Lehren und Lernen online
Peter Bichsel San Salvador
Materialien und Unterrichtsbausteine
Sekundarstufe I / II
Gert Egle
Konstanz 2004/2014 – Version 2.1 www.teachsam.de
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teachSam-OER – Peter Bichsel, San Salvador
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2
Inhaltsverzeichnis
San Salvador Peter Bichsel ..................................................................................... 3
1) Peter Bichsel .................................................................................................. 4
Texterfassung mit Hervorhebungen und Markierungen ............................................... 5
Strukturskizze: Paul zwischen Wirklichkeit und Traum ................................................ 6
Paul zwischen Wirklichkeit und Traum ...................................................................... 7
Erzählstruktur ....................................................................................................... 8
Äußere und innere Handlung ................................................................................... 9
Die sprachliche Gestaltung der Aussage ..................................................................10
Die sprachlichen Mittel und ihre Funktion zur Gestaltung der Aussage ........................11
Handlungen und Gedanken von Paul .......................................................................12
Die Zeitgestaltung: Zustand und Bewegung als Paradox ............................................13
Erzählperspektiven ...............................................................................................14
Literaturwissenschaftliche Grundlagen Erzählperspektiven (auch: Erzählsituationen,
Erzählhaltungen) ..................................................................................................15
Verschiedene Arbeitsanregungen ............................................................................16
Storyboard ..........................................................................................................18
teachSam-OER – Peter Bichsel, San Salvador
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3
San Salvador Peter Bichsel
[ Der Text kann an dieser Stelle aus urheberrechtlichen Gründen nicht zugänglich gemacht. Recherchieren Sie den Text im Internet oder beschaffen Sie sich das Buch, in dem der Text enthalten ist.
Arbeitsanregungen:
Interpretieren Sie den Text.
1. Fassen Sie dazu den Inhalt der Geschichte in knappen Worten zusammen.
2. Arbeiten Sie das Verhältnis von Paul und Hildegard heraus.
Zeigen Sie dabei u. a. auf:
Welche Rolle spielen das Blatt und die beiden "Sätze", die Paul darauf
schreibt?
Was bedeutet die Überschrift?
3. Zeigen Sie, mit welchen sprachlich-stilistischen und erzähltechnischen Mitteln der
Autor die Aussage seiner Geschichte gestaltet. Bestimmen Sie die Textsorte.
4. Nehmen Sie im Anschluss daran eine Gesamtdeutung der Geschichte vor.
teachSam-OER – Peter Bichsel, …
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4
1) Peter Bichsel
Er hatte sich eine Füllfeder gekauft.
Nachdem er mehrmals seine Unterschrift, dann seine Initialen*, seine Ad-
resse, einige Wellenlinien, dann die Adresse seiner Eltern auf ein Blatt ge-
schrieben hatte, nahm er einen neuen Bogen, faltete ihn sorgfältig und
schrieb: "Mir ist es hier zu kalt", dann, "ich gehe nach Südamerika", dann
hielt er inne, schraubte die Kappe auf die Feder, betrachtete den Bogen
und sah, wie die Tinte eintrocknete und dunkel wurde (in der Papeterie**
garantierte man, dass sie schwarz werde), dann nahm er seine Feder er-
neut zur Hand und setzte noch seinen Namen Paul darunter.
Dann saß er da.
Später räumte er die Zeitungen vom Tisch, überflog dabei die Kinoinsera-
te, dachte an irgend etwas, schob den Aschenbecher beiseite, zerriss den
Zettel mit den Wellenlinien, entleerte seine Feder und füllte sie wieder. Für
die Kinovorstellung war es jetzt zu spät.
Die Probe des Kirchenchores dauert bis neun Uhr, um halb zehn würde
Hildegard zurück sein. Er wartete auf Hildegard. Zu all dem Musik aus
dem Radio. Jetzt drehte er das Radio ab.
Auf dem Tisch, mitten auf dem Tisch, lag nun der gefaltete Bogen, darauf
stand in blauschwarzer Schrift sein Name Paul.
"Mir ist hier zu kalt", stand auch darauf.
