept erleichtert und beschleunigt dabei die Vorbereitungsphase. Für
eine saisonale Nutzung sollte man dafür mit mindestens drei Monaten
kalkulieren, besser erscheint allerdings ein Planungszeitraum von
sechs.
Bei einer gastronomischen Nutzung werden Getränke und teilweise
Speisen angeboten, daher muss beim Wirtschaftsamt eine Gaststät-
tenerlaubnis beantragt werden. Für Veranstaltungen kann eine einfache
Gestattung erteilt werden, sie gilt bis zu sechs Wochen. Die Gebühren
richten sich nach der Größe des Betriebes, die Einhaltung von Hygie-
neauflagen wird vom Gesundheitsamt kontrolliert.
Mit dem Grundstückseigentümer kann, wie im Fall der Ponybar, eine
mündliche oder auch schriftliche Nutzungsvereinbarung getroffen
werden, die Betriebskosten (von 1.000 Euro im Jahr beim Berliner
Beispiel) und die notwendige Haftpflichtversicherung tragen dabei
die Nutzer. Die Genehmigung für die Nutzung erfolgte durch das
Gewerbeamt.
Jede temporäre Nutzung muss zudem die gesetzlichen Sicher-
heitsvorschriften beachten: Die Fläche darf beispielsweise nur dann
Dritten zugänglich gemacht werden, wenn deren Schutz gewährleistet
ist, bei Nichtbeachtung kann es zu Schadensersatzansprüchen
kommen. Folgende Aspekte sollten daher beim Thema Sicherheit
von Zwischennutzungen u. a. berücksichtigt werden: Bodenqualität/
Schadstoffe, schadhafte Einzäunung (Verkehrssicherungspflicht),
Baumbestand (Instandhaltungspflicht), Streupflicht bei Winterbetrieb
und Straßenreinigung. Einer der häufigsten Gründe, dass temporäre
Nutzungen scheitern, ist, wie an dieser Liste nachvollziehbar wird, die
umfangreiche Versicherungspflicht: Fast immer besteht das Amt auf
einer Haftpflichtversicherung für das Grundstück und/oder eine Veran-
stalter-Haftpflichtversicherung, die aber dank bestimmter vertraglicher
Regelungen jedoch auch beim Grundstückseigentümer verbleiben
kann.
In vielen Fällen kommt es nicht zu einer temporären Nutzung, obgleich
Flächenpotentiale bestehen. Die Gründe hierfür liegen entweder beim
Eigentümer oder aber im Ort begründet, beispielsweise wenn dieser zu
große Anpassungen erfordert.
hundert
Grundstückseigentümer sind selbstverständlich immer an einer
möglichst rentablen Nutzung ihrer Liegenschaft interessiert und stehen
daher Zwischennutzungen häufig kritisch gegenüber, auch wenn
keine andere Lösung in Sicht ist. Insbesondere wenn der Aufwand
für Verwaltung und Betreuung in keinem angemessenen Verhältnis zu
Mieteinnahmen und eingesparten Unterhaltskosten stehen, werden die
Eigentümer temporären Nutzungen nur widerwillig zustimmen.
Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind in einem dicht bebauten
Wohngebiet wie der Goethequartier nicht auszuschließen, daher ist
eine abendliche Bewirtung schwierig.
Das Tool deckt alle übergeordneten Kategorien ab, die für das Quartier
als ausschlaggebend ermittelt wurden. Zwischennutzungen aktivieren
Möglichkeitsräume, sie haben beispielhaften Charakter und stecken,
wie bereits erwähnt, den sie umgebenden Raum häufig regelrecht an.
Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutig
gewerbliche Orientierung. Gastronomische Nutzungen binden die
lokale Kaufkraft und generieren im Idealfall zusätzliche von außen.
Die Berichterstattung über das medienwirksame Projekt kann das
Image des Quartiers verbessern helfen. Eine eigene Internetseite oder
der Eintrag auf Webseiten, die gastronomische Angebote auflisten (z.
B. Qype), tragen ebenfalls zu seiner Breitenwirkung bei. Nicht zuletzt
werden auch die Bewohner aktiviert und entwickeln dank der vor der
eigenen Haustür vorhandenen Gastronomie eine stärkere Bindung an
ihr Quartier.
Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt,
so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als
besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven
städtischen Gesellschaft.
hunderteins
#13: Zen-Garten
Zen-Gärten werden im japanischen „kare san sui“ genannt, was
übersetzt soviel heißt wie „trockene Landschaft“. Mithilfe einfachster
Elemente – erlaubt sind lediglich Kies oder Sand, größere Steine und
Moos – wird dabei versucht, das „innere Wesen“ der Natur nachzu-
formen. Diese spezifische Landschaftsarchitektur wurde in Japan in der
späten Kamakura Phase (1185-1333) entwickelt und beruht auf den
Lehren des Zen-Buddhismus (Seike u. a. 1983). Zen-Gärten zeichnen
sich durch ihre besondere Schlichtheit und Abstraktion aus und
entfalten doch aus jeder Perspektive eine neue Spannung und Ästhetik.
Bevorzugt werden asymmetrische Arrangements und Gruppierungen
von Elementen in ungerader Zahl. Da diese nicht gleichmäßig aufzu-
teilen sind, verhindern sie, dass der Garten allzu vollkommen wirkt und
erinnern damit an das Ungeordnete der Natur. Gegensätze sind in der
japanischen Gartengestaltung zwar sehr wichtig, dennoch müssen
alle Elemente in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen,
um Stille und Entspannung zu vermitteln. Ganz ähnlich wie bei der
japanischen Tuschzeichnung werden auch im Garten „weiße Flächen“
ausgespart, um ein Gleichgewicht zu schaffen und der Phantasie des
Betrachters Raum zu geben (Nitschke 1993).
Einer der berühmtesten Zen-Gärten ist der Ryoanji in Kyoto, Japan,
welcher durch seine Einfachheit und Mystik besticht. Auch in
Deutschland findet die japanische Gartenkunst immer größeren
Anklang, gute Beispiele finden sich u. a. in Gelsenkirchen, Kaisers-
lautern und Berlin.
In Gelsenkirchen etwa wurde das lange vernachlässigte und im
Laufe der Zeit zugewucherte „Alpinum“ am Rande des Stadtgartens
freigelegt und dient nun als Kulisse für einen japanischen Steingarten.
Ehemals sprudelte aus den Felsen Wasser, floss in einen kleinen
Bachlauf und mündete dann in einen See. Nun wird die Szenerie –
auch aus Kosten- und Aufwandsgründen – durch Kies und Steine
nachgestellt. Das Anlegen dieses Japanischen Steingartens hat gerade
einmal 5.000 Euro gekostet, neben den Stadtdiensten waren noch eine
Steinmetzfirma sowie einige weitere Betriebe beteiligt, welche Elemente
für den Garten stifteten. Die Umsetzung zeigt, dass man auch mit
bescheidenen Mitteln viel erreichen kann, wenn gute Ideen vorhanden
hundertzwei
sind und sich einige Akteure zusammenschließen. Um die tägliche
Pflege des Zen-Gartens kümmert sich im Rahmen einer Patenschaft
ein benachbartes Hotel, welches selbst von der neuen Anlage profitiert
(Der Westen).
Anders als der Japanische Garten in Gelsenkirchen, wurde der in
Kaiserslautern auf private Initiative hin angelegt: 1997 gründeten
zunächst 18 Mitglieder den Verein „Japanischer Garten Kaisers-
lautern e. V.“, der für zunächst 30 Jahre ein Gartenareal am Standort
Abendsberg von der Stadt Kaiserslautern pachtete. Zwar war und
ist allein der Verein für die Entwicklung und Gestaltung des Gartens
verantwortlich, doch steht dieser als öffentliche Anlage allen Bürgern
zur Naherholung zur Verfügung. Wesentliche Ziele der Vereinssatzung
sind nicht nur die bauliche Weiterentwicklung des Gartens, sondern
auch die Nutzung des Gartens als Forum zur Förderung der japani-
schen Garten- und Lebenskultur sowie der internationale Austausch
zwischen Deutschland und Japan, insbesondere mit der Partnerstadt
Kaiserslauterns, Bunkyo-ku, einem Stadtteil von Tokio (Japanischer
Garten Kaiserslautern e.V.). Nach zweieinhalbjähriger Bauphase, in der
der Verein Unterstützung durch ABM-Kräfte erhielt, wurde 1999 der
erste Abschnitt des Japanischen Gartens eröffnet. 2004 kam – dank
finanzieller Unterstützung durch die Kunst- und Kulturstiftung der
Abbildung (34): Ryonanji-Garten in Kyoto, Japan :
hundertdrei
Abbildung (35): Japanischer Garten in Kaiserslautern
Stadtsparkasse Kaiserslautern – während eines zweiwöchigen Garten-
bauseminars unter Leitung eines japanischen Gartenbaumeisters zu
der bestehenden Anlage noch ein Zen-Garten hinzu. Inzwischen,
2011, hat der Verein über 800 Mitglieder, und der Japanische Garten
in Kaiserslautern gilt als einer der größten Europas sowie als eine der
Hauptattraktionen der Stadt.
In Berlin schließlich entstand im Erholungspark Marzahn, im Rahmen
des Projekts „Gärten der Welt“, ein Japanischer Garten, dessen
Hauptteil im kare san sui-Stil, also als Zen-Garten, konzipiert ist und
ein schönes Beispiel der japanischen Landschaftsarchitektur darstellt
(GrünBerlin).
Ein Zen-Garten in einer Baulücke würde neben den existierenden
Grünflächen (und den hoffentlich zukünftig entstehenden Nachbar-
schaftsgärten) eine neue Form der Freiraumgestaltung in das Quartier
bringen. Diese stellt eine zugleich unkonventionelle wie preisgünstige
Alternative zu etwaigen Betonflächen dar, wie sie in den vergangenen
Jahren hauptsächlich aus Kostengründen andernorts im Viertel
angelegt wurden. Die Besonderheit einer solchen japanischen Stein-
gartenanlage ist, dass unsere üblichen Assoziationen zu Grünflächen
aufgebrochen werden, da wir hier mit ungewohnten ästhetischen
hundertvier
Kategorien und einer untypischen Nutzung konfrontiert werden.
Dass sich diese exotische Gattung der Landschaftsarchitektur aber
durchaus auch auf das Goethequartier übertragen lässt und nicht
etwa zu schick oder weithergeholt ist, zeigen die Referenzbeispiele
aus anderen deutschen Städten. Der Reiz dieses Tools liegt ja gerade
darin, dass etwas vollkommenes Neues, Exotisches geschaffen wird,
das die Bewohner herausfordert, zum Nachdenken anregt, das das
Quartier aufwertet und eventuell Besucher von außerhalb anzieht.
Ein japanischer Zen-Garten benötigt nur eine geringe Fläche, sollte
aber an einem halbwegs geschützten und ruhigen Ort liegen. Optimal
dafür geeignet wäre eine Baulücke, in der sich ein kleiner, idyllischer
Mikrokosmos schaffen ließe, welcher aufgrund des Zugangs nur
von einer Seite seine Stille bewahren könnte. Infrage kommen dafür
beispielsweise zwei Baulücken in der Heinrichstraße. Eine davon ist
zwar mit Bäumen bewachsen, diese könnten aber möglicherweise in
den Garten integriert werden.
Ein entscheidender Vorteil eines Zen-Gartens ist, dass er im Unterhalt
äußerst unaufwendig ist, da er, nachdem er einmal angelegt wurde,
in seinem ursprünglichen Zustand verbleiben kann, ohne jemals
gegossen oder sonst wie intensiv gepflegt werden zu müssen.
Die Instandhaltung konventioneller öffentlicher Freiflächen und
Grünanlagen ist dagegen für die Stadt häufig sehr kostenintensiv.
Auch für die Einrichtung eines japanischen Steingartens fallen keine
größeren Summen an, benötigt werden lediglich einige massive
Steine, Moos und jede Menge Kies – jeweils im ursprünglichen Sinn
des Wortes! – sowie ein kleiner Bagger. Wasserelemente, Blumen,
Pflanzen oder Bäume sind in der Zen-Philosophie dagegen nicht
vorgesehen, weshalb umfangreiche Bodenarbeiten, die bei Baulücken
unter Umständen ein besonderes Problem darstellen könnten, völlig
entfallen.
Getragen werden müsste das Projekt wohl von der öffentlichen Hand,
d. h. der Stadt Bremerhaven, möglicherweise ließe sich für eine solch
prestigeträchtige Anlage aber auch ein Sponsor finden, zum Beispiel
ein lokaler Gartenbaubetrieb.
