Leistung ohne Limit – Duale Karrieren im internationalen Vergleich Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer Kongress Nachwuchsförderung NRW 2016 Köln, 25.04.2016
Agenda:
1) Zur Relevanz dualer Karrieren: Knappheit an Talentjahren als ökonomisches Problem
2) Zur Situation: Empirische Befunde zur Talentjahr-Entscheidung deutscher Athleten_innen
3) Zur Effektivität der dualen Karriere: Internationale Perspektiven
4) Fazit
2 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Talentjahr
= ein Lebensjahr eines sportlichen Talents, welches in Spitzensport investiert wird. Bei sonst konstanten Rahmenbedingungen determiniert die Gesamtzahl an Talentjahren den Erfolg eines Spitzensportsystems. Die Anzahl an Talentjahren wird an drei Stellen verknappt:
− durch die Entscheidung von Talenten, nicht mit Leistungssport zu beginnen,
− durch die Entscheidung von Spitzensportler_innen trotz sportlicher Perspektive mit dem Spitzensport aufzuhören
− durch den demographischen Wandel
4 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
5
Anzahl an Athleten_innen
Durchschn. Talentjahre
Möglichkeitsraum
Ausschöpfungsraum
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
6
Anzahl an Athleten_innen
Durchschn. Talentjahre
Möglichkeitsraum
Ausschöpfungsraum
?
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Talentjahre Soziale
Situation
(Hoch-)Schulsystem Arbeitsmarkt
Anforderungen des Spitzensports
Unterstützungssysteme Gratifikationssysteme
Wert des Sports
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Talent Logik der Selektion
Entscheidung EU(Ai)=Σpij Uj=p11U1+p12U1+…+p1nUn
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Talent Logik der Selektion
Entscheidung EU(Ai)=Σpij Uj=p11U1+p12U1+…+p1nUn
Logik der Situation
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Soziale Situation
(Hoch-)Schulsystem Arbeitsmarkt
Anforderungen des Spitzensports
Unterstützungssysteme Gratifikationssysteme
Wert des Sports
Talent Logik der Selektion
Entscheidung EU(Ai)=Σpij Uj=p11U1+p12U1+…+p1nUn
Logik der Situation
Kollektives Explanandum:
Talentjahre
Logik der Aggregation
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Soziale Situation
(Hoch-)Schulsystem Arbeitsmarkt
Anforderungen des Spitzensports
Unterstützungssysteme Gratifikationssysteme
Wert des Sports
Zur Situation:
Empirische Befunde zur Talentjahr-Entscheidung deutscher Athleten_innen
11 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Talent Logik der Selektion
Entscheidung EU(Ai)=Σpij Uj=p11U1+p12U1+…+p1nUn
Logik der Situation
Kollektives Explanandum:
Talentjahre
Logik der Aggregation
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Soziale Situation
(Hoch-)Schulsystem Arbeitsmarkt
Anforderungen des Spitzensports
Unterstützungssysteme Gratifikationssysteme
Wert des Sports
I Online-Befragung aller 3.139 von der Stiftung Deutsche Sporthilfe geförderten Kaderathleten/innen
I 7.10.2009 – 08.11.2009
I n= 1.133 (Rücklauf = 35,5 %)
I repräsentativ hinsichtlich Geschlecht, Alter und
Kaderzugehörigkeit
I größter sportlicher Erfolg:
2,9 % Olympiasieger/in; 15,4 % Weltmeister/in
I größter sportlicher Erfolg:
65 % mindestens eine internationale Medaille
I Regelmäßige Reihenerhebung aller Sporthilfe-Athleten/innen
I 2013ff.
I n=2.700
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Methode
Institut für Sportökonomie und Sportmanagement Institute of Sport Economics and Sport Management
14 Quellen: Stat. Bundesamt; DSHS Köln
Zahlt sich sportlicher Erfolg aus? Wicker, Breuer, von Hanau: IJSMM (2012)
Nur ein Olympiasieg kann signifikant das Einkommen erhöhen!
Alle anderen Einkommenstreiber sind nicht-sportlicher Art.