Nun würde also Hildegard heimkommen, um halb zehn. Es war jetzt neun
Uhr. Sie läse seine Mitteilung, erschräke dabei, glaubte wohl das mit Süd-
amerika nicht, würde dennoch die Hemden im Kasten zählen, etwas müss-
te ja geschehen sein. Sie würde in den "Löwen" telefonieren.
Der "Löwen" ist mittwochs geschlossen.
Sie würde lächeln und verzweifeln und sich damit abfinden, vielleicht.
Sie würde sich mehrmals die Haare aus dem Gesicht streichen, mit dem
Ringfinger der linken Hand beidseitig die Schläfe entlang fahren, dann
langsam den Mantel aufknöpfen.
Dann saß er da, überlegte, wem er einen Brief schreiben könnte, las die
Gebrauchsanweisung für den Füller noch einmal - leicht nach rechts dre-
hen - las auch den französischen Text, verglich den englischen mit dem
deutschen, sah wieder seinen Zettel, dachte an Palmen, dachte an Hilde-
gard.
Saß da.
Und um halb zehn kam Hildegard und fragte: "Schlafen die Kinder?"
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht.
2) ... (aus: Peter Bichsel: Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennen lernen, Suhrkamp-Verlag Frankfurt (1964), 1992, S.34-35)
Arbeitsanregungen:
1. Erzählen Sie die Geschichte weiter (2..).
2. Geben Sie der Geschichte einen passenden Titel. (1)
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5
Texterfassung mit Hervorhebungen und Markierungen
(aus: Peter Bichsel: Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennen lernen, Suhrkamp-Verlag Frankfurt (1964), 1992)
San Salvador
Er hatte sich eine Füllfeder gekauft.
Nachdem er mehrmals seine Unterschrift, dann seine Initialen,
seine Adresse, einige Wellenlinien, dann die Adresse seiner Eltern
auf ein Blatt geschrieben hatte, nahm er einen neuen Bogen, faltete
ihn sorgfältig und schrieb: "Mir ist es hier zu kalt", dann, "ich gehe
nach Südamerika", dann hielt er inne, schraubte die Kappe auf die
Feder, betrachtete den Bogen und sah, wie die Tinte eintrocknete und
dunkel wurde (in der Papeterie garantierte man, dass sie schwarz
werde), dann nahm er seine Feder erneut zur Hand und setzte noch
seinen Namen Paul darunter.
Dann saß er da.
Später räumte er die Zeitungen vom Tisch, überflog dabei die
Kinoinserate, dachte an irgend etwas, schob den Aschenbecher
beiseite, zerriss den Zettel mit den Wellenlinien, entleerte seine Feder
und füllte sie wieder. Für die Kinovorstellung war es jetzt zu spät.
Die Probe des Kirchenchores dauert bis neun Uhr, um halb zehn
würde Hildegard zurück sein. Er wartete auf Hildegard. Zu all
dem Musik aus dem Radio. Jetzt drehte er das Radio ab.
Auf dem Tisch, mitten auf dem Tisch, lag nun der gefaltete
Bogen, darauf stand in blauschwarzer Schrift sein Name Paul.
"Mir ist hier zu kalt", stand auch darauf.
Nun würde also Hildegard heimkommen, um halb zehn. Es war
jetzt neun Uhr. Sie läse seine Mitteilung, erschräke dabei, glaubte
wohl das mit Südamerika nicht, würde dennoch die Hemden im
Kasten zählen, etwas müsste ja geschehen sein. Sie würde in den
"Löwen" telefonieren.
Der "Löwen" ist mittwochs geschlossen.
Sie würde lächeln und verzweifeln und sich damit abfinden,
vielleicht. Sie würde sich mehrmals die Haare aus dem Gesicht streichen, mit
dem Ringfinger der linken Hand beidseitig die Schläfe entlang
fahren, dann langsam den Mantel aufknöpfen.
Dann saß er da, überlegte, wem er einen Brief schreiben könnte,
las die Gebrauchsanweisung für den Füller noch einmal - leicht nach
rechts drehen - las auch den französischen Text, verglich den
englischen mit dem deutschen, sah wieder seinen Zettel, dachte an
Palmen, dachte an Hildegard.
Saß da.
Und um halb zehn kam Hildegard und fragte: "Schlafen die
Kinder?"