Als weiterer Kooperationspartner könnte die Astrid-Lindgren-Schule
fungieren: Beispielsweise wäre es denkbar, dass im Rahmen einer
hundertfünf
AG oder auch einer regulären Klasse das Projekt „Japanischer Stein-
garten“ durchgeführt wird, und die Kinder auch im Folgenden die
Anlage pflegen und eventuell für Mediationsunterricht nutzen. Deswei-
teren muss notwendigerweise das Wissen eines Gärtners, welcher
sich für japanische Gartenbaukunst interessiert, oder eines (Hobby-)
Japanologen in das Projekt mit einfließen. Die Nordsee-Zeitung könnte
zudem zur Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Projekt
sowie der Akzeptanz des Vorhabens beitragen. Zum Beispiel ließen
sich Intention, Geschichte und Nutzung japanischer Steingärten in
einem oder mehreren Artikeln beleuchten, um so den Bewohner diese
neue Form der Freiraumgestaltung näherzubringen. Natürlich bietet
sich auch die Gründung eines Vereins an, der sich mit der Pflege des
Gartens und der japanischen Kultur beschäftigt, ähnlich wie im Beispiel
Kaiserslautern.
Eine Realisierung dieses Tools ist jederzeit möglich. Eine baldige
Umsetzung wäre jedoch wünschenswert, da ein solches Projekt das
Goethequartier mit recht einfachen Mitteln aufwerten und für mediale
Aufmerksamkeit sorgen würde. Da Kosten wie auch Aufwand der
Umsetzung relativ gering sind, ließe sich, falls eine längerfristige
Nutzung für die Baulücke gefunden wird, ein Zen Garten auch schnell
wieder abbauen, zumal er einen vergleichsweise temporären Charakter
besitzt.
Falls sich die fragliche Baulücke im Eigentum der Stadt befindet und
ein Verein die Umsetzung übernehmen will, bietet sich ein befristeter
Pachtvertrag an. Gehört sie einem privaten Eigentümer, käme eventuell
auch das im Zusammenhang mit Tool #05 (Nachbarschaftsgärten/
Interkulturelle Gärten) beschriebene Modell einer Nutzungsvereinbarung
infrage, bei der sich der Vertrag so lange jeweils automatisch um ein
Jahr verlängert, bis eine Neubebauung konkret in Aussicht steht.
Mit möglichen Nutzungskonflikten, einer Zweckentfremdung als
Hundekotplatz und Vandalismus ist zu rechnen. Deswegen erscheint
es extrem wichtig, eine breite Akzeptanz für das Projekt zu schaffen
und insbesondere auch die Nutzung eines Zen-Gartens den Quartier-
bewohnern näher zu bringen. Ansonsten könnte man natürlich eine
physische Barriere um den Steingarten anlegen und ihn nur tagsüber
öffnen, um so nächtlicher Zerstörungswut entgegenzuwirken. Damit
die Anlage darüber hinaus in einem gepflegten Zustand bleibt wäre es,
hundertsechs
wie das Beispiel Gelsenkirchen zeigt, sinnvoll, eine Patenschaft an ein
benachbartes Unternehmen oder eine Privatperson zu vergeben, die
bei Bedarf den Müll entsorgt oder den Kies harkt.
Das Tool „Zen-Garten“ fällt zunächst einmal in die Kategorie Möglich-
keitsräume, da es eine Baulücke nutzt.
Aufgrund der medialen Aufmerksamkeit, für das es dank seines extrem
hohen Innovationsgehalts sorgen würde, ist es zudem ganz ohne
Frage ein Marketinginstrument.
Schließlich benötigt solch ein Projekt in der Planungs- und Umset-
zungsphase eine Person, die es vorantreibt, also einen Kümmerer. Ein
solcher kann auch der Pate sein, der sich in der Folge der Pflege des
Gartens widmet.
hundertsieben
#14: altenGerechteS wohnen
Als Referenz für dieses Tool kann ein Pionierprojekt aus dem Goethe-
quartier selbst dienen: das Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“
in der Goethestraße 43. Dort wurde 2002 mit Hilfe des städtischen
Wohnungsunternehmens Stäwog aus einer denkmalgeschützten
Gründerzeitstadtvilla ein Gebäude, das den Bedürfnissen speziell der
älteren Generation entspricht. Von den ersten Planungen vergingen
bis zur Realisierung vergingen rund drei Jahre. Währenddessen baute
der Vermieter, die Stäwog, das Haus nach den Wünschen der zukünf-
tigen Mieter um, dazu gehörten neben Sanierungsmaßnahmen ein
gläserner Fahrstuhl, neue Balkone und eine barrierearme Gestaltung
im Inneren. Dabei wurde in Absprache mit den künftigen Bewohnern
festgelegt, welche Arbeiten der Vermieter zu übernehmen hatte und
welche Sonderwünsche selbst finanziert werden mussten. Um besser
kalkulieren zu können und finanziell abgesichert zu sein, ließ die Stäwog
zudem alle Mieter in spe vor Baubeginn die Mietverträge unterschreiben
[Lebens(t)raum].
Nach dem Umbau umfasst das 1903 erbaute, denkmalgeschützte
Haus in der Goethestraße 43 zehn barrierearme, abgeschlossene
Wohnungen mit jeweils zwei bis vier Zimmern. Im Parterre entstand
eine emeinschaftlich genutzte Wohnung mit Gemeinschaftsraum, Bad
und Küche sowie einem Atelier, einer Werkstatt und einer Sauna. Ein
großzügiger Dachboden bietet Platz für einen Billardtisch und Sport-
geräte. Zum Innenhof hin wurden die historischen Balkone gegen
großzügige moderne ausgetauscht, der verglaste Fahrstuhl wurde aus
praktischen Gründen ebenfalls auf der Hofseite an der Außenfassade
angebracht.
Zum Konzept des Mehrgenerationenhauses, in dem heute drei
Ehepaare, sechs Singles und eine vierköpfige Familie unter dem
Motto „Selbstbestimmt und Tür an Tür gemeinsam mit Menschen“
leben, beinhaltet auch die Möglichkeit gemeinsamer Freizeitge-
staltung und gegenseitiger Unterstützung sowie vereinfachter sozialer
Kontaktaufnahme im Alter. Der Gemeinschaftsraum wird auch für
externe Veranstaltungen, wie etwa die Stadtteilkonferenz, genutzt.
Ein weiteres, ähnliches Projekt wurde auch in einem Gebäude in der
Goethestraße/Ecke Dorotheastraße realisiert: Auch dort bei haben
hundertacht
ältere Bremerhavener ihre Einfamilienhäuser am Stadtrand verkauft und
gemeinsam eine Gründerzeitvilla saniert, um im Rentenalter ruhig und
innenstadtnah leben zu können. Dass solche Wohnmodelle zu einer
Attraktivitätssteigerung des Goethequartiers sowie zu einer Verbes-
serung seines Images beitragen, steht außer Frage.
Das altersgerechte Wohnen stellt für das Goethequartier ein großes
Potential dar. Auch wenn Umfragen zeigen, dass die Altersgruppe 50+
ein möglichst langes Wohnen in den eigenen vier Wänden anstrebt
(Protze u. a. 2006), zeigt sich, dass insbesondere im gehobenen
Einkommenssegment der „Silver Ager“ eine hohe Experimentierfreude
und Mobilitätsbereitschaft vorhanden ist. Nach eigenen Angaben
möchten viele Rentner heute gerne innenstadtnah leben, um mobiler
zu sein und kulturelle wie soziale Angebote nutzen zu können. Dabei
wollen sie aber nicht auf den gewohnten Komfort, wie etwa einen
kleinen Garten oder Autostellplätzen, verzichten. Entsprechende
Angebote für ein „Smart City Housing“, die noch dazu mit gebündelten
Dienstleistungsangeboten wie Wohnungsreinigung oder Einkaufs-
service verbunden sind, werden bislang jedoch kaum offeriert (Milleker
2006).
Abbildung (36): Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43
hundertneun
Das Goethequartier besitzt in dieser Hinsicht zahlreiche Vorteile: seine
innenstadtnahe Lage (das Zentrum ist fußläufig in zehn Minuten zu
erreichen), der gut ausgebaute ÖPNV, die vorhandene Nahversorgung
inklusive sozialer Einrichtungen etc. Zudem bietet das historische
Gründerzeitquartier ein urbanes Flair und zugleich die nötige Ruhe, die
ältere Menschen schätzen.
Ein Handlungskonzept, das generationengerechtes Wohnen in
Bremerhaven fördert, müsste sich vor allem auf das Segment der
älteren Wohnungsnachfrager konzentrieren, da diese eine weiter rasch
zunehmende Gruppe darstellen. Bestehende Aktivitäten, vorhandene
Einrichtungen und Beratungsangebote in diesem Bereich müssen
zielgerichtet ausgebaut und gefördert werden. Das Handlungskonzept
sollte dabei folgende Schwerpunkte setzen (vgl. Protze u.a. 2006).
- Anpassungen des Wohnungsbestands im Hinblick auf
barrierefreies Wohnen
- Aktivierung eines generationsgerechten Wohnungsneubaus
- Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen insbesondere
durch fachliche Unterstützung
- Schaffung von weiterer sozialer Infrastruktur im Stadtteil
- Verstärkte Information und Marketing
Abbildung (37): Die Bewohner des Hauses mit den Projektverantwortlichen :
hundertzehn
Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten für Planung-
und Durchführung verbunden: Die Mittel für Marketing, Information
und Organisation könnte dabei die öffentliche Hand, also die Stadt,
übernehmen, die altersgerechte Sanierung jedoch müssten der
jeweilige Hauseigentümer selbst tragen, wobei er im Gegenzug dafür
auch höhere Mieterträge erhält. Da die Kosten für den Einzelnen sehr
hoch sind, das Projekt gleichzeitig aber einen hohen Innovations-
gehalt besitzt, kommt die Förderung durch Gelder aus öffentlichen
Programmen wie dem Stadtumbau West in Betracht.
Die Stäwog überzeugte schon bei dem Pionierprojekt Mehrgeneratio-
nenhaus Goethestraße 43 mit Kompetenz und großem Geschick. Von
ihrer Erfahrung als städtische Wohnungsgesellschaft ließe sich auch
bei zukünftigen Projekten profitieren. Desweiteren muss das Stadtpla-
nungsamt Informationen bereitstellen und aktiv für ein altersgerechtes
Quartier eintreten. Um ein Projekt wie das Mehrgenerationenhaus ins
Leben zu rufen, ist aber vor allem das Interesse potentieller Bewohner
von elementarer Bedeutung, die sich bei der Umsetzung über das
normale Maß hinaus engagieren müssen.
Falls das Ziel besteht, im Goethequartier altersgerechtes Wohnen
zu fördern, sollte dies baldmöglichst von der Stadt und der Stäwog
kommuniziert werden. Bei entsprechender Nachfrage können die
notwendigen Sanierungsmaßnahmen beginnen, die natürlich stark
vom Interesse der Hauseigentümer abhängen. Die Durchführung von
Projekten würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen.
Für den Fall, dass Interessierte selbst als Bauherren agieren möchten,
können sie beispielsweise eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts)
gründen. Diese Rechtsform ist besonders geeignet, da keine gesetzlich
festgelegten Einlagen notwendig sind. Andererseits können Austritts-
hürden eingerichtet werden, da der Rückzug eines Einzelnen aus einer
Bauherrengruppe das gesamte Projekt gefährden könnte. Ferner räumt
der Bundesgerichtshof der GbR eine beschränkte Haftung einzelner
Gesellschafter ein, falls dies in den allgemeinen Geschäftsbedingungen
festgelegt ist (IHK Bremerhaven). Tritt die zukünftige Bewohnerschaft
eines generationengerechten Hauses hingegen nur als Mietergruppe
auf, kann ein Verein gegründet werden, der dem Vermieter als
Vertragspartner dient. Beim Pionierprojekt Lebens(t)raum wurde jedoch
auch darauf verzichtet, stattdessen schloss jeder Mieter einen individu-
ellen Mietvertrag mit der Stäwog ab.
hundertelf
Vergleicht man im Hinblick auf das Wohnen im Alter Wunsch und
Realität, so zeigen sich große Differenzen: Wie Umfragen belegen,
zeigt sich die Generation 55+ anderen Wohnformen als dem traditio-
nellen Wohnen in den eigenen Wänden gegenüber durchaus offen und
flexibel. So könnten sich beispielsweise rund 30 Prozent dieser Alters-
gruppe vorstellen, in einer Hausgemeinschaft zu leben, während sechs
Prozent dies sogar definitiv vorhaben (vgl. Milleker 2006). Tatsächlich
liegen die Zahlen aber weitaus niedriger, da bislang geeignete
Angebote fehlen. Dies liegt unter anderem an den recht hohen
Kosten, die eine altersgerechte Sanierung mit sich bringt, und die bei
einem Mietpreisniveau wie beispielsweise im Goethequartier kaum zu
refinanzieren sind. Auch das Imageproblem des Quartiers stellt eine
hohe Hürde dar, daher wäre es wichtig, durch Marketingstrategien
einen Imagewandel von einem durch soziale Probleme und Leerstand
geprägten Viertel zu einem altersgerechten, qualitativ hochwertigen
und citynahen Wohnstandort in Gang zu setzen und dieses neue
Konzept einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Das Tool fällt in die Kategorien Möglichkeitsräume, da altersgerechtes
Wohnen ein neues Konzept für die Nutzung leerstehender Altbauten im
Quartier darstellt.
