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Erlanger Nachrichten, Juli 2007
Ein Einsatzfahrzeug der Polizei wird auf der A 73 Opfer der Wassermassen.
Foto: Klaus-Dieter Schreiter
«Wie beim Titanic-Untergang» Nach dem großen Regen «Land unter» in Stadt und Umland: A73 und Gleis gesperrt
Während viele Erlanger nichtsahnend in ihren Betten
schlummerten, spielte sich unweit ihrer Haustüren,
vor allem in den Kreisen Erlangen-Höchstadt und
Forchheim, aber auch in Teilen des Stadtgebiets, eine
Katastrophe ab, deren wahres Ausmaß sich erst in den
nächsten Tagen zeigen wird.
Der große Regen kam am Samstagabend. Augenzeugen berichten, dass das
Wasser zeitweise in einer Menge und Geschwindigkeit vom Himmel schoss,
als ob jemand eine Schleuse geöffnet hätte. Ein Betroffener in Spardorf,
dessen Keller ausgepumpt werden musste, beschreibt es am Tag danach: «So
muss es auf der Titanic gewesen sein. Ich dachte mir: ,Bloß raus hier!‘ und
schon stand ich bis zum Bauch im Wasser.« Und in der Tat: Gewaltige
Mengen - 80 Liter pro Quadratmeter - fielen binnen weniger Stunden. Das
entspricht 15 Prozent der durchschnittlichen Jahresniederschlagsmenge in der
Region.
Ab 21.15 Uhr standen die Telefone in den Einsatzzentralen von Feuerwehr
und Polizei nicht mehr still. Allein die Ständige Wache in Erlangen
registrierte bis gestern Mittag 1500 Notrufe, bei der Polizei in Mittelfranken
schlugen binnen fünf Stunden 2500 Menschen Alarm. Während im Kreis
Forchheim eine 82-Jährige in ihrer Poxdorfer Kellerwohnung ertrank und 20
leicht Verletzte zu beklagen sind, überstanden die Menschen in Erlangen und
Umgebung die Katastrophe bis auf kleinere Blessuren körperlich unversehrt.
Das Polizeipräsidium Mittelfranken, zu dem auch der Raum Erlangen gehört,
war mit 100 Beamten im Einsatz, die halfen, wo sie konnten. «Aus unserer
Sicht«, so Polizeisprecher Peter Grimm, «hat alles gut geklappt. Auch
deshalb, weil die Rettungskräfte hoch motiviert sind.« Dabei hatten
schwierige Umstände die Lage kompliziert: Es musste landkreisübergreifend
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kooperiert werden. In Forchheim wurden Hunderte Annafest-Besucher,
darunter auch viele aus dem Raum Erlangen, von dem Unwetter überrascht.
Ein Teil versuchte, mit dem Zug die Heimreise anzutreten, andere ließen sich
von Freunden oder Familienangehörigen abholen, die mitunter große
Umwege in Kauf nahmen und spontan anderen Betroffenen eine
Mitfahrgelegenheit anboten.
Dutzende - vielfach klatsch-nass und angetrunken - warteten in Forchheim
gegen Mitternacht auf die Abfahrt des Zuges Richtung Erlangen, als die
Durchsage kam: «Nichts geht mehr.« Der Bahnhof Baiersdorf war überflutet,
Gleise unterspült, der Zugverkehr eingestellt. Der angekündigte
Schienenersatzverkehr sollte jedoch erst Stunden später anlaufen.
Vom Wasser überrascht
20 Minuten nach Mitternacht ließ die Polizei die A73 zwischen Möhrendorf
und Baiersdorf sperren, weil das Wasser teils bis zu 1,50 Meter über der
Fahrbahndecke stand. Von den Wassermassen waren 70 Autos, ein
Kleintransporter und ein Bus eingeschlossen - und mit ihnen rund 200
Menschen. Diese konnten Kräfte von DLRG und THW nur mit Booten retten.
Versorgt wurden die Gestrandeten unter anderem in der Baiersdorfer
Jahnhalle.
Von der Flut überrascht wurden auch zwei Erlanger, die kurz vor Mitternacht
bei Möhrendorf auf die A73 aufgefahren waren. Die Fahrerin erinnert sich:
«In der Auffahrt standen ein Paar Pfützen. Was uns erwarten sollte, konnten
wir überhaupt nicht abschätzen.« Sie seien zunächst langsam Richtung
Bamberg gefahren. Schließlich zwang das Wasser, das mittlerweile knietief
stand, das Ehepaar, den Saab anzuhalten. «Wir warteten eine Stunde in der
Hoffnung, dass das Wasser abläuft.« Doch Fehlanzeige. Irgendwann stieg der
Beifahrer aus und schob das Auto. Die Strömung half, so dass das Ehepaar
tatsächlich die rettende Ausfahrt erreichte.
Nahezu alle hauptamtlichen Mitarbeiter der Ständigen Wache Erlangen und
Mitarbeiter aller 13 Freiwilligen Feuerwehren des Stadtgebietes arbeiteten
derweil bis zur Erschöpfung. Sie waren in über 70 Einsätze eingebunden.
Von dem Unwetter waren vor allem Sieglitzhof und der Burgberg betroffen,
wie Friedhelm Weidinger, Leiter der Ständigen Wache, sagte. Ganze
Straßenzüge standen unter Wasser, Keller waren zum Teil komplett
vollgelaufen. Häufig helfen mussten die Kräfte an Anderlohr-, Zander-, Jung-
, Rennes- und Rudelsweiherstraße. Stark getroffen wurde auch das Wohnstift
Rathsberg.
Parallel dazu unterstützten die Helfer ihre Kollegen in den am heftigsten
betroffenen Gebieten. In den Kreisen Erlangen-Höchstadt und Forchheim war
um 1.41 Uhr beziehungsweise um 23.25 Uhr Katastrophenalarm ausgelöst
worden. Besonders in Mitleidenschaft gezogen waren Baiersdorf,
Marloffstein und Spardorf sowie Bubenreuth, Langensendelbach,
Bräuningshof und Effeltrich. Viele Straßen waren teils unpassierbar.
Mit vereinten Kräften gelang es den Einsatzkräften der Wehren, des
Technischen Hilfswerks, der Rettungsdienste und der Polizei die Lage bis in
die frühen Morgenstunden weitgehend unter Kontrolle zu bringen. Dennoch
warteten gestern noch vielerorts Menschen auf Hilfe, so dass der
Katastrophenalarm im Kreis Erlangen-Höchstadt weiter aufrecht erhalten
wurde. Sirenen waren den ganzen Tag über auch in Erlangen zu hören.
Dennoch konnte der überregionale Zugverkehr gestern Nachmittag wieder
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aufgenommen werden. Im Regionalverkehr fuhren lediglich Busse. Nachdem
die liegengebliebenen Autos abgeschleppt und auf den Großparkplatz nach
Erlangen gebracht worden waren, konnte auch die Autobahn wieder benutzt
werden.
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Sintflutartiger Regen überschwemmt zwei Landkreise
in Franken: Frau ertrunken Katastrophenalarm in Forchheim und Erlangen-Höchstadt - Frankenschnellweg überflutet
ERLANGEN/FORCHHEIM (Eig. Ber./nn) -
Sintflutartige Regenfälle haben in der Nacht zum
Sonntag in Poxdorf im Landkreis Forchheim ein
Menschenleben gefordert und Sachschaden in
Millionenhöhe angerichtet. In den Landkreisen
Forchheim und Erlangen-Höchstadt wurde
Katastrophenalarm ausgelöst.
In Poxdorf ertrank eine 82-Jährige in ihrer Kellerwohnung. Die Frau war von
den Wassermassen überrascht worden. Binnen kurzer Zeit fielen bis zu 80
Liter Regen pro Quadratmeter. Das entspricht einem Sechstel der
durchschnittlichen Niederschlagsmenge pro Jahr. Straßen verwandelten sich
in bis 1,5 Meter tiefe, reißende Flüsse. Auf dem Frankenschnellweg bei
Baiersdorf blieben mehr als 70 Wagen in den Fluten stecken. 200 Menschen
waren eingeschlossen und mussten teilweise mit Booten befreit werden. Sie
verbrachten die Nacht in Notunterkünften.
Im Bahnhof Baiersdorf mussten 35 Bahnreisende vom Technischen
Hilfswerk in Sicherheit gebracht werden. Wegen der starken Fluten bestand
die Gefahr, dass die Waggons umkippen. Die Bahnverbindung zwischen
Erlangen und Forchheim wurde unterspült und bleibt deshalb vorerst gesperrt.
Fernzüge in Richtung Leipzig und Berlin werden über Fulda umgeleitet.
Hunderte von Kellern liefen voll. In Baiersdorf fiel der Strom aus. Mehrfach
gab es Gasalarm. Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und
Rettungsorganisationen waren pausenlos im Einsatz. Allein bei der
Einsatzzentrale im Polizeipräsidium Mittelfranken gab es 2500 Notrufe
binnen weniger Stunden.
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