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht.
erstes Festland, das Kolumbus erreicht; Mittelamerika
Unterschrift
Konju
nktiv
Para
taxe
Hypota
xe
Para
taxe
ellip
tisch
I
II
III
IV
V
VI
(...) = Hinweis darauf, dass es sich um einen neuen Füller handelt
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Strukturskizze: Paul zwischen Wirklichkeit und Traum
Paul
Situation
Paul ist allein zu
Hause
probiert neuen
Füller aus
Langeweile Passivität
Beziehung zu
Hildegard
Routine
Berechenbarkeit
Gewöhnung
Langeweile
Kälte
Wunschvorstellung
Wärme
Geborgenheit
Lebensgenuss
Abenteuer
Ausbrechen aus
der Beziehung
und dem Alltag
San Salvador
als Fluchtpunkt
aller Fantasien
"Mir ist es hier zu kalt"
"Ich gehe nach Südamerika"
Re
alitä
t
Irre
alitä
t
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Paul zwischen Wirklichkeit und Traum
Paul
Situation
Beziehung zu
Hildegard
Wunschvorstellung
" ""
Re
alitä
t
Irre
alitä
t
Arbeitsanregungen:
Arbeiten Sie Pauls Lage zwischen Wirklichkeit und Wunschvorstellungen aus dem Text
heraus.
Untersuchen Sie dazu
Die aktuelle Situation in der er sich befindet
Seine Beziehung zu Hildegard
Seine Wunschvorstellungen
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8
Erzählstruktur
Personaler Erzähler
aus der Perspektive von Paul
Erzählerbericht i. w. S. (showing)
Äußere Handlung
Ausprobieren des
neuen Füllers
Spontanes Kritzeln
und Schreiben: "Mir
ist es hier zu kalt"
"Beglaubigung"
(unterschrieben mit
Paul)
Aufräumen
Kinoinserate
studieren
Radio ausdrehen Sitzen (3x)
Innere Handlung
Gedanken Pauls über
"Flucht" nach
Südamerika
Hildegards mögliche
Reaktionen darauf
(freie indirekte
Gedanken-
wiedergabe / erlebte
Rede)
Überlegungen, wem
er einen Brief
schreiben könnte
Palmen (in
Südamerika)
Sprachliche Gestaltung
Wortwahl: eintönig,
Wiederholungen
Satzbau:
überwiegend
parataktisch ("dann"
= syndetische Reihung)
Sprachliche Gestaltung
Wortwahl: Konjunktiv
II zum Ausdruck der
Irrealität; z. T.
intensivierende
Steigerungen
Satzbau:
überwiegend
parataktisch
(asyndetische
Reihung ohne Verknüpfungswort)
Außensicht Innensicht
Die ohnehin schwierige Abgrenzung von Erzählerbericht i. w. S. von der erlebten Rede
führt auch im Falle dieser Kurzgeschichte zu gewissen Schwierigkeiten. So steht unzwei-
felhaft fest, dass der Erzähler aus der Innensicht seiner Hauptfigur Paul berichtet, als er
sich diesen die Reaktionen von Hildegard auf seinen "Abschiedsbrief" vorstellt. Das tem-
porale "Nun" zu Beginn der Passage stellt dabei die nötige Unmittelbarkeit her. Die Ver-
wendung des Konjunktivs, ansonsten gerade nicht Zeichen der "klassischen" erlebten
Rede (dabei stattdessen Indikativ Präteritum!) ergibt sich freilich aus der am Möglichen
orientierten Darstellung, die die zu erwartenden Handlungen von Hildegard antizipiert.
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9
Vielleicht eignet sich daher in diesem Zusammenhang mehr von freier indirekter Gedan-
kenwiedergabe (Schwarze 1982, S. 183) zu sprechen.
Äußere und innere Handlung
Personaler Erzähler aus der Perspektive von Paul
Erzählerbericht i. w. S.
Äußere Handlung
Innere Handlung
Sprachliche Gestaltung
Sprachliche Gestaltung
Arbeitsanregungen:
1. Arbeiten Sie heraus, was sich
a. Auf der Ebene der äußeren Handlung und
b. Auf der Ebene der inneren Handlung
ereignet.
