Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 1
Interkommunale Kooperation –
Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
Projektseminar aus Angewandter Geographie,
Raumforschung und Raumordnung
Interkommunale Kooperation: Zwischen Notwendigkeit
und Verweigerung
Leitung: Peter Weichhart
Studienassistent: Gerfried Mandl
Referat von
Georg Hörtler und Andreas Zeitlhofer
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 2
Interkommunale Kooperation –
Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
Inhalt
1. Mögliche Gründe für das Scheitern interkommunaler Kooperationen
2. Neue Politische Ökonomie (Public-Choice-Theorie)
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns interkommunaler
Kooperationen
4. Beispiele für Misserfolge bei der interkommunalen Zusammenarbeit
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung
6. Fazit
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 3
Interkommunale Kooperation –
Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
Experteninterviews
Mag. Gabriela Forchtner Österreichischer Städtebund, www.staedtebund.at
DI Andreas Mandlbauer Land Oberösterreich, Abteilung Raumordnung - Überörtliche Raumordnung,www.land-oberoesterreich.gv.at
DI Christof Schremmer Österreichisches Institut für Raumplanung, www.oir.at
Mag. Doris Staudinger ehem. Geschäftsführerin des Regionalmanagement Vöcklabruck,
www.regionalmanagementvoecklabruck.at
Dr. Klaus Wirth KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung, Managementberatungs- und
WeiterbildungsgmbH, www.kdz.or.at
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1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
„Wesentliche Faktoren, die projektbezogene, aber noch mehr regionsbezogene
Kooperationen beeinträchtigen oder gar sprengen können...“; „Störeinflüsse“
(R. BAUMHEIER et al., 1998 = ARL Arbeitsmaterial Nr. 244)
„Gründe für das Scheitern der regionalen Kooperationen“ (D. FÜRST et al., 1999)
Akteure innerhalb der Region identifizieren sich nicht ausreichend mit
einem Kooperationsprojekt, das von einer außerhalb der Region
stehenden Institution angestoßen wurde.
Konkret wirksame Kooperationskosten stehen oft einem diffusen oder nicht
genügend operationalisierten Kooperationsnutzen gegenüber.
Mangelndes Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern behindert die
gemeinsame Arbeit, Partnern erkennen sich nicht als gleichwertig an.
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1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
Die Relevanz der Arbeit in informellen Kooperationsnetzwerken wird von
den Herkunftsinstitutionen der Kooperationsteilnehmer oder von wichtigen
Entscheidungsträgern der Region nicht erkannt.
Eine zu geringe Selbstbindung der Teilnehmer führt dazu, dass sie das
Interesse an der Kooperation verlieren und diese „einschläft“.
Erfolgsdruck und Zwang, möglichst bald positive Ergebnisse zu präsentieren,
lassen der Kooperation zu wenig Zeit zum „Reifen“ und verleiten zu Aktionismus.
Es gibt zu wenig regionale Akteure, die sich für eine Kooperation engagieren
oder Führungsfunktionen übernehmen.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 6
1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
Schwierigkeiten bei der Finanzierung von Kooperationsprojekten: Verteilungs-
probleme (Äquivalenzkonzept oder interkommunaler Finanzausgleich?)
Probleme mit der (demokratischen) Legitimation der Kooperationsstrukturen.
Negative Einflüsse von Konkurrenzbeziehungen zu bestehenden regionalen
Institutionen. Diese können versuchen, das Kooperationsnetzwerk zu stören.
Mißtrauen der „Ausgeschlossen“, organisierte Störeinflüsse von Konkurrenten
oder Gegnern.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 7
1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
Gegner und Kritiker interkommunaler Kooperationen können in
vier Gruppen eingeteilt werden: (vgl. W. HEINZ, 2000, S. 11)
Staatliche Mittelinstanzen und bestehende Gemeindverbände befürchten
Kompetenz- und Machtverluste.
Vorstädte und Umlandgemeinden befürchten ebenfalls einen Verlust von
Macht, Einfluss und Funktionen, eine Dominanz der Kernstadt und finanzielle
Einbußen als Folge der Beteiligung an den Zentralitätskosten der Stadt.
