Download - perspektive21 - Heft 15
perspektive 21Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik
Heft 15 • März 2002
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C.H.BECKwww.beck.de
Bücher zumThema „Islam“
Vorwort 3
Thema
Markus Meckel 5Zentrale Fragen der Zukunft der
transatlantischen Beziehungen und der europäischen Sicherheit
Klaus Faber 11Gefährdung der Zivilisation
Bassam Tibi 39Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
Magazin
Lars Krumrey 65Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
Inhalt
Der Islam und der WestenStreit um Zivilisation und Sicherheit
nach dem 11. September
Impressum
2
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HerausgeberSPD-Landesverband Brandenburg
RedaktionKlaus Ness (ViSdP)
Lars Krumrey
Klaus Faber
Christian Maaß
Madeleine Jakob
Klara Geywitz
Benjamin Ehlers
AnschriftFriedrich-Ebert-Straße 61
14469 Potsdam
Telefon0331 - 200 93 – 0
Telefax0331 - 270 85 35
Internethttp://www.spd-brandenburg.de
Gesamtherstellung, Vertriebkai weber medienproduktionen
hebbelstraße 39
14469 potsdam
Bernard Lewis, ein auch in Deutschland
bekannter Orientalist, vertritt die Auffas-
sung, dass sich die kulturell-politische
Kluft zwischen dem Westen und dem
Islam seit längerer Zeit eher vertiefe als
schließe. „Islam: What Went Wrong?“ –
lautet der Titel einer seiner neueren
Publikationen, mit der er eine Frage auf-
nimmt, die sich auch die Intellektuellen
und die politischen Klassen in den ver-
schiedenen islamischen Ländern stellen.
Die Antworten,vor allem zur Gewichtung
der inneren und äußeren Entwicklungs-
faktoren, weisen eine große Variations-
breite auf, die sich kaum auf einen
gemeinsamen Nenner bringen läßt. Im
Islam selbst sind Erklärungen weit ver-
breitet, die eine Verantwortung für den
Abstieg von einer mit dem christlichen
Westen gleichrangigen, vielleicht sogar
überlegenen Position zur jetzt kaum zu
leugnenden Stagnation in erster Linie bei
Nicht-Muslimen suchen, in der Vergan-
genheit etwa bei Mongolen oder Kreuz-
rittern, in etwas neuerer Zeit bei Englän-
dern, Franzosen, bei Amerikanern, Israelis
oder Juden.
Der 11. September 2001 hat deutlich
gemacht, dass die damit verbundenen
Fragestellungen nicht nur historisch-kul-
turelle Bedeutung haben. Angesprochen
sind in diesem Zusammenhang die trans-
atlantische Zusammenarbeit und die Be-
ziehungen zwischen Staaten und Gesell-
schaften verschiedener Kulturkreise, aber
auch das Zusammenleben von Men-
schen mit unterschiedlicher Religion und
mit nicht immer übereinstimmenden
Auffassungen zur Lebensgestaltung in
einem gemeinsamen Staat, z.B. in
Deutschland. Nach dem 11. September
des letzten Jahres hat es einige Schwan-
kungen in der öffentlichen Meinung
gegeben, die sich zwischen Zustimmung
zum militärischen Vorgehen in Afghani-
stan und Skepsis oder Ablehnung beweg-
ten. Die Distanz zwischen Europa und
den Vereinigten Staaten in der Beurtei-
lung des künftigen Kampfes gegen den
Terror ist zur Zeit in den Vordergrund der
Debatte getreten. Das lässt manchmal
vergessen, daß im Grundsatz nach wie
vor Übereinstimmung in der Lagebewer-
tung und ebenso im Handeln besteht.
Von den Autoren des Heftes werden
die verschiedenen Themenansätze zum
Verhältnis zwischen dem Islam und dem
Westen aufgenommen. Sicherheitspoliti-
sche Probleme spielen dabei ebenso eine
Rolle wie kulturhistorische Fragen zur
Säkularisierung und zur Entwicklung von
fundamentalistischen Strömungen im
Islam. Eine schnelle Erledigung des The-
mas werden wir nicht erleben. Ein nicht
in erster Linie tagespolitisch orientierter
Blick auf den Stand der Dinge kann des-
Vorwort
3
Liebe Leserinnen und Leser der „Perspektive 21“,
4
halb sinnvoll und angemessen sein. Wir
hoffen, mit den Beiträgen eine Diskus-
sion zu eröffnen, an der auch andere teil-
nehmen können und sollten. Wir freuen
uns auf Ihre Reaktion.
Die Redaktion
perspektive 21 im InternetDie Hefte 10 - 14 sind im Internet unter www.spd-brandenburg.deals pdf-Datei zum Download verfügbar.
5
Die schrecklichen Terroranschläge vom
11. September 2001 haben nicht nur New
York und Washington getroffen, sondern
sie haben die gesamte freie Welt erschüt-
tert. Instrumente des alltäglichen Lebens
in einer modernen Gesellschaft wurden
in tödliche Waffen verwandelt und gegen
uns gewendet. Die Reaktion der Alliierten
war einhellig: tiefes Mitgefühl und Soli-
darität mit dem amerikanischen Volk.
Und nicht nur die Regierungen zeigten
den USA ihre volle Unterstützung. Zahl-
lose Menschen teilten die Empörung und
die Trauer um die unschuldigen Opfer,
ihre Angehörigen und Freunde. Spontan
entstanden Mahnwachen vor zahlrei-
chen US-Botschaften in aller Welt, nicht
nur in London, Paris oder Berlin, sogar in
Moskau. Auch in islamischen Staaten
herrschte tiefe Betroffenheit.
Die Attentate verlangten auch eine
politische Reaktion. Der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen hat schon am 12.
September in der grundlegenden Resolu-
tion 1368 die Anschläge von New York
und Washington einmütig, also mit chi-
nesischer und russischer Zustimmung,
verurteilt und erstmals festgestellt, dass
terroristische Anschläge eine Bedrohung
des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit darstellen. Der Weltsicher-
heitsrat hat damit eine Weiterentwick-
lung des bisherigen Völkerrechts vorge-
nommen und die Voraussetzungen für
ein entschiedenes, auch militärisches
Vorgehen gegen den Terrorismus
geschaffen.
Und der NATO-Rat signalisierte den
Vereinigten Staaten noch am gleichen
Tag die Bereitschaft, erstmals den „Bünd-
nisfall“ nach Artikel 5 der Washingtoner
Vertrages zu erklären, was am 2. Oktober
geschah. Die europäischen und kanadi-
schen Verbündeten zeigen damit:Sie sind
entschlossen, den Worten der Solidarität
auch Taten folgen zulassen.
Zentrale Fragen der Zukunftder transatlantischen Beziehungenund der europäischen Sicherheit
Anhang zum Generalbericht des Politischen Ausschusses der NATO-PV
von Markus Meckel
In einer Sitaution der Verletztheit und
des Schmerzes, die wir alle teilen, stellt es
eine große Leistung der US-Administra-
tion dar, in diesem Maße besonnen auf
die Ereignisse zu reagieren, obwohl der
innenpolitische Druck, rasch Handlungs-
fähigkeit zu demonstrieren, groß war. Es
war wichtig, nicht in die Falle zu tappen,
Angst und Drang nach Vergeltung zur
Richtschnur des eigenen Handelns zu
machen. Denn wir haben es mit einer
neuen Generation des Terrorismus zu
tun. Die Selbstmordattentäter erheben
keine konkreten politischen Forderungen
oder Ziele. Sie wollen den Terror verallge-
meinern. Sie setzen auf eine Eskalation
der Gewalt, welche die internationalen
Beziehungen belastet und plurale und
liberale Gesellschaftsstrukturen destabi-
lisiert bzw. zerstört. Sie wollen keine
Reformen. Kompromisse kann es mit
ihnen nicht geben. So sieht sich die US-
Administration derzeit mit einem Di-
lemma konfrontiert: Eine rein symboli-
sche militärische Vergeltung ist nicht
mehr möglich. Nun kann es sich nur noch
eine effektive Maßnahme handeln, die
gezielt die Infrastruktur der Terroristen
und ihre Helfer trifft, oder die zur Ergrei-
fung der Drahtzieher der Attentate führt.
Die Anschläge in den USA haben uns
die mit der internationalen Verflechtung
einhergehende Verwundbarkeit unserer
Gesellschaft schlagartig vor Augen ge-
führt. Computernetzwerke steuern den
Verkehr, die Energie-, Wasserversorgung
sowie den Kommunikationsfluß. Die Ter-
roristen machen sich bei ihren Operatio-
nen die Bedingungen der Globalisierung
zu nutze: den zivilen Flugverkehr, interna-
tionale Finanzmärkte und das Internet.
Daher bedarf es auch einer globalen Ant-
wort auf diese Bedrohung. Im Ringen mit
dem Terrorismus kann es keinen schnel-
len Erfolg geben. Es bedarf vielmehr einer
langfristigen, global angelegten Strate-
gie, die dem Gegner das Wasser abgräbt.
Die USA haben sich in den vergangenen
Wochen erfolgreich darum bemüht, eine
internationale Koalition zur Bekämpfung
des Terrorismus zu schmieden. Eine sol-
che Koalition bildet die Voraussetzung,
um effektiv gegen den internationalen
Terrorismus vorgehen zu können. Es wird
die zentrale Herausforderung sein, diese
Koalition zusammenzuhalten und auf
eine langfristig angelegte gemeinsame
Strategie zu verpflichten. *Allein die UNO
dürfte dazu in der Lage sein, den gemein-
samen Anstrengungen einen solchen
dauerhaften Rahmen zu bieten.
Die Anschläge haben auch die Unter-
scheidung zwischen „äußerer“ und „inne-
rer“ Sicherheit verwischt. Auch wenn die
Anschläge das Ausmaß kriegerischer
Handlungen erreicht haben, sind in der
Auseinandersetzung mit dem Terroris-
mus in erster Linie gezielte polizeiliche
Aktionen zur Bekämpfung von Verbre-
chen nötig. Die kleine Zahl von Extremi-
Markus Meckel
6
Zentrale Fragen der Zukunft der transatlantischen Beziehungen und der europäischen Sicherheit
sten gilt es zu identifizieren und zu isolie-
ren, sie festzunehmen und ihnen in
einem rechtsstaatlichen Verfahren den
Prozeß zu machen. Neben einer stärkeren
internationalen Zusammenarbeit von
Justiz und Polizei dürfte der Austausch
von Erkenntnissen der Geheimdienste
eine wichtige Rolle bei der Warnung vor
drohenden Anschlägen und bei der Ver-
folgung der Täter spielen. Ebenso ist eine
stärkere Regulierung internationaler
Finanzströme erforderlich, um die Extre-
misten von ihren Finanzierungsquellen –
neben Drogen- und Waffenhandel offen-
sichtlich auch spekulative Börsenge-
schäfte – abzuschneiden.
Maßnahmen, die den Handlungsspiel-
raum der Terroristen beschränken, brin-
gen es leicht mit sich, dass auch die
Rechte unbescholtener Bürger beschnit-
ten werden. Die Anschläge zwingen uns
dazu, das Verhältnis der Grundsätze
„Offenheit“ und „Kontrolle“ zueinander
zu überdenken. Das kann aber nicht
heißen, dass die Prinzipien der „offenen
Gesellschaft“ einfach zur Disposition
gestellt werden. Wir müssen sicherstel-
len, dass der Schutz des Rechts auf Mei-
nungsfreiheit und der Privatsphäre, die
Bewegungsfreiheit und die Verfahrens-
rechte von Beschuldigten nicht beein-
trächtigt werden. Denn im Kern zielen die
Anschläge darauf ab, die offene, plurali-
stische Gesellschaft zu zerstören, die auf
den Grundsätzen Menschenrechte,
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Frei-
heit beruht. Diese Werte müssen wir ver-
teidigen.
Wir befinden uns nicht in einer Ausein-
andersetzung verschiedener „Kulturen“
(confrontation of civilisations). Wir lassen
uns von Extremisten nicht in eine Kon-
frontation judeo-christlicher versus isla-
mische Gesellschaften hineindrängen.
Keine Religion kann die grausamen
Morde und die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit rechtfertigen. Dass die
Berufung auf den Islam einen Mißbrauch
der Religion darstellt,hat die Verurteilung
der Anschläge durch beinah alle mosle-
mischen Staaten und religiösen Führer
gezeigt. Gemeinsam werden wir kultu-
relle Errungenschaften gegen Barbarei
verteidigen. Zur „offenen Gesellschaft“
gehört auch ein besseres Kennenlernen
anderer Anschauungen. Die aktuelle
Krise zeigt, dass wir den Dialog zwischen
den Religionen und Kulturen verstärken
müssen. Präsident Bush setzte ein positi-
ves Zeichen, als er kurz nach den Anschlä-
gen in einer Moschee mit moslemischen
Geistlichen für die Opfer betete. Viele
ähnliche Signale für den inter-religiösen
Dialog wurden inzwischen andernorts
gesetzt. Diesen Dialog müssen wir inter-
national führen, aber auch in unseren
Gesellschaften müssen wir uns um Tole-
ranz und Verständnis bemühen. Auch
wenn sich offensichtlich bewahrheitet
hat, dass die Spur der Täter zum terrrori-
7
Markus Meckel
stischen Netzwerk des saudischen Mil-
lionärs Osama Bin Landen führt, sind
pauschale Verdächtigungen der mosle-
mischen Bevölkerung fehl am Platze.
Soziale Isolation und Diskriminierungen
müssen wir verhindern. Es ist Zeit, den
Kontakt zu unseren moslemischen Mit-
bürgern und die Bemühungen um
soziale Integration zu intensivieren.
Auch wenn sich die Folgen noch gar
nicht in ihrem ganzen Ausmaß erkennen
lassen. Eines ist offensichtlich: Die
Anschläge werden unser sicherheitspoli-
tisches Denken grundlegend verändern.
Es hat sich zwar schon bei den zahlrei-
chen Regionalkonflikten und Bürger-
kriege in den 90er Jahren gezeigt, dass
wir es immer weniger mit Konflikten zwi-
schen Staaten zu tun haben. Nun ist
offensichtlich, dass die Grenzen zwischen
äußerer und innerer Sicherheit ver-
schwimmen. Die Drahtzieher und die
Finanzierung mögen von außen kom-
men, aber die Täter haben sich lange Zeit
im Schoße unserer Gesellschaft auf die
Anschläge vorbereitet. Ebenso richten
sich unsere Maßnahmen auf die
Umgang mit anderen Staaten und nach
innen. Jahrelang wurden die Risiken
unterschätzt. Nun müssen wir die Vor-
kehrungen zum Schutz der Zivilbevölke-
rung verstärken. Aber einen absoluten
Schutz kann es nicht geben. So bedarf es
intensiverer Bemühungen, die Verbrei-
tung von leicht herstellbaren und trans-
portierbaren Massenvernichtungswaf-
fen, insbesondere biologischen und che-
mischen, zu verhindern.
Wir müssen und wir wollen ein umfas-
sendes Konzept zur Bekämpfung des Ter-
rorismus entwickeln. Es zielt darauf ab,
den Terroristen die Mittel und den Nähr-
boden für die Rekrutierung zu entziehen.
Dieses Konzept setzt auf Krisenpräven-
tion und muss auf politische, wirtschaft-
liche und kulturelle Zusammenarbeit
sowie auf Kooperation in Fragen der
Sicherheit gegründet sein. Die Europäi-
sche Union hat bereits entschieden, im
Rahmen der Entwicklungszusammenar-
beit weitere Anreize für Staaten zu bie-
ten, die sich zur Kooperation bei der
Bekämpfung des Terrorismus bereit
erklären. In Krisenregionen wie dem
Nahen Osten oder Zentralasien gilt es
Perspektiven für die Lösung bewaffneter
politische und wirtschaftliche Stabilisie-
rung, für Frieden und Entwicklung zu
eröffnen.
Wie wir diese neue Herausforderung
meistern, eine umfassende Antwort auf
die neuartige Bedrohung der „offenen
Gesellschaft“ und ihrer Bürger zu finden,
wird den Zusammenhalt im Bündnis und
das transatlantische Verhältnis für die
nächste Generation bestimmen. Die
spontane Solidarität und das entschlos-
sene gemeinsame Handeln bilden ein
gutes Fundament. Nun ist es unsere Auf-
gabe, eine umfassende Strategie zu ent-
8
wickeln, die uns von der Geißel des Terro-
rismus befreien kann. Die Stärkung inter-
nationaler Organisationen, insbesondere
der Vereinten Nationen, wird dabei eine
zentrale Rolle spielen.
Zentrale Fragen der Zukunft der transatlantischen Beziehungen und der europäischen Sicherheit
9
Markus Meckelist Bundestagsabgeordneter und
gehört zu den Gründungsmitgliedern der SPD in Ostdeutschland.
Es gehe darum, so nach dem 11. Sep-
tember eine türkische Stimme, die Zivili-
sation zu verteidigen. Es gebe nur eine
Zivilisation; man gehöre zu ihr oder stehe
außerhalb der Grenzen der „zivilisierten“
Welt.
Der türkische Kommentar, der in seiner
Bewertung an Positionen Atatürks, des
Gründers des modernen türkischen Staa-
tes, anknüpft, findet nicht überall Zustim-
mung. Viele, z.B. der Generalsekretär der
Vereinten Nationen, sprechen lieber von
„Zivilisationen“ als von „Zivilisation“. Die
Entscheidung für den Plural oder für den
Singular ist zunächst nur eine Definiti-
onsfrage ohne weitere Folgen. Wenn die
verschiedenen heute bestehenden Kul-
turkreise „Zivilisationen“ sein sollen, ist
damit der Plural begründet.Wenn wir der
Auffassung zuneigen, für das Zusam-
menleben der Individuen und Gemein-
schaften seien auch im globalen Maß-
stab Grundregeln notwendig und im
Prinzip, nach einem langen Entwick-
lungsprozeß in Europa und Amerika,auch
vorhanden, so wäre für die Summe dieser
Regeln und ihrer Wertebasis „Zivilisa-
tion“, im erwähnten Verständnis, eine
mögliche Bezeichnung. Wer dazu – zur
Notwendigkeit und Existenz gemeinsa-
mer Grundregeln – eine andere Auffas-
sung vertritt, wird die Konzeption einer
globalen, überwiegend westlich gepräg-
ten Zivilisation ablehnen. Fragen stellen
sich in diesem Zusammenhang innerhalb
der einzelnen europäisch-amerikani-
schen Länder, aber auch innerhalb ande-
rer Kulturkreise, z.B. in islamischen
Gesellschaften, oder zwischen verschie-
denen Kulturkreisen. Der 11. September
hat auf diesem Gebiet Probleme sichtbar
gemacht, nicht begründet.
11
Gefährdung der Zivilisation
Zur Glaubwürdigkeit der westlichen Politik gegenüber dem Islam
von Klaus Faber
Der Islam und der Westen: Zivilisation und Zivilisationen
Lange vor dem Ende des Kalten Krieges
war zu erkennen, dass der ältere Konflikt
zwischen dem Islam und dem „Westen“
wieder größere Bedeutung erhalten
würde. Die gleichzeitige Abkehr vom
Westen und vom Osten in großen Teilen
der islamischen Welt war dafür ein Indiz.
Für den Iran waren nach der islamischen
Revolution von 1979 die Vereinigten Staa-
ten der Hauptfeind, aber die Sowjetunion
kein Freund geworden. In Afghanistan
kämpften seit dem Ende der siebziger
und in den achtziger Jahren vom Westen,
aber nicht nur vom Westen unterstützte
Aufständische gegen die sowjetischen
Besatzungstruppen. In Algerien und in
anderen arabischen Staaten, die unter
europäische Kolonialherrschaft geraten
waren, hatten zuvor erfolgreiche Auf-
stände stattgefunden. „Dschihad“ war
die häufig verwandte Bezeichnung für
den Befreiungskrieg. Der muslimische
Aufständische nannte sich „Mudscha-
hid“, Dschihad-Kämpfer.
Islam und Christentum stehen sich seit
fast 1400 Jahren im Mittelmeerraum
gegenüber. Über längere Zeitphasen hin-
weg gab es kulturell, politisch und
militärisch zwischen den beiden, meist in
verschiedenen eigenständigen Staaten
organisierten Konfliktparteien keine
größere Gefällelage. Kulturell war im Mit-
telalter auf der iberischen Halbinsel wohl
eher der spanische Islam überlegen, aber
am Ende nicht militärisch, wie 1492 die
Übergabe Granadas und in der zweiten
Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts der
gescheiterte Aufstand der andalusischen
Muslime zeigten.
Vielleicht läßt sich für das Ergebnis
des langen Kampfes zwischen Ostrom
(das in der westchristlichen Tradition seit
langer Zeit „Byzanz“ genannt wird) und
den Muslimen eine umgekehrte Bilanz
ziehen. Dem über viele Jahrhunderte, bis
zum Fall Konstantinopels im Jahre 1453,
geleisteten militärischen Widerstand
Ostroms ist es zu verdanken, dass sich
Ost- und Westchristentum bis dahin
entwickeln und überhaupt weiterbeste-
hen konnten. Karl Martells Sieg bei Tours
und Poitiers über eine größere muslimi-
sche Streifschar aus Spanien hatte dem-
gegenüber, wie insgesamt der Beitrag
des Frankenreichs und seiner Nachfolge-
staaten zum Glaubenskrieg, keine ver-
gleichbare historische Bedeutung,
anders als dies zumeist die Geschichtsü-
berlieferungen des westlichen Christen-
tums darstellen. Der christliche Haupt-
gegner war für den Islam in seinen
ersten Jahrhunderten Ostrom. Die in der
Anfangszeit im Islam verbreitete
Bezeichnung „Rumi“ für die Christen,
auch für die Christen in Spanien, gibt
dieses Erfahrungsbild wieder.
Klaus Faber
12
Alte Konfliktlinien
1683 fand die letzte Belagerung Wiens
durch die Osmanen statt. Mit Mühe
wurde die Einnahme der Stadt durch ein
deutsch-polnisches Entsatzheer verhin-
dert. Viele sehen in diesem Ereignis den
Beginn des Niedergangs des Osmani-
schen Reiches. Nach dem 1. Weltkrieg
schien dessen Ende nahe. Der osmanische
Staat verlor alle arabischen und einen
beträchtlichen Teil der kurdischen, näm-
lich die heute im Nordirak liegenden
Gebiete. Armenien sollte nach dem Willen
der siegreichen Westalliierten weite Teile
der heutigen Osttürkei, auch als eine Art
Wiedergutmachung für die Massen-
morde während des Weltkrieges, erhalten,
ein unabhängiger kurdischer Staat in der
gleichen Region entstehen. Große Teile der
türkischen Ägäisküste und der türkischen
Gebiete Thrakiens fielen den Griechen zu,
Istanbul/Konstantinopel war ihnen mehr
oder weniger versprochen.
Der damalige griechische Ministerprä-
sident Venizelos verspielte diese
Gewinne durch noch weiter gehende ter-
ritoriale Ambitionen. Kemal Pascha, der
spätere Atatürk, verhinderte die Auftei-
lung des türkischen Reststaates durch
den Sieg über die Griechen, die in Kleina-
sien eingedrungen waren. Atatürk führte
nach dem türkisch-griechischen Krieg im
Gebiet der islamischen Hauptmacht, die
jahrhundertelang die Christen angegrif-
fen und sich nach 1683 gegen sie vertei-
digt hatte,die bislang tiefgreifendste isla-
mische Kulturrevolution der neueren Zeit
durch. Seine mit diktatorischer Vollmacht
ausgestattete Autorität war dafür die
Voraussetzung. Sie beruhte auf dem
militärischen Erfolg gegen die Griechen,
der nur durch die Unterstützung der
muslimischen Landbevölkerung möglich
wurde. Kemals Armee war im Laufe des
Krieges im buchstäblichen Sinne des
Wortes zu einer Volksarmee geworden,
für die einfache Bauern, soweit sie sich
nicht selbst den Streitkräften anschlos-
sen, Träger- oder andere Versorgungs-
dienste leisteten und Frauen die Muni-
tion bis in die vorderen Linien transpor-
tierten – freiwillig, überzeugt von der
Gerechtigkeit der „eigenen“ Sache.
Kemal erhielt damals, lange vor dem
Ehrentitel „Atatürk“ (Vater der Türken),
den Beinamen „Ghazi“, die Bezeichnung
für den Kämpfer im Krieg gegen die
Ungläubigen (das Wort hat übrigens eine
gemeinsame Wurzel mit dem aus dem
Arabischen über das Italienische einge-
wanderten Begriff „Razzia“). „Ghazi
Magoscha“ heißt im heute türkischen
Nordzypern die Stadt, die von uns West-
Gefährdung der Zivilisation
13
Die Kulturrevolution Atatürks: Wirkung und Interpretation
christen „Famagusta“ genannt wird. Die
neue türkische Bezeichnung wurde
gewählt, weil in der Altstadt 1974 die dort
wohnende türkische Minderheit so lange
den griechisch-zypriotischen Belagerern,
darunter der zypriotischen National-
garde, Widerstand geleistet hatte, bis die
türkische Armee eintraf. 1974 wurden
dann nicht nur die griechisch-zyprioti-
schen Streitkräfte, sondern auch die grie-
chische Bevölkerungsmehrheit aus der
Stadt vertrieben.
Nach dem Ende des griechisch-türki-
schen Krieges einigten sich Venizelos und
Atatürk 1923 auf einen Bevölkerungsaus-
tausch. Fast alle noch in der Türkei leben-
den Griechen wurden nach diesem Ver-
trag nach Griechenland, der überwie-
gende Teil der in Griechenland lebenden
muslimischen Minderheit in die Türkei
„umgesiedelt“. Auf beiden Seiten wurde
dabei niemand gefragt, ob er mit der
Umsiedlung einverstanden sei. Der von
Venizelos und Atatürk vereinbarte Bevöl-
kerungsaustausch bildete nicht nur die
Grundlage für die „laizistische“ Umwand-
lung des türkischen Staates, die kaum
hätte gelingen können, wenn im Innern
weiterhin Auseinandersetzungen mit
ethnisch-religiösen „Feinden“ geführt
worden wären. Sie war ebenso die Vor-
aussetzung für einen brüchigen, aber
trotz des Krieges um Zypern bislang hal-
tenden Modus vivendi im türkisch-grie-
chischen Verhältnis.
Atatürks politische Bedeutung wird
auch in einer Gegenüberstellung deut-
lich. Abgesehen von einigen früher zur
Sowjetunion gehörenden Staaten, die
heute in – begrenzten – Teilbereichen
seine kulturrevolutionären Ansätze auf-
nehmen, hat es in der islamischen Welt
bislang kein Folgemodell zu Atatürks
Modernisierung gegeben. Die türkische
Demokratie mag unvollkommen sein.
Gefahren drohen von radikalen Islambe-
wegungen, wie auch die entsprechende
türkische Exilopposition zeigt, die in
Deutschland wie in anderen europäi-
schen Ländern immer noch unterschätzt
wird. Bei allen Mängeln handelt es sich
aber bei der Türkei um einen demokrati-
schen Staat – um eine der ganz wenigen
Demokratien im Islam. Kein arabischer
Staat kann auch bei Anwendung sehr
großzügiger Maßstäbe bislang als Demo-
kratie bezeichnet werden. Ein großer Teil
der politischen Gefangenen dieser Welt
sitzt in den Gefängnissen islamischer
Staaten.
Es hat bereits zu Atatürks Lebzeiten
Reformversuche in anderen unabhängi-
gen islamischen Ländern gegeben. An
erster Stelle ist dabei der Iran mit seinem
ursprünglich reformorientierten neuen
monarchischen System zu nennen. Selbst
in der damaligen afghanischen Monar-
chie gab es Ansätze zur Modernisierung,
die in der bis heute vorherrschende
Stammesverfassung dieses Landes aller-
Klaus Faber
14
dings keine tiefgreifenden Spuren hinter-
ließen.
Nassers (Gamal Abd an-Nasir) „Revolu-
tion“ der fünfziger Jahre war ebenso wie
andere Umwälzungen in arabisch-islami-
schen Ländern vom Ziel der Erneuerung
und Reform getragen. Die Moslembru-
derschaft, wie sie damals unter engli-
schem Spracheinfluß genannt wurde,
war sein Gegner, den er mit beachtlicher
Härte verfolgen ließ. In der Kleidung und
in anderen äußeren Signalbotschaften
war Ägypten in dieser Zeit, wie früher
Atatürks Türkei, auf Verwestlichung aus-
gerichtet. Der „laizistische“ Impuls, der
sich bei Atatürk gegen den Islameinfluß
auf die Politik richtete, war aber trotz des
Gegensatzes zur Moslembruderschaft
weniger deutlich. Nasser hat immer die
Zugehörigkeit Ägyptens zur arabischen
„Nation“ und zum größeren Islamkreis
betont. Religiöse Bekenntnisformeln
wurden in den Massenmedien, ganz
anders als in der Türkei, bei allen passen-
den Gelegenheiten und auch in „patrioti-
schen“ Liedern verwandt. Die antiisraeli-
sche Propaganda hatte von Anfang an
das islamische Dschihad-Motiv inte-
griert. Dass die aktuelle Entwicklung in
Ägypten vor allem nach der Ermordung
Sadats – eine politisch-gesellschaftliche
Öffnung gegenüber dem traditionellen
und radikalen Islam mit bedenklichen
Folgen – kaum der ursprünglichen Linie
Nassers entspricht, steht auf einem
anderen Blatt. Ägyptische Muslime, die
aktiv für eine an den – westlichen – Men-
schenrechten orientierte Reform eintre-
ten, haben in ihrem Land heute nicht sel-
ten einen schweren Stand. Einige bekla-
gen sich in diesem Zusammenhang nicht
nur über das Verhalten ihres Staates, son-
dern ebenso über die verbreitete westli-
che Indifferenz gegenüber den innerisla-
mischen Reformkräften. Eine derartige
Kritik ist, wie auch ein Blick auf andere
islamische Staaten und die jeweilige
demokratische Opposition zeigt, gut
nachzuvollziehen.