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Gratifikation und Anforderungen des Spitzensports
I nur ein Teil des Einkommens kann über Spitzensport generiert werden
I 59h-Woche (32h Spitzensport, 27h Beruf, Studium)
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
I 2009: 59h-Woche (32h Spitzensport, 27h Beruf, Studium)
I 2014: 34h Spitzensport: 19h Training
5,5h Wettkampf
6,5h Fahrten
2h Arzt/Physiotherapie
1h sonstige sportbezogene Aktivität
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Anforderungen des Spitzensports im Zeitvergleich
Talent Logik der Selektion
Entscheidung EU(Ai)=Σpij Uj=p11U1+p12U1+…+p1nUn
Logik der Situation
Kollektives Explanandum:
Talentjahre
Logik der Aggregation
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Soziale Situation
(Hoch-)Schulsystem Arbeitsmarkt
Anforderungen des Spitzensports
Unterstützungssysteme Gratifikationssysteme
Wert des Sports
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
2009; n= 1.133
2013ff.; n=2.700 2014; n= 1.429
seit dem Jahr 2000 gefördert
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2009:
51,9 % der befragten Athleten/innen haben schon mal an ein vorzeitiges Karriereende gedacht. 2014:
47,8 % der befragten Athleten/innen haben schon mal an ein vorzeitiges Karriereende gedacht.
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
2014:
Die Hauptursache für die Beendigung der Spitzensportkarriere ist nicht mangelnder sportlicher Erfolg, sondern die Konzentration auf Ausbildung, Studium oder Beruf.
Gründe für das sportliche Karriereende ehemaliger Kaderathleten (Angaben in Prozent)
24
37,1 10,5 10,2
6,1 4,6 4,3 4,2
3,4 2,7 2,1
1,3 13,6
0 10 20 30 40
Karriere/Beruf/StudiumVerletzung
AlterGesundheit allgemein
Erfolgslosigkeit, keine PerspektiveProbleme mit Verband, Nicht-…Finanzen (Kosten vs. Nutzen)
FamilieFehlende Motivation
FamilienplanungZiel erreicht
Sonstiges
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Anzahl an Athleten_innen
Durchschn. Talentjahre
Möglichkeitsraum
Ausschöpfungsraum
?
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Zur Effektivität der dualen Karriere: internationale Perspektiven
26 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
2014:
Die Möglichkeit zur dualen Karriere wird im Karriereverlauf eine zunehmend wichtigerer Erfolgsfaktoren.
Entwicklung von Erfolgsfaktoren im Karriereverlauf (1=sehr unwichtig bis 6= sehr wichtig bzw. 1= sehr unzufrieden bis 6=sehr zufrieden)
28
Erfolgsfaktoren zu Beginn und Ende der Förderung (Aktive: Beginn und aktuell)
1
2
3
4
5
6
t1 t2
Wichtigkeit (p<,000)Zufriedenheit (p=,06)
29
• A-Kader: Möglichkeit einer dualen Karriere (n=383)
sehr wichtig/zufrieden
sehr unwichtig/unzufrie
den
Systematic Review: national
• kaum Studien • unsichere Evidenzstufen
• Wirkungen weitgehend unklar
• Partner(hoch)schule des Spitzensports • Eliteschulen • OSP-Laufbahnberater • Sporthilfe-Mentorenprogramm • Kennwortbewerbung • BMI-Sprungbrett • etc.