Die Bevölkerung vieler Gemeinden lehnt umfassende Kooperationsansätze
mehrheitlich ab. Befürchtungen: weniger demokratische Kontrolle, größere Distanz
zu administrativen Einrichtungen, Verlust von räumlicher Identität,…
Kritiker, die aus ideologischer Motivation bestimmte Formen der Zusammen-
arbeit ablehnen (z. B. Anhänger des neoliberalen Public-Choice-Ansatzes).
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 8
1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
Restriktionen kooperativer Regionalplanung
Institutioneller Rahmen AkteurskonstellationEinstellungen und
Verhaltensmuster der Akteure
- Dominanz der Ordnungsfunktion- Kollektivgutcharakter der Regionalplanung- Asymmetrie der Kosten- und Nutzenverteilung
- Große Akteurszahl- Heterogene Interessens- struktur der beteiligten Akteure- Mit der Regionalplanung konkurrierende Akteure
- Fehlendes Regionalbewusstsein- Kompetitive politische Kultur in der Region- Feindliche Akteursorientierung
- Institutionalisierter Lokalismus- Fehlende Tauschmasse- Formalisierte Verfahren- Schwache Ressourcen- ausstattung der Regionalplanung- Konflikte mit der Landesplanung- Direktkontakte der Kommunen zur Landesplanung
- Distanziertes Verhalten beteiligter Behörden- Selbstverständnis der Regional planung („Plänemachen“, Ordnungsaufgaben)- Tagesroutinen der Regionalplanung
Quelle: Knieling/Fürst/Danielzyk, 2003, S.181
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 9
1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
„Als Restriktionen für die Realisierung von Reformvorschlägen erweisen sich vor
allem vorhandene institutionelle Regelungen und politisch-administrative
Strukturen sowie die relevanten öffentlichen Funktionsträger und deren
spezifische Interessen.“ (W. HEINZ, 2000, S. 248)
Welche Schwierigkeiten und Hindernisse treten in der Praxis der interkommunalen
Kooperation am häufigsten auf und welche sind am schwierigsten zu lösen?
Kooperatives Handeln stößt in der Praxis der Regionalplanung vor allem deshalb
häufig auf Schwierigkeiten, weil ein integrativer Planungsanspruch und
überörtliche Gemeinwohlorientierung den traditionellen, fragmentierten
Verwaltungsstrukturen gegenüberstehen, die auf die bestehenden Gebiets-
körperschaften ausgerichtet sind (vgl. KNIELING/FÜRST/DANIELZYK, 2003, S. 19).
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 10
1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
Quelle: www.difu.de, Difu-Materialien 2005, Nr. 3
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 11
1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
Ursache für diese Hemmnisse und Schwierigkeiten:
(vgl. KNIELING/FÜRST/DANIELZYK, 2003 und P. WEICHHART, 2005)
Mangelndes politisches Interesse an der Regionalplanung aufgrund
deren „Kollektivgutfunktion“ und „Gemeinwohlorientierung“.
Regionalplanung wird deshalb kaum mit möglichen Vorteilen für
einzelne gesellschaftliche Gruppen verbunden.
Kommunalpolitiker können keinen Nutzen (Wählergunst/Wählerstimmen) aus
einem persönlichen Engagement oder einer Unterstützung für die RP ziehen.
Gefahr des Vorwurfs, sie würden sich zu wenig für die eigene Gemeinde einsetzen.
Machtbewusste Politiker interessieren sich deshalb kaum für eine
regionale Handlungsebene.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 12
Die Bürgermeister sind in Österreich eine zentrale Entscheidungsinstanz
im Bereich der Raumordnung.
Jeder einzelne ist aber nur für die „eigene“ Gemeinde zuständig und kann
nur innerhalb dieses Territoriums von Erfolgen profitieren.
Dieses territorial organisierte politische System fördert lokalen Egoismus
und Konkurrenzdenken zwischen den Gemeinden.
Die Bereitschaft der Akteure, die eigene Autonomie zugunsten regionaler
Interessen zumindest teilweise aufzugeben, ist verständlicherweise gering.
1. Mögliche Gründe für das Scheitern
interkommunaler Kooperationen
Die Erkenntnis, dass auch in der Politik – ähnlich wie in der Wirtschaft –
rationale Abwägungen zwischen individuellen Kosten und persönlichem
Nutzen das Handeln der Akteure entscheidend beeinflussen, wird durch die
Theorien der „Neuen Politischen Ökonomie“ bestätigt.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 13
2. Neue Politische Ökonomie
2.1 Politisch-ökonomische Interdependenz
…versucht politisches Verhalten, Entscheidungsprozesse und Strukturen überwiegend auf Basis der neoklassischen Wirtschaftstheorie zu erklären.