Atatürks und Nassers Bewertung hat
sich im Laufe der Zeiten verändert – im
Westen und im Islam. Interpretations-
konventionen spielen dabei eine Rolle, die
eine Orientierung geben sollen, aber
nicht immer unproblematisch sind. Nach
einer neueren politischen Sprachkonven-
tion aus den neunziger Jahren müßten
wir den türkisch-griechischen Bevölke-
rungsaustausch der zwanziger Jahre
heute als „ethnische Säuberung“
bezeichnen, ebenso etwa die von Hitler-
deutschland während des 2.Weltkriegs in
Polen durchgeführten Zwangsumsied-
lungen; für das zuletzt erwähnte Beispiel
ist das eine Zuordnung, die wohl nicht
auf Widerspruch stoßen würde. Aus die-
ser Bewertungskategorie könnten aber
auch die Vertreibungen der Deutschen
aus dem heutigen Polen,Tschechien oder
aus anderen ostmittel- oder osteuropäi-
Gefährdung der Zivilisation
15
schen Ländern nicht ausgeschlossen wer-
den, die zu einem beträchtlichen Teil erst
nach dem Ende des 2. Weltkriegs erfolgt
sind. Ähnliches gilt für viele Bevölke-
rungsverschiebungen im postkolonialen
Asien oder Afrika, z.B. für die Flucht- und
Vertreibungsvorgänge zwischen Pakistan
und Indien, von denen mehr als 20 Millio-
nen Menschen betroffen waren.
In der politischen Klasse und in den
Medien mancher westlicher Länder ist
die Bereitschaft zu erkennen, mit der Eti-
kettierung und dem Vorwurf der „ethni-
schen Säuberung“ bei politischem Bedarf
recht freizügig und manchmal fahrlässig
umzugehen. Eine derartige Argumenta-
tion sollte rechtzeitig mit den möglichen
politischen Folgen konfrontiert werden.
Manches, was wir, zu Recht, im Europa
der Nachkriegszeit als ordnende und
befriedende Faktoren schätzen gelernt
haben, z.B. die Sicherheit von Grenzen
und des nationalen Charakters einiger
Staaten, beruht auf dem Ergebnis einer
„ethnischen Säuberung“, falls dieser
Begriff einen Unrechtstatbestand zutref-
fend beschreiben kann. Dabei wird ein
Problem erkennbar, das in unserer politi-
schen Debatte vor allem zu internationa-
len Themen allgemeinere Bedeutung
hat: Es bestehen begründete Zweifel an
der Konsistenz unserer Bewertungsmaß-
stäbe. Die damit aufgeworfene Frage hat
auch praktische Konsequenzen. Doppelte
Standards in der Politik und in der politi-
schen Moral werden nämlich auf die
Dauer die Basis des westlichen, am Ende
aber jeden politischen Handelns erschüt-
tern: die Glaubwürdigkeit.
Eine Gefahr des Mißverstehens besteht
im Verhältnis zwischen dem Westen und
dem Islam nicht nur in dieser Beziehung
sondern auch darin, dass, vom Westen
aus gesehen, die eigenen politischen
Maßstäbe, angefangen von den Men-
schenrechten bis hin zu den Legitimati-
onsvorstellungen in den westlichen
Demokratiemodellen – also die Grundla-
gen unserer „Zivilisation“, als allgemein-
gültig und -verbindlich angesehen wer-
den. In dieser Sichtweise zeigt sich ein
Gefühl der eigenen Überlegenheit, das
sich durchaus auf historische Erfahrun-
gen stützen kann. Seit etwa 500 Jahren
hat Europa, trotz der Spaltung in ein
westliches und ein östliches Teillager,
trotz und sogar während der verheeren-
den Religionskriege im westlichen Chri-
stentum, einen globalen Siegeszug ange-
treten, zunächst unter Umgehung der
Islamzone mit hochseetüchtigen Schif-
Klaus Faber
16
Westliche Dominanz und Islamreaktion
fen, später auch im Gebiet der islami-
schen Staaten selbst. Ohne diese Expan-
sion gäbe es heute vermutlich keine Glo-
balisierung, auch keine internationale
Menschenrechtsdebatte und keine glo-
bale Bevölkerungsexplosion. Europäische
Tochtergründungen haben, abgesehen
von kleinen Territorialresten, fast den
gesamten amerikanischen Kontinent
unter sich aufgeteilt.
Australien und Neuseeland gehören
zum engeren Kreis der von Europäern
gegründeten und geprägten Siedlerstaa-
ten. In Nordasien reicht bereits seit langer
Zeit Rußland bis an den Pazifischen
Ozean. Eine vergleichbare Landausdeh-
nung der Christenstaaten im Südosten
hat bis zum 1. Weltkrieg das Osmanische
Reich verhindert.
Kulturell-zivilisatorisch hat der Westen
große Durchdringungserfolge auch in
Ländern erzielt, die nie zu den europä-
isch-amerikanischen Kolonialgebieten
zählten. Japan und China sind dafür Bei-
spiele, mit jeweils unterschiedlicher Ori-
entierung an einem amerikanisch-west-
europäischen und einem Modell aus Ost-
europa, das es dort inzwischen nicht
mehr gibt.
Überlagernde europäische Territorial-
herrschaft hat im Verlauf der europäi-
schen Eroberung, trotz der Abwehr-
kämpfe und der Sperrfunktion des türki-
schen Reiches, den Islam in vielen Regio-
nen erreicht: in Indonesien, in Malaysia,
im islamischen Indien, im russischen Zen-
tralasien und im ganzen islamischen
Afrika. Nach der Aufteilung des Osmani-
schen Reiches am Ende des 1.Weltkrieges
standen auch alle arabischen Gebiete der
früheren Türkei unter europäischer Herr-
schaft – mit zwei Ausnahmen: Saudi-Ara-
bien und Jemen. Osama Bin Laden (wie er
nach der englischen Transskription
genannt wird) sieht diesen Zeitpunkt als
Beginn der Unterdrückung. Er dürfte
damit nicht nur die Auffassung einer klei-
nen islamischen Minderheit, sondern in
den arabisch-muslimischen Ländern eher
diejenige der Mehrheit wiedergeben.
Es wäre eine allzu optimistische, naive
Erwartung anzunehmen, der islamische
Widerstand gegen die Verwestlichung
werde, wie die entsprechende Abwehrbe-
wegung in anderen Kulturkreisen, etwa
in Japan, in China oder im hinduistischen
Indien, bald erlahmen oder jedenfalls an
Bedeutung verlieren. Für den Widerstand
stehen im Islam nicht nur die „Islami-
sten“ – wer auch immer im einzelnen mit
diesem in Europa neuerdings üblichen
Begriff gemeint sein soll. Traditionelle
Islampositionen – im weitesten Sinne –
sind im Islam keine verblassenden Erin-
nerungszeichen der Vergangenheit. Eine
intensive Rückbesinnung auf die eigenen
kulturell-politischen Traditionen ist vor
allem nach dem 2. Weltkrieg erfolgt, im
Zuge der Entkolonialisierung, nach dem
Zurückdrängen der europäischen Herr-
Gefährdung der Zivilisation
17
schaft. Scharia-Recht, das unterschiedlich
ausgelegt werden kann, aber keinesfalls
überall „progressiv“ interpretiert wird,
wurde in vielen Gebieten wieder einge-
führt. In Regionen mit nicht-muslimi-
scher Mehrheit, wie etwa im Südsudan,
der erst durch die europäische Grenzzie-
hung mit dem muslimisch-arabischen
Nordsudan fest verbunden wurde, gilt es
damit zum ersten Mal als staatliches
Recht. In einigen islamischen Ländern, die
nach westlichen Kriterien als verhältnis-
mäßig aufgeklärt gelten, ist der Zugang
zu den höchsten Staatsämtern durch
staatliche Regelung Muslimen vorbehal-
ten und der Abfall vom Islam mit straf-
rechtlicher Sanktion bedroht. Nicht nur
der Iran führt im Staatsnamen das Etikett
„islamisch“.
Das Iran-Beispiel ist auch unter ande-
ren Gesichtspunkten, z. B. unter dem
Aspekt des Minderheitenschutzes, auf-
schlußreich, nicht nur wegen der –
schlechten – Behandlung der kleinen jüdi-
schen Minderheit, sondern auch mit Blick
auf das Verhältnis zur Bahai-Gemein-
schaft. Nach der iranischen Auffassung
sind die Bahai-Angehörigen vom Islam
Abgefallene mit allen negativen Folgen
z.B. für die Anerkennung von Ehe-
schließungen oder die Erziehung der Kin-
der. dass derartige Verstöße gegen die ele-
mentaren Menschenrechte von unseren
Medien und in der Politik kaum gerügt
werden, sagt mehr über die Ernsthaftig-
keit unseres humanitären Engagements
und auch über den Mangel an Konsistenz
unserer Beurteilungsmaßstäbe als viele
andere Akte und Deklarationen.
Das „laizistische“ Staatsgrundver-
ständnis der Atatürk-Türkei, vor allem
getragen vom Offizierskorps und der
Führung der Streitkräfte,bildet vom theo-
retischen Ansatz her gesehen einen
Gegenpol zu den erwähnten Länderbei-
spielen. Es wird deshalb, konsequenter-
weise, von der islamisch orientierten Exi-
lopposition, mit ihrem Hauptstützpunkt
in Deutschland, als „unislamisch“ diffa-
miert. Das türkische Beispiel zeigt übri-
gens deutlich, dass sektoral begrenzte
Aktionen und Beschwichtigungsstrate-
gien im religiös-kulturellen Bereich ohne
eine Berücksichtigung der Innen- und
Außenbeziehungen kaum tragfähig sein
können. Ein grundlegendes Problem für
die Akzeptanz der im Westen entstande-
nen und westlich geprägten Menschen-
rechte in anderen Weltzonen und Kultu-
ren, wenn man so will, der globalen „Zivi-
lisation“, liegt darin, dass dieser Konzep-
tion nicht nur ein bestimmtes Men-
schenbild, sondern letztlich auch eine
deutlich westlich geprägte Auffassung
von der Ordnung des gesellschaftlichen
Zusammenlebens zugrunde liegt. Eine
derartige Auffassung teilt z.B. eine kon-
servativ-radikale Islam-Position nicht –
sie kann sie vom traditionellen Ansatz her
gesehen auch nicht teilen.
Klaus Faber
18
Die Einheit von Politik und Religion gab
es, selbstverständlich, auch im christli-
chen Europa des Mittelalters, trotz aller
Gegensätze in Papst-Kaiser-Dualismus
des Westchristentums und der späteren
Religionskriege, bei denen es im übrigen
zunächst nicht in erster Linie um Glau-
bensfreiheit, sondern um den Sieg des
richtigen Glaubens ging. Erst danach ent-
stand als Folge des militärischen Patts im
Dreißigjährigen Krieg die Idee der allge-
meinen Glaubensfreiheit – nicht nur der
Staaten und Stände, sondern der einzel-
nen Menschen. Sie bildete den Nucleus
aller weiteren „Menschenrechte“, aller-
dings in den Anfängen nur als inner-
christliches Recht auf Glaubensfreiheit
und Gleichbehandlung. Einen vergleich-
baren Entwicklungsweg zur Glaubens-
freiheit, zur Aufklärung und damit auch
zu den westlichen Menschenrechten
haben viele, nicht alle, islamische Bewe-
gungen, Organisationen und Staaten
noch vor sich, nicht hinter sich.
Die Einheit von Politik und Religion,
jeweils nach dem westlichen Kategorien-
verständnis, ist in der ursprünglichen
Islamkonzeption, nach der die Gemeinde
der Gläubigen, die Umma, den islami-
schen Staat bildete, stärker verankert als
in den jüdisch-christlichen Traditionen.
Auch diese waren in den Anfängen nicht
„laizistisch“, und sie konnten es selbstver-
ständlich nicht sein. Jüdische Exil- und
jüdisch-christliche Minderheitserfahrun-
gen in den Zeiten der Verfolgung, für die
Christen vor der Eroberung der Macht im
Römischen Reich, haben aber doch ein
anderes, distanzierteres Verhältnis zum
Staat, letztlich auch zum „eigenen“ Staat,
gefördert oder zumindest zugelassen.
Als Ergebnis einer langen, konfliktreichen
Entwicklung ist „Säkularisierung“ im
Westen ein ganz überwiegend positiv
besetzter Begriff, nicht in gleicher Weise
dagegen in anderen Kulturkreisen, auch
nicht im Haus des Islam.
In Kern bezieht sich deshalb der jetzt,
nach den Massenmorden vom 11. Sep-
tember, wieder stärker diskutierte Kon-
flikt zwischen dem Islam und dem
Westen nicht auf Territorialstreitigkeiten,
wie etwa die israelisch-arabische Ausein-
andersetzung, oder auf, im weitesten
Sinne,soziale Fragen,angefangen von der
– angeblichen oder tatsächlichen – Gefäl-
lelage im Reichtum bis hin zum allgemei-
nen Entwicklungsrückstand der Islam-
welt – es sei denn, man definiere den
alten Gegensatz zwischen Islam und
Nicht-Islam insgesamt als territoriale
und soziale Streitfrage. Terrorismus jed-
weder Form oder Spielart ist dabei als
Kampfform zwar genauso wenig reprä-
sentativ für „den“ Islam wie etwa die ETA-
Attentate für „die“ Basken. Salman Rush-
Gefährdung der Zivilisation
19
Westliche Aufklärung und Islam
die weist aber zu Recht darauf hin, dass
es ebenso falsch wäre, einen Zusammen-
hang zwischen dem Islam, Islamströ-
mungen oder -traditionen und dem aktu-
ellen Terror aus Islamländern schlechthin
zu leugnen. Der Terror ist extremer Aus-
druck für ein Spannungsverhältnis, für
einen Konflikt, der nicht nur in Anschlä-
gen, aber auch durch sie sichtbar wird.
Nicht nur der gebildete, historisch
bewanderte oder konservativ geprägte
Muslim kennt das traditionelle islami-
sche Weltbild. Die Gläubigen wohnen
danach im Haus des Islam (dar al-islam),
die Ungläubigen im Haus des Krieges
(dar al-harb). Aufgabe der Gläubigen ist
es, auch mit den Mitteln des Dschihad,
das Haus des Islam zu verteidigen und
solange zu erweitern, bis es den ganzen
Erdkreis umfaßt. Mit dem Haus des Krie-
ges sind deshalb nur zeitlich begrenzte
Vereinbarungen über einen Waffenstill-
stand zu schließen. Für deren Dauer sind
in der Islamtradition Obergrenzen, etwa
eine Höchstzeit von zehn Jahren, ent-
wickelt worden, um eine Umgehung des
Friedensverbotes gegenüber den Län-
dern der Ungläubigen auszuschließen.
Derartige Regeln bestimmen, selbst-
verständlich, schon seit längerer Zeit
nicht mehr die Staatspraxis der unab-
hängigen islamischen Länder, wofür
bereits das Osmanische Reich in seinen
späteren Entwicklungsphasen ein Beleg
ist. Die dualistische Sicht der Welt ist
aber im Islam nach wie vor präsent,
nicht nur unter „Islamisten“ – was viel-
leicht auch die Parteinahme gegen die
Kriegführung der USA in Afghanistan
zeigt, der in den meisten islamischen
Ländern kein vergleichbar populäres
Engagement in der Ablehnung der Ter-
rorakte vom 11. September gegenüber-
steht. Verschwörungstheorien, nach
denen die „Hand des Ungläubigen“ hin-
ter vielen Übeln vermutet wird, sind
weit verbreitet. Auch in Ländern, die
einen Friedensvertrag mit Israel abge-
schlossen haben, sind, wie Muslime
unterschiedlicher kultureller Prägung
und andere immer wieder berichten,
beachtliche Teile der Öffentlichkeit der
Auffassung, eine „gerechte“ Lösung des
israelisch-arabischen Konflikts setze das
Verschwinden des israelischen Staates,
eines nicht-islamischen Staates mitten
im Haus des Islam, voraus. Öffentlichkeit
und Medien werden dabei vom sonst
überall spürbaren staatlichen Einfluß
kaum behindert und manchmal auch
vom Staat gefördert. Eine Umfrage
unter Syrern, Jordaniern, Libanesen und
arabischen Palästinensern aus dem
Jahre 1999, also vor der neuen „Intifada“,
bestätigt dieses Bild. 70 % wollen
danach überhaupt keinen Frieden mit
Israel, unter welchen Bedingungen auch
immer. Eine große Mehrheit unter den
arabischen Palästinensern billigt nach
neueren Befragungen die gegen Israel
Klaus Faber
20
gerichteten Selbstmordanschläge.
Besonders hoch ist die Zustimmung
unter Jugendlichen.
Der Islamwissenschaftler Bernard
Lewis hat vor kurzem die Auffassung ver-
treten, zwischen den arabischen Palästi-
nensern sowie den arabischen Staaten
einerseits und Israel andererseits könne
es in absehbarer Zeit deshalb keinen dau-
erhaften Frieden geben, weil dieser letzt-
lich nur dann möglich sei, wenn beide
Seiten demokratische Strukturen aufwei-
sen. Die arabischen Länder und die ara-
bisch-palästinensische Autonomiebe-
hörde seien aber von derartigen Verhält-
nissen weit entfernt. Andere, z.B. Walter
Laqueur, formulieren im gleichen Kontext
die These, ein belastbarer Friede sei kaum
möglich, wenn eine beteiligte Seite die
„Schuld“ oder sonstwie definierte Verant-
wortung für negative Entwicklungen nie-
mals bei sich selbst sehe – und das sei
beim arabischen Lager überwiegend der
Fall.
Man könnte, als Indiz für diese im
Ergebnis pessimistische, aber, leider, viel-
leicht realistische Einschätzung, die anti-
israelische Propaganda in den von
europäischen Staaten mitfinanzierten,
neu ausgearbeiteten Schulbüchern der
palästinensischen Autonomiebehörde
oder die entsprechende Gestaltung syri-
scher Schulbücher anführen. Beide unter-
scheiden sich nach westlichen Maßstä-
ben kaum vom traditionellen Antisemi-
tismus. Die Positionen der großen Mehr-
heit der islamischen Staaten auf der UN-
Antirassismus-Konferenz in Durban in
der Debatte über die von ihnen gefor-
derte Gleichsetzung von Rassismus und
Zionismus geben ebenso Anlass zu Fra-
gen an die Friedensbereitschaft. Mit einer
derartigen Gleichsetzung werden übri-
gens posthum Albert Einstein, Kurt Weill,
Martin Buber, Mordechai Anielewicz, der
Kommandant des Warschauer Ghetto-
aufstands, und viele andere zu Rassisten
deklariert.
Zweifel bestehen auch in einer ande-
ren Richtung. Welche Botschaft vermit-
telt uns der ägyptische Staatschef Muba-
rak, wenn er vor wie nach dem 11. Sep-
tember, etwa in einer Pressekonferenz
mit Tony Blair, verkündet, falls nicht der
israelisch-arabische Konflikt rasch, selbst-
verständlich in dem von ihm für richtig
gehaltenen Sinne, gelöst werde, sei mit
anhaltendem Terror zu rechnen? Welche
Signalwirkungen gehen davon auf die
Islamwelt und andere aus, wenn derar-
tige Erklärungen auf keinen Widerspruch
stoßen, auch nicht bei einem britischen
Gefährdung der Zivilisation
21
Terrorismus: Bewertungen im Islam und im Westen
Ministerpräsidenten, der aus nicht ganz
zufälligen Gründen auf der Pressekonfe-
renz anwesend ist? Wie würde sich Tony
Blair – oder ein anderer westlicher Politi-
ker – wohl auf einer Pressekonferenz mit
dem pakistanischen Staatspräsidenten
verhalten, wenn dieser ähnliche Terror-
prognosen für den Fall abgäbe, dass der
Kaschmirkonflikt nicht zur Zufriedenheit
Pakistans geregelt werde?
Derartige Fragen zu stellen, gilt bei
manchen schon als unkorrekt. Sie müs-
sen aber gestellt werden, weil sie auf
einen wesentlichen Aspekt des Problems
hinweisen – auf das Verhalten des
Westens, auf unser Verhalten. Nach den
ersten Schockwellen des 11. September ist
es erneut üblich und fast schon wieder
verbindlich-korrekt geworden, traditio-
nelle westliche Muster zur Terrorerklä-
rung heranzuziehen: Der Nahostkonflikt,
das „Elend in den Flüchtlingslagern“, der
Hunger oder die Dominanz der politi-
schen, wirtschaftlichen und kulturellen
Westmacht seien die Ursache für die Ter-
rorangriffe.Deshalb sei es jetzt besonders
wichtig,sich gegen das neue Islam-Feind-
bild zu wenden, das zunehmend an die
Stelle der früheren Antikommunismus-
position trete. Der Islam sei eine Religion
des Friedens, er verbiete die Gewaltan-
wendung gegenüber Unschuldigen und
sei deshalb keinesfalls für den Terror ver-
antwortlich zu machen. Fundamentalis-
mus-Phänomene finde man nicht nur im
Islam, sondern etwa zu gleichen Teilen als
Minderheits- und gewaltbereite Position
auch im Christen- und Judentum. Terror
sei im übrigen nicht gleich Terror. Es
mache einen Unterschied aus, ob er in
New York oder in Israel zur Befreiung der
arabischen Palästinenser ausgeübt
werde. Als Fazit derartiger Analysen bie-
ten in der Außenpolitik viele an,so schnell
wie möglich, notfalls gegen Israel, einen
„lebensfähigen“ arabischen Staat Palä-
stina zu schaffen sowie die Entwicklungs-
und sonstige Hilfe drastisch zu erhöhen,
falls erwünscht, auch auf dem Gebiet des
Waffenverkaufs etwa an Ägypten.
Man kann, anders als dies zumeist in
öffentlichen politischen Erklärungen
behauptet wird, der Auffassung zunei-
gen, eine Friedensregelung für den
Nahen Osten könne keinesfalls in freier
Aushandlung der Konfliktparteien
erreicht und deshalb nur von außen auf-
gezwungen werden. Die Forderung nach
mehr Geld für die Entwicklungszusam-
menarbeit ist legitim und für manche
Regionen gut zu begründen. In beiden
Elementen einen zentralen Lösungsan-
satz für das Ziel zu sehen, die „Ursachen“
für den Terror zu beseitigen, ist aber
abwegig. Auch wenn es Israel nicht gäbe,
hätten islamische Länder mit Problemen
zu tun, die auf die Begegnung mit der
westlichen Kultur zurückzuführen sind.
Auch ohne Israel gäbe es im Haus des
Islam eine westliche Präsenz, die Kon-
Klaus Faber
22
flikte und Terror auslösen kann, im Rah-
men wirtschaftlicher Beziehungen, nicht
nur auf Ölinteressen zentriert, oder auch
im Kontext militärischer Kooperation. Der
algerische Bürgerkrieg, der jetzt schon
mehr Tote, viele dabei Opfer von Terrorta-
ten, gefordert hat als der Kampf um die
Unabhängigkeit Algeriens, hat nichts mit
Israel zu tun, aber durchaus zu Terroran-
griffen in Europa geführt. Vergleichbare
Terrorfolgen wurden durch Auseinander-
setzungen mit unmittelbarer oder indi-
rekter westlicher Beteiligung ausgelöst,
etwa durch den Krieg um die Unabhän-
gigkeit von Kuweit. Entsprechende
Gefährdungspotentiale enthielten und
enthalten auch andere Konflikte in Islam-
ländern oder ebenso der anhaltende
Krieg des muslimisch-arabischen Nord-
sudans gegen den überwiegend nicht-
muslimischen Südsudan. Die von dem
Fernsehsender Al-Dschasira nach dem 11.
September veröffentlichte Videoer-
klärung Osama Bin Ladens nennt als
Feindschaftsanstoß an erster Stelle, vor
„Palästina“, die westliche Präsenz auf der
arabischen Halbinsel, im Land der zwei
heiligen Städte Mekka und Medina.
Manche Äußerungen westlicher Politi-
ker und Kommentatoren sind vor diesem
Hintergrund in ihrer häufig einseitigen
Ausrichtung auf den israelisch-arabi-
schen Konflikt kaum nachzuvollziehen.
Soll die Vorstellung, durch eine „Lösung“
dieses Konflikts sei die vor dem 11. Sep-
tember empfundene Sicherheit wieder-
herzustellen, der Beruhigung dienen?
Enthält die Fixierung auf die Spannung
zwischen Israel und seinen arabischen
Nachbarn den – untauglichen – Versuch,
die Terrormotivation westlich-säkularen
Zeitgenossen rational zu erklären und in
gewisser Weise zu rechtfertigen? Oder
spielen andere Obsessionen eine Rolle,
die in der Nähe traditioneller westlicher
Vorurteile anzusiedeln wären? Alle drei
Aspekte können eine Rolle spielen.
Enttäuschungen sind auf diesem Weg
in jedem Fall vorprogrammiert. Kein noch
so weitgehendes Zugeständnis auf israe-
lische Kosten und selbst die Opferung
Israels in klassischer Appeasementpolitik,
wenn sie denn, was nicht zutrifft, macht-
politisch durchzusetzen wäre, könnten
die Beschwerdepunkte der „Islamisten“
ausräumen, weil, wie geschildert, der
Konfliktstoff in der Differenz zwischen
dem säkularisierten Westen – als dem
Begründer und Repräsentanten der glo-
balen Zivilisation – und dem nicht in ver-
gleichbarer Weise säkularisierten Islam
liegt.Arabische Gesprächspartner aus der
Gefährdung der Zivilisation
23
Hauptdifferenz: Säkularisierung und Aufklärung
pälästinensischen Autonomiebehörde
oder aus arabischen Staaten mögen aus
leicht erkennbaren Gründen an
bestimmten politischen Botschaften
interessiert sein, z.B. an derjenigen, im
Verhältnis zwischen dem Islam und dem
Westen gebe es im wesentlichen nur das
Israel/Palästina-Problem. Richtig wäre
diese Botschaft dennoch nicht. Sie führt
im besten Fall zu Illusionen über die Kon-
fliktbereinigung, im schlimmsten zu
mehr Terror- und Kriegsopfern.
Osama Bin Laden hat in einem 1999
veröffentlichten Interview, wie es seine
Art ist, sich nicht zu der an ihn gerichteten
Frage geäußert, ob er über nicht-konven-
tionelle Waffen verfüge oder ihren Besitz
anstrebe. Es sei aber die Pflicht jedes
Gläubigen, so Osama Bin Laden, sich ato-
mare, biologische oder chemische Waffen
zu verschaffen, wenn, was der Fall sei, der-
artige Waffen der Verteidigung des Islam
dienten. Es gibt keinen einleuchtenden
Grund für die Annahme, dass hinter die-
ser abstrakt-unpersönlichen Aussage
keine praktische Umsetzungsabsicht
stehe, durchzuführen von demjenigen,
der die Glaubenspflicht formulierte, oder
von vielen anderen, die ihm, auch nach
seinem Tod, folgen werden.
Nur eine klare Abgrenzung und eine
sich daran auch unter taktischen Bedin-
gungen, etwa im Rahmen eines Kriegs-
bündnisses, ausrichtende Politik werden
gegenüber dieser Herausforderung
Erfolg haben. Es ist offensichtlich unreali-
stisch, auf eine umfassende, schnelle
Säkularisierung im Islam zu setzen und
zu warten. Wenig spricht dafür, dass eine
derartige Entwicklung, die sich in Europa
über viele Jahrhunderte erstreckt hat, im
Islam in kürzester Zeit nahezu konfliktfrei
abgeschlossen werden kann. Noch so gut
gemeinte Wirtschafts- und sonstige Hilfe
wird das Konfliktszenario nicht auflösen
können. Die Umwälzungen in Libyen und
im Iran, die Regierungen mit radikal-isla-
mischer Tendenz an die Macht brachten,
haben nicht in Zeiten der Verarmung,
sondern in einer Phase des Wirtschafts-
aufschwungs stattgefunden. Die Hoff-
nung auf eine „Aufklärung“ – eine Säku-
larisierung im Islam – allein durch Wirt-
schaftserfolg ist unbegründet.
Hitlerdeutschlands Versuch der globa-
len Machtergreifung wurde im 20. Jahr-
hundert – im säkularisierten Europa – nur
unter den größten Kraftanstrengungen,
vor allem durch die Vereinigten Staaten
unter Roosevelt, abgewehrt. Erst nach
zwei Weltkriegen sowie nach erheblichen
Menschen- und Gebietsverlusten hat
Deutschland seinen Suprematieanspruch
in Europa aufgegeben. Wir können uns
nicht darauf verlassen, dass der Transfor-
mationsprozeß im Islam ohne Gewalt-
eruptionen ablaufen wird. Wir können,
bislang noch mit guten Gründen, hoffen,
dass der Gewaltausbruch nicht die
Dimension der Weltkriege erreicht.
Klaus Faber
24
Es ist möglich, dass wir uns, wie es jetzt
Jürgen Habermas formuliert hat, aus der
Säkularisierungsphase auf die neue Zeit
einer „postsäkularen“ Gesellschaft zube-
wegen. Ein „Fortbestehen religiöser
Gemeinschaften in einer sich fort-
während säkularisierenden Umgebung“
kennzeichnet, so Habermas, danach
künftig die westliche Gesellschaft. Viel-
leicht befinden sich die Vereinigten Staa-
ten schon deutlicher in diesem Zustand
als West- und Osteuropa. Die mit einer
derartigen Entwicklung vielleicht verbun-
dene Einsicht in die Grenzen der mensch-
lichen Erkenntnisfähigkeit könnte die
Begegnung zwischen dem Westen und
der noch nicht oder nur unvollkommen
säkularisierten Islamwelt unter Umstän-
den entschärfen. Ambivalenz liegt aber
auch in diesem Aspekt; wer im Islam
gegenüber dem Westen die Konfronta-
tion und die Beharrung sucht, wird auch
in der Deklaration eines postsäkularen
Zeitalters nicht Toleranz-, sondern
Kampfsignale hören.