2. Zeigen Sie, mit welchen sprachlichen Mitteln diese Handlungen gestaltet sind.
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10
Die sprachliche Gestaltung der Aussage
Die sprachlichen Mittel, die Peter Bichsel zur Gestaltung der Aussage seiner Kurzge-
schichte »San Salvador« einsetzt, stehen ganz im Zeichen der personalen Erzählperspek-
tive des Textes.
Da eigentlich von einem zeitlichen Ablauf einer fortschreitenden Handlung in der Ge-
schichte kaum die Rede sein kann, wird eine gewisse chronologische Ordnung nur
dadurch aufrechterhalten, dass die zahlreichen Einzelbeobachtungen des personalen Er-
zählers mit mehrfach wiederholten Temporaladverbien wie "dann", "jetzt", "nun" für eine
am Sukzessiven zumindest orientierte Textkohärenz sorgen. Dabei nimmt das letzte
"Saß da." ohne jede temporalen Bezug einen quasi endgültig finalen Charakter an, der
jegliche Hoffnung auf eine Veränderung in der Zukunft erstickt.
Im Übrigen verweisen sämtliche von Peter Bichsel zur Gestaltung seiner Aussage einge-
setzten sprachlichen Mittel auf die kommunikationsunfähige, am eigenen Leben leidende
Hauptfigur, die keinen echten Ausweg aus ihrer Isolation und der Enge seiner Beziehung
mit Hildegard findet.
So besteht die Funktion der monoton wirkenden parataktischen Strukturen, der sprachli-
chen Wiederholungen und der zahlreichen Aufzählungen des Textes darin, die männliche
Hauptfigur mit ihren gedanklich und sprachlich wenig differenzierten (Selbst-)Konzepten
in einem nicht weniger monoton wirkenden Handlungs- und Beziehungskontext zu zei-
gen. Denn den Halbsätzen, die Paul geradeso aus der Feder "fließen", eignet kein Verän-
derungspotential.
Handlungen und
Gedanken von
Paul
Wortwahl
wenig
differenziert
geringe Anschaulichkeit
Satzbau
(syntaktische
Strukturen)
Prinzip der Reihung
Reihung von
Prädikaten
überwiegend
parataktische Reihungen
Handlungen von Paul wirken plan- und ziellos, und wahllos aneinander gereiht
eintöniges, sich ständig wiederholendes, in
gleichförmigen Bahnen verlaufendes Dasein von Paul
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Die sprachlichen Mittel und ihre Funktion zur Gestaltung der Aussage
Handlungen und
Gedanken von
Paul
Wortwahl
Satzbau
(syntaktische Strukturen)
Arbeitsanregungen:
1. Untersuchen Sie den Text auf seine verwendeten sprachlich-stilistischen Mittel.
2. Arbeiten Sie die Funktion dieser Mittel für die Gestaltung der Aussage heraus.
3. Zeigen Sie den Zusammenhang zwischen sprachlicher Gestaltung und Textsorte
auf.
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12
Handlungen und Gedanken von Paul
zeichnet auf ein Blatt
o mehrmals seine Unterschrift
o (dann) seine Initialen
o seine Adresse
o einige Wellenlinien
o (dann) die Adresse seiner
Eltern
nimmt neuen Bogen, faltet ihn
sorgfältig und schreibt
o "Mir ist es hier zu kalt"
o (dann) "Ich gehe nach
Südamerika"
(dann) hält er inne
schraubt die Kappe auf die Feder
betrachtet den Bogen
sieht, wie die Tinte eintrocknet
(dann) nimmt er den Füller erneut
setzt seinen Name Paul darunter Dann saß er da.
(später) räumt Zeitungen vom Tisch
überfliegt Kinoinserate
schiebt Aschenbecher beiseite
zerreißt den Zettel mit den
Wellenlinien
entleert seine Feder
füllt sie wieder
wartet auf Hildegard (jetzt) dreht Radio ab
[In der Papeterie garantierte man, dass sie schwarz werde]
denkt an irgend etwas
für die Kinoveranstaltung jetzt zu
spät.