30 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Systematic Review: national
• Schule und Studium lassen sich einfacher mit sportlicher Karriere kombinieren als Beruf Ausnahmen: Polizei, Zoll, Bundeswehr (Borggrefe, Cachay & Riedl, 2009; Conzelmann, Gabler & Nagel, 2001)
• Duale Karrieristen mit Orientierung an beiden Systemen (Bildung und Sport) sind deutlich zufriedener als bei Fokussierung auf ein System (Elbe et al. 2014)
31 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Systematic Review: international
• kaum Studien, wenn dann psychologische Studien (SI Psychology of Sport & Exercise)
• unsichere Evidenzstufen • „flexibler Umgang“ mit der Begrifflichkeit
(athletic career, post-career-support vs. duale Karriere; unberücksichtigt in SPLISS 2.0: Succesful elite sport policies)
• Wirkungen weitgehend unklar • Selbst in EU Guidelines on dual careers of athletes (2012)
lediglich examples of good practice • Am ehesten kann noch Nichtteilnahme an dualer Karriere erklärt
werden: Wenig Zeit und zeitlich unflexible Studienangebote werden als Hauptbarrieren zum Studieren genannt (Lopez de Subijana et al., 2015)
32 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Internationale Perspektiven
• Typisierung der Regelungen in vier Gruppen
1. State-Centric System of Defined Legal Obligation
2. State- Sponsored Formal System Established on Permissive Legislation
3. Representation of Ahtletes Education Interest by Sporting Bodies
4. ‘Laissez-Faire’ – No Formal Structures
Henry (2013)
Internationale Perspektiven
Typ 1: State-Centric System of Defined Legal Obligation
Bildungseinrichtungen sind gesetzlich dazu verpflichtet, Athleten passende Bildungsmöglichkeiten zu bieten (Frankreich, Ungarn, Spanien, Polen, Portugal)
Beispiel:
Ungarn: Gewinner einer olympischen Medaille werden ohne vorherigen Aufnahmetest an Universitäten zugelassen, Gewinner eines internationalen Wettkampfes bekommen extra Punkte im Bewerbungsverfahren zugesprochen
Spanien: 3% der Studienplätze müssen für Athleten freibleiben, flexible Stundenpläne, spezielle Stipendien
Henry (2013)
Internationale Perspektiven
Typ 2: State-Sponsored Formal System Established on Permissive Legislation
Gesetze halten fest, dass Unterstützung für die Athleten geboten werden muss; die Universitäten sind autorisiert jedoch nicht gesetzlich dazu verpflichtet (Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Deutschland, Lettland, Litauen, Schweden)
Beispiel:
Belgien: Stipendien zur Finanzierung von Dualer Karriere, Kritik: anfangs (2003/04) wurden nur 5 Stipendien vergeben, mittlerweile 20-30 Stipendien an Olympioniken
Henry (2013)
Internationale Perspektiven
Typ 3: Representation of Ahtletes Educational Interests by Sporting Bodies
Keine gesetzlichen Vorgaben, Sportverbände und Vertreter verhandeln und kooperieren mit einzelnen Universitäten (Griechenland, UK)
Beispiel:
Griechenland: neben ausgehandelten Konditionen auch extra Angebote für besondere Leistungen (z.B. Medaillen), Kritik: bei Studiengängen und Universitäten ohne Sportbezug ist Flexibilität (angepasste Stundenpläne etc.) meist nicht möglich, Athleten haben nur wenig Mitspracherecht
UK: Elite-Sportler erhalten Vertreter (Performance Lifestyle Advisor), der für sie mit Universitäten und Verbänden verhandelt
Henry (2013)
Internationale Perspektiven
Typ 4: ‘Laissez-Faire‘- No Formal Structures
Keine konkreten Vorgaben oder Richtlinien, individuelle Abmachungen zw. Athleten und Bildungseinrichtungen (Österreich, Tschechien, Irland, Slowakei, Italien, Malta)
Beispiel:
Italien: Private Schulen bieten Ausnahmen für Athleten an, bei staatlichen Schulen müssen Athleten mit Lehrpersonal übereinkommen, vereinzelte Kooperationen zw. Verbänden und Universitäten, limitierte finanzielle Unterstützung durch den Staat
Malta: keine Kooperationen oder Ausnahmen für Athleten
Henry (2013)
Internationale Perspektiven
Maßnahmen
Spanien: Career Assistance Program (CAP) für Eliteathleten wird vom Staat angeboten und berät den Athleten bei seiner Ausbildung, im Beruf und bei sozialen Angelegenheiten
Frankreich: Finanzielle Belohnung/Strafe durch Staat, wenn Vereinsathleten die zu
Beginn der Saison festgelegten Bildungsziele erreicht haben/nicht erreicht haben
Henry (2013)
Fazit 1) Knappheit an Talentjahren ist nach wie vor ein zentrales ökonomisches
Problem des deutschen Spitzensportsystems. 2) Infolgedessen bleibt die duale Karriere ein unverändert wichtiges Thema. 3) Wir wissen wenig bis nichts über die (relative) Wirksamkeit konkreter
Maßnahmen. 4) Der Blick über nationale Grenzen hinaus ist wichtig, um eigene Positionen
zu überdenken und neue Ideen hervorzubringen. 5) Allerdings liegt auch international kaum gesichertes, aktuelles Wissen über
die Wirksamkeit konkreter Maßnahmen vor. 6) Solange es keinen evidenzgesicherten Hinweise gibt, ist eine Bewertung von
Richtlinien, Beispielen und Modellen anhand der Kriterien Plausibilität und Umsetzbarkeit sinnvoll.