Eine Brücke zum Islam ist bereits heute
vorhanden – unvollkommen, voller Zwei-
deutigkeiten und Gefahren, aber stabiler
als viele andere Bauwerke der Begeg-
nung – und sie sollte verstärkt werden:
die kemalistische Türkei und derjenige
Teil der neuen Turkstaaten, der sich an
diesem Modell orientiert. Wenn eine
sichtbare und wirksame Pflege von Bezie-
hungen einen Sinn macht, dann dort. Es
ist außerordentlich befremdlich, wie
wenig dies, vielleicht unter dem Eindruck
zu kurzfristig ausgerichteter Öl- und
Wirtschaftsinteressen, vor allem die
europäische Politik erkennt. Wie soll man
das Verhalten Deutschlands gegenüber
dem türkischen Vorschlag kommentie-
ren, für die Türkei und die turksprachigen
Länder Asiens eine gemeinsame Begeg-
nungsuniversität in Deutschland, mit
deutscher Unterrichtssprache, zu errich-
ten? Die Anregung ist im föderalen Kom-
petenzdschungel verloren gegangen. Sie
blieb in der Sache unbeantwortet, offen-
bar weil Deutschland in der internationa-
len Wissenschaftskooperation gegenü-
ber derartigen Angeboten eine konkur-
renzfreie Position einnimmt, die jederzeit
eine beliebige Auswahl zwischen ver-
schiedenen Optionen erlaubt.
Terror kann und muß im übrigen ein-
deutig definiert werden: Es ist der
gezielte Angriff gegen unschuldige Zivili-
sten, gegen unbewaffnete Männer,
Frauen und Kinder. Für den so definierten
Terror gibt es keine Entschuldigung und
Gefährdung der Zivilisation
25
Terrordefinition und Terrorrelativierung
keine Rechtfertigung. Er muß als Mord
verfolgt werden, wie jeder andere Mord.
Auch das Motiv der „Befreiung“ rechtfer-
tigt einen Mord nicht; es führt ebenso-
wenig zu mildernden Umständen. Es ist
einer der vorwerfbaren Beiträge zur Ter-
rorförderung vor allem aus Westeuropa,
übrigens auch nach dem 11. September,
wenn ein Terroranschlag mit dem Hin-
weis auf angebliche oder tatsächliche
Befreiungszielsetzungen gerechtfertigt
oder seine Verurteilung relativiert wird.
Wenn Krieg und Unterdrückung, am Aus-
maß der Schäden und des Unrechts
gemessen, Terrorakte rechtfertigen soll-
ten, müßten die Aufständischen im Süd-
sudan und im irakischen Kurdistan, die
verfolgten Minderheiten im Iran oder in
Pakistan, die Muslime im indischen Teil
Kaschmirs, die Uiguren und die Tibeter in
China, die Kabylen in Algerien oder die
Papua-Bevölkerung im indonesischen Teil
Neuguineas schon längst zu Terrormit-
teln gegriffen und die Hochhäuser in
Europa und Nordamerika in Schutt und
Asche gelegt haben.
Die genannten Beispiele machen zwei
Aspekte deutlich: Es geht bei der Erschei-
nung und der Verbreitung des Terrors
nicht um „Elend“,Hunger,Unterdrückung
oder Befreiung, sondern um eine Frage
der Konfliktregeln, um die Frage nämlich,
ob der Zweck, eine wie auch immer defi-
nierte heilige Sache oder ein heiliger,
gerechter Krieg, jedwede inhumane Art
der Gewaltanwendung gegen unschul-
dige Unbewaffnete rechtfertigt. Wer, so
die zweite Schlußfolgerung,Terror recht-
fertigt oder relativiert, bewegt sich auf
abschüssiger Bahn,die nur zu mehr Terror
führen kann.
Wer, wie z.B. im vergangenen Jahr der
britische und der französische Außenmi-
nister, Terrorakte palästinensischer Ara-
ber mit der Bemerkung „differenziert“
bewertet, dass dieser Terror, anders als
die Anschläge des 11. Septembers, durch
das gerechtfertigte Ziel der nationalen
Befreiung motiviert sei, öffnet damit ein
weites Tor. Was hätte etwa die Deut-
schen, am moralischen Maßstab derarti-
ger Erklärungen gemessen, im Rückblick
daran hindern sollen, nach 1945 ihre
über 12 Millionen Flüchtlinge (im
Westen) – wie die arabischen Staaten
nach 1948 einen großen Teil der etwa
700 000 arabischen Flüchtlinge aus
Israel – in Lagern festzuhalten, auf eine
starke Vermehrung und später auf Ter-
roranschläge zur Wiedergewinnung der
verlorenen Gebiete, im Falle Deutsch-
lands der früheren Ostgebiete und des
Sudetenlandes, zu setzen? Bei einer
angenommenen hohen Geburtenrate,
die ungefähr der palästinensisch-arabi-
schen entspricht, stellten nach diesem
Modell die Sudetendeutschen heute in
Tschechien die Bevölkerungsmehrheit,
wenn sie ein Recht auf Rückkehr wahr-
nehmen könnten.
Klaus Faber
26
Hätte, um den Gedankengang zur Ter-
rorrelativierung an einem anderen Bei-
spiel weiterzuführen, nach dem Vorbild
der Flüchtlingspolitik der Arabischen Liga
nicht auch Israel seine jüdischen Flücht-
linge aus orientalischen Ländern ohne
Integrationsangebot in Lagern zusam-
menfassen können, um nach einer ent-
sprechenden Vermehrung dieser Bevöl-
kerungsgruppe notfalls mit Terror durch-
zusetzende Territorialansprüche zu ver-
folgen? In der Dimension entspricht die
arabisch-palästinensische Flüchtlings-
gruppe ungefähr derjenigen der jüdi-
schen Einwanderer orientalischer Her-
kunft in Israel, denen zu einem großen
Teil die Flüchtlingsqualität kaum abge-
sprochen werden kann. Bezieht man in
eine fiktive Landverteilung, die sich an
der jeweiligen Bevölkerungszahl orien-
tiert, die wichtigsten Herkunftsländer
dieser jüdischen Flüchtlinge ein, müßte
Israel (selbst wenn die besetzten Gebiete
mitgerechnet werden) um ein Vielfaches
größer sein, als es heute ist – und zwar
unabhängig davon, ob eine derartige
Ausgleichsrechnung nur arabisch-islami-
sche oder darüber hinaus weitere islami-
sche Herkunftsstaaten berücksichtigt.
Die Bewertungsansätze für den aktuel-
len arabisch-israelischen Territorialstreit
sind – selbstverständlich – alle zwischen
den Konfliktparteien umstritten, wie in
anderen vergleichbaren Auseinanderset-
zungen auch. Man kann der Überlegung,
die Herkunftsregionen von Flüchtlingen
einzubeziehen, allerdings nicht entge-
genhalten, nur die Gebiete nach den jetzt
geltenden Grenzen im engeren Konflik-
traum seien für eine Beurteilung maß-
geblich oder – noch weiter gehend – nur
Bevölkerungsmehrheiten, niemals Min-
derheiten verfügten über territoriale
Rechte. Eine derartige Position würde
ausblenden, dass der Mehrheits- oder
Minderheitsstatus einer Bevölkerungs-
gruppe selbst von der jeweiligen Grenz-
ziehung abhängt. Nicht beachtet würde
dabei ebenso, dass die uns heute
bekannte Territorialaufgliederung erst
nach dem 1. Weltkrieg oder später ent-
standen ist und die Wanderungsbewe-
gungen vor oder nach diesem Zeitpunkt
auch auf der Seite der Muslime sich kei-
nesfalls auf das Mandatsgebiet „Palä-
stina“ beschränkten, das Großbritannien
in den zwanziger Jahren um Transjorda-
nien (heute: Jordanien) reduziert hatte.
Für die Zeit des Osmanischen Reiches
zeigt dies etwa die nicht-arabische Ein-
wanderung von muslimischen Tscherkes-
sen oder Bosniern nach dem heutigen
Israel. Eine genauere Würdigung der
Migrationsvorgänge muß zudem den
Aspekt berücksichtigen, dass die jüdische
Einwanderung die Attraktivität des Terri-
toriums auch für arabische Muslime aus
anderen Regionen erhöht hat. Allein der
zuletzt genannte Umstand macht deut-
lich, dass eine schnelle, undifferenzierte
Gefährdung der Zivilisation
27
Parteinahme – in den europäischen
Medien in der jüngsten Zeit häufig im
antiisraelischen Sinne – den komplexen
historischen Abläufen kaum gerecht wer-
den kann.
Pro-Kopf-Berechnungen zur Raumauf-
teilung, wie die hier für bestimmte
Flüchtlingsgruppen erwähnten, spielen
übrigens in der politischen Argumenta-
tion zu anderen internationalen Konflik-
ten, in denen ein Territorialstreit zu lösen
ist, z.B. in Zypern, durchaus eine Rolle. Soll
in diesem Zusammenhang ernsthaft die
These vertreten und verfolgt werden,
über die Terrorbewertung entscheide in
derartigen Fällen eine Abwägung zwi-
schen konkurrierenden Land- und Moral-
ansprüchen, deren mögliche Komplexität
am Beispiel des Nahostkonflikts darge-
stellt wurde? Was sollte, um über den
Nahen Osten hinaus weitere Konstella-
tionen aufzugreifen, bei einer derartigen,
„differenzierenden“ Abwägungsposition
zum Terror die korsischen, baskischen,
schottischen, armenischen, Südtiroler
oder Kaschmir-Nationalisten daran hin-
dern, Terrorakte zu begehen oder zu ver-
stärken, für das Ziel der „Befreiung“ oder
im Kampf um verlorene Gebiete? Könn-
ten sich nicht auch jüdische Nationali-
sten zu Terroranschlägen gegen westeu-
ropäische Länder aufgefordert fühlen,
um der zu einseitig antiisraelischen Poli-
tik und der ihrer Auffassung nach damit
verbundenen Gefahr für Israel entgegen-
zuwirken?
Es gibt nur eine Antwort auf derar-
tige, nicht in allen Fällen ausschließlich
hypothetisch zu stellende Fragen: Kon-
sequenz und Konsistenz in der Ableh-
nung jedweder Form des Terrors, ohne
Relativierung, ohne Zubilligung mil-
dernder Umstände. Terror darf sich
politisch nicht lohnen; er muß der
deklarierten politischen Absicht viel-
mehr schaden, weil er sie diskreditiert
– so sollte die unmißverständliche Bot-
schaft an die Terroristen und ihre
Unterstützer lauten. Es ist leicht zu
erkennen, dass die europäische Politik
diesen Maximen in vielen Fällen noch
nicht entspricht.
Der Westen, in diesem Fall Europa und
Nordamerika, haben im Umgang mit
einem entfernt vergleichbaren Problem
bereits eine historische Erfahrung gewin-
nen können. Der Piraterie begegneten die
europäisch-amerikanischen Seemächte
anfangs ohne einheitliche Abwehrstrate-
gie. Die Seeräuberei hatte einen territo-
Klaus Faber
28
Historische Erfahrung und aktuelle Priorität:Durchsetzung humaner Konfliktführungsregeln
rialen Schwerpunkt in den Seehäfen Nor-
dafrikas. Sie ging zu einem beachtlichen
Teil auf einen im Motiv nachvollziehba-
ren muslimischen Rachefeldzug nach der
Vertreibung aus Spanien zurück. Die
muslimischen Piraten definierten ihre
Überfälle als „Dschihad“. Infolgedessen
konnten die im Dschihad gefangenen
Ungläubigen als Sklaven verkauft wer-
den. Überwunden wurde die bis in die
erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beste-
hende Gefahr der muslimischen Piraterie
erst, nachdem die zuvor übliche Politik
der gesonderten Duldungsvereinbarun-
gen mit den Seeräuberstaaten Nordafri-
kas aufgegeben und die nicht-muslimi-
schen Seemächte zu einer konsequenten
Bestrafung und Verfolgung der Piraterie
übergingen. Die Verfolgung bezog sich
dabei auch auf die Schutzhäfen der See-
räuber. Amerikanische Seestreitkräfte
haben deshalb im 19. Jahrhundert die
damals nominell türkische Festung Tripo-
lis erobert und zerstört.
Wechselnde Bündnisse auch unter Ein-
beziehung von Seeräuberschutzstaaten
hatte es im Kampf gegen die Piraterie in
der Anfangsphase gegeben, in der aber
Seeverbindungen unsicher blieben, weil
es auf diese Weise nicht gelang, die See-
räuber auszuschalten. Vor diesem Hinter-
grund spielte noch im 19. Jahrhundert, in
der Zeit der von Schweden und dem Wie-
ner Kongreß erzwungenen Union zwi-
schen Schweden und Norwegen, in den
internen schwedisch-norwegischen Aus-
einandersetzungen das Argument eine
Rolle, die norwegische Flagge dürfe auf
hoher See nicht gezeigt werden, da nur
die schwedischen Farben durch Verträge
mit nordafrikanischen Staaten vor Pirate-
rie geschützt seien. Das Osmanische
Reich, abgesehen von Marokko nominell
Oberherr über alle nordafrikanischen
Gebiete, duldete mehr oder weniger die
im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer
deutlicher greifenden europäisch-ameri-
kanischen Gegenmaßnahmen, obwohl
sich z.B. die Verfolgung der Piraten, wie
der Tripolis-Fall zeigt, nicht selten auf sei-
nem Territorium abspielte.
In manchem erinnern diese Vorgänge
an den aktuellen Antiterrorkampf. Bei
allen Unterschieden, die u.a. darin zu
erkennen sind, dass es damals, anders als
heute, keine Islam-Renaissance (auch im
Sinne der Radikalisierung) gab, bestehen
unter einem bestimmten Gesichtspunkt
doch deutliche Parallelen zwischen Terror
und Piraterie: Es geht in beiden Fällen um
die Einhaltung oder Nicht-Einhaltung
von Minimalanforderungen, die für die
Gewaltanwendung gegen zivile Perso-
nen oder Institutionen und darüber hin-
aus für jede Gewaltanwendung bei
militärischen oder vergleichbaren Opera-
tionen gelten. Das Kriegsvölkerrecht, das
derartige Regeln enthält, ist im wesentli-
chen ein in langen Konfliktzeiten zwi-
schen Christenstaaten entwickeltes
Gefährdung der Zivilisation
29
System, dem sich später, nolens volens,
auch islamische oder andere nicht-christ-
liche Staaten anschlossen. Das gleiche
gilt für völkerrechtliche Regeln zur See-
fahrt oder zur maritimen Kriegführung.
Der Islam kannte auf diesem Gebiet
ursprünglich eigene Regelungen, z.B. den
Grundsatz der Schonung einer befestig-
ten Stadt bei unverzüglicher Übergabe
oder auch die erwähnte Regelung, im
Glaubenskrieg gefangene Ungläubige als
Sklaven behandeln zu dürfen – in der Pra-
xis eine wirksame Motivationsförderung
für den Glaubenskrieg. Derartige Vor-
schriften und Praktiken gab es übrigens
früher ebenso in der Christenwelt. Die
Kriegsgaleeren der Malteserritter verfüg-
ten noch im 18. Jahrhundert über Ruder-
mannschaften aus muslimischen Skla-
ven, die bei Überfällen auf muslimische
Schiffe oder Stützpunkte in Gefangen-
schaft geraten waren.
Im innerchristlichen Kriegsvölkerrecht
konnte ein wesentlicher Fortschritt erst
erreicht werden, nachdem sich – müh-
sam – die Erkenntnis durchgesetzt hatte,
dass derartige Regelungen bei der
Behandlung der gegnerischen Soldaten
und Zivilisten nicht darauf abheben durf-
ten, ob ein Krieg „gerecht“ oder „unge-
recht“ sei,was ursprünglich die allgemein
vertretene Position gewesen war. Wie die
Erfahrung zeigte, war es nicht schwer,
trotz einiger Glaubens- und Regelungsin-
stanzen mit verhältnismäßig hoher
Autorität, die jeweils eigene Sache auch
unter christlichen Streitpartnern als
gerecht zu definieren, notfalls unter
Infragestellung der Befugnisse derjeni-
gen, die anderer Auffassung waren. Die
innerchristlichen Glaubenskriege er-
schütterten auf diesem Gebiet ohnedies
die Autorität der religiös-politischen Ein-
richtungen.
Eine auch nur annähernd vergleichbare
Entwicklung wie in der Christenwelt, die
dort letztlich in die Aufklärung und in die
Säkularisierung einmündete, gab es im
Islam nicht. Die Tendenz zur Humanisie-
rung des innerchristlichen Kriegsrechts,
vor allem zugunsten von Zivilisten, fand
im Islam, trotz einiger dahingehender
Ansätze in der älteren Tradition, keine
Entsprechung.
Wir sind zur Zeit Zeugen eines zivilisa-
torischen Rückschritts in der globalen
Debatte über die Regeln zur Konflikt-
führung. Es geht dabei nicht um die neu-
erdings wieder erörterte Frage, ob es
überhaupt gerechtfertigte oder gerechte
Kriege gebe. Gewaltanwendung und
Kriegführung können gerechtfertigt sein,
was man gerade in Deutschland im Rück-
blick auf den Krieg der Anti-Hitler-Koali-
tion oder den Warschauer Ghettoauf-
stand nicht vergessen sollte. Der proble-
matische Aspekt der Debatte wird viel-
mehr in Forderungen sichtbar, eine
besondere Form des „gerechten“ Kriegs
anzuerkennen – heute meist als „Befrei-
Klaus Faber
30
ungskrieg“ oder „Krieg gegen die Besat-
zung“ apostrophiert, die eine Streitseite
in der Kampfführung privilegieren und
sie z.B. vom Terrorismusverbot befreien
soll. Entsprechende Diskussionsbeiträge
gibt es auf allen Ebenen der Politik, ange-
fangen von den Vereinten Nationen über
europäische Gremien bis hin zu Organi-
sationen, die sich mit Menschenrechts-
fragen befassen.
In die Verhandlungen innerhalb der
Vereinten Nationen über eine Antiterror-
Konvention haben islamische Staaten
nach dem 11. September den Vorschlag
eingebracht,Widerstand in einem antiko-
lonialen Befreiungskrieg oder Gewaltan-
wendung gegen eine Besatzungsmacht
generell nicht als „Terror“ zu definieren,
dort also Terror zu rechtfertigen. In derar-
tigen Positionen wird der historische
Rückfall in der internationalen Diskussion
besonders deutlich. Der schleichende
Erosionsprozess wurde auch dadurch
gefördert, dass eklatante Verstöße gegen
das Völkerrecht weder von den Vereinten
Nationen noch von der westlichen Staa-
tengemeinschaft wirksam geahndet und
noch nicht einmal von der westlichen
Öffentlichkeit eindeutig genug verurteilt
wurden. Als Beispiele sind dafür die
Gefangennahme von Angehörigen der
amerikanischen Botschaft in Teheran
durch vom Iran gesteuerte Milizen oder
der Giftgaskrieg des Iraks gegen kurdi-
sche Dörfer und den iranischen Feind zu
nennen. Es ist allgemein bekannt, dass
der Irak in der Produktion von unkonven-
tionellen, völkerrechtlich verbotenen
Waffen auch durch Firmen aus dem
westlichen Ausland unterstützt wurde.
Wenn sich die Tendenzen zur Umwer-
tung von Völkerrecht und zur Duldung
von Völkerrechtsverstößen durchsetzen
könnten, müßte die Kampfebene konse-
quenterweise auf den Streit um die
„Gerechtigkeit“ eines Krieges verlagert
werden. Auch mit Blick auf die Mehr-
heitsverhältnisse in der UN-Vollver-
sammlung mögen sich einige Streitbetei-
ligte,darunter solche aus dem arabischen
und islamischen Kreis, aus der Ebenen-
verlagerung vielleicht Vorteile verspre-
chen. Aber ein derartiges Kalkül beruht
auf sehr zweifelhaften Grundlagen.
Kriegs- und Konfliktführungsregeln, die
eine Seite begünstigen, haben selten
über längere Zeit Bestand gehabt. Wer
mit Terror und mit Massenvernichtungs-
mitteln droht und beides auch einsetzen
will, müßte sich darüber im klaren sein,
dass er damit auf die Dauer zwangsläufig
die Regeln ändern wird, die seine Kon-
fliktgegner ihm gegenüber anwenden.
Es liegt, von allen denkbaren, der ratio-
nalen Argumentation zugänglichen
Ansätzen her gesehen, für alle Staaten
und für alle Kulturkreise, den westli-
chen, denjenigen des Islam und
andere, nahe, zu den ursprünglichen
gewaltbegrenzenden Vereinbarungen
Gefährdung der Zivilisation
31
zurückzukehren. Ein wesentlicher Kern
dieser Regelungen betrifft den Schutz
der Zivilisten. Aber auch der Schutz von
Gefangenen und die Einhaltung
bestimmter Minimalvorschriften im
bewaffneten Kampf sind in diesem
Zusammenhang wichtig. Wer diese
Regeln verletzt, darf sich nicht dadurch
rechtfertigen können, dass er behaup-
tet, für das bessere Lager und eine
gerechte Sache zu kämpfen. Die damit
beschriebene Grundposition muss
zunächst auf der Seite der vom Terror
Angegriffenen, also der demokrati-
schen Staaten, vereinbart und durch-
gesetzt werden – dann auch bei ande-
ren. Wer diese Position nicht teilt, kann
kein zuverlässiger Verbündeter im
Kampf gegen den Terror und, positiv,
für die Menschenrechte sein.
Hitler, so ein vor kurzem zu hörendes
Argument, konnte nur durch eine Koali-
tion besiegt werden, an der sich, was
Demokratie und Menschenrechte anbe-
langt, höchst unterschiedlich legiti-
mierte Partner beteiligten. Churchill hat
denselben Gedanken nach Hitlers Über-
fall auf die Sowjetunion und deren
Kriegseintritt drastischer ausgedrückt:
Gegen Hitler würde er sich selbst mit
dem Teufel verbünden. Von ihm stammt
übrigens auch die Maxime zur Krieg-
führung, dass der Angreifer am Ende kei-
nen Vorteil dadurch erlangen dürfe, dass
er skrupelloser als der Verteidiger die
Kriegsregeln bricht. Churchill hat damit
das Gegenseitigkeitsprinzip beschrie-
ben, auf dem jede internationale Verein-
barung beruht.
In der Tat kann ernsthaft kaum etwas
gegen die Absicht eingewandt werden,
im Kampf gegen den Terror und gegen
den Terror begünstigende Staaten auch
zeitlich begrenzte, taktisch motivierte
Bündnisse einzugehen. Selbstverständ-
lich ist es ebenso richtig, dabei insbeson-
dere islamische Partner, soweit gerade
noch vertretbar, einzubeziehen. Der Islam
läßt, wie nicht nur das türkische Beispiel
belegt, unterschiedliche Interpretationen
zu. Dazu gehören auch Verständnisvari-
anten, die mit den Regeln des demokrati-
schen Verfassungsstaates und für ein
Zusammenleben unterschiedlicher Glau-
bensgemeinschaften sowie der Staaten
vereinbar sind, wie z.B. Bassam Tibi, ein
deutscher, in Syrien geborener muslimi-
scher Professor aus einer alten Damasze-
ner Familie, nicht müde wird, zu Recht zu
betonen. Wäre die Position der Regierun-
gen in einer ganzen Reihe von islami-
schen Staaten nur eindeutig genug – und
Klaus Faber
32
Westliche Fehleinschätzungen
eindeutig genug legitimiert, könnten
diese Interpretationsvarianten dort ohne
weiteres, wie dies etwa in der Türkei der
Fall ist, den Hauptstrom des islamischen
Selbstverständnisses bilden. Bassam Tibi
sagt allerdings auch mit großer Klarheit –
und er war mit dieser Erklärung vor dem
11. September ein ziemlich einsamer
Rufer, dass z.B. die deutschen Behörden,
aber auch diejenigen anderer europäi-
scher Länder die Gefahren des „Islamis-
mus“ sträflich unterschätzt hätten. Nicht
ohne Grund werde Deutschland von isla-
mistischen Terroristen als Ruhe- und Vor-
bereitungsraum sehr geschätzt und des-
halb, sozusagen als Gegenleistung, bis-
lang auch weitgehend verschont.
Bassam Tibi hat übrigens vor kurzem
die Teilnahme an einer Wiener Ge-
sprächsrunde abgelehnt, die unter der
Überschrift „Feindbild Islam“ über aktu-
elle Fragen diskutieren wollte. Es müsse,
so seine Begründung, nach dem 11. Sep-
tember zunächst einmal über das im
Islam verbreitete „Feindbild Westen“
gesprochen werden – zumindest aber
über beide Feindbildvarianten. Unter
anderen Gesichtspunkten zeichnet sich
seine Auffassung ebenso durch eine
deutliche Distanz zu Positionen aus, die
in der Publizistik und in den Medien viel-
fach vertreten werden. Er habe sich als
Deutscher und für Deutschland
geschämt, als er nach der Rückkehr aus
Usbekistan, wo nach den Anschlägen
vom 11. September Sympathie für die
USA. das öffentliche Klima prägte, dem
hierzulande um sich greifenden Antia-
merikanismus begegnet war. Auch im
deutschen „Dialog“ zwischen Vertretern
des Christentums und des Islam gebe es
merkwürdige Aspekte. Manche der
Islamvertreter werfen bei dieser Gelegen-
heit den Christen und insgesamt dem
Westen die „Kreuzzüge“ und den „Koloni-
alismus“ als historische Fehlleistungen
vor – und erhalten dafür, so Tibi, von eini-
gen christlichen Gesprächsteilnehmern
ohne Vorbehalt oder Einschränkung die
gewünschte Entschuldigungserklärung.
Die Dschihadkriege des Islam, die nicht
weniger grausam oder vorwerfbar waren
als die Kreuzzüge, oder die muslimische
Herrschaft über Christenvölker etwa im
Balkan werden nach Tibis Schilderung
von der christlichen Seite offenbar nicht
in eine derartige Debatte eingeführt. Für
den historischen Vergleich könnten in
diesem Zusammenhang der türkische
Bericht über den Verlauf der letzten Bela-
gerung Wiens im Jahre 1683 und die darin
enthaltene Beschreibung der Feinde, der
Verteidiger Wiens, aufschlußreich sein.
Derartige Dokumente lassen erkennen,
dass sich bei einer Einnahme Wiens das
Schicksal seiner Bewohner wohl nicht
wesentlich von demjenigen der muslimi-
schen und jüdischen Bevölkerung Jerusa-
lems nach der Eroberung der Stadt durch
die Kreuzritter unterschieden hätte.
Gefährdung der Zivilisation
33
Vom Angriff freikaufen, wie in der
frühen Piratenzeit, können sich die
europäischen Länder heute jedenfalls
nicht mehr. Allzu lange schon besteht der
Verdacht, europäische Länder hätte
Absprachen mit arabischen Terrororgani-
sationen dahingehend getroffen, sie, die
Organisationen, nicht weiter zu behelli-
gen, wenn sich die Anschläge nicht
gegen die betroffenen europäischen
Staaten selbst oder ihre Nachbarländer,
sondern gegen andere, z.B. gegen Israel,
richteten. Die erstaunlich schnell abge-
wickelte Freipressung von arabischen
Attentätern, die mehrere Mitglieder der
israelischen Mannschaft auf der Münch-
ner Olympiade von 1972 ermordet hatten,
hat immer wieder Spekulationen begün-
stigt, der arabischen Seite, auch der PLO
Arafats, sei damals signalisiert worden,
bei einer künftigen Flugzeugentführung
werde es rasch zu einem Austausch der
Geiseln mit den in Haft befindlichen
Attentätern kommen. Zu dieser Interpre-
tation passen die Worte des damaligen
Sprechers der Bundesregierung zu den
Vorgängen um den Münchner Anschlag,
Deutschland befinde sich, anders als
Israel, nicht im Kriegszustand mit den
Arabern.
Man kann derartige Positionen qualifi-
zieren, wie man will, sie sollten in unse-
rem eigenen Interesse – und in demjeni-
gen der islamischen Länder – nach dem
11. September nicht mehr vertretbar sein.
Vergleichbare Grenzen sind auch bei der
Bildung internationaler Koalitionen zu
ziehen.Abkehr vom Terrorismus ist zu för-
dern, aber sie kann z.B. nicht Straffreiheit
für begangene Massenmorde einsch-
ließen. Länder, die Verfügungsgewalt
über Massenvernichtungsmittel erhalten
wollen und nach wie vor in Reden und
Taten den „guten“, gegen ihre Feinde
gerichteten Terrorismus fördern, haben
auch in einer breiten Antiterror-Koalition
nichts zu suchen. Sie untergraben die
Glaubwürdigkeit eines derartigen Bünd-
nisses und auch des Koalitionsanliegens
selbst. Multilateralismus ist dem Ansatz
nach ein vernünftiges Prinzip; es dient
u.a. dazu, weniger bedeutende Mächte,
wie etwa die europäischen Staaten, an
der internationalen Willensbildung zu
beteiligen. Jeder Grundsatz kennt aber
seine Grenzen. Beim Multilateralismus in
der Terrorbekämpfung werden sie in der
allzu sorglosen Einbeziehung von Bünd-
nispartnern oder auch in den Abstim-
mungsergebnissen der UN-Vollver-
Klaus Faber
34
Minimalforderungen an Konsistenz und Glaubwürdigkeit der eigenen Position
sammlung zum „Terror“ erkennbar, der
dort in höchst unterschiedlicher, zum Teil
unakzeptabler Weise definiert wird.