Probe im Kirchenchor bis neun Uhr
Hildegard würde um halb zehn zurück sein
Dann saß er da.
liest die Gebrauchsanweisung noch
einmal
liest auch den französischen Text
vergleicht ihn mit dem englischen sieht seinen Zettel wieder
(nun) würde Hildegard heimkommen
sie erschräke
sie glaubte wohl nicht
sie würde dennoch Hemden zählen
sie würde annehmen, dass etwas
geschehen sein müsste
sie würde in den Löwen telefonieren
sie würde lächeln und verzweifeln
sie würde sich damit abfinden
vielleicht (!)
sie würde sich mehrmals die Haare
aus dem Gesicht streifen
sie würde mit dem Ringfinger der
linken Hand an der Stirn entlang
fahren
sie würde (dann) langsam den Mantel aufknöpfen
überlegt, wem er einen Brief
schreiben könnte (liest) leicht nach rechts drehen
denkt an Hildegard denkt an Palmen
Saß da.
Um halb zehn kommt Hildegard – fragt "Schlafen die Kinder?" - streicht sich die
Haare aus dem Gesicht
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13
Die Zeitgestaltung: Zustand und Bewegung als Paradox
In der Kurzgeschichte »San Salvador« von Peter Bichsel wird zwar eine an einfachem
Nacheinander orientierte fortschreitende Handlung dargestellt, aber diese Sukzession
entspricht keinem realen Zeitablauf mehr. Die lose Zeitfolge, in der sich Handlungen und
Gedanken der Hauptfigur nacheinander vollziehen, schaffen kaum noch einen epischen
Erzählfortgang. Und das allein siebenmalige Vorkommen des Temporaladverbs "dann"
steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu den eher den Charakter einer Zustandsbe-
schreibung denn Erzählung annehmenden Einzelbeobachtungen des Mannes. Die Span-
nung, die zwischen dem Ablauf der Zeit einerseits und der ausweglosen Zuständlichkeit
des Daseins der Hauptfigur andererseits entsteht, ist Grundlage der Textwirkung. Und
vielleicht ist es gerade diese ins Paradoxe führende Einheit von Fortgang und Zustand,
die der im Text dargestellten Situation ihre außerordentliche Wirkung verleiht: Paul sitzt
und bleibt bloß sitzen, während seine Gedanken sich sprunghaft fortbewegen. In diesem
Sinne verweist das Denken und Tun der Hauptfigur Paul auch auf die von Friedrich Dür-
renmatt 1990 in seiner Rede auf Vaclav Havel ausgedrückte paradoxe Existenz des Men-
schen an sich, durch den sich "Sinn in Widersinn, Gerechtigkeit in Ungerechtigkeit, Frei-
heit in Unfreiheit (verwandelt), weil der Mensch selber ein Paradoxon ist, eine irrationale
Rationalität.“ (aus: Friedrich Dürrenmatt, Die Schweiz - ein Gefängnis. Rede auf Vaclav
Havel, 22.11.1990 )
Strukturelemente der Zeitgestaltung
Wenn also von einem epischen Erzählgestus kaum die Rede sein kann, so lassen sich
doch Elemente der Zeitgestaltung in der Geschichte festhalten.
Story und plot der Handlung sind von der einleitenden Bemerkung über den Kauf
des Füllers und der als innerer Monolog gestaltenden gedanklichen Äußerung
Pauls, wonach die Papeterie für die Schwarzfärbung der Tinte garantiere, iden-
tisch. Die Kurzgeschichte/Kurzprosa gestaltet damit auch den für die Textsorte
charakteristischen unvermittelten Beginn.
Temporaladverbien wie "dann" (7 x), "jetzt", "nun" werden mehrfach wieder-
holt. Das temporale "dann" stellt eine lose zeitliche Folge der Handlungen her.
Linear gestalteter Handlungsverlauf: zwar kontinuierlicher Handlungsablauf,
aber nur lose verbunden (zwei kurze Rückwendungen: »Er hatte sich eine Füll-
feder gekauft..«; »[In der Papeterie garantierte man, dass sie schwarz werde]"«
Insgesamt gesehen Zeitraffung: Erzählte Zeit (ca. 45 min.); »Es war jetzt neun
Uhr« etwa in der Textmitte; »Um halb zehn kam Hildegard ...«; dazwischen
Passagen (z.B. 2. Absatz) die zeitdeckend bzw. tendenziell zeitdehnend erzählt
werden.