Politik Wirtschaft
ordnungs-, konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen durch (wirtschafts-)politische Entscheidungsträger
Rückkoppelung aufgrund wirtschaftlicher Faktoren wie allgemeine (konjunkturelle) und strukturpolitische Wirtschafts-
lage oder ordnungs- und finanzpolitische Auswirkungen
Politisch-ökonomische Interdependenz, eigene Darstellung, Quelle: S. BEHRENDS, 2001, S. 1
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 14
Methodologischer Individualismus
Alle sozialen Beziehungen, Strukturen und Prozesse lassen sich vom Verhalten, dem Charakter und den Absichten des menschlichen Individuums ableiten.
2. Neue Politische Ökonomie
Verhalten des Individuums als politischer Akteur?
ökonomisches Rationalverhalten, Eigeninteresse, nutzenmaximierendes sehr wirtschaftliches Verhalten
politisches Gut Sicherheit, Wählerstimmen als politisches Äquivalent zum Geld
… nach der neoklassischen Wirtschaftstheorie
2.2 Grundannahme der Neuen Politischen Ökonomie
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 15
2. Neue Politische Ökonomie
nach Renate MAYNETZ und Fritz W. SCHARPF (1995)
Bisherige Überlegungen beschreiben das Individualverhalten der Politiker
und politischen Parteien, ohne auf äußere Einflüsse einzugehen.
Jedoch sind die (wirtschafts-)politischen Akteure in einem institutionellen
Umfeld eingebettet.
starke Wechselwirkung und Verknüpfung der
Perspektive des Akteurs und jener der Institution.
Der Begriff „Institutionen“ wird auf soziale Gebilde und sozial normierte
Verhaltensmuster angewandt (vgl. Mayntz und Scharpf, 1995, S. 40).
2.3 Akteurszentrierter Institutionalismus
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 16
2. Neue Politische Ökonomie
fünf grundlegende Elemente zur Beschreibung des Individuums in
Entscheidungssituationen (vgl. S. BEHRENDS, 2001, S. 6 ff.):
methodologischer Individualismus
systematische Reaktion auf Anreize
Trennung zwischen die Anreize bestimmenden Präferenzen und Restriktionen
Eigennutzenorientierung
institutionell bedingter Möglichkeitsraum: äußere Einflüsse (gesellschaftliche
Entscheidungssysteme wie Markt und Preissystem, Gesetze usw.) beschränken
den Handlungsspielraum des Individuums auf den tatsächlichen Möglichkeitsraum
2.4 Zusammenfassung
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 17
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
Im deutschsprachigen Raum haben bis jetzt nur wenige Autoren die
politische Ökonomie im Zusammenhang mit der Raumordnung, Raumplanung
oder Regionalentwicklung thematisiert.
3.1 Politische Ökonomie in der Literatur zur Raumordnung und Raumplanung (1)
D. BÖKEMANN: Lehrbuch „Theorie der Raumplanung“ (1982)
P. WEICHHART: „Designerregionen – Antworten auf die Herausforderungen des
globalen Standortwettbewerbs? “ (2001), „Zukunftsaufgabe Kooperation“ (2005),...
J. GENOSKO: „Politik und Zentrale-Orte-System“ (2002)
Direkter Bezug zu den Theorien der Neuen Politischen Ökonomie nur bei:
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 18
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
D. BÖKEMANN: Lehrbuch „Theorie der Raumplanung“ (1982)
„neues Paradigma zur Erklärung der Regionalentwicklung“
Standorte als Güter, die von Gebietskörperschaften produziert werden
drei Hypothesen zur politikbezogenen Interpretation der Regionalentwicklung
Die Regierenden der Gebietskörperschaften
handeln genauso nach eigennützigen Kriterien wie private Wirtschaftssubjekte,
produzieren ebenfalls marktbezogen bestimmte Güter (Standorte) und
sind mit anderen Wirtschaftssubjekten durch Leistungsströme (Wählervoten,
politische Entscheidungen nach dem Willen der Wählermehrheit) verbunden.