Beispiele für nicht akzeptable Bünd-
nispartner sind der Iran und das auch von
Deutschland umworbene Syrien, dessen
Außenminister vor kurzem in einem Pres-
segespräch die bislang von seinem Land
eingeschlagene Linie gegenüber den dort
ansässigen Terrororganisationen bestä-
tigt hat. Syrien, so der Außenminister
eines Landes, das im Oktober dieses Jah-
res von der überwältigenden Mehrheit
der UN-Vollversammlung zum nicht-
ständigen Mitglied des Sicherheitsrates
gewählt worden ist, unterstütze die Posi-
tion der radikalen Palästinenser. In der
ersten Phase gehe es darum, Israel dazu
zu zwingen, zu den Grenzen vor dem
Sechs-Tage-Krieg von 1967 zurückzukeh-
ren, der mit der Sperrung der Meerenge
von Tiran durch ägyptische Artillerie
begonnen hatte. Danach setze die zweite
Phase ein, die Auflösung Israels, so der
Außenminister. Auf der Regionalkarte der
offiziellen Website der Syrischen Arabi-
schen Republik steht an der Stelle Israels
konsequenterweise jetzt schon „Palä-
stina“. Derartige und vergleichbare Posi-
tionen anderer Staaten oder Verhand-
lungspartner schränken übrigens die
Konzessionsbereitschaft Israels notwen-
digerweise ein – die dieses Land während
der Friedensverhandlungen unter Clin-
tons Leitung in einem Maß gezeigt hat,
das die meisten nicht erwartet hatten.
Man muß in diesem Zusammenhang
berücksichtigen, dass die palästinensi-
sche Autonomiebehörde ihre Existenz,
ihren Territorialbesitz und die Verfü-
gungsmacht über Waffen ausschließlich
Vereinbarungen mit Israel verdankt. Die
durch Israel erhaltenen Machtmittel wer-
den, unter Verletzung ausdrücklich for-
mulierter Vertragsregelungen, häufig
dazu benutzt, Attentate und Terrorakte
gegen Israel, gegen seine Bürger und Sol-
daten, durchzuführen. Auch wenn deren
Ausführung vom palästinensisch kontrol-
lierten Territorium aus nur geduldet oder
nicht verhindert wird und vor allem wenn
in dieses Gebiet Waffen, darunter Mörser
oder Raketen, geschmuggelt werden, ver-
stößt dies gegen die Abmachungen. Vor
diesem Hintergrund sind israelische
Zweifel nachzuvollziehen, ob in einem
derartigen Vorgehen nicht ein Phasen-
plan nach dem syrischen Modell zu
erkennen ist. Es wäre vor allem die Auf-
gabe westlicher Politiker, um ihrer eige-
nen Glaubwürdigkeit willen der arabi-
schen Seite öffentlich wahrnehmbar
deutlich zu machen, dass man nicht Ver-
einbarungen mit Israel über eine ara-
bisch-palästinensische Staatlichkeit for-
dern und gleichzeitig früher geschlos-
sene Verträge mit Israel regelmäßig bre-
chen kann. Stattdessen hören wir vor
allem von europäischen Politikern und
Medien nach neuen Terroranschlägen
Gefährdung der Zivilisation
35
häufig unverbindliche und folgenlose
Empfehlungen, nicht „an der Gewaltspi-
rale weiter zu drehen.“
Zum Opportunismus neigende Euro-
päer oder Amerikaner sollten sich überle-
gen, welche weitergehenden Zielsetzun-
gen am Ende eines Etappenmodells nach
dem syrischen Muster stehen könnten –
Opportunisten jeder Observanz neigen
freilich nicht dazu, sich derartige Gedan-
ken zu machen. Sie wägen viel lieber ab,
ob es sich lohne, für ferne Menschen oder
Regionen zu sterben, wie etwa für die
polnischen Rechte im früher halbautono-
men, nahezu ausschließlich von Deut-
schen bevölkerten Danzig, wie es man-
che Franzosen am Ende der dreißiger
Jahre formulierten. Von denjenigen, an
die sie sich kritisch und warnend richtet,
wird eine klare Sprache nach innen und
nach außen häufig überraschend gut ver-
standen. Diese Erfahrung könnte wahr-
scheinlich auch mit der Einstellung eini-
ger hier anzusprechender islamischer
Regierungen und mit der Reaktion der
Bevölkerung in deren Staaten gemacht
werden. Wenig wird demgegenüber so
leicht durchschaut wie eine Beschwichti-
gungsgeste.
Versäumnisse und Fehler auf diesem
Gebiet werden, wie wir jetzt wissen, Fol-
gen haben. Massenvernichtungsmittel
(im engeren Sinne) sind bislang noch
nicht verwandt worden, auch wenn wir
die Ermordung von über 3.000 Men-
schen in den USA. mit dem Wort
„Anschlag“ kaum zutreffend beschreiben
können. Ob wir ihren Einsatz in unseren
Städten erleben werden, hängt vor allem
von dem Ergebnis der von den Amerika-
nern und Europäern jetzt eingeleiteten
Gegenmaßnahmen ab. Die Glaubwür-
digkeit der eigenen Position und die Kon-
sistenz des politischen Handelns – bei der
Verteidigung unserer, der globalen Zivili-
sation – spielen dabei eine entschei-
dende Rolle – was Anlaß zu der ersten
Einschätzung gibt, dass nicht alles zum
Besten steht im europäischen Land.
(Aktualisierte Fassung einer
Veröffentlichung in perspektiven ds,
Marburg 2001, Heft 4, S. 8 bis 29)
Klaus Faber
36
Literatur:
Laqueur, Walter, Terrorism, London 1977; deutsch: Terrorismus, Kronberg/Ts. 1977
Lewis, Bernard, The Muslim Discovery of Europe, New York 1982; deutsch:
Die Welt der Ungläubigen. Wie der Islam Europa entdeckte, Frankfurt/M. 1983
ders., Semites and Anti-Semites. An Inquiry into Conflict and Prejudice, New York
1986
Tibi, Bassam, The Challenge of Fundamentalism. Political Islam and the New
World Disorder, Berkeley/Cal. 1998; deutsch: Die neue Weltunordnung: westliche
Dominanz und islamischer Fundamentalismus, Berlin 1999
Faber, Klaus, Globalisierung – nur ein anderes Wort für Verwestlichung? in: Die
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Heft 5 Mai 2000, S. 274ff.
ders., Drei Ringe. Der religiöse Faktor in den internationalen Beziehungen, in: Die
Neue Geselllschaft/Fankfurter Hefte, Heft 7/8 Juli/August 2001, S. 431 ff.
ders., Grundregeln einer künftigen Weltordnung, in: Die Neue Gesellschaft/
Frankfurter Hefte, Heft 11 November 2001, S. 663 ff.
Klaus Faber,Rechtsanwalt in Potsdam. Studium der Rechtswissenschaft in Saarbrücken und
Heidelberg, Studium orientalischer Sprachen. Klaus Faber ist Geschäftsführender
Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern. Er war von 1994 bis 1999 Staatssekretär des
Kultusministeriums von Sachsen-Anhalt und von 1990 bis 1994 als Abteilungsleiter des
zuständigen Landesministeriums in Brandenburg für Wissenschaft und Forschung
verantwortlich. Er ist Mitgründer und Kuratoriumsmitglied des Moses-Mendelssohn-Zen-
trums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und des Berlin-Bran-
denburgischen Instituts für Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Genshagen.
Gefährdung der Zivilisation
37
Der religiöse Fundamentalismus tritt
in allen Religionen als ein Produkt der
fehlenden Bewältigung der Moderne
hervor.Beide Begriffe,Fundamentalismus
und Moderne, sind bisher gleichermaßen
von den Medien und von Laien-Wissen-
schaftlern – also von solchen, die über
keine der beiden Thematiken gearbeitet
haben – über Gebühr strapaziert worden,
so dass mancher vorgeschlagen hat,
gänzlich auf sie zu verzichten. Das kann
wohl nicht die richtige Lösung sein; diese
besteht eher darin, an der Verwendung
bei inhaltlich zugleich klarer und scharfer
Definition beider Begriffe festzuhalten;
darüber hinaus gilt es, diese Termini stets
in ihren historischen Kontext einzuord-
nen. Ohne diese zentralen Begriffe jedoch
können wir die bestehende Herausforde-
rung an unsere Weltordnung weder ver-
stehen noch angemessen deuten.
Die Moderne hat zwei Aspekte bezie-
hungsweise Dimensionen, eine kulturelle
und eine institutionelle. Jürgen Haber-
mas hat die kulturelle Dimension der
Moderne unter dem Terminus des Sub-
39
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne:Zwischen Islam-Reform,religiöser Orthodoxie und dem islamischen Traum von der halben Moderne
von Bassam Tibi*
* Hinweis der Redaktion:Bassam Tibi hat vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11. September2001 sein erfolgreiches Standardwerk „Die fundamentalistische Herausforde-rung – Der Islam und die Weltpoltitik“ überarbeitet und ein neues Kapitel zumschwarzen 11. September und seinem weltpolitischen Rahmen eingefügt. Wirveröffentlichen hier mit freundlicher Genehmigung des Autors Bassam Tibiund des Verlags C. H. Beck das neue Kapitel.Die aktuelle 3., völlig überarbeitete Auflage erscheint im März 2002; etwa 280Seiten, 12,90 €, ISBN 3-406-47641-4
jektivitätsprinzips zusammengefaßt,1 der
sich mit zwei Inhalten füllen lässt: Der
Mensch ist erstens ein Individuum, also
ein Subjekt, welches sich von religiösen
und ethnischen Kollektiven getrennt hat.
Und zweitens ist er als Subjekt ein erken-
nendes, das heißt er geht bei seiner
Suche nach Wissen von dem Primat der
Vernunft, nicht von Traditionen oder von
der religiösen Offenbarung aus.
Die zweite, institutionelle Dimension
der Moderne erwächst aus der ersten, der
kulturellen. Das Subjektivitätsprinzip
ermöglicht dem Menschen, moderne Wis-
senschaft und Technologie zu entfalten
und die dazugehörigen Institutionen zu
bilden.2 Die kulturelle und institutionelle
Moderne ist in Europa parallel zur Genesis
des Westens als Zivilisation im Zeitraum
von 1500 bis 1800 entstanden; auf dieser
Basis hat die „militärische Revolution“ –
die Erlangung der Instrumente der Welt-
beherrschung – stattgefunden.3 Die Ent-
wicklung steht in enger Verbindung mit
dem Islam insofern, dieser im Rahmen der
Entfaltung seiner Zivilisation das erste
Welteroberungsprojekt in der Geschichte
betrieben hat. Die westliche Globalisie-
rung beendete die islamische Djihad-
Expansion.4 Gleich dem Islam stellt auch
die Religion des Christentums – wie der
Westen als Zivilisation – universelle
Ansprüche. Auf einer ethischen Basis kön-
nen der Islam und das Christentum als
Weltreligionen, die beide als abrahami-
tisch bezeichnet werden, friedlich zuein-
ander finden – dies hat der Theologe
Joseph Kuschel überzeugend nachgewie-
sen.5 Wird Religion aber mit politischen
Ansprüchen verbunden und erhebt sie
sich dann zum Absoluten, findet die
besagte Annäherung nicht statt. Die isla-
mische Zivilisation hatte sich in dem Wett-
kampf zwischen Djihad und Kreuzzug
zuerst als überlegen durchgesetzt.6 Dann
allerdings begann in Europa das Zeitalter
der Moderne, das den Islam zum Verlierer
machte. Die Muslime fingen an, sich nach
dem Grund ihrer durch Rückständigkeit
bedingten Unterlegenheit zu fragen. In
diesem Selbstreflektionsprozeß kristalli-
sierten sich zwei konträre Antworten her-
aus: Zum einen der Wahhabismus als
reaktionärste Deutung des orthodoxen
Islam und zum anderen die Islam-Reform
von Muhammed Abduh und Djamaluldin
al-Afghani.7 Nachdem beide das Dilemma
nicht zu lösen vermochten, entstand nach
einem kurzen säkularen Intermezzo der
Fundamentalismus unserer Zeit.
Bassam Tibi
40
1 Siehe Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985.2 Hierzu die Arbeit von Anthony Giddens, The Consequences of Modernity, Stanford 1990.3 Vgl. Geoffrey Parker, The Military Revolution. The Rise of the West 1500-1800, Cambridge 1988, deutsche Überset-
zung: Die militärische Revolution: Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500-1800, Frankfurt/M. 1990.4 Hierzu B. Tibi, Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, München 1999 (neu 2001 mit einem Vorwort
zum 11. September), Kapitel 6 und 7.5 Vgl. Karl-Josef Kuschel, Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint, München 1994.6 Vgl. B. Tibi, Kreuzzug und Djihad (wie Anm. 4).7 Hierzu B. Tibi, Vom Gottesreich zum Nationalstaat. Islam und panarabischer Nationalismus, 3. erweiterte Neuaus-
gabe, Frankfurt/M. 1987 (Neudruck 2001).
In Deutschland haben Sozialwissen-
schaftler und Orientalisten gleicher-
maßen jede fachliche Debatte über den
religiösen Fundamentalismus verhindert.8
Diese so wichtige wissenschaftliche Aus-
einandersetzung fand dafür im Rahmen
des internationalen Fundamentalismus-
Projektes der American Academy of Arts
and Sciences statt. Nach dem Ende des
Ost-West-Konfliktes verbreitete sich in der
gesinnungsethischen Publizistik die Weis-
heit, dass der Westen zu seiner Stabilität
stets externe Feinde benötige, und dass
diese Stabilität nun gefährdet sei, wenn
man, nach dem Zusammenbruch des
Kommunismus, keinen Ersatzfeind finden
könne. Publizisten, die dieser merkwürdi-
gen Auffassung waren, meinten, dass der
islamische Fundamentalismus in den
Medien aufgebaut werde, um die ehema-
lige Rolle des Kommunismus für die Stabi-
lisierung des Westens zu übernehmen.
Ebenfalls wird ohne Kenntnis der Tatsa-
chen behauptet, dass anstelle des Ost-
West-Konfliktes nunmehr ein Nord-Süd-
Konflikt treten werde, ausgetragen unter
anderem in der Konfrontation zwischen
dem Westen und der Welt des Islam. Fun-
damentalismus-Kritikern wurde von die-
sen Publizisten vorgeworfen, sie arbeite-
ten an dem Aufbau eines neuen Feindbil-
des für den Westen – des „Feindbildes
Islam“. In diesem Buch wird gezeigt, wie
simpel solche „Weisheiten“ sind, dass der
Fundamentalismus, ebenso wie seinerzeit
der expandierende Kommunismus kein
erfundenes „Gespenst“ der Medien, son-
dern Realität ist. Allerdings distanziert sich
die vorliegende Untersuchung eindeutig
von den Zerrbildern über diesen Gegen-
stand, die bestimmte Panikmacher in den
Medien verbreiten.
Max Horkheimer hat den Stalin’schen
Kommunismus mit dem Hitler’schen
Faschismus verglichen, ohne sich deshalb
die Ideologie des Kalten Krieges zu eigen
zu machen.9 Ähnlich wird in diesem Buch
der totalitäre Fundamentalismus als
Feind von Demokratie und Menschen-
rechten kritisiert, ohne dass es sich des-
halb in die Reihen der Panikmacher und
Populärskribenten über den Islam einord-
net. In diesem Buch wird der totalitäre
Fundamentalismus nicht mit der islami-
schen Offenbarungsreligion und ihrer
großartigen Zivilisation vermengt. Gegen
den Islamismus wird hier ein liberaler
Islam hervorgehoben, der zwar auch die
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
41
8 Vgl. Dieter Senghaas, „Schluß mit der Fundamentalismus-Debatte. Plädoyer für eine Reorientierung des interkultu-rellen Dialogs“, in: Blätter für die deutsche und internationale Politik, Bd. 40 (1995), H. 2, S. 180-191. Dieser Aufrufwurde bestens in der Orientalistik befolgt: ich besitze Gutachten, in denen Orientalisten gegen die Förderung die-ser Forschung auftreten; ich zitiere anonym daraus in meinem Buch: Fundamentalismus im Islam. Eine Gefahr fürden Weltfrieden?, Darmstadt 2000 (3. erweiterte Neuausgabe 2002).
9 Vgl. Max Horkheimer, Kritische Theorie, 2 Bde., Frankfurt/M. 1968, hierzu Vorwort, Bd. 1, S. XIII.
1. Der islamische Fundamentalismus ist eine Realität, kein Medienprodukt
von Fundamentalisten angeprangerte
Weltordnung bemängelt, sich jedoch mit
der Kritik an Ungerechtigkeiten begnügt
und daher keine Ideologie mit dem Ziel
einer islamischen Weltordnung ist. Vor-
rangig gilt es jedoch zunächst zu klären,
wie der Fundamentalismus im Islam aus
einem gescheiterten islamischen Um-
gang mit den Herausforderungen einer
von der westlichen Moderne dominier-
ten Welt hervorgetreten ist.
Eine sachliche Analyse wird von der
Wahrnehmung des Fundamentalismus als
Schreckgespenst im Journalismus und in
den Massenmedien behindert. Zahlreiche,
durch ihre unübertreffliche Fülle an Sach-
fehlern signifikante Bücherserien sowie
Fernsehreportagen haben breite Teile der
deutschen Öffentlichkeit in dieser Hinsicht
geprägt. Unter islamischen Fundamentali-
sten stellt man sich geistlose, schmutzige
und ungepflegte bärtige Fanatiker vor, die
als Terroristen wirken und die Zivilisation
bedrohen. Nach dem 11. September 2001
spricht ein Orientalist sogar von Söldnern,
offensichtlich ohne zu wissen, dass Neo-
Djihad-Fundamentalisten keine Bezah-
lung erhalten. „Analytiker“, die vom
Mißbrauch der Religion durch Fundamen-
talisten sprechen, vergessen, dass auch
diese praktizierende Muslime sind, das
heißt fünfmal am Tag beten, wozu sie die
rituelle, religiös vorgeschriebene Wa-
schung ihres Körpers vornehmen müssen
– schon allein deshalb können sie nicht
schmutzig sein. Zumindest dürfte es sich
hiernach um Menschen handeln, die strikt
die Kultvorschriften ihrer Religion zur Rein-
haltung des Körpers befolgen. Ob sie darü-
ber hinaus unbedingt zum Mittelalter
zurück wollen – wie einmal der Spiegel in
einer Titelgeschichte vermutete, ist eine
Frage, auf die dieses Buch eine Antwort zu
geben versucht. Vorab sei hier nur ange-
merkt, dass Fundamentalisten keine Tradi-
tionalisten sind; der Gegenstand ist weit
komplexer, als es die verbreiteten Klischees
unterstellen. Fundamentalisten wollen
sich die Errungenschaften des modernen
Zeitalters aneignen, wenngleich sie, wie
wir noch genauer sehen werden, das ratio-
nale mensch-orientierte Weltbild der kul-
turellen Moderne zurückweisen. In diesem
Drang nach einer Synthese von vormoder-
nen religiösen Vorschriften und willkürlich
ausgewählten Elementen der Moderne,
das heißt nach einer Gleichzeitigkeit von
Ungleichzeitigem, liegt das zentrale Pro-
blem der Fundamentalisten; sie wollen
sich die materiellen Güter der Moderne,
nicht aber ihre Weltsicht und ihren Geist
(Pluralismus, religiöse Toleranz und indivi-
duelle Menschenrechte sowie Säkularität
und anderes) aneignen. Es handelt sich um
den Traum von einer halben Moderne.10
Die in den Medien verbreiteten Simplifizie-
Bassam Tibi
42
10 Hierüber vgl. die Einleitung von B. Tibi, Islamischer Fundamentalismus, moderne Wissenschaft und Technologie,Frankfurt/M. 1992 (Neudruck 2001), S. 12-27.
rungen und Irrvorstellungen über den
Islam vermitteln keine angemessenen
Informationen über den Gegenstand,
geschweige denn ein analytisches Bild von
seiner Komplexität.
Zu den intellektuellen Urhebern des
Vorwurfs „Feindbild Islam“ gehört
Edward Said, der den Begriff „TV-Muslim“
geprägt hat. Said hat sich nach dem 11.
September 2001 in einer höchst unquali-
fizierten Weise zu Wort gemeldet, als er
den Fundamentalismus als ein Medien-
produkt darstellte: Die Täter des 11. Sep-
tember 2001 seien ein Haufen „verrückter
Menschen“, die mit dem Islam nichts zu
tun hätten.11 Zwar ist das nicht das Thema
dieses Kapitels, aber uns interessiert der
intellektuell inkonsistente Zusatz von
Said: Die Terroristen des 11. September
2001 seien weder antiwestlich noch
gegen die Moderne; ihre Beherrschung
moderner Technologie – bewiesen durch
die Wahrnehmung der Pilotenfunktion –
zeige dies. An anderer Stelle habe ich
Edward Saids Denken als „postmoderne
Gegenaufklärung“12 bezeichnet, hier
kann es nicht darum gehen, seine Denk-
fehler und Fehlinformationen zu korrigie-
ren. Vielmehr führe ich Said deshalb an,
um die zwei zentralen Ideen dieses Kapi-
tels hervorzuheben: Erstens, der islami-
sche Fundamentalismus, zu dem die al-
Qaida mit ihrem Netzwerk in ca. 60 Län-
dern der Erde gehört, ist eine weltpoliti-
sche Realität. Die Zerstörung der beiden
Türme des World Trade Center als Symbol
des Westens13 war keine Konstruktion im
postmodernen Sinne, die dekonstruiert
werden kann, sondern eine brutale
Objektivität. Und zweitens, islamische
Fundamentalisten sind keine Traditionali-
sten, sondern moderne Menschen, die
sich die institutionelle Moderne in Form
von Wissenschaft und Technologie bei
gleichzeitiger Ablehnung der kulturellen
Moderne aneignen wollen.14
Ebenso wie der Fundamentalis-
mus keine Konstruktion der Medien ist,
ist dieses Phänomen auch kein Produkt
des Ölbooms. Nach dieser Logik hätte es
nämlich keinen islamischen Fundamen-
talismus gegeben und wir wären von den
Auswüchsen dieses religiös-politischen
Phänomens verschont geblieben, wäre
der Ölpreis nicht durch die beiden Ener-
giekrisen von 1973 und 1979 gestiegen
und hätte Saudi-Arabien nicht so viele
Petro-Dollars durch seine Erdölexporte
eingenommen. Es ist zwar eine unbestrit-
tene Tatsache, dass die islamisch legiti-
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
43
11 Vgl. Edward Said, „Kampf den Ignoranten“, in: Die Welt vom 20.10.2001 und der Gegenartikel von B. Tibi, „ZwischenSaid und Huntington“, in: Die Welt vom 26.10.2001, S. 8.
12 Vgl. B. Tibi,„Edward Said und die Gegenaufklärung“, in: Der Standard (Wien) vom 10. November 2001, Beilage: Album,S. 3.
13 Zu den beiden Towers vgl. Angus K. Gillespie, The Life of New York City's World Trade Center, New Brunswick/NJ 1999(neu 2001).
14 Hierzu meine in Anm. 10 zitierte Arbeit sowie William M. Watt; Islamic Fundamentalism and Modernity, London1988.
mierte saudische Monarchie die isla-
misch-fundamentalistischen Bewegun-
gen weltweit mit diesen Petro-Dollars
massiv und großzügig unterstützt hat.
Die Vorstellung, der islamische Funda-
mentalismus hänge mit Öl und mit
Petro-Dollars zusammen, wird jedoch
fragwürdig, wenn man nach dem sau-
disch-amerikanischen Bündnis gegen
den Irak während der Golfkrise und dem
Krieg von 1990/91 vernimmt, dass die
meisten fundamentalistischen Bewe-
gungen ihren Gönner, die saudische
Petro-Dollar-Monarchie, mit den USA auf
die gleiche Stufe setzen. Islamische Fun-
damentalisten erklärten Saudi-Arabien
gleichermaßen wie den Amerikanern den
Djihad, obwohl ihre Petro-Dollars emp-
fangenden Führer sie davon abzuhalten
versuchten. Der islamische Fundamenta-
lismus des Osama Bin Laden15 ist aus die-
sem Kontext hervorgegangen. Es sei noch
nebenbei angemerkt, dass die funda-
mentalistische Bewegung nicht allein
auf den Islam beschränkt ist. Den Funda-
mentalismus findet man in den meisten
nicht-westlichen Kulturen als eine anti-
westliche Ideologie beobachten, und
sogar in den USA ist er als ein Aufstand
gegen die Moderne zu beobachten.
Die These, die ich in diesem Abschnitt
entfalte, bezieht sich auf die Einstellun-
gen islamischer Fundamentalisten zur
Moderne16, sowohl bei der Bestimmung
ihrer selbst in bezug auf die eigene Kultur
als auch in der Beziehung zu den Ande-
ren. Der Idealzustand der islamischen
Fundamentalisten ist die islamische Ver-
gangenheit und spezifisch der Ur-Islam
der Propheten; ihre Utopie ist also rück-
wärts gerichtet. Andererseits übersehen
sie aber nicht, dass die islamische Zivilisa-
tion ohne Wissen und Technologie nicht
auskommen kann. Um diese Zusammen-
hänge besser zu verstehen, müssen wir
den islamischen Fundamentalismus als
gesellschaftliche und weltpolitische
Wirklichkeit ernsthaft studieren und ihn
weder als ein Medienprodukt noch als
eine Ausgeburt von Petro-Dollars auffas-
sen;er ist vielmehr ein zeitgeschichtlicher
Ausdruck einer umfassenden Krise in
jenem Teil der Welt, den man von außen
als „Welt des Islam“ bezeichnet und
deren Angehörige sich im Verlauf der
Krise als eine Welt für sich wahrnehmen
Bassam Tibi
44
15 Zu Bin Laden vgl. die Arbeit von Peter Bergen: Heiliger Krieg Inc. Osama Bin Ladens Terrornetz, Berlin 200116 Vgl. B. Tibi, „The Worldview of Sunni Arab Fundamentalists. Attitudes Toward Modern Science and Technology“, in:
Martin Marty/Scott Appleby (Hg.), The Fundamentalism Project. Bd.2: Remaking the World, Chicago 1992, S. 73-102.
2. Islamischer Fundamentalismus als eine rückwärts orientierte Protest-bewegung und die kulturelle Moderne
und sich ghettoisieren. Doch die Bezeich-
nung ist insofern willkürlich, als es eine
„islamische Welt“ als eine Welt für sich
seit der Globalisierung und der hiermit
zusammenhängenden Konfrontation der
Muslime mit dem technisch-wissen-
schaftlich und auch militärisch-technolo-
gisch überlegenen Westen nicht mehr
gibt, obwohl heute der Versuch unter-
nommen wird, sie neu zu formieren. Im
modernen Zeitalter haben die Muslime
den Westen als eine militärisch superiore
Macht kennengelernt. Der Historiker
Geoffrey Parker weist nach, dass der
Westen in der Periode von 1500 bis 1800
seinen Aufstieg als eine Militärmacht
einleitete (vgl. Anm. 3). Sowohl im Golf-
krieg 1991 als auch in dem Krieg gegen
die al-Qaida Bin Ladens im Jahre 2001 hat
der Westen seine Militärmacht zur Schau
gestellt.
Seit der Begegnung mit dem Westen
ist das Gefüge der „islamischen Welt“ auf
allen Ebenen, der politischen, der ökono-
mischen und auch der kulturellen,
zutiefst erschüttert; die Muslime befin-
den sich seither in einer doppelten Krise,
einer Struktur- und einer zivilisatorischen
Identitätskrise. In der anfänglichen Phase
des Aufstieges der westliche Zivilisation
haben die Sultane des Osmanischen Rei-
ches, welche die damalige Welt des Islam
repräsentierten, ihre Emissäre nach
Europa entsandt, um die Ursachen der
europäischen Überlegenheit zu erkun-
den17. Darauf folgten Bemühungen, „die
europäische Armee zu importieren“18.Seit
dem 19. Jahrhundert strömen Muslime
nach Europa, um europäische Wissen-
schaft und Technologie zu studieren. Die
Ergebnisse waren folgenreich: Weder
haben Muslime seither ihre islamische
Tradition in reiner Form erhalten können
noch sind sie in dem Sinne verwestlicht,
dass sie sich in die europäische Moderne,
die sie sich aneignen wollten, einfügen
könnten. Der Fundamentalismus hängt
mit diesem Scheitern einer auch kulturel-
len Verwestlichung beziehungsweise
einer Aneignung der Moderne zusam-
men. In dieser Verlorenheit greifen Mus-
lime, meist Städter, die in der Regel
zumindest über ein Minimum an Schul-
bildung verfügen, auf den Islam als das
Allheilmittel gegen die Ursache ihrer
Krise zurück und politisieren ihre Religion
mit dem Resultat des Fundamentalis-
mus. Die Ursache für ihr Elend verorten
die heutigen Muslime im Westen, der
ihre Desorientierung hervorgerufen hat.
Dabei entsteht Haß und ein damit korre-
spondierendes „Feindbild Westen“.
Im Verlauf dieser Krise entwickeln sich
viele gebildete Muslime zu Fundamenta-
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
45
17 Hierzu Fatma Müge-Göcek, East Encounters West. France and the Ottoman Empire in the 18th Century, New York1987, S. 7ff., 72ff.
18 Siehe David B. Ralston, Importing the European Army. The Introduction of European Military Techniques and Insti-tutions into the Extra-European World 1600-1914, Chicago 1990 und auch Kapitel III über den „industrialisiertenKrieg“ in Tibi, Islamischer Fundamentalismus, moderne Wissenschaft und Technologie (wie Anm. 10).
listen. Wichtig ist in diesem Zusammen-
hang meine Unterscheidung zwischen
organisierten Fundamentalisten, die sich
zumeist im Untergrund befinden, und
Weltsicht-Fundamentalisten. Letztere
teilen die Weltbilder des religiösen Fun-
damentalismus, sind jedoch keine politi-
schen Aktivisten. Generell geht der Fun-
damentalismus aus der angesprochenen
umfassenden doppelten Krise hervor, das
heißt einer Sinnkrise und einer materiel-
len Krise, die den islamischen Orient ins-
gesamt betrifft.19 Heutige Muslime has-
sen den Westen und heiligen alles, was
anti-westlich ist, eben weil sie im Westen
eine moderne Krankheit sehen, die ihr
Dar al-Islam/Haus des Islam heimge-
sucht hat. Für sie ist die Wiederbelebung
des Islam das probate Heilmittel gegen
diese Krankheit, die als „intellektuelle
Invasion“ diagnostiziert wird.20 Khomeini
hat für dieses Leiden den Begriff „West-
krankheit/Gharbzadeh“21 geprägt.