Wie die Erfahrung des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße
43 lehrt, braucht es zudem eine kleine Gruppe engagierter Menschen,
die solch ein Projekt initiiert und von der Planung bis zur Umsetzung
begleitet.
Mehrere dieser Projekte sind auf jeden Fall geeignet, einen Image-
wandel des Viertels in Gang zu setzen bzw. zu unterstützen, weshalb
sich generationengerechtes Wohnen auch als ein Marketinginstrument
begreifen lässt.
hundertzwölf
#15: Balkone in Baulücken
Die Anregung für dieses Tool lieferte ein Projekt des Architekturbüros
HPP, das 1998 in Leipzig-Connewitz mit „Wohnen für junge Menschen“
ein Beispiel schuf, wie Baulücken als Potential genutzt werden können:
Die Lücke zwischen den Häusern bedeutet für die Architekten nicht
Leere, sondern ermöglicht eine geradezu skulpturale Brücke. Auch
in Leipzig wurde die innovative Idee aus der Not heraus geboren: Der
Stadtteil Connewitz ist wie das Goethequartier ein dichtes gründer-
zeitliches Wohnquartier mit Blockrandbebauung, das aufgrund starker
Abwanderung und mangelnder Investitionen heute große Brachflächen
aufweist. Zugleich stellt dieser Stadtteil aber auch ein beispielhaftes
Modellprojekt für einen neuen qualitativen Stadtumbau dar, bei dem mit
immer weniger Menschen versucht wird, Stadtstrukturen aufrecht zu
erhalten. Das Büro HPP etwa beweist, dass der Umgang mit Lücken
und immer geringerer baulicher Dichte durchaus reizvoll und spannend
und darüber hinaus auch bezahlbar sein kann. Im Falle des Referenz-
beispiels handelt es sich um offene Erschließungsbrücken, welche die
Gebäude miteinander verbinden und zugleich Wohneingangsbereiche
darstellen. Inzwischen haben sich die Bewohner, zumindest in der
wärmeren Jahreszeit, ihre Brücken angeeignet und nutzen diese als
Freiluftsitz und grüne Balkonoase.
Entstanden ist das Projekt durch ein architektonisches Gutachter-
verfahren unter dem Titel „Wohnen für junge Menschen“ inklusive
anschließender Entwurfsrealisierung. Ausgerufen wurde der Wett-
bewerb von der Stadt Leipzig und der lokalen Wohnungsbaugenossen-
schaft, welche sich die Förderung individueller und anpassungsfähiger
Wohnformen mit der Option der Eigeninitiative zum Ziel gesetzt
hat. Zum Sieger wurde der Entwurf von HPP gekürt, welcher sechs
freistehende Hausquader – verbunden mit den beschriebenen
Balkonbrücken – vorschlug, um den Blockrand wiederherzustellen
und zugleich zu einem neuen, großen begrünten Hof überzuleiten
(Käpplinger 2001). Das Projekt trug wesentlich zur Quartiersbelebung
bei und fand in einem sonst als schwierig geltenden Wohnumfeld rasch
Mieter.
Als weiteres Referenzbeispiel – aus rein ästhetischer Sicht, jedoch auf
einer völlig anderen Ebene angesiedelt – kann das Gebäude der Swiss
hundertdreizehn
Re-Versicherung in München-Unterföhring dienen. Die Architekten
des Büros Bothe Richter Teherani gestalteten den Verwaltungsbau mit
einer Art „schwebenden“ Hecke, die um das Gebäude herumführt, so
dass man das Gefühl hat, in einer grünen „Oase“ zu arbeiten anstatt
in einem trostlosen, peripheren Gewerbegebiet. Das Gebäude besteht
aus insgesamt 16 Flügeln, die in den oberen Geschossen von einem
begehbaren Rankgitter umfasst werden, auf dem die Mitarbeiter auf
einer Länge von 600 Metern in luftiger Höhe um das Gebäude herum-
gehen können. Momentan bedecken Glyzinien und wilder Wein noch
eher spärlich den Maschendrahtzaun, an dem sie emporwuchern
sollen, in ein paar Jahren jedoch, wenn sie das Gebäude komplett
umwachsen haben, werden sie bis zur Unterkante des Gerüsts
Abbildung (38): Verbindungsbalkone in Leipzig-Connewitz, HPP Architekten
hundertvierzehn
entlaubt, so dass die Hecke dann aus der Ferne wirkt, als würde sie
schweben (Kunz u. a. 2005).
Das Beispiel aus Leipzig ließe sich sehr gut auch im Goethequartier in
Baulücken, die in der Blockrandstruktur entstanden sind, umsetzen.
Große private Freiluftsitze hätten hier ihren besonderen Reiz, da in der
gründerzeitlichen Architektur die Balkone eher Zier- als Nutzbalkone
darstellen. Die moderaten baulichen Ergänzungen würden zu einer
Aufwertung des Quartiers beitragen, die Balkonwohnungen wären
auch für neue Mieter aus anderen Stadtteilen attraktiv. Zudem würden
die momentan zugewucherten und vermüllten Baulücken dank der
neuen, kreativen Nutzung nicht länger Problemflächen darstellen und
die städtebauliche Struktur der Blockrandbebauung wäre – zumindest
im Ansatz – relativ unaufwendig wieder hergestellt.
Um den Balkonen in dem sehr dichten Viertel ein private Atmosphäre
zu geben, könnte das beschriebene Projekt des Architekturbüros
Bothe Richter Teherani als Beispiel herangezogen werden: Mit der
„grünen Haut“ erhielt das Versicherungsgebäude eine halbdurchlässige
Schicht, die es von seiner Umgebung abschirmt. Auf ähnliche Weise
ließe sich auch auf den Balkonen eine Privatsphäre herstellen. Zudem
würden die so entstehenden vertikalen Grünfläche für die umliegenden
Abbildung (39): Das Gebäude der Swiss Re-Versicherung in München
hundertfünfzehn
Bewohner einen besonderen Blickfang darstellen und ein wenig Grün
in die ansonsten dichte Bebauungsstruktur bringen, zumal der der
Wunsch nach einer grüneren Gestaltung des Quartiers nach eigenen
Erfahrungen sehr hoch ist.
Für die konkrete Umsetzung des Tools kommen bereits bestehende
Baulücken in der Mitte der Blockrandstruktur infrage, aber auch das
Grundstück am Quartiersplatz in der Uhlandstraße, das in naher
Zukunft im Zuge des Vorkaufsortsgesetzes abgerissen werden dürfte.
Die Finanzierung müssten die jeweiligen Hausbesitzer selbst tragen,
könnten in der Folge aber damit rechnen, dass dieser innovative
Anbau in den Lücken auch den Wert der Wohnungen steigert und
diese so leichter vermittelbar sind. Die Kosten hängen von der Art
der Baukonstruktion ab sowie von der Frage, ob Bauteile speziell
angefertigt werden müssen oder nicht. Wenn die Konstruktion von den
Hauswänden unabhängig auf Stützen ruht, ist dies preiswerter als die
nachträgliche Anbringung am bestehenden Mauerwerk, wodurch sich
zudem statische Probleme ergeben könnten, so dass die tragenden
Außenwände nachgestärkt werden müssten. Allerdings erscheint die
zweite Lösung raffinierter, da sie den Eindruck der Leichtigkeit und
des sozusagen „freien Schwebens“ vermittelt. Genaue Kosten können
G O
E T
H E
S T
R A
S S
E
U H L A N D S T R A S S E
H E I N R I C H S S T R A S S E
A D O L F S T R A S S E
K I S T N E R S T R A S S E
Z O L L I N L A N D S T R A S S E
§HAUS 43
RÜCKENWIND
FRAUENCAFÉ
POTENTIALE (KEIMZELLE #2)
§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude
Einzelhandel
Restaurant
Café
Kneipe
Friseur
physische Barrieren
Schlüsselgebäude
Passanten
spielende Kinder
Begrünung
gestaltete Gärten
Brachfläche
Abbildung (40): Verortung des Tools „Balkone in Baulücken“
hundertsechzehn
nur von einem Architekten berechnen werden und sind abhängig von
den jeweiligen Umständen. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen
dieses Katalogs ist dieses Tool allerdings in jedem Fall relativ teuer
einzuschätzen.
Wichtigste Akteure sind die jeweiligen Hausbesitzer, die die baulichen
Veränderungen durchführen. Daneben sind noch die Arbeit eines
innovativen Architekten sowie die Unterstützung durch das Stadtpla-
nungsamt vonnöten.
Die Implementierung der Balkone in Lücken ist im Katalog der von
uns vorgeschlagenen Maßnahmen weit hinten angesiedelt, da die
finanzielle Dimension wie die Umsetzungsdauer als eher hoch einge-
schätzt werden. Außerdem ist dieses Tool wohl erst sinnvoll, wenn das
Quartier bereits eine gewisse Aufwertung erfahren hat, da erst dann
die Eigentümer die Sicherheit haben, für ihre verbesserten Wohnungen
auch Mieter zu finden, die solvent genug sind, die höheren Mietpreise
zu bezahlen.
Für die Errichtung der Balkone ist lediglich eine Baugenehmigung
erforderlich.
Abbildung (41): Glyzinien und wilder Wein wuchern am Swiss Re-Gebäude empor
hundertsiebzehn
Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planerische, finanzielle und
zeitliche Aufwand dar.
In erster Linie nutzen die Balkone auf besonders innovative Weise das
Potential, das der Möglichkeitsraum „Baulücke“ bietet.
Da sie zudem den jeweils betroffenen Wohnungsbestand direkt
aufwerten und damit den Immobilienmarkt stabilisieren helfen, wird
auch die Kategorie „lokale Ökonomie“ berührt.
Der Marketingeffekt, der sich durch die Umsetzung des Tools bewirken
ließe, ist nicht zu unterschätzen: Eine solch innovative Idee würde nicht
nur in der lokalen Presse, sondern auch in bundesweiten Fachzeit-
schriften vorgestellt werden sowie Besucher aus der ganzen Stadt und
darüber hinaus anziehen.
4. Interventionen
106
Abbildung 34: Der Rückenwind e. V. in der Goethestraße 35
4.1 kinder-Fotosafari
Für die Intervention ausgewählt wurde das Tool #04, „Temporäre
Stadt“. Zur Diskussion standen dabei eine Reihe möglicher Aktionen
(von einem Grillfest über eine Ausstellung mit lokalen Künstlern bis
hin zu einer Filmvorführung), die im Rahmen einer Nutzwertanalyse
hinsichtlich ihres zeitlichen Horizonts, der Kosten sowie der zu erwar-
tenden Außenwirkung bewertet wurden. Im Ergebnis erschien eine
Kinder-Fotosafari mit anschließender Ausstellung der Bilder als die
geeignetste Alternative, da sie sich sowohl innerhalb der zur Verfügung
stehenden Zeit als auch zu vertretbaren Kosten realisieren ließ. Zudem
war davon auszugehen, dass die Ausstellung inklusive medialer
Berichterstattung die erwünschte öffentliche Wahrnehmung gewähr-
leisten würde. Ein weiterer Aspekt, der bei der Entscheidung eine
Rolle spielte, war, dass im Quartier überproportional viele Kinder leben.
Diese lassen sich über die spezifischen Institutionen (Schule, Freizeit-
und Betreuungseinrichtungen etc.) relativ einfach erreichen bzw.
aktivieren und sind zudem rasch für eine Mitwirkung zu begeistern.
Bürgerbeteiligungsverfahren, die auf erwachsene Personen zielen,
Abbildung 35: Kinder zeichnen ihre Ideen zur Nutzung von Baulücken
107
wären angesichts des sozialen Umfeld im Quartier zweifellos weitaus
schwieriger zu organisieren gewesen und hätten vermutlich keine
vergleichbare Aktivierung der Bewohner des Ortsteils Goethestraße
bewirkt. Wie sich später zeigte, eignen sich Kinder für die Beteiligung
auf Stadtteil- bzw. Quartiersebene auch deswegen besonders gut,
da sie meist über eine starke Identifikation mit ihrer unmittelbaren
Umgebung verfügen, in der sie zur Schule gehen und nachmittags
spielen. Außerdem sind sie tendenziell neugierig und besitzen noch
eine relativ unvoreingenommene Perspektive auf ihr Viertel – auch wenn
sie dessen Probleme durchaus wahrnehmen.