3.1 Politische Ökonomie in der Literatur zur Raumordnung und Raumplanung (2)
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 19
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
P. WEICHHART: „Designerregionen – Antworten auf die Herausforderungen des
globalen Standortwettbewerbs? “ (2001)
3.1 Politische Ökonomie in der Literatur zur Raumordnung und Raumplanung (3)
Drei „Nutzenkategorien“ oder Arten von „politischen Gütern“:
„die „Disposition über Budgetmittel“,
„Wählerloyalität“ und
die „Erhöhung des Standortnutzens (bzw. Minimierung der
Standortbenachteiligung) für jene privaten Eigner oder Nutzer,
die dem eigenen politischen Klientel angehören.“
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 20
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
J. GENOSKO: „Politik und Zentrale-Orte-System“ (2002)
3.1 Politische Ökonomie in der Literatur zur Raumordnung und Raumplanung (4)
Fazit aus der Theorie des „politischen Opportunismus“:
Raumplaner fühlen sich einer optimalen (effizienten) Ordnung des
Raumes verpflichtet
Politiker instrumentalisieren opportunistisch die Raumordnung
für eigennützige Zwecke.
Beispiel: Zentrale-Orte-System (ZOS) in Deutschland:
Einstufung von Gemeinden als Mittel- und Oberzentrum bringt materielle Vorteile (z. B. beim kommunalen Finanzausgleich, in der Standort- u. Strukturpolitik,…)
Das ZOS wird deshalb politisch opportun verwendet bzw. manipuliert.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 21
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
3.1 Politische Ökonomie in der Literatur zur Raumordnung und Raumplanung (5)
W. HEINZ: „Stadt und Region. Kooperation oder Koordination. Ein internationaler
Vergleich.“ (2000) S. 250.
Intraregionale Kooperationsansätze sind ein „Reflex der jeweiligen Konstellation
von Akteuren, ihren Interessen, ihren Macht- und Einflussmöglichkeiten.“
Ihr Verhalten ist „meist durch ein starkes Interesse an Besitzstandswahrung
bestimmt“, „generalisierbare Aussagen“ darüber sind aber „nicht ohne weiteres
möglich“.
Weitere Hinweise auf die Wirkungsmechanismen und Folgen der politischen
Ökonomie in der Praxis der regionalen Zusammenarbeit:
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 22
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
3.1 Politische Ökonomie in der Literatur zur Raumordnung und Raumplanung (6)
ÖROK (Hrsg.): „Europaregionen“ - Herausforderungen, Ziele, Kooperations-
formen. (2005) (= ÖROK Schriftenreihe Nr. 169)
„Wo liegt der Mehrwert einer Europaregion, um sich als PolitikerIn dafür zu
engagieren?“
„Aus politischer Logik läge demnach der Mehrwert in der Erhöhung von Wähler-
Innengunst oder anderweitiger Erhöhung der eigenen Handlungsmöglichkeiten.“
„Auf der anderen Seite steht das mögliche politische Risiko des Engagements für
Europaregionen - der Eindruck, nicht vorrangig die Interessen der eigenen
Bevölkerung zu vertreten, würde von den WählerInnen vermutlich nicht goutiert.“
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 23
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
W. WIRTH und M. MATSCHEK: „Interkommunale Zusammenarbeit. Möglichkeiten,
Grenzen und aktueller Entwicklungsbedarf.“
(ÖGZ, Nr.11/2005, S. 8-12)
3.1 Politische Ökonomie in der Literatur zur Raumordnung und Raumplanung (7)
Die Grenzen der interkommunalen Zusammenarbeit sind
„teilweise in rechtlichen Aspekten, vor allem aber auch im
politischen Kosten-Nutzen-Kalkül der Akteure der Gemeinden“
zu sehen.
Es stehen also „den ökonomischen Vorteilen einer Zusammenarbeit
eben auch handfeste politische Nachteile gegenüber.“
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 24
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
3.2 Expertenmeinungen zur politischen Ökonomie als Hindernis für die
interkommunale Kooperation (1)
Zentrale Probleme:
Politische bzw. lokale Egoismen; „Kirchturmdenken“ der Bürgemeister, Gemeindepolitik ist meistens von Eigeninteressen dominiert.
Kleine Gemeinden befürchten einen Verlust ihrer lokalen Identität, Eigenständigkeit und Kompetenzen (v. a. bei Kooperation zwischen Städten und ihren Umlandgemeinden).