In seiner anti-westlichen Orientierung
dient der fundamentalistische Islam als
Artikulationsform einer „patriarchali-
schen Protestbewegung“22, die sowohl
hilft, die Unzufriedenheit zum Ausdruck
zu bringen, als auch das erlittene Elend
zu kompensieren. Über die Funktion
eines Vehikels für anti-westliche Attitü-
den hinaus kann der fundamentalisti-
sche Islam auch die Funktion einer reli-
giös-politischen Ideologie der Opposi-
tion gegen bestehende Regime erfüllen.
Natürlich darf dabei nicht übersehen
werden, dass der Islam nicht nur als eine
oppositionelle Ideologie für Fundamen-
talisten dient, sondern ebenso als eine
Legitimationsbasis für bestehende poli-
tische Ordnungen herangezogen wird.
Man denke zum Beispiel an die islami-
sche Legitimation der Königreiche von
Saudi-Arabien und Marokko.23 Doch grei-
fen Fundamentalisten heute Saudi-Ara-
bien als ein pro-westliches Land an und
sprechen diesem den islamischen Cha-
rakter ab, obwohl sie vor dem Golfkrieg
auf dessen Petro-Dollar-Zuwendungen
angewiesen waren. Im Dezember 1991
hat der saudische Landesmufti Scheich
‘Abdelaziz Ibn Baz die islamischen Fun-
damentalisten in einem scharfen Ton
angegriffen.24
Bassam Tibi
46
19 Zu diesem doppelten Aspekt der Moderne (kulturelles Projekt und globalisierte institutionelle Dimension) vgl. denEssay im Anhang zu der erweiterten Neuausgabe von B. Tibi, Die Krise des modernen Islams. Eine vorindustrielle Kul-tur im wissenschaftlich-technischen Zeitalter, Frankfurt/M.2 1991, S. 202-279.
20 Vgl. Ali Muhammad Djarischa/Muhammad Scharif al-Zaibaq, Asalib al-ghazu al-fikri li al-'alam al-Islami (Die Metho-den der intellektuellen Invasion der islamischen Welt), Kairo 1978, bes. S. 10ff.
21 Westoxication/Gharbzadeh bedeutet Westkrankheit und ist als fundamentalistische Bezeichnung verwestlichterislamischer Intellektueller durch islamische Fundamentalisten diskriminierend geprägt worden.
22 Eine seriöse wissenschaftliche Deutung des Fundamentalismus in deutscher Sprache legte der heute in Chicagolehrende Soziologe Martin Riesebrodt, Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung, Tübingen 1990 alsHabilitationsschrift vor; vgl. dazu meine Würdigung, in: Soziologische Revue, H. 1 (1992).
23 Vgl. das Kapitel über Saudi-Arabien und Marokko in B. Tibi, Der Islam und das Problem der kulturellen Bewältigungsozialen Wandels, 3. Auflage Frankfurt/M. 1991, Kapitel 11.
24 Vgl. hierzu den Bericht in International Herald Tribune vom 31. Dezember 1991.
Die Kriege am Golf 1991, in Bosnien, im
Kosovo, in Kaschmir, in Tschetschenien
und in Afghanistan zeigen den erfolgrei-
chen politischen Einsatz des Islam als
eine anti-westliche Ideologie. Der saudi-
sche König, der den Titel „Khadim al-hara-
min al-scharifain/Hüter der heiligen
Schreine“ von Mekka und Medina trägt,
wurde von islamischen Fundamentali-
sten heftig angefeindet. Sie verzeihen
ihm bis heute nicht, dass er amerikani-
sche Truppen zum Schutze seiner Monar-
chie in das Land der islamischen Offenba-
rung gerufen hat. Bin Laden hatte in sei-
nen Djihad-Reden mehrfach den Abzug
der US-Truppen aus dem „Heiligen Land“
gefordert. In diesem Zusammenhang
scheint es skurril, dass der arabische Dik-
tator Saddam Hussein, der acht Jahre
lang gegen die Islamische Republik von
Iran Krieg geführt25 und zahlreiche islami-
sche Oppositionelle in seinem Land
gehängt hatte, plötzlich 1990/91 den
großen Beifall der Fundamentalisten
erhielt. Die Leistung des einst säkular ori-
entierten irakischen Despoten bestand
damals vornehmlich darin, Amerika als
der Verkörperung des Westens den Heili-
gen Krieg erklärt zu haben. Der ägypti-
sche Fundamentalist ‘Adel Hussein
schrieb seinerzeit, dass Saddam Hussein
allein durch die Herausforderung Ameri-
kas beweise, dass er sich bekehrt habe
und nun im Dienst des Islam stehe.26
In meiner für das bereits erwähnte glo-
bale, kulturvergleichende Fundamenta-
lismus-Projekt der Amerikanischen Aka-
demie für Kunst und Wissenschaft in
Kairo durchgeführten Befragung von
Muslimen unterschiedlicher Richtungen
bin ich zu folgendem Ergebnis gekom-
men27: Es gibt heute unter den Muslimen
nur ganz wenige, welche die moderne
Wissenschaft und Technik pauschal
ablehnen. Die Mehrheit tritt, soweit sie
über ein Minimum an Bildung verfügt,
parallel zu ihrer Bewahrung der organi-
schen, alle Lebensbereiche umfassenden
islamischen Weltsicht, für eine Über-
nahme moderner Errungenschaften ein.
Gleichzeitig jedoch wird die kulturelle
Moderne abgelehnt, das heißt jene, die
neben technischen Errungenschaften
auch Pluralismus im Sinne der Freiheit
des Andersdenkenden beinhaltet sowie
eine rationale, von den religiösen
Grundsätzen getrennte Sicht der Welt,
die den Menschen als ein freies Subjekt
anerkennt. Auf der angeführten For-
schung basierend, argumentiere ich, dass
die fundamentalistische Weltsicht die
heute vorherrschende unter den Musli-
men bildet. Das Aufblühen dieser Welt-
sicht korreliert nicht nur mit dem Unter-
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
47
25 Hierüber im einzelnen Sharam Chubin und Charles Tripp, Iran and Iraq at War, Boulder/Col. 1988.26 So 'Adel Hussein in seinem Artikel in der prominenten fundamentalistischen Kairoer Wochenzeitung al-Scha'b: „Li
man nad'u bil nasr fi salatuna (Für wen sollen wir beten für den Sieg?)“, in: al-Scha'b vom 21. August 1990.27 Die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung sind in B. Tibi, Islamischer Fundamentalismus, moderne Wissen-
schaft und Technologie (wie Anm. 10), Kapitel V, enthalten.
gang aller säkularen Orientierungen in
der Welt des Islam, die zumeist normativ,
das heißt ohne ein soziales Substrat sind.
Der Aufstieg des islamischen Fundamen-
talismus bedeutet auch den Untergang
der einst nur im Ansatz vorhandenen,
aber doch wichtigen modernen Tradition
eines islamischen Liberalismus28, von der
heute nirgendwo eine signifikante Spur
geblieben ist. Die Weltsicht-Fundamenta-
listen bilden in unserer Gegenwart – etwa
im Gegensatz zu den islamistischen poli-
tischen Aktivisten, die heute als Djihad-
Kämpfer auftreten – keine Minderheit.
Die Herausforderung der europäischen
Moderne und ihrer eingangs erläuterten
zwei Aspekte, des kulturellen Projektes
und der Globalisierung der institutionel-
len Dimension, bildet den Hintergrund
des islamischen Fundamentalismus.
Bruce Lawrence, der eine global ausge-
richtete, komparative Studie über den
Fundamentalismus angefertigt hat, geht
auf diesen Kontext ein und führt aus:
„Fundamentalisten stellen sich gegen
den Modernismus … Jedoch ist die
Modernität … die Schlüsselkategorie für
jede Interpretation des Fundamentalis-
mus. Die Moderne ist und bleibt der ein-
hüllende Kontext. Ohne die Moderne
gäbe es weder Fundamentalisten noch
Modernisten. Die Identität der Funda-
mentalisten wird, gleichermaßen in Hin-
blick auf ihre psychologische Verfassung
und der hierzu gehörenden historischen
Strömung, entscheidend von eben dieser
Moderne geprägt. Die Fundamentalisten
... sind die Konsequenz der Moderne und
die Antithese zum Modernismus
zugleich.“29
Diese Einschätzung könnte bei ober-
flächlichem Hinsehen als eine Deutung
des Fundamentalismus im Sinne einer
atavistischen Bewegung, die von der
Sehnsucht nach Rückkehr zum Mittelal-
ter genährt wird, mißverstanden werden.
Fundamentalisten pflegen zwar eine
rückwärts orientierte Ideologie, sind aber
eindeutig keine Traditionalisten, so sehr
sie sich auch auf die Tradition berufen
und so verbal aggressiv sie die kulturelle
Moderne zurückweisen. Die Antinomie
des Fundamentalismus liegt darin, dass
seine Anhänger sich die Errungenschaf-
ten der Moderne aneignen wollen,
jedoch gleichzeitig das hierzu gehörige
mensch-zentrierte Weltbild, das heißt
den Glauben, der Mensch sei der verant-
wortliche Schöpfer seiner eigenen
Umwelt (Könnens-Bewußtsein), strikt
ablehnen. Lawrence definiert fundamen-
talistische Strömungen adäquat als
„sozio-religiöse Bewegungen in der
modernen Welt, die die instrumentellen
Bassam Tibi
48
28 Leonard Binder, Islamic Liberalism. A Critique of Development Ideologies, Chicago 1988. Vgl. auch B. Tibi, „Vom libe-ralen Islam zur Militanz des islamischen Fundamentalismus“, in: Neue Politische Literatur, Bd. 36 (1991), H. 4, S. 476-489.
29 Bruce B. Lawrence, Defenders of God. The Fundamentalist Revolt Against the Modern Age, San Francisco 1989, S. 2.
Vorteile der Modernität, nicht aber ihre
neue Wertorientierung annehmen wol-
len“.30 Diese neue Wertorientierung kön-
nen wir in einem Wort umschreiben: Auf-
klärung. Ihre zentrale Leistung ist das,
was Borkenau als „Übergang vom feuda-
len zum bürgerlichen Weltbild“31 bezeich-
net hat. Ihr ging die Renaissance voraus,
die das Paradies säkularisierte, so dass
man, wie Bloch es formulierte, „des Him-
mels nicht mehr bedarf“.32 Fundamenta-
listen lehnen dieses mensch-zentrierte
säkulare Weltbild ab und greifen auf „das
Reich Gottes“ als Gegenutopie zurück,
jedoch ohne die technisch-wissenschaft-
lichen Errungenschaften der Moderne
abzulehnen; sie wollen die institutionell-
instrumentelle Moderne mit mittelalter-
licher Theologie verbinden und so ihren
Traum von einer halben Moderne ver-
wirklichen.33
Vor diesem Hintergrund stellen sich
zwei Fragen: Erstens, was genau ist mit
dem Begriff islamischer Fundamentalis-
mus gemeint? Und zweitens, welche
Inhalte bestimmen diese gegenwärtig
überwältigende Strömung? Diese Fragen
sind, wie bereits angedeutet, nicht nur
akademischer, sondern auch aktueller
Natur. Zwischen dem Golfkrieg bezie-
hungsweise Saddam Husseins Aufruf
zum Djihad am 7. August 1990 und dem
Djihad-Appell von Bin Laden am 7. Okto-
ber 2001 liegt eine Dekade. Beide Aufrufe
zum Djihad haben Zuspruch von allen
islamischen Fundamentalisten erhalten.
In dem gerade angefangenen Jahrhun-
dert werden wir Appelle dieser Art noch
häufiger hören, denn nach Meinung vie-
ler Muslime stehen solche Aufrufe im
Dienst des Islam, wenn es um die
Schwächung Amerikas und seiner Ver-
bündeten geht. Der Kampf gegen den
Westen, das heißt nicht nur der gegen
dessen politische Vorherrschaft, sondern
auch jener gegen die europäische
Moderne, wird zum zentralen Anliegen
des islamischen Fundamentalismus. Der
Rückgriff auf die goldene Vergangenheit
des Islam als Ausdruck einer rückwärts-
gerichteten Utopie dient instrumentell
der Inkriminierung dieser Moderne,
wenngleich er kein Ausdruck von Traditio-
nalismus ist. Der islamische Fundamen-
talismus ist eine Politisierung des Islam,
und sein zentraler Inhalt ist eine Revolte
gegen den Westen im Sinne einer Ableh-
nung der kulturellen Moderne und ihrer
Werte.
Die tieferen Ursachen und die Sinn-
Zusammenhänge des islamischen Fun-
damentalismus in seiner Konfrontation
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
49
30 Ebd., S. 6.31 Franz Borkenau, Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild. Studien zur Geschichte der Philosophie der
Manufakturperiode, Neudruck, Darmstadt 1988 (zuerst Paris 1934).32 Ernst Bloch, Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance, Frankfurt/M. 1972, S. 110.33 Vgl. Emmanuel Sivan: Radical Islam. Medieval Theology and Modern Politics, New Haven 1985; sowie die Arbeit in
Anm. 10 oben und B. Tibi, Fundamentalismus im Islam. Eine Gefahr für den Weltfrieden?, Darmstadt 2000 (3. erwei-terte Neuausgabe 2002).
mit der Moderne stehen im Mittelpunkt
meines Interesses. Ohne ein angemesse-
nes Verständnis dieser Zusammenhänge
können wir die Problematik dieses
Buches, den islamischen Fundamentalis-
mus und seinen Angriff auf die beste-
hende Weltordnung, nicht in den Griff
bekommen. Der Zusammenhang zwi-
schen der Moderne und der Weltordnung
wurde bereits in dem vorangegangenen
Kapitel beleuchtet. Nun frage ich, warum
der Fundamentalismus die Artikulations-
form der eben angesprochenen Ableh-
nung der kulturellen Moderne ist.
Zunächst ist es wichtig, den Begriff
„Fundamentalismus“ und seinen Inhalt
zu spezifizieren. Im Arabischen sowie in
den anderen orientalischen Sprachen hat
sich der Begriff Usuliyya34 als eine Über-
setzung für den westlichen Begriff „Fun-
damentalismus“ etabliert; Muslime spre-
chen im allgemeinen jedoch schlicht vom
Islam. Jene aber, die wir in den europäi-
schen Sprachen Fundamentalisten nen-
nen und die im Orient als Usuliyyun gel-
ten, vertreten eine bestimmte Interpreta-
tion des Islam als „din wa daula“ (wort-
wörtliche Übersetzung: Religion und
Staat, das heißt Gottesstaat). Diese Inter-
pretation der Religion als integrale Welt-
anschauung zielt auf einen absoluten
Einklang des politischen, sozialen und
ökonomischen Lebens der Muslime mit
den religiösen Vorschriften des Islam ab,
so wie sie im Koran und in der Überliefe-
rung des Propheten/Hadith dargelegt
werden. Mit anderen Worten: Es geht um
die unanfechtbare Autorität des Textes
als sola scriptura. Fundamentalismus,
definiert als ein Glaube an die aussch-
ließliche Autorität des Textes, findet seine
geeignetste Anwendung im Islam, eben
weil Muslime unter den Monotheisten
diejenigen sind, die an die exklusive und
absolute Wahrheit ihrer Offenbarung
glauben. Der Fundamentalismus ist aber
eine moderne Erscheinung, und so wer-
den in den geheiligten Text moderne
Inhalte projiziert. Als ein Beispiel können
wir anführen, dass die Vertreter der fun-
damentalistischen Interpretation der
Texte islamischer Offenbarung die politi-
sche Forderung nach einem al-Nizam al-
Islami/islamischen System erheben.
Zwar ist der Islam seit seiner Stiftung im
Jahre 610 eine für Politisierung anfällige
Religion, aber die hier angesprochene
politische Interpretation des Islam und
selbst das Wort „nizam/System“ sind
neu. Somit zeigt die Geschichte des Islam
und seiner religiösen und politischen,
stets historisch bedingten Formen, dass
die zeitgenössischen politischen Varian-
ten des fundamentalistischen Islam, vor
allem diejenigen, die mit der Entwicklung
seit den 70er Jahren zusammenhängen,
Bassam Tibi
50
34 Vgl. Hassan Hanafi, al-Usuliyya al-Islamiyya (Der islamische Fundamentalismus), Bd. 6 des Werkes des Fundamen-talisten Hanafi mit dem Titel al-Din wa al-thawrah (Die Religion und die Revolution), Kairo 1989.
eine völlig neue Erscheinung sind.35 Hier
wird ein Charakteristikum des Funda-
mentalismus deutlich: der Zusammen-
hang zwischen Text und Kontext. Es
wurde bereits hervorgehoben, dass eine
Gemeinsamkeit aller Fundamentalisten
der Glaube an die Buchstäblichkeit des
Textes, sola scriptura, ist. Texte werden
aber von Menschen gelesen, so dass das
Verständnis gleichermaßen mit der Per-
zeption des Lesenden und mit dem histo-
rischen Kontext korrespondiert. Ebenso
wie Fundamentalisten die Antinomie
ihres Denkens (Akzeptanz der Errungen-
schaften der Moderne bei gleichzeitiger
Ablehnung des mensch-zentrierten,
rationalen Weltbildes, aus dem diese her-
vorgegangen sind) nicht erkennen, blei-
ben ihnen die mit der Korrelation Text-
Kontext zusammenhängenden Antino-
mien ihrer Bekenntnisse verschlossen.
Doch nicht nur Projektion und Textgläu-
bigkeit, das heißt Ahistorizität, bestim-
men die Weltsicht der Fundamentalisten
im Umgang mit dem „heiligen“ Text;
auch ein hoher Grad an Selektivität ist
festzustellen. So gehen Textgläubigkeit
und Willkür bei dem Rückgriff auf den
Text Hand in Hand.
Das zentrale Argument bei unserer
Deutung des Fundamentalismus ist, dass
diese Variante religiöser, nicht-westlicher
Ideologien eine defensiv-kulturelle Reak-
tion auf die europäische Moderne dar-
stellt. Entsprechend bildet die Globalisie-
rung der institutionellen Dimension der
europäischen Moderne den historischen
Kontext, in dessen Rahmen islamische
Fundamentalisten einzig die Lektüre des
Korans und der Überlieferung des Pro-
pheten Mohammed als sola scriptura
gelten lassen. Der Text ist beinahe 14 Jahr-
hunderte alt, der Kontext, der diesen
umrahmt, ist die Krise des Islam im
modernen Zeitalter. Sprachlich handelt es
sich zwar um denselben Text, für den die
Fundamentalisten eine überzeitlich-
überräumliche Bedeutung und Geltung
beanspruchen, aber der Kontext schmie-
det den Text in dem Sinne, dass er das
Verständnis der Lesenden, hier der Fun-
damentalisten, sowie die Art ihrer Lek-
türe entscheidend prägt. Der Kontext ist,
wie bereits hervorgehoben, die Heraus-
forderung, welche von der europäischen
Moderne gleichermaßen als einem kultu-
rellen Projekt und als einer institutionel-
len, nunmehr globalisierten Struktur aus-
geht und welcher der moderne Islam
ausgesetzt ist. Leider gelingt es selbst
klugen islamischen Reformern wie Fazlur
Ralman36 nicht, diesen Zirkel zu durchbre-
chen. Das Produkt dieser historischen
Situation ist die angesprochene Krise des
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
51
35 Vgl. die Arbeit von Youssef M. Choueiri, Islamic Fundamentalism, Boston 1990 und Dilip Hiro, Holy Wars. The Rise ofIslamic Fundamentalism, London 1989 sowie Henry Munson Jr., Islam and Revolution in the Middle East, New Haven1988, S. 29ff.
36 Vgl. Fazlur Rahman, Islam and Modernity, London 1988.
modernen Islam als einem kulturellen
System mit vormodernen Normen und
Werten. Islamische Fundamentalisten
sind die Kinder dieser Krise, und die reli-
giös-politische Ideologie, der sie anhän-
gen, ist „die Ekstase des aufrechten
Ganges und des geduldlosen, rebelli-
schen ernstlichsten Willens“37, diese Krise
zu überwinden.
Das Dilemma bei der Deutung des reli-
giösen Fundamentalismus besteht darin,
dass es sich bei diesem einerseits um ein
soziales, anderseits um ein religiöses Phä-
nomen handelt. Der Islam wird von Fun-
damentalisten als eine Artikulationsform
herangezogen und dient ihnen dazu,
politische und soziale Belange in ein reli-
giöses Gewand zu kleiden. Wenn hier
diese Interpretation vorgenommen wird,
dann muß parallel vor zwei Fehldeutun-
gen gewarnt werden. Es wäre falsch, im
fundamentalistischen Rückgriff auf den
Islam einen bewussten Missbrauch zu
sehen. Denn beim Fundamentalismus
handelt es sich um ein Islam-Verständnis
gläubiger Muslime,die im Islam als ihrem
kulturellen System Zuflucht suchen. Die-
ses Islam-Verständnis hat auch einen
sozialen und kulturellen Hintergrund,
insofern, als es eine Reaktion auf die Her-
ausforderung der kulturellen Moderne ist
und mit ihren bereits angesprochenen
Krisenerscheinungen korrespondiert.
Eine weitere mögliche Fehldeutung wäre
es, den politischen Islam als eine politi-
sche Ideologie auf die gleiche Ebene einer
jeden anderen Ideologie zu setzen. Dies
würde insofern zu einer falschen Inter-
pretation führen, als Religionen stets
einen besonderen Stellenwert im Ver-
gleich zu säkularen Ideologien haben.Wir
wissen aus dem Werk Max Webers, dass
Religionen Gesinnungskomplexe bilden,
die selbst erheblich und auch ursächlich
sozio-politische und ökonomische Gesell-
schaftsformationen prägen können; sie
können auch, wie Ernst Bloch sagt, „in
religiös erregten Zeiten“38 zentraler als
irgendein anderer Faktor in den entspre-
chenden Prozessen wirken. Kurz: Beim
religiösen Fundamentalismus haben wir
es mit einem Phänomen dualer Natur39
zu tun;es ist gleichermaßen politisch und
religiös. Sozialwissenschaftler und oft
sogar Religionssoziologen, die mit dem
Bassam Tibi
52
37 Ernst Bloch, Thomas Münzer als Theologe der Revolution, Frankfurt/M. 1972, S. 56.38 Ebd., S. 55.39 Vgl. Johannes J. G. Jansen, The Dual Nature of Islamic Fundamentalism, Ithaca/NY 1997.
3. Zwischen Religion und Ideologie:Das politische Wiedererstarken des Islam
Phänomen des Religiösen als einem aus-
schließlich sozialen Faktor reduktioni-
stisch umgehen, zeigen relativ wenig
Sensibilität und ein geringes Verständnis
für die Autonomie des Religiösen. Im Vor-
feld dieser Studie über den islamischen
Fundamentalismus als einer defensiv-
kulturellen Reaktion auf die Globalisie-
rung der europäischen Moderne und
ihrer technisch-wissenschaftlichen insti-
tutionellen Dimension müssen wir daher
stets im Auge behalten, dass die spezi-
fisch religiöse Komponente in der hier als
politischer Islam behandelten Ideologie
eine angemessene Berücksichtigung fin-
det, um nicht derselben, gerade kritisier-
ten Vorgehensweise zu verfallen. Auch
die fundamentalistische Vorstellung von
einer islamischen Weltordnung ist in die-
sen Kontext einzuordnen; sie ist nicht
bloß politische Ideologie, sondern auch
religiöser Glaube in dem soeben definier-
ten Sinne.
Statt des sachlich falschen Begriffs der
Re-Islamisierung schlage ich vor, den
Begriff „die Re-Politisierung des Sakralen
im islamischen Orient“40 zu verwenden.
Damit wird der Gegenstand der vorlie-
genden Studie präzisiert: Es geht nicht
um eine Re-Islamisierung in den islami-
schen Ländern, denn dieser Begriff unter-
stellt – semantisch gesehen –, dass der
Islam einmal verdrängt worden ist und
dass nun eine Rückkehr zu ihm stattfin-
det. Kenner des islamischen Orients wis-
sen, dass der Islam als Glaubenssystem
und auch als kulturelles System niemals
an Bedeutung für seine Angehörigen ver-
loren hat. Zwar war insbesondere im ara-
bischen Osten (Maschrek) nach dem
Scheitern des islamischen Modernismus
eine Verdrängung des Islam als politische
Ideologie durch säkulare Ideologien wie
Nationalismus und Sozialismus zu beob-
achten. Der Islam hat jedoch als norma-
tive Orientierung für die Muslime, als
soziokultureller Rahmen sowie als eine
Quelle für ihre Weltsicht niemals an Ein-
fluß eingebüßt. Die Rückkehr des Islam
als politische Ideologie kann man daher
nicht als Re-Islamisierung, sondern muß
sie angemessener als politisches Wieder-
erstarken beziehungsweise als Re-Politi-
sierung des Sakralen charakterisieren.
Der Inhalt des hier zum Untersu-
chungsgegenstand bestimmten Prozes-
ses, aus dem das völlig neue Phänomen
des islamischen Fundamentalismus her-
vorgegangen ist, läßt sich folgender-
maßen zusammenfassen: In den meisten
islamischen Ländern erheben militante
politische Gruppen sowie zahlreiche poli-
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
53
40 Bereits im Jahr 1985 habe ich in meinem, auch in den USA in einer amerikanischen Ausgabe und inzwischen in einerdritten deutschen Auflage vorliegenden Buch: Der Islam und das Problem der kulturellen Bewältigung sozialenWandels, Frankfurt/M. 1985 sowie 1991, Kapitel 8 (Islam and the Cultural Accommodation of Social Change, Boul-der/Col., 2. Aufl. 1991 ) diese Formel geprägt und gezeigt, dass der Aufstieg des islamischen Fundamentalismus imarabischen Nahen Osten keine Re-Islamisierung bedeutet, dieser war immer islamisch geblieben; der Islam wird nurwieder politisch, d.h. repolitisiert. Dazu vgl. auch mein neues in Harvard geschriebenes und unter der Patronage vonHarvard veröffentlichtes Buch : Islam Between Culture and Politics, London und New York 2001.
tische Schriftsteller und Pamphletisten
den Anspruch, dass der Islam nicht nur
eine Religion sei, sondern ein „din wa
daula“ (eine mit staatlicher Ordnung ver-
quickte Religion oder freier und besser
ausgedrückt in der Terminologie George
Balandiers: eine „Entsprechung des
Sakralen und des Politischen“). Daraus
wird die Forderung nach einem Nizam
Islami, das heißt einem islamischen poli-
tischen System, abgeleitet und zum
Inhalt einer politischen Ideologie sowie
eines politisch-oppositionellen Pro-
gramms erhoben. Das Konzept des „isla-
mischen Systems“ bietet eine Grundlage
für die islamische Revolte gegen die
bestehende Weltordnung, die in Kapitel
III näher erläutert wird.
In historischer Perspektive und unter
besonderer Berücksichtigung des islami-
schen Kernbereichs geht der zeitgenössi-
sche islamische Fundamentalismus auf
die totale und demütigende Niederlage
der arabischen Staaten im Sechs-Tage-
Krieg im Juni 1967 zurück.41 Bereits eine
Auswertung von verbreiteten Publikatio-
nen des politischen Islam kann einen ein-
deutigen Beleg für diese Aussage bieten.
Eine der einflußreichsten Äußerungen
stammt von dem Fundamentalisten
Yusuf al-Qaradawi in seinem Buch al-hall
al-Islami wa al-hulul al-mustawrada/Die
islamische Lösung und die importierten
Lösungen.42 Mit dem Hinweis auf Israel
und darauf, dass die Israelis nicht nur reli-
giös, sondern auch politisch zu ihrer Reli-
gion stehen, wird folgendes Argument
vorgetragen:Die Muslime hätten versagt,
weil sie ihrem Islam politisch den Rücken
zugekehrt hätten. Es gehe nun darum,
diese Situation durch eine Rückkehr zum
Islam zu ändern, und das nicht nur zur
Religion, sondern auch und vor allem zu
einem Nizam Islami (einem islamischen
System, das heißt einer politischen Ord-
nung). Außerdem wird der europäischen
Moderne eine radikale Absage erteilt,
jedoch nicht deren technisch-wissen-
schaftlichen Errungenschaften. Dabei ist
der Begriff des Nizam Islami nicht im
engeren Sinne islamisch, er kommt
weder im Koran noch in der Überliefe-
rung des Propheten (Hadith) vor. Das
Wort Nizam ist vielmehr, wie bereits
angeführt, neuarabisch und eine Über-
setzung von „System“, wie der bedeu-
tende Islamwissenschaftler W.C. Smith
nachgewiesen hat.43 Dieser Sachverhalt
belegt unsere bisherigen Ausführungen
über den Zusammenhang von Text und
Bassam Tibi
54
41 Zu diesem Sechs-Tage-Krieg vgl. B. Tibi, Konfliktregion Naher Osten. Regionale Eigendynamik und Großmachtinter-essen, 2. erweiterte Auflage, München 1991, Kapitel II. Zur Rolle der arabisch-israelischen Kriege im Erstarken despolitischen Islam vgl. das Kapitel von Yvonne Haddad, „The Arab-Israeli Wars“, in: John L. Esposito (Hg.), Islam andDevelopment, Syracuse/NY 1980, S. 107-122.
42 Yusuf al-Qaradawi, al-Hulul al-mustawrada wa kaif djanat ‘ala umatuna (Die importierten Lösungen und wie sieVerbrechen an unserer Umma/Gemeinschaft begangen haben), Bd. 1 der dreibändigen Reihe Hatmiyat al-hall al-Islami (Die Notwendigkeit der islamischen Lösung), Neuauflage Beirut 1980.
43 Siehe Wilfred C. Smith, The Meaning and End of Religion, 2. Auflage, New York1978, S. 117.
Kontext und zeigt die kontextuelle
Bedingtheit der politisch revitalisierten
Text-Gläubigkeit.