Nachdem die Gruppe als Projektpartner zunächst die Astrid-Lindgren-
Schule favorisiert hatte, entschied sie sich schließlich für die „Aktion
Rückenwind für Leher Kinder e. V.“, die bei einer der Ortsbegehungen
als interessanter Akteur identifiziert worden war. In dieser Institution,
sehr zentral, ungefähr in der Mitte der Goethestraße gelegen, werden
in mehreren Räumen, die sich über zwei Stockwerke verteilen, an vier
Nachmittagen die Woche (Dienstag bis Freitag) sowie an zahlreichen
Wochenenden und in allen Ferien Kinder zwischen vier und zwölf
Jahren betreut. Etwa 60 bis 100 Kinder nehmen dieses Angebot pro
Tag an, fast alle davon wohnen auch im Quartier. Bis auf einige wenige
400 Euro-Kräfte arbeiten die Betreuerinnen, die mehrheitlich ebenfalls
Abbildung 36: Teilnehmerin der Fotosafari vor einer Baulücke
110
aus der Nachbarschaft stammen, ehrenamtlich, die Finanzierung
erfolgt allein durch Spenden sowie eingeworbene Projektgelder. Ziel
des 2003 gegründeten Vereins ist es, die „körperlichen, geistigen,
emotionalen, kulturellen und sozialen Interessen und Fähigkeiten“ der
Kinder zu fördern, damit diese „aktiv auf ihre Lebensgestaltung und
die Entwicklung ihres Stadtteils Einfluss nehmen“ können (Rückenwind
e.V.).
Angesichts dieser Zielsetzung ist nachvollziehbar, dass von Seiten des
Rückenwind e. V. an einer Zusammenarbeit mit der Projektgruppe
großes Interesse bestand. Nach einer ausführlichen Vorbespre-
chung begleiteten daher am 18. Mai 2011 einige Gruppenmitglieder
gemeinsam mit je einer Betreuerin drei Gruppen von je vier Kindern im
Alter zwischen sieben und zwölf Jahren durch das „Goethequartier“.
Um die Sichtweise der Fotografen nicht zu beeinflussen, beschränkte
sich die Rolle der Erwachsenen ganz bewusst darauf, von Zeit zu
Zeit die Aufgabenstellung in Erinnerung zu rufen. Diese lautete, die
jeweiligen Lieblingsorte zu fotografieren sowie Orte, an denen sich die
Kinder nicht wohlfühlen bzw. die ihnen nicht gefallen. Aus praktischen
Gründen wurden dazu Einwegkameras verwendet, zudem war die
Aktion als Wettbewerb angelegt, um den Ehrgeiz der Beteiligten zu
wecken.
Währenddessen und im Anschluss an die Fotosafari bekamen alle
interessierten Rückenwind-Kinder jeweils eine DIN A3-Skizze einer
Baulücke zur Verfügung gestellt (bzw. bei Bedarf auch mehrere
Exemplare), in die sie ihre Ideen für die Nutzung einer Baulücke
zeichnen konnten. Die zentrale Erkenntnis dieser Malaktion, an der
sich auch einige der Betreuerinnen beteiligten, war der allgemeine
Wunsch nach mehr Grün im Quartier sowie nach abwechslungsreichen
Spiel- und Sportmöglichkeiten. Eine Bebauung der Lücke mit einem
vollwertigen Gebäude wurde hingegen nur einmal vorgeschlagen.
Abbildung 37: Einige der Siegerfotos
111
4.2 ausstellung
Die Ergebnisse der Fotosafari sowie die Baulückenzeichnungen
wurden schließlich rund einen Monat später, ab dem 17. Juni, unter
dem Titel „Augenhöhe < 1,50 Meter – Der Ortsteil Goethestraße aus
Kinderperspektive“ in Bremerhaven präsentiert. Die Ausstellung fand
statt im Rahmen der Leher Sommer-Kulturwochen 2011, einer dreiwö-
chigen Veranstaltungsreihe mit zahlreichen kulturellen Angeboten, die
auf Initiative der Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe, des
Kulturbüros Lehe sowie des Stadtplanungsamtes Bremerhaven in
eben diesem Jahr erstmalig durchgeführt wurde. Ursprünglich hatte die
Projektgruppe für die Intervention eine Baulücke gewählt, später sollte
als temporärer Ausstellungsort der vor einigen Jahren neu geschaffene
Quartiersplatz dienen. In beiden Fällen hätte sich die Präsentation
jedoch auf einen Tag beschränkt und wäre zudem witterungsabhängig
gewesen. Daher nahm die Gruppe das Angebot des künstlerischen
Leiters der Kulturwochen, des Autors und Theatermachers Erpho Bell,
gerne an, die Ausstellung für die Dauer von zwei Wochen in der „Kultur-
wohnung“ zu zeigen. Hierbei handelte es sich um einen klassischen
„Möglichkeitsraum“, eine ehemals leerstehende Erdgeschosswohnung,
zur Goethestraße hin gelegen, sehr zentral, direkt gegenüber dem
Mehrgenerationenhaus und nur wenige Schritte vom Rückenwind e. V.
Abbildung 38: Vorbereitung der Ausstellung in der Kulturwohnung
112
entfernt. Außer den von der Projektgruppe ausgestellten Fotos behei-
mateten die Räume eine Kunstinstallation und dienten für drei Wochen
als Veranstaltungsort für diverse Lesungen sowie als Tauschbibliothek.
Zwar war das Konzept der „Kulturwohnung“ zeitlich befristet auf die
Sommer-Kulturwochen, doch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass
sich daraus eventuell eine dauerhafte Einrichtung ergeben könnte.
Im Zentrum der Vernissage, die über den Flyer der Leher Sommer-
Kulturwochen sowie eigene Plakate publik gemacht worden war, stand
die Prämierung der Siegerfotos, d. h. jener drei Fotoserien je eines
Fotografen, die die Projektgruppe als am „künstlerisch wertvollsten“
und aussagekräftigsten bewertet hatte. Als Preis erhielten die Kinder
jeweils ein Sachbuch, das von einer örtlichen Buchhandlung gestiftet
worden war, zudem bekamen sämtliche anwesende Kinder des
Rückenwind e. V. je einen Gutschein für Kuchen und Kakao. Sonstige
Besucher konnten für Kaffee und Kuchen spenden, der Erlös wurde
unserem Projektpartner Rückenwind e. V. übergeben. Musikalisch
umrahmt wurde die Ausstellungseröffnung von einem Bremerhavener
Saxofonisten, die örtliche Presse war durch unseren Medienpartner,
das Sonntagsjournal, vertreten (vgl. dazu Kapitel 4.3).
Neben den Fotos, die zum Teil auf DIN A4 vergrößert und auf
Kappa-Platte aufgezogen worden waren, zum Teil in normaler
Größe nebeneinander aufgereiht gezeigt wurden, präsentierte die
Projektgruppe auf Plakaten vier eigene Ideen, d. h. Tools, für das
Abbildung 39: Ausstellungseröffnung
113
Abbildung 40: Ausstellungsbesucher betrachten die Plakate des „Projekts Goethequartier“
Goethequartier. Diese konnten zum einen schriftlich kommentiert
werden, zum anderen ergaben sich aber auch bereits bei der
Vernissage angeregte Diskussionen über die Vorschläge. Dabei
wurde der von der Projektgruppe vorgeschlagene bzw. geprägte
Begriff „Goethequartier“ von einigen Besuchern wie selbstverständlich
verwendet – ein Beweis für dessen Eingängigkeit sowie eventuell ein
erster Hinweis darauf, dass nach dieser „Marke“ ein emotionales wie
faktisches Bedürfnis bestehen könnte. Alle Interessierten hatten zudem
die Möglichkeit, sich in eine Mailingliste einzutragen, um so nach
Abschluss des Projekts den Katalog, d. h. die Toolbox, zugesandt zu
bekommen. Ganz offensichtlich waren unter den rund 30 erwachsenen
Besuchern der Vernissage zahlreiche potentielle „Kümmerer“, so dass
das Ziel der Intervention, solche Personen zu identifizieren, voll erreicht
wurde. Auch im weiteren Verlauf der Ausstellung, währenddessen
keine Gruppenmitglieder mehr anwesend sein konnten, blieb die
Publikumsbeteiligung nach Angaben der Veranstalter rege. So kamen
etwa einige der jungen Fotografen noch einmal mit ihren Eltern wieder,
die bei der Eröffnung nicht anwesend waren. Außerdem bekundete
der Rückenwind e. V. den Wunsch, die Fotoreihen nach Abschluss der
Ausstellung in der „Kulturwohnung“ noch weitere zwei Monate in den
eigenen Räumen aufhängen zu dürfen. Anschließend sollen die Kinder
ihre jeweiligen Bilder bekommen.
114
4.3 öffentlichkeitsarbeit
Begleitet wurden die Interventionen von einer intensiven Öffentlichkeits-
arbeit. Ziel war es, über das „Projekt Goethequartier“ zu informieren,
den Kontakt mit den Bewohnern des Projektgebiets zu intensivieren
und darüber hinaus ein Netzwerk zu relevanten Akteuren der Stadt-
entwicklung aufzubauen. Dadurch sollte der Austausch von Ideen
und Vorschlägen sowie insbesondere die Diskussion über das eigene
Konzept gefördert werden. Als erste Maßnahme wurde zu diesem
Zweck unter dem Namen „Goethequartier“ eine Facebook-Präsenz
eingerichtet, auf der in regelmäßigen Abständen Informationen über die
eigene Projektarbeit sowie über den Ortsteil Goethestraße veröffentlicht
wurden – letzteres natürlich in erster Linie für ortsfremde Personen.
Nach eher zurückhaltendem Beginn entwickelte sich die Seite
innerhalb kurzer Zeit zu einer viel genutzten Plattform, wie über 17.000
„Post Views“ bis zum Zeitpunkt der Endredaktion dieses Berichts
belegen. Auch von Menschen aus dem Goethequartier selbst kamen
immer wieder Anfragen, die Interesse bekundeten an den Ergeb-
nissen der Kinder-Fotosafari und an der Ausstellung, dem Stand der
Abbildung 41: Das Logo der Projektgruppe
117
Projektarbeit, dem Projektbericht sowie der aktuell noch ausstehenden
Endpräsentation vor Ort. Auch in der Blogosphäre hat das Projekt
seine Spuren hinterlassen: Seine äußerst positiven Eindrücke von der
Fotoausstellung schilderte ein bekannter lokaler Kulturschaffender in
seinem Blog (http://juwiswelt.blogspot.com), das sich hauptsächlich
mit den Themen Kunst und Stadtentwicklung beschäftigt.
Zweites wichtiges Standbein der Öffentlichkeitsarbeit bildete schließ-
lich der Kontakt zur lokalen Presse, wobei wir als Medienpartner
bewusst das Bremerhavener Sonntagsjournal gewählt hatten –
deutschlandweit eine der ersten und mittlerweile eine der letzten
Gratis-Sonntagszeitungen –, da dieses im Gegensatz zur kostenpflich-
tigen Nordsee-Zeitung auch im Goethequartier viel gelesen wird. In
einem ersten Artikel durften wir unser Projekt vorstellen, ein weiterer
erschien unmittelbar nach der Ausstellung; das dazugehörige Bild zeigt
zwei der drei Gewinner des Fotowettbewerbs zusammen mit einigen
Projektmitgliedern.
Nicht zuletzt wurde für das „Projekt Goethequartier“ ein Logo ent-
wickelt (s. Abb. 41), das dazu gedacht war, der P3-Gruppe im Rahmen
der Außenkommunikation, insbesondere auf den Ausstellungsplakaten,
zu einer Corporate Identity zu verhelfen.
Abbildung 42: Eigenes Ankündigungsplakat
Abbildung 43: Facebook-Screenshot und -Statistik
Abbildung 44: Zitungsartikel über das „Projekt Goethequartier“
5. Ausblick: Das Goethequartier im Jahr 2025
120
Abbildung 45: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Immobilie
121
In diesem Kapitel soll die Vision, die zuvor für das Goethequartier
entwickelt wurde, und der sämtliche Tools verpflichtet sind, noch
einmal überprüft und konkretisiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei
die Frage, welchen Beitrag die einzelnen vorgeschlagenen Maßnahmen
und Instrumente eventuell bei der Verwirklichung dieses Zukunfts-
szenarios, also beim Prozess der schrittweisen Aufwertung, leisten
können. Aufgezeigt werden soll zudem, welche Verknüpfungen und
Interdependenzen zwischen den Tools bestehen, wie diese also – im
Idealfall! – ineinandergreifen. Der vorläufige Endpunkt der prognosti-
zierten bzw. erhofften Entwicklung wird im Rahmen dieses Ausblicks
ungefähr auf das Jahr 2025 terminiert, da dies von heute, 2011,
aus betrachtet als ein realistischer Zeithorizont erscheint, innerhalb
dessen alle Tools ihre volle Wirkung entfalten können. Bis dahin, so
steht zu hoffen, ist aus dem Ortsteil Goethestraße ein echtes Quartier
mit eigenem, positiv besetztem Image geworden, dessen Bewohner
sich im Sinne einer „Bürgergesellschaft“ aktiv für ihre Nachbarschaft
einsetzen. Die momentan bestehenden Freiräume, also Baulücken und
Leerstand, so die Vision, werden dabei einer vielfältigen neuen Nutzung
zugeführt, was nicht nur Wachstumseffekte für die lokalen Ökonomien
zur Folge hat, sondern das Viertel auch wieder attraktiv macht für
Bevölkerungsschichten, die heute andere Teile der Stadt vorziehen.