Manche Gemeinden sehen in der Konkurrenzsituation zu ihren Nachbargemeinden einen größeren Vorteil als in der Kooperation.
Konkurrenzdenken zwischen den Gemeinden aufgrund unterschiedlicher politischer Gesinnungen und Parteizugehörigkeit der Kommunalpolitiker.
Funktionieren von Kooperationsprojekten hängt oft von nur wenigen aktiven Akteuren ab.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 25
3. Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
interkommunaler Kooperationen
3.2 Expertenmeinungen zur politischen Ökonomie als Hindernis für die
interkommunale Kooperation (2)
Nicht alle befragten Experten hatten sich schon mit den Theorien der „Neuen
Politischen Ökonomie“ beschäftigt. Sie bestätigten aber anhand ihrer
praktischen Erfahrungen die in diesen Theorien beschriebenen Zusammenhänge.
Die Aspekte der politischen Ökonomie werden als Ursache für
Probleme bei der Kooperation von Gemeinden in der Öffentlichkeit und
unter den beteiligten Akteuren (noch) zu wenig diskutiert werden.
Die Gemeinden schieben ihre Probleme gern auf die rechtlichen
Rahmenbedingungen, obwohl diese von Fachleuten als gar nicht so
ungünstig empfunden wird. Wenn der Wille zur Zusammenarbeit
vorhanden ist, können sie kein unüberwindbares Hindernis darstellen.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 26
4. Beispiele für Misserfolge bei interkommunaler Kooperationen
Ein vollständiges Scheitern eines Kooperationsversuchs wird nie gern zugegeben.
Vor allem wenn bereits Zeit und Geld investiert wurde erwartet die
Bevölkerung Ergebnisse.
Wann ist eine ikK wirklich gescheitert?
Es werden häufig…
Ansprüche und Erwartungen zurückgeschraubt, neue, leichter erreichbare Ziele festgelegt (Minimallösung) und Umänderungen der Kooperationsform bzw. -struktur vorgenommen,
…um die Kooperation weiterhin als Erfolg zu
präsentieren
Prominentes Beispiel: Region Frankfurt Rhein-Main
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 27
4. Beispiele für Misserfolge bei interkommunaler Kooperationen
polyzentrische Rhein-Main-Region über drei Bundesländer (Hessen,
Rheinland-Pfalz und Bayern)
UVF für damalige Zeiten sehr fortschrittlich, aber trotz positiver Leistungen
immer wieder massive Kritik, u. a. weil:
geringer Bekanntheitsgrad (unzureichende Öffentlichkeitsarbeit)
das Verbandsgebiet umfasst nicht das gesamte Rhein-Main-Gebiet
Angst der Landeskreise vor Machtverlust (z.T. tratt nur eine Stadt bei)
Mehrzweck-Pflichtverband verpflichtet die Gemeinden per
Landesgesetz zur Mitgliedschaft
direkt gewählte Verbandsversammlung
4.1 Beispiel Ballungsraum Frankfurt Rhein-Main – UVF
1975 Gründung des Umlandverband Frankfurt (UVF):
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 28
4. Beispiele für Misserfolge bei interkommunaler Kooperationen
Wichtigste Änderungen:
weit weniger verbindliche Strukturen
Planungsverband hat deutlich weniger Kompetenzen als der ehemalige UVF
keine direkt gewählte Verbandsversammlung mehr (Mitglieder von den
Mitgliedsgemeinden entsandt)
Gemeinden sollen segmentierte „freiwillige“ Zweckverbandslösungen für
eine Reihe überregionaler Trägerschaftsaufgaben errichten
unbefriedigende Verbandgebietsreform
21. April 2001: Novellierung des hessischen Landesgesetzes
Auflösung des UVF und Gründung des Rechtsnachfolgers
Planungsverband Ballungsraum Frankfurt Rhein-Main (PVFRM)
4.1 Beispiel Ballungsraum Frankfurt Rhein-Main – PVFRM
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 29
4. Beispiele für Misserfolge bei interkommunaler Kooperationen
Quelle: SCHELLER/WOLF, 2001, S. 25
http://bilder.jokers.de/images/de/F_Gesamt.gif
4.1 Beispiel Ballungsraum Frankfurt Rhein-Main (3)
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 30
4. Beispiele für Misserfolge bei interkommunaler Kooperationen
ikKs gibt es in Österreich…
nur in kleinem Rahmen, auf geringe Anzahl an beteiligten Gemeinden beschränkt
vorrangig in peripheren Regionen.