Die Re-Politisierung des Sakralen im
arabischen Orient nach dem Sechs-Tage-
Krieg 1967 erklärt nicht, warum der Islam
auch in Westafrika und in Südostasien
politisiert wurde. Im Rahmen meiner in
internationalen Institutionen betriebe-
nen Forschung, die über den arabischen
Orient hinausgeht, bin ich zu folgender
Erklärung gelangt: Der arabische Orient
ist – religiös und kulturell gesehen – das
Kerngebiet des Islam. Der französische
Islam-Forscher Maxime Rodinson stellt
fest, dass der Islam, der ursprünglich
„eine arabische Religion für die Araber“44
war, erst durch die islamischen Eroberun-
gen universalisiert worden ist. Die islami-
sche Doktrin war jedoch von Anfang an
universell ausgerichtet. Es ist nicht arabo-
zentrisch, festzustellen, dass der arabi-
sche Orient seine Zentralität im Islam
behält.Von diesem Kerngebiet aus sind in
den 70er Jahren „Spill-Over-Effekte“ aus-
gegangen, die jedoch mit bereits beste-
henden Krisenerscheinungen in den
nicht-arabischen islamischen Gebieten
koinzidierten. Somit wurde die Re-Politi-
sierung des Islam ein übergreifendes und
überregionales Phänomen.45 Diese Inter-
pretation schließt damit jene verbreitete
und schon diskutierte Deutung aus, dass
der fundamentalistische Islam eine Aus-
geburt des Erdölbooms seit der ersten
Welt-Energiekrise 1973 sei, also von den
arabischen „Öl-Scheichs“ global angestif-
tet worden sei. Damit soll allerdings nicht
bestritten werden, dass die Saudis funda-
mentalistische Bewegungen stets finan-
ziell gefördert haben. Dies ist aber nicht
die Ursache für die Entstehung des isla-
mischen Fundamentalismus. Die Tatsa-
che, dass die Saudis mit ihren Petro-
Dollars islamisch-fundamentalistische
Strömungen finanziell massiv unter-
stützten, hat vielmehr dazu beigetragen,
dass die saudi-arabische Vision von dem
in der Realität kulturell vielfältigen Islam
an Priorität gewonnen hat. Die Saudis,die
während des Golfkrieges von den islami-
schen Fundamentalisten selbst angefein-
det wurden, zahlen dadurch die Zeche für
das, was sie finanziell gefördert haben;
dennoch sind sie nicht die Urheber des
islamischen Fundamentalismus.
Nun stellt sich für uns wiederum die
zentrale Frage: Warum entwickeln sich
muslimische Intellektuelle, die bisher
westlich-säkular dachten, zu Fundamen-
talisten? Meine zentrale These lautet,
dass der islamische Orient seit den 70er
Jahren eine tiefgreifende Krise durch-
läuft, die sowohl intern als auch extern
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
55
44 So der große Islamwissenschaftler Maxime Rodinson in seinem Buch Mohammed, Luzern 1975; zu dem grundle-genden Beitrag Rodinsons zur Islam-Forschung vgl. meine Abhandlung:„Maxime Rodinson, der Islam und die west-lichen Islam-Studien“, Einleitung zu: Maxime Rodinson, Islam und Kapitalismus, Neuausgabe, Frankfurt/M. 1986, S.IX-LI.
45 Vgl. John L. Esposito (Hg.), Voices of Resurgent Islam, New York 1983.
bedingt ist. Der Islam, als Ausdruck der
autochthonen Kultur, bietet die geeignet-
sten und für die Bevölkerung akzeptabel-
sten Symbole in dieser Krisensituation,
weil diese eine doppelte Funktion erfül-
len. Islamische Fundamentalisten mün-
zen die eigene, durch die Konfrontation
mit der Moderne ausgelöste Krise in eine
Krise der Moderne selbst um. Islamische
Symbole bieten ihnen zum einen eine
autochthone Artikulationsform politi-
scher Inhalte in einer Situation, in der die
fremde, das heißt nicht-islamische
Umwelt als eine Bedrohung der eigenen
Identität perzipiert wird. Zum anderen
haben mittels islamischer Symbole arti-
kulierte politische Inhalte die Chance,
breite Bevölkerungsschichten anzuspre-
chen und zu mobilisieren, eine Option,
die säkularen Ideologien als städtischem
Eliten-Gedankengut verwehrt bleibt. Die
Krise ist zugleich strukturell, also sozioö-
konomisch, und eine Sinnkrise, woher
sich die duale Natur (vgl. Anm. 39) des
religiösen Fundamentalismus erklärt.
Die Sprache der Moderne und damit
die der Menschenrechte im Sinne indivi-
dueller Rechte ist den meisten Muslimen
dagegen kulturell fremd. Sie kennen das
Subjektivitätsprinzip der Moderne nicht.
Die aus den damit zusammenhängen-
den Prozessen der Individuation hervor-
gegangenen individuellen Menschen-
rechte haben leider keine Wurzeln im
Islam, der vom Kollektiv/Umma ausgeht
und das Individuum diesem unterord-
net.46 Der politische Islam hat mehr
„appeal“ als irgendeine der säkularen
Ideologien, die ohnehin, wie angedeutet,
nur von städtischen Eliten vertreten und
von der analphabetischen ruralen Mehr-
heit der Bevölkerung als ein Import aus
dem verhaßten Westen wahrgenommen
werden. Unter westlich gebildeten, städ-
tischen sozialen Schichten hat es zwar
auf der Ebene der Normen eine Verbrei-
tung von säkularen Ideologien gegeben,
nicht aber eine Säkularisierung im Sinne
der Veränderung von Gesellschaftsstruk-
turen. Eine auf normativer Ebene erfolgte
Verbreitung säkularer Ideen ist noch
keine Säkularisierung. Letztere ist ein
sozialstruktureller Prozeß, der sich in den
Lebensbedingungen und nicht nur in den
Köpfen niederschlägt.
Um den sozialen Ursprung des islami-
schen Fundamentalismus als einer anti-
westlichen Ideologie besser zu verstehen,
ist es von zentraler Bedeutung, das Ver-
hältnis des Islam zu sozialem Wandel im
modernen Zeitalter unter den strukturel-
len und kulturellen Bedingungen der Glo-
balisierung der europäischen kulturellen
Moderne sowie ihrer institutionellen, das
heißt technisch-wissenschaftlichen
Dimension zu betrachten. Alle Gesell-
Bassam Tibi
56
46 Mehr hierzu B. Tibi, Im Schatten Allahs. Der Islam und die Menschenrechte, München 1994 (Serie Piper 1996 und1999).
schaften wandeln sich, auch die islami-
schen (trotz des europäischen Vorurteils
vom homo islamicus beziehungsweise
von der stationären Produktionsweise
asiatischer Gesellschaften). Doch jenen
Typ sozialen Wandels, der im islamischen
Orient seit der Berührung mit dem
europäischen Kolonialismus bis heute –
sogar in einer noch weit intensiveren
Weise – vorherrscht, möchte ich als
extern ausgelösten Wandel kennzeich-
nen. Diese Charakterisierung des Wan-
dels steht hinter der Wahrnehmung der
Fundamentalisten, dass alles Übel in
ihren Gesellschaften von außen, das
heißt aus der europäisch-westlich domi-
nierten Umwelt des islamischen Orients
herrührt. In diesem Zusammenhang wird
die Weltordnung als eine aus dem
Westen stammende Bedrohung wahrge-
nommen. Zur Abwehr beleben sie in
einer defensiv-kultureller Manier einhei-
mische Normen und Werte, deren Sub-
strat einmal in Sozialstrukturen vorhan-
den war, die heute jedoch aufgrund weit-
reichender Auflösungsprozesse nicht
mehr existieren. Die Revolte des islami-
schen Fundamentalismus gegen den
Westen bringt eine tiefliegende Krise
islamischer Gesellschaften zum Aus-
druck. Eine Lösung hierfür ist für die Fun-
damentalisten die Zauberformel „islami-
sche Ordnung“. In Algerien, Tunesien und
anderswo in der „Welt des Islam“ glau-
ben Fundamentalisten, dass diese Ord-
nung alle Probleme (Überbevölkerung,
Wirtschaftskrise, Wohn- und Nahrungs-
mittelmangel etc.) lösen würde.
Parallel zur Krise des Islam findet auch
eine Krise der Moderne im Westen selbst
statt. Islamische Fundamentalisten sind
gebildete Menschen, die diese westlich-
europäischen Debatten verfolgen kön-
nen;sie freuen sich über die zunehmende
Kritik der Europäer an ihrer eigenen
Moderne, ja sie stellen diese Kritik in
ihren Dienst als einen westlichen Beweis
für das Versagen der Moderne und die
Wahrheit der islamischen Lösung. Zu der
postmodernen Kritik an der europäi-
schen Moderne fügen islamische Funda-
mentalisten noch ihre eigenen Klischees
hinzu, etwa die Gleichsetzung der
Moderne mit Alkoholismus, Promiskuität
und schrankenloser sexueller Freiheit mit
zahllosen unehelichen Kindern und
Schwangerschaftsabbrüchen als Folgen.
Es wird dann argumentiert, dass der
Islam seine Gläubigen vor diesen „kultu-
rellen Krankheiten“ schützt. Im Gegen-
satz zu ihren katholischen Counterparts
sprechen muslimische Fundamentalisten
hierbei orientalische Ehrbegriffe an, die
nach ihrer Auffassung von der Moderne
in Frage gestellt werden. Die Ehre des ori-
entalischen Muslims konzentriert sich
auf den Schutz der weiblichen Angehöri-
gen seiner Familie vor den Gefahren der
Außenwelt. Für diesen gibt es keinen tie-
feren Abgrund als vaterlos zu sein. Auf-
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
57
grund der Assoziation mit Vaterlosigkeit,
Promiskuität und sexueller Freiheit – das
ist ein zentraler Topos der arabisch-spra-
chigen Fundamentalismus-Pamphlete47
– wird die Moderne als eine Perspektive
für den islamischen Orient abgelehnt.
Diese einseitige Sicht der Moderne wird
gleichermaßen von manchen Postmo-
dernisten und den auf einem völlig
anderen Boden operierenden islami-
schen Fundamentalisten – wenn auch in
unterschiedlichem Maße – geteilt. Im
Gegensatz dazu müssen wir unser
Augenmerk auf die wirklichen Inhalte
der Moderne und die damit verbunde-
nen Werte richten, um zu einem besse-
ren Verständnis des Fundamentalismus
als einer defensiv-kulturellen Reaktion
auf die europäische Moderne in nicht-
westlichen Kulturen zu gelangen. Soweit
es um den Islam geht, scheint mir eine
Kontrastierung des britischen Orient-
Forschers Fred Halliday zitierenswert, die
er bei seiner Besprechung meines Bei-
trags zum Verständnis des modernen
Islam vorgenommen hat: „In bezug auf
die großen Religionen wird eine Unter-
scheidung immer wichtiger, nämlich die
zwischen einer Religion, die bestimmte
allgemeine Prinzipien gegenwärtigen
demokratischen Lebens respektiert, und
jener, die das nicht tut .... Bisher haben
weder die Traditionalisten noch die isla-
mischen Modernisten mit den dok-
trinären Zwängen, die sie hemmen,
gebrochen.“48
Die europäische Moderne ist doppel-
gleisig: Sie manifestiert sich zum einen in
dem Projekt der kulturellen Moderne –
den mit den Schlüsselereignissen der
Reformation, Aufklärung und der Franzö-
sischen Revolution korrespondierenden
historischen Prozessen, auf deren Basis
sich das abendländische Prinzip der Sub-
jektivität entfaltet hat. Seine Implikatio-
nen sind nach Habermas
a) Individualismus (das Prinzip der Indi-
viduation),
b) Recht auf Kritik,
c) Autonomie des Handelns (Selbstbe-
stimmung des Menschen)
und schließlich
d) die idealistische Philosophie als „die
sich wissende Idee“ (vgl. Anm. 1).
In diesem Kontext wird der religiöse
Glaube reflexiv, und die menschliche Ver-
Bassam Tibi
58
47 So z.B. in dem Buch von Djarischa und Zaibaq, Asalib al-ghazu al-fikri li al-'alam al-Islami (Die Methoden der intel-lektuellen Invasion der islamischen Welt), (wie Anm. 20).
48 Fred Halliday in: Times Literary Supplement vom 14.-20. April 1989.
4. Die kulturelle Moderne und die europäische Eroberung der Welt
nunft wird „gegen den Glauben an die
Autorität von Verkündung und Überliefe-
rung“, wie Kant sagt, „als oberster
Gerichtshof“ hervorgehoben (vgl. Anm. 1).
Doch die europäische Moderne ist
nicht nur dieses kulturelle Projekt, dessen
historische Prozesse sich ausschließlich in
Europa ereigneten und in dessen Rah-
men die Menschen sozialisiert wurden.
Die europäische Moderne ist auch insti-
tutionalisiert worden und hat sich in der
Wissenschaft und Technologie materiali-
siert, die Europa dazu verholfen haben,
als eine Militärmacht die Welt zu erobern
und eine westlich dominierte Weltord-
nung aufzubauen. Diese Dimension der
Moderne steht im Zentrum des vorlie-
genden Buches und wird als globalisierte
technisch-wissenschaftliche Modernität
bezeichnet. Während die kulturelle
Moderne durch das Prinzip der Subjekti-
vität die Freiheit des Individuums von
überlieferter Tradition und von den mit
ihr zusammenhängenden verkrusteten
Strukturen begründet, ist die institutio-
nelle Dimension der Moderne (vgl. Anm.
2) auf Herrschaft und Modernisierung
von Unterdrückung gerichtet. Die
europäische koloniale Eroberung der
Welt ist der Rahmen der Globalisierung
der Moderne. Die kulturelle Moderne gilt
im Westen, und ihre institutionelle
Dimension ist das Merkmal der Globali-
sierung und somit der Begründung einer
Weltordnung.
Nicht-Europäer haben die Moderne in
ihrer institutionellen Dimension als ein
Herrschaftsprojekt, nicht aber als kultu-
relle Moderne erfahren. Und doch gehört
zur Dialektik der Moderne, die ich nicht
als „Dialektik der Aufklärung“ sehen
möchte,dass sie ungewollt durch die „List
der Vernunft“ auch ihre kulturellen Werte
exportiert. Die gesamten Prozesse der
Entkolonisierung in Asien und Afrika
basieren auf der Aufnahme europäischer
Ideen wie Freiheit und Volkssouveränität
und deren Aktivierung eben gegen das
koloniale Europa durch europäisch gebil-
dete, nicht-westliche Menschen, zu
denen auch die Muslime gehören.49 Die
Muslime haben Europa nicht als
Ursprung der ”Aufklärung”, sondern als
ein militärisch überlegenes Kolonialsy-
stem erfahren. Bereits die ersten Nieder-
lagen der muslimisch-osmanischen
Armeen in den „Türkenkriegen“ gegenü-
ber den europäischen, technologisch
überlegenen Armeen waren der Beginn
dieser Erfahrung. In diesem Zusammen-
hang ist auch der soziale Wandel in
außerokzidentalen Gesellschaften zu
sehen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts
in ein von Europa beherrschtes Weltge-
füge zwangsintegriert wurden. Der
soziale Wandel wird, wie bereits argu-
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
59
49 Zum Rückgriff auf europäische Ideen zur Begründung der Entkolonialisierung vgl. B. Tibi, „Politische Ideen in der'Dritten Welt' während der Dekolonisation“, in: Iring Fetscher/Herfried Münkler (Hg.), Pipers Handbuch der politi-schen Ideen, Bd. 5, München 1987, S. 361-402.
mentiert, in diesen Regionen seitdem
primär extern ausgelöst. Die Bedin-
gungsfaktoren bestehen aus einem Kom-
plex von externen und internen Elemen-
ten. Das ist der welthistorische Kontext
des islamischen Fundamentalismus, in
dessen Ideologie man trotz aller Anfein-
dung eine Fülle von Anleihen aus eben
diesem verhaßten Westen vorfindet.
So wichtig es auch ist, auf die genann-
ten Faktoren hinzuweisen, liegt es mir
dennoch fern, diese Entwicklung monok-
ausal und eingleisig auf die europäische
Beherrschung der Welt des Islam zurück-
zuführen. Ein zentrales Merkmal eines
solchen, primär von außen ausgelösten
Wandels ist, dass er von den Betroffenen
als eine Bedrohung durch fremde Mächte
wahrgenommen wird. Einheimische Nor-
men und Werte – hier ein vor-modernes
Verständnis des Islam –, die ihr Substrat
in Sozialstrukturen haben, welche vor
diesem Wandel existierten und von die-
sem erschüttert und erheblich verändert
wurden, überdauerten den Wandel; sie
veränderten sich nicht analog zu dem
Strukturwandel, wie es bei einem Typ von
innerem sozialen Wandel der Fall ist, der
in Europa stattgefunden hat. Und doch
bleiben diese Normen und Werte nicht
unverändert, so sehr die Muslime auch
an ihren Purismus, das heißt an die Rein-
heit der Doktrin, glauben. Diese textuell
in den religiösen Schriften fixierten
Werte werden in der Wahrnehmung kon-
textuell bedingt. Das entsprechende
weltpolitisch bedingte Verhältnis von
Text und Kontext charakterisiert den isla-
mischen Fundamentalismus: Er ist weder
ein Traditionalismus noch ein Modernis-
mus, vielmehr ist er „ein Traum von der
halben Moderne“.50
Menschen müssen in einer sich wan-
delnden Welt ihre Identität bewahren. Ihre
Umwelt erscheint ihnen nicht mehr
bestimmbar; sie bedarf aber der Bestim-
mung zur Bewahrung der Identität des
Menschen. In einem solchen historischen
sozialpsychologischen Kontext gewinnt
die Religion eine zentrale Funktion. Reli-
gion ist hier nicht bloß Ideologie, sondern
„ein Willen zum Paradies“ und ein Orien-
tierungsmuster. Diesen sozialen Vorgang,
der in vielen außerokzidentalen Gesell-
schaften zu beobachten ist, kann man
intensiv auch in Gesellschaften islami-
scher Kultur feststellen. Je rapider der
soziale Wandel ist und je unbestimmbarer
die Umwelt für die betroffenen Individuen
wird, desto stärker wird das Bedürfnis
nach Sicherheit bietender Religion. Der
Wandel wird schlechthin als eine Bedro-
hung empfunden, die von außen – vom
Westen – herrührt. Die Sehnsucht nach
Vergangenem wird kultiviert. Die Wieder-
herstellung des durch das Fremde zurück-
Bassam Tibi
60
50 B. Tibi, „Der Traum von der halben Moderne. Über das schiefe Verhältnis des Islams zu Europa und die Wurzeln desFundamentalismus“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Feuilleton) vom 19. Februar 1991, S. 35.
gedrängten und überlagerten Autochtho-
nen, eine Rückkehr und zugleich eine Rück-
besinnung, wird nun auf der Basis der Lek-
türe der religiösen Skriptur zum politi-
schen Aktionsprogramm erhoben. Die
europäische Moderne als Rahmen für eine
Weltordnung erscheint den Muslimen in
dieser Situation als Quelle ihres Elends, so
sehr sie und ihre Lektüre der religiösen
Texte auch von ihr geprägt werden. Nur die
einheimische Religion, das heißt der Islam
als ein kulturelles System, kann in dieser
Krisensituation eschatologisches Heil ver-
sprechen. Dieser Hintergrund mag das
„appeal“ der militanten islamischen Grup-
pen gerade auf jene oberflächlich moder-
nen Schichten, die vom Wandel und des-
sen Folgen am meisten betroffen sind,
erklären. Es ist somit kein Zufall, dass die
Fundamentalisten vorwiegend städtische
Universitätsstudenten und Absolventen
von Hochschulen sind, die zwar oft aus
ländlichen Gebieten stammen, aber keine
pauperisierten Bauern sind. Mit anderen
Worten: Fundamentalisten findet man in
den islamischen Ländern nur in Großstäd-
ten und unter halbgebildeten Schichten,
nicht aber in ländlichen Gegenden und
niemals unter der analphabetischen bäu-
erlichen Bevölkerung. Der städtische Cha-
rakter des Fundamentalismus verrät seine
enge Bindung an die Moderne, die er als
eine Weltordnung zu bekämpfen trachtet.
Die Einschätzung des Phänomens des
islamischen Fundamentalismus erfordert
eine Bewertung der möglichen Zukunft
dieser Erscheinung. Deshalb müssen wir
uns im Rahmen der Analyse des politi-
schen Islam im Sinne der Re-Politisierung
des Sakralen die Frage stellen, welche
Zukunftsperspektiven die islamischen
Fundamentalisten als Alternative zur
Moderne offerieren und ob ihre Forderun-
gen der Zeit, in der wir leben,entsprechen.
Nach Ansicht der Fundamentalisten
würde das existierende Elend, das die
Krise bedingt, in einem islamischen
System, im Nizam Islami, überwunden
werden. Dieses Buch versucht deshalb zu
erklären, was ein „islamisches System“ ist
und ob es das Heil zu realisieren vermag,
das islamische Fundamentalisten sich
davon versprechen.
In den islamischen Ländern ist das zen-
trale Problem die Überwindung von
Unterentwicklung. Hierfür liefern die Trä-
ger des politischen Islam keine Lösung,da
ihr Denken sich in einer defensiv-kulturel-
len Reaktion auf die Folgen des rapiden
sozialen Wandels erschöpft, nicht aber
eine Strategie zur Bewältigung der
Moderne und der aus ihr für die Muslime
entstehenden Probleme bietet. Die politi-
sche Praxis des Fundamentalismus
umfaßt neben den defensiv-kulturellen
Einstellungen auch den „Terrorismus“51.
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
61
51 Vgl. hierzu das Vorwort zur 2001-Auflage von B. Tibi, Die neue Weltunordnung. Westliche Dominanz und islamischerFundamentalismus, Frankfurt/M. 2001. Allgemein vgl. Walter Reich (Hg.), Origins of Terrorism. Psychologies, Ideologies,Theologies, States of Mind, Cambridge 1990. Neu: Paul R. Pillar, Terrorism and US Foreign Policy, Washington/DC 2001.
In islamischen Ländern ist diese Tatsache
schon lange bekannt,52 aber es bedurfte
der Tragödie des 11. Septembers 2001, um
darauf international aufmerksam zu
machen. Auch dieser Terrorismus vermag
die angesprochenen Probleme der Mus-
lime nicht zu lösen.
In bezug auf die islamische Welt erfor-
dert die Überwindung von Unterent-
wicklung nicht nur einen Strukturwan-
del, sondern auch ein umfassendes
gesellschaftspolitisches Konzept und
eine veränderte dynamische kulturelle
Weltsicht. Der politische Islam als ein
politischer Aktionismus erfüllt beide
Erfordernisse nicht. Der islamische Fun-
damentalismus ist charakterisiert durch
und erschöpft sich in der Gläubigkeit an
die Autorität des Textes. Auf den Text
wird aber nicht nur selektiv zurückgegrif-
fen, sondern dieser wird auch im Kontext
der Moderne gelesen, jedoch ohne dass
sich Fundamentalisten dessen bewußt
sind. In der Wahrnehmung der Funda-
mentalisten ist der Text gleichermaßen
heilig, absolut und einzig autoritativ und
dazu noch überzeitlich-überräumlich
gültig. Dennoch gibt es viele Lesarten
und unterschiedliche Interpretationen
des Textes, so dass sich nicht nur ein ein-
ziger Inhalt bei der – ohnehin selektiv
erfolgenden Lektüre – ergibt. Aus diesem
Grund benötigen die Fundamentalisten
charismatische Führer als persönliche
Autoritäten, die glauben helfen, dass sie
die einzig gültige Bedeutung des Textes
vermitteln. Diese Autoritäten können
bereits verstorbene Personen sein, wie
die wichtigste Autorität des zeitgenössi-
schen fundamentalistischen Islam,
Sayyid Qutb. In seinen, eine größere Ver-
breitung als der Koran selbst genießen-
den Schriften sagt er autoritativ, welche
Botschaft der Koran an die Muslime in
ihrer Konfrontation mit der europäi-
schen Moderne und mit den Folgen ihrer
Globalisierung verkündet. Fundamenta-
listen brauchen aber auch lebendige Per-
sonen, die ihnen als charismatische Füh-
rer den Weg zeigen. Im Hinblick auf die
Revolte gegen die Weltordnung schien
Saddam Hussein die Rolle des Führers
der islamischen Massen einzunehmen.
Die Fundamentalisten bilden aber keine
einheitliche Bewegung, sondern eher
zahlreiche sektiererische Gruppen, die
jeweils ihren lokalen Führer haben, der
ihnen den Weg weist. Diese semi- bis
pseudo-charismatischen Figuren sind
ebenso zahlreich wie die fundamentali-
stischen Gruppen selbst. Diese struktu-
relle Schwäche der fundamentalisti-
schen Bewegung erschwert es ihr, zu
einem politischen Faktor zu werden, der
die vorhandene Zustimmung zur Ideolo-
gie in politische Macht umsetzen kann.
Bassam Tibi
62
52 Vgl. hierzu die arabischen Quellen 'Adel Hammuda, Qanabil wa masahif. Qissat tanzim al-Djihad (Bomben und Hei-lige Bücher. Die Geschichte der Djihad-Organisation), Kairo 1989 und Ni'matuallah Djaninah, Tanzim al-Djihad (DieOrganisation des al-Djihad), Kairo 1988.
Zusammenfassend können wir auf
konzeptueller Ebene festhalten,dass Fun-
damentalisten, die keine Traditionalisten,
sondern moderne Menschen sind, sich in
ihrer Auseinandersetzung mit der
Moderne selektiv auf die religiösen Texte
berufen, die Vergangenheit (den Stadt-
staat von Medina mit dem Propheten
Mohammed als seinem Oberhaupt) als
ein goldenes, richtungsgebendes Zeital-
ter verherrlichend heraufbeschwören
und hierbei mediäre Persönlichkeiten als
charismatische Führer benötigen. In der
Krise sind sie auf der Suche nach dem im
eschatologischen Sinne Absoluten, ihrem
Heil. Dennoch ist der religiöse Funda-
mentalismus – als eine politische Ideolo-
gie – von der Moderne, die er eigentlich
zu bekämpfen trachtet, beeinflußt, ja
geprägt. Von der Moderne werden die
instrumentellen Errungenschaften wie
Wissenschaft und Technologie sowie
deren Produkte, nicht aber das rationale
Weltbild übernommen, ohne das die
Moderne gar nicht zustande gekommen
wäre.
Die Kritik am politischen Islam sollte
aber nicht so verstanden werden, dass
es für den Islam als Religion keinen
Platz in der noch fehlenden Zukunfts-
perspektive für den islamischen Orient
gibt. Entwicklung ist keine Imitation.
Die kulturelle Moderne ist im islami-
schen Orient nicht wiederholbar. Hin-
ter ihre Leistungen (zum Beispiel Men-
schenrechte) darf man jedoch nicht
zurückfallen. Soziokulturelle Normen
haben in der Geschichte immer eine
Schlüsselrolle in den entsprechenden
sozialen Wandlungen gespielt. Eine
dynamische Erneuerung des Islam, die
sich nicht in einer defensiv-kulturellen
Reaktion erschöpft, ist ein immer noch
erforderlicher, aber bisher fehlender
Beitrag der Muslime zur Bewältigung
der Moderne. Kurzum: Der islamische
Fundamentalismus ist ein Produkt
einer defensiv-kulturellen Reaktion auf
die Globalisierung der Moderne. Dabei
ist stets zu vergegenwärtigen, dass
„Moderne“ gleichbedeutend ist mit
kultureller Moderne, das heißt mit
Menschenrechten und Demokratie;
aber „Moderne“ bedeutet auch den
Aufstieg des Westens mittels
militärisch überlegener moderner
Waffentechnologie. Mit beiden
Dimensionen der Moderne werden
außereuropäische Völker, hier die Mus-
lime, konfrontiert. Das Phänomen Fun-
damentalismus steht in diesem Kon-
text. Mit anderen Worten: Fundamen-
talismus und Moderne zu analysieren,
heißt anzuerkennen, dass beide auf-
einander auf mannigfaltige Weise
bezogen sind. Zwischen beiden herr-
scht jedoch ein Kampf, der sich in Asien
und Afrika und am virulentesten in
dem Haus des Islam/Dar al-Islam voll-
zieht und den Beginn des 21. Jahrhun-
Der islamische Fundamentalismus und die Moderne
63
derts auf der Suche nach einer neuen
Weltordnung prägt. Der historische
Hintergrund dieses Zusammenpralls
ist der Aufstieg des Westens, der mit-
tels seiner Wissenschaft und Technolo-
gie die gesamte Welt erobern und eine
Weltordnung gründen konnte. Die
Moderne bleibt gespalten in ein kultu-
relles Projekt, das sich ausschließlich
im Westen durch die Umsetzung des
Subjektivitätsprinzips in verbriefte,
institutionell geschützte Menschen-
rechte materialisiert hat, und in eine
global herrschaftsbezogene institutio-
nelle Dimension (technisch-wissen-
schaftliche Modernität). Letztere fand,
unter anderem vor allem durch die Dif-
fusion der westlichen Waffentechnolo-
gie, eine umfassende Globalisierung.
Gegen diese Weltordnung richtet sich
die Revolte der außereuropäischen vor-
modernen Kulturen.
In dem arabischen Teil des Dar al-Islam,
das heißt dem arabischen Nahen Osten,
nimmt diese Revolte die Form einer
Ablehnung der von den USA als nahöstli-
che Pax Americana angestrebten Neu-
ordnung jener Region sowie der gesam-
ten Welt an. Im Gegenzug kultivieren isla-
mische Fundamentalisten die rückwärts
gewandte Utopie einer Pax Islamica, wel-
che die westliche Dominanz durch eine
islamische abzulösen trachtet (vgl. Anm.
51). Die Muslime empfinden sich als frem-
den Mächten ausgeliefert und reagieren
hierauf zum Teil militant. Die High-Tech-
Kriege am Golf (1991) und in Afghanistan
(2001) haben sie gedemütigt. Wie nie
zuvor ist ihnen ihre wissenschaftlich-
technische Unterlegenheit vor Augen
geführt worden. Die Antwort der Mus-
lime in dieser Situation heißt: militanter
Fundamentalismus.53
Bassam Tibi
64
53 Zu muslimischem und jüdischem Fundamentalismus vgl. Emmanuel Sivan und M. Friedman (Hg.), Religious Radi-calism and Politics in the Middle East, Albany/NY 1990.