In diesem Zusammenhang muss allerdings immer auch berücksichtigt
werden, dass der planerische Handlungsspielraum seine Grenzen
findet in der allgemeinen makroökonomischen und gesamtstädtischen
Entwicklung, die trotz gegenteiligen Tendenzen in einigen Bereichen
sicherlich auch zukünftig eine große Herausforderung darstellen
wird: Der Kontext, in dem sich die Aufwertung des Projektgebiets
vollziehen soll, bleibt aller Voraussicht nach auch in den kommenden
Jahren bestimmt durch demographischen Wandel und schrumpfende
Bevölkerungszahlen. Nichtsdestotrotz erscheint das hier beschriebene
Szenario angesichts der im Ortsteil Goethestraße wie auch in Bremer-
haven vorhandenen Potentiale als durchaus realistisch, zumal im
Rahmen der vorgeschlagenen Tools detailliert dargelegt wird, wie diese
jeweils genutzt bzw. gestärkt werden können.
Eines der Hauptziele, die mit der Toolbox verbunden sind, ist es, die
Menschen im Quartier zu aktivieren, d. h., sie dazu zu bewegen, einen
eigenen kleinen Beitrag zur Belebung und Aufwertung ihres Wohn- und
Lebensumfeldes zu leisten. Zum einen braucht es dazu „Kümmerer“,
die bereit sind, sich eines speziellen Themas, eines Projekts persönlich
122
anzunehmen und dieses umzusetzen. Zum anderen jedoch muss es
die Intention sein, über diese kleine Personengruppe hinaus auch die
breite Masse der Bevölkerung stärker einzubinden und an Prozessen
der Stadtentwicklung intensiver zu beteiligen. Tool #01, „Neigh-
bourhood Branding“, trägt diesem Gedanken Rechnung, indem es
Wege aufzeigt, wie dies, erfolgreicher als bislang der Fall, gelingen
kann. Schließlich dient der Branding-Prozess einerseits zwar durchaus
der Imagekorrektur (also einer Verbesserung der Außenwahrnehmung),
primär jedoch geht es hierbei darum, Partizipation zu fördern und die
Verständigung der Menschen über die Potentiale und Perspektiven
ihrer eigenen Nachbarschaft zu initiieren bzw. zu intensivieren. Im Zuge
dessen bilden und verstärken sich Netzwerke, Akteure finden sich
zusammen, es entstehen Konstellationen, die im weiteren Verlauf der
angestrebten Entwicklung zum Gelingen von Projekten entscheidend
beitragen können.
Ein weiteres grundlegendes Instrument stellt Tool #02 dar: Ein inter-
netbasiertes Informationssystem, das sämtliche Baulücken und
(gewerblichen) Leerstände im Quartier – bzw. darüber hinaus im
gesamten Stadtgebiet – abbildet und Interessierten zugänglich macht.
Dies ermöglicht bzw. erleichtert es, die im Rahmen des Projekts
„Möglichkeitsräume“ genannten Raumpotentiale einer neuen Nutzung
zuzuführen. Angesichts der (momentan) nicht vorhandenen Nachfrage
nach dauerhaften, ökonomisch lukrativen Lösungen wird diese dabei
in vielen Fällen temporär angelegt sein. Die Toolbox enthält hierzu
ein Reihe von Vorschlägen aus dem weiten Spektrum der Zwischen-
nutzung: Tool #03 „Temporäre Stadt“, Tool #04 „Bauspielplatz“ und
Tool #05 „Nachbarschaftsgärten/Interkulturelle Gärten“, hinzu kommen
Tool #07 „Probewohnen“ und Tool #12 „Temporäre Gastronomie“.
Am wenigsten dauerhaft sind dabei die Projekte im Zusammenhang
mit der „temporären Stadt“, die in erster Linie Eventcharakter besitzen.
Dass aber selbst kurze künstlerische oder kulturelle Interventionen über
ihre eigentliche Dauer hinaus raumwirksam werden und damit auf die
Stadtentwicklung einwirken können, lässt sich etwa am Beispiel der
Ausstellung demonstrieren, die das Projektteam selbst im Goethe-
quartier durchgeführt hat. Zum einen vermittelten die Fotos der Kinder
den Besuchern einen zum Teil ganz neuen Blick auf das eigene Viertel,
auch auf dessen schöne Seiten. Die intensive Betrachtung der Bilder
führte dabei bei manchen zu Rätselraten, wo genau eine bestimmte
Situation denn zu verorten sei, sowie zu Aha-Erlebnissen nach dem
123
Motto „Das ist mit ja noch nie aufgefallen!“. Befördert wurde durch die
Ausstellung bei den Bewohnern also nicht nur die Beschäftigung mit
dem eigenen Lebensumfeld (die zu einer verstärkten Identifikation mit
diesem beitragen kann), sondern darüber hinaus auch das Gespräch
über Probleme und Potentiale des Viertels. Und dies gerade auch bei
Personen, die sich ansonsten nicht mit derartigen Themen befassen
würden. Ein Beispiel hierfür sind die Eltern der Rückenwind-Kinder, die
zwar ganz überwiegend nicht bei der Vernissage anwesend waren und
kulturelle Veranstaltungen dieser Art größtenteils wohl generell eher
meiden würden, im Fall der Ausstellung „Augenhöhe < 1,50 Meter“
aber eine Ausnahme machten: Im Laufe der zwei Wochen kamen
mehrere von ihnen gemeinsam mit ihren Kindern vorbei, um sich die
Fotoserien in Ruhe zu betrachten.
Zum anderen ist zu erwarten – ohne, dass dies an dieser Stelle
nachgewiesen werden kann – dass zumindest bei einigen der
Besucher die temporär eingerichtete „Kulturwohnung“ auch über
die Ausstellung hinaus im Gedächtnis verankert bleibt. Durch eine
vorübergehende, nur zwei oder drei Wochen andauernde Nutzung
wurde also ein Ort geschaffen, der aufzeigt und daran erinnert, dass es
neben Verfall und Niedergang auch Zeichen für einen positiven Wandel
des Ortsteils Goethestraße gibt. Aufgrund des großen Erfolgs werden
die Leher Sommer-Kulturwochen aller Voraussicht nach auch im
kommenden Jahr stattfinden, im Jahr 2025 feiern sie demnach bereits
15-jähriges Bestehen und haben sich zu einer festen Institution entwi-
ckelt. Die Beteiligung der Anwohner, sowohl aktiv wie auch passiv, hat
gegenüber heute noch wesentlich zugenommen, viele Bürger führen
unter dem Dach dieser Veranstaltungsreihe selbständig Aktionen durch.
Die „Kulturwohnung“ ist derweil zu einer dauerhaften, ganzjährigen
Einrichtung geworden, in den Räumen finden regelmäßig Ausstellungen
und Lesungen statt, zu denen auch Besucher von außerhalb zahlreich
erscheinen.
Das größte Problem bei solchen Veranstaltungen ist es mittlerweile,
2025, einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe der Goethestraße zu
ergattern, dagegen stehen für ein anschließendes Bier oder Glas Wein
eine Reihe attraktiver gastronomischer Einrichtungen zur Auswahl.
Einige der ursprünglich temporären Cafés und Bars im Quartier haben
nach wie vor nur im Sommer in einer Baulücke geöffnet und beleben
während dieser Monate das Straßenbild, andere erwiesen sich – auch
dank neu zugezogener Bevölkerungsschichten – als wirtschaftlich so
124
erfolgreich, dass sie sich in leerstehenden Ladenlokalen dauerhaft
etablieren konnten.
Aktuell, also 2011, ist der Wohnungsleerstand im Ortsteil Goethestraße
so hoch, dass zu den bereits vorhandenen Baulücken in den nächsten
Jahren beinahe zwangsläufig einige weitere hinzukommen werden.
Der erwartete Zuzug neuer Bewohner und die nachfolgende Stabili-
sierung des Wohnungsmarktes, die die Hauseigentümer wiederum zu
verstärkten Investitionen in die Substanz motiviert, kommen für viele
Gebäude vermutlich zu spät. Daher erscheint es wahrscheinlich, dass
– trotz eventueller Neubebauung einiger Brachengrundstücke – auch
im Jahr 2025 noch zahlreiche Lücken bestehen, deren einstmals als
Zwischenlösung geplante Nutzung zu einer dauerhaften geworden ist.
Der Bauspielplatz etwa ist im Laufe der Zeit über das Viertel hinaus
zu einer beliebten Anlaufstation für Bremerhavener Kinder geworden,
die hier im Kleinen einüben, was sich im Großen, also im gesamten
Goethequartier, zur Regel entwickelt hat: Umfassende, gleichberech-
tigte Kommunikation unter allen Akteuren, insbesondere der Dialog
über gemeinsame Projekte sowie eine breite Kooperation bei deren
Umsetzung.
Angesichts der großen Anzahl an Flächen gehören zu den ursprünglich
als Zwischennutzung angelegten Projekten, die sich im Jahr 2025
verstetigt haben, auch zwei Gemeinschaftsgärten. Der eine wird
von den direkten Anwohnern genutzt, die sich angesichts der
Möglichkeit, innenstadtnahes, urbanes Wohnen und einen eigenen
Garten verbinden zu können, für das Goethequartier und gegen ein
eigenes Haus im Umland entschieden haben. Der andere Garten,
der sich primär dem interkulturellen Austausch verschrieben hat,
wird von Menschen aus dem ganzen Viertel genutzt und stellt somit
einen wichtigen Treffpunkt dar. Unter den Nutzern sind viele, die das
Gärtnern als Hobby pflegen und dabei vor allem auch die die Gemein-
schaft mit anderen suchen, beispielsweise beim sommerlichen Kochen
im Gartenrestaurant. Für einige andere wiederum, die trotz der verbes-
serten Wirtschaftslage in prekären Verhältnissen leben, stellt das selbst
angepflanzte Gemüse darüber hinaus jedoch eine wichtige Quelle der
Ernährung dar und bedeutet eine deutliche finanzielle Entlastung.
Unter den Zwischennutzungen, die im Jahr 2025 nicht mehr
existieren, findet sich dagegen das Modellprojekt „Probewohnen“.
Die dafür genutzte Wohnung wurde, zusammen mit einigen anderen,
125
irgendwann in eine reguläre Ferienwohnung umgewandelt. Dank des
Tourismusbooms, von dem Bremerhaven aufgrund seiner zahlreichen
Freizeiteinrichtungen bereits seit vielen Jahren profitiert, kommen Jahr
für Jahr mehr Besucher in die Stadt, von denen einige ein Gründerzeit-
viertel mit historischer Bausubstanz den postmodern-futuristischen,
ästhetisch anspruchslosen Hotels am Hafen vorziehen. Besonders für
ältere, kulturell interessierte Reisende sowie für junge Familien, die sich
ein Hotel nicht leisten können und wollen, sind die Ferienwohnungen im
Goethequartier attraktiv.
Sowohl für Gäste von außerhalb wie auch für Menschen aus anderen
Stadtteilen, die gerne die Gastronomie im Quartier nutzen, und nicht
zuletzt auch für die Bewohner und Gewerbetriebenden rund um
die Goethestraße selbst ist überall kostenlos verfügbares Internet
längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Nachdem das vor zwölf
Jahren von der Stadt organisierte WLAN-Pilotprojekt dem Ortsteil
Goethestraße in Bremerhaven viel Aufmerksamkeit beschert und sich
– zumal angesichts der geringen Kosten – als großer Erfolg erwiesen
hatte, wurde das Modell schon vor Längerem auf die gesamte Stadt
ausgedehnt. Welchen Anteil die Einrichtung öffentlicher „Hotspots“
(Tools #10) am wirtschaftlichen Aufschwung des Goethequartiers
hatte, lässt sich selbstverständlich nicht genau beziffern. Fest steht
allerdings, dass diese Maßnahme zumindest einige Jahre lang einen
klaren Standortvorteil für das Viertel mit sich brachte und vor allem für
Existenzgründer eine große Erleichterung darstellte. Zusammen mit den
extrem günstigen Mieten war kostenloses WLAN ein Argument auch für
viele noch nicht etablierte Selbständige und Freiberufler aus der ganzen
Stadt, ihr Büro hier anzusiedeln. Als ganz entscheidend erwies sich in
diesem Zusammenhang auch die Gründung eines Coworking Space
(Tool # 11) im Goethequartier, da hierdurch zahlreichen Menschen ein
kostengünstiger (Wieder-) Einstieg ins Berufsleben ermöglicht wurde.
Im Jahr 2025 zeigen sich die lokalen Ökonomien im Vergleich zu
2011 deutlich gestärkt, mit einigen der in Bremerhaven erfolgreichen
Wirtschaftszweige bestehen vielfältige Wechselbeziehungen, die sich
zum Teil zweifellos weiter intensivieren werden.