Hauptgründe für den Verzicht auf ikKs sind (vgl. P. WEICHHART, 2005 a, S.117 und WIRTH/MATSCHEK, 2005 b, S.10):
mangelnder politischer Wille
finanzieller Druck auf die Gemeinden ist (noch) nicht hoch genug, um ihren
Egoismen zu überwinden und das mögliche Sparpotenzial der ikKs zu nutzen
Negativbeispiele: Stadtregionen - Wien, Graz, Linz, Salzburg usw.
4.2 Beispiele aus Österreich
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 31
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung 1
regionalspezifische Einzellfallorientierung
kein allgemein gültiger Strukturplan bzw. Situationszuschnitt für ikK möglich spezifische Anpassung an die jeweiligen Akteursstrukturen und national-
bzw. länder- und regionalspezifischen Rahmenbedingungen, sei es
in politisch-administrativer, institutioneller oder ökonomischer Hinsicht
klare Aufgabentrennung spezifischer Aufgabenbereiche
bürgernahe und operative Aufgaben auf kommunaler Ebene und
strategische und koordinierende Aufgaben auf regionalen Ebene steuern
aus Fehlern und von erfolgreichen Kooperationen lernen
kritische Auseinandersetzung mit vergangenen Kooperationen, seien
es gescheiterte Versuche oder auch erfolgreiche Projekte
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 32
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung 2
Vermeidung der Beschränkung auf wirtschaftliche Aspekte
vermehrt in urbanen Regionen zu beobachten Konzentration auf Wirtschaftsthemen kann zur Verschärfung sozialer
und ökologischer Probleme führen Miteinbeziehung aller relevanten Themenbereiche auf reg. und lokaler Ebene
eigenständige finanzielle Grundlage
finanzielle Unabhängigkeit fördert Freiheiten und Möglichkeiten realistische Finanzierungsformen:
eigene Steuereinnahmen (falls gesetzlich möglich) Mischfinanzierungen aus Gebühren, Umlagen und Zuweisungen
von unterschiedlichen Verwaltungsebenen direkten Zugang zum Geld, vor allem in Form von Fördermittel einrichten
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 33
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung 3
demokratische Legitimation
eine ausreichende Planungs- und Handlungskompetenz sowie eine
entsprechende Finanzhoheit sind die Voraussetzung um eine erfolgreiche
regionale Arbeit zu verrichten
Bündelung von Aufgaben
regional bedeutsame Aufgaben, d. h. Planungs-, Koordinations- und
Trägerschaftsaufgaben müssen gebündelt werden mittels einer übergeordneten Steuerungsinstanz mit umfassender
Planungs- und Umsetzungskompetenz
Wahl einer geeigneten Kooperationsform
beste Form: die “harte“ Form: Zusammenschluss der betroffenen Gemeinden zu einer neuen Gebietskörperschaft
zukunftsträchtig: die „weiche“ Form, mit vorwiegend informellem Charakter
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 34
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung 4
Flexibilität
Reaktionsmöglichkeit der ikK auf eventuelle zeitspezifische Veränderungen
Regionalmanagement als Steuerungsinstanz
die Bedeutung von unabhängigen, keiner Interessensgruppe zugehörigen,
vorurteilsfreien Fachpersonen als Manager, Lenker, Kontakteknüpfer sowie
Koordinator, Makler und Moderator ist unumstritten die Erweiterung des Aufgabenspektrums dieser Steuerungsinstitution
ist erstrebenswert
Impulse übergeordneter Verwaltungsebenen
reine bottom-up Kooperation seien perfekt, ist ein Irrglaube! Unterstützung der Landes- oder staatlichen Ebene für verwaltungs- und
finanzierungsspezifische Funktionen (verfassungsrechtlich Zuständigkeit für ikKs)
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 35
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung 5
weiter flankierende Maßnahmen
Vereinfachung der vorhandenen Verwaltungsstrukturen (Vermeidung von
Kompetenzüberschneidungen) die kommunale Konkurrenz maßgeblich beeinflussende Steuern verhindern übergreifende, an spezifische Steuereinnahmen gebundene Regionalfonds
frühzeitige Bürgerbeteiligung