Bassam Tibi,geb. 1944 in Damaskus, ist seit 1973 Professor für Internationale Beziehungen
in Göttingen und war von 1998 bis 2000 Bosch Visiting Professor
an der Harvard University.
Forschungsaufenthalte in den meisten arabischen Ländern und
Gastprofessuren in den USA., in Asien und Afrika.
Zahlreiche Buchveröffentlichungen zum Islam und zum Fundamentalismus.
Die PDS hat sich in Ostdeutschland zur
stabilen dritten Kraft innerhalb des politi-
schen Systems entwickelt. In einigen
Bereichen besitzt sie bereits den „Charak-
ter einer Volkspartei”. (Brie). Im Zuge der
aktuellen Transformationsforschung ist
die PDS in vielfältiger Weise untersucht
worden. Dieses trifft insbesondere auf die
Programmatik, Organisationsgeschichte
und Elitenstruktur auf Bundes- und Lan-
desebene zu. In dem gesamten Untersu-
chungskanon fehlen bisher jedoch kom-
munale Nahstudien zur Elitentransfor-
mation der PDS. Dieses ist umso verwun-
derlicher, als in den meisten Untersu-
chungen zur PDS gerade ihre kommunale
und sozialräumliche Verankerung als ein
Erklärungsansatz für ihre Wahlerfolge
benannt wird. Der Autor hat versucht, für
Brandenburg dieses Manko zu füllen. An
Hand einer schriftlichen und standardi-
sierten Befragung von PDS-Mandatsträ-
gern in Kreistagen und Stadtverordne-
tenversammlungen von kreisfreien Städ-
ten im Land Brandenburg wurde ver-
sucht,den stattgefundenen Elitenwandel
auf der Ebene der Kreise und kreisfreien
Städte abzubilden.
Da Mitgliederkontinuitäten, informelle
Strukturen und Vermögen von der SED
und damit aus dem alten System über-
nommen wurden, ist die Untersuchung
des Elitenwandels demokratietheore-
tisch durchaus bedeutsam und notwen-
dig, um ein realistisches Bild von der PDS
zu bekommen.
Der vorliegende Textes hinterfragt des-
halb ob sich die heutige kommunale PDS-Funktionselite aus den breiten Schichtender Gesellschaft und ihren größeren undkleineren Gruppen rekrutiert und damitdie Nachwende-Gesellschaft repräsentiertoder es sich bei ihren Kommunalabgeord-neten nach wie vor um die Repräsentan-ten des gesamtgesellschaftlich überwun-denen DDR-Systems handelt?
Damit wird die Kaderrekrutierung zum
Indikator für die Demokratisierung der
65
Elitentransformation auf kommunalerEbene am Beispiel der PDS in Brandenburg
von Lars Krumrey
PDS. Hat es einen Elitentausch gegeben,
so kann man davon ausgehen, dass die
PDS auf der personellen Ebene den Trans-
formationsprozess bewältigt hat. Die
Belastung der PDS durch ihren Funk-
tionärskörper ist dann nicht mehr verifi-
zierbar, da der Austausch für die Bundes-
und Landesebene heute schon als
gemeinhin akzeptiert gilt. Hat es diesen
Elitenaustausch nicht gegeben, erscheint
zumindest fragwürdig, ob die PDS als
Gesamtpartei ihre programmatisch-
inhaltliche Transformation und die damit
einhergehende demokratische Konsoli-
dierung abgeschlossen hat.
Als Grundgesamtheit wurden die 203
Abgeordneten der PDS auf der Ebene der
Landkreise und kreisfreien Städte festge-
legt. Hieraus sind im Rahmen einer Teiler-
hebung fünf Kreistagsfraktionen und
drei Stadtverordnetenversammlungen
ausgewählt worden. Zusätzlich wurde in
die Befragung noch die kreisangehörige
Stadt Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-
Ruppin) mit einbezogen, da diese eine
von zwei brandenburgischen Städten ist,
in der die PDS über einen hauptamtli-
chen Bürgermeister verfügt. Bei der
Untersuchung wurde sich aus zwei Grün-
den auf die überörtliche Ebene be-
schränkt: Einmal sollten die Fallzahlen in
einem für eine Diplom-Arbeit überschau-
baren Umfang gehalten werden und
zum Anderen weisen hier die Fraktionen
jeweils Größen auf, die statistisch noch
darstellbar sind. An Hand von Gemeinde-
fraktionen mit zwei bis fünf Abgeordne-
ten lassen sich sicherlich keinerlei Ten-
denzen aufzeigen.
Rückläufe sind aus allen angeschrieben
Fraktionen der Kreistage und Stadtver-
ordnetenversammlungen der kreisfreien
Städte zu verzeichnen. Leider ist aus der
Stadt Neuruppin kein Fragebogen
Lars Krumrey
66
Rückläufe der FragebögenFraktion Mandate Rücklauf %
Stadt Brandenburg a. d. Havel 10 10
Stadt Frankfurt (Oder) 13 13 100
Stadt Potsdam 16 16
Landkreis Barnim 15 10 67
Landkreis Märkisch-Oderland 14 9 64
Landkreis Potsdam-Mittelmark 11 7 63
Landkreis Spree-Neiße 11 9 82
Landkreis Uckermark 12 12 100
Stadt Neuruppin 5 0 0
Gesamt 107 85 79
zurückgesandt worden. Insgesamt ist der
Rücklauf aber erfreulich hoch.
Bei der Auswahl der Regionen wurde
versucht die Struktur des Landes zu
berücksichtigen. Diese umfasst sowohl
die geografische Ausrichtung als auch die
Teilung zwischen engerem Verflech-
tungsraum und äußerem Entwicklungs-
raum.
Mit den Landkreisen Uckermark und
Spree-Neiße sowie Märkisch-Oderland und
Potsdam-Mittelmark sind jeweils Land-
kreise ausgewählt worden, die auch die
Ränder des Landes umfassen, wobei Mär-
kisch-Oderland und Potsdam-Mittelmark
zusätzlich auch in den „Berliner Speckgür-
tel“ ragen. Potsdam bildet das politische
Zentrum des Landes und Potsdam-Mittel-
mark, Märkisch-Oderland sowie Barnim
sind zu Regionen mit Zuwanderung von
qualifizierten Arbeitskräften aus Berlin und
den alten Bundesländern geworden.
Durch diese Auswahl ist es im Ergebnis
gelungen, die verschiedenen Facetten des
Landes und auch der PDS in die Untersu-
chung zu integrieren. Gleichwohl erfolgte
die Auswahl nicht nach repräsentativen
Kriterien. Mit der Entscheidung, nicht
sämtliche 203 PDS-Mandatsträger zu
befragen, wurde gleichzeitig entschieden,
gewisse statistische Unzulänglichkeiten
zu akzeptieren. Mit einer Quote von knapp
42 Prozent bezogen auf alle PDS-Mandat-
sträger sind die Daten aber schon so kon-
solidiert, dass sie einen gesicherten Trend
aufzeigen können.
„Empirische Daten zur Analyse der
Transformationsprozesse müssen […] eine
Zeitperiode umfassen, die kurz vor Offen-
kundigwerden der Transformation ansetzt
und bis kurz nach der institutionellen
Umgestaltung im Gesamtsystem reicht.“1
Insofern wurden in dem Fragebogen
sowohl das partei- und kommunalpoliti-
sche Engagement vor 1989 erfragt, als
auch das heutige Engagement.
Untersucht wurden im Einzelnen:
• sozialstatistische Angaben,
• Angaben zu Parteibindung und Mit-
gliedschaften,
• Angaben zu kommunalpolitischen
Mandaten und Ämtern,
• Angaben zu ausgewählten interme-
diären Kontakten (im Wesentlichen zu
klassischen und angenommenen Vor-
feldorganisationen der PDS bzw. SED)
und
• Angaben zu aufgewendeten Zeitkon-
tingenten für Partei und Fraktion.
Die Untersuchung beschränkt sich auf
die reine Erhebung von Funktionen und
die politische Biografie der befragten Per-
sonen. Einstellungsfragen wurden nicht
gestellt. Qualitative Aussagen zu den
ideologischen Dispositionen der Mandat-
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
671 Ja-Sook Park, Transformation in einem geteilten Land, Frankfurt am Main: Peter Lang 1999, S. 71
Die sozialstatistischen Daten geben
unter anderem Aufschluss darüber, zu wel-
cher Zeit die heutigen Mandatsträger poli-
tisch sozialisiert wurden und welchen
gesellschaftlichen Status sie besitzen. Von
den 85 Mandatsträgern, die den Fragebo-
gen beantwortet haben, waren 49 Män-
ner und 36 Frauen.
Um die Angaben zur Altersstruktur
darstellen zu können, wurden bei der
Auswertung Klassen gebildet. Die Klas-
sen unterteilen in die Gründungsgenera-
tion (bis 1940), Aufbaugeneration (1941-
1955), DDR-Generation (1956-1970) und
Krisengeneration (ab 1971). Dieses
erscheint insofern sinnvoll, als die Grün-
dungsgeneration die unmittelbare Nach-
kriegszeit und die ersten Jahre der Staats-
gründung miterlebt hat. Die Aufbauge-
neration hat den Beginn der Nachkriegs-
zeit als Kind noch miterlebt und als erste
das komplette DDR-Bildungssystem
durchlaufen. Die DDR-Generation hat
ihre komplette Sozialisierung in der DDR
erlebt. Gleichzeitig war diese Generation
zur Wende voll erwerbstätig und musste
sowohl politisch als auch ökonomisch
den Wechsel von einem System in das
sträger können also nur durch Ableitun-
gen im Rahmen der Responsivität und
unter Zugrundelegung anderer Untersu-
chungen getroffen werden.
Lars Krumrey
68
Ergebnisse aus der Umfrage
andere verkraften. Die Krisengeneration
wurde zwar in der DDR sozialisiert, hat
aber die ab den siebziger Jahren zuneh-
menden Struktur- und Systemkrisen
umfassend miterlebt und ihre (Schul-)
Ausbildung während oder kurz nach dem
Systemwechsel abgeschlossen.
Versucht man nun die Responsivität
zwischen Abgeordneten und Bevölke-
rungsquerschnitt zu analysieren, kommt
man zu folgenden Ergebnissen.
Zunächst sind 91,7 Prozent der Man-
datsträger in der DDR aufgewachsen.
Der älteste Abgeordnete ist 1925 und
der jüngste Abgeordnete 1980 geboren.
Der Altersdurchschnitt der Abgeordne-
ten liegt bei 50,79 Jahren. Jedoch fällt
auf, dass die Abgeordneten in den drei
kreisfreien Städten mit 48,16 Jahren sig-
nifikant jünger sind als die in den Land-
kreisen mit 52,52 Jahren. Entsprechend
stammt mit 21 Jahren der jüngste Abge-
ordnete aus der Stadt Potsdam und mit
76 Jahren der älteste aus dem Landkreis
Barnim. 23,5 Prozent der Abgeordneten
sind 60 Jahre und älter, wohingegen nur
5,9 Prozent unter 30 Jahre alt sind. Über
den Alterdurchschnitt der Gesamtbe-
völkerung lagen keine frei zugänglichen
Daten in den hier gebildeten Klassen
vor. Jedoch waren in Brandenburg 1999
insgesamt 15 Prozent der Bevölkerung
65 Jahre und älter.2 Es kann deshalb
davon ausgegangen werden, dass die
Zusammensetzung der Fraktionen
etwas oberhalb der Altersstruktur des
Landes liegt.
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
69
Verteilung der Generationen (n=85)
Generation Anzahl Kumuliert %
Gründergeneration 18 18 21,4
Aufbaugeneration 45 63 53,6
DDR-Generation 14 77 16,7
Krisengeneration 7 84 8,3
k. A. 1 ./.
Gesamt 85
PDS-Abgeordnete deutlich älter als der Landesdurchschnitt
2 Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg, Bevölkerung nach Altersgruppen 1990–1999,http://www.brandenburg.de/lds/daten/bev/tab21.htm (download vom 15.09.01).
Das Gros der Abgeordneten ist nach
wie vor berufstätig. Lediglich 21 Prozent
der Abgeordneten sind aus dem Erwerb-
sprozess ausgeschieden. Auffallend
gering ist die Quote der Erwerbslosen.
Mit 3,5 Prozent ist sie weit unterdurch-
schnittlich verglichen mit der Arbeitslo-
senquote von 17,3 Prozent im Land Bran-
denburg3.
Drei Abgeordnete verfügen über eine
Berufsausbildung, 12 haben ein Fach-
schulstudium und 68 ein Fachhochschul-
oder Hochschulstudium absolviert. Zwei
Abgeordnete verfügen über keine Berufs-
ausbildung.
Wichtig zur Beurteilung der Repräsen-
tativität der Abgeordneten ist auch ihr
Beschäftigungsverhältnis. Arbeiter sind
zwei Mandatsträger, Angestellte sind 41,
Beamte fünf und Selbständige 11 der
Befragten. Neun Abgeordnete machten
keine Angaben zu ihrem Beschäftigungs-
verhältnis. Die Differenz zur Zahl der
Berufstätigen ergibt sich daraus, dass
einige Probanden ein Beschäftigungsver-
hältnis angegeben haben, obwohl sie
noch in Ausbildung oder schon in Rente
sind. Aber auch die Beschäftigungssekto-
ren können Auskunft darüber geben, wie
breit eine Partei in der Gesellschaft veran-
kert ist. Rekrutieren sich ihre Repräsen-
tanten z.B. nur aus der Industrie oder nur
aus dem Öffentlichen Dienst, so hat die-
ses auch Auswirkungen auf die Integrati-
onsfunktion der Partei. In der Industrie
sind fünf der befragten Mandatsträger
beschäftigt, im Handwerk und in der
Landwirtschaft lediglich je zwei, im Han-
dels- und Dienstleistungssektor 18 Perso-
nen. Der Öffentliche Dienst stellt mit 28
Personen den Hauptbeschäftigungs-
zweig der PDS-Mandatsträger dar. Die
restlichen Befragten machten keine
Lars Krumrey
70
Erwerbsstatus (n=85)Erwerbsstatus Anzahl %
Berufstätig 61 71,8
Rentner/in 18 21,1
Hausfrau/mann 0 0
Ausbildung 3 3,5
Erwerbslos 3 3,5
k. A.
Gesamt 85
3 Vgl.: Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg, Im August wenig Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt in Berlin undBrandenburg, Pressemitteilung Nr. 52 vom 05.09.2001, Berlin 2001.
Angabe zu ihrem Beschäftigungssektor
oder befanden sich bereits in der Rente.
Damit finden sich die PDS-Mandatsträ-
ger in der Mitte der Gesellschaft wieder,
auch wenn sie für diese nicht repräsenta-
tiv sind. Der hohe Anteil von Hochschul-
absolventen, der außerordentlich hohe
Grad an Beschäftigten im Öffentlichen
Dienst und die geringe Arbeitslosen-
quote weichen erheblich vom Landes-
durchschnitt ab. „Besonders auffällig ist,
dass die PDS einen geringen Arbeiteran-
teil unter den Mandatsträgern hat,
obwohl sie die Nachfolge einer Partei
antrat, die sich geradezu als die Arbeiter-
partei im Osten Deutschlands präsentiert
hat.”4
Der zweite wichtige Bereich, zu dem im
Zuge der Umfrage Daten gewonnen wur-
den, bezieht sich auf die Parteibindung
und das innerparteiliche Engagement.
Von den 85 Befragten sind insgesamt 74
Mandatsträger Mitglied der PDS. Davon
sind drei Mitglieder in der Wende-Zeit
1989/90, jeweils ein Mitglied 1994, 1996
und 1998 eingetreten sowie zwei Mitglie-
der 1997 eingetreten. Ein Mitglied machte
keine Angabe zu seinem Beitrittsjahr. 11
PDS-Fraktionsmitglieder besitzen kein
Parteibuch. Von den heutigen Mandat-
strägern waren insgesamt 70 Personen
früher Mitglied der SED, jedoch sind zwi-
schenzeitlich wieder fünf Personen aus
der PDS ausgetreten, so dass von den heu-
tigen Mandatsträgern mit PDS-Partei-
buch bereits 65 das SED-Parteibuch beses-
sen haben. Austrittsdatum und Austritts-
grund wurden nicht erfragt. Insofern kann
keine Auskunft darüber gegeben werden,
ob die fünf ausgetretenen Mitglieder zu
Wendezeiten ausgetreten sind oder erst
in den letzten Jahren die PDS verlassen
haben und warum dieses erfolgte.
Von den heutigen Mandatsträgern
hatten bereits 43 Personen ein Parteiamt
vor 1989 ausgeübt. Dieses taten 14 auf
Ebene der Kreis- oder Bezirksleitung,
davon wiederum hatten sieben Personen
eine hauptamtliche Parteifunktion.
Betrachtet man die heutige innerpar-
teiliche Verankerung der Mandatsträger,
so haben insgesamt 50 Personen ange-
geben, mindestens ein Parteiamt aus-
zuüben. Jedoch sind auch 21 kommunale
Mandatsträger Mitglied der PDS, ohne
eine besondere Funktion in der Partei zu
übernehmen.
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
714 Pollach//Wischermann/Zeuner, Ein nachhaltig anderes Parteiensystem, Opladen: Leske+Budrich 2000., S. 83.
Fast 50 Prozent der Mandatsträger waren schon vor 1989 politisch aktiv
Von den Funktionsträgern nimmt das
Gros (31 Personen) lediglich eine Partei-
funktion war. Dieses sind im Wesentli-
chen das Delegiertenmandat für den
Landesparteitag oder die Mitgliedschaft
in einem Vorstand einer Basis- oder Kreis-
parteiorganisation. 16 Mandatsträger
nehmen 2-3 Parteifunktionen wahr und 4
Personen nehmen 4 Funktionen wahr.
Von den 50 Personen werden insgesamt
77 Parteiämter ausgeübt, plus ein Land-
tagsmandat.
Wichtig für die innerparteiliche Veran-
kerung der Mandatsträger ist die Mitar-
beit in den Arbeits- und Interessenge-
meinschaften (im Folgenden kurz AG/IG
genannt) der Partei. Erfragt wurden alle
in der Landessatzung der PDS Branden-
burg verankerten AG/IG. Dieses bedeutet
jedoch nicht, dass jede AG/IG in den
befragten Kreisen existieren muss.
Zusätzlich hierzu wurden auch das Kom-
munalpolitische Forum und die Rosa-
Luxemburg-Stiftung als zwei wichtige
parteinahe Vereinigungen erfasst. Auffal-
lend ist, dass 37 Mandatsträger mit PDS-
Parteibuch in keiner AG/IG auf Parteie-
bene mitarbeiten. Mit Abstand am häu-
figsten wurde die Mitarbeit in Organisa-
tionen mit „Dienstleistungscharakter“
für die Kommunalpolitik, das Kommunal-
politische Forum und die Rosa-Luxem-
burg-Stiftung angegeben. Insgesamt
muss jedoch festgestellt werden, dass
sich die Mandatsträger augenscheinlich
fast ausschließlich auf ihre kommunalpo-
litische Aufgabe konzentrieren. Eine for-
male innerparteiliche Verankerung
sowohl in den Gremien – sieht man von
den Delegiertenmandaten zu Parteita-
gen ab – als auch in den inhaltlichen
Arbeitsgruppen ist nach der Datenlage
Lars Krumrey
72
Parteibindung (n=85)Ja Nein k. A.
Heute Mitglied der PDS 74 11
- davon früher Mitglied der SED 65
Früher mal Mitglied der SED 70 15
Personen m. Parteiämter vor ´89 43 26 1
- Leitung Grundorganisation 34
- Kreisleitung (hauptamtlich) 6
- Kreisleitung (ehrenamtlich) 7
- Bezirksleitung (hauptamtlich) 1
Personen m. Parteiämtern heute 50 21 3
Personen mit Vorstandsämtern 33
Ausgeübte Funktionen
- Vorstand Basisorganisation 17
- Kreisverband 17
- Landesvorstand 3
- Delegierte Landesparteitag 22
- Delegierte Bundesparteitag 12
- Sonstige (inkl. MdL Mandat) 7
nur sehr unzureichend gegeben. Ein
Erklärungsansatz für die geringe Beteili-
gung an den Arbeitsgemeinschaften
könnte die anzunehmende unzurei-
chende regionale Ausprägung der AG/IG
sein. Viele der statuarisch festgelegten
Diskussionsgruppen scheinen auf der
kreislichen Ebene nicht zu existieren.
Andererseits deutet auch das geringe
Engagement in den Parteigremien dar-
aufhin, dass die Verbindung zwischen Par-
tei und Mandatsträgern nur in seltenen
Fällen gegeben ist. Dieses ist umso
erstaunlicher, als es bei anderen Parteien
gerade auf der kommunalen Ebene in der
Regel eine enge Verzahnung zwischen
kommunaler Parteifunktion und kommu-
nalem Mandat gibt. In den acht unter-
suchten Kreisen nehmen jedoch lediglich
31 Personen ein Vorstandsamt wahr,davon
lediglich vier auf zwei verschiedenen
Organisationsebenen (Basisorganisation/
Kreisvorstand: 3; Kreisvorstand/Landesvor-
stand: 1). Geht man davon aus, dass in den
Kreisvorständen die Leitlinien der Politik
für die Kreistage und Stadtverordneten-
versammlungen diskutiert werden, so ist
die Schnittmenge zwischen Kreisvorstand
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
73
Hohe Arbeitsteilung zwischen Parteiorganisation und Fraktion
Arbeitsgemeinschaften/Interessengemeinschaften (n=74)Mitgl.
Frauen-AG Lisa ./.
Solid 2
AG Senioren ./.
AG Betrieb 2
AG Bildung 5
AG Umwelt 3
AG Geschichte ./.
AG Energie 1
AG Internationales ./.
AG Antifaschismus/Rechtsextremismus 4
AG Neues Denken ./.
AG Hochschule ./.
Cuba Sí 1
Marxistisches Forum ./.
Kommunistische Plattform 1
Rosa-Luxemburg-Stiftung 6
Kommunalpolitisches Forum 18
Andere 11
54
und Fraktion mit 17 Kreisvorstandsmitglie-
dern in 8 Fraktionen außerordentlich
gering. Ein Erklärungsansatz könnte die
im Vergleich zu anderen Parteien höhere
Arbeitsteilung zwischen Fraktion und Par-
teiorganisation sein. Hierfür spricht auch
die „Kommunal-Studie”, die feststellt, dass
mit 71 Prozent der Zufriedenheitsgrad mit
der Arbeitsteilung bei den PDS-Fraktions-
vorsitzenden außerordentlich hoch ist.5
Anders sieht das Bild aus, wenn man
sich von den Gremienstrukturen löst.
Gefragt nach der durchschnittlich in der
Woche aufgewendeten Zeit für Parteiar-
beit, erhält man einen Wert von 3,7 Stun-
den (276 Stunden insgesamt), bezogen auf
alle Mandatsträger. Legt man nur die 61
Mandatsträger zu Grunde, die die Frage
nach ihrem zeitlichen Engagement beant-
wortet haben, erhöht sich dieser Wert auf
4,5 Stunden wöchentlich, tatsächlich ist
die Spreizung jedoch ganz erheblich. Wen-
det die Mehrzahl der Abgeordneten etwa 2
Stunden pro Woche für Parteiarbeit auf, so
gibt es auch einzelne Personen, die mehr
als 30 Stunden pro Woche angegeben
haben und damit eigentlich schon als „Teil-
zeit-Politiker“ zu bezeichnen sind. Zwei
Befragte gaben Werte von 50 und 65 Stun-
den wöchentlich für ihre parteipolitischen
Aktivitäten an. Addiert man hier noch das
kommunalpolitische Engagement hinzu,
Lars Krumrey
745 Vgl.: Günter Pollach/Jörg Wischermann/Bodo Zeuner, a.a.O., S. 80.
kommt man auf Werte jenseits der 80
Stunden pro Woche. Bei solchen Antwor-
ten stellt sich die Frage, inwieweit diese
Selbsteinschätzung realistisch ist. Insge-
samt kann man jedoch feststellen, dass
das innerparteiliche Engagement außer-
halb der Gremienstrukturen als durch-
schnittlich befriedigend und bezogen auf
die tatsächlich antwortenden Personen als
erheblich zu bezeichnen ist.
Intermediäre Kontakte liefern Anhalts-
punkte für die Verankerung der Mandat-
sträger in gesellschaftlichen Großgruppen.
In Studien hierzu ist bisher fast ausschließ-
lich danach gefragt worden, welche Kon-
takte die Mandatsträger zu den verschie-
denen gesellschaftlichen Gruppen haben.
Hier hat die PDS insbesondere bei den
sozial ausgerichteten Kontaktnetzen
regelmäßig gut abgeschnitten.6
Bei diesen Fragen handelte es sich
aber immer um Selbsteinschätzungen.
In der vorliegenden Untersuchung
wurde nach den tatsächlichen Mitglied-
schaften gefragt. Mitgliedschaften deu-
ten auf einen festen und kontinuierli-
chen Kontakt hin, der auch die inneror-
ganisatorische Einflussnahme auf Ver-
bände ermöglicht – und damit für das
potentielle Verhalten dieser wesentlich
maßgeblicher ist. Betrachtet man den
Kontakt der Mandatsträger zu den als
parteinah geltenden Organisationen im
intermediären Bereich, ergibt sich fol-
gendes Bild: Insgesamt sind 21 Personen
(24,7 Prozent) nicht Mitglied in einer für
die Partei strategisch wichtigen Vorfeld-
organisation. Lediglich 38,8 Prozent sind
Mitglied einer Gewerkschaft und nur 14
Prozent gehören dem Mieterbund an,
einer Organisation, die gemeinhin als
Domäne der PDS angesehen wird. 35
Mandatsträger sind lediglich Mitglied
einer einzigen weiteren Organisation
und nur 8 Personen haben einen stark
institutionalisierten intermediären Kon-
takt (Mitgliedschaft in drei und mehr
Organisationen). Damit spiegelt sich in
der PDS die gesamtgesellschaftliche Ten-
denz wider, sich zunehmend weniger
durch Mitgliedschaften an Organisatio-
nen und Vereine zu binden.
Augenfällig ist der Unterschied zu der
Zeit vor 1989. Hier waren nach eigenen
Angaben 78 der Befragten Mitglied in
mindestens einer Massenorganisation.
Sechs Personen machten keine Angaben
zu Mitgliedschaften,von denen aber zwei
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
75
6 Vgl.: Heiko Gothe/Ulla Kux/u.a., Organisation, Politik und Vernetzung der Parteien auf Kreisebene in den fünf neuenLändern, Berlin: Freie Universität Berlin 1996, S. 95 sowie: Pollach/Wischermann/Zeuner, a.a.O., S. 87.
Abnehmende Intermediäre Verankerung
Befragte zu DDR-Zeiten auch noch Kinder
waren.
Insbesondere die Deutsch-Sowjetische
Freundschaftsgesellschaft und der Freie
Deutsche Gewerkschaftsbund waren
Organisationen, in denen praktisch jedes
Parteimitglied ebenfalls eingeschrieben
war. Die Angaben zu Mitgliedschaft in der
FDJ sind wahrscheinlich nicht repräsenta-
tiv, da es sich hier um eine Jugendorgani-
sation handelte, in der zwar faktisch fast
alle DDR-Bürger in ihrer Jugend Mitglied
waren. Viele Befragte haben wahrschein-
lich nur die Mitgliedschaften zum Ende der
DDR angegeben. Anders als heute waren
für viele SED-Mitglieder Mehrfachmit-
Lars Krumrey
76
Intermediäre Mitgliedschaften (n=85)
Mitgl.
Gewerkschaften 33
Mieterbund/Mieterverein 12
Volkssolidarität 14
Sportverein 20
Kulturbund 4
Andere 21
Gesamtmitgliedschaften 104
Mandatsträger o. Mitgliedschaften 21
Intermediäre Mitgliedschaften vor 1989 (n=85)
Mitgl.
FDGB 66
FDJ 51
DSF 73
GST 22
DFD 10
Kulturbund 15
Sportbund 25
Volkssolidarität 21
Andere 10
Gesamtmitgliedschaften 293
Mandatsträger o. Mitgliedschaften 6
gliedschaften Normalität. 68 Personen
waren in drei und mehr Organisationen
Mitglied.
Der dritte Untersuchungsgegenstand
widmete sich dem kommunalpolitischen
Engagement. Hier ist auffällig, das ledig-
lich 15 Personen der heute aktiven Man-
datsträger bereits vor 1989 ein (kommu-
nal-) politisches Mandat innehatten. Auf
der kreislichen Ebene (die damals jedoch
wesentlich kleiner gefasst war als das
heute der Fall ist) waren damals 6 Man-
datsträger aktiv. Ein Mandatsträger war
vor 1989 Mitglied des Rates des Bezirkes,
also an exponierter Stelle politisch ver-
antwortlich.
Interessant zur Beurteilung der Zusam-
mensetzung der Fraktionen ist auch die
Dauer der Fraktionszugehörigkeit. Von
den heutigen Abgeordneten haben 29
Abgeordnete ihr Mandat seit der ersten
Legislaturperiode inne. Immerhin 21
Abgeordnete sind seit der zweiten Legis-
laturperiode Mandatsträger. Neu hinzu-
gekommen in die dritte – jetzt laufende –
Legislaturperiode sind 34 Mandatsträger
(ein Mandatsträger machte keine
Angabe zu seinem Eintritt in den Kreis-
tag). Das bedeutet,dass immerhin 34 Pro-
zent der Mandatsträger bereits unmittel-
bar nach dem Ende der DDR kommunal-
politische Verantwortung übernommen
haben. Dieses heißt jedoch nicht auto-
matisch, dass sie schon zu DDR-Zeiten
kommunalpolitische Funktionen über-
nommen hatten. Von den 29 Abgeordne-
ten der ersten Wahlperiode gaben nur
fünf Personen an, bereits vor 1989 über
ein Wahlamt verfügt zu haben. Ähnlich
gering ist dieser Wert auch für die nach-
folgenden Wahlperioden. Jedoch fällt auf,
dass 1998 vier ehemalige Funktionsträ-
ger (darunter auch das ehemalige Mit-
glied des Rates des Bezirkes) neu hinzu-
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
77
politisches Mandat vor 1989 (n=85)
Ebene der Volksvertretung Mitgl.