Ein anderes Projekt, das weithin Beachtung findet und das Goethe-
quartier kurzzeitig sogar bundesweit in die Medien brachte, ist das
mithilfe von Tool #09, „Mode aus dem Quartier“ ins Leben gerufene
Label „GQ“: Sechs Frauen unterschiedlichen Alters fertigen unter
Verwendung traditioneller Handarbeitstechniken multikulturell inspirierte,
126
originelle Bekleidung, die über das Internet sowie über eine Boutique
in Bremen vertrieben wird. Nachdem das Projekt nur schleppend
anlief und mehrere Male kurz vor dem Aus stand, fand sich schließlich
eine engagierte Person mit guten Kontakten, die es zum Erfolg führte.
Produziert wird bereits seit mehreren Jahren in einem Gebäude an
der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, in dessen Erdgeschoss sich ein
Ladenlokal befindet, das einst im Rahmen des Wettbewerbs „Laden
zu verschenken“ (Tool #06) für ein Jahr mietfrei vergeben wurde. Das
innovative Geschäftskonzept des Gewinners hat sich dank eines gut
ausgearbeiteten Businessplans als erfolgreich erwiesen, zwei andere
Ideen, die damals von nicht-siegreichen Teilnehmern eingereicht
worden waren, konnten später in der Hafenstraße realisiert werden.
Neben dem kleinen Mode-Unternehmen und dem Geschäft finden
sich in dem Eckhaus mehrere weitere gewerbliche Nutzungen,
wodurch es eine positive Ausstrahlung auf seine Umgebung besitzt
und an dieser Stelle so etwas wie ein „Schlüsselgebäude“ darstellt.
Auch dank dieser Maßnahme hat sich der zentrale Teil des Goethe-
quartiers (neben dem nordöstlichen Bereich rund um „die theo“) zu
einer Art „Keimzelle“ entwickelt, von der aus die Aufwertung des
Ortsteils voranschreitet. Zu diesem Prozess beigetragen hat ganz
wesentlich auch die „Wächterhaus“-Initiative (Tool #08), mit deren
Hilfe einige zentrale Gebäude vor dem weiteren Verfall und damit dem
Abriss bewahrt werden konnten, bis sich eine reguläre, kommerzielle
Nutzung gefunden hatte – so wie im Fall des Gebäudes an der Ecke
Goethestraße/Kistnerstraße.
Alle beschriebenen Maßnahmen und Instrumente gemeinsam –
darunter auch ein so ungewöhnliches und überraschendes Tool wie
der Zen-Garten in einer Baulücke (#13) – haben dazu beigetragen, die
Qualität des städtischen Raumes enorm zu steigern. Nachdem mit der
Umsetzung der ersten Projekte begonnen worden war, erschienen die
Brachflächen und Leerstände irgendwann nicht mehr als Makel und
als Zeichen des Abstiegs, sondern wurden zu „Möglichkeitsräumen“,
also zu einem Potential dieses Viertels. Zudem veränderten die neuen,
zunächst überwiegend temporären Nutzungen den Blick auf das
ehemalige „Problemviertel“, das einstmals extrem negative Image
des Ortsteils verbesserte sich im Zuge dessen nach und nach. Unter-
stützend hierbei wirkte im Übrigen auch der neue, noch unbesetzte,
d. h. somit weitgehend unbelastete, Name „Goethequartier“. Resultat
der konkreten Aufwertungsmaßnahmen wie auch der Imagestei-
127
gerung war ein vermehrter Zuzug aus ganz Bremerhaven, u. a. von
Bevölkerungsgruppen, die zum aktuellen Zeitpunkt, 2011, deutlich
unterrepräsentiert sind: Junge Familien, die sich in sozial stabilen und
finanziell gesicherten Verhältnissen befinden, sowie alte Menschen.
Tool #14, „Altersgerechtes Wohnen“, nimmt auf dieses momentane
Defizit Bezug, wobei solche Wohnprojekte entweder selbst aktiv zur
Aufwertung ihrer Umgebung beitragen können (wie das Beispiel des
Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 zeigt) oder aber
erst entstehen, wenn bereits erste Korrekturen stattgefunden haben.
Ebenso muss Tool #15 hinsichtlich des Zeitpunkts seiner Umsetzung
im Katalog recht weit hinten angesiedelt werden, da hierbei zwei
Faktoren eine Rolle spielen, die eng miteinander zusammenhängen:
Zum einen zielen „Balkone in Baulücken“ auf eine Mieter- bzw. Käufer-
schicht, die auf absehbare Zeit noch nicht für das Goethequartier
gewonnen werden kann, zum anderen sind Investitionen in der notwen-
digen Höhe für Hausbesitzer natürlich erst dann lukrativ, wenn sie sich
über höhere Mieten auch refinanzieren lassen. Ob der Prozess der
Aufwertung und Neupositionierung bis 2025 so weit fortgeschritten ist,
erscheint aus heutiger Perspektive fraglich, soll aber andererseits nicht
grundsätzlich ausgeschlossen werden.
Zuletzt bleibt noch die Frage, welche Rolle die Stadtplanung in diesem
Zukunftsszenario spielt. Unter 3.1 wurde im Zusammenhang mit dem
Begriff „Bürgergesellschaft“ bereits ausgeführt, dass und weshalb sie
keineswegs an Bedeutung verliert, sondern dass sich vielmehr ihre
Rolle wandelt, hin zu einer ermöglichenden, fördernden Instanz, die
insbesondere die „Kümmerer“ bei der Realisierung ihrer jeweiligen
Projekte unterstützt. Diese Funktionsverschiebung zeigt sich auch
in zahlreichen der 15 Tools, bei denen das Stadtplanungsamt als
wichtiger Kooperationspartner bzw. sekundärer Akteur vorgesehen ist,
im Wesentlichen jedoch andere Beteiligte für Planung und Umsetzung
verantwortlich sind.
6. Fazit
130
Abbildung 46: Fotoausstellung „Augenhöhe < 1,50 m“
131
Im abschließenden Fazit sollen nun Projektverlauf wie Projektergebnis
resümiert und dabei kritisch reflektiert werden. Insbesondere das
Planungsverständnis, das sowohl in der Arbeit der Gruppe als auch in
diesem Bericht zum Ausdruck kommt, gilt es dabei vor dem Hinter-
grund des Erreichten noch einmal zu überprüfen.
Welch ein Wagnis ein komplett selbst organisiertes studentisches
Projekt generell darstellt – zumal, wenn es sich über zwei Semester
bzw. neun Monate erstreckt –, wurde bereits im Vorwort wie auch in
der Einleitung thematisiert. Dass das „Projekt Goethequartier“ letztlich
zu einem Erfolg geworden ist, lässt sich dabei wohl auf mehrere Gründe
zurückführen. Zunächst zur Arbeitsorganisation: Als großer Vorteil hat
sich ganz eindeutig erwiesen, dass die Problemstellung von Anfang an
relativ klar auf der Hand lag. Wie beschrieben, musste sie dann zwar
angesichts der Ergebnisse der Analyse im Verlauf des Projekts deutlich
erweitert werden, doch im Grundsatz blieb das Erkenntnisinteresse
dasselbe: Wie soll die Stadtplanung auf die Herausforderung reagieren,
die die bestehenden und zukünftigen Baulücken (sowie der Leerstand
– dies die Ergänzung) für den Ortsteil Goethestraße darstellen? Sehr
rasch wurde zudem klar, dass bei der Beantwortung dieser Frage nicht
eine wie auch immer geartete Neubebauung der Brachflächen das
Thema sein kann, sondern dass der geeignete Ansatz vielmehr primär
in Zwischennutzungslösungen gesucht werden muss. Neben diesem
grundsätzlichen inhaltlichen Konsens bestand auch eine weitgehende
persönliche Übereinstimmung innerhalb des Projektteams, weshalb die
Phase der „Gruppenfindung“ kaum Zeit in Anspruch nahm.
Ein weiterer Erfolgsfaktor für das Projekt war die gute, sehr realistische
Zeitplanung, insbesondere in Bezug auf die eigenen Interventionen.
Das Machbare wurde hierbei dem theoretisch Möglichen und
Wünschenswerten vorgezogen. (Andererseits erwiesen sich die durch-
geführten Aktionen schließlich ganz ohne Frage als die richtige Wahl,
wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird.) Bei der konkreten
Umsetzung – das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden
– war daneben jedoch auch etwas Glück im Spiel: Die terminliche
Übereinstimmung mit den Leher Sommer-Kulturwochen 2011 und vor
allem das Angebot, die „Kulturwohnung“ nutzen zu können, machten
die Ausstellung in dieser Form erst möglich. Auch andere Akteure
erwiesen sich als wahrer Glücksfall, ganz speziell der Rückenwind
e.V., aber auch das Mehrgenerationenhaus, dessen Bewohner gleich
die ersten Gesprächspartner der Projektgruppe im Plangebiet waren
132
und uns den Zugang zum Ortsteil Goethestraße sehr erleichterten.
Auch das Designlabor und „die theo“ seien an dieser Stelle noch
einmal gesondert erwähnt, da die jeweiligen Experteninterviews mit
diesen Institutionen ihre deutlichen Spuren im Konzept des „Projekts
Goethequartier“ hinterlassen haben. Etwas bedauernswert erscheint
im Rückblick hingegen, dass die Relevanz der Eigentümerstandort-
gemeinschaft (ESG) Lehe anfangs nicht voll erfasst wurde, was daran
liegt, dass von dieser Seite offenbar nicht die geeigneten Gesprächs-
partner zur Verfügung standen. Dass hingegen das Stadtplanungsamt
Bremerhaven im Rahmen des Projekts nicht Hauptansprechpartner
war, erklärt sich zum einen daraus, dass die dort vorhandenen perso-
nellen Ressourcen offenbar beschränkt sind, zum anderen aber auch
aus der Tatsache, dass dieser Akteur für das Konzept nicht als zentral
angesehen wurde.
Dem entspricht die bereits erwähnte inhaltliche Orientierung an
Zwischennutzungen und kleinteiligen, separat umsetzbaren Projekten.
Dass diese nichtsdestotrotz vielfältige Bezüge und Querverbindungen
untereinander aufweisen, konnte in Kapitel 5 aufgezeigt werden.
Eine Erfahrung aus der Analyse, die bei der Ausarbeitung der Tools
berücksichtigt wurde, ist zudem, dass sämtliche Maßnahmen nach
Möglichkeit an vorhandene Akteurskonstellationen anschließen und
bereits bestehende Netzwerke nutzen sollten. Darauf wurde auch bei
den eigenen Interventionen explizit geachtet, für die als Kooperati-
onspartner der Rückenwind e. V. und das Kulturbüro Lehe gewonnen
werden konnten. Ein eventueller Versuch, Aktionen wie die Fotosafari
und die Ausstellung komplett in Eigenregie zu organisieren, hätte
dagegen zweifellos eine Überforderung der Projektarbeit bedeutet
und nicht die erwünschte Außenwirkung gehabt. So jedoch bleibt der
Eindruck, dass das „Projekt Goethequartier“ spätestens mit den Inter-
ventionen im Viertel „angekommen“ ist.
Generell lässt sich feststellen, dass die beiden Aktionen, Fotosafari
und Ausstellung, die eine Konkretisierung des Tools „temporäre Stadt“
darstellen, wesentlichen zum Projekterfolg beigetragen haben. Zumal
in Anbetracht der kurzen Zeit, wurden die damit verbundenen Ziele voll
erreicht: Die Interaktion mit den Bewohnern wurde gefördert, ebenso
wie die Diskussion über das Konzept dieses Projekts, zudem gelang
es, potentielle Kümmerer zu identifizieren und für die Toolbox zu inter-
essieren. Das „Projekt Goethequartier“ wurde insgesamt sehr positiv
aufgenommen und der für den Ortssteil geprägte neue Name ganz
133
selbstverständlich verwendet. Nicht zuletzt hat die Ausstellung gezeigt,
dass auch planungsfremde Bevölkerungskreise (einschließlich der
Kinder) an das Thema Stadtentwicklung herangeführt werden können,
wenn die passenden Wege und Mittel gewählt werden.
Ein generelles Erfolgsgeheimnis für sämtliche temporäre Aktionen bzw.
Interventionen dürfte schließlich sein, dass sich diese Maßnahmen
konkret auf den jeweiligen Ort beziehen und sich mit ihm auseinander-
setzen sollten. Nur dann können sie auch längerfristig raumwirksam
werden, während beliebige „Events“ keine nachhaltige Wirkung
entfalten. Ähnliches gilt für längerfristige Zwischennutzungen, die
ebenfalls speziell auf den Raum zugeschnitten sein müssen, um mehr
darzustellen als bloß eine „nette Idee“. Aus diesem Grund wurde bei
den diversen Projekten, die in der Toolbox versammelt sind, bewusst
auf einen starken Ortsbezug Wert gelegt. Nicht zuletzt deswegen sind
wir, das „Projekt Goethequartier“, davon überzeugt, dass mit diesem
Katalog ein geeignetes Instrument zur Verfügung steht, mit dem sich
die Abwärtsspirale im Ortsteil Goethestraße stoppen lässt. Darüber
hinaus zeigt das Konzept unseres Erachtens Wege auf, wie das Viertel
auch mittel- und langfristig, d. h. also dauerhaft, aufgewertet werden
kann.