regionale Bemühungen sind den lokalen Bürgern oft schwer zu vermitteln
Notwendigkeit regionaler Initiativen! direkte Beteiligung steigert Eigeninteresse und persönliches Engagement
Punktuelle Ansätze in wenigen wirtschaftsstarken Regionen vermeiden
weitere Verstärkung regionaler Disparität vermeiden flächendeckende Ausbreitung interkommunaler Kooperationen anzustreben
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 36
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung 6
Inszenierung – Zeichen setzen durch einflussreiche Repräsentanten
die Inszenierung (Startschuss, Präsentation von Teilerfolge, usw.) durch
hochrangige Persönlichkeiten und Institutionen fördert ein positives Bild in
der Bevölkerung und Wirtschaft eine transparent strukturierte Steuerung motiviert zusätzlich die Beteiligten
Problembearbeitung an der Konfliktregelungskapazität ausrichten
„klein“ anfangen - sehr komplexe ganzheitliche Konzepte überfordern! konflikthaltige Themen zunächst ausklammern oder umdefinieren erfolgsversprechende Projekte schnell repräsentative positive Ergebnisse Konfliktregelungskapazität über einzelne Maßnahmen oder Regelungen
(z.B. Mediationsverfahren) erweitern
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 37
5. Lösungsansätze und Möglichkeiten zur Problemvermeidung 7
räumlicher Zuschnitt
Übereinstimmung der funktionalen mit den politisch-administrativen
Regionsgrenzen sollte klares Ziel sein, wenn auch schwer durchführbar
Verbesserung der Ausbildung
Regionalplanerinnen und –planer sind aufgrund Ihrer Ausbildung oft überfordert Fortbildungsmöglichkeiten schaffen Verbesserungen an den Universitäten in den Bereichen Moderation, Mediation
und Management
Quelle: R. BAUMHEIER et al. (1998, S. 59 ff), W. HEINZ (2000, S. 261 ff und
S. 558 ff), KNIELING, FÜRST und DANIELZYK (2003, S. 189 ff), SCHELLER
und WOLF (2001), sowie die Aussagen der Experten
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 38
6. Fazit
Nicht nur Fachleute, auch Bürgermeister und leitende Gemeindebedienste scheinen
mehrheitlich eine positive Einstellung zur interkommunalen Kooperation zu haben.
Ergebnis einer Bürgermeisterbefragung in Oberösterreich (2005), Quelle: Land Oberösterreich, www.land-
oberoesterreich.gv.at
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 39
6. Fazit
Untersuchung der Gemeindeabteilung des Landes Kärnten (2005):
97% der leitenden Gemeindebediensteten bewerten interkommunale
Zusammenarbeit grundsätzlich positiv. (vgl. WIRTH/MATSCHEK, 2005)
Deutliche Diskrepanz zwischen der positiven Einstellung der politischen
Akteure und ihrer tatsächlichen Bereitschaft zu kooperativem Handeln.
Kann durch Theorien der „Neuen Politischen Ökonomie“ erklärt werden.
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 40
6. Fazit
Vorschläge zur Förderung der Kooperationsbereitschaft
Demokratisch legitimierte regionale Gebietskörperschaften
(rechtlich verbindliche Kooperationsform, Politiker sind für die gesamte
Region zuständig)
In Österreich derzeit kaum umsetzbar (kein politisches Interesse).
Die Bundesländer sollten ihre Möglichkeiten nutzen, indem sie:
Gemeinden stärker als bisher zur Kooperation verpflichten.
diverse Fördermitteln nur noch an Kooperationsprojekte vergeben.
Politischer Wille der Bundesländer?
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 41
Aktuelle Situation in Österreich
Die Politiker sind nur selten gesetzlich zur interkommunalen Kooperation
verpflichtet und können kaum einen persönlichen Nutzen daraus ziehen.
Welche Motivation sollten sie haben, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen?
Sind die notwendigen Fortschritte im Bereich der interkommunalen
Zusammenarbeit in Österreich allein durch freiwilliges Engagement
und Idealismus zu erreichen?
6. Fazit
Interkommunale Kooperation – Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns 42
Interkommunale Kooperation –
Politikökonomische Hintergründe des Scheiterns
Danke für die Aufmerksamkeit!