Mandatsträger vor 1989 15
(insgesamt)
Ortsteil/Stadtbezirk 1
Gemeinde/Stadt 7
Kreis 6
Bezirk 2
Republik (Volkskammer) 0
Rat des Bezirks 1
Ohne Mandate 59
k.A. 10
gewählt wurden. Dieses deutet darauf
hin, dass der Generationswechsel in der
PDS immer noch mit Schwierigkeiten
behaftet ist.
Von den heute tätigen Kreistagsabge-
ordneten haben neun Mitglieder gleich-
zeitig ein Mandat in einer Gemeindever-
treterversammlung, von denen wie-
derum drei dem örtlichen Fraktionsvor-
stand angehören. 14 Personen üben
neben ihrer Kreistagstätigkeit ein Man-
dat in einer Stadtverordnetenversamm-
lung einer kreisangehörigen Stadt aus.
Hiervon wiederum gehören 9 Personen
dem Fraktionsvorstand an. Eine Person ist
Bürgermeister/Beigeordneter auf der
kommunalen Ebene.
Der verwandte Fragebogen enthielt
bei den Fragen zu den Vorstandszu-
gehörigkeiten von Fraktionen Formu-
lierungen, die offensichtlich insbeson-
dere bei den kreisfreien Städten miss-
interpretiert werden konnten. Um hier
keine unzulässigen Schlussfolgerun-
gen zu ziehen, wurde auf eine weitere
Interpretation der Vorstandsfunktio-
nen bei Fraktionen verzichtet. Dieses
erscheint aber auch insofern vertret-
bar, als die Verzahnung zwischen kreis-
licher und kommunaler Tätigkeit auch
so erfasst werden konnte, was bei den
kreisfreien Städten jedoch auf Grund
der Kommunalverfassung ohnehin
nicht möglich ist. Auffallend in diesem
Block ist jedoch, dass „nur“ 30 Prozent
der Kreistagsabgeordneten über eine
Mehrfachmitgliedschaft in kommuna-
len Vertretungskörperschaften verfü-
gen. Aus der eigenen politischen Praxis
hätte der Autor vermutet, dass eine
Lars Krumrey
78
wesentlich höhere Zahl von Kreistags-
abgeordneten auch auf der gemeindli-
chen oder städtischen Ebene über ein
weiteres Mandat verfügt.
Gefragt nach ihrem zeitlichen Engage-
ment in der Kommunalpolitik ergeben
sich durchweg wesentlich höhere Werte
als bei der Frage nach dem parteipoliti-
schen Engagement. Lag der Durchschnitt
dort bei 4,5 Stunden so liegt er in der
Kommunalpolitik bei genau 12 Stunden,
also fast dem dreifachen Wert gegenüber
der Parteiarbeit.
Erstaunliche Ergebnisse erhält man,
wenn man den Zeitaufwand für partei-
politische und kommunalpolitische
Arbeit addiert. Hier geben 25 Befragte
(29,4 Prozent) an, 20 Stunden und mehr
für ihre politische Tätigkeit aufzuwenden
und 8,5 Prozent engagieren sich jenseits
einer 40 Stundenwoche. Es muss
nochmals auf die obige Bemerkung hin-
gewiesen werden, wonach einige Zahlen
nicht ganz schlüssig erscheinen. So
gaben z.B. jeweils eine Person Werte von
80 bzw. 85 Stunden an,wobei eine Person
zusätzlich noch berufstätig ist. Nichtsde-
stotrotz ist der Aktivitätsgrad der PDS-
Abgeordneten außerordentlich hoch. Das
Gros der erwerbstätigen Befragten sie-
delte sein Engagement – was wesentlich
realistischer erscheint – zwischen 5 und
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
79
Übernahme des Mandates (n=85)
Jahr Anzahl Davon Mandate vor 89
1990 26 5
1991 1
1992 2
1993 16 2
1994 2
1995 0
1996 1
1997 2 1
1998 31 4
1999 0
2000 3
k.A. 1
Hohes Zeitliches Engagement für Kommunalpolitik
20 Stunden an. Insgesamt kommt man
auf ein durchschnittlich aufgewendetes
Zeitkontingent von 17 Stunden, was
sicherlich weit über den durchschnittli-
chen Werten der Abgeordneten von kon-
kurrierenden Parteien liegt.
Die PDS wurde gebildet, weil die Refor-
mation der SED nach dem Scheitern des
alten Blocksystems nicht mehr möglich
erschien. Der Forderung der Massen nach
Entmachtung der SED musste eine grund-
legend reformierte Partei entgegenge-
stellt werden, wollte man weiterhin am
politischen Prozess teilhaben.
Der Übergang von der SED zur PDS über
den Umweg SED-PDS erfolgte im Wesent-
lichen durch die Ablösung der ehemaligen
politischen Klasse auf Kreis-, Bezirks- und
Republikebene und die Ankündigung einer
programmatischen Neuorientierung. Mit-
gliederkontinuitäten, informelle Struktu-
ren und Vermögen wurden übernommen.
Kann dieses an Hand der Mandatsträger-
befragung auch für die kommunalen Eli-
ten festgestellt werden? Die Frage nachdem kommunalen Elitenwandel ist damit
unmittelbar mit der Frage Überlebens-
fähigkeit der PDS verbunden.
Lars Krumrey
80
Zusammenfassung
Ein weiteres Kennzeichen, um die
ideologische Verwurzelung in dem
alten SED-Regime zu messen, sind die
Mitgliedschaften in den Massenorgani-
sationen. Zwar waren Mitgliedschaften
in den Massenorganisationen in der
DDR sehr weit verbreitet, aber be-
stimmte Organisationen hatten eine
besondere ideologische Nähe zur SED.
Hierzu gehörten neben der FDJ als
Jugendorganisation vor allem die DSF
und die GST. In der DSF waren 73 der
Befragten und in der GST immerhin
noch 22 Personen.
Vordergründig könnte festgestellt wer-
den, dass die PDS die kommunalen Man-
datsträger zu einem ganz erheblichen Teil
ausgetauscht hat. Immerhin gaben nur
17,6 Prozent der heutigen Mandatsträger
(15 Personen) an, früher ein kommunalpoli-
tisches Amt ausgeübt zu haben. Hier kann
man dann zwar nicht von einem grundle-
genden Bruch reden, gemessen an dem
Charakter der SED als Staatspartei wäre
dieses aber trotzdem ein signifikanter Hin-
weis auf einen Wechsel.
Nun sind jedoch nicht nur die Funktio-
nen kennzeichnend, sondern hinzu kom-
men noch die politischen Biographien
und die möglicherweise nachhaltige
mentale Verankerung der Mandatsträ-
ger in der DDR.
Alle heutigen Mandatsträger haben
die Zeit der DDR bewusst erfahren. 75
Prozent der Befragten gehörten zur
Gründer- oder Aufbaugeneration. Über
90 Prozent (77 Personen von insgesamt
85) sind unter „DDR-Bedingungen“
politisch sozialisiert worden. Dieses
hinterlässt tiefgreifende Prägungen,
was jedoch auch für alle anderen Par-
teien gilt. Es muss deshalb nach der
inneren Einstellung zur DDR gefragt
werden, um einen Elitenwechsel auch
auf der inhaltlichen Ebene feststellen
zu können. In diesem Zusammenhang
kann zunächst konstatiert werden,
dass über 82 Prozent der befragten
Mandatsträger ihre politische Heimat –
ausgedrückt durch ihre Mitgliedschaft
– in der SED hatten. 43 Personen (50,1
Prozent) hatten innerhalb der Partei
eine Leitungsfunktion. Lediglich fünf
Personen, die heute für die PDS im
Kreisparlament sitzen, waren zwar
früher SED-Mitglieder, sind aber heute
nicht mehr Mitglied der PDS (ohne dass
zu den Motivationen für den Austritt
fundierte Aussagen gemacht werden
können, siehe oben).
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
81
PDS auf kommunaler Ebene weiterhin Repräsentant des überwundenen Gesellschaftssystems
Insgesamt muss also festgestellt werden,
dass
a) bis auf ganz wenige Ausnahmen die
heutigen Abgeordneten ihre politi-
sche Sozialisation in der DDR erfah-
ren haben,
b) der Großteil der heutigen Mandat-
sträger zu DDR-Zeiten nicht in das
kommunalpolitische System der DDR
integriert war, aber
c) fast alle Befragten früher Mitglied der
SED und der sozialistischen Massen-
organisationen waren, in der Mehr-
heit sogar als Mitglied eines Leitungs-
gremiums der SED,
d) im Ergebnis eine personelle Konti-
nuität zur SED in signifikanter Weise
gegeben ist.
Es ist der PDS also auf kommunalerEbene nicht gelungen, eine grundlegendsich von dem alten Gesellschaftssystemunterscheidende Funktionärsstruktur auf-zubauen. Hiergegen spricht auch schon
das insbesondere in den Landkreisen hohe
Alter der meisten Mandatsträger. Damit
wird eine der zentralen Aussagen der Stu-
die von Pollach/Wischermann/Zeuner,
dass sich der Stamm der Schlüsselperso-
nen der PDS „überwiegend und direkt aus
dem Aktivpotenzial des DDR-Systems“7
herleitet, gestützt.
Teilweise unbeantwortet muss die
Frage nach der Wechselwirkung zwischen
Parteiorganisation und Fraktion bleiben.
Insgesamt haben 64 der 74 Mandatsträ-
ger mit PDS-Parteibuch angegeben, sie
würden sich innerparteilich engagieren.
Vergleicht man die Leitungsfunktionen
auf Ortsebene, die heute von den Mandat-
strägern wahrgenommen werden, so lie-
gen diese mit 17 Personen erheblich unter-
halb des Wertes von 34 aus der SED-Zeit.
Ob dieses vergleichsweise geringe Enga-
gement jedoch auf einer latenten Unzu-
friedenheit mit der Partei, dem stärkeren
Engagement in den Kommunalparlamen-
ten oder der ausgeprägten Arbeitsteilung
zwischen Fraktion und Partei beruht, lässt
sich nicht sagen.
Wovon jedoch ausgegangen werden
kann, ist, dass die Funktionärsstruktur auf
innerparteiliche Akzeptanz stößt. Es
wurde auf den Begriff der Responsivität
verwiesen. Er bezeichnet die „Empfäng-lichkeit“ oder „Aufnahmefähigkeit“ von
Gewählten in Bezug auf die Erwartungen
der Wähler. Hinzu kommt die Möglichkeit
der Abrechnung durch Wahl, bezeichnet
als „Verantwortlichkeit“8, für Mandatsträ-
ger, die den Erwartungen nicht entspre-
chen oder entsprochen haben.
Von diesem Recht, der Abrechnung
durch Wahl – respektive Nicht-Wahl – hat
die PDS-Mitgliedschaft aber nicht in nen-
nenswertem Umfang Gebrauch gemacht.
Im Gegenteil, auch die neu hinzugewähl-
Lars Krumrey
82
7 Vgl.: Pollach/Wischermann/Zeuner, a.a.O., S. 84.8 Vgl.: Dietrich Herzog, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Repräsentation?, in: Ders./Bernhard Weßels
(Hg.), Konfliktpotentiale und Konsensstrategien, Opladen: Westdeutscher Verlag 1989, S. 325.
ten Mandatsträger waren in ihrer über-
großen Mehrheit früher schon in dem
alten Block-Parteiensystem involviert. Esmuss deshalb davon ausgegangen werden,dass ein Großteil der Mitgliedschaft sichdurch die derzeitigen Abgeordneten ineinem ausreichenden Maße repräsentiertsieht. Die Funktionärs-Kontinuität ent-
spricht also einer Mitgliederkontinuität, die
beide ihre Wurzeln in einer „monopoli-
stisch regierenden Kaderpartei“9 finden.
Die im Rahmen der Transformations-theorie geforderten grundlegend mit derVergangenheit brechenden Prozesse kön-nen also für die PDS auch in Bezug auf ihreMandatsträger nicht festgestellt werden.
Will man die Frage nach den Transfor-
mationsergebnissen der PDS über den
eigentlichen Elitenwandel und die inner-
parteiliche Repräsentation hinaus beant-
worten, wird man schnell mit der Frage
nach der Konsolidierung der PDS inner-
halb des demokratisch-pluralistischen
Systems der Bundesrepublik konfrontiert.
Nachdem ein Elitenwandel für die PDS
auf kommunaler Ebene ausgeschlossen
werden musste, bleibt nun die Frage, ob
es der Partei als „Neuling im Parteiensy-
stem und -wettbewerb“10 im Zuge ihres
Transformationsprozesses trotzdem ge-
lungen ist, sich zu konsolidieren.
Grundlage dieser Bewertung ist die
These von Neugebauer, dass Akzeptanz
das zentrale Konsolidierungskriterium
innerhalb des Transformationsprozesses
ist: „Denn erst nach Abschluss des Trans-
formationsprozesses und die Einbezie-hung in die Überlegungen anderer Par-teien, sie als Koalitionspartner zu akzeptie-ren, kann sie [als] konsolidiert gelten unddamit die Reformen einleiten, die sie ausder Zone der Diskriminierung heraus-führen.“ 11 Die Analyse erfolgt in Anleh-
nung an die von Klaus von Beyme aufge-
stellten Konsolidierungskriterien von
Parteisystemen12, die äquivalent auch auf
die einzelnen Parteien innerhalb der
Systeme übertragen werden können.
Beyme hat folgende sechs Kriterien für
die Konsolidierung von Parteien aufge-
stellt13:
1. Minimum an Extremismus,
2. Klare Cleavege-Strukturen,
3. Trennung von territorialer und funk-
tionaler Interessenrepräsentation,
4. Rückgang des Fraktionalismus,
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
83
9 Gero Neugebauer, Parteireform zwischen Wunsch und Wirklichkeit – was macht die PDS?, Berlin: Manuskript 2001, S. 1.10 Ebenda, S. 6.11 Ebenda.12 Vgl.: Klaus von Beyme, Parteien im Prozess der demokratischen Konsolidierung, in:Wolfgang Merkel/Eberhard Sand-
schneider (Hg.), Systemwechsel 3. Parteien im Transformationsprozess, Opladen: Leske+Budrich 1997.13 Vgl.: Ebenda, S. 34-52.
Zum Konsolidierungsstand der PDS
Parteien und die zugehörigen Konflikt-
linien müssen in einem konsolidierten
System eindeutig identifizierbar sein. Alle
der 150 „Taxi-Parteien“16 (Beyme), die
während der Transformation in Ost-
deutschland gegründet wurden, sind
heute von der politischen Bildfläche wie-
der verschwunden. Die PDS hat als ein-
zige breit parlamentarisch verankerte
ostdeutsche Partei in ihren eigenen
Strukturen (d.h. ohne Anschluss an eine
bereits bestehende Partei im westdeut-
schen Parteiensystem) den Transforma-
tionsprozess überlebt.
Die klare Konfliktlinie der PDS ist nach
wie vor der Ost-West-Gegensatz. Er
bestimmt sowohl das Elektorat als auch
die wesentlichen Wahlkampfbotschaf-
ten. Das traditionelle Profil einer linken
Partei, die sich über den Konflikt Kapital-
5. Wählerfluktuation (Volatilität) und
6. Koalitionsbildung.
Konsolidierung bedeutet zunächst ein
Minimum an Extremismus. In den mei-
sten Ländern erhalten nationalistische
und extremistische Parteien maximal 10
Prozent der Wählerstimmen. Nach
Beyme findet Extremismus und die „unzi-
vile Gesellschaft“ außerhalb des Partei-
ensystems statt.14
Da die PDS sich wiederholt und glaub-
haft für Gewaltverzicht ausgesprochen
hat sowie friedliche Konfliktlösungsstra-
tegien gerade in Fragen der äußeren und
inneren Sicherheit propagiert – und
damit die Demokratie einfordert – müs-
sen ihr extremistische Bestrebungen
abgesprochen werden. Nichtsdestotrotz
werden ihr teilweise – gestützt auf Aus-
sagen der Kommunistischen Plattform,
des Marxistischen Forums oder in
Zusammenhang mit aktuellen Aus-
schreitungen in Genua – verfassungs-
feindliche Bestrebungen unterstellt bzw.
„randständigen Parteibereichen“15 auch
nachgewiesen, ohne dass diese repräsen-
tativ für die Gesamtpartei sind.
Lars Krumrey
84
14 Ebenda, S. 35.15 Gero Neugebauer, Parteireform zwischen Wunsch und Wirklichkeit – was macht die PDS?, a.a.O., S. 7.16 In einem Systemwechsel entstehen fast immer zunächst Hunderte von „Taxi-Parteien“. Sie tragen diesen Namen,
da ihre Mitgliederzahl so gering ist, dass alle in einem Taxi Platz hätten.
Minimum an Extremismus
Klare Cleavege-Strukturen
Arbeit definiert, hat sie mit der Konzen-
tration auf die Ostinteressen beginnend
mit den Wahlkämpfen 1992 aufgegeben.
Seit dem Regierungswechsel 1998 ver-
sucht sie sich zwar als Volkspartei links
von der Mitte zu profilieren, konstruiert
diese Identität aber im Wesentlichen
über die Abgrenzung zur SPD und nicht
über eine eigenständige Entwicklung zu
einer Weltanschauungspartei.Sie erweist
sich damit „als pragmatisch orientierte
Oppositionspartei auf dem Weg zu einer
flexiblen Funktionspartei.”17
Intermediäre Interessengruppen im
Umfeld einer Partei sind ein Kriterium für
ihre Konsolidierung. Der PDS fehlten
diese Interessengruppen zunächst. Viele
Großorganisationen aus dem Umfeld der
SED waren abgestorben (FDJ, GST, DSF)
und als wichtigste Großorganisation für
eine linke Partei hatten die Gewerkschaf-
ten erhebliche Vorbehalte gegenüber der
PDS. Der Zugang zu Organisationen und
Gruppen außerhalb des sie tragenden
Milieus blieb der PDS lange Zeit verwehrt.
Durch intensive Umfeldarbeit sind ihr
hier jedoch mittlerweile Zugänge
geglückt.18 Insbesondere die Gewerk-
schaften des öffentlichen Dienstes (ÖTV,
GEW und teilweise HBV) pflegen regel-
mäßige Kontakte mit der PDS. Ebenfalls
gilt dieses für Mieterorganisationen und
Arbeitslosenverbände, welche häufig
unter Mithilfe der PDS gegründet wur-
den. Bei diesen Gruppen verfügt sie auch
durchaus über Mobilisierungsoptionen.
Jedoch haben alle diese Kontakte
gemein, dass sie vornehmlich auf die
regionale Ebene beschränkt bleiben. Die
Kontakte zu den Landesverbänden des
DGB z.B. beschränken sich i.d.R. auf den
im parlamentarischen System üblichen
Rahmen.19 Zusätzlich hat die Untersu-
chung ergeben, dass Mitgliedschaften in
diesen Organisationen bei den Mandat-
strägern nicht sehr verbreitet sind.
Dieses führt auch dazu, dass die PDS
außerhalb der Arbeitslosen keinen Vor-
sprung bei der Präsentation sozialer
Gruppen gegenüber den konkurrieren-
den Parteien aufweisen kann.20
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
85
17 Gero Neugebauer, Parteireform zwischen Wunsch und Wirklichkeit – was macht die PDS?, a.a.O., S. 7.18 Vgl. Ausführungen zu den intermediären Kontakten in diesem Kapitel.19 Vgl.: Gero Neugebauer, Die PDS in Brandenburg – wohin des Weges? In: Perspektive 21, Kräfteverhältnisse – Zukunft
des brandenburgischen Parteiensystems, Heft 13, Potsdam: SPD-Landesverband Brandenburg 2001, S. 48.20 Vgl.: Gero Neugebauer, Parteireform zwischen Wunsch und Wirklichkeit – was macht die PDS?, a.a.O., S. 8.
Trennung von territorialer und funktionaler Interessenrepräsentation
In der Transformationsphase erfasste
der Fraktionalismus die herrschenden
kommunistischen Parteien erst, als ein
Teil der Parteieliten mit den aufsässigen
Massen verhandeln wollte, während eine
andere Fraktion für Härte plädierte.
Innerhalb der PDS verlief der Fraktionalis-
mus anhand des neu zu definierenden
Profils der Partei: Optionen waren die
sozialistische gesamtdeutsche Partei
oder die regionale Partei als Reformalter-
native oder Systemopposition. Hieraus
begründetet sich auch die zunächst dro-
hende Gefahr der Parteispaltung.
In der Folge gelang es, diese Indiffe-
renz als innerparteilichen Pluralismus
umzudeuten. Ihren Niederschlag findet
die unentschiedene Situation bis heute
immer wieder in der Programmdebatte
und der Frage nach der historischen Ver-
antwortung der PDS für das SED-
Regime. Ein weiterer Ausdruck des Frak-
tionalismus war das lange Zeit unge-
klärte Verhältnis zu einer Regierungsbe-
teiligung.
Insgesamt muss festgestellt werden,
dass der „Gründungskompromiss“ mit
seinen vielfältigen ungelösten Konflik-
ten nach wie vor ein erheblicher Mühl-
stein am Fuße der PDS ist und einer
nachhaltigen Reduzierung des Fraktio-
nalismus entgegensteht.
Die Wählerfluktuation kann dazu
beitragen, einen „Neuankömmling“
innerhalb eines bestehenden oder sich
wandelnden Parteiensystems zu stabi-
lisieren. Ein Beispiel aus der Bundesre-
publik hierfür ist die nachhaltige
Implementierung der GRÜNEN im
westdeutschen Parteiensystem.
Solange Parteien innerhalb eines Elek-
trorates in nennenswertem Umfange
neu entstehen und absterben, ist die
Wählerfluktuation deshalb nur eine
künstliche.21 Hiervon kann jedoch für
die Bundesrepublik nicht mehr ausge-
gangen werden.
Nach einer erfolgreichen Gründung ist
eine Partei jedoch auf eine möglichst
geringe Volatilität angewiesen.
Nach drei erfolgreichen Bundestags-
wahlen kann die PDS – auch wenn die
Wahlerfolge jeweils unterschiedliche for-
male Ursachen hatten – als im System
etabliert gelten. Hierzu trägt auch ihre
Verankerung in sechs Landesparlamen-
Lars Krumrey
8621 Vgl.: Klaus von Beyme, Parteien im Prozess der demokratischen Konsolidierung, a.a.O., S. 46.
Rückgang des Fraktionalismus
Wählerfluktuation (Volatilität)
ten bei. Für eine nachhaltige Konsolidie-
rung muss die PDS jedoch über eine
manifestierte Parteibindung ihrer Wähler
verfügen, die ihr relativ stabile Wahlresul-
tate liefert.
Die PDS verfügt zwar über ein erhebli-
ches Stammwählerpotenzial, jedoch hat
sie, bezogen auf 1994, reichlich ein Drittel
dieser Stammwähler bei der Bundestags-
wahl 1998 verloren. Gleichzeitig kam fast
die Hälfte der damaligen Stimmen von
Personen, die erstmals die PDS gewählt
haben. (Vgl.: auch nebenstehendes
Schaubild sowie die vorstehende
Wählerstrombilanz für die Landtags-
wahlen Brandenburg 1999). Dieses
führt dazu, dass die Partei zwar auch
zukünftig auf entsprechende Wahler-
folge hoffen darf, jedoch muss sie sich
auf eine erhebliche Reduzierung ihres
bisherigen Stammwählerpotenzials
einstellen. Zusätzlich hat sie das Pro-
blem, dass sie in Westdeutschland fak-
tisch über keinerlei existenzsichernde
Wählerstrukturen verfügt und die in
Ostdeutschland neu hinzugewonnenen
Wähler noch keine feste Parteibindung
aufweisen. Dieses doppelte Dilemma
stellt die PDS vor die Gefahr, dass sie
bereits durch geringe Veränderungen
nachteilig und nachhaltig getroffen
werden kann. Dem entgegenzuwirken
kann nur durch eine größere Akzeptanz
erreicht werden, die zu manifesten Par-
teibindungen und von daher relativ sta-
bilen Wahlresultaten führten.
Elitentransformation auf kommunaler Ebene am Beispiel der PDS in Brandenburg
87
Wenn ein Parteiensystem als konsoli-
diert gilt (was für Ostdeutschland ange-
nommen werden kann), so muss als
Äquivalent in Bezug auf die einzelne kon-
solidierte Partei gelten, dass sie innerhalb
eines funktionierenden Wettbewerbssy-
stem potenziell als koalitionsfähig erach-
tet wird. Das hat die PDS 1998 in Meck-
lenburg-Vorpommern mit dem Eintritt in
die Landesregierung erreicht. Zuvor hat
sie bereits eine Landesregierung in Sach-
sen-Anhalt toleriert. Auf der kommuna-
len Ebene gibt es vielfältige Zählgemein-
schaften und Kooperationen, teilweise
sogar zwischen CDU und PDS.
Auf der nationalen Ebene ist diese Ein-
schätzung wesentlich fragwürdiger. Hier
schließen alle Parteien die PDS als Regie-
rungspartner auf Bundesebene aus. Die
gesamtgesellschaftliche Akzeptanz der
PDS ist also weder gegeben noch
annähernd gefestigt.
Im Ergebnis ist der Konsolidierungs-
stand der PDS sehr differenziert zu
betrachten. Es muss festgestellt werden,
dass die PDS innerparteilich den Konsoli-
dierungsprozess bei Weitem noch nicht
abgeschlossen hat. Dieses hängt insbe-
sondere mit der – euphemistisch als plu-
ralistisch bezeichneten – nachhaltigen
Fraktionalisierung der Partei zusammen.
Hinderlich für die Überwindung dieses
Zustandes ist ebenfalls die nach wie vor
ausgeprägte mentale und personale
Verankerung der kommunalen Eliten
inklusive ihrer Basis im vergangenen
SED-Regime.
Als Angebot an den Wähler ist die
PDS in Ostdeutschland durchaus als
konsolidiert zu bezeichnen. Dieses gilt
sowohl für die kommunale Ebene als
auch für die einzelnen Länder. Hier sind
auch die Koalitionsoptionen und ins-
gesamt die Akzeptanz – als entschei-
dendes Kriterium zur Bewältigung des
eigenen Transformationsprozesses –
gegeben. Es kommt jedoch darauf an,
dass sie sich ein eindeutiges Parteipro-
fil unabhängig von dem einer flexiblen
Funktionspartei, schafft.
Die nachhaltige Dichotomie der PDS ist
also auch bei der Frage nach der Konsoli-
dierung ein permanenter Wegbegleiter:
Während in dem ostdeutschen Teilsy-
stem eine nachhaltige Konsolidierung
erreichbar scheint, ist diese auf nationa-
ler Ebene noch sehr fragwürdig.
Lars Krumrey
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Koalitionsbildung
Lars Krumreyist Diplom-Politologe und beschäftigt sich mit
der Transformation des ostdeutschen Parteiensystems
Arnt von Bodelschwingh /Ulf Rosner
Gemeinsame Gewerbegebietedurch interkommunaleKooperation
Grundlagen, Erfahrungen,Empfehlungen
131 Seiten, Paperback, 15 €ISBN 3-36130-01-7
Die Bereitstellung von Gewerbeflächen stellt einzelne Kom-munen oftmals vor große Probleme. Insbesondere Städtekönnen diese zentrale Aufgabe der kommunalen Wirtschafts-förderung nur erfüllen, wenn sie dafür umfangreiche Haus-haltsmittel aufwenden oder Konflikte, z.B. mit Anwohnern, inKauf nehmen. In solchen Fällen ist interkommunale Zusam-menarbeit bei der Ausweisung und beim Betrieb von Gewer-begebieten ist eine bedeutsame Lösungsmöglichkeit.
Auf Grundlage theoretischer Vorüberlegungen wertet dieempirische Untersuchung die Erfahrungen von über 40 inter-kommunalen Gewerbegebieten in der BundesrepublikDeutschland aus und liefert konkrete Handlungsempfehlun-gen für die Kooperationsanbahnung. Detailliert werden mög-liche unter anderem Rechtsformen und der Lasten-Nutzen-Ausgleich (kommunale Steuern und Finanzausgleich,Erschließungs- und Betriebskosten etc.) beschrieben. DerAnhang stellt 30 erfolgreiche interkommunale Gewerbege-biete mit Ansprechpartnern in Form von „Steckbriefen“ vor.
Das Buch richtet sich gleichermaßen Praktiker in Politik undVerwaltung sowie an Wissenschaftler aus den Bereichenregionale Wirtschaftspolitik, Regionalwissenschaft und Kom-munalwirtschaft.
k a i w e b e r m e d i e n p r o d u k t i o n e nb r a n d e n b u r g i s c h e h o c h s c h u l s c h r i f t e n
h e b b e l s t r a s s e 3 9 · 1 4 4 6 9 p o t s d a mf o n 0 3 3 1 – 2 0 0 8 7 2 2 · f a x 2 0 0 8 7 2 4
e - m a i l : i n f o @ w e b e r- m e d i e n . d e
W i r l i e f e r n v e r s a n d k o s t e n f r e i a u f R e c h n u n g .hoch
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Bislang erschienen:1. Zukunft der brandenburgischen Hochschulpolitik*
2. Sozialer Rechtsstaat*
3. Informationsgesellschaft*
4. Verwaltungsreform*
5. Arbeit und Wirtschaft*
6. Rechtsextremismus*
7. Brandenburg – die neue Mitte Europas
8. Was ist soziale Gerechtigkeit?
9. Bildungs- und Wissensoffensive
10. Zukunftsregion Brandenburg
11. Wirtschaft und Umwelt
12. Frauenbilder
13. Kräfteverhältnisse – brandenburgisches Parteiensystem
14. Brandenburgische Identitäten
SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 Potsdam
PVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550
* leider vergriffen