Erzähltempus: Präteritum: z.B. »Dann saß er da. Später räumte er die Zeitun-
gen vom Tisch ....«
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14
Erzählperspektiven
Um die Erzählperspektive (auch Erzählhaltung, Erzählsituation genannt) dieses erzählen-
den (epischen, narrativen) Textes analysieren, muss man den Erzählerstandort . (point
of view) bestimmen, von dem aus die Geschichte erzählt wird.
Innen- und Außenperspektive
Innenperspektive Außenperspektive
GRUNDFORMEN DER ERZÄHLPERSPEKTIVE
Standort des Er-zählers bzw. seine Sichtweise, von der ausgehend die Geschichte erzählt wird, liegen - mehr oder weniger deut-
lich - außerhalb der erzählten Welt der Figuren / des Geschehens.
Standort des Er-zählers befindet
sich innerhalb der erzählten Welt der Figuren / des Ge-schehens.
Erzähler ist iden-tisch mit einer oder mehreren einzel-nen Figuren, die das Geschen aus ihrer Sicht erzäh-len.
räumliche oder
zeitliche Distanz
Unmittelbar-
keit des Ge-
schehens
Wirkung
Personale Erzählperspektive
Der Erzählerstandort kann sich in Peter Bichsels Kurzgeschichte "San Salvador" befindet
sich innerhalb des erzählten Geschehens der Erzähler nimmt daher die Innenperspekti-
ve ein.
Der Erzähler verfügt dabei über die Außen- und Innensicht einer einzigen Figur. Seine
Sichtweise bleibt dabei auf die Figur Pauls beschränkt, dessen Handlungen und Gedanken
erzählt werden.
Innensicht bedeutet, dass der Erzähler in das Innere, in Gefühle und Gedanken einer
Figur Einblick hat.
Außensicht bedeutet, dass der Erzähler die Figuren nur (ggf. als Beteiligter) von au-
ßen sieht.
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Literaturwissenschaftliche Grundlagen
Erzählperspektiven
(auch: Erzählsituationen, Erzählhaltungen)
auktorial
Persönlich anwesender, "allwissender" Erzähler, der den Erzählvorgang initi-
iert und lenkt.
Erzähler ist nicht identisch mit dem Autor!
Ausgeprägter Gestus des Erzählens spürbar im Prozess der Vermittlung der erzählten Wirklichkeit (= "Distanz zum Erzählten" (Graevenitz 1982, S.93)
Kommentare, Vorausdeutungen, Rückwendungen, Zusammenfassungen, Le-seranreden, fiktiver Diskurs mit den Figuren, (= "überlegene Distanz zum Er-zählten, um die Distanz zum Leser abzubauen" (Graevenitz 1982, S.93)
personal
Dargestellte Wirklichkeit wird nicht von einem persönlich konturierten Erzähler
vermittelt, sondern spiegelt sich im Bewusstsein einer Figur.
Suggestive Wirkung auf den Leser, dem die erzählte Wirklichkeit abhängig von der Wahrnehmung einer beteiligten Figur, bedingt von ihren Gefühlen und Ge-danken vermittelt wird. (vgl. Bleissem u.a. 1996, S.73)
neutral
Erzähler zieht sich ganz aus der Figurenwelt zurück.
Erzähler greift weder als erkennbare auktoriale Erzählerpersönlichkeit ins Ge-schehen ein, noch wählt er die individuelle Optik einer der beteiligten Figuren (hoher Anteil szenischer Darstellung). (vgl. Bleissem u.a. 1996, S.74)
Ich-Form
Anwesenheit eines Erzähler-Mediums in Ich-Form Unterscheidung zwischen erlebendem und erzählendem Ich
Ich-Form prinzipiell mit jeder der drei Erzählperspektiven (auktorial, personal und neutral) verknüpfbar
Besonderheit: stets vorhandene emotionale Eingebundenheit des Ichs in das Geschehen
Auktoriale Ich-Erzählung Personale Ich-Erzählung
erzählendes Ich (= sich erinnerndes Ich) kommentiert, wertet oder distanziert sich von früherem Verhalten des erlebenden Ichs
Geschehen wird nur oder weitgehend aus der Sicht des erlebendes Ichs (= erinnertes Ich) vermittelt
Arbeitsanregungen:
Bestimmen Sie die Erzählperspektive (Erzählhaltung, Erzählsituation) in Peter Bichsels
»San Salvador«
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Verschiedene Arbeitsanregungen
Peter Bichsels Kurzgeschichte »San Salvador« kann auch mit den folgenden Arbeitsanre-
gungen untersucht und behandelt werden.