Nach dem planerischen Selbstverständnis dieses Projekts spielt dabei,
wie bereits mehrfach erwähnt, das Stadtplanungsamt nicht die zentrale
Rolle, stattdessen nehmen andere Akteure einen gewichtigeren Platz
als bisher ein. Andererseits wäre es sicherlich vermessen zu glauben,
dass Stadtentwicklung ausschließlich mithilfe von Zwischennut-
zungsprojekten erfolgen kann. Nötig ist vielmehr eine neue Sicht- und
Herangehensweise, die beide Aspekte einschließt, die klassischen
Instrumente der Stadtplanung wie die weitgehend ungesteuerte
Entwicklung durch „Raumpioniere“ und Zwischennutzer. Dass diese
Akteure mittlerweile selbst in etablierten Kreisen der Immobilienwirt-
schaft und Wirtschaftsförderung als Chance für die Stadtentwicklung
begriffen werden, zeigen etwa Beiträge wie der folgende, der auf der
Website des Immobilien-Dienstleisters „Heuer Dialog“ erschienen ist
und dieses Themenfeld äußerst positiv darstellt: „Zwischennutzungen:
Perspektive für Immobilieneigentümer, Nutzer und eine strategische
Stadtentwicklung“ (Aufrecht 2011).
Angesichts des erfolgreichen Verlaufs des Projekts würden einige der
Mitglieder dieser P3-Gruppe nur zu gerne auch in Zukunft als „urbane
134
Interventionisten“ im Goethequartier agieren, um so an einer möglichen
Aufwertung des Viertels mitzuwirken. Da sich dies wohl leider nicht
realisieren lässt, andererseits jedoch von mehreren Seiten Interesse
an der Umsetzung einiger Teile der Toolbox bekundet wurde, soll das
„Projekt Goethequartier“ zumindest über eine Internet-Präsenz weiter-
geführt werden. Dies zeigt einmal mehr, wie sehr wir davon überzeugt
sind, dass eine Aufwertung des Ortsteils Goethestraße möglich ist und
dass dieses Viertel mittelfristig wieder ins Positive kippen kann.
135
136
Abbildung 1: Die Projektgruppe
Abbildung 2: Eine Baulücke im Quartier
Abbildung 3: Schrottimmobilie in der Uhlandstraße
Abbildung 4: Darstellung der vorläufigen Zeitplanung
Abbildung 5: Gantt-Diagramm des Projektablaufs
Abbildung 6: Kinderspielplatz im Quartier
Abbildung 7: Großräumliche Lage der Stadt Bremerhaven
Abbildung 8: Historische Karte von Lehe, Bremerhaven und Geeste-
münde, um 1910. Stadtplanungsamt Bremerhaven.
Abbildung 9: Bevölkerungsstruktur Bremerhavens. Nach: Statistisches-
Landesamt Bremen, Stand 2009.
Abbildung 10: Strukturkrisen in Bremerhaven. URL:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/
commons/7/74/%C3%9Cberseehafen3-Bremerhaven.jpg,
http://ais.badische-zeitung.de/piece/01/f0/ff/22/32571170.
jpg, Zugriff jeweils am 08. Juli 2011.
Abbildung 11: Arbeitslosigkeit und Beschäftigtenstruktur in Bremerha-
ven. Nach: Statistisches Landesamt Bremen, Stand 2010.
abbildungsverzeichnis
Sofern nicht anders angegeben, handelt es sich bei den Abbildungen
um eigene Darstellungen oder Fotos.
Abbildung 12: Potentialachse von Bremerhaven. Nach: GEWOS 2004.
Abbildung 13: Stadträumliche Lage des Ortsteils Goethestraße
Abbildung 14: Bevölkerungsrückgang im Ortsteil Goethestraße. Nach
Statistisches Landesamt Bremen, Stand 2009.
Abbildung 15: Städtebauliche Struktur des Ortsteils Goethestraße
Abbildung 16: Gewerbliche Nutzung im Ortsteil Goethestraße
Abbildung 17: Gebäudezustand im Ortsteil Goethestraße
Abbildung 18: Historische Aufnahme der Goethestraße, ca. 1917.
URL: http://www.zeno.org/ Ansichtskarten/M/Bremer-
haven,%20Bremen/Goethestra%DFe, Zugriff am 08. Juli
2011.
Abbildung 19: Innerstädtische Wanderungsbewegungen. Nach: GE-
WOS 2004.
Abbildung 20: Leerstand im Ortsteil Goethestraße
Abbildung 21: Wohnungsleerstand
Abbildung 22: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude. Nach:
VKOG.
Abbildung 23: Leerstandsentwicklung. Nach: Bundesamt für Bauwesen
und Raumordnung 2010.
Abbildung 24: Stadtumbauprojekte und Förderprogramme in Bremer-
haven
137
138
Abbildung 25: Eine Brachfläche gegenüber der „theo“
Abbildung 26: Akteurslandschaft
Abbildung 27: Bewertung der Akteure
Abbildung 28: Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43. URL:
http://www.wohnprojekt-bremerhaven.de/alben/img.som-
mer_im_gartenhof/gartenhof_9.jpg, Zugriff am 08. Juli
2011.
Abbildung 29: „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“. URL: http://up-
load.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/52/Lehe_Theo-
dor-Storm-Schule.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung 30: Potentialkarte Ortsteil Goethestraße
Abbildung 31: Potentialkarte Keimzelle 1
Abbildung 32: Potentialkarte Keimzelle 2
Abbildung 33: Eines der prämierten Bilder der Kinder-Fotosafari
Abbildung (1): Klassische Baulücke
Abbildung (2): „Ecklücke“
Abbildung (3): Baulücke mit größerem Baum
Abbildung (4): Baulücke inklusive Blockinnenhof
Abbildung (5): Leerstehendes Ladenlokal im Erdgeschoss
Abbildung (7): Leerstehende Wohnung
Abbildung (6): Zukünftige bzw. entstehende Baulücke
Abbildung (8): Einordnung der Tools in die vier Oberkategorien
Abbildung (9): Impression von Hoogvliet. URL: http://1.bp.blogspot.
com/_2hoz3Q8FGsk/SeEcoU-Ij5I/AAAAAAAAAA4/gR8J-
2bvit0/s1600/Woensdag+8+April+2009+Oudemaas+Spijk
enisse+Hoogvliet+025.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (10): Imageplakate aus Hoogvliet. URL: http://www.wimby.
nl/modules/beeldbank/albums/albun10/4_Onderwijs_4_
RGB.jpg, http://www.wimby.nl/modules/beeldbank/
albums/albun10/6_Natuur_4_RGB.jpg, http://www.wim-
by.nl/modules/beeldbank/albums/albun10/3_Geme-
enschap_4_RGB.jpg, Zugriff jeweils am 08. Juli 2011.
Abbildung (11): Hamburger Leerstandsmelder. Screenshot von URL:
http://www.leerstandsmelder.de, Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (12): Open Air-Kino in Hamburg-Wilhelmsburg. URL: http://
de.academic.ru/pictures/dewiki/79/Open-Air-Kino_in_Be-
ckum.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (13): Eine der Aktivitäten auf einem Bauspielplatz. URL:
http://www.bauspielplatz-muemmelmannsberg.de/mod_
gallery/bilder/DSCN1970.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011.
Abbildung (14): Verortung des Tools „Bauspielplatz“
Abbildung (15): Prinzessinengarten Berlin. URL: http://upload.wikime-
dia.org/wikipedia/commons/4/4d/Berlin-Kreuzberg_
Prinzessinneng%C3%A4rten_1.jpg, Zugriff am 08. Juli
2011.
139
140
Abbildung (16): Urban Gardening in Brooklyn, New York. URL: http://
moresongsaboutfoodandthefuture.files.wordpress.
com/2011/04/urban-farm-brooklyn-31.jpg, Zugriff am 08.
Juli 2011.
Abbildung (17): Das Ladenlokal in Rostock. URL: http://www.wiro.de/
redaktion/download.php?id=220&type=file, Zugriff am 08.
Juli 2011.
Abbildung (18): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“
Abbildung (19): Leerstehendes Ladenlokal in der Goethestraße
Abbildung (20): Verortung des Tools „Probewohnen“
Abbildung (21): Probewohnen in der historischen Altstadt von Gör-
litz. URL: http://www.reinigungsgesellschaft.de/projek-
te/_2009/presse01.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011.
Abbildung (22): Eines der Wächterhäuser in Leipzig. URL: http://
upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/07/
W%C3%A4chterhaus_in_Leipzig.jpg, Zugriff am 08. Juli
2011.
Abbildung (23): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“
Abbildung (24): Wächterhaus in Leipzig-Lindenaus. URL: http://static.
panoramio.com/photos/original/6203323.jpg, Zugriff am
08. Juli 2011.
Abbildung (25): Eine Näherin fertigt Weihnachtsschmuck. URL:
http://4.bp.blogspot.com/_d27zL84hsY8/TEXpuxnZAYI/
AAAAAAAAEDU/79aX3DmQ7xY/s1600/DSCF1897.jpg,
Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (26): Vorlage für eine Suchanzeige
Abbildung (27): Eine Modenschau. URL: http://www.virtuos-artandfa-
shion.com/fileadmin/user_upload/Images/news/moden-
schau4.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (28): Beschilderung eines Hotspotbereichs. URL: http://
upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/4e/
Stiftungsparkassa_hotspot.jpg/220px-Stiftungsparkassa_
hotspot.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (29): Schematische Darstellung einer Hotspot-Infrastruktur.
URL: http://www.router-switch-shop.eu/img/hotspot-ac-
cesspoint-dual-ssid-vlan-1400.gif, Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (30): Internetnutzung im öffentlichen Raum. URL: http://www.
zintzen.org/2007/07/22/070722-pitstop1-blog-on-the-road,
Zugriff am 08. Juli 2011.
Abbildung (31): Beispiel für einen Coworking Space. URL: http://farm5.
static.flickr.com/4023/4269923648_b6b92bfba6.jpg, Zu-
griff am 08. Juli 2011.
Abbildung (32): Arbeit in einem Coworking Space. URL: http://t3n.de/
news/wp-content/uploads/2010/09/coworking.jpg, Zugriff
am 08. Juli 2011.
Abbildung (33): Der BundesPresseStrand in Berlin. URL: http://lh4.
ggpht.com/_ujkNtEvidGU/RpNnKo1SoXI/AAAAAAAAAJ4/
H4IrFFTX0Ow/Berlin%20(207).jpg, Zugriff am 08. Juli
2011.
Abbildung (34): Ryonanji-Garten in Kyoto, Japan. URL: http://www.flickr.
com/photos/80426126@N00/387717897/sizes/l/in/photo-
stream, Zugriff am 08. Juli 2011.
141
142
Abbildung (35): Japanischer Garten in Kaiserslautern. URL: http://www.
fotocommunity.de/pc/pc/display/24506776, Zugriff am 07.
Juli 2011.
Abbildung (36): Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43, URL:
http://www.pressebox.de/uploads/thumbnail/width/80/
height/60/id/40573.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011.
Abbildung (37): Die Bewohner des Hauses mit den Projektverant-
worlichen. URL: http://lh3.ggpht.com/_JO9sYch413c/
SRBb5N9CEHI/AAAAAAAAEjs/NtgmLYJ5hSM/
Bremerhaven2%5B3%5D.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011.
Abbildung (38): Verbindungsbalkone in Leipzig-Connewitz, HPP Archi-
tekten. URL: http://www.hpp.com/de/projekte/bautypo-
logien/wohnen-hotels/wohnen_fuer_junge_leute.html,
Zugriff am 07. Juli 2011.
Abbildung (39): Das Gebäude der Swiss Re-Versicherung in München.
URL: http://www.hpp.com/de/projekte/bautypologien/
wohnen-hotels/wohnen_fuer_junge_leute.html, Zugriff am
07. Juli 2011.
Abbildung (40): Verortung des Tools „Balkone in Baulücken“
Abbildung (41): Glyzinien und wilder Wein wuchern am Swiss
Re-Gebäude empor. URL: http://3.bp.blogspot.
com/_2OUoensSJjA/TDpUfBoaYzI/AAAAAAAADk8/EM-
5WOWplMYA/s1600/DSC00413.jpg, Zugriff am 07. Juli
2011.
Abbildung 34: Der Rückenwind e. V. in der Goethestraße 35
Abbildung 35: Kinder zeichnen ihre Ideen zur Nutzung von Baulücken
Abbildung 36: Teilnehmerin der Fotosafari vor einer Baulücke
Abbildung 37: Einige der Siegerfotos
Abbildung 38: Vorbereitung der Ausstellung in der Kulturwohnung
Abbildung 39: Ausstellungseröffnung
Abbildung 40: Ausstellungsbesucher betrachten die Plakate des „Projekts
Goethequartier“
Abbildung 41: Das Logo der Projektgruppe
Abbildung 42: Eigenes Ankündigungsplakat
Abbildung 43: Facebook-Screenshot und -Statistik
Abbildung 44: Zeitungsartikel über das „Projekt Goethequartier“
Abbildung 45: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Immobilie
Abbildung 46: Fotoausstellung „Augenhöhe < 1,50 m“
143
144
literaturverzeichnis
Bundesamt für Bauwesen und raumordnung (Hg.) 2008: Stadtumbau
West. Stadtumbau in 16 Pilotstädten - Bilanz im ExWoSt-
Forschungsfeld Stadtumbau West. Berlin.
Bundesministerium für Verkehr, Bau und stadtentwicklung; Bundesin-
stitut für Bau-, stadt- und raumforschung (Hg.) 2009: Werkstatt:
Praxis Heft 65. Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten
beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien („Schrottimmobili-
en“). Berlin.
hiesmeir, m.; doBusch, l. 2011: Freie Funknetze: Kommunale Kämpfe
gegen die „Digitale Spaltung“. In: L. Dobusch u.a. (Hg.): Freiheit
vor Ort. Handbuch kommunale Netzpolitik. München. S. 11-23.
europäische union; europäischer fond für regionale entwicklung 2010:
Abschlussbericht inklusive Durchführungsbericht für das Jahr
2008 und Durchführungsbericht für das erste Halbjahr 2009
für das Operationelle Programm URBAN II im Land Bremen.
Bremerhaven, Bremen.
görke, f. 2011: Rückenwind für Leher Kinder e.V. – Infoblatt. Bremerha-
ven.
hentrich-pertschnigg & partner 2002: Wohnen für junge Menschen,
Leipzig. In: Appartmenthäuser. Architektur und Wettbewerbe.
191/2002. Stuttgart. S. 8-11.
Jung, m. m. 2010: RAUMimage – ImageRÄUME: Marketing von (urba-
nen) Räumen als Instrument von Gemeinwesenentwicklung.
München.
milleker, d. f. 2006: „Wohnen im Alter: Bestandsaufnahme und Markt-
potenziale“. Frankfurt am Main.
145
käpplinger, c. 2001: Wunschgemäß – Wohnen für junge Leute in Leip-
zig. In: Deutsche Bauzeitschrift. 10/2001. Gütersloh. S. 38-43.
kunz, m. m.; schönwetter, c. 2005: Best designed outdoor living :
terraces, balconies, rooftops, courtyards - Terrassen, Balkone,
Dachterrassen, Höfe. Ludwigsburg.
nitschke, g. 1993: Japanische Gärten. Köln.
prediger, n. 2011: Instrumente und Finanzierungsmodelle zur Stärkung
des Einzelhandels in Stadtteilzentren. Das Beispiel Frankfurt-
Rödelheim. Hamburg.
protze, k.; theiling, c. 2006: Wohnen in Bremen – Eine generationsge-
rechte Adresse. Bremen.
scheper, Burchard 1977: Die jüngere Geschichte der Stadt Bremerha-
ven. Bremerhaven.
seike, k.; kudo, m.; schmidt, w. 1983: Japanische Gärten und Garten-
teile. Stuttgart.
senatsVerwaltung für stadtentwicklung Berlin (Hg.) 2007: Urban Pio-
neers. Stadtentwicklung durch Zwischennutzung: Berlins Ex-
perience with Temporary Urbanism. Berlin.
stadtentwicklung zürich (Hg.) 2006: Stadtblick 14: Marketing für die
Stadt. Zürich.
Vachon, B.; graziani, r. 2009: Wide Area Networks. CCNA Exploration
Companion Guide. München.
146
quellenverzeichnis
15räume. URL: http://www.15raeume.de/startseite.html, Zugriff am 12.
April 2011.
aufrecht, ines 2011: Zwischennutzungen: Perspektive für Immobilien-
eigentümer, Nutzer und eine strategische Stadtentwicklung.
URL: http://www.heuer-dialog.de/aktuell/25.06.2011, Zugriff am
08. Juli 2011.
Betahaus hamBurg. URL: http://hamburg.betahaus.de, Zugriff am 29.
März 2011.
Bis (BremerhaVener gesellschaft für inVestitionsförderung und stadtent-
wicklung mBh). URL: http://www.bis-bremerhaven.de/sixcms/
list.php?page=start, Zugriff am 19. April 2011.
BremerhaVen online. URL: http://www.bremerhaven.de/buergerservice/
aemter-einrichtungen/stadtverwaltung/stadtplanungsamt/vor-
kaufsortsgesetz.21838.html, Zugriff am 19. April 2011.
designlaBor BremerhaVen. URL: http://www.bremerhaven.de/meer-erle-
ben/wissenschaft-forschung/designlabor-bremerhaven.11789.
html, Zugriff am 19. April 2011.
destatis. url: http://destatis.de, Zugriff am 26. März 2011.
cityreView. URL: http://stadt.cityreview.de/bremen/bremerhaven/wlan-
hotspots, Zugriff am 28. März 2011.
coworking wiki. URL: http://wiki.coworking.info/w/page/16583869/Inte-
rested, Zugriff am 12. April 2011.
efre Bremen. URL: http://www.efre-bremen.de/sixcms/detail.
php?gsid=bremen59.c.2315.de, Zugriff am 28. März 2011
147
flensBurg online. URL: http://www.flensburg-online.de/telefon-internet/
wireless-lan-in-hamburg.html, Zugriff am 28. März 2011.
freie hansestadt Bremen. URL: http://www.inneres.bremen.de/sixcms/
media.php/13/PKS2009-Buchb.pdf, Zugriff am 05. Juli 2011.
gewos. url: http://www.stadtumBauwest.de/newsletterdaten/stadtum-
BaukonzeptBremerhaVen.pdf
grünBerlin. URL: http://www.gruen-berlin.de/parks-gaerten/gaerten-
der-welt/japanischer-garten/informationen/, Zugriff am 28.Juni
2011.
gtz; Bundesministerium für wirtschaftliche zusammenarBeit und entwick-
lung. URL: http://www.gtz.de/de/dokumente/de-SVMP-Instru-
mente-Akteursanalyse.pdf, Zugriff am 19. April 2011.
hamBurg tourismus. URL: http://www.hamburg-tourism.de/service-cen-
ter/mobile-angebote/hamburg-hotspots, Zugriff am 28. März
2011.
hamBurger aBendBlatt. URL: http://www.abendblatt.de/wirtschaft/ar-
ticle868452/Surferparadies-Estland.html, Zugriff am 29. März
2011.
haushalten e. V. URL: http://www.haushalten.org/ Zugriff am 03. Mai
2011.
haushalten magdeBurg e. V. URL: http://haushalten-md.de/waechterha-
euser, Zugriff am 03. Mai 2011.
ihk BremerhaVen. URL: http://www.bremerhaven.ihk.de/fileadmin/ihk_
daten/07_recht_fairplay/dateien/gbr_haftung.pdf, Zugriff am 31.
Mai 2011.
Japanischer garten kaiserslautern e. V. URL: http://www.japanischergar-
ten.de/gartenkonzept.html, Zugriff am 28. Juni 2011.
kolle 37. URL: http://www.kolle37.de/abenteuerspielplatz, Zugriff am 06.
Juli 2011.
148
lBs-immoBilienmarktatlas. URL: http:/www.lbs.de/bremen/lbs/pics/up-
load/tfmedia1/HBIAAuMai4d.pdf, Zugriff am 12. April 2011.
leBens(t)raum. URL: http://www.wohnprojekt-bremerhaven.de/index_.
html, Zugriff am 12. April 2011.
leipziger westen. URL: http://qm.leipzigerwesten.de/index.php4?src=a
bgeschlossen&ebene=projekte&id=2&auto=114, Zugriff am 12.
April 2011.
merian: URL: http://www.merian.de/reiseziele/artikel/a-731712.html, Zu-
griff am 05. Juli 2011.
mieterVerein BremerhaVen. URL: http://www.mieterverein-bremer-
haven.de/fileadmin/template/dmb/bremerhaven/Mietspie-
gel_2011-2012.pdf, Zugriff am 28. März 2011.
nomadisch grün. URL: http://prinzessinnengarten.net, Zugriff am 29.
März 2011.
nordseezeitung-zeitung. URL: http://www.nordsee-zeitung.de/Home/
Region/Bremerhaven/Spekulanten-werden-geaergert-_
arid,549841_puid,1_pageid,16.html, Zugriff am 19. April 2011.
ostsee-zeitung. URL: http://www.ostsee-zeitung.de/index_artikel_kom-
plett.phtml?param=news&id=3055625, Zugriff am 12. April
2011.
p2 temporäre stadt. URL: http://www.hcu-hamburg.de/fileadmin/docu-
ments/Studium/Studienangebote/Stadtplanung/Studienprojek-
te/P2/06-07/p2_temporaere_stadt_ws0607.pdf, Zugriff am 05.
Juli 2011.
persönliches interView BIS, 15. Dezember 2010.
persönliches interView designlaBor, 06. April 2011.
persönliches interView „leBens(t)raum“, 15. Dezember 2010.
149
persönliches interView stadtplanungsamt, 30. September 2010,
15. Dezember 2010.
persönliches interView stäwog, 15. Dezember 2010.
persönliches interView „die theo“, 15. Dezember 2010.
persönliches interView wiro (per Telefon), 14. April 2011.
pndonline. URL: http://www.planung-neu-denken.de/images/stories/
pnd/dokumente/pndonline%204%202007_gothe.pdf, Zugriff am
20. Mai 2011.
polizeiliche kriminalstatistik des landes Bremen. URL: http://www.inneres.
bremen.de/sixcms/media.php/13/PKS2009-Buchb.pdf, Zugriff
12. Juni 2011.
raBauki. URL: http://www.rabauki.de/cms/index.php/entstehungsge-
schichten/zur-entstehung-des-rabauki-ev.html, Zugriff am 05.
Juni 2011.
rockzipfel. URL: http://www.rockzipfel-leipzig.de/die-rockzipfel-idee,
Zugriff am 28. Juni 2011.
rückenwind für leher kinder e. V. URL: http://www.aktion-rueckenwind.
de/r-site-2010/docs/011home.htm, Zugriff am 14. April 2011.
senatsVerwaltung für stadtentwicklung Berlin. URL: http://www.stadt-
entwicklung.berlin.de/bauen/baulueckenmanagement/de/ge-
setzlich.shtml, Zugriff am 18. April 2011.
spiegel online. URL: http://www.spiegel.de/politik/deutsch-
land/0,1518,629715,00.html, Zugriff am 16. Dezember 2010.
stadt aachen. URL: http://www.aachen.de/de/wirtschaft_technologie/
branchenfocus/einzelhandel/eis/index.html, Zugriff am 12. April
2011.
150
stadtforschung technische uniVersität Bremen. URL: http://www.stadtfor-
schung.com/content/goerlitzwohnen.html, Zugriff am 28. März
2011.
stadthalten-chemnitz e. V. URL: http://www.stadthalten-chemnitz.de/sei-
ten/waechter/waechter_kurztext.html, Zugriff am 03. Mai 2011.
statistisches landesamt Bremen. URL: http://www.statistik-bremen.de/
soev/abfrage.cfm?tabelle=17332&baumstruktur=ja&netscape=
ja&titelname=Bremen%20Kleinr%C3%A4umig%20Infosystem,
Zugriff am 16. Dezember 2010.
stadtumBau west. URL: http://www.stadtumbauwest.de/bremerhaven.
html, Zugriff am 11. Mai 2011.
stiftung interkultur. URL: http://www.stiftung-interkultur.de, Zugriff am
28. März 2011.
süddeutsche zeitung. URL: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ein-
cafe-als-medienhaus-das-starbucks-buero-1.1014227, Zugriff
am 29. März 2011.
temporäre stadt. URL: http://www.temporaere-stadt.de/pdf/Broschue-
re_Final.pdf, Zugriff am 06. Juli 2011.
die theo. URL: www.die-theo.de, Zugriff am 14. April 2011.
thüringer allgemeine. URL: http://www.thueringer-allgemeine.de/start-
seite/detail/-/specific/Kuenstlerische-Keimzelle-In-Erfurt-ent-
steht-Waechterhaus-ab-Juni-1159235771, Zugriff am 03. Mai
2011.
werkstattstadt. URL: http://www.werkstatt-stadt.de/de/projekte/41/,
Zugriff am 12. April 2011.
wesda. URL: http://www.wesda.de, Zugriff am 14. April 2011.
der westen. URL: http://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/Ka-
re-sansui-id612214.html, Zugriff am 28. Juni 2011 wiro. URL:
www.wiro.de/laden-zu-verschenken, Zugriff am 12. April 2011.
wohnen im alter. URL: https://www.allianz.com/static-resources/
images-2006-12-13/pdf/saobj_1322006_saobj_1244707_
ifdl_2006_09_final.pdf, Zugriff am 09. Juni 2011.
zeit online. URL: http://www.zeit.de/wirtschaft/geldanlage/2011-02/
schrottimmobilien-modellversuch-bremerhaven, Zugriff am 01.
März 2011.
151