7) Die Sportwissenschaft sollte sich dringend verstärkt dieses Themas annehmen, um die Spitzensportentwicklung angemessen zu unterstützen.
47 Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Literatur Borggrefe C, Cachay K, Riedl L. Spitzensport und Studium. Eine organisationssoziologische Studie zum Problem
Dualer Karrieren. Reihe Sportsoziologie. Vol 16. Schorndorf: Hofmann; 2009. Breuer C., Hallmann K., Illgner M. (2015) Erfolgsfaktoren der Athletenförderung in Deutschland. Köln: Sportverlag
Strauß. Breuer, C. & Wicker, P. (2010). Sportökonomische Analyse der Lebenssituation von Spitzensportler/innen. Köln:
Sportverlag Strauß. Conzelmann, A., & Nagel, S. (2003). Professional careers of the German Olympic athletes. International Review for
the Sociology of Sport, 38(3), 259-280. Elbe M., Hülsen A., Borchert A., Wenzel G. (2014). Duale Karriere im Spitzensport: Idealtyp und Realtyp am
Beispiel des „Berliner Modells“. Leistungssport 3, 4-11. Henry, I. (2013). Athlete development, athlete rights and athlete welfare: a European Union perspective. The
International Journal of the History of Sport 30(4), 356-373. Lopez de Subijana, C., Barriopedro, M. & Conde, E. (2015). Supporting dual career in Spain: Elite athletes' barriers
to study. Psycholgy of Sport and Exercise, 21, 57-64. Wicker, P., Breuer, C. & von Hanau, T. (2012). Is it worth representing the country? Evidence on the sport-related
income of top-level athletes in Germany. Managing Leisure, Special Issue: The Management of Excellence in Sport, 17(2-3), 220-238.
Wicker, P., Breuer, C. & von Hanau, T. (2012). Understanding the income determinants of German elite athletes in non-professionalised sports. International Journal of Sport Management and Marketing 11(1/2), 26-43.
Statements von Spitzensportlern 2009 und 2015
Statement Ausprägung 2009
Anteil an Athleten/innen
in %
2014
Anteil an Athleten/innen
in %
Meine finanzielle Zukunft ist abgesichert.
Trifft gar nicht zu 35,4 28,2
Ich habe Angst vor der Zeit nach dem Leistungssport. Trifft voll zu 9,4 6,4
Der Spitzensport belastet die Beziehung zu meinem Lebenspartner. Trifft voll zu 12,8 6,5
(Skala von 1=trifft gar nicht zu bis 4=trifft voll zu; 0=weiß nicht)
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Spitzensportlern/innen sind unzufriedener als der Bevölkerungsdurchschnitt!
(Skala von 0=ganz und gar unzufrieden bis 10=ganz und gar zufrieden; Datenquelle Bevölkerungsdurchschnitt: Sozioökonomisches Panel Deutschland)
5,66
6,98
7,71
7,01
4,23
5,22
6,43
6,79
0 2 4 6 8 10
Zufriedenheit mit dem persönlichenEinkommen
Zufriedenheit mit der Freizeit
Zufriedenheit mit demFamilienleben
Zufriedenheit mit der Schul- undBerufsausbildung
Zufriedenheit (Mittelwert)
Spitzensportler
Bevölkerungsdurchschnitt
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
Zufriedenheit der Athleten_innen mit zentralen Lebensbereichen
(Skala von 0=ganz und gar unzufrieden bis 10=ganz und gar zufrieden)
Univ.-Prof. Dr. Christoph Breuer
4,23
5,22
6,43
6,79
5,22
5,59
6,7
6,73
0 2 4 6 8 10
Zufriedenheit mit dempersönlichen Einkommen
Zufriedenheit mit der Freizeit
Zufriedenheit mit demFamilienleben
Zufriedenheit mit der Schul-und Berufsausbildung
2014
2009