Arbeitsanregung 1: (Textinterpretation)
Interpretieren Sie den Text.
1. Untersuchen Sie dabei die Situation, das Verhalten und die Wunschvorstellungen
der männlichen Hauptfigur.
2. Arbeiten Sie heraus, wie die Beziehung der Ehepartner gestaltet ist und stellen Sie
deren Wahrnehmung durch Paul in den Zusammenhang seines Denkens und Tuns.
3. Zeigen Sie, mit welchen erzähltechnischen und sprachlichen Mitteln der Autor sei-
ne Geschichte gestaltet. Bestimmen Sie die Textsorte.
Arbeitsanregung 2: (Textinterpretation)
1. Beschreiben Sie, welcher Geschehens- und Bewusstseinsablauf sich aus der all-
täglichen Ausgangssituation der Geschichte entwickelt.
2. Zeigen Sie an besonders aufschlussreichen Beispielen, auf welche Weise der Er-
zähler diesen Ablauf für den Leser darstellt.
3. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der pointierte Schluss?
Arbeitsanregung 3: (Literarische Erörterung)
1. Untersuchen Sie die Situation und das Verhalten der Ehepartner und setzen Sie
sich damit auseinander.
Überlegen Sie dabei, welche Gründe für das Entstehen einer derartigen Situation
in einer Beziehung verantwortlich sein könnten.
2. Zeigen Sie auf, welche Möglichkeiten es für die beiden Partner gäbe, ihre Bezie-
hung wieder zu verbessern
Arbeitsanregung 4: (Produktive Textarbeit)
Verfassen Sie einen Abschiedsbrief, den Paul seiner Frau Hildegard hinterlassen will.
Arbeitsanregung 5: (Produktive Textarbeit)
Verfassen Sie einen Eintrag Hildegards in ihr persönliches Tagebuch, in dem sie über die
Entwicklung ihrer Beziehung zueinander reflektiert.
Arbeitsanregung 6: (Szenische Interpretation - Rollenspiel)
In einem Gespräch, das von einem guten Freund beider geleitet wird, sprechen sich Paul
und Hildegard über ihre Beziehung, ihre Enttäuschungen und Erwartungen aus.
Arbeitsanregung 7: (Szenische Interpretation - Rollenspiel)
Hildegard kehrt nicht vom Kirchenchor zurück. Paul findet ihren Abschiedsbrief.
1. Verfassen Sie einen Abschiedsbrief Hildegards an Paul.
2. Erzählen Sie die Geschichte unter dieser Vorgabe weiter.
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Arbeitsanregung 8: (Produktive Textarbeit -szenische Interpretation - Rollenspiel - ak-
tive Medienarbeit)
Verfilmen Sie die Geschichte »San Salvador« von Peter Bichsel.
Erstellen Sie dazu ein Storyboard.
Verfilmen Sie die Geschichte.
Arbeitsanregung 9: (Produktive Textarbeit)
Gestalten Sie eine Collage mit Elementen der Wirklichkeit von Paul und seinen Traumvor-
stellungen.
Nutzen Sie zur Sammlung von entsprechenden Materialien das Internet in Form einer
Internet-Recherche.
Arbeitsanregung 10: (Textinterpretation)
»San Salvador« (span. Salvador = der Erlöser, Erretter; adjektivisch: erlösend,
errettend) ist das erste Festland, das Kolumbus bei seiner Seefahrt über den At-
lantik 1492 erreicht.
»Salvus sum« ist eine bekannte lateinische Wendung und bedeutet "ich bin ge-
borgen".
Interpretieren Sie von diesen Erläuterungen zum begrifflichen Hintergrund des Titels die
Geschichte von Peter Bichsel.
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Storyboard
Bildinhalt Bildinhalt - Einstellungsgröße - Kamerabewegung - Ton -/ Dialog …
Dauer
Dauer
Dauer